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ASEAN: Regional-und Außenpolitik | APuZ 33/1984 | bpb.de

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APuZ 33/1984 Artikel 1 ASEAN: Entwicklungsmodell mit Hindernissen ASEAN: Regional-und Außenpolitik

ASEAN: Regional-und Außenpolitik

Oskar Weggel

/ 46 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die im Jahre 1967 gegründete, aber erst nach den Indochina-Ereignissen von 1975/79 vitalisierte und am 1. Januar 1984 durch den Beitritt Bruneis auf sechs Mitglieder erweiterte ASEAN ist ein Regionalbündnis. Paradoxerweise läßt sich von diesem Bündnis eher sagen, was es nicht ist: es ist kein Militärbündnis, keine Zoll-oder gar Wirtschaftsunion, keine politische Allianz und nicht einmal eine kulturelle Gemeinschaft. Die ASEAN läßt sich auch mit der EG kaum vergleichen und weist doch Eigenschaften auf, die dem Verbund einen höchst zukunftsträchtigen Anstrich geben. So hat sie vor allem neuartige Formen intraregionaler Zusammenarbeit hervorgebracht, die in die Entwicklungsländer-Diskussion eingegangen sind und sich als Modelle für die Süd-Süd-Zusammenarbeit empfehlen. Eine politische Leitparole der ASEAN lautet „Elastizität“. Den Großmächten gegenüber zeigt die ursprünglich im Geiste des Antikommunismus gegründete ASEAN eine klare Ausrichtung: Alle sechs Mitglieder betrachten die Sowjetunion und — mit Einschränkungen — auch China als potentielle Hauptgegner, während die USA Japan, Australien, Neuseeland und die EG als freundliche Mächte eingestuft werden. Mit Blick auf die Zukunft der ASEAN als Regionalbündnis scheint die Integration mittelfristig auf einen regional-funktionalen Zusammenschluß hinauszulaufen. Langfristig ist jedoch keineswegs unvorstellbar, daß dieser Zwischenzustand eines Tages einer wirklichen authentischen regionalen Einheit Platz macht

I. Die ASEAN-Gemeinschaft: Ein innovatives Experiment in der Dritten Welt

Ausführungsebene Ad-hoc-Ausschüsse Sekretariat (seit 1976 mit Sitz in Jakarta)

Generalsekretär (alle 2 Jahre rotierend) entscheidet laufende Angelegenheiten; bei wichtigen Entscheidungen: Zustimmung des Ständigen Ausschusses 9 Fachausschüsse -------------------------------. —? -----------------— Industrie, Bergbau und Energie — Handel, Tourismus — Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Finanzen und Bankwesen — Transport-und Verkehrswesen — Haushaltsausschuß — soziale Entwicklung — Kultur und Informatio㌰٣̸抲

Entstehungsanlaß, Unterschiede zur EG Die Gründung der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) i. J. 1967 war eine Antwort der fünf Gründerstaaten Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand 1) auf die beiden wichtigsten gemeinsamen Herausforderungen, nämlich auf die innere Bedrohung durch eine Anzahl von Sozialkonflikten und auf „den" Kommunismus, der, wie es schien, von außen einsickerte. Die fünf Regierungen waren sich zwar durchaus darüber im klaren, daß die anstehenden Aufgaben, wie z. B. die Landreform, der Ausgleich zwischen Stadt und Land, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit etc. in erster Linie „zu Hause" angepackt werden mußten, doch versprach man sich darüber hinaus wenigstens flankierende Hilfe durch die Kooperation mit solchen Nachbarn, die im wesentlichen im selben Boot saßen. Das in diesem Sinne eingeleitete Dauerexperiment ASEAN wurde immerhin attraktiv genug, um noch 17 Jahre nach seiner Gründung einen so wohlhabenden Staat wie Brunei als neues Mitglied anzuziehen. Das Profil der ASEAN-Staaten läßt sich am einfachsten durch einen Vergleich mit der EG ermitteln. Beide werden in der Literatur gerne miteinander verglichen und mögen anfänglich in der Tat ähnlich motiviert gewesen sein. Gründungsanlaß waren hier wie dort Krieg und der gefürchtete Kommunismus. 1961 entstand, im Anschluß an die zwölfjährige, kommunistisch inspirierte und bürgerkriegsähnliche „Emergency" in Malaysia (1948— 1960) die ASA (Association of Southeast Asia), der nur drei Staaten der Region, nämlich Malaysia, die Philippinen und Thailand, angehörten, die aber im Zeichen der damaligen „Konfrontationspolitik“ Indonesiens unter Sukarno nicht funktionieren konnte. Erst nach dem Sturz Sukarnos und dem An-tritt einer antikommunistischen Regierung in Indonesien (1965) sowie nach der Entlassung Singapurs aus dem britischen Kolonialverband (1963) war die Zeit für die Gründung des Fünferclubs von 1967 reif.

Weitaus schwerer als die Gemeinsamkeiten wiegen jedoch die Unterschiede zur EG:

— Was den Entwicklungsverlauf anbelangt, so sah der Vertrag von Rom (1957) einen Drei-Stufen-Prozeß vor, der von der Zoll-über die Wirtschafts-bis hin zur politischen Union führen sollte. Demgegenüber verpflichtet der ASEAN-Gründungsvertrag von 1967 seine Mitglieder lediglich zu einer lockeren Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wirtschaft, des Verkehrs und der Kultur.

— Zwar lassen sich Parallelen zwischen dem EG-und dem ASEAN-Ministerrat sowie der Brüsseler Kommission einerseits und dem 1976 gegründeten ASEAN-Sekretariat andererseits ziehen; doch sind sie nur äußerlich; denn von einem Behördenapparat, wie er der Brüsseler Kommission zur Seite steht, kann bei der ASEAN auch nicht annähernd die Rede sein. Desgleichen gibt es kein ASEAN-Parlament (seit 1983 ist jedoch eine Diskussion darüber angelaufen), keinen regionalen Gerichtshof und keine Institution, die etwa dem Europäischen Agrarausgleichsfonds gliche. Gewicht besaßen allerdings die beiden Gipfelkonferenzen der Regierungschefs in Bali (Mai 1976) und Kuala Lumpur (August 1977), die der ASEAN im Anschluß an den Regierungsumsturz in den drei Indochina-Staaten (1975) neuen Auftrieb gegeben haben. — Ihre Partner sucht sich die EG eher nach prinzipiellen, die ASEAN dagegen nach pragmatischen Gesichtspunkten aus. Die EG unterscheidet zwischen Vollmitgliedern (z. Z. zehn), assoziierten Mitgliedern (z. B. die Türkei) und Vorzugsländern (AKP-Staaten aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum). Die ASEAN hält sich statt dessen an zwei ganz anders geartete Kriterienkataloge: Was die Handelspartner anbelangt, so setzte die Gipfelkonferenz von Bali (1976) Präferenz-vorgaben für solche Länder, die vier Bedingungen erfüllen: Abnahme der ASEAN-Rohstoffe, Erwerb von technologischem Knowhow, Stabilisierung der Exporterlöse beim Rohstoffverkauf und tendenzielle Bereitschaft zur Zusammenarbeit nach den Rahmenvorstellungen der Neuen Weltwirtschaftsordnung. Die diesen Beschlüssen folgende Außenhandelsoffensive führte zeitweise zu Steigerungsraten von jährlich über 10%, im Falle Singapurs und Indonesiens sogar von 18% bis 25 %, wobei die Rohstoffexporte (öl, allerdings Hölzer, Zinn und Kopra) in gefährlicher Weise kopflastig waren, was schließlich in der Tat zu einem Preisverfall der Rohstoffe führte.

Der andere Kriterienkatalog betrifft die Zugehörigkeit zur Region: Ginge es nach malaysischen Plänen von 1971, so würde der südostasiatische Sechserclub langfristig unter Einbeziehung Birmas und der drei Indochina-Staaten auf zehn Mitglieder erweitert und als Zehnergemeinschaft neutralisiert Solche Pläne sind freilich angesichts der Konflikte zwischen den drei Indochina-Ländern und den ASEAN-Staaten einstweilen noch Utopie. — Besonders auffallend sind die Unterschiede im Bereich des interregionalen Handels: Während die EG rund 70% ihres Außenhandels intern abwickelt, liegt dieser Anteil bei den ASEAN-Staaten mit nur 15%— 17% weitaus niedriger. Dies hängt wesentlich mit der Struktur der Produktpalette zusammen, und so wird der innerregionale Handel in dem Maße wachsen, wie sich diese und das Warenangebot ausdifferenzieren. Ein solcher Prozeß scheint nur eine Frage der Zeit zu sein; gegenwärtig ist der ASEAN-Markt zwar noch relativ klein, aber vom Zukunftspotential her weist er günstige Voraussetzungen auf: Er umfaßt 270 Millionen Menschen (Mitte 1982), besitzt also ein schon fast an EG-Maßstäbe heranreichendes Konsumentenpotential, und hat an der Weltproduktion einen Anteil von 83% der Rohgummigewinnung, 71% der Zinn-, 84% der Palmöl-, 64% der Kopra-, 57% der Gewürz-und 15% der Holz-produktion.

EG und ASEAN gleichen sich schließlich aber darin, daß sie beide nicht den Charakter eines Verteidigungsbündnisses besitzen. Während die EG-Staaten freilich ihrerseits dem umfasB senden Nordatlantischen Bündnis zugehören, haben die ASEAN-Staaten — nach dem Zerfall der SEATO — nichts Vergleichbares aufzuweisen. Im Endergebnis kann man eher sagen, was die ASEAN nicht ist, als was sie ist, nämlich kein Militärbündnis, keine Zoll-oder gar Wirtschaftsunion, keine politische Union und nicht einmal eine kulturelle Gemeinschaft. Und doch weist sie Eigenschaften auf, die dem Verbund einen höchst zukunftsträchtigen Anstrich geben. Sie ist autochthon, kosmopolitisch, in ihrer Art einzigartig, pragmatisch und dynamisch.

Die Allianz war von Anfang an weder eine Schöpfung der USA noch Japans oder anderer regionaler Außenseiter, sondern hat sich aus immer neuen regionalen Experimenten heraus entwickelt, die z. T., wie beispielsweise die „rassistisch" ausgerichtete Maphilindo (Malaysia-Phihppinen-Indonesien) oder aber die ganz von Antikommunismus zehrende ASPAC, nicht immer glücklich, schließlich insofern aber erfolgreich waren, als aus diesem Prozeß des Versuchens und Irrens am Ende eine Vereinigung entstand, die sich bisher als höchst vital erwies — eben die ASEAN. Das Profil der ASEAN war von Anfang an so ausgeprägt eigenständig, daß alle Versuche Moskaus, die junge Allianz als bloßen Ableger der SEATO zu brandmarken, fehlschlugen, und daß darüber hinaus auch die Amerikaner nicht in die Lage kamen, die ASEAN für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Schließlich erwies sich der Verbund dämit als authentische Dritte-Welt-Schöpfung, die als solche langfristig durchaus zum Modell werden könnte.

Die ASEAN profiliert sich darüber hinaus als höchst „kosmopolitisch": Sie wird repräsentiert von echten „Internationalisten" (man denke beispielsweise an den in England ausgebildeten singapurischen Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew), sie ist zu einem Kristallisationspunkt zahlreicher Staaten der asiatisch-pazifischen Region geworden (z. B. durch die jährlichen gemeinsamen Außenministerkonferenzen), sie unterhält vielfältige Beziehungen zu den Industrieländern, sie erweist sich vor der UNO als Motor für Initiativen und Diskussionen (nicht zuletzt in der Indochina-Frage) und sie versucht, mit den wichtigeren Staaten der Dritten Welt, vor allem mit Indien, permanente Diskussionsrunden zu etablieren. Ruft man sich die radikale „Konfrontationspolitik" Sukarnos ins Gedächt18 nis, die noch vor zwei Jahrzehnten für Un-. ruhe gesorgt hatte, so fällt heute um so positiver die mäßigende Rolle auf, die die Gemeinschaft als ganze in der asiatisch-pazifischen, ja in der Weltpolitik spielt (u. a. bei den Konferenzen der Blockfreien).

