Eine neue gesellschafts-und sozialpolitische Diskussion scheint anzustehen. Noch vereinzelt und mit nur rudimentär ausgearbeiteter Argumentation wird zur Lösung der aktuellen gesellschaftlichen Probleme im Umfeld der Ökologie-und Alternativbewegung ein Recht auf gesicherte finanzielle Existenz unabhängig von der Erwerbstätigkeit gefordert Eine derartige Forderung wird ab und zu auch im Umfeld der evangelischen Kirche und in der sozialpolitischen Diskussion erhoben
Verschiedene Problemlagen und Begründungszusammenhänge legen durchaus den ungewöhnlichen Gedanken an ein Recht auf Einkommen (RaE) nahe:
Das Problem von Armut und Elend in den reichen Industrienationen war selbst zu Zeiten relativ guter Konjunkturlage keineswegs gelöst. In der gegenwärtigen Situation der ökonomischen Krise verschärft es sich immer mehr. Heiner Geißler sprach bereits 1976 von „bitterer privater Armut“ in der Bundesrepublik Deutschland
Zum zweiten liegt der Gedanke an ein RaE nahe, wenn man sich die gegenwärtigen und vor allem die für die Zukunft geschätzten Arbeitslosenzahlen anschaut. Die Schätzungen reichen bis zu über 8 Millionen Arbeitslose für das Jahr 1990 Offenbar funktioniert der bisherige Tausch „Leistung gegen Geld“ als Existenzgrundlage nicht mehr: „Das gute alte Prinzip, daß, wer nicht arbeitet auch nicht essen solle, macht nur so lange Sinn, wie es genug Gelegenheit gibt, Lebensmittel durch Arbeit zu erwerben. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, so müssen die Erträge der Arbeit offenbar anders auf die Bedürfnisse der Bürger verteilt werden als durch den Tausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitseinkommen und die diesem Tausch nachgeschalteten Systeme von sozialer Sicherung und Familie.“ Verfolgt man diesen Gedanken weiter, so könnte sich damit gleichzeitig — bei einem entsprechend attraktiv ausgestalteten RaE — auf unbürokratische Weise eine gleichmäßigere Verteilung der knapper werdenden Arbeit im Erwerbsbereich ergeben. Eine derartige Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit ist bisher noch nicht diskutiert worden. Es beständen aufgrund der gesicherten ökonomischen Existenz auf reduziertem Niveau individuell viel mehr freie Wahlmöglichkeiten: entweder erwerbstätig zu sein oder nicht, sich weiterzubilden, Neues auszuprobieren, eine Weile Tätigkeiten nachzugehen, die nicht durch Lohn abgegolten werden etc. Eine Reihe von jetzt Erwerbstätigen würde dieses Angebot möglicherweise eine Zeitlang nutzen und damit Arbeitsplätze für jetzt Erwerbslose frei machen.
Einen dritten Problemkreis, der ebenfalls ein RaE als sinnvoll erscheinen läßt, haben vor allem die neuen sozialen Bewegungen in letzter Zeit thematisiert. Sie haben den Blick auf Arbeiten gelenkt, die gesellschaftlich sinnvoll und notwendig sind, den „Wohlstand der Nation“ erhöhen, gleichwohl aber nicht ökonomisch in Lohn oder Gehalt abgegolten werden. Solche Arbeiten sind etwa: Hausarbeit, Erziehung der eigenen Kinder, Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliche Tätigkei-ten, politisches und gesellschaftliches Engagement, soziale Selbsthilfe etwa zur Lösung psychischer und gesundheitlicher Probleme oder ähnliches. Nach einer französischen Untersuchung entfielen 1975 in Frankreich 43% der gesamten Stundenzahl, die die Bevölkerung mit Arbeit verbringt, auf die berufliche Erwerbstätigkeit — demgegenüber 57% auf die genannten nicht-marktvermittelte Tätigkeiten Wenn diese Arbeiten aber den Wohlstand der Gesellschaft erhöhen, ja für den Bestand der Gesellschaft unumgänglich notwendig sind, so erscheint es nicht mehr als recht und billig, wenn die Gesellschaft diesen . Arbeitern" auch einen Anspruch auf die über den Markt verteilten Güter gewährt. Da eine spezifizierte Bezahlung für bestimmte Tätigkeiten in diesem Bereich schwierig ist (Probleme der genauen Abgrenzbarkeit, der damit verbundenen bürokratischen Aufblähung, bzw.der Möglichkeit behördlicher Willkür etc.), liegt der Gedanke an eine pauschale egalitäre Bezahlung durch die Gesellschaft mit einer Art Grundlohn nahe.
I . Zur bisherigen Diskussion um ein „Recht auf Einkommen"
Unter RaE soll hier das Recht aller Mitglieder der Gesellschaft auf eine gesicherte ökonomische Existenz auf reduziertem Niveau unabhängig vom individuellen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden werden. Die Betonung liegt dabei auf „Recht". RaE ist kein durch bürokratische Logik gefiltertes, erbetteltes Almosen. Arbeit im Erwerbssektor würde dann freiwillig, ohne den existentiellen Zwang des ökonomischen überlebens geleistet werden.
Diese Definition unterscheidet sich erheblich von den bisherigen Vorstellungen, die in Richtung eines RaE wiesen, und die im folgenden unter diesem Aspekt diskutiert werden sollen.
Der Tatsache, daß irgend jemand den gesellschaftlichen Reichtum produzieren muß, wurde bisher in der realen Entwicklung wie auch theoretisch, im Kapitalismus wie im Sozialismus, durch die Methode des Zwangs — administrativ oder durch den strukturellen Zwang der Verhältnisse — in der einen oder anderen Form Rechnung getragen.
Das Recht auf eine gesicherte ökonomische Existenz ohne den Zwang, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten, besaßen in der bisherigen Geschichte immer nur wenige — entweder durch die mit der Geburt verbundene Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie, wie der Adel im Feudalismus, oder durch umfänglichen Kapitalbesitz in der gegenwärtigen Gesellschaft. Und dies war nicht nur das Recht auf ökonomische Existenz, sondern oft das Recht, in großem Luxus zu leben: Voraussetzung dafür war und ist jedoch, daß durch verschiedene ökonomische oder gesellschaftliche Mechanismen andere Teile der Gesellschaft zur Arbeit gezwungen werden — und trotzdem davon häufig kaum leben können.
