Seit Jahren schon wünschen sich westdeutsche Politiker und politisch interessierte Bürger eine wirklichkeitsnähere Darstellung ihres Landes in den US-Medien. Amerikanische Meinungsmacher betonen gleichzeitig die Schwierigkeit, aktuelle Informationen über die bundesrepublikanischen Einschätzungen zu politischen Entwicklungen zu erhalten. Die Klagen beziehen sich ganz allgemein darauf, daß a) quantitativ die Informationen über die Bundesrepublik als Hauptbündnispartner in den Vereinigten Staaten viel zu gering sind und daß b) in qualitativer Hinsicht die Informationen zu ethnozentrisch sind, d. h., daß sie so stark auf amerikanische Perspektiven ausgerichtet sind, daß die Ansichten in der Bundesrepublik selbst oftmals nicht dargestellt werden. Zur Ergänzung der US-Medien bedient sich die Bundesrepublik in erster Linie der Presseabteilung ihrer Botschaft in Washington, des „German Information Center“ in New York und der täglichep Kurzwellensendungen der Deutschen Welle nach Nordamerika (in englischer und deutscher Sprache). Darüber hinaus wurde 1982 ein bilaterales Programm begonnen, um das Verständnis für die Bundesrepublik und die USA im jeweils anderen Land zu verbessern, und zwar hauptsächlich durch die Intensivierung persönlicher Kontakte. Die Verbesserung der Berichterstattung in den Medien war dabei ebenfalls beabsichtigt, aber, wie Hildegard Hamm-Brücher, Koordinator für die deutsch-amerikanische zwischengesellschaftliche, kultur-und informationspolitische Zusammenarbeit, zugab, nicht leicht zu verwirklichen: „Große Sorgfalt werden wir auch einer vertieften (sachlicheren!) Berichterstattung in den Medien widmen. Die Information übereinander muß aktueller und umfassender werden. Eine besonders wichtige, aber auch sehr schwierige Zielgruppe sind deshalb die Journalisten." Ein Jahr später berichtete Berndt von Staden, Hamm-Brüchers Nachfolger, daß man bei der Suche nach beiderseitigen Austauschmöglichkeiten zwar auf „historisch bedingte" Barrieren in den USA gestoßen sei, daß aber „einige Fortschritte" bei der „Zusammenführung von Journalisten" erzielt worden seien
I. Forschungsergebnisse und Thesen zum Medienkontext der USA
Die Amerikaner sind selbst über ihr Medien-gefüge beunruhigt. So ist während der letzten zehn Jahre eine „wahre Flut" von Studien amerikanischer Sozialwissenschaftler erschienen, die sich über die politische Bedeutung und die sich verändernde Technologie der Medien besorgt zeigen Die Ergebnisse der Forscher, mit ihren eigenen (oftmals prägnanten) Worten wiedergegeben, bieten ei-nen nützlichen Überblick über das Mediengefüge in den Vereinigten Staaten:
These 1: Die amerikanische Presse druckt herkömmlicherweise nur einen Bruchteil der ihr zugehenden Auslandsnachrichten, weil man annimmt, „daß lediglich zehn Prozent der bestinformierten Leute... Berichte über auswärtige Angelegenheiten lesen."
— In einer Studie über 60 Tageszeitungen aus neun Ländern rund um die Welt nahmen die USA, gemessen am Anteil des gesamten Textteils (außer Anzeigen), der für Auslands-nachrichten zur Verfügung stand, den letzten Platz ein
— amerikanische Tageszeitungen jeglicher Größe widmen „weniger als ein Viertel der Spalten (in „inches") des allgemeinen Teils internationalen Nachrichten
— In ihren vorderen Teilen bringen die New York Times und die Washington Post „etwa 30 bis 40 Prozent Auslandsnachrichten" und sind somit „einflußreichste Medien der Politiker“ an der Ostküste Aber diese Zeitungen erreichen keinen breiten Leserkreis — 80 % bis 90 % ihrer Auflage „wird in New York und Washington und Umgebung verkauft". Ihr Einfluß ist allerdings größer, als dieses Bild vermittelt. So zählt z. B. „The New York Times etwa 400 andere Zeitungen zu ihren Textabnehmern (...). Außerdem beziehen sich in der Regel alle Korrespondenten — auch die Fernsehjournalisten — auf die New York Times, um festzustellen, was eine , Story'abgibt und was nicht“
— Für die Allgemeinheit ist das Fernsehen die bevorzugte Quelle für Auslandsnachrichten, und zwar, einer Umfrage aus dem Jahre 1979 zufolge, zu 65 %
— Das Fernsehen bietet „relativ“ mehr Auslandsnachrichten als die Zeitungen: „Berichte, die fremde Länder berühren, machen fast45 % der Zeit der Fernsehnachrichten aus." Allerdings sind die TV-Berichte über Auslandsereignisse kurz, im Durchschnitt „ 1 Minute und 28 Sekunden" lang So sind „die halbstündigen Nachrichtensendungen der Fernsehstationen (...) auf geradezu unanständige Weise mangelhaft, bestrebt, das Weltgeischehen ir 23 Minuten (nach Abzug der Reklame) darzustellen
— Das Problem der Fernsehgesellschaften ist, daß „wir nicht so viel Zeit haben, um Nachrichten und Informationen zu bringen, wie wir gerne möchten"
— „Die Fernsehgesellschaften schieben den lokalen Sendern gern die Schuld dafür zu, daß sie die (zur Ausweitung der Abendnachrich. ten) erforderliche halbe Stunde verweigern'wegen „konkurrierender Unterhaltungssen. düngen"
— w.. mit wenigen Ausnahmen wenden die Medien im allgemeinen und das Fernsehen im besonderen weniger Zeit, Energie und Geld für die Berichterstattung über die Sowjetunion auf, als regelmäßig für die NFL (National Football League) an einem Fußball Sonntag"
— Viele der ca. 9 300 Radiosender entwickeln sich zu einem hochspezialisierten Medium für Sonderinteressen (Musik, Talkshows, Nachrichten) In einer Umfrage aus dem Jahre 1979 gaben aber nur 12 % der Befragten das Radio als Quelle für internationale Nachrichten an
— „Kurzwellensendungen sind in den Vereinigten Staaten nicht beliebt, was bedauerlich ist, denn wenn man die ausführlichsten Berichte über internationale Ereignisse hören will, so kann man sie über die Voice of America oder die BBC Tag und Nacht empfangen. Man braucht nur den richtigen Empfänger, nicht größer als ein Taschenbuch und für weniger als 100 Dollar zu kaufen."
— Der erwartete Boom des Kabelfernsehens wird sich wegen „des geringen Zuwachses an Werbeeinnahmen und den hohen Produktionskosten“ „nicht als die Goldmine erweisen, die viele voraussahen" Nach Schätzungen der Industrie waren 1983 etwa 37 % der amerikanischen Haushalte für Kabelempfang ausgerüstet und damit ca. 84 Millionen Menschen über dieses Medium erreichbar Sonderkanäle weichen zunehmend einer begrenzten Zahl von Kanälen, die sich an ein Massenpublikum wenden Einige wenige Zulieferer werden die überwiegende Zahl der Programme anbieten, so daß „nicht so sehr Verschiedenes, sondern eher mehr Gleiches“ gesendet wird
— Die durchgehend begrenzte Berichterstattung über Europa in den US-Medien „ist ein Problem, wenn man davon ausgeht, daß die Vereinigten Staaten und Europa sich gegenseitig brauchen"
These 2: Die Annahme eines Mangels an Interesse der Öffentlichkeit ist fragwürdig, denn „das Nachrichtenpublikum ... ist bis heute eigentlich nicht erforscht worden"
— Daß „die Medienleute das Interesse des Publikums an Nachrichten aus dem Ausland unterschätzen", legt eine Studie aus dem Jahr 1978 nahe — 41 % der Befragten sagten, daß sie sehr interessiert seien; nur 5 % der Medienleute glaubten, daß es so sei
— Eine Umfrage aus dem Jahr 1979 ergab, daß 19 % der Befragten am meisten an „nationalen" Nachrichten, 29 % an „lokalen“ Nachrichten, 30 % an Nachrichten aus dem . Ausland“ und 32 % an allen Nachrichten „etwa gleich" interessiert waren Response % an „lokalen“ Nachrichten, % an Nachrichten aus dem . Ausland“ und 32 % an allen Nachrichten „etwa gleich" interessiert waren 2 % an allen Nachrichten „etwa gleich" interessiert waren 26).