Die Gemeinschaft ist darüber hinaus insofern einzigartig, einfach andere Integrationsmuster sie nicht der Dritten Welt kopiert, sondern von den weltweit vorliegenden Erfahrungen jeweils das Geeignetste für sich her-ausgesucht und so einen originellen Eigen-beitrag geleistet hat.

Pragmatisch ist die Allianz, weil sich ihre Mitglieder von der ersten Stunde an kein allzu enges Korsett angelegt, sondern der Spontaneität Raum gelassen haben. Es ist gewiß kein Zufall, daß die ASEAN keine formelle Satzung besitzt, sondern sich innerhalb des locker gefaßten Rahmenwerks der Bangkok-Erklärung von 1967 bewegt. Diese Erklärung ist kurz und allgemein gehalten, läßt also Raum für alle möglichen Zukunftsentwicklungen. Sie besitzt auch keinen formellen Vertragscharakter, und überhaupt werden Vereinbarungen der Sechs nur ausnahmsweise in Vertragsform niedergelegt — zu diesen Ausnahmen gehört etwa der „Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien", der auf der ersten Gipfelkonferenz von Bali 1976 unterzeichnet wurde.

Die Dynamik der ASEAN zeigt sich u. a. darin, daß die Allianz sich bisher auf jede neue Herausforderung einstellen konnte. Während sich die Gipfelkonferenz von Bali noch hauptsächlich auf interne Probleme konzentrierte, begann mit der zweiten Gipfelkonferenz in Kuala Lumpur (August 1977) eine neue Phase, die im Zeichen einer auch heute noch andauernden gemeinsamen Außenpolitik steht In den wenigen Jahren seit 1977 hat sich die Welt an das noch vor zwei Jahrzehnten unvorstellbare Bild eines gemeinsamen Auftretens der ASEAN-Staaten gewöhnt. Dynamik findet sich aber auch in der inneren Wandlung der Allianz: Lagen die Prioritäten in den Jahren nach 1967 noch bei der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit, so verlagerte sich der Akzent seit der Declaration of ASEAN Concord (1976) mehr auf die politische Kooperation; künftig wird die Gemeinschaft vermutlich noch stärker mit sicherheitsbezogenen und militärischen Elementen angereichert, wozu Ereignisse wie der Fall Saigons, Vientianes und Phnom Penhs (1975), die beiden Kriege 1979, der militärische Rückzug Washingtons aus Südostasien, die wachsende Marinepräsenz der Sowjetunion und nicht zuletzt auch die enge Anbindung Vietnams an Moskau Anlaß geben. 2. Neuartige Formen der intraregionalen Zusammenarbeit: Die ASEAN — ein Modell für die Süd-Süd-Zusammenarbeit? Lange Zeit war die „Neue Weltwirtschaftsordnung", deren Grundsätze 1974 zum erstenmal von der UNO verabschiedet wurden, fast ausschließlich im Koordinatennetz der Nord-Süd-Beziehungen behandelt worden. Wenn hier inzwischen eine entscheidende Änderung der Betrachtungsweise erfolgt, so ist dies vor allem das Verdienst der ASEAN-Staaten, die durch ihr eigenes Beispiel darauf hingewiesen haben, daß sich der Süden nicht einfach passiv auf die Unterstützung des Nordens verlassen dürfe, sondern in erster Linie seine eigenen menschlichen und wirtschaftlichen Ressourcen mobilisieren müsse. Nord-Süd-Verhandlungen und Süd-Süd-Kooperation müßten als zwei Seiten ein und derselben Medaille gelten. Theoretisch kann sich die Süd-Süd-Zusammenarbeit in bilateraler oder multilateraler, in regionaler oder überregionaler Form entfalten.

Konkrete Antworten auf abstrakte Erläuterungen dieser Art hat die ASEAN inzwischen in fünf Richtungen erteilt. a) PTA (Zollpräferenzen)

Am 24. Februar 1977 wurde in Manila ein Agreement on ASEAN Preferential Trading Arrangements (PTA) geschlossen, dessen Zweck es war, durch Liberalisierung den intraregionalen ASEAN-Handel zu erweitern. Der PTA-Spur folgten mehrere bilaterale und dreiseitige Vereinbarungen zwischen Singapur, den Philippinen und Thailand, die Anfang 1977 gemeinsam beschlossen, ihre Zölle um 10% zu reduzieren. Die PTA-Liste umfaßte anfangs 335 Waren und enthielt außerdem die Klausel, daß alle Güter im Werte von unter 50 000 US-$c. i. f. 20% Zollvergünstigungen erhalten sollten.

Im Laufe der nächsten Jahre wurde die Liste ständig erweitert und umfaßte im Januar 1982 bereits 8 529 Produkte, für die der Zoll um nunmehr 25% gesenkt wurde.

Freilich handelte es sich hier um Waren, die weniger bedeutsam sind. Kritiker des PTA haben festgestellt, daß vermutlich nicht mehr als 2% des Intra-ASEAN-Handels wirklich durch das PTA gefördert würden: Je länger die Befreiungsliste, um so schlimmer der Protektionismus" lautet ihr ironischer Kommentar. Kurzfristig wird sich daran wohl kaum etwas ändern. Immerhin hat das PTA-Experiment aber zur weiteren Sensibilisierung im Kooperationsbereich beigetragen. b) AIP: die ASEAN-Industrieprojekte Aufgrund der Vereinbarungen von Bali (1976) wurden fünf ASEAN-Industrieprojekte (AIP) beschlossen, von denen je eines in den Mitgliedsländern errichtet werden sollte, nämlich eine Fabrik für Dieselmotoren in Singapur, eine Sodaaschefabrik in Thailand, ein Superphosphatwerk für die Philippinen und je eine Stickstoffdüngerfabrik in Indonesien (Nordsumatra) und Malaysia (Sarawak).

Die Projekte sollten mit Geldern und Krediten finanziert werden, die von den fünf Staaten gemeinsam zu leisten bzw. zu garantieren waren. Das Projektmanagement sollte jeweils in der Hand des Gastlandes liegen und das Eigentum sollte zu 60% dem Gastland und zu 40% den vier anderen ASEAN-Mitgliedern zustehen. Des weiteren sollten die Produkte dieser Fabriken zollbegünstigt veräußert werden dürfen.

Die mit anfänglicher Begeisterung begonnene AIP-Bewegung kam jedoch schon bald ins Stocken. Singapur verlor das Interesse, die Philippinen waren nach längerem überlegen an einer Superphosphatfabrik nicht mehr interessiert und haben seitdem eine Reihe von Alternativprojekten vorgelegt, Thailand konnte sich über den Standort seines Werkes nicht schlüssig werden und die malaysischen sowie indonesischen Projekte kamen in Finanzierungsschwierigkeiten. Zumindest das indonesische Projekt beginnt inzwischen aber wieder zu laufen, und man hofft, auch die anderen vier bald wieder beleben zu können. c) AIC: Produktionsergänzungsverträge Grundsätzlich ist eine im regionalen Rahmen arbeitsteilig abgestimmte Industrieentwicklung auf zwei Wegen denkbar, nämlich entweder durch Errichtung zentraler Industrie-komplexe, die das gesamte Produktionsprogramm einer Produktpalette abdecken (dies ist der AIP-Weg) oder aber durch eine (dezentral organisierte) ergänzende Produktion, bei der Vor-und Zwischenprodukte an verschiedenen Standorten hergestellt und schließlich in einem gemeinsamen Zentrum zusammengefügt werden — letzteres ist die AIC-Methode: . ASEAN Industrial Complementation Scheme".

Die ASEAN-Staaten sind mutig beide Wege gegangen, indem sie einerseits staatlich geförderte Zentralprojekte ansteuerten, andererseits aber auch beschlossen haben, Ergänzungsverträge auf privatwirtschaftlicher Ebene zu fördern.

Bisher sind mit dem AIC vor allem zwei Produktgruppen angegangen worden, nämlich der Pkw-und Aluminiumbereich. Nach einem Regierungsabkommen, in dessen Rahmen-werk aber vor allem Privatfirmen tätig werden, sollen Ford-Cortina-Karosserieteile auf den Philippinen, Deutz-Diesel-Motoren in Indonesien und Getriebeteile in Malaysia gefertigt werden. Die einzelnen mit der Fabrikation beauftragten Privatfirmen sollen das exklusive Recht zur Herstellung ihrer jeweiligen Produkte erhalten, und zwar auf 2 bis 3 Jahre. Konkurrenzfirmen können nur einspringen, wenn sie 75% ihrer Produkte auf Märkte außerhalb der ASEAN leiten. — Dies wäre der Anfang eines ASEAN-Autos!

Des weiteren hat die Allianz beschlossen, einen ASEAN-Aluminium-Industrie-Club mit Sekretariat in Bangkok zu gründen und dort zunächst alles Wissenswerte über Aluminiumproduktion und -Verarbeitung auf einer gemeinsamen Datenbank zusammenzutragen. Angestrebt sind Standardisierung, regionale Spezialisierung und Rationalisierung der Produktion. Ein Problem stellt sich in der Frage, wie sich garantieren läßt, daß AIC-und AIP-Produkte interregional auch dann abgesetzt werden können, wenn entsprechende Waren von außerhalb der ASEAN preisgünstiger angeboten werden. Drei Wege sind hier vorgeschlagen worden, nämlich eine feste Abnahmeverpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls und direkte Stützung der Preise durch das jeweilige ASEAN-Land, in dessen Bereich sich die Produktionsstätten befinden. Die ASEAN-Staaten müssen sich darüber hinaus fragen, ob bereits bestehende einschlägige Produktionsstätten weiter aufrechterhalten (also praktisch subventioniert) oder aber durch die neugeschaffenen Industrien verdrängt werden sollen. Daneben ist zu fragen, ob die Akzente künftig nicht eher auf arbeitsintensive — statt auf kapitalintensive — Projekte verlagert werden sollen. d) ASEAN-Joint Ventures und ASEAN-MNG (Multinationale Gesellschaften) Auf dem Weg über die AIC-Abkommen könnten, langfristig gesehen, multinationale ASEAN-Gesellschaften Zustandekommen. Auf den ersten Blick lägen die Vorteile auf der Hand, insofern nämlich gemeinsames Management, zentrale Planung und Harmonisierung sowohl bei der Produktion als auch bei den Investitionen möglich wären. Hier steckt die Entwicklung freilich noch in den Kinderschuhen. Verschiedene Formen lassen sich denken, z. B. die Schaffung neuer Multinationaler Gesellschaften, die Fusion verschiedener bereits bestehender Unternehmen, die Bildung von Holding-Gesellschaften oder aber der Aufbau gemeinsamer Tochterunternehmen. Am 7. November 1983 unterzeichneten die Außenminister ein AIJV-(ASEAN-Industrial Joint Venture-) Abkommen, das den zwischen-regionalen Produktions-und Handelsaustausch fördern soll. Als AIJV gelten solche Gemeinschaftsunternehmen, an denen (einheimische) Firmen aus zwei oder mehr ASEAN-Ländern mit zusammen mindestens 51% beteiligt sind. Für Erzeugnisse solcher können Handel zwischen den Heimatländern im dieser Joint Ventures Zollermäßigungen von 50% (und mehr) in Anspruch genommen werden. Nach drei Jahren sollen die betreffenden Produkte dann automatisch in allen sechs Ländern eine Vorzugszollbehandlung erfahren. Sind Firmen außerhalb der ASEAN-Staaten mit 51% so gelten beteiligt, diese Privilegien nur dann, wenn sie mindestens 50% der Produktion in Länder außerhalb der ASEAN exportieren. e) Weitere Formen der Kooperation Aus Gründen der Systematik seien hier zunächst noch einmal alle drei Kooperationsebenen aufgezählt, auf denen die ASEAN-Länder ihre Ansätze entwickeln können, nämlich beim Handel, bei der Produktion und bei der Kooperation im Dienstleistungsbereich: — beim Handel stehen drei Instrumente im Vordergrund, nämlich gegenseitiger Zollabbau, Festlegung gemeinsamer Außenzölle und koordinierte Aktionen beim Rohstoffverkauf. Gemeinsame Außenzölle sind bisher nicht festgelegt worden, der gegenseitige Zollabbau erfolgt in Form des PTA; koordinierte Aktionen beim Rohstoffverkauf sind bisher — sehr zum Kummer einiger Regierungen — nicht auf multilateraler, sondern nur auf bilateraler Basis zustandegekommen — man denke etwa an das Kautschukabkommen zwischen Malaysia und Japan.