Im Sozialismus/Kommunismus gibt es theoretisch wie praktisch keine arbeitslosen Einkommen In einer grundsätzlich umgestalteten Wirtschaft soll das Recht auf gesicherte ökonomische Existenz durch das Recht auf Arbeit gewährleistet sein, wobei das Recht auf Arbeit eng verbunden ist mit der Pflicht zur Arbeit — wie heute etwa in der DDR
Allerdings findet sich bei Marx konzeptionell eine wichtige Parallele zu der hier vorgetragenen Vorstellung eines RaE -Durch die Entwicklung der Produktivkräfte soll es seiner Vorstellung nach nicht nur zur Vermehrung des realen Reichtums für alle kommen, sondern vor allem zur Ausweitung der „disposable time”, der „freien Zeit — die sowohl Mußezeit als Zeit für höhere Tätigkeit ist". Die „disposable time" ist dann „daß Maß des Reichtums" einer Nation, und sie macht „die Zeit aller frei für ihre eigene Entwicklung", für „die volle Entwicklung des Individuums". Die freie Zeit verwandelt „ihren Besitzer natürlich in ein anderes Subjekt", und als solches tritt er dann wieder in den unmittelbaren Produkti-onsprozeß, wirkt als voll entwickeltes Individuum und damit als „größte Produktivkraft" zurück „auf die Produktivkraft der Arbeit" Eine eher witzige Variante der traditionellen sozialistisch/kommunistischen Strategie der Verkürzung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit — die von einer Luxuskritik ausgehende Diskussion vorwegnehmend — präsentiert Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, in seinem „Recht auf Faulheit“. Er kritisiert die . Arbeitssucht", die „in den Arbeitern eingewurzelt ist“, und will die Arbeiter „zwingen" (also auch hier das Moment des Zwangs), sich täglich mit fünf oder sechs Stunden Arbeit zu begnügen. „Dann werden die Arbeiter nicht mehr miteinander eifersüchteln, sich nicht mehr die Arbeit aus der Hand und das Brot vom Mund wegreißen, dann werden sie, nicht mehr an Leib und Seele erschöpft, anfangen, die Tugenden der Faulheit zu üben."
Eher in Richtung auf ein RaE weisen bestimmte Elemente der Sozialstaatlichkeit im Kapitalismus, wie etwa Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe Diese entfalten allerdings gegenwärtig keineswegs die produktiven Potenzen der „disposable time", und zwar u. a.deshalb nicht, weil Erwerbslosigkeit noch Makel ist und als solcher empfunden wird, weil die Fähigkeiten zur selbsttätigen Entfaltung völlig ungenügend entwickelt und die Normensysteme noch zu sehr dem Bestehenden verhaftet sind.
Das Prinzip der Sozialstaatlichkeit geht u. a. davon aus, daß die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus immer wieder zur Arbeitslosigkeit führt, die dem einzelnen Betroffenen nicht angelastet werden kann, er deshalb Anspruch auf Versorgung hat Diesen Anspruch besitzt er jedoch nur solange, wie sich keine Arbeit für ihn findet. Er selbst ist gezwungen, sich permanent für den Arbeitsmarkt verfügbar zu halten bzw.seine Arbeitskraft anzubieten. „Wer sich weigert, zumut-bare Arbeit zu leisten, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt", heißt es etwa im Bundessozialhilfegesetz — also auch hier das Moment des Zwangs.
Zur Rechtfertigung des Zwangs zur Arbeit wird häufig argumentiert, Arbeit sei wichtig zur Strukturierung und Sinngebung des Lebens, da die Menschen sonst verkommen würden. Man verweist z. B. auf das Speenhamland-System der Armenhilfe zwischen 1795 und 1834 in England, das die Armen angeblich völlig demoralisierte Erst die Abschaffung dieses leistungsunabhängigen, am Brotpreis orientierten Unterstützungssystems und die Schaffung eines freien Arbeitsmarktes hätten die Probleme beseitigt.
Ob die Situation der Arbeiter anschließend im Frühkapitalismus wirklich besser war, sei dahingestellt Vor allem aber hatte die Demoralisierung und Verkommenheit der damaligen Armen ihre Ursache nicht in dem Unterstützungssystem, das nur versuchte, mit unzureichenden Mitteln die ohnehin vorhandenen Probleme der Armut zu mildern. Die Ursachen dafür sind eher zu suchen in der sozialen Entwurzelung großer Teile der ländlichen Bevölkerung durch die vorhergehende Revolution in der Landwirtschaft, d. h.der Vertreibung der Kleinbauern von ihrem Land, und der „Einfriedung“, d. h.der Privatisierung des Gemeindelandes und der Schaffung von Großgrundbesitz
Ein zentrales Problem wird aber am Beispiel des Speenhamland-Systems deutlich: Ein garantiertes Recht auf Lebensunterhalt allein löst keineswegs alle sozialen Probleme.
In allen theoretischen Konzeptionen und politischen Zielvorstellungen, die einer Diskussion um ein RaE zugerechnet werden können, wird ebenfalls mit dem Mittel des Zwangs — administrativ hergestellt oder strukturell erzeugt — gearbeitet, um die Produktion des gesellschaftlichen Grundbedarfs zu sichern. Der Gedanke, ob derartiges nicht ausgehend vom Prinzip der Freiwilligkeit gewährleistet werden könnte, wird kaum erwogen. Ein bedürfniskritischer Strang dieser Diskussion unterteilt die gesellschaftliche Produktion — anknüpfend an die Diskussionen zu den Kategorien „produktiv" und „unproduktiv" in der Ökonomie — in eine für den täglichen Bedarf oder auch das Existenzminimum und eine zur Herstellung von Luxusgütern. Im Gefolge der wirtschaftsethischen Luxus-kritik der Historischen Schule entwickelte Popper-Lynkeus seine Idee der „allgemeinen Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“ Der Staat soll einen volkswirtschaftlichen Sektor für den allgemeinen Grundbedarf organisieren. Alle Mitglieder der Gesellschaft sind gezwungen, nach dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht eine bestimmte Anzahl von Jahren in diesem Sektor zu arbeiten. Damit erwerben sie den Anspruch, während ihres gesamten Lebens auf reduziertem Niveau versorgt zu sein. Darüber hinaus kann jeder frei über seine Zeit verfügen, vor allem kann er im weiterexistierenden privat-kapitalistischen Sektor arbeiten und sich damit Ansprüche auf den Erwerb von Luxusgütern verschaffen. Anhänger dieser Idee gründeten 1918 den Verein „Allgemeine Nährpflicht", dem 1920 über tausend Mitglieder angehörten und der eine beachtliche Aktivität entwickelte, die u. a. bis Australien ausstrahlte
Vor dem Hintergrund der konsum-und wachstumskritischen Diskussion seit Ende der sechziger Jahre entwickelte Adler-Karlsson eine ähnliche Idee Auch er besteht auf der Arbeitspflicht in einem staatlich organisierten volkswirtschaftlichen Sektor. Je nach Höhe des Grundeinkommens und je nach Länge der täglichen Arbeitszeit in diesem Sektor kommt Adler-Karlsson in einer Alternativrechnung zu einer Lebensarbeitspflicht von zehn bis 16 Jahren. Das Konzept ist allerdings u. a. unter folgenden Aspekten außerordentlich problematisch:
— Der starke administrative Zug in dem bürokratisch organisierten Grundbedarfssektor erinnert eher an den nationalsozialistischen Arbeitsdienst
— Das Problem der gesellschaftlich wichtigen und notwendigen Arbeit im informellen Sektor wird nicht thematisiert und gelöst.