These 3: Selbst wenn es wahr wäre, daß sich die Amerikaner nicht sonderlich für Nachrichten über das Ausland interssieren, so ist das, was die Presse tatsächlich anbietet, unzureichend — „sprunghaft, Stückwerkhaft, impressionistisch und vereinfacht, manchmal unrichtig oder entstellt — und geht erst dann auf politische Themen ein, wenn sie schon öffentlich aktenkundig geworden sind“ 27). Die Fernsehanstalten können, auch „wenn die . networks'jetzt bessere Arbeit als in der Vergangenheit leisten, um den Hintergrund oder den Kontext der Nachrichten zu liefern, (...) nach wie vor nicht für sich in Anspruch nehmen, ihrer Verantwortung für die Unterrichtung der Mehrheit der Bürger zu genügen“ 28).
— Die Nachrichtenmedien, „auf erdrückende Weise mehr im Dienste der Verkaufstrategen als des Publikums", sind voll von „Trivialitäten“ 29).
— Die Nachrichten sind angeglichen. „Dem Journalismus (in den USA), all seinem Schwung und seiner Unerschrockenheit zum Trotz, ist ein sehr starker Drang nach Konsens eigen. In den Nachrichten der networks, wo viel auf dem Spiel steht und wo es das Ziel ist, die größtmögliche nationale Zuschauer-zahl zu erreichen, kann dies zu einem unwiderstehbaren Uniformitätsdruck führen ..., im Rennen um die Einschaltquoten will sich kein network irgendeinen Teil seines potentiellen Publikums vergraulen." 30)
— „Die Massenwerbung machte das Fernsehen zu einem gewinnträchtigen Spektakel" und „erzeugte außerordentliche Uniformität... Die drei networks, so hat man behauptet, sind im Grunde nur eines in dreifacher Ausfertigung ... die Programmgestaltung ist auf vorsichtige Weise unkontrovers, unterhaltsam und unpolitisch, so daß eine . Konsumstimmung'entstehen kann". Insgesamt „begann der amerikanische Journalismus, Ideen und Ideologie aus den öffentlichen Angelegenheiten auszusieben, ausgenommen die ungefährlichsten und am meisten stereotypen Vorstellungen über Patriotismus und die Unternehmerwirtschaft" 31).
— US-Bürger „bekommen hauptsächlich Bilder von internationalen Konflikten und Gewalttätigkeit zu sehen anstatt von Interdependenz und Kooperation“ 32).
— „Seinem Wesen nach betont das Fernsehen das visuelle Element — dramatische Szenen von Demonstrationen, Kämpfen, Naturkatastrophen usw. Ideen sind zumeist nicht photogen."
— . Ähnlich wie die'Nachrichten in anderen Ländern werten die amerikanischen Nachrichten die eigene Nation am höchsten ... Dieser Ethnozentrismus kommt am deutlichsten in den Auslandsnachrichten zum Ausdruck, in denen andere Länder danach beurteilt werden, in welchem Umfang sie amerikanischen Gepflogenheiten und Werten entsprechen oder sie nachahmen.“ — Die Berichterstattung über Außenpolitik ist generell regierungsorientiert. „Eine Ausrichtung auf den Präsidenten hin existiert definitiv in der Darstellung der Außenpolitik ... Die Fernsehnachrichten unternehmen ganz offensichtlich nicht den Versuch, eine ausländische Perspektive zu vermitteln, sondern sie gehen auf die US-Sicht ein.“
— „Da di Doktrin von der Objektivität besagte, daß fast jeder Vorgang von einer durch Titel ausgewiesenen Autorität sorgfältigst zu bestätigen sei, wurden die Nachrichten in zunehmendem Maße von Autoritäten präsentiert ... zunehmend konservativ, nicht wirklich neutral und allzu oft ohne Sinn (...), ein Abguß des fest verankerten Establishments."
— „Zeitungen werden, wenn auch noch so vorsichtig, an einem neuen Ideal gemessen, einem kosmopolitischen Ideal" Doch „trotz ihrer erklärten Unabhängigkeit und Objektivität reflektiert The New York Times das offizielle Denken in Washington so genau, daß eine grundlegende Frage auftaucht: In welchem Maß muß eine Zeitung einen gesunden Abstand zur Regierung aufrechterhalten?"
— Die „Schlüsselfrage" ist, ob die Zeitungen „ihren Lesern eine unvoreingenommene Darstellung ausländischer Perzeptionen und politischer Entscheidungen geben, die mit denen im eigenen Land möglicherweise im Widerstreit stehen"
These 4: Grundlegend für das Verständnis der Quantität und der Qualität der Berichterstattung über Außenpolitik ist der ökonomische Kontext des US-Mediensystems. „Natürlich strebt man nach Gewinn, und die journalistische Effizienz hat wirtschaftliche Ursachen und Konsequenzen."
— „Die moderne Technologie und die amerikanische Volkswirtschaft haben in aller Stille eine neue Form von zentraler Macht über Informationen geschaffen — die nationale und multinationale Korporation. Seit Anfang der 1980er Jahre wird die Mehrheit aller wichtigen amerikanischen Medien — Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Bücher und Filme — von fünfzig Riesenunternehmen beherrscht." — „Die Massenmedienkultur dient in erster Linie den Interessen einer relativ kleinen politisch-ökonomischen Machtelite, die die Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie inne-hat."
— „Es hat sich ein Typ von Manager entwickelt, der mehr Verantwortung für die Bilanz empfindet als für das Gemeinwohl. Dies mag in einer Firma angehen — so tadelnswert es ist —, die das Land mit Hundefutter oder Blue Jeans oder Kühlschränken beliefert. In einem Unternehmen, das die Nation mit den Nachrichten versorgt, die sie für ihr überleben braucht, ist es barbarisch."
— NBC's Nachrichtensendung „Overnight war unsere beste Stunde, aber die Kosten waren größer als die Einnahmen", und so wurde diese beliebte Nachrichtensendung am späten Abend, die ausführliche Berichte und Ausschnitte von ausländischen Fernsehberichten enthielt, gestrichen
— Des Fernsehens „Hauptkunden sind die Werbeauftraggeber, deren Geschäft es ist, die . Augen des Publikums zu mieten'"
— „Die meisten der 50 größten (Medien-) Firmen haben ein direktes Interesse an ausländischen Investitionen und deswegen auch an der Außenpolitik der Vereinigten Staaten". Die „Medienfirmen sind durch ihre Darlehen und Kreditlinien Teil der weltweiten Gemeinde der Banken und Investmentgesellschaften; sie teilen sich die Direktoren von den größten multinationalen Banken und Investmentfirmen"
— In der Vergangenheit hat sich die Forschung nicht gezielt mit der Frage beschäftigt, wie „voreingenommen die Nachrichten im nationalen und internationalen Bereich entsprechend den vorhandenen politischen und ökonomischen Strukturen sind, die ihrerseits dadurch wiederum verstärkt und gestützt werden. Die Aufgabe der Nachrichtenforschung ist es, das Wesen dieser Voreingenommenheit offenzulegen und die sie bedingenden Machtverhältnisse aufzudecken, um so eine radikale Änderung des ganzen Systems zu erreichen" _ „Die vielzitierte Anziehungskraft des Fernsehens auf das Publikum wird in dem Maße zunehmend fraglich, wie der Öffentlichkeit eine Alternative angeboten wird." 1982 hatten die Amerikaner „ihre Zeit vor dem Fernseher um 29 % eingeschränkt“. Das nicht-kommerzielle Fernsehen, welches die solidesten Programme und keine Werbung zeigt, verlor dabei die geringste Zahl an Zuschauern
— Das Vertrauen der Öffentlichkeit in diejenigen, welche die Mediengesellschaften leiten, ist nicht groß. In einer Umfrage 1978 be-zeichneten 20 % ihr Vertrauen in die Presse als „sehr groß", 58 % als „nur gering" und 20 % als „sehr gering". Für das Fernsehen waren die entsprechenden Werte 14 %, 53 % und 31 % Ähnliches ergab eine Umfrage 1979, wo 39 % meinten, daß sie über das, was in anderen Ländern vorgeht, im Fernsehen „nicht ausreichend informiert würden"; 20 % sagten das gleiche über die Zeitungen, 8 % über das Radio und 7 % über Zeitschriften (im Vergleich dazu meinten 20 %, daß das Fernsehen wirklich umfassend informiere, 8 % die Zeitungen, 4 % die Zeitschriften und 3 % das Radio)
ll. Die US-Medien und die Bundesrepublik Deutschland 1983
Eine Reihe der oben erwähnten Punkte können anhand von Statistiken über die Berichterstattung einiger der wichtigsten US-Medien über die Bundesrepublik 1983 verdeutlicht werden, einem für ihre Beziehungen zu den USA schwierigen Jahr. 1. Kommerzielles Fernsehen Die Hauptquelle der Amerikaner für Auslandsnachrichten, die drei Abendnachrichten-programme der „Networks" (CBS, NBC, ABC), brachten 1983 mehr Nachrichten über Westdeutschland als in den Jahren zuvor — etwa 158 Berichte, verglichen mit 132 im Jahre 1982, 149/1981 und 117/1980; andererseits war die Zahl der Berichte über die Bundesrepublik im gleichen Zeitraum geringer als die für Großbritannien (354) oder Frankreich (288) 51). Die von CBS (der Anstalt mit der höchsten Zuschauerzahl) bis zum 1. Oktober, also noch vor den Herbstprotestaktionen, ausgestrahlten Berichte behandelten zu 33 % Innen-und Außenpolitik, zu 21 % die Nazivergangenheit (Barbie, Hitler-Tagebücher), zu 17 % Katastrophen oder Sensationen (Abstürze, Überschwemmungen, Unfälle, Mord), zu 12 % Protestaktionen oder Demonstrationen, zu 14% Wirtschaftsthemen und zu 4% „Verschiedenes" (Wetter, Religion, Feste) 52).