— Gemeinsame Produktion ist in dreifacher Weise denkbar, nämlich in zentraler (AIP), dezentraler (AIC) und AIJV-Form.

— Ein dritter Bereich bezieht sich auf Dienstleistungen, nämlich auf das Transport-und Verkehrswesen, auf gemeinsame Forschungsoder Meteorologieeinrichtungen und vor allem auf den Tourismus. Der Tourismus ist z. B., unmittelbar nach Reis, Thailands wichtigster Devisenbringer. Touristen nach Malaysia — dem touristisch am wenigsten attraktiven Land der Region — kommen zumeist über andere ASEAN-Staaten, auf deren Bemühungen Malaysia m. a. W. angewiesen ist. Gegenwärtig findet eine Zusammenarbeit hauptsächlich über die ASEAN-Tour and Travel Association (ASEAN-TTA) statt, die ihren Sitz in Jakarta hat und deren Haupttätigkeit im Aufbau von Hotels, Reiseagenturen und Transporteinrichtungen besteht.

Zur Diskussion steht auch die Gründung gemeinsamer Lehranstalten (man denke hier z. B. an die seit langem vorgeschlagene ASEAN-Universität), gemeinsamer Forschungseinrichtungen und vielleicht sogar eine „integrierte Strategie für die soziale Entwicklung im ASEAN-Bereich". Erste organisatorische Ansätze auf Regierungsebene gibt es u. a. in Form der South East Asian Ministers of Education Organisation (SEAMEO). Dem regionalen Zusammenwachsen förderlich wäre auch die gemeinsame Förderung intensivierter Südostasienstudien, von denen ein verstärktes Südostasienbewußtsein ausgehen könnte. 3. Zukunftsträchtigkeit und Modellhaftigkeit der ASEAN-Integration Jedes Land der Dritten Welt steht vor einer heiklen Strategie-und Zielauswahl: Sollen z. B. Importsubstitutionen oder Exportförderung, Schwerindustrie oder Leichtindustrie, ein kapitalintensiver oder ein arbeitsintensiver Weg, klassisch-westliche oder alternativ„ländliche" Industrialisierung, Industrie oder Landwirtschaft bevorzugt werden? Welche Hauptziele sollen Priorität haben: Wachstum, Beschäftigung, Währungsstabilität oder Außenhandelsgleichgewicht? Ist es ferner sinnvoll, daß Entwicklungsländer untereinander um die Absatzmärkte für ihre Halb-und Fer-B tigwarenexporte in den Industrieländern konkurrieren — sollte man hier nicht besser Aufteilungsabmachungen treffen? Welche Industrieländerbetriebe können ferner in ein Entwicklungsland gelockt werden? Für die Zusammenarbeit zwischen Drittweltländern gibt es praeter propter zwei kohärente Entwicklungswege, die entweder mehr den Handel (. H" -Typ) oder aber eher die Produktion („P" -Typ) in den Vordergrund stellen, um auf diese Weise möglichst rasch das gemeinsame Integrationsziel zu erreichen.

Die ASEAN-Regierungen haben sich mit Fragen dieser Art konstruktiv auseinandergesetzt und eine originelle Mischung von Einzelelementen gefunden, die von anderen Drittweltstaaten vorher bereits mit mehr oder weniger Erfolg erprobt worden waren.

Die H-Typ-Befürworter bevorzugen die institutioneile Integration (z. B. in Form einer Zollunion oder einer Wirtschaftsgemeinschaft), betrachten den Handel und die damit einhergehende Konkurrenz als wachstumsfördernd (sog. „Trade-Creation"), weshalb ja auch die Exportförderung in den Vordergrund gestellt wird, und erhoffen sich damit günstige Rückwirkungen auf die Entwicklung der eigenen Produktionskapazitäten, sei es nun, weil die im Handel erwirtschafteten Gewinne der Industrieentwicklung zugute kommen, sei es, weil der Wettbewerb die nationalen Unternehmer zu flexiblem Anpassungsverhalten zwingt. Prämisse dieses Ansatzes ist der Glaube an die segenbringenden Wirkungen des intraregionalen Handels und des Welthandels, mit dessen Hilfe sich selbst kleinere Länder sozusagen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Unterentwicklung herausziehen können. Der H-Typ wurde vor allem durch die ehemaligen Kolonialländer an die gerade in die Unabhängigkeit entlassenen jungen Staaten weitergegeben. Haupterben in Südostasien sind vor allem die Förderation Malaysia und Singapur.

Beim P-Typ geht es weniger um institutionelle als vielmehr um funktionelle Integration, weshalb hier der Aufbau von Produktionskapazitäten im Vordergrund steht, während dem Handel nur untergeordnete Funktionen zugemessen werden. Länder, die in dieser Weise vorgehen, sind von der Natur der Sache her gezwungen, sich im Prozeß der regionalen Integration arbeitsteilig aufeinander abzustimmen, überlassen die H-Typ-Länder diese Abstimmung den Marktkräften, so vertrauen die P-Typ-Länder mehr auf eine gemeinschaftlich aufeinander abgestimmte Wirtschaftsplanung. Sie bevorzugen deshalb bei der regionalen Zusammenarbeit Komplementärindustrien, die entweder als Gesamt-projekte auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilt werden oder aber ihre Produktionsprozesse aufeinander abstimmen, sowie eine Politik der Importsubstitution. Darüber hinaus wird der Handel mit der Außenwelt klein geschrieben und statt dessen auf die regionalen Partner konzentriert.

Die Prämisse, die dem P-Typ-Ansatz zugrunde liegt, ist eine pessimistische Erwartungshaltung gegenüber dem Handel mit Industrieländern. An dieser Stelle trifft sich der P-Typ mit den üblichen Imperialismus-Theorien. Das P-Integrationsmuster wurde hauptsächlich in Lateinamerika entwickelt und steht unter dem Einfluß der Dependencia-Theorie, derzufolge Entwicklungsländer entweder direkt — nämlich durch ungünstige Terms of Trade — oder aber indirekt dadurch geschädigt werden, daß sie entwicklungsbeeinträchtigende Dualismen ihrer Wirtschaft hinnehmen müssen, sobald sie sich auf die wirtschaftliche Kooperation mit hochentwickelten Industrieländern einlassen.

Die ASEAN-Länder haben keines dieser beiden Muster in Reinkultur übernommen, sondern sind eklektizistisch vorgegangen: Vom H-Typ übernahmen sie die unter anderem auch durch ihr besonderes Rohstoffangebot (Zinn, öl, Kobra etc.) mitdeterminierte Entscheidung zur Einordnung in den Welthandel, wobei sie eine Einschränkung des intraregionalen Handels in Kauf nahmen. Dem H-Muster entspricht auch die generelle Exportförderungspolitik im arbeitsintensiven Industrie-bereich sowie bei den Rohstoffen. Doch auch der P-Typ wurde nicht vernachlässigt, wie der Aufbau von AIP-und AIC-Projekten zeigt. Auch die Praktiken der Importsubstitution im Kleinindustrie-und Handwerksbereich gehören hierher.

An einigen Stellen ist allerdings Kritik laut geworden, die sich — positiv umformuliert — in folgenden Empfehlungen niedergeschlagen hat:

Es sollen weniger kapitalintensive als vielmehr arbeitsintensive Betriebe gefördert werden; die ASEAN-Regierungen sollen die Komplementärindustrien nicht direkt, sondern mehr indirekt fördern, indem sie beispielsweise bessere gesetzliche und steuerliche Rahmenbedingungen für die gemeinsamen Institutio23 nen (z. B. Entwicklungsbanken, gemeinsame Dienstleistungs-und Erziehungsmaßnahmen) schaffen;

in Zukunft sollten mehr Joint Ventures und verstärkte Verwendung lokalen Kapitals angestrebt werden;

zu fördern seien ferner solche Betriebe, von denen technologische Impulse ausgehen. Technologische Innovation kann sich dabei auf zwei Wegen vollziehen, nämlich entweder durch den Einsatz objektiv überlegener Produktionstechniken oder aber durch Einführung modifizierter Technologien, die zwar — technisch gesehen — nicht auf „Weltniveau“ stehen, die aber aufgrund ihrer Einpassung in die konkrete Umgebung für optimale Ergebnisse bürgen und vor allem zu Pflanzstätten technologischer Fähigkeiten werden können. Es ist bemerkenswert, daß die ASEAN-Regierungen für Vorschläge dieser Art offen sind und sich bisher noch nie ideologisch nach der einen oder anderen Seite hin verschlossen haben.

Einstweilen wird folgender „Idealkurs" angesteuert: Die Produktion (sei sie nun landwirtschaftlich oder industriell) gilt als Motor der Wirtschaftsentwicklung und des Wachstumsprozesses, während der Handel einstweilen mehr den Treibstoff bildet. Es kommt also darauf an, die Produktionsbasis und die heimischen Märkte schrittweise zu erweitern und eine Politik der Importsubstitution zu betreiben, wobei allerdings immer das Fernziel des Übergangs zur Exportförderung vor Augen stehen soll. Singapur, Malaysia, Brunei und z. T. auch Thailand haben diese Schwelle im wesentlichen bereits überschritten, während dies den Philippinen und Indonesien erst noch bevorsteht. Für die zwei „Nachzügler" kommt es nun darauf an, die Exportförderung entweder mit Hilfe der eigenen Regierungen oder aber mit Unterstützung außerregionaler Partner — z. B. auf dem Umweg über Joint Ventures — zu erreichen. Soweit die Exportförderung Güter umfaßt, über die entwickelte Länder bereits „hinausgewachsen" sind — und sei es nur, weil die komparativen Kosten dort zu hoch sind—, gäbe es auch keine Reibungen mit den Industrieländern. Wie diese wenigen Andeutungen bereits erkennen lassen, kommt es bei der regionalen Integration und bei der Anpassung an die internationale Umwelt vor allem auf Flexibilität an — also auf eine Eigenschaft, die sich gerade im ASEAN-Bereich während der letzten Jahre in schönster Manier entfaltet hat. Bedürfte es hierfür noch eines Beweises, so genügte ein Blick auf die bisherige Entwicklung: Lag der Anteil der verarbeitenden Industrie am BSP 1960 in Indonesien noch unter 10%, in Malaysia und Singapur bei 9% und 12%, in Thailand bei 13% und auf den Philippinen bei 20%, so hat er bei allen fünf inzwischen stark zugenommen. Trotz verschiedener intraregionaler Konflikte — man denke an die Streitigkeiten um gewisse Landgrenzen und um maritime Abgrenzungsbereiche sowie an die Konflikte, die sich aus dem unterschiedlichen Entwicklungsniveau der Sechs ergeben — besteht für die ASEAN also genügend. Anlaß zum Optimismus.