— Das gesamte kapitalistische Wachstums-und Zivilisationsmodell mit allen Folgen etwa in bezug auf die Ökologie wird nicht in Frage gestellt. Ausgangspunkt der Kritik ist nur der individuelle Überkonsum bzw. die Bedürfnis-manipulation in diesem Bereich.
Abgesehen von dieser Kritik setzt die Konstruktion eines derartigen volkswirtschaftlichen Sektors so weitreichende Umstrukturierungen der gesellschaftlichen Produktion und ein derart dirigistisches administratives Eingreifen in den gesamten Wirtschaftsprozeß voraus, daß es letztlich inkompatibel mit der kapitalistischen Wirtschaftsform ist — und von daher in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar erscheint.
Eine umfangreiche Diskussion zu einem RaE wird schließlich unter verschiedenen Begriffen wie Social Credit, Sozialdividende, Teilhabersteuer, Staatsbürgergeld, National Dividend, Negative Einkommensteuer oder Credit Income Tax im liberalen und konservativen bzw. neo-konservativen Lager geführt. Diese Diskussionen gehen in ihrem Ursprung auf die Vorschläge von Douglas und Hattersley zu Beginn der zwanziger Jahre zurück
Die Probleme der Arbeitslosigkeit, die sie in Überproduktion, Automation und dem Über-gang von der Kriegs-zur Friedensproduktion begründet sahen, wollten sie über einen „community's credit“ für jedermann lösen. Finanziert werden sollte dies offensichtlich durch eine Geldschöpfung der Regierung. Ähnlich wie im Gefolge der Vorschläge von Popper-Lynkeus bildete sich eine Bewegung zur Durchsetzung dieser Vorstellungen, das „Social Credit Movement", das bis nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv war und durchaus einigen politischen Einfluß u. a. in Kanada und Neuseeland erlangte.
An dieser Stelle kann nicht auf die Einzelheiten der verschiedenen Vorschläge eingegangen werden. Grob lassen sich die Nationaldividende und die negative Einkommensteuer unterscheiden. Nach dem Konzept der Nationaldividende bekommt jedes Mitglied der Gesellschaft, unabhängig davon, wie hoch sonst sein Einkommen ist, einen Grundbetrag vom Staat zur Verfügung gestellt, der eine Art Wohlfahrtsbasis garantieren soll Da ihn alle bekommen, wird dies natürlich sehr teuer, obwohl der Grundbetrag in den verschiedenen Modellrechnungen keineswegs zum Leben ausreicht Daß zur Finanzierung alle bisherigen Ausgaben des Sozialstaates herangezogen würden, macht derartige Modelle für Wirtschaftsliberale interessant denn dann gewänne etwa wegen des geringen Grundbetrages die private Vorsorge für Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit etc. wieder an Relevanz
Theoretisch steht hinter dem Konzept der Nationaldividende die Idee der „gleichen Grundausstattung" für alle Marktteilnehmer, die Voraussetzung für das möglichst ungehemmte Wirken der Marktkräfte und dem daraus angeblich folgenden gesamtgesellschaftlich wohlstandsoptimalen Gleichgewicht sei.
Verteilungspolitisch bedeuten derartige Vorschläge eine rigide Umverteilung der Einkommen von unten nach oben. Die unteren Einkommensschichten stünden sich wegen des relativ geringen Betrages der Nationaldividende sehr viel schlechter, da alle bisheri-gen Ausgaben des Sozialstaates wegfielen. Diese bisherigen Ausgaben würden u. a, dazu verwandt, den oberen Einkommensschichten — entsprechend dem Konzept der gleichen Grundausstattung — einen zusätzlichen Betrag, die Nationaldividende, zukommen zu lassen.
Geht es im Konzept der Nationaldividende nicht einmal dem Anspruch nach um Armutshilfe, so tritt das Konzept der negativen Einkommensteuer zumindest ideologisch mit diesem Anspruch auf. Ausgangspunkt dabei ist die Kritik an den beträchtlichen Verwaltungskosten des Sozialstaates Milton Friedman etwa meint, daß es in den USA keine Armut mehr gäbe, wenn die staatlichen Kosten des „Krieges gegen die Armut" direkt an die Bedürftigen ausgezahlt würden — z. B. über eine negative Einkommensteuer Die vordergründige Plausibilität dieser Argumentation entlarvt sich jedoch sehr schnell, wenn man sich die Zahlen des Friedman-Plans anschaut. Danach soll eine vierköpfige Familie als Wohlfahrtsbasis 125 Dollar pro Monat erhalten ein Betrag, der weit unter der offiziellen Armutsgrenze liegt.