Außerhalb der Abendnachrichten wurde der Bundesrepublik in den Fernsehprogrammen geringe Beachtung geschenkt 53). Beispielsweise lud das regelmäßig Sonntag morgens ausgestrahlte Interviewprogramm „Meet the Press" der NBC Petra Kelly ein (als einen von drei ausländischen Gästen 1983) bei ABCs „This Week with David Brinkley" waren Westdeutsche etwa fünfmal vertreten; an „Face the Nation" von CBS nahmen während der ersten 10 Monate 1983 fünf Ausländer teil, aber niemand aus der Bundesrepublik. Unter den Sonderdokumentationen von CBS während des Jahres war eine 1 1/2-stündige Untersuchung über die Atomwaffendebatte unter Bezug auf die Bundesrepublik; NBC sendete einen einstündigen Sonderbericht über die Bundesrepublik zum Thema „Beyond the Missile Crisis" im Dezember, und ihr „First Camera" -Programm vom 20. November (mit Wiederholung am 25. Dezember) beschäftigte sich mit Wirtschaftsproblemen in Westdeutschland; ABC brachte 1983 kein Sonderprogramm über die Bundesrepublik. Das von CBS Sonntag abends ausgestrahlte Nachrichtenmagazin „ 60 Minutes“ schließlich, das jeweils etwa drei getrennte Berichte enthält, brachte in den ersten neun Monaten 1983 18 solcher Berichte aus dem Ausland, wovon sich drei auf Deutschland bezogen — über Adolf Eichmann, Rudolf Hess und ein Interview mit Petra Kelly. 2. Zeitungen Die von den an auswärtigen Angelegenheiten interessierten Lesern meistgeschätzten Zeitungen, The New York Times (NYT) und die Washington Post (WP), hatten 1983 eine tägliche Auflage von 905 675 bzw. 726 009 und sonntags ca. 1 500 000 bzw. 972 000 Stück (sehr angesehen sind auch die montags bis freitags erscheinenden Zeitungen Christian Science Monitor und Wall Street Journal mit Auflagen von 145 000 beziehungsweise 1900 000; letztere hat vier regionale Ausgaben und damit landesweiten Einfluß)
Die Bedeutung eines bestimmten Themas in einer Publikation spiegelt sich unter anderem im Umfang der diesbezüglichen Eintragungen im jeweiligen Index wider. Der NYT-Index bis zum 1. Dezember 1983 verzeichnet 279 cm für Eintragungen unter „West Germany" (verglichen mit 351 cm für Großbritannien und 380 cm für Frankreich), beträchtlich mehr als die 158, 5 cm für die Bundesrepublik im ganzen Jahr 1982, 142cm/1981 und 177 cm/1980 Doch obgleich der Index ein erstaunlich breites Spektrum an Berichten ausweist, befaßten sich lediglich zwei der NYT-Leitartikel (im Durchschnitt drei bis vier täglich) direkt mit der Bundesrepublik und etwa ein Dutzend „Kolumnen" oder . Analysen" von . Journalisten mit bekanntem Namen“ (zum Beispiel J. Markham oder F. Lewis). Unter den Interviews mit Westdeutschen war eins mit Helmut Schmidt vor den Wahlen im März und eins im Juli mit Horst Ehmke.
Der WP-Index für das Jahr 1983 verzeichnet 146, 5 cm Eintragungen unter „Germany, West" (im Vergleich dazu Großbritannien 142, 5 cm und Frankreich 134 cm), wiederum beträchtlich mehr als die 132 cm Eintragungen für 1982, 52, 5 cm/1981 und 38 cm/1980. Die Zahl der Leitartikel über die Bundesrepublik betrug 1983 sechs und die der Kommentare („commentaries") 17 (diese geben, wie auch in der NYT, unterschiedliche ideologische Standpunkte wieder); in vier Artikeln legten Westdeutsche selbst ihre Auffassungen dar: ein Brandt-Kommentar, ein Kelly-Interview und Redeauszüge von Kohl und Schmidt 3. Nicht-kommerzielles Fernsehen Der nicht-kommerzielle Sender PBS (Public Broadcasting Service) liefert Programme an 300 nicht-kommerzielle Fernsehstationen, die von drei Vierteln aller US-Haushalte gesehen werden Ein wichtiges Programm ist die beliebte Abendnachrichtenanalyse (Montag bis Freitag) von Robert MacNeil und James Lehrer. Bis September 1983 gab es den halbstündigen „MacNeil/Lehrer Report", der sich ausführlich mit einem Thema der Nachrichten vom Tage befaßte. Nahezu ein Fünftel dieser Programme in jedem Jahr bezogen sich direkt auf fremde Länder aus allen Teilen der Welt, und gewöhnlich nahmen deren Bürger als Interviewpartner daran teil, um für ihre jeweiligen Länder zu sprechen Im Jahre 1980 gab es beispielsweise eine Sendung mit einem Interview mit Helmut Schmidt, und 1981 waren zwei Sendungen der Bundesrepublik gewidmet (verglichen mit zwei Sendungen über Großbritannien und zwei über Frankreich in diesen beiden Jahren). In den ersten acht Monaten des Jahres 1983 wurde eine Sendung über die Wahlen in der Bundesrepublik gezeigt. Im September 1983 wurde das Programm von der 60-minütigen „MacNeil/Lehrer News Hour“ abgelöst, in der in mehreren Segmenten die Nachrichten im De-tail dargeboten werden. Bis Ende November gab es ein Segment, direkt der Bundesrepublik gewidmet
Zusätzlich bot PBS 1983 eine Reihe von Sonderprogrammen an: Zwei von Transtel produzierte „European Journal" -Sendungen (zum Thema „The German National Election" und „The German Tricentennial"), einen Bericht über „The German Americans: 300 Years in the New Land" und zwei Sendungen der Reihe „Atlantic Crossing“, Studiodiskussionen mit europäischen Journalisten (darunter Westdeutsche) über internationale Probleme (unterstützt durch die fortgesetzten Bestrebungen des Marshall Funds, die Auslandsberichterstattung in den Vereinigten Staaten zu verbessern) -4. Nicht-kommerzieller Rundfunk Das nicht-kommerzielle Netz des NPR (National Public Radio), das 285 amerikanische Städte über Satellit erreicht, bietet an auswärtigen Angelegenheiten interessierten Hörern täglich zwei sehr gute Nachrichtensendungen — „Morning Edition“ und die Abendsendung „All Things Considered“, die etwa 3 Millionen Zuhörer hat (und beide vom German Marshall Fund als Teil seiner Bemühungen, die Amerikaner mit europäischen Ansichten bekannt zu machen, gefördert werden). Außerdem gibt es noch das einmal in der Woche live ausgestrahlte, halbstündige Nachrichtenmagazin „Across the Atlantic“, das vom Transkriptionsdienst der Deutschen Welle an NPR geht und 68 Stationen zur Verfügung steht. Die NPR-Datenübersicht für 1983 zeigt, daß diese beiden Nachrichtenprogramme bis November (einschließlich Sendungen über Vorträge vor dem National Press Club und ein nicht mehr existierendes Programm mit dem Tiel „NPR Dateline") mindestens 48 Berichte über das politische Leben in der Bundesrepublik präsentierten. In 67% dieser Berichte waren Westdeutsche, meist Politiker, durch Interviews, Presseerklärungen usw. repräsentiert, in denen sie die Auffassungen ihres Landes vertraten. Weitere 13 Berichte beschäftigten sich mit der deutschen Geschichte (Holocaust, Hitler-Tagebücher, Klaus Barbie usw.) und dem kulturellen Leben in der Bundesrepublik
III. Beispiele der Berichterstattung