II. Beziehungen zu den Großmächten

1. Gründe der Großmächtepräsenz Die ASEAN-Länder weisen, unabhängig von ihrer derzeitigen politischen Verfassung, vor allem zwei hervorragende Merkmale auf, nämlich Rohstoffreichtum und brisante geostrategische Lage. Ihre Land-und Inselmasse legt sich wie ein gewaltiger Sperriegel zwischen den Indischen und den Pazifischen Ozean, so daß nur vier Seepassagen freibleiben, nämlich die Malakkastraße, die Indonesischen Straßen (Sunda, Lombok und Makassar), die Australischen und die Arktischen Straßen. Wirklich von Bedeutung ist aber nur die Malakkastraße. Keine Großmacht kann es zulassen, daß dort ein Konkurrent allein die Kontrolle ausübt. Eine Politik der systematischen Verweigerung müßte die automatische Folge von Monopolisierungstendenzen sein. Brisant ist die Region darüber hinaus aber schließlich auch noch wegen ihrer Krisenanfälligkeit — man denke an die zwei Indochina-Kriege (1946— 1954 und 1964— 1973), an die malayische Emergency (1948— 1960) und an die innerregionalen Auseinandersetzungen zu Anfang der sechziger Jahre, die vor allem vom Indonesien Sukarnos ausgingen und die dafür sorgten, daß die Großmächte stets auf dem Sprung blieben.

Staffelt man die Zielsetzungen der verschiedenen Mächte nach ihrer Intensität, so geht es ihnen entweder um einen beherrschenden Einfluß auf Südostasien (A-Lösung) oder aber, soweit dies nicht erreichbar ist, wenigstens um ein Fernhalten der anderen Konkurrenten aus der Region (B-Lösung), oder aber um eine Ausschließung des „Übels" Nr. 1 durch Zusammenarbeit mit dem Übel Nr. 2 (C-Lösung).

So eingestuft erstreben die USA und China seit dem Abschluß ihres Shanghaier Kommuniques von 1972 die C-Lösung gegenüber der als „hegemonistisch“ betrachteten Sowjetunion, während es den Strategen Moskaus offensichtlich um die B-Lösung (also gegen China und die USA gemeinsam) geht. Japan und die EG — soweit letztere überhaupt eine Rolle spielt — optieren de facto für die Option C.

Aus der Sicht der ASEAN-Staaten gelten als potentielle Hauptgegner die Sowjetunion und — mit Einschränkungen — auch China, während die USA. Japan, Australien, Neuseeland und die EG als freundliche Mächte betrachtet werden. Innerhalb der Kategorie der „Gegner" wiederum sind die Einschätzungen verschieden: Während Thailand aus naheliegenden Gründen in Vietnam den Hauptgegner und in China sogar eine Art Verbündeten sieht, betrachtet Indonesien demgegenüber China als (langfristigen) Hauptfeind und Vietnam umgekehrt als möglichen Verbündeten in einem vielleicht eines Tages formell oder informell zu errichtenden antichinesischen Bündnis. Singapur andererseits, das auf die Offenheit der Seewege existentiell angewiesen ist und das deshalb sein Augenmerk vor allem auf die regionalen Wasserstraßen lenkt, sieht in der Sowjetunion die Gefahr Nr. 1. Nur nach außen hin äußern sich die Sechs einheitlich, während innerhalb des Bündnisses unterschiedliche Einschätzungen der Freund-und Gegnerschaften bestehen. 2. Die Sowjetunion Die UdSSR hat das militärische Potential an ihrer Ostflanke seit Mitte der sechziger Jahre laufend erhöht Heute steht dort rund ein Drittel ihrer Land-, Luft-und Seestreitkräfte: Nördlich von China sind es rund 500 000 Mann, 12 000 Panzer, 12 500 gepanzerte Mannschaftswagen und rund 5 000 Geschütze. In Südostasien, im Südchinesichen Meer und im Westpazifik tritt die Sowjetunion ebenfalls mit zunehmend verstärkten Marine-verbänden auf. Schon heute operieren hier über 800 Einheiten, darunter etwa 120 U-Boote sowie 300 Kampfflugzeuge — dies alles an Seewegen, durch die z. B. 90% des japanischen und 20% des US-Ols verschifft werden.

Der Aufbau der Sowjetmarine, der sich in nur 15 Jahren vollzogen hat, folgt den Vorstellungen Admiral Gorschkows, der die Sowjetführung davon hat überzeugen können, daß die UdSSR ohne glaubhafte Seestreitkräfte keinen den USA vergleichbaren Weltmachtstatus erringen könne. Auf dem Weg zur Marinegroßmacht galt es, eine Reihe von Hindernissen zu überwinden — allen voran die natürlichen Blockaden vor den sowjetischen Häfen. Die Ostseeflotte muß sich beispielsweise durch die dänischen Straßen, die Schwarzmeerflotte durch die türkischen Wasserwege, die Pazifikflotte durch die japanischen und koreanischen Passagen hindurch-manövrieren und bleibt damit nicht nur ständiger Überwachung ausgesetzt, sondern befindet sich — wenn sie sich an die Heimathäfen kettet — im Ernstfall auch noch in einer selbstgebauten Falle. Um diesen beiden Übeln zu entgehen, kommt es also darauf an, möglichst viele Marineeinheiten laufend auf hoher See zu halten, also — weitab von den Heimathäfen — Basen zu errichten, bei denen sich die Schiffe versorgen können. Neben den Stationen in Äthiopien und Aden (also am Ausgang des Roten Meeres) sowie den in kurzer Distanz zum Kap der Guten Hoffnung gelegenen Anlaufpunkten in Mozambique und Angola mußte eine dritte Meerengenstation als unentbehrlich erscheinen, nämlich eine Basis nahe der Malakkastraße. So gesehen sind Stützpunkte in Vietnam (Cam Ranh, Danang) und Kambodscha (Ream, Kompong Som) geradezu ideale Relaisstationen, von denen aus sich obendrein noch Aufklärungsfahrten und -flüge zu den amerikanischen Basen auf den Philippinen (Subic Bay, Clark Airbase), ins Südchinesische Meer und in den südostasiatischen Bereich unternehmen lassen.

Um stets „auf Posten“ und möglichst überall präsent zu sein, hat die sowjetische Flotte auch in Südostasien eine fast chamäleonhafte Vieldimensionalität angenommen und unterhält Fischerei-, Forschungs-, Handels-und Kriegsschiffe. Die Moskauer Flottenpolitik hat nichts dem Zufall überlassen und wirkt wie aus einem Guß. U. a. haben die Sowjets in kurzer Zeit die vier Nordkurileninseln militärisch ausgebaut, laufend ihre Pazifikflotte erweitert und — seit 1968 — auch Marineeinheiten in den Indik entsandt; sie verbessern laufend die Infrastruktur in den vier indochinesischen Häfen, lassen sich die Präsenz in Vietnam, Laos und Kambodscha die Summe von täglich rund 6 Mio. US-$kosten, durch-25 pflügen mit Einheiten ihrer Pazifikflotte regelmäßig das Südchinesische Meer, veranstalten in der Region militärische Manöver (Operationen des Flugzeugträgers „Minsk" im Golf von Siam; erste Landungsmanöver im Frühjahr 1984) und haben auch mit der Besetzung Afghanistans einen Schachzug unternommen, der einen weiteren Beweis für ein systematisches Indik-und Pazifikengagement zu liefern scheint.

In diesem Sinne wenigstens fällt die Bewertung der wichtigsten Mitkonkurrenten und der meisten ASEAN-Staaten aus. Am mißtrauischsten sind die Chinesen, die davon ausgehen, daß die Sowjets fünf Ziele in der Region Südostasien/Westpazifik verfolgen, nämlich die Verdrängung der USA aus dem Westpazifik, die Erlangung eines strategischen Übergewichts in der dortigen Region, die Einkreisung Chinas, die Einschüchterung Japans und schließlich die Kontrolle über Südostasien. Angriffsschwerpunkt der Sowjetunion bleibe freilich nach wie vor Europa.

Die Perzeption der Reagan-Administration andererseits geht dahin, daß es den Sowjets auf eine Behinderung der strategischen Zusammenarbeit zwischen Peking und Washington — also letztlich ebenfalls auf eine Verdrängung der USA—, des weiteren aber auch auf ein Abschneiden der westlichen ölzufuhr, auf eine Neutralisierung Japans und die Einschüchterung der ASEAN-Staaten ankommt. Die ASEAN-Regierungen schwanken zwischen diesen beiden Einschätzungen. Am pessimistischsten fällt die Lagebeurteilung durch Singapur und Thailand aus. Ob Bewertungen dieser Art richtig sind oder nicht, spielt hierbei kaum eine Rolle; denn Perzeptionen sind inzwischen genauso zu einem Faktor der Außenpolitik geworden wie Wirtschaftsmacht oder Militärpotential.

Zwei Absichten Moskaus Scheinen als Minimalziele unbestreitbar, nämlich die Dezimierung des chinesischen und amerikanischen Einflusses in Südostasien einerseits (C-Lösung) und die Sicherung eines billigen Seeverbindungswegs zwischen Wladiwostok und Schwarzem Meer andererseits. Politische, strategische und wirtschaftliche Überlegungen durchdringen sich also und bilden am Ende ein dichtes Interessenbündel, für das die Sowjetunion bereit ist, tief in die Taschen zu greifen.

Die ASEAN-Staaten haben gegen die wachsende Sowjetpräsenz bisher noch keine in sich geschlossene Abwehrstrategie, sondern nur eine Reihe von Einzelmaßnahmen entwickelt. Ihr Bündnis wurde 1967 lediglich mit dem Ziel gegründet, politische Stabilität, sozialen Fortschritt und gemeinsame Prosperität zu ermöglichen. Gemeinsame innere und äußere Gefahren sollten weniger mit militärischen als vielmehr mit sozialstrategischen Mitteln bekämpft werden. Vor allem wollte sich keines der fünf Gründungsmitglieder der SEATO anschließen. Die Gemeinschaft verstand sich m. a. W. am Anfang als nichtmilitärische Allianz von Ländern, die zwar sozioökonomisch kooperieren, im übrigen aber auf eigenen Beinen stehen und ihre Sicherheitsprobleme zu Hause mit eigenen Polizei-und Militärmitteln lösen sollten.

Diese Einstellung bekam einen empfindlichen Stoß mit dem vietnamesischen Kambodscha-Feldzug und dem dabei zutage getretenen Südostasien-Engagement der Sowjetunion. Die Fünf reagierten mit einer vielfältig instrumentierten Gegenstrategie.

— Zunächst einmal erhöhten sie ihre nationalen Verteidigungshaushalte. Hatten sie noch 1975 zusammen nur 2, 7 Mrd. US-$für ihre Verteidigung ausgegeben, so waren es 1981 bereits 7, 1 Mrd. US-$. Das Verteidigungsbudget hatte sich damit bei Indonesien, den Philippinen und Thailand verdoppelt, bei Malaysia sogar versechsfacht 1981 unterhielten die ASEAN-Staaten insgesamt 768 000 Soldaten, 513 Kampfflugzeuge (davon allein Thailand 191) und 322 Kriegsschiffe (davon die Philippinen 120).

— Insgeheim verdichtete sich auch die militärische Zusammenarbeit der ASEAN-Mitglieder. Von einer formellen Militärallianz mit gemeinsamem Oberkommando und integrierten Einheiten kann freilich noch lange nicht die Rede sein; nicht „Koordination", sondern „Kooperation" lautet einstweilen die Parole. Doch werden inzwischen folgende Formen der „Vereinigung" erprobt: gemeinsame Luftwarnsysteme, Standardisierung der Waffenproduktion, Austausch von Beobachtungen und Entwicklung gemeinsamer Operationsmuster durch bilaterale sowie multilaterale Manöver. Ferner benutzen die ASEAN-Armeen im Interesse einer Standardisierung schon heute M-16-Gewehre, bedienen sich amerikanischer F-5-Kampfflugzeuge und haben A-4-Skyhawks sowie Sidewinder-und Exocet-Raketen erworben.