Dieses Konzept geht zurück auf die Idee einer Social Dividend von Lady Rhys-Williams (1942) einem Mitglied der britischen liberalen Partei. Die Idee wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Amerika begeistert von einem Teil der Ökonomen, insbesondere Milton Friedman, aufgenommen und zum Konzept der Negativen Einkommensteuer weiterentwickelt
Das komplizierte System von sozialstaatlichen Zuwendungen soll durch ein Mindesteinkommen ersetzt werden, das jeder automatisch erhält, der über kein Arbeitseinkommen verfügt (also nicht alle Mitglieder der Gesellschaft wie im Konzept der Nationaldividende). Wird ein geringes Arbeitseinkommen erzielt, verringert sich die staatliche Zuwendung sukzessive, aber so, daß das insgesamt aus Arbeitstätigkeit und negativer Steuer erhaltene verfügbare Einkommen trotzdem steigt, bis man von einer bestimmten Höhe des Arbeitseinkommens an beginnt, positive Steuern nach dem bekannten Prinzip zu bezahlen. Die Verfechter des Konzepts versprechen sich davon u. a. eine sozialpolitische Vereinfachung, einen Freiheitsgewinn für die Betroffenen und eine erhebliche Senkung der Verwaltungskosten
In den USA wurde dieses Konzept im Gefolge der Slumunruhen und der „Krise der Großstädte" gegen Ende der sechziger Jahre als Mittel im „Krieg gegen die Armut“ propagiert Über 1 000 Ökonomen unterzeichneten 1968 eine in diese Richtung zielende Resolution an den amerikanischen Kongreß und ein entsprechender Vorschlag der Nixon-Administration scheiterte nur knapp In den Jahren 1968 bis 1976 gab es zu dem Konzept vier großangelegte empirische Versuche, um die Wirkung der Negativen Einkommensteuer zu testen
In allen Vorschlägen, theoretischen Modellen und empirischen Versuchen wird aber das Mindesteinkommen so niedrig angesetzt, daß die Armut damit keineswegs beseitigt wäre, ja sich durch den Wegfall der anderen sozial-staatlichen Leistungen eher noch verschärfte. Die Beseitigung der Armut ist aber auch gar nicht das eigentliche Ziel dieser Vorschläge, selbst wenn sie es suggerieren. Das primäre Ziel ist die Schaffung eines strukturellen Zwangs zur Erhöhung des Arbeitsangebotes für die schlecht bezahlten und stark belastenden Tätigkeiten, die selbst im gegenwärtigen System niemand annimmt was aber im Rahmen des neuen Konzepts „ökonomisch“ wäre. Gleichzeitig ergäbe sich auf der Grundlage des allgemeinen Mindesteinkommens die Möglichkeit für Lohnsenkungen und damit Kostenentlastungen der Unternehmer Das RaE, wie es mit den bisherigen Vorschlägen zur Negativen Einkommensteuer angestrebt wird, ist also erheblich mit einem Zwang zur Arbeit verbunden, ja sogar mit einer Steigerung des Zwangs, schlecht bezahlt und unter üblen Bedingungen zu arbeiten.
Insgesamt laufen diese konservativen bzw. neokonservativen Vorschläge zur Schaffung einer Negativen Einkommensteuer darauf hinaus, alle bisherigen sozialstaatlichen Ausgaben — über den „Vermittlungsschritt“, die Löhne mit Hinweis auf das RaE leichter senken zu können — den Unternehmern als Subvention zur Verbilligung ihrer Lohn-und Gehaltszahlungen zukommen zu lassen, wobei im blinden Vertrauen auf die Marktgesetze gehofft wird, daß sich dann Vollbeschäftigung einstellt, denn allein von dem Mindestbetrag, der den konservativen Vorschlägen zugrunde liegt, kann niemandüberleben.
Ebenfalls in Richtung auf ein RaE weisen Vorschläge zur Lösung der EG-Agrarmisere. Das Dilemma landwirtschaftlicher Überproduktion, der Vernichtung von Lebensmitteln und des sich immer weiter erhöhenden Finanzierungsbedarfs zur Durchführung der Markt-und Preispolitik ist bekannt. Durch die weitgehende Aufgabe der Agrarpreisstützungspolitik und eine Annäherung des Agrarpreisniveaus an das Weltmarktpreisniveau soll der notwendige Agrarstrukturwandel beschleunigt werden. Die damit verbundenen Einkommensverluste landwirtschaftlicher Haushalte sollen durch direkte Transferzahlungen ausgeglichen werden. Nach einer Modellrechnung für die Bundesrepublik 1978 würden „selbst bei pessimistischen Annahmen" bei der Aufgabe der Preisstützung Mittel in Höhe von 3, 99 Milliarden DM eingespart, die ausreichen würden, um in der Bundesrepublik Deutschland rund 315 000 landwirtschaftlichen Haushalten jährlich nach dem Sozialhilfeprinzip 12 660 DM zu zahlen Ob die gewünschten agrarpolitischen Ziele damit wirklich erreicht würden, sei dahingestellt Ganz sicher allerdings würde damit keineswegs die notwendige Umstrukturierung in Richtung auf eine ökologischere Landwirtschaft gefördert. Die gesellschaftspolitische Zielrichtung derartiger Vorschläge wird aber besonders an folgendem deutlich: „Es wird (...) für zumutbar angesehen, daß zunächst eventuell vorhandenes Vermögen zu veräußern bzw. zu beleihen ist, ehe Transfer-zahlungen gewährt werden" Die Bauern sollen also ihr Land erst beleihen und dann verkaufen. Dieses im Rahmen der EG-Landwirtschaftsdiskussion vorgeschlagene RaE, das zur Abfederung der einkommenspolitischen Konsequenzen des neokonservativen Vertrauens auf das möglichst freie Wirken der Marktgesetze vorgeschlagen wird, ist also eher als „Recht“ auf Enteignung und Verarmung eines Teils der Bauern anzusehen.
II. Zur neuen Diskussion um ein „Recht auf Einkommen“
Dieser Überblick über die bisherige Diskussion zum RaE bliebe unvollständig, ginge man nicht noch kurz auf die neuen, tastenden Argumentationsversuche im Umfeld der Ökologie-und Alternativbewegung ein.
Man sollte es kaum für möglich halten, wie weitgehend identisch bzw. eng verhaftet ein Teil dieser Vorstellungen den neokonservativen Vorstellungen ist. Die ökologische Partei in England schlägt etwa vor, „alle Leistungen zur sozialen Sicherung und alle Steuerfreibeträge durch eine einzige automatische Zahlung an jeden zu ersetzen"
Die vorgeschlagene Höhe dieser Nationaldividende liegt etwa im Bereich des englischen Sozialhilfesatzes der damit — problematisch genug — als ausreichend für ein „menschenwürdiges Leben“ angesehen wird. Gleichzeitig fielen jedoch Sozialstaatsleistungen weg wie etwa „Arbeitslosenunterstüt-zung, Leistungen bei Krankheit und Invalidität, Miet-und Gebührenerstattungen (für Strom, Gas, Wasser etc.), freie Schulmahlzeiten, Zuwendungen für Kleidung, Ergänzungen zum Familieneinkommen“ etc. „Renten, Pensionen und Kindergeld würden ebenfalls stufenweise abgebaut“ (!)