Die besondere Eigenart der US-Medien wird deutlicher, wenn man ihre Berichterstattung über bundesdeutsche Politik mit Beispielen der eigenen Vor-Ort-Berichterstattung der Bundesrepublik für Amerikaner in ihrer Sprache durch die Deutschen Welle kontrastiert. Vier politische Ereignisse in der Bundesrepublik, die für das deutsch-amerikanische Verhältnis von Bedeutung waren, sollen zur Illustration herangezogen werden, wobei im ersten Fall ausschließlich die elektronischen Medien berücksichtigt werden, in den übrigen aber auch die Druckmedien. 1. Besuch des US-Präsidenten im Juni 1982 Präsident Reagans Besuch in der Bundesrepublik vom 9. bis 10. Juni 1982 erfolgte nach monatelanger amerikanischer Kritik an Bonn (wegen zu geringer Verteidigungsausgaben, des Erdgas-Röhrengeschäfts und anderer politischer Entscheidungen) und weitgehend negativer Berichte in den US-Medien. In der Bundesrepublik brachten Politiker ihre Bestürzung über die Berichterstattung der US-
Medien und die „schockierende Unkenntnis“ der Amerikaner über das Ausland zum Ausdruck. Ein Programm zur Schließung der Informationslücke zwischen beiden Ländern wurde bekanntgegeben. Der Besuch von Präsident Reagan hätte insofern auch eine Gelegenheit für einen verbesserten internationalen Informationsaustausch sein können oder sein sollen
Etwa eine Woche vor dem Besuch gab es im amerikanischen Rundfunk und Fernsehen die ersten Berichte über geplante Anti-Reagan-Proteste in der Bundesrepublik und über Sorgen um die Sicherheit des Präsidenten. Die Deutsche Welle hingegen berichtete fast täglich über Sicherheitsmaßnahmen, die aus Anlaß des Besuches getroffen wurden. Ferner brachte sie einen Hintergrundbericht über kurz zuvor verübte Sprengstoffanschläge gegen US-Einrichtungen (bei denen keine Men-sehen zu Schaden gekommen waren) und über den Vorschlag der Palme-Kommission zu einer atomwaffenfreien Zone (nicht berichtet in den Abendnachrichten der „Networks"). Am 2. Juni berichtet die DW, daß die Bonner Polizei keinen ernsten Zwischenfall während des Reagan-Besuches erwartete. Am 3. Juni erörterte sie das „wohlüberlegte, zweistündige Interview mit amerikanischen Journalisten", in dem am Tag zuvor Kanzler Schmidt den Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik zur NATO unterstrichen hatte wie auch seine Sorge über eine „widersprüchliche" Einstellung der Medien gegenüber Westdeutschland Am 4. Juni berichtet die DW über einen neuen Vorschlag von bundesdeutschen Generälen für die Abrüstungskonferenz der UN und erörterte wieder die Sicherheitsmaßnahmen für den Besuch des US-Präsidenten. Am 6. Juni brachte ABC in seinem Sonntag-morgen-Programm „This Week with David Brinkley" ein Interview mit Helmut Schmidt, in dem er nochmals den Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik betonte und ferner auf etwas hinwies, was den DW-Hörern schon bekannt war: „Newsweek ... hat vor kurzem eine Gallup-Umfrage in sechs westeuropäischen Ländern durchgeführt, und sie ergab, daß die pro-amerikanischen Gefühle am stärksten in Deutschland sind... Aber zu meiner großen ... Bestürzung haben sie das nicht in ihrer nationalen Ausgabe gedruckt. Es wurde nur in der internationalen Ausgabe gedruckt, und so nutzte ich diese Gelegenheit, diese Tatsache auch den übrigen Amerikanern mitzuteilen."
Am Tag der Ankunft des Präsidenten in Bonn erhielten die Amerikaner schon ab frühmorgens kurze TV-Fakten über die Ereignisse des Tages in der Bundesrepublik und auch bewertende Kommentare. CBS berichtete zum Beispiel, daß Reagan in wenigen Stunden zu seinen „schärfsten Kritikern" sprechen würde, den westdeutschen Abgeordneten, „die in ihm eine größere Gefahr sehen als in der sowjetischen Führung" (derselbe Reporter aus Washington hatte tags zuvor gesagt, daß die Westdeutschen sich bei der UdSSR „beliebt machen wollten"). Den ganzen Tag über gab es häufige, zuweilen besorgte Hinweise auf die „Großdemonstration'', die für Bonn geplant war. In ihren 19-Uhr-Nachrichten (Ostküstenzeit) berichtete CBS, daß Präsident Reagan im Bundestag „die Verpflichtung der US-Streit-* kräfte gegenüber der NATO-Allianz" bekräf. tigt hätte. Zwei Stunden später meldeten die DW-Nachrichten, daß der Präsident „die amerikanische Verpflichtung gegenüber Europa'unterstrichen und die demokratische Verfassung der Bundesrepublik gelobt hätte (von CBS nicht berichtet). In einem Hintergrund-bericht der Deutschen Welle wurde ferner vorrangig auf die Anerkennung Reagans für „den Beitrag der Deutschen bei der Entwicklung Amerikas und die Demokratie in Deutschland" hingewiesen. Zwischen den US-Fernsehnachrichten um 19 Uhr und der Sendung der Deutschen Welle um 21 Uhr lag der einzige Fernsehsonderbericht über die Bundesrepublik in dieser Woche, die einstündige Sendung „Our Friends the Germans“ von CBS Produziert wurde sie, wie der Autor Bill Moyers sagte, weil „es unserer Meinung nach an der Zeit war, unseren Freunden, den Deutschen, zuzuhören". An etwa einem Drittel der 60 Interviewsegmente waren allerdings keine Westdeutschen, sondern Amerikaner (zumeist Soldaten) in der Bundesrepublik beteiligt. Kein Sprecher der Bundesrepublik wurde zu den Alltagsproblemen dieser Soldaten befragt, und auch über die westdeutschen Verteidigungsanstrengungen wurde nichts gesagt. Das Militär war dabei nicht die einzige Gruppe, von der die amerikanischen Zuschauer nichts zu sehen oder zu hören bekamen; denn Journalisten, Hochschullehrer und Fachleute waren ebenfalls nicht unter „unseren Freunden, den Deutschen". Statt dessen waren in 14 der 40 Einheiten Politiker die deutschen Interviewpartner (nicht immer nach Parteizugehörigkeit identifiziert), in neun Einheiten Jugendliche, in sieben ein nicht näher vorgestellter, auf deutsch-amerikanische Beziehungen spezialisierter Publizist, in sechs „Leute von der Straße" und in vier West-Berliner, die über ihre schlechten Erfahrungen mit der Mauer berichteten. Die Moderation war weitgehend neutral gehalten und vom Tonfall ausgeglichen, vermittelte allerdings teilweise recht negative Bilder von der Bundesrepublik. Bei der Besprechung eines anti-amerikanischen Theaterstückes wurde beispielsweise ausgeführt: „Im Jahr 1982 hassen uns einige Deutsche... Diese Deutschen, die Amerikaner darstellen, betrachten uns als Gangster, unseren Präsidenten als einen Kriegshetzer." Kommentierungen wie die folgenden waren mit Bildern singender Demonstranten unterlegt:
„Etwas Schlimmes breitet sich aus, insbesondere in großen Teilen der deutschen Jugend. Für Amerikaner, die ihre heiligsten Symbole geschändet sehen, ist dies abstoßend.