— Weitere Maßnahmen sind Sicherheitsgespräche mit den USA Australien und Neu-B Seeland sowie mit Japan, wobei die meisten ASEAN-Staaten letzterem in Militärangelegenheiten allerdings höchst mißtrauisch begegnen. 3. Die USA: „Schutzengel" der ASEAN?

Weltpolitisch war die südostasiatische Region bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs ein toter Winkel. Fünf europäische Staaten sowie . die USA hatten zwar koloniale Interessen (Großbritannien auf der Malaiischen Halbinsel, in Singapur, in Nordborneo und in Birma, Frankreich in Vietnam, Laos und Kambodscha, die Niederlande in Indonesien, Spanien — bis 1898 — auf den Philippinen, Portugal in Timor und die USA — seit 1898 — auf den Philippinen); doch waren die Sphären hier klar abgesteckt und zwischen den Kolonialmächten nicht umstritten.

Erst mit dem Angriff Japans auf die Philippinen, Indonesien und die Malaiische Halbinsel, Indochina und Birma begann die Region als solche in das Bewußtsein westlicher Strategen zu treten. Im Pazifischen Krieg gegen Japan entstand dann jenes alliierte „Southeast Asian Command“, das historisch wohl als erste Organisation im Hinblick auf ein als Einheit gedachtes Südostasien zu betrachten ist Mit dem Beginn der vierziger Jahre wurden die USA — in Konkurrenz zum Kaiserreich Japan und seiner Idee von einer . Asiatischen Wohlstandssphäre" — zur eigentlichen strategischen Vormacht Südostasiens, während die anderen europäischen Länder, absorbiert durch den Krieg in Europa, in Südostasien de facto nur noch symbolisch tätig waren. Während des Kriegs gegen Japan und in den sich anschließenden Nachkriegsjahren bauten die USA zunächst ihren antijapanischen, später aber antikommunistischen Einkreisungsring auf, der schließlich von den Aleuten über Südkorea, Japan, Okinawa, Taiwan, den Philippinen und Indonesien bis Thailand reichte und von dort jenseits des indischen Subkontinents im CENTO-(Mittelost-) Pakt seine Fortsetzung fand. Zur Unterstützung dieser militärischen Maginot-Linie im Pazifik verhängten die Amerikaner flankierend ein Handelsembargo über die VR China, betrieben eine systematische „Rebellenbekämpfungs" (Counterinsurgency) -Politik in den Nachbarstaaten der VR China und griffen überdies all jenen Regierungen unter die Arme, die prowestliche Bekenntnisse abgaben, vor allem den Staatsführungen in Südvietnam (1961 Militärhilfeabkommen, 1964-73 militärische Inter27 vention um den Preis von 50 000 gefallenen US-Soldaten und 300 Mrd. US-$Kriegskosten), in Laos (Aufbau einer geheimen, weil mit den Genfer Verträgen von 1954 und 1962 nicht zu vereinbarenden, antikommunistischen Armee aus 30 000 Hochlandlaoten), in Thailand, auf den Philippinen, seit 1965 in Indonesien und seit 1970 (d. h. mit dem Sturz des neutralistisch eingestellten Prinzen Sihanouk) auch in Kambodscha, das nunmehr in den Indochina-Krieg hineingezogen wurde. Dem antikommunistischen Abwehrkampf diente auch die 1954 gegründete SEATO und der 1951 entstandene ANZUS-Pakt, an dem Australien, Neuseeland (New Zealand) und die USA beteiligt sind.

Das amerikanische Engagement, dem die Vorstellung zugrunde lag, daß die Hauptgefahr für Asien vom kommunistischen China ausgehe, das die einzelnen Staaten Asiens auf die Dauer unterwandern und wie „Dominosteine" fallen lasse, verlor mit dem amerikanisch-chinesischen Ausgleich von 1972 (Shanghai-Kommunique) seine Grundlage. Beide Kontrahenten einigten sich damals auf die berühmt gewordene . Antihegemonieklausel", der zufolge sie weder selbst im asiatisch-pazifischen Raum Hegemonie ausüben noch dulden würden, daß eine dritte Macht dort hegemonial auftritt. Diese Klausel wurde nach langem Sträuben 1978 auch von Japan unterzeichnet. Die USA zogen im Anschluß an die sino-amerikanischen (1972) und die USvietnamesischen Abmachungen (Pariser Abkommen von 1973) ihre Truppen aus Vietnam und 1976 aus Thailand zurück und behielten, neben ihren Kontingenten in Südkorea, nur noch zwei philippinische Basen, nämlich Clark Airbase und die Subic-Bucht als Heimathafen für die im Westpazifik sowie im östlichen Indik operierende 7. Flotte.

Die unmittelbare Auswirkung der drei Schachzüge Nixons (Besuch in Peking von 1972, Waffenstillstand mit Nordvietnam von 1973 und US-Truppenrückzug aus Indochina) bestand darin, daß die Position der prowestlichen Regierungen in Südvietnam, Laos und Kambodscha ausgehöhlt wurde. Damit begann eine „Asiatisierung" der indochinesischen Szene, die jedoch damit endete, daß 1975 in den drei Indochina-Staaten kommunistische Regime die Macht ergriffen und schon kurze Zeit später der Sowjetunion die Hand reichten, womit es zur Reinternationalisierung des südostasiatischen Schauplatzes kam, an der zunächst die Sowjetunion und China beteiligt waren, die aber schon kurze Zeit späB ter auch die USA erneut auf den Plan rief. Zum Schlüsseldatum wurde das Jahr 1978, als Vietnam dem COMECON beitrat, einen Freundschafts-und Kooperationsvertrag mit der Sowjetunion schloß, sich zur Überlassung Cam Ranhs an die Sowjetmarine verpflichtete und nach Kambodscha einmarschierte.

Als Antwort verstärkten die USA ihre Luft-und Marinestreitkräfte in Südostasien, vor allem auf den Philippinen, in Japan und Südkorea sowie auf dem Stützpunkt Kadena in Okinawa; sie gewährten ferner FMS(foreign military sales) -Kredite an die ASEAN-Staaten (1982: 1, 6 Mrd. US-$), liefern Waffen, veranstalten mit den ASEAN-Streitkräften gemeinsame Manöver und haben einen Teil der Ausbildungsarbeit übernommen. Verstärkt wurden auch die Eingreiftruppen (rapid deployment force) und die Zusammenarbeit mit Australien und Neuseeland auf der Basis des ANZUS-Pakts. 4. China: Förderung der ASEAN-Entwicklung China ist diejenige Macht, die bisher wohl die schärfste Kehrtwendung in ihrer ASEAN-Politik vollzogen hat und — in einer für viele ASEAN-Staaten immer noch nicht so recht glaubhaften Manier — vom Todfeind zum Freund geworden ist. In den Anfangsjahren waren die ASEAN-Staaten von China zwar nicht direkt, wohl aber indirekt bedroht worden, und zwar auf dem Weg über die Unterstützung von Subversionsbewegungen. In vier der sechs Länder gibt es Kommunistische Parteien, die von China zwei Jahrzehnte lang systematisch Hilfe bekamen, und zwar in Form von Waffenlieferungen, Ausbildung, Partisanensendern und Asylgewährung.

Seit der Besetzung Kambodschas durch Vietnam und dem damit für jedermann sichtbar gewordenen Südostasien-Engagement der Sowjetunion ist die VR China jedoch dazu übergegangen, die aktive Unterstützung der Untergrundbewegungen in den ASEAN-Staaten einzustellen, und sich gegenüber den KPs dieser Länder nur noch, wie es offiziell heißt, „politisch und moralisch" zu engagieren, etwa durch Gewährung von Asyl an KP-Personal aus diesen Ländern. 1979 wurde u. a. auch der für Bangkok so ärgerliche Partisanensender „Stimme des Volkes von Thailand" eingestellt. Peking ging sogar so weit, die einzelnen KPs zur Zusammenarbeit mit den Regierungen ihrer Länder aufzufordern und löste damit heftige innerparteiliche Diskussionen und Spal-B tungen aus. Die KP Thailands ist infolge des chinesischen Verhaltens inzwischen, ebenso übrigens wie die KP Malaysias, in drei Fraktionen auseinandergebrochen.

Im Gegensatz zu den Regierungen Indonesiens und Malaysias, die den Chinesen immer noch mit Mißtrauen begegnen, betrachtet Bangkok die VR China inzwischen als ihren Hauptverbündeten gegen Vietnam und als Hauptgaranten für eine Wiedergewinnung der Selbständigkeit Kambodschas.

Aus chinesischer Sicht sind die sowjetischen Basen in Indochina nichts geringeres als ein „Sprungbrett" für die „Südwärtsstrategie" und die „Expansion der UdSSR nach Südostasien und in den Indischen Ozean". Die ASEAN-Staaten befinden sich hier in einem Dilemma: Einerseits können sie angesichts der täglich zu beobachtenden Entwicklungen die chinesischen Aussagen nicht mehr einfach als bloße Propaganda abtun; andererseits steht ihnen die in den vergangenen zwei Jahrzehnten so spürbar gewordene „chinesische Gefahr" immer noch vor Augen. Wie vor allem wird sich langfristig die Volksrepublik verhalten, sobald sie sich einmal zu einer ihrer Größenordnung entsprechenden qualitativen Macht entwickelt hat? Dies ist eine quälende Frage, die selbst in Thailand immer wieder hinter vorgehaltener Hand gestellt wird. 5. Japan: Licht-und Schattenseiten Japan wirkt auf die meisten ASEAN-Staaten heute noch genauso janusköpfig wie einst die Bundesrepublik in den Nachkriegsjahren auf ihre Nachbarländer. Wirtschaftlich unentbehrlich weckt es doch immer wieder trauma-tische Erinnerungen an die Besatzungszeit der Jahre 1941— 45. Überdies glaubt so mancher südostasiatische Beobachter zu erkennen, daß japanisches Kapital heute mit Verspätung doch noch jenes Abhängigkeitsverhältnis geschaffen hat, das die japanischen Waffen seinerzeit nur knapp verfehlt haben — nämlich eine „Zone des gemeinsamen Wohlstands" unter japanischer Führung. Lange Zeit trug Japan diesem Mißtrauen Rechnung und versteckte die Außenpolitik sorgfältig hinter seiner Außenwirtschaftspolitik, die im wesentlichen vom MITI (Ministry of International Trade and Industry) gestaltet wurde. Nicht von ungefähr wurde Japan ja zum weitaus bedeutendsten Wirtschaftspartner der ASEAN-Länder. Japan bestreitet heute einen Anteil von rd. 25 % am gesamten Handel der ASEAN-Staaten, wobei es in den letzten Jahren mehr aus Südostasien importiert (Rohöl, Erdgas und Hölzer) als nach dorthin ausgeführt hat. Bis Ende 1981 hatten auch bereits rund 2 400 Firmen im ASEAN-Bereich eine Summe von 9, 4 Mrd. US-$investiert; mit seinen Anteilen an staatlicher Entwicklungshilfe für die ASEAN-Länder liegt Japan allerdings hinter den USA Frankreich und der Bundesrepublik erst auf dem vierten Rang, und — wenn man das Verhältnis der staatlichen Hilfe zum Bruttosozialprodukt als Hauptkriterium nimmt — überhaupt erst auf Platz 14, während es in allen sonstigen Bereichen häufig an erster Stelle rangiert. Trotzdem sind rund 71 % der gesamten staatlichen Hilfe Japans in den ASEAN-Bereich geflossen; auch an der indirekten Entwicklungshilfe, vor allem über die Asiatische Entwicklungsbank, hat Japan einen wichtigen Anteil. Beginnend mit den „Nixon-Schocks“ von 1972, vor allem aber seit dem Abschluß des vietnamesisch-sowjetischen Kooperationsvertrags von 1978, dem schon kurze Zeit später der chinesisch-japanische Friedensvertrag als Antwort folgte, begann Japan eine mehr eigenständige Außenpolitik zu betreiben und sich auch über den Schutz der lebenswichtigen Zufahrtswege im Bereich der Malakka-Straße Gedanken zu machen. Sollte Tokio hier nicht über seinen eigenen Schatten springen und eine dem Schutz der „Lebenslinien“ entsprechende Marine-und Luftstreitmacht aufbauen? Paradoxerweise wird die japanische Regierung in diesen Überlegungen nicht nur von den USA sondern neuerdings auch von Seiten Chinas ermutigt, während andererseits die ASEAN-Staaten Mißtrauen zeigen. ASEAN-Politiker reagieren empfindlich, wenn es so aussieht, als wollte Japan politisch eine Vormachtstellung beanspruchen, militärisch eine über die unmittelbare Selbstverteidigung hinausgehende Streitmacht aufbauen oder ideologisch die Flecken der Vergangenheit retuschieren, z. B. durch „Überarbeitung"

der japanischen Schulbücher. Japan muß hier m. a. W. mit Samthandschuhen vorgehen und wird nicht immer akzeptiert; so gesehen hat das „alte“ Europa in den ASEAN-Ländern durchaus noch Chancen — trotz der scheinbar übermächtigen Japaner. 6. Die EG in Südostasien Die Europäische Gemeinschaft ist heute hinter Japan und den USA die Nr. 3 sowohl im Außenhandel als auch bei den Investitionen und in der Entwicklungshilfe. Vernarbt sind heute die Wunden, die den südostasiatischen Völkern durch die europäische Kolonialpolitik geschlagen worden sind. Außer Vietnam und Indonesien, die sich ihre Freiheit mit Waffen erkämpfen mußten, erhielten die anderen ehemaligen Kolonialgebiete wie Malaia, Birma, Singapur, Brunei und die Philippinen ihre Unabhängigkeit ja fast „geschenkt“.