Sehr viele Menschen stünden sich also im Modell der englischen Ökologen sehr viel schlechter als im bestehenden englischen System der Sozialstaatlichkeit, während umgekehrt die höheren Einkommensschichten — da ja jeder in der Gesellschaft die Nationaldividende erhielte — einen Zugewinn erhielten. Dieser Umverteilungseffekt von unten nach oben würde noch dadurch verstärkt, daß zur Finanzierung dieses Modells u. a. die indirekten Steuern erhöht werden sollen Die „heimlichen“ Ziele der konservativen Vorschläge zu einem RaE, nämlich das Arbeitsangebot für schlecht bezahlte und stark belastende Tätigkeiten zu erhöhen und einen Großteil der bisherigen sozialstaatlichen Ausgaben den Unternehmern faktisch als Subvention zur Verbilligung ihrer Lohn-und Gehaltszahlungen zukommen zu lassen, sprechen die englischen Ökologen offen aus: Die Nationaldividende würde den Arbeitsanreiz wieder einführen, „den der Wohlfahrtsstaat beseitigt hat“. Und „Unternehmer könnten mehr Arbeiter bei gleichen Lohnkosten einstellen. Geringe Bezahlung würde weniger unakzeptabel sein, weil es besser sein würde, seine Nationaldividende mit einem geringen Lohn zu erhöhen, als sie mit gar keinem Lohn zu erhöhen" Damit soll die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Wie jedoch z. B. ein allein-stehender Erwachsener von 80 £pro Monat plus etwa 11 £Mietkostenzuschuß (= 364, — DM) leben soll, wenn er trotzdem keine Arbeit findet, reflektieren die englischen Ökologen nicht. Im übrigen dürfte ein derartiger Vorschlag die Unternehmen kaum zu einem ökologisch verantwortungsvolleren Handeln anhalten.
Sozialpolitisch ähnlich katastrophal wie die englischen Ökologen — wenn auch etwas vorsichtiger — argumentiert Klaus Gretschmann. Er kritisiert zwar durchaus differenziert und diskussionswürdig die traditionelle Strategie eines Rechts auf Arbeit und kommt zu dem Ergebnis: . Angesichts der marktwirtschaftlichen Unfähigkeit, aber auch der gesellschaftspolitischen Fragwürdigkeit, ausreichend traditionelle Arbeitsplätze zu schaffen, wird die Idee eines Rechts jedermanns auf ein garantiertes Einkommen zur bestandsträchtigen Funktionsnotwendigkeit von Gesellschaft und gleichzeitig — chancenreich — zu einem wirtschaftsreformpolitischen Hebel sozialer und ökonomischer Veränderungen."
Der Teufel steckt jedoch — wie bei allen solchen Vorschlägen — im Detail. Gretschmann geht „in einem Gedankenexperiment“ — wie übrigens auch der evangelische Sozialethiker Yorik Spiegel — von einer Sozialdividende in Höhe von 500, — DM monatlich für jeden Deutschen über 14 Jahre aus. Dies ist weniger, als etwa Heiner Geißler schon 1976 als Armutsgrenze für einen Ein-Personen-Haushalt annahm
Finanziert werden könnten die entsprechenden Kosten in Höhe von 300 Mrd. DM seines Erachtens — ähnlich wie es die englischen Ökologen vorschlagen — im wesentlichen „aus der bereits über den Staat umverteilten Masse“ Da auch die Bezieher hoher Einkommen in den Genuß der Sozialdividende kommen, impliziert das eine rigide Umverteilung von unten nach oben. Langfristig schlägt Gretschmann in Anlehnung an Popper-Lynkeus eine Art Arbeitsdienst zur Deckung des Grundbedarfs der Gesellschaft vor Auf die Nähe der Vorschläge Popper-Lynkeus'zum nationalsozialistischen Arbeitsdienst ist bereits verwiesen worden.
Für Michael Opielka wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion der Grünen im Bundestag, wäre ein RaE „der sozialpolitische Ausdruck der überfälligen Abkoppelung von Arbeit und Einkommen". Aufgrund der „höchstgradig arbeitsteiligen und technologisierten Produktionsweise" könne der individuelle Beitrag zur Wertschöpfung der Wirtschaft nur schwer zugerechnet werden. Weiterhin wäre es nur konsequent, wenn die Gesellschaft jedem Mitglied das Recht auf (Uber-) Leben einräumt, „ohne Ansehen der Person (...) die materielle Lebensgarantie zu geben“.
Auf diesem Hintergrund schlägt er ein generöseres Modell einer Sozialdividende vor (600, — DM monatlich + Wohngeld für jeden, 400, — DM für Kinder, garantierte Mindestrente: 1 200, — DM). Die bisher geäußerte grundsätzliche Kritik an den Sozialdividende-Vorstellungen gilt für ihn nicht — oder nur begrenzt. Bei Erwerbstätigen will er „durch eine früher einsetzende Steuerprogression“ den Betrag wieder abschöpfen und die bisherigen Sozialstaatsausgaben stellt er auch nicht zur Disposition. Aber er sagt leider überhaupt nichts zur Finanzierungsproblematik der immensen Kosten seines Vorschlages.
Nach Joseph Huber könnte ein RaE „dazu beitragen, die Arbeitsmarktlage und soziale Spannungen zu entschärfen" Es hätte seine Funktion vor allem als eine Art „Grundfinanzierung" der Arbeiten im informellen Sektor Das garantierte Einkommen müsse aber auf jeden Fall niedriger sein als das niedrigste Tarifgehalt Damit räumt er unkritisch der ungebrochenen Weiterentwicklung des traditionellen Erwerbssektors Priorität ein. Ansonsten hat er anscheinend einen Lernprozeß durchlaufen. Nahm er 1982 noch die Finanzierung eines RaE unter Hinweis auf die oben dargestellte, ausgesprochen problematische Argumentation der englischen Ökologen für gegeben an so ist er jetzt vorsichtiger geworden. Neuerdings meint er, ein garantiertes Einkommen dürfe die wichtigsten herkömmlichen Systeme sozialer Sicherung nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen Ähnlich wie Gerhardt/Weber entwickelt Joseph Huber ein harmonistisches Bild. Er meint, ein RaE läge „jenseits politischer oder weltanschaulicher Vorlieben im allgemeinen Interesse" Ein garantiertes Mindesteinkommen — so Gerhardt/Weber — müßten eigentlich alle wollen, da es allen nur Vorteile bringen würde: dem Staat, den Unternehmen, den Gewerkschaften, den Parteien, der Ökologiebewegung und Arbeitslosen Hier werden in unzulässiger Weise gesellschaftliche Interessengegensätze vertuscht. Entweder haben die Unternehmer ein Interesse an einem RaE (in der neokonservativen Version) oder aber die abhängig Beschäftigten, wenn der Arbeitszwang vermindert würde und sich damit ihre Position bei Konflikten verbessern würde.