Demonstrationen wie diese gab es nicht, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte oder als die Russen das Kriegsrecht in Polen erwirkten. Es geht immer gegen die Amerikaner ... Dies ist eine Friedensbewegung dort, wo es keinen Krieg gibt. Dies ist eine Friedensbewegung, deren Aktionen zuweilen alles andere als friedvoll sind.
Sie zündeten Explosivkörper, als unser Außenminister nach Berlin reiste ... Amerikaner können große Empörung steigern und dann nach einer Erklärung suchen.
Einige Deutsche betrachten die ganze Bewegung als romantisch... Es gibt Pazifisten in dieser Gruppe in einem Heidelberger Caf, aber es gibt auch Leute hier, die nicht weit von Terroristen entfernt sind.
Selbst, wenn es keine sowjetischen Truppen in diesen Straßen gäbe, müßte ein neutrales Westdeutschland unausweislich der russischen Außen-, Innen-und Handelspolitik folgen." Am darauffolgenden Tag, dem 10. Juni, war die lange diskutierte Bonner Demonstration die Spitzennachricht. Zusätzlich zu ihren Bild-nachrichten brachte das CBS-Fernsehen einen Kommentar von Bill Moyers. Er begann: „Auf den ersten Blick könnte man meinen, ein großer Teil der Bonner Bevölkerung hätte sich heute zu einer Orgie des Anti-Amerikanismus zusammengefunden.''Neun Sätze später wurde der halbnegative Eindruck deutlich zurückgewiesen: „Es war nicht Haß gegen Amerika, der sie auf die Straße brachte.“ Nach dieser — wenn auch späten — Bestätigung der im wesentlichen positiven Ausrichtung des Protestes, spielte Moyers dies Positive in seiner weiteren Kommentierung wieder herunter, und zwar unter Bezug auf die Teilnehmerzahlen, die Positionen der Teilnehmer und die Verbindungen zwischen „Unruhestiftern“ und der DDR. Die DW berichtete andererseits über eine „massive Friedensdemonstration“, die international sei und nicht antiamerikanisch. Sie sendete ferner Interviews mit Protestteilnehmern sowie einen Über-blick über die Kommentierung der Rede Reagans am Vortag im Parlament in den westdeutschen Medien. In einer bewegenden historischen Anmerkung zu den Anti-Atomwaffenaktionen des Tages brachte die Deutsche Welle schließlich noch einen Bericht über den 40. Jahrestag der Zerstörung des tschechischen Dorfes Lidice während des Zweiten Weltkrieges — es „war vom Angesicht der Erde ausgelöscht worden ... so als hätte der Ort nie existiert...
Der große Aufmacher am 11. Juni war dann Präsident Reagans Besuch West-Berlins und der Mauer. Die Berichte im US-Fernsehen enthielten grelle Filmausschnitte, krasse Texte und gewalttätige Szenen von etwa 1500 Demonstranten (die 50000 friedlich Protestierenden in West-Berlin am Tag zuvor wurden nicht gezeigt). In der zusammenfassenden Analyse von PBS, „Reagans Road Show in Europe" betitelt, waren US-Journalisten vertreten, die mit dabei waren. Die Nachrichten der DW hingegen faßten Reagans Tagesprogramm zusammen und widersprachen auf bestürzende Weise Moyers Behauptung über die „Unruhestifter" beim Protest in West-Berlin: „Polizeiberichten zufolge waren weit über 2000 Demonstranten speziell aus Westdeutschland angereist, um während des Besuches von Mr. Reagan für Unruhe zu sorgen". Fernerhin wurden die Protestierenden in einem Bericht der DW nach ihrer Zugehörigkeit zu linksorientierten Verbänden, zahlreichen pazifistischen Organisationen und anarchistischen Gruppen unterschieden.
Eine Art Anmerkung zu diesen Ereignissen Anfang Juni folgte am 14.des Monats. In ihrem Bericht über die Abrüstungskonferenz der UN konzentrierten sich die TV-Nachrichten von CBS auf Proteste außerhalb der USA; die DW berichtete über Schmidts ernste innenpolitische Ausführungen, über Deutschlands besondere Verantwortung für den Frieden. und seine Besorgnis über Überlegungen zum Kräftegleichgewicht und die Friedensbewegung. Eine weitere Sendung der DW, in der eine bundesdeutsche TV-Serie zusammengefaßt wurde, brachte den amerikanischen Hörern ein breites Spektrum europäischer und insbesondere westdeutscher Ansichten über die USA, die NATO und Abrüstung. Und so war, wie es schien, eine besondere Atmosphäre für das Jahr 1983 geschaffen worden. Der oben illustrierte Widerspruch zwischen der amerikanischen und der deutschen Sicht der Dinge/Sehweise sollte noch tiefer werden, politisch und entprechend in der Berichterstattung der Medien.
Anfang des Jahres gab es eine Sendung des NPR, die die Sorgen in der Bundesrepublik zum Thema Abrüstung behandelte (Interviews mit Vogel, Simonis, von der Heydt), und im Februar eine über die bevorstehenden Wahlen (Interviews mit Nölle-Neumann, Stoltenberg, Steger, Kelly). Die NYT interviewte Schmidt am ll. Febraur, und ihr angesehenes Sonntags-Magazin machte die amerikanischen Leser mit „Germanys Volatile Greens" bekannt NRP's Wahlinterviews Anfang März (Mertes, v. Schoeler, Klein, Kohl, Dahrendorf, Genscher) und ein umfangreiches Interview der WP mit Kelly und Hintergrundanalysen zur bundesdeutschen Politik waren die Höhepunkte auf dem Weg zum 6. März. Der Wahl wurde große Aufmerksamkeit geschenkt — Leitartikel in der WP und NYT, ein halbstündiges Interviewprogramm im NPR (Mertes, Maren-Griesebach, Adam-Schwaetzer, Voigt), Erwähnungen in allen TV-Stationen und ein PBS-Programm (mit zwei amerikanischen Professoren und dem Korrespondenten der Welt). Viele US-Kommentatoren erklärten, daß die Wahl kein Mandat für die Raketen-aufstellung erbracht hätte und daß die USA verpflichtet seien, ernsthaft zu verhandeln. Auch aus dem täglichen Presseüberblick und den Analysen der DW ergab sich für die amerikanischen Hörer, daß dies genau die Ansicht der Westdeutschen sei. Doch während die täglichen Vor-Ort-Berichte der DW in den Anfang des Frühjahrs hineinreichten, kehrten die US-Massenmedien wieder zu ihrem Muster zurück, die Bundesrepublik weitgehend zu ignorieren, wenn nichts „Dramatisches" passierte. 2. Besuch des Vize-Präsidenten im Juni 1983 Der Besuch des Vize-Präsidenten Bush in Krefeld am 25. Juni war ein solches Ereignis An diesem Samstag brachten CBS und NBS in ihren Abendsendungen als Spitzen-nachricht, daß eine große Friedenskundgebung während des Besuches in Krefeld, wo der 300. Jahrestag der deutschen Auswanderung aus dieser Stadt nach Amerika gefeiert wurde, in Gewalt ausgeartet sei. CBS berichtete, daß „Kohl professionelle Unruhestifter für die Gewalt verantwortlich machte", und schloß mit der Einschätzung des Reporters, daß die Demonstrationen „ein Signal zunehmender Verstimmung hier seien, eine Art von Opposition, die gewalttätiger werden könnte, je näher das Datum für die Aufstellung amerikanischer Raketen heranrückte". Später, am Abend berichtete die DW, live aus Krefeld die positiven Aspekte der Feierlichkeiten des Tages. Am nächsten Morgen brachten die Sonntagsausgaben der NYT und WP Berichte auf der ersten Seite mit dem Tenor „Bushs Car Stoned in Germany" und 2— 3spaltige Photos mit Gewaltszenen. Die NYT nannte die Militanten „linksextreme Demonstranten 1 und zitierte Regierungssprecher Boenisch, der sie als „professionelle Krawallmacher" bezeichnete, einschließlich der Linken aus West-Berlin und möglicherweise aus den Niederlanden, die die Zusammenstöße provoziert hätten. Am Montagabend konnte die DW eine Einschätzung der Ereignisse anbieten, eine ausführliche Analyse, in der darauf hingewiesen wurde, daß „Straßenkämpfe, wie unbedeutend sie ihrem Umfang nach auch im-
mer seien, interessantere Fernsehaufnahmen ergäben als viel umfangreichere Kundgebungen friedlicher Demonstranten" und zudem Gelegenheit böten, „die Friedensbewegung zu diskutieren". Fernerhin wurden im Presseüberblick der DW, der sich auf die Leitartikel in bundesdeutschen Zeitungen vom gleichet Tag bezog, Stimmen zitiert, denen zufolge die Friedensbewegung disziplinierte Formen des Protestes entwickelt hätte und sich nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen würde, Auch am folgenden Tag berichtete die DW, daß in einigen westdeutschen Zeitungen „weiterhin Besorgnis über die gewalttätigen Zwischenfälle zum Ausdruck komme" und zitierte verschiedene Warnungen der Leitartikler gegen eine Überreaktion. Die später von der Bundesrepublik unternommenen Schritte, den Vorfall juristisch zu klären, wurden in den USA allem Anschein nach nicht berich tet. Die DW bemühte sich jedoch weiterhin, den Vorfall und die Verantwortung der Stadt •Krefeld zu erklären und einzuordnen. In ihrem Presseüberblick vom 5. September beispielsweise erfuhren die Hörer, daß vermutlich ein offizieller agent provocateur einer der Hauptstörer in Krefeld gewesen war, wodurch frühere Vorwürfe wegen nachlässiger Sicherheitsvorkehrungen hohl erschienen.