In der Erinnerung manches älteren Entscheidungsträgers wecken die vergangenen Zeiten bisweilen fast so etwas wie Wehmut. Vor allem aber sind es die politischen Entwicklungen in Indochina sowie das drückende Über-gewicht Japans und der USA die die ASEAN veranlaßten, in der EG eine Art Gegengewicht zu suchen. Diese Bemühungen fanden im Abschluß eines Kooperationsabkommens vom 30. Mai 1980 ihren Höhepunkt. Der europäische Export in die ASEAN-Länder ist trotzdem tendenziell in den letzten Jahren zurückgegangen, während die Gesamtimporte aus diesen Ländern zunehmen — eine Folge der japanischen Konkurrenz. An Auslandsinvestitionen bestreitet die EG nur 14 % (Japan: 30 %/USA: 23 %). Hier wird deutlich, daß die Wachstumsregion ASEAN für viele europäische Unternehmer noch terra incognita ist. Auf politischem Gebiet haben EG und ASEAN inzwischen eine Art Liebesbeziehung entwickelt. Vor allem die Bundesrepublik Deutschland folgt, u. a. in ihrer gesamten Indochina-Politik, dem Beispiel der ASEAN-Gemeinschaft — selbst in einer so heiklen Frage wie der Anerkennung des Demokratischen Kampuchea durch die UNO. Nach Genscher besitzt die EG-ASEAN-Kooperation heute weltweiten „Modellcharakter“. Die Rolle der ASEAN in dem sich entwickelnden neuen Kräftedreieck Europa-Nordamerika-Südostasien könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die EG müsse darauf achten, daß die ASEAN nicht in den Windschatten Japans gerate. Militärisch spielt die EG in Südostasien so gut wie keine Rolle, es sei denn über den ANZUK-Pakt (Australia, New Zealand, United Kingdom) von 1971.

III. Zukunftsperspektiven: Die ASEAN und ihr Ambiente

1. Die Zukunft der ASEAN als regionale Allianz Theoretisch läßt sich der künftige internationale Stellenwert der ASEAN in vierfacher Richtung denken, nämlich als „Balkanisierung", als verstärkte Abhängigkeit von bestimmten Großmächten, als regional-funktionale Organisation oder aber als authentische Einheit.

An eine „Balkanisierung" dürften selbst -Pessi misten kaum glauben. Siebzehn Jahre noch praktizierte Anpassungsfähigkeit haben ihr eigenes Gewicht. Kaum realistisch ist auch die zweite Alternative. kontrollieren Zwar amerikanische und japanische Firmen weite Sektoren der südostasiatischen Rohstofferzeugung, vor allem im Bereich der Chrom-, Kupfer-, Zinn-und Kautschukausbeutung; ferner haben die US-Wirtschaft und Japan in den ASEAN-Ländern massiv investiert, wobei sich solche Anlagen stets auf bestimmte Schlüsselbereiche konzentrieren. Doch kann höchstens die Propaganda des Ostblocks so weit gehen, hier schon von eindeutigen Beherrschungs-und Abhängigkeitsmechanismen zu sprechen. Außerdem ist man sich gerade in Indonesien, wo früher ausländische Gewinnungsrechte besonders häufig vergeben worden sind, der Überfremdungsgefahr bewußt geworden und verhält sich in neuerer Zeit dementsprechend restriktiv — und selbstbewußt. Aus dem gleichen Grunde auch sind die EG-Länder den ASEAN-Staaten als Gegengewicht zu den überproportional vertretenen US-und Japan-Konzernen willkommen.

Mittelfristig läßt sich die Integration der ASEAN-Staaten am ehesten als „regionalfunktionaler Zusammenschluß" denken. Damit ist gemeint, daß die Sechs zwar nicht in allen, wohl aber in einigen lebenswichtigen Aufgabenbereichen, und zwar hauptsächlich auf den Gebieten der Außenpolitik, der Wirtschaft und nicht zuletzt auch des Militärsektors zunehmend enger kooperieren, daß sie ferner eine eigenständige — wenngleich mit den USA zum Teil parallele — Außenpolitik betreiben und daß sie im übrigen eine Politik der Entspannung anstreben. Man hätte es hier mit einer Art südostasiatischem „Halbgaullismus" zu tun.

Langfristig ist es keineswegs unvorstellbar, daß dieser Zwischenzustand eines Tages einer wirklichen authentischen regionalen Einheit, also der Option Nr. 4 Platz macht. Die Regionalismusentwicklungen in aller Welt sind noch zu jung, als daß sich über ihren Endzustand schon Endgültiges aussagen ließe. In dem Maße jedoch, in dem die großen nichtterritorialen Organisationsmuster (man denke an die UNO, die Weltbank, die IMF etc.) versagen, dürften die Chancen territorialer Integrationsprozesse steigen. Ihr Gelingen hängt Ende von drei Faktoren ab, nämlich am einem gewissen Erfolg, einem festen Willen und einer kontinuierlichen Einübung.

Gerade an letzterem haben es die ASEAN-Staaten bisher nicht fehlen lassen. Seit 1967 haben sie zwei Gipfelkonferenzen, 17 Außenminister-Konferenzen und rund . 80 bilaterale oder trilaterale Treffen auf Regierungsebene, und in letzter Zeit sogar rund zwei Dutzend Militärmanöver abgehalten. Hier beginnt mit anderen Worten die „Kraft des Faktischen normativ" zu werden. Die beiden anderen Voraussetzungen, nämlich der Erfolg und der gemeinsame Wille („think ASEAN") sind ebenfalls vorhanden.

Neben dem gemeinsamen Credo, der gemeinsamen Einübung und dem gemeinsamen Erfolg als den drei Grundbausteinen sollten aber noch zwei weitere zukunftsträchtige Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich die Belebung Gemeinschaft von der Basis her

und die Ersetzung von „Anti" -Motivationen durch „Pro" -Haltungen.

Was das erstere anbelangt, so ist das ASEAN-Bündnis heute vor allem das Produkt weniger Eliten in den einzelnen Hauptstädten, die allesamt kosmopolitisch ausgerichtet sind, fast ausnahmslos englisch sprechen, sich westlich kleiden und weltweit von Konferenz zu Konferenz jetten, ohne gleichzeitig ähnlich intensive Kontakte zu ihrem Hinterhof zu besitzen, zu dem ja die Bauern in den ärmeren Regionen genauso gehören wie die Plantagenarbeiter, die islamische oder buddhistische Geistlichkeit, ja sogar die lokale Guerilla. Es gilt m. a. W., die ASEAN-Philosophie auf eine breitere Basis zu stellen. Außerdem muß die Allianz, soll ihr langfristig nicht der Atem ausgehen, weniger von Abwehrhaltungen (Anti-Kommunismus, Anti-China, Anti-Vietnam), sondern von positiven Motivationen getragen sein, also für Zusammenarbeit, für regionalen Frieden oder für Neugestaltung der weltweiten Wirtschaftsverhältnisse eintreten; andernfalls gerät die ASEAN in Gefahr, nur kollektiv zu reagieren, nicht aber gemeinsam zu agieren. 2. Die Zukunft der ASEAN als Teil Südostasiens Südostasien umfaßt zehn Länder, die sich während der siebziger Jahre in zwei einander feindliche Blöcke aufgespalten haben: Hier die drei Indochina-Staaten, dort die sechs ASEAN-Staaten, dazwischen das neutrale Birma. Wie läßt sich die Spaltung überwinden und wie am Ende gar ein geeintes Südostasien herstellen?

Drei Formeln sind dafür inzwischen ausgearbeitet worden, nämlich ZOPFAN, ZOGIPAN und ZON. Die ZOPFAN (Zone of Peace, Freedom and Neutrality in South East Asia) wurde erstmals durch die Deklaration von Kuala Lumpur im Jahre 1971 vorgeschlagen. Vietnam brachte den Plan einer als Antwort »Zone of Genuine Independence, Peace and Neutrality" (ZOGIPAN) auf den Tisch, stieß damit aber auf scharfen Widerspruch bei den ASEAN-Staaten: Bedeutet die Forderung nach „wirklicher Unabhängigkeit“ etwa, daß sich die ASEAN-Länder gegenwärtig in Abhängigkeit befinden? Und worauf eigentlich laufe „wirkliche“ Unabhängigkeit hinaus?

Vietnam ließ den ZOGIPAN-Vorschlag daraufhin wieder fallen und schlug im September 1981 die ZON-(Zone of Neutrality) Formel vor, die sowohl das ZOPFAN-Konzept als auch die inzwischen von den drei indochinesischen Außenministern erarbeiteten „sieben Punkte" umfassen soll. Diese sieben Punkte lauten stichwortartig: fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz, friedliche Streitlösung, Kooperation beider Ländergruppierungen auf sämtlichen Gebieten, friedliche Grenzverhandlungen, keine Basenüberlassung, Einrichtung eines ständigen Gemeinschaftsorgans, Verträge und Abkommen zwischen beiden Ländergruppen.

Die ASEAN-Staaten blieben auch jetzt skeptisch und halten die „sieben Punkte" mit der ZOPFAN-Formel für unvereinbar, weil Vietnam nicht nur gewaltsam zwei Nachbarstaaten besetzt habe (Verstoß gegen die „friedliche Koexistenz"), sondern darüber hinaus auch einer fremden Großmacht Basen gewährt und weil es überdies verlangt, daß an hem „gemeinsamen ständigen Organ" die von den ASEAN-Staaten nicht anerkannte Regierung der Volksrepublik Kampuchea teilnimmt. Haupthindernis auf dem Weg zu einer Einigung und Neutralisierung Gesamt-Süd-ostasiens ist letztlich die Kambodscha-Frage, ohne deren Lösung Südostasien gespalten bleibt.