Gerhardt/Weber entwickeln allerdings ein Konzept der negativen Einkommensteuer, das an einer Grenze liegt, bei dem das Mindesteinkommen so hoch (800, — DM monatlich) angesetzt ist das davon nicht in dem gleichen Maße wie bei den neokonservativen Modellen ein struktureller Arbeitszwang ausgeht. Weshalb sie aber eigentlich von nur 5 Mill, empfangsberechtigten Bundesbürgern ausgehen, bleibt unklar. Und ihr Finanzierungsmodell der Umverteilung von Sozialhilfe, Kindergeld, Arbeitslosenhilfe etc. dürfte analog den neokonservativen Modellen viele schlechter stellen als im gegenwärtigen System sozialer Sicherheit. Das wird im übrigen schon an der angenommenen Höhe des Mindesteinkommens deutlich. Eine Familie mit zwei Kindern hat bei einer Miete von 505, — DM nach den gegenwärtigen Regelungen Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe von 1 783, — DM Im Modell von Gerhardt/Weber erhielte sie jedoch bestenfalls 1 600, — DM.
Bei der Analyse der Arbeitsmarktreaktionen stellen sie die Ergebnisse der ausgesprochen problematischen amerikanischen Versuche (darauf wird weiter unten eingegangen) sehr stark in den Vordergrund, wonach sich die Nachfrage nach Arbeit nur geringfügig vermindern würde — vermutlich um das Konzept den Unternehmern schmackhaft zu machen.
Demgegenüber dürfte die Einschätzung, daß es bei einem RaE in akzeptabler Höhe zu weitreichenden Veränderungen des Arbeits-angebotes kommt, realistischer sein. Im folgenden soll u. a. gezeigt werden, daß dies unter bestimmten Kriterien auch durchaus wünschenswert ist.
Claus Offe analysiert die vorhandenen Konzepte zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit mit dem Ergebnis, daß . Auswege, wie man . arbeiten'und von seiner Arbeit auch . leben könnte (für alle), nicht zur Verfügung stehen". Vorsichtig deutet er einen „dritten Weg“ zur Lösung des Arbeitsmarktproblems an: „eine egalitäre materielle Grundsicherung, die den Status eines Bürgerrechts“ hätte. Er bezweifelt jedoch die Finanzierbarkeit und fragt sich zu Recht, ob mit der „Brachlegung" von Arbeitskraft nicht das menschliche Bedürfnis nach sinnvoller Tätigkeit verletzt wäre. Seine Andeutungen der Lösung des Problems in Richtung Eigenarbeit und partieller Selbstversorgung der Haushalte zielen anscheinend in die gleiche Richtung wie Johannes Bergers Argumentation Diesem geht es um eine „partielle Abkoppelung der Lebensführung von Arbeits-unc Warenmärkten"; u. a. mit Hilfe eines garantierten Mindesteinkommens soll „eine Umkehr jener Entwicklung“ eingeleitet werden, „die faktisch zur Abhängigkeit der Mehrheit der Bevölkerung vom Arbeitsmarktgeschehen geführt hat" Implizit steckt in diesem Modell ein partieller Zwang zur Eigenarbeit zwecks Selbstversorgung, der wenig mit „Befreiung“ und viel mit neuer Armut und Dualisierung der Gesellschaft zu tun hat.
Andr Gorz definiert das RaE als das Recht jedes Bürgers, „auf sein ganzes Leben verteilt das Produkt des nicht weiter reduzierbaren Quantums an gesellschaftlich notwendiger Arbeit zu erhalten, die er im Lauf seines Lebens zu erbringen hat“. Dieses Quantum soll etwa 20 000 Stunden pro Leben betragen oder „zehn Jahre Vollarbeitszeit oder zwanzig Jahre Teilzeitarbeitszeit oder — weit plausibler — vierzig Jahre unregelmäßige Arbeit, wobei Halbzeitperioden, Urlaubsperioden oder Perioden unbezahlter autonomer Tätigkeit oder unbezahlter Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft usw. einander abwechseln“ Es ist jedoch unklar, nach welchem Prinzip die 20 000 Stunden Lebensarbeitszeit verteilt werden sollen, vor allem, ob dies mit der einen oder anderen Form von Zwang geschehen soll oder auf der Grundlage von Freiwilligkeit, wie sich hie und da andeutet
Und unrealistisch ist Gorz'Vorstellung, das RaE über eine Besteuerung der automatisierten Produktion zu bezahlen.
Albert Hofmann und Stephan Leibfried schlagen aufbauend auf einer Kritik der Regelsatzformel in der Sozialhilfe ebenfalls eine Art RaE vor. Der einfache Regelsatz könnte ihres Erachtens z. B. „ 80% des gesellschaftlichen Durchschnittslohns aller alleinstehenden Arbeiter/Angestellten betragen“. Wenn man sich dann noch die Arbeitserzwingungsmechanismen in der Sozialhilfe „hinwegdenkt“, wäre „effektiv ein Recht auf angemessene, selbst definierte Arbeit statuiert“ Leider reflektieren sie die Problematik nicht intensiver. In keinem der vorgenannten Modelle und RaE-Konzepte ist also der Zwang zur Erwerbstätigkeit eliminiert worden, und erst in jüngster Zeit kommen unter dem Eindruck der zunehmenden Arbeitslosigkeit aus dem Umfeld der Ökologie-und Alternativbewegung Vorschläge, die dem Anspruch nach partiell dem Prinzip der Freiwilligkeit zur werbstätigkeit Rechnung tragen. Dort wo diese Vorstellungen konkretere Gestalt annehmen, wird jedoch deutlich, wie eng sie der Logik neokonservativer Modelle der Sozialdividende und der Negativen Einkommensteuer verhaftet sind, sie also dem geäußerten Anspruch gar nicht gerecht werden können. Das garantierte Mindesteinkommen in den verschiedenen Modellen ist immer noch niedriger als das Anspruchsniveau, das selbst im gegenwärtigen, dauernd beschnittenen System sozialer Sicherheit besteht. Das dürfte u. a. mit den immensen Kosten derartiger Modelle Zusammenhängen (z. B. schon 300 Mrd. DM bei 500, — DM Sozialdividende). Auch der großzügige Vorschlag von Michael Opielka, der bezeichnenderweise kein Wort über die Finanzierung verliert, dürfte — falls er reformpraktisch relevant würde — dieser Logik erliegen. „Machbar“ wäre ein solcher Vorschlag nur bei einer sehr viel geringeren Sozialdividende, die sich vermutlich im Prozeß der politischen Durchsetzung dann auch ergeben würde.