Nach dem Vorfall in Krefeld kam das Thema der bevorstehenden Raketenaufstellung in den Vordergrund der Berichterstattung. In Juli interviewte NPR die Grünen (Kelly, Beck-Oberdorf) über die Raketenstationierung; Fernsehberichte im August konzentrierten sich auf Proteste und Demonstrationslager; im September erörterte PBS die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik (Kelly, J. Joffe). Ein wichtiges Thema war auch die Verschiebung der Stationierung, zu dem z. B Tom Fenton, der Londoner Korrespondent der CBS, aus Schwäbisch-Gmünd ausführte: „Der Widerstand gegen die Raketen ist nicht auf eine lautstarke Minderheit begrenzt Er schließt auch Westdeutschlands schweigende Mehrheit ein. Und obgleich die meisten von ihnen sich den Demonstrationen auf der Straße nicht anschließen werden, so deuten Meinungsumfragen darauf hin, daß drei Viertel der Deutschen die Aufstellung der Raketen verschieben möchten, auch wenn es keine Fortschritte bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen gibt. Selbst Deutsche aus der soliden Mittelklasse haben zunehmend Zweifel an der Notwendigkeit weiterer Waffen. An der Wurzel ihrer Sorgen liegt das traditionelle westdeutsche Unbehagen, an der Trennungslinie zwischen Ost und West zu leben. Solche Ängste empfinden Deutsche unterschiedlichster Herkunft.“ (Interviewausschnitte mit einem „Oppositionspolitiker" und einem „Gewerkschaftsvertreter" schlossen sich an.) 3. Die Aktionswoche für den Frieden Während sich die Aufmerksamkeit des PBS für die Bundesrepublik vorwiegend in besonderen Sendungen zum , Tricentennial ausdrückte, erzeugten die anderen Medien während der ersten Tage der Aktionswoche eine Stimmung, die sich im folgenden Überblick über die Berichterstattung widerspiegelt: 5. Oktober:
. Atlantic Crossing" -Diskussion über die Raketenaufstellung. 13. Oktober:
NPR-Bericht; Bericht (Länge 20 Sek.) von NBC; 30 Sek. von CBS.
14. Oktober:
20 Sekunden lange Berichte über Proteste von CBS und NBC.
15. Oktober:
NPR-Interview mit Aktivisten; Berichte von CBS (2’/2Min.) und NBC (2 Min.
20 Sek.) vom Protest in Bremerhaven; NYT berichtet, daß die Teilnehmerzahl bei Protesten „weit unter" den Erwartungen blieb.
16. Oktober:
NBC-Bericht über Demonstration in Jülich (l'^Min.), einschließlich der Teilnahme von Kirchenvertretern; NYT-Hinweis auf die Teilnehmerzahl als „weit geringer als erwartet"; WP-Erwähnung eines „ 3tägigen Protestes gegen die NATO".
17. Oktober:
NYT vermerkt „eine Welle von Anti-Raketen-Protesten ... gerade begonnen"; 40 Sek.
der CBS, daß Demonstrationen weitergehen. 18. Oktober:
NYT berichtet über „mäßige Teilnahme"
und „abnehmende Tatkraft" der Bewegung. 19. Oktober:
Kurzer WP-Hinweis auf die angekündigte Teilnahme von Brandt.
20. Oktober:
NPR-Bericht über Brandt; Bonner Bericht der ABC (3 Min. 50 Sek.) von Pierre Salinger über „die wachsende Anti-Atomwaffen-Bewegung in Westeuropa" (Kelly-und Mertes-Interviews); ein Kommentar der DW kritisiert die Konzentration der Medien auf angeblichen Anti-Amerikanismus und die Gewalttätigkeit der Friedensbewegung: „Es kann nicht bestritten werden, daß die Friedensbewegung eine echte politische Kraft darstellt ... die Medien haben dazu beigetragen, ein verzerrtes Bild zu vermitteln, insbesondere im Ausland. Das muß korrigiert werden.“
Spätestens am 21. Oktober hatten sich die Medien dieses Themas bemächtigt (außer PBS, das sich vordringlich mit dem Libanon und Grenada beschäftigte). NPR interviewte Aktivisten; NBC widmete 3 Min. 10 Sek. einem Hintergrundbericht über die Raketen-krise in der Bundesrepublik (mit Stellungnahmen von Dettke und Leuten von der Straße und zusätzlichen Umfrageergebnissen); CBS erwähnte in 10 Sek., daß die Teilnehmerzahl bei den Protesten klein gewesen sei; der Bericht in der NYT sah die SPD „auf dem Sprung nach links"; die WP meldete, daß Anstrengungen, „Massenunterstützung in allen Bereichen der Gesellschaft zu mobilisieren, sich als große Enttäuschung erwiesen hätten". Die Nachrichten der DW verbreiteten andererseits eine Stellungnahme der Koordinatoren des Protestes, derzufolge mehr als eine Million Menschen an den Veranstaltungen während der Woche teilgenommen hatten. Die DW gab auch detailliert die im Stern veröffentlichte Allensbacher Umfrage wieder, in der 35% der Bevölkerung sich als Unterstützer der Friedensbewegung bezeichneten, aber 70% Zweifel daran hatten, daß die Bewegung die Aufstellung der Raketen verzögern könnte.
Am 22. Oktober waren die Demonstrationen die Spitzennachrichten. Die NYT schrieb am Morgen, daß Bonn sich „im Morgengrauen" auf „eines der spektakulärsten Ereignisse während der sogenannten . Aktionswoche'" einrichtete. Die WP, auf ihrer Titelseite ein Bild des Protestes vor dem Verteidigungsministerium vom Vortag, wählte als Überschrift „Protestors failed to disrupt government with pre-dawn blockades"; die gute Arbeit der Polizei stand im Mittelpunkt einer , Story'auf Seite 17. Am Abend brachte NBC als zweite Nachricht einen 5 Min. 10 Sek. langen Bericht über die Anti-Atomwaffem-Demonstration in der Bundesrepublik, England und Italien; Äußerungen von Böll und Brandt wurden kurz umrissen. Die DW nutzte 35 ihrer 50 Minuten Sendezeit, um Redenauszüge von der Demonstration, Interviews mit Teilnehmern, Analysen und Kommentare zu senden sowie einen Bericht über Protestaktionen in England, Belgien, Dänemark und Frankreich.