Die Chance einer Verwirklichung der ZOP-FAN-Idee besteht darin, daß sie, mit Ausnahme der Sowjetunion, von allen Mächten bejaht wird, sogar von China. China ist es übrigens auch, das mit seiner neueren Außen-wirtschaftspolitik ein Beispiel dafür abgibt, wie ein sozialistischer Staat mit „kapitalistischen“ Ländern kooperieren kann. Vielleicht könnten von hier Anregungen für eine künftige Zusammenarbeit zwischen den drei sozialistischen Staaten Indochinas und den ASEAN-Staaten ausgehen. 3. Die Zukunft der ASEAN als Teil der Pazifischen Gemeinschaft Nicht nur von ihrer Geographie, sondern auch von ihrem weltoffenen Selbstbild, nicht zuletzt aber von ihrer Eigenschaft als einer der wenigen noch verbliebenen Wachstums-zentren her scheint die ASEAN ganz selbstverständlich in die Pazifische Gemeinschaft hineinzupassen, und doch besteht gerade hier Skepsis:

Was soll das überhaupt werden — die Pacific Community: Ein privater oder ein staatlicher Zusammenschluß? Eine Zollgemeinschaft oder gar eine politische Union? Und wer soll ihr angehören? Soll ein unfertiges Gebilde wie die ASEAN Teil einer noch unfertigeren Gemeinschaft werden? Stimmt es im übrigen nicht nachdenklich, daß Hauptbefürworter des Pazifikkonzepts vor allem japanische, amerikanische und überhaupt internationale Konzerne und Großbanken sind? Würde sich außerdem die Abhängigkeit der ASEAN von den beiden ohnehin schon dominierenden pazifischen Mächten, Japan und den USA, nicht noch verstärken, wenn eine Pazifische Gemeinschaft dafür sorgte, daß die bisher so wohltuend „ausgleichenden" Mächte wie die EG, die „Gruppe 77“ oder die OIC (Organization of Islamic Conference) abgekoppelt würden? Kann die Schsergemeinschaft ferner von einer Pacific Community mehr profitieren als von den bereits existierenden Asien-bezogenen Organisationen vom Format einer ESCAP, einer ADB oder eines IMF ohnehin zu erlangen ist? Muß nicht außerdem die Zusammenarbeit der südostasiatischen Region /intensiviert werden, ehe die Gemeinschaft weiter expandiert?

In der Tat wird die früher oder später zu bewältigende Einbeziehung der Indochina-Staaten, Birmas und vielleicht auch Neuguineas, ein so erhebliches Maß an Integrationskraft absorbieren, daß für noch weitergehende Bindungen nicht mehr genügend Energie übrigbliebe. Auch Ländern wie Australien oder Neuseeland gegenüber besteht Nachholbedarf. Der Anteil der ASEAN-Exporte nach Australien und Neuseeland beispielsweise betrug 1979 nur 3, 3%, der Importanteil aus diesen Staaten nur 4, 5%. Eine solche Vernachlässigung zweier wichtiger Nachbarn muß auf die Dauer unerträglich — und unrational — erscheinen!

Die ASEAN-Staaten werden sich also in den nächsten Jahren eher um die Integration mit den anderen südostasiatischen Ländern und mit ihren unmittelbaren Nachbarn bemühen als um den Beitritt zu einer heute noch nicht einmal existierenden pazifischen Großorganisation. Kommentar und Replik Wie war das mit der SOPADE?

Zum Beitrag von M. Voges, Politische Opposition als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung. Zum Widerstandskonzept der Sopade im Dritten Reich (B 26/84)

Vor mehr als 50 Jahren Erlebtes/Miterlebtes nun aus der Sicht eines jungen Wissenschaftlers dargestellt zu sehen, hat schon seine besonderen Reize. Den Beitrag von Michael Voges: „Zum Widerstands-Konzept der Sopade im Dritten Reich“ habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Es freut mich, daß der Autor die „Organisation der politischen Berichterstattung“ und die „Entwicklung eines Widerstandskonzepts“ als einen „überaus wichtigen Beitrag der Sopade zum Kampf gegen das nationalsozialistische Regime“ bezeichnet. Ich bin der gleichen Ansicht.

Er hat sicher auch recht mit der Feststellung, daß die Kritiker der sozialdemokratischen Exil-führung, eben der Sopade, wichtige Teile unserer Emigrationsarbeit „nicht oder nur unzureichend und oberflächlich“ zur Kenntnis genommen haben.

Ebenso erfreulich ist es, daß er bei vielen der Politologen-Vor-Urteile gegen die Weimarer SPD Revision zuläßt. Schade nur, daß er einige neue Fehl-Urteile hinzufügt.

Hauptteil seiner positiven Betrachtung ist die politische Berichterstattung der Sopade, „der wohl originellsten und zugleich effektivsten Form sozialdemokratischen Widerstands im Dritten Reich“. Er führt damit eine frühere Untersuchung über die „Deutschland-Berichte der Sopade“ weiter und nennt Einzelheiten.

Diese „Grünen Berichte“ (Grün wegen der gewählten Papierfarbe) sind das Werk Erich Rinners. Als sein einziger ständiger Mitarbeiter (nicht gelegentlicher, wie Voges vermutet)

hatte ich hinreichend Gelegenheit, seine außerordentliche und wohl einmalige Leistung zu beobachten. Es handelte sich um eine erstaunliche Publikation, nicht „nur“ ihres Inhalts und ihres Auftrages wegen — beides von Michael Voges sachkundig kommentiert. Aber auch dies sollte bemerkt werden: Wo gab es schon eine Monatsschrift, die während ihrer sieben Erscheinungsahre — in der ganzen Zeit von einem einzigen Mann redigiert — wohl hundertmal mehr Mitar33 beiter als Bezieher hatte und deren zweite Auflage erst 50 Jahre später hundertmal größer als die der Originalausgabe ist.

So positiv Michael Voges die „DB“ beurteilt, so negativ urteilt er über die „Bürogemeinschaft“, womit er den Exilvorstand der SPD meint. Seine Thesen zeigen, wie schwierig, vielleicht unmöglich es für den Nicht-Zeitgenossen, auch den Wissenschaftler, ist, die damalige, tatsächliche Situation nachzuvollziehen und zu Urteilen zu kommen, die den Verhältnissen gerecht werden. Ein gerechtes Urteil — nicht nur eine Beschreibung — über Haltung und Aktivitäten der Sopade-Führung kann vermutlich nur der fällen, der weiß, was Arbeit und Leben im Exil bedeutet.

Das gilt nicht nur für die äußeren Umstände unter den erschwerten und gefahrvollen Bedingungen. Es gilt beinahe noch mehr für den fast körperlichen Druck, die Spannungen, die erlebten und erlittenen Enttäuschungen — auch Demütigungen — und den Kräfteverbrauch in den letzten Jahren der Weimarer Republik.

Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, daß Michael Voges in seiner Be-und Verurteilung des Exil-Vorstandes dieser Situation Rechnung getragen hat. Dieses Manko wäre zu ertragen, wenn er wenigstens von den Fakten Kenntnis genommen hätte. Die Tatsachen nicht zu berücksichtigen und vorgefaßte Ansichten wiederzugeben, ist nicht hilfreich.

Ich will mich auf zwei Hauptpunkte seiner Kritik beschränken: 1. Die Sopade habe ihre Tätigkeit (fast nur) auf die politische Berichterstattung beschränkt. Es habe Lagermentalität geherrscht.

Die Behauptung steht im Gegensatz zu den Fakten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit halte ich einige der Aktivitäten des Exil-Vorstandes dagegen, die die Voges-Behauptung widerlegen und Beispiele für die Vielfalt der Sopade-Arbeit sind:

— Politische Kontakte zwischen drinnen und draußen Solange die — freilich immer schwieriger werdenden — Kontaktmöglichkeiten zwischen drinnen und draußen es zuließen, wurden die Verbindungen zu politischen Freunden aufrechterhalten und Übereinstimmung über die Situation und die Zukunftsmöglichkeiten zu erreichen versucht. (Ich bin z. B. bis Ende 1936 mehr als ein Dutzend Mal „illegal“ in Deutschland gewesen, um solche Kontakte zu pflegen.) Wir hatten in Berlin zwei „illegale“ Büros; eines davon bestand Jahre hindurch, bis wir es wegen Geldmangel schließen mußten.

In Deutschland verbliebene und (noch) in „Freiheit“ lebende führende Sozialdemokraten kamen zu politischen Besprechungen zu uns nach Prag oder an die Grenze.

Es gab Kurierdienste von und nach Deutschland auch vom Exilvorstand (ganz abgesehen von denen der zehn Grenzsekretäre).

All dies steht nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der politischen Berichterstattung (wenn auch natürlich solche Verbindungen zusätzliche Informationen erbrachten). — Die publizistische Tätigkeit nach drinnen Wir haben mehrere periodische und zahlreiche nichtperiodische Publikationen Jahre hindurch in Prag für die Inlandsinformation und -Propaganda in Tarnausgaben und/oder Kleinstformaten hergestellt, die zu Tausenden in Deutschland zirkulierten.

— Die publizistische Tätigkeit draußen Neben den beiden bekanntesten Emigrationsveröffentlichungen — der Wochenzeitung „Neuer Vorwärts“ und den monatlichen „Deutschland-Berichten“ — haben wir weitere Periodika und ein umfangreiches Verlagsprogramm entwickelt und mehrere Dutzend Bücher und Broschüren veröffentlicht.

— „Illegale" Techniken Wir haben damals (auf manchen Gebieten als erste und vermutlich auch als einzige sozialdemokratische Partei in der Welt) moderne Techniken für die „illegale“ Arbeit entwickelt (MikroVerfilmung, Mikro-Fotografie, Verpackungstechniken, Drucktechniken und Tarnungen), die ja alle nicht einfach aus der Westentasche zu produzieren waren.

— Internationale Verbindungen Die Vorstandsmitglieder — jedes im eigenen Sektor — haben ihre persönlichen und politischen Verbindungen so intensiv wie möglich genutzt (Diskussionen, Briefwechsel, Memoranden, Besuche usw.). Otto Wels hat seine Tätigkeit in der Sozialistischen Arbeiter-Internationale wieder aufgenommen: Erich Ollenhauer ist als Sekretär der Sozialistischen Jugend-Internationale wiedergewählt worden und ist aktiv tätig gewesen: Friedrich Stampfer und Hans Vogel haben in ständiger Verbindung mit Prager Regierungsmitgliedern und der außerordentlich hilfsbereiten, opferwilligen sudetendeutschen Sozialdemokratie gestanden; und vieles andere mehr.

Da gab es weder Zeit noch Platz für die von Voges diagnostizierte „Lagermentalität“. Träfe die Ansicht von Voges zu, daß die Sopade sich (fast) nur um die politische Berichterstattung gekümmert habe, die bei den „Deutschland-Berichten“ in den Händen von Rinner lag, dann hätten ja doch die übrigen sechs leidenschaftlich engagierten Politiker däumchendrehend zugesehen, wie ihr jüngster Kollege als einziger tätig wurde. Nicht vorstellbar!

2. Organisierter Widerstand habe gefehlt; Rinner’s Widerstandskonzept habe für die Sopade-Führung „eine gewisse Verbindlichkeit“ besessen und die Sopade scheine sich „auf ein von außen kommendes Ende des Regimes eingestellt zu haben“.

Weder war das, was er als Rinner’s Widerstands-konzept bezeichnet, das A und O der Rinnersehen Vorstellungen, noch war die Sopade-Führung der Ansicht, die Berichterstattung über die Vorgänge im Dritten Reich sei die einzig mögliche oder auch nur die wichtigste Widerstands-tätigkeit. Die SPD hat Jahre vor 1933 ihrer Überzeugung:

„Hitler’s Sieg bedeutet Krieg“ publizistisch und propagandistisch Ausdruck gegeben. Ich war von 1928— 1933 für die zentrale Werbung verantwortlich, weiß es also aus erster Hand (es gibt ja auch genug Belege dafür), daß wir dieses Ende des NS-Abenteuers voraussahen.

Auch nach Hitlers Sieg blieben wir davon überzeugt, daß der Eroberungsdrang der Nazis zum Krieg führen würde. Und wir waren gleichzeitig — auch auf Grund Tausender von Informationen, die uns auf den verschiedensten Wegen aus Deutschland zuflossen — Realisten genug, die Terrorherrschaft für so gefestigt zu halten, daß offener, organisierter Widerstand zum Scheitern verurteilt sein würde.