Liegt das garantierte Mindesteinkommen aber noch unterhalb der gegenwärtigen Sozialhilfeansprüche, so daß man nicht davon leben kann, entspräche der Effekt einem der „heimlichen Ziele" der neokonservativen Modelle, nämlich: das Arbeitsangebot für die schlecht bezahlten und belastenden Tätigkeiten zu erhöhen. Die freie Wahl zwischen „Schornstein und Surfbrett" (Gretschmann), die Freiwilligkeit zur Erwerbstätigkeit wäre somit nichts als Ideologie.
Gleichzeitig käme es — wenn die bisherigen Sozialstaatsausgaben zur Finanzierung herangezogen werden — zu erheblichen Umverteilungseffekten von unten nach oben. Faktisch weisen ein Teil der aus dem Umfeld der Ökologie-und Alternativbewegung kommenden Vorschläge zu einem RaE, soweit sie konkretere Gestalt angenommen haben, in die Richtung der gegenwärtig in der CDU und der FDP diskutierten Strategie einer „Deckelung“ des Sozialsystems. Danach soll nur noch die „Grundversorgung", das „sozialkulturelle Existenzminimum" sozialstaatlich gewährleistet werden, weitergehende Ansprüche sollen nur durch Eigeninitiative, d. h. durch private Vorsorge erworben werden können
Will man den aufgezeigten Gefahren, die in den bisherigen Modellen des RaE stecken, entgehen und ein RaE installieren, das wirklich das Prinzip der Freiwilligkeit zur Erwerbstätigkeit gewährleistet und das gleichzeitig von der Finanzierungsseite her als „machbar" erscheint, so wäre das am ehesten durch eine Strategie der „Sockelung" bisheriger Sozialstaatlichkeit zu erreichen. Eine derartige „Sockelung" wird ansatzweise bereits von Hofmann/Leibfried (s. o.) oder etwa der Redaktion der Zeitschrift „Widersprüche" als „Soziale Garantie" gefordert aber die Autoren kommen defensiv, in Abwehr gegenwärtiger Entwicklungen, zu ihren Forderungen. Ihnen fehlt die offensiv gewandte utopische Dimension, die den bisherigen Vorschlägen eines RaE eine so große Resonanz verschafft, auch wenn sie in der konkreten Ausgestal-tung — wie aufgezeigt — ihre Utopie gerade nicht einlösen. Ohne utopische Idee 74a) wird es aber keine soziale Bewegung geben, die eine „Sockelung" bisheriger Sozialstaatlichkeit durchsetzen könnte. Die offensive Propagierung des Prinzips der „Freiwilligkeit zur Erwerbstätigkeit“ könnte diese utopische Dimension erschließen, die es dann — als Gegenpol zu der immer mehr in den Blickpunkt geratenden Idee eines Arbeitsdienstes — ermöglichen würde, konkrete Schritte zur „Sokkelung" des Sozialsystems durchzusetzen.
III. Zur Ausgestaltung und Finanzierung eines „Rechtes auf Einkommen"
Wie könnte nun solch eine „Sockelung“ des vorhandenen Sozialsystems, die in die Richtung der „Freiwilligkeit zur Erwerbstätigkeit“ weist, aussehen? Es können an dieser Stelle natürlich nur einige Grundprinzipien benannt werden.
Zunächst müßte bei der Ausgestaltung des RaE die Betonung auf „Recht“ liegen. Zwar wurde als wesentliches Fortschrittselement gegenüber der traditionellen Armenfürsorge 1961 im Bundessozialhilfegesetz der Rechtsanspruch auf Hilfeleistung verankert. Dieses Recht wird jedoch durch gesetzliche und verwaltungsrechtliche Ausführungsvorschriften und die bürokratische Praxis der Sozialhilfe-gewährung erheblich abgeschwächt Es wären also Schritte in Richtung einer Routinisierung der Vergabe von Leistungen zu ergreifen — mit dem Ziel, daß der Erhalt des Grundeinkommens automatisch erfolgt, an keinerlei Bedingungen geknüpft werden darf und somit langfristig auch keine Antrags-pflicht mehr existiert.
Damit würde zum einen die unwürdige Praxis vieler Sozialämter gegenüber den Sozialhilfe-berechtigten rigide beendet. Zum zweiten würde der Handlungsspielraum der Bürokratie (etwa nach anderen Kriterien als den offen ausgewiesenen) stark eingeschränkt Zum dritten würde verhindert, daß Administration und Politiker die Bedingungen so ausgestalten, wie es ihren jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Zielen gerade entspricht Und schließlich: Wäre der Erhalt des RaE an bestimmte Bedingungen geknüpft, so wäre es kein gleiches Recht mehr für alle.
Andererseits wird auch in den hier vorgetragenen Überlegungen, ein RaE auf der Grundlage des Prinzips der Freiwilligkeit zur Arbeit nur insofern für vernünftig gehalten, als es bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen fördert, es u. a. auf gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten hin orientiert. Die Form von Kontrolle, welche die gewünschte Entwicklung durch die Drohung mit dem Entzug der Existenzgrundlage durchsetzt, wird aber immer mit Herrschaft bzw. Unterdrückung verbunden sein. Hier wären besser neue Wege der Sozialpolitik zu beschreiten, solche die „hilfreich, aber nicht beherrschend sind"
Diesem Ziel entspräche z. B. die Abschaffung des Arbeitszwanges, wie ihn die Sozialämter in zunehmendem Ausmaß praktizieren. Die ILO hat diese Praxis in der Bundesrepublik jüngst als Zwangsarbeit und mit ihren Statuten nicht vereinbar kritisiert. Vernünftiger wäre die Schaffung von Angeboten gesell-schaftlich sinnvoller Arbeiten, die aber freiwillig wahrgenommen werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Abschaffung der finanziellen Verantwortlichkeit zwischen den Generationen, bevor Arbeitslosen-oder Sozialhilfe gezahlt wird. Viele Rentner z. B. leben lieber unterhalb des Sozialhilfeniveaus, als daß sie ihren Kindern zur Last fallen wollen.
Zentral für eine „Sockelung" des vorhandenen Sozialsystems wäre natürlich die Heraufsetzung des Sozialhilfesatzes. Die bisherigen Warenkorbberechnungen, die als Grundlage dafür dienen, sind keinesfalls akzeptabel Noch weniger zu akzeptieren ist allerdings die in den letzten Jahren suksessive vollzogene Kürzung der Sozialhilfe noch weit unter die Regelsätze, die sich nach dem Warenkorb-prinzip ergeben würden
Ausgangspunkt zur Heraufsetzung des Sozialhilfesatzes könnte aber durchaus das Prinzip der Warenkorbberechnung für das Existenzminimum sein, denn aus der damit verbundenen gebrauchswertorientierten realgüterwirtschaftlichen Sichtweise ergibt sich eine leichtere Politisierbarkeit des Gegenstandes (Leibfried). Reichen wirklich vier Busfahrkarten pro Monat, um ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten?
Diese wenigen Punkte mögen hier genügen, um anzudeuten, welche Schritte der „Sockelung“ des vorhandenen Sozialsystems unternommen werden könnten, um langfristig ein RaE zu installieren, das dem Prinzip der Freiwilligkeit zur Erwerbstätigkeit Rechnung trägt.
Wieviel würde nun eine derartige „Sockelung“ kosten und wie könnte sie finanziert werden? In den aktuelleren Vorstellungen zu einem RaE ist vor allem an die Umlenkung und Effektivierung bisheriger Sozialstaatsausgaben gedacht. Will man demgegenüber die aufgezeigten unkalkulierbaren Risiken vermeiden, so gilt es, die durchaus zu diskutierende Effektivierung der Sozialstaatlichkeit getrennt von der Diskussion um ein RaE zu erörtern. Ausgangspunkt der Berechnung der Kosten eines RaE ist deshalb sinnvollerweise die Tabelle der Einkommensverteilung der privaten Haushalte nach allen bisherigen Umverteilungsmaßnahmen
Beispielhaft, nur um Größenordnungen und den entsprechenden Finanzierungsbedarf aufzuzeigen, sei einmal von folgendem Modell ausgegangen: für die erste erwachsene Person im Haushalt 1 000, — DM pro Monat, für jede weitere 750, — DM und pro Kind 300, — DM. Liegt das verfügbare Einkommen unterhalb des Mindesteinkommens des jeweiligen Haushalts so stockt der Staat es entsprechend auf. Um noch gewisse materielle Anreize zur Arbeit beizubehalten und Über-gänge nicht so abrupt zu gestalten, erhöht sich bei Erwerbstätigkeit das Mindesteinkommen — wenn Lohn oder Gehalt unter der Schwelle des jeweiligen Mindesteinkommens liegen — um 20 % des erzielten Erwerbs-einkommens. Sobald das erzielte verfügbare Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Vermögen höher wird als das Mindesteinkommen für den jeweiligen Haushalt plus 20 % des erzielten verfügbaren Einkommens, enden die Zahlungen des Staates, und es wird Einkommen wie bisher erzielt.
Auf der Grundlage der Zahlen in diesem sehr einfachen Modell ergäben sich nach einer groben Überschlagsrechnung zusätzliche Kosten für den staatlichen Haushalt der Bundesrepublik in Höhe von knapp 50 Mrd. DM. Kann ein solcher Betrag in Anbetracht der gegenwärtigen Finanzprobleme und der „Spareuphorie“, deren angeblicher Sachzwang mittlerweile von fast der gesamten Bevölkerung akzeptiert ist, überhaupt aufgebracht werden? Die Frage ist mit einem eindeutigen „Ja" zu beantworten. Es ist nur eine Frage der bewußten politischen Prioritätensetzungen — und zwar ohne daß damit verbunden die Systemfrage gestellt würde.
Allein die jüngsten Steuerreformpläne der Bundesregierung sehen vor, Steuererleichterungen in Höhe von 25 Mrd. DM zu gewähren Entsprechend umgelenkt wären das bereits die Hälfte der Kosten des RaE im obigen Modell.
Durchaus vernünftige Finanzierungsvorschläge, die von mehr traditionell linker Seite zur Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gemacht werden erschließen ebenfalls Finanzierungspotentiale in der Größenordnung von 25 Mrd. DM.
Einsparungen auf der staatlichen Ausgabenseite — und das ist bisher viel zu wenig diskutiert worden — ergäben sich beim Wegfall von Projekten, die selbst nach kapitalistischindustrialistisch immanenten Kriterien unsinnig oder zumindest umstritten sind. Beispiele dafür wären etwa der Rhein-Main-Donau-Kanal, den der ehemalige Bundesminister Hauff als „das dümmste Projekt seit dem Turmbau von Babel" charakterisierte, oder die neue Schnellbahn-Trasse Hannover-Würzburg, deren Kosten allein mit 11, 7 Mrd. DM veranschlagt sind
Wenn man sich darüber hinaus vor Augen hält, daß ein großer Teil der gegenwärtigen Staatsausgaben die Entwicklung hin zu einem industrialistisch-kapitalistischen Zukunftsmodell der Gesellschaft gezielt fördert, so ergeben sich — wenn man mehr einem sozialen als einem technischen Ideal folgt — Einsparungen in erheblichem Ausmaß, die u. a. für ein RaE verwendet werden könnten. Die Finanzierung eines RaE in der Größenordnung des obigen Modells wäre also durchaus nicht völlig außerhalb des gegenwärtig Möglichen.
„Wer arbeitet dann noch?“ — Die Reaktionen auf dem Arbeitsmarkt
Neben der Frage der Finanzierbarkeit ist der zweite zentrale Einwand, der gegen ein RaE erhoben wird: „dann arbeitet niemand mehr"! Zunächst einmal ist festzuhalten: Wenn das RaE tatsächlich dazu führen würde, daß ein Großteil der Erwerbstätigen die Arbeit einstellen und sich mit dem Mindestnotwendigen begnügen würde, hieße das nichts anderes, als daß wir gegenwärtig in einem System von Zwangsarbeit leben und keineswegs in einem „freiheitlichen System“.
Weiterhin sollte sich jeder Kritiker des RaE zunächst einmal fragen, ob er selber aufhören würde zu arbeiten, bzw. auf welche Art und Weise sich sein eigenes Arbeitsangebot verändern würde.
Um das Argument, bei einem RaE arbeite niemand mehr, zu widerlegen, wird häufig auf die Ergebnisse amerikanischer empirischer Versuche mit der negativen Einkommensteuer verwiesen Hier sei das Arbeitsan-gebot bei einem garantierten Mindesteinkommen nur relativ gering, insgesamt in der Größenordnung von etwa 5 % zurückgegangen
Mit diesen Versuchen kann jedoch nicht argumentiert werden, weil die verschiedenen Existenzminima in den Versuchsgruppen — gegenüber dem Niveau des Minimums im oben dargelegten Modell — viel zu niedrig angesetzt wurden somit hier heftigere Arbeitsangebotsreaktionen zu erwarten sind. Zudem waren die Ergebnisse dieser methodisch insgesamt sehr problematischen Versuche nicht eindeutig. Es kam z. B. bei schwarzen Haushalten zu einer Erhöhung des Arbeitsangebotes Im New-Jersey-Pennsylvania-Experiment kam es insgesamt bei 53 % der Familien zu einer Steigerung