Auch am Tag darauf setzten die Zeitungen bei den Demonstrationen in Europa einen Schwerpunkt — trotz der dramatischen Nachricht aus Beirut über den Bombenanschlag (über 200 Amerikaner kamen dabei ums Leben). Die WP, ein Photo der „Menschenkette" auf der ersten Seite, berichtete, „daß als eindrucksvoller Höhepunkt am Ende der zehntägigen Anti-Atomwaffen-Proteste mehr als eine Millionen Menschen auf die Straßen in Westdeutschland geströmt seien", und zwar zu Zusammenkünften, die eher „riesigen fröhlichen Picknicks als apokalyptischen Konfrontationen" glichen. Das gleiche Photo erschien auf der ersten Seite der NYT, deren Bericht ebenfalls weitgehend Beschreibungen von den Tagesereignissen in der Bundesrepublik enthielt.
Substantielle Analysen folgten am Montag, dem 24. Oktober. Die NYT schrieb, daß von den Protesten unterschiedliche Signale für Kohl ausgingen, sowohl Beunruhigung als auch Rückversicherung. Selbst „wenn die Teilnehmerzahl in vielen Fällen für die Organisationen enttäuschend waren“, so habe die Friedensbewegung „den Einfluß ihrer diffusen Argumente-augenscheinlich ausweiten, wenn nicht gar tiefer verankern können". Die DW zitierte Boenisch dahin gehend, daß es unwahrscheinlich sei, „daß die Demonstrationen irgendeine direkte Auswirkung auf die andauernden Abrüstungsverhandlungen in Genf hätten", und berichtete andererseits, daß der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung festgestellt hätte, daß die Teilnehmerzahl bei den Aktionen „endgültig eine Andeutung von der großen öffentlichen Unterstützung für die Friedensbewegung gegeben habe und daß sie sich zu einer Volksbewegung entwickelt hätte". Wie üblich umfaßte die tägliche Presseübersicht der DW ein breites Spektrum von Meinungen in den bundesdeutschen Zeitungen, diesmal zum Thema Aktionswoche.
Mit etwas abnehmender Intensität (angesichts von Grenada und dem Libanon) richteten die Medien ihr Augenmerk allmählich auf die bevorstehende Bundestagsdebatte über die Raketenaufstellung. Bis zum 20. November gab es einen Bericht von NPR, eine Sendung der Reihe „Atlantic Crossing" (mit dem deutschen Journalisten U. Kienzle) von PBS, eine Serie über die UdSSR und die Cruise Missile von ABC, von CBS einige Berichte (einschließlich neuester Umfragen) und ebenfalls einige Berichte von NBC (darunter Interviews mit Schmidt und Ehmke beim SPD-Parteitag). Die Berichterstattung der NYT und der WP war, als die Entscheidung näherrückte, relativ ausführlich und die der DW gründlich. 4. Die Bundestagsdebatte und die Entscheidung über die Raketenaufstellung — 21. bis 22. November 1983 Am Morgen des 21. November berichtete NPR über den Verlauf der Debatte und die WP und NYT erwähnten Andropows Brief an Kohl. Die Abendsendungen der Fernsehnachrichten begannen sämtlich mit Berichten (2 Min. oder länger) über die Debatte (ABC mit Stellungnahmen von Kohl und Vogel, CBS erörterte diese, brachte Äußerungen von Schily) und zeigten Bilder von den Protesten außerhalb des Bundestages. Die DW sendete eine Zusammenfassung des ersten Tages der Debatte, berichtete über Demonstrationen und betonte in ihrem Presseüberblick aus Zeitungen aus Dortmund, Heilbronn, Augsburg, Konstanz, Hamburg, Köln, Hagen und Frankfurt die Diskussion um die Raketenaufstellung auf den Parteitagen am Wochenende. Der zweite Tag der Debatte, der 22. November, begann mit zwei NPR-Berichten, der eine mit Interviews von Mertes und Simonis und der andere ausschließlich mit US-Vertretern. In der Morgenausgabe der NYT stand ein Bericht über die Debatte auf der dritten Seite, mit Stellungnahmen von Bundestagssprechern. In der WP erschien er auf der ersten Seite unter einem vier Spalten breiten Bild, das die Bonner Polizei beim Einsatz von Wasserwerfern zeigte. Die WP brachte an diesem Tag auch einen Kommentar mit dem Hinweis: „Viele Wähler in Europa scheinen bei den Entscheidungen nicht berücksichtigt worden zu sein“; jetzt sei Bonn „der richtige Ort" für die zu treffende „fundamentale Entscheidung“, denn der Aufstellungsplan stamme von Schmidt. Die Fernsehabendnachrichten meldeten natürlich das zustimmende Votum aus Bonn. Unter dem Hinweis, daß die Pershing II am nächsten Tag in der Bundesrepublik angeliefert würden, sendete ABC in ihrem 4 Min. -10-Sek. -Bericht zu Anfang der Sendung Stel-B lungnahmen von Vogel, Verhülsdonk und Bahr. CBS widmete der Aufstellung 5 Minuten, mit Interviews von US-Militärfachleuten über den Zeitplan für die Aufstellung. NBC begrenzte ihre Berichterstattung auf 1 Min. 20 Sek. mit . einer Darstellung der Position Schmidts und der anhaltenden Demonstrationen. Die DW brachte eine Bewertung der Debatte mit Interviews von Abrüstungsexperten der CDU und SPD und eine Presseübersicht, in der Zeitungen aus Düsseldorf, Freiburg, Hamburg („Bild") und Hagen zitiert wurden.
Am 23. November wurde die Berichterstattung über die Raketen fortgesetzt. Die Sendung des NPR enthielt Interviews mit Vogel und Mertes; die NYT und die WP hatten Berichte auf der ersten Seite; NBC behandelte die Aufstellung in ihren Abendnachrichten in 30 Sek, wohingegen CBS, ABC und PBS ihre Aufmerksamkeit auf das sowjetische Verlassen der Verhandlungen in Genf richteten. Die DW berichtete über internationale Reaktionen auf die Bundestagsentscheidung (Moskau, Frankreich, Spanien) und brachte ausführliche Kommentare aus Zeitungen aus Bremerhaven, Nürnberg, Aschaffenburg, Dortmund, Augsburg, Hamburg und Frankfurt. Im weiteren Verlauf nahmen die Berichte ab, wobei der Lieferung der Raketen und ihren Folgen immer noch einige Aufmerksamkeit geschenkt wurde: in einem NYT-Bericht (vom 24. November) mit Hinweis darauf, daß dies „weniger als 24 Stunden” nach der Entscheidung im Bundestag passiert sei, und in NBC-Interviews (25. — 26. November) mit Einwohnern von Mutlangen. 5.
Berichterstattung Ende 1983 Am Ende des Jahres erschienen zwei bemerkenswerte Anmerkungen in den Medien zum turbulenten Jahr in der Bundesrepublik: ein Artikel vom 18. Dezember im NYT-Magazine mit dem Titel „Reviving the German Question“ (von James Markham) und NBC's einstündiger Bericht „Beyond the Missile Crisis" (von Marvin Kalb). Beide behandelten das Nationalismus/Neutralismus-Syndrom in West-deutschland, das den Kern der amerikanischen außenpolitischen Sorgen darstellt.
In seiner Analyse der innerdeutschen Beziehungen stellte Markham fest, daß die „deutsch-deutsche Frage zum bestimmenden Thema” für Kohls Außenpolitik geworden sei, daß aber auch auf der Linken „ein wiederauflebender Patriotismus die Idee einer deutschen Wiedervereinigung oder Konföderation ergreift, und zwar als ein Schritt auf dem Weg zu Europa, das sowohl vom Nordatlantischen Verteidigungsbündnis als auch vom Warschauer Pakt losgelöst wäre."
In einem gründlichen Beitrag über die psychologischen und politischen Auswirkungen der Raketenkrise auf die Westdeutschen führte Kalb aus, daß „eine klare Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung gegen die Raketenaufstellung ist und Präsident Reagans Politik mißbilligt". In seiner Sicht war das Resultat „ein schmerzlicher Prozeß der Selbstfindung, ein Suchen nach einer neuen nationalen Identität“. Und, in diesem Zusammenhang: „die Saat eines deutschen Neutralismus ist jetzt gesät worden". Solche Ansichten spiegelten sich auch in den 40 Interviewsegmenten wider, in denen Westdeutsche für ihr Land Stellung bezogen: sechs Politiker (Bahr, Rommel, Eppler, Wörner, von Weizsäcker, Strauß), drei Politikwissenschaftler (Löwenthal, Krippen-dorf, Kaiser), drei Kirchenvertreter (darunter Gollwitzer), zwei Künstler (Flimm, Böll), ein Journalist (Alt), jeweils drei Lehrer, Studenten und Schüler und schließlich zehn Leute von der Straße. Kalbs Schlußfolgerung: „Vertreter der Reagan-Administration sagen in der Öffentlichkeit, daß der Beginn der Raketenaufstellung ein großer Erfolg für den Westen gewesen ist und eine Niederlage für die Russen. Im Vertrauen geben aber viele zu, daß der politische Preis, insbesondere in Westdeutschland, viel zu hoch gewesen ist verglichen mit den vermutlichen militärischen Vorteilen. Jenseits der Raketenkrise stellt sich die Frage nach der Zukunft Deutschlands und nach dem Schicksal der Atlantischen Allianz — von der die amerikanische Sicherheit abhängt."
IV. Zusammenfassung und Ergebnisse
Die oben dargelegten einzelnen Statistiken und Fallstudien dienten zur Verdeutlichung einer Reihe allgemeiner Quantitäts-und Qualitätsprobleme, die die deutschen und amerikanischen Beobachter der US-Medienarbeit im Bereich der Außenpolitik beschäftigen: — In den angesehenen US-Zeitungen New York Times und Washington Post wurde über ein breites Spektrum deutscher Belange be-richtet. Allerdings war die Berichterstattung über Ereignisse mit Bedeutung für die auswärtigen Beziehungen in qualitativer Hinsicht keineswegs optimal; unzureichende Darstellung der bundesdeutschen Standpunkte verbunden mit häufiger Widerspiegelung von Einschätzungen der US-Regierung zu Entwicklungen in der Bundesrepublik im Textteil waren dazu angetan, die präsentierten Bilder zu verzerren In quantitativer Hinsicht gab es weniger Berichte über die Bundesrepublik als über die beiden anderen wichtigen US-Verbündeten Großbritannien und Frankreich. Wie die NYT und die WP widmete auch das Wall Street Journal 1983 die meisten Berichte Großbritannien, an zweiter Stelle folgte Frankreich und an dritter die Bundesrepublik
— Im kommerziellen Fernsehen, der Haupt-quelle der Amerikaner für Auslandsnachrichten, wurde ein engeres Spektrum deutscher Themen behandelt als in den Zeitungen, aber, wie bei den Zeitungen, gab auch das Fernsehen der Bundesrepublik relativ weniger Raum als Großbritannien und Frankreich. In qualitativer Hinsicht tendierten die Fernsehstationen oftmals dazu, sensationelle Ereignisse in den Vordergrund zu stellen. Außerdem traten Westdeutsche nur selten in Erscheinung, um die Ansichten in ihrem eigenen Land zum Ausdruck zu bringen.
— In den nicht-kommerziellen Medien gab es eine ausgewogenere Darstellung der Bundesrepublik, mit gründlichen Berichten und gleicher Behandlung wie die anderen europäischen Verbündeten im Fernsehen und mit häufigen Gelegenheiten für Westdeutsche, im nicht-kommerziellen Rundfunk ihre Ansichten zu wichtigen Fragen direkt darzulegen. Die Kritiker gehen nicht davon aus, daß sich das US-Mediengefüge, wie es hier skizziert wurde, in naher Zukunft entscheidend verändern wird. Die TV-Stationen werden weiterhin auf Gewinn setzen, die nicht-kommerziellen Medien werden auf keine Goldminen für die Finanzierung einer Ausweitung stoßen, die Verkabelung der großen Städte wird langsam fortschreiten und die Zeitungen der Ost-küste quer über die 3 000 Meilen in Nordamerika relativ unbekannt bleiben. Zur gleichen Zeit wird die internationale politische Welt wahrscheinlich nicht einfacher, ebenso wenig wie das Bedürfnis besorgter Bürger nach ausgewogener Berichterstattung unwichtiger werden wird. Deswegen muß sich die Bundesrepublik, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, weitgehend auf ihre eigenen Kommunikationsanstrengungen verlassen, um Verständnis für ihre außenpolitischen Ziele bei den Amerikanern zu erreichen.
Während die Bundesrepublik Programme zur Intensivierung deutsch-amerikanischer Kontakte durchführt und Pläne zum Einstieg in den US-Kabelmarkt entwickelt, hat sie, wie schon gezeigt, mit der Deutschen Welle ein bereits verfügbares Instrument, ihre eigenen Standpunkte den amerikanischen Meinungsführern bekanntzumachen. Außerdem könnte dessen Effektivität mit verhältnismäßig geringen Kosten vergrößert werden.
Beispielsweise könnte die DW, wie die BBC, die VOA und andere Kurzwellenstationen, ihren Programmen mehr Sendezeit einräumen — es ist bedauerlich, daß die US-Hörer des englischsprachigen Programms auf einen 50-minütigen Block beschränkt sind, und zwar genau zu jener Abendstunde zwischen 8 und 9 Uhr (Ostküstenzeit), die in die beste Zeit (prime time) der inländischen Radiosendungen fällt. Wenige Hörer bringen die Energie und die Hingabe auf, den Schlaf bis nach Mitternacht zu opfern, um die Wiederholung des DW-Programms um 1 Uhr zu hören. Statt dessen könnte das „News and Views" -Programm der Bundesrepublik einfach vor Mitternacht wiederholt werden.
Ferner könnte auch das sehr reale Problem der DW, vielen an deutschen Geschehnissen interessierten Amerikanern unbekannt zu sein, verhältnismäßig einfach angegangen werden. So sind beispielsweise viele potentielle Hörer schon auf dem Verteiler des „German Information Center"; durch eine zusätzliche Broschüre könnten sie auf die DW als eine tägliche englischsprachige Informationsquelle hingewiesen werden, die die eigenen Standpunkte der Bundesrepublik reflektiert Darüber hinaus hätte eine vermehrte Zusammenarbeit der Korrespondenten der DW mit NPR bei der Berichterstattung vom Kontinent, wie es die Journalisten der BBC tun, die Wirkung, daß der „andere" große öffentliche Radiosender in Europa bekannter würde.
Vorausgesetzt, daß die quantitativen Probleme einer vergrößerten Zugänglichkeit der DW und der Verbreitung von Informationen über sie gelöst wären, bliebe als dauernde Herausforderung natürlich immer noch die Fortführung gehaltvoller Programme. Die in den letzten Jahren von der DW hinzugewonB nenen Hörer wurden u. a. durch die dargebotene Meinungsvielfalt angezogen. Anders als die VOA zum Beispiel ist die Deutsche Welle nicht verpflichtet, „die Politik der Regierung zu erläutern und für sie einzutreten" Statt dessen ist es, ähnlich wie bei der BBC, der Auftrag der DW als öffentlicher Anstalt, ein „umfassendes Deutschlandbild" und „die deutsche Auffassung zu wichtigen Fragen" darzustellen. Und das ist nicht, wie verantwortliche Vertreter der DW erklärt haben, so zu verstehen, daß die Meinung eines jeden Deutschen oder einer Mehrheit von ihnen oder ihrer Regierungsorgane oder Gruppen präsentiert würde. Es wird, obgleich all diese Stimmen relevant sind, die Auffassung vertreten: „Die Opinio Communis ist nichts anderes als der Zusammenfluß verschiedener deutscher Meinungen."
In den für die deutsch-amerikanischen Beziehungen entscheidenden Jahren, die vor uns liegen, sollte dieses Konzept beibehalten werden. Denn würden die Programme der DW in ihrer (Meinungs-) Vielfalt beschnitten, fänden sich die Meinungsführer in den USA genau an der Stelle wieder, wo sie jetzt sind — frustriert und besorgt über ihren Mangel an ausreichender aktueller Information aus der Sicht der Bundesrepublik als Ergänzung und Gegengewicht zur Berichterstattung der US-Medien.