Daß unter dieser Schwelle von unseren politischen Freunden in der Heimat und uns draußen das Mögliche an Widerstand geleistet wurde, kann wohl nicht bestritten werden.

Wer unter den damaligen Bedingungen offenen Widerstand zu organisieren versuchte, mußte rasch scheitern; Beispiele gibt's dafür leider genug. Und vom (durchaus nicht so sicheren) Exil aus Nazigegner zum offenen Widerstand anzuhalten (mit Todesfolge) entsprach kommunistischer Menschenverachtung, nicht aber sozialdemokratischer Ethik.

Das mag Heutigen, vom sicheren Schreibtisch in unserer Wohlstandsgesellschaft, als nicht heldenhaft genug erscheinen. Uns schien es damals verantwortungslos, Freunden dieses Risiko zuzumuten, ohne daß eine Aussicht auf Erfolg bestanden hätte.

Sicherlich haben wir Fehler gemacht. Wer nicht? Klar, daß auch in der Exilführung heftige Konflikte entstanden. Die Geschichte der Parteien in der Legalität wie im Exil ist voll davon.

Michael Voges zitiert — ohne sie sich wohl zu eigen zu machen — Politologenschelte gegen die Weimarer SPD und ihre Führung. Das wird auch durch stete Wiederholung nicht zur Wahrheit. Dabei darf natürlich auch das Wort von der „überalterten SPD-Führung von 1933“ nicht fehlen. Die Fakten jedoch sind anders: 1933 war der Vorsitzende, Otto Wels, 60 Jahre, sein Stellvertreter Hans Vogel 52 Jahre und der designierte Nachfolger Erich Ollenhauer 32 Jahre. Die heutige SPD-Führung: Willy Brandt (70), Hans-Jochen Vogel (58), Johannes Rau (53) ist älter als die damalige. Ich hoffe, Michael Voges stimmt mir zu, daß auch diese Führungsgruppe nicht überaltert ist.

Er hat verdienstvollerweise einen längst verschollenen Satz Rinner's ausgegraben:

„Der Intellektuelle neigt oft zu abstrakten Verallgemeinerungen, vorschnellen Schlüssen, geistreichen Perspektiven und besitzt oft nicht die Fähigkeit, einen einfachen Tatbestand wirklich genau und anschaulich wiederzugeben.“ In der Tat!

Eine letzte kritische Bemerkung dazu: Warum eigentlich muß ein solcher Beitrag in einer Soziologensprache verfaßt werden, zu dessen Übersetzung ins Deutsche auch der Große Brockhaus nicht ausreicht?

Ein Beispiel: „Die politisch relevante Organisation von gesellschaftlicher Erfahrung aber ist die Bedingung der Möglichkeit eines effizienten kollektiven Widerstandes im totalen Staat“

Geht's wirklich nicht auch anders?

Fritz Heine 1. Fritz Heines kritische Anmerkungen zu meinem Beitrag über das Widerstandskonzept der Sopade habe ich mit Interesse und dem gebotenen Respekt gelesen. Wohl kaum einer, der zeitgeschichtliche Forschung betreibt, hat nicht schon das überaus gemischte Gefühl verspürt, das dann entsteht, wenn eine wissenschaftliche Untersuchung individuelle lebensgeschichtliche Kreise berührt, die sich — in Hinblick auf das in ihnen aufgehobene Reservoir an historisch-gegenwärtiger Erfahrung — nicht angemessen repräsentiert sehen. Die biographisch erlebte Faktizität der Ereignisse, die Wirklichkeit der eigenen geschichtlichen Erfahrung steht in einem Spannungsverhältnis zu den historisch re-konstruierten Wirklichkeiten, die Ereignisse und Zusammenhänge im Rahmen weiterreichender Erklärungs-und Verstehensmodelle zu begreifen suchen. Die Unmittelbarkeit der Zeitgenossenschaft wird aufgehoben zur kritischen Erkenntnis historischer Abläufe, die mittelbar durchaus beitragen kann zur historischen Standortbestimmung der „Heutigen“. Gerade weil die Zeit-geschichte eine eminent wichtige Legitimationsfunktion für das Selbstverständnis der die Gegenwart bestimmenden sozialen und politi-sehen Kräfte besitzt, entstehen ihre Interessen im gesellschaftlichen Raum, wirken ihre Erkenntnisse hinein in die politische Bewußtseinsbildung der Zeit. Erkenntnis und Interesse schließen sich nicht aus, sie bedingen einander, allerdings bedingen sie sich nur solange, wie die kritische historische Erkenntnis nicht dem (miß) verständlichen Interesse an einer Geschichte geopfert wird. Bei allem Respekt und aller aufrichtig gemeinten Hochachtung vor dem persönlich und politisch existentiellen Einsatz von Fritz Heine kann ich die von ihm vorgetragenen Einwände gegen meine Kritik an der Widerstandstätigkeit der Bürogemeinschaft der Sopade nicht teilen. Ich beschränke mich dabei auf das wichtigste. 2. Fritz Heine beklagt, daß ich die schwierigen Bedingungen der Exilsituation nicht genügend gewürdigt hätte. Er weist den angeblich von mir erhobenen Vorwurf der „Lagermentalität“ zurück. Wer sich mit den literarischen Zeugnissen des Exils (Briefe, Tagebücher, Memoiren, Biographien etc.) beschäftigt, wer die bedrückenden Ergebnisse der Exilforschung zur Kenntnis genommen hat, der wird nicht bestreiten wollen, daß die extreme Situation der Exilanten die ständige Gefahr in sich trug, „eine Lagermentalität mit den ihr eigenen ideologischen Wahrnehmungsverzerrungen“ (15) auszubilden. Die politische Berichterstattung der Sopade versuchte ja gerade, „die bei einer längeren Dauer des Regimes progressiv zunehmende Entfremdung zwischen den illegal tätigen und den exilierten Teilen der sozialdemokratischen Bewegung möglichst gering zu halten“ (20). Ob und in welchem Maße dies gelungen ist, läßt sich im nachhinein schwer feststellen. Daß Erscheinungsformen einer Mentalität des Lagers die attentistische und zuweilen wohl auch fatalistische Grundhaltung der Sopade-Führung (die Heine auf Seite 4 seines Beitrags noch einmal bestätigt) verstärkt haben, halte ich nach-wie vor für wahrscheinlich. Heines Feststellung, die vielfältigen Aktivitäten der Bürogemeinschaft hätten „weder Zeit noch Platz“ für die von mir „diagnostizierte“ Lagermentalität gelassen, greift denn wohl doch ein wenig kurz. 3. Fritz Heine unterstellt mir die Behauptung, „die Sopade habe ihre Tätigkeit (fast nur) auf die politische Berichterstattung beschränkt“. Hier liegt ein Mißverständnis vor. Gegenstand meiner Untersuchung waren das Widerstands-konzept der Sopade und die auf dieser Grundlage entfalteten Widerstandsaktivitäten, nicht aber die gesamte politische Tätigkeit der Sozialdemokratie im Exil. Diese sollte nun doch nicht pauschal dem Bereich Widerstand zugerechnet werden. Was Fritz Heine hier im einzelnen aufzählt, ist einesteils von mir selbst dargestellt worden (15f), anderenteils steht es in der Tat „nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der politischen Berichterstattung“, und diese ist m. E. immer noch die „wohl originellste und zugleich effektivste Form sozialdemokratischen Widerstands im Dritten Reich“. 4. Schließlich ist Fritz Heine einem grundlegenden Mißverständnis aufgesessen. „Organisierter Widerstand habe gefehlt“, so wird die Kritik an der Widerstandstätigkeit der Sopade-Führung von ihm zusammengefaßt. Mit „organisiertem Widerstand“ hat Fritz Heine ganz offensichtlich eben jene „offenen“ Widerstandsformen im Auge, von denen es noch in der Zusammenfassung meines Beitrags hieß: „Effektiver Widerstand in totalitären Staaten ist mit einem Rückgriff auf das traditionelle Repertoire von Widerstandsformen (Attentat, Putsch, Sabotage, Infiltration etc.) allein nicht zu bestreiten.“ Das Versagen der Sopade liegt doch nicht im Ausbleiben derartiger Formen organisierten Widerstands: versagt hat sie bei der politisch relevanten Organisiation gesellschaftlicher Erfahrung. Ich habe mich bemüht, dieses Versagen differenziert (und unter Berücksichtigung der „realistischen“ Position der Bürogemeinschaft) aufzuarbeiten (22 f.). Ein Vorwurf dieser Art, der zudem noch mit dem spitzen Hinweis auf den „sicheren Schreibtisch in unserer Wohlstandsgesellschaft“ garniert wird, erübrigt sich Als ob es nicht gerade die opferreichen heroischen Illusionen des tradierten Widerstands sind, die hier einer historischen Kritik unterzogen werden.

Bleibt zu hoffen, daß eine weitere Beschäftigung mit den Ergebnissen historischer Untersuchung auch in Zukunft zu einer produktiven Form der Auseinandersetzung führt. Auf praktisch fundierte Kritik kann die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht verzichten, noch viel weniger auf die reiche politische Erfahrung ihrer . historischen'Repräsentanten!

Michael Voges

Fussnoten

Fußnoten

  1. Am 1. Januar 1984 wurde Brunei sechstes Mitglied der ASEAN.

  2. Was Heine als „Politologen-Vor-Urteil“ abqualifiziert, die Überalterung der Führungsschicht der SPD 1933, beschreibt Julius Leber in seiner schonungslosen Abrechnung mit der Weimarer Partei (anläßlich der Wahl eines . neuen'Vorstandes der Reichstags-fraktion 1930) wie folgt: „Der bisherige Vorstand blieb also! Spätere Geschichtsschreibung wird diese Tatsache als erschütterndes Beispiel für die Gedankenlosigkeit und Verblendung der sozialdemokratischen Leitung anführen. Denn dieser Fraktionsvorstand (...) zählte unter 20 Mitgliedern nicht eines, das weniger als 50 Jahre alt war“ (Julius Leber, Schriften, Reden, Briefe, hrsg. von D. Beck u. W. Schoeller, München 1976, S. 231 ff.). Lebers Urteil wird durch eine Reihe sozialstatistischer Daten bestätigt, die Richard Hunt (vgl. Anm. 1 meines Beitrages) und Hans Mommsen (vgl. Anm. 3) ausgewertet haben. Der Altersdurchschnitt im Parteivorstand lag 1925 bei 52 Jahren (1890: 39, 6!), etwa die gleiche Zahl ergibt sich für die Reichstagsfraktion von 1930. Die „tendenzielle Vergreisung der Führungsgremien“ (Mommsen) war der innerparteilichen Diskussion keineswegs fremd. Vgl. etwa die Protokolle der Parteitage in Kiel 1927 (Berlin 1927, S. 72) und Leipzig 1931 (Berlin 1931, S. 190 ff.), hier bes. das Referat von Erich Ollenhauet.

Weitere Inhalte

Oskar Weggel, Dr. jur., geb. 1935; seit 1968 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg mit Forschungsschwerpunkt VR China und Indochina; 1954 bis 1963 Studium der Rechtswissenschaften und zweites juristisches Staatsexamen in München, 1963 bis 1965 Studium des Chinesischen in Bonn; 1965 bis 1967 Studienaufenthalt in Taiwan, regelmäßige Mitarbeit an den vom Institut für Asienkunde Hamburg herausgegebenen Monatszeitschriften „China aktuell'1 und „Südostasien aktuell". Veröffentlichungen u. a.: Die Alternative China. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft der VR China, Hamburg 1973; Die Außenpolitik der VR China, Stuttgart 1977; Chinesische Rechtsgeschichte, Leiden — Köln 1980; China zwischen Revolution und Etikette: Eine Landeskunde, München 1981; Xinjiang — Das zentralasiatische China, Hamburg 1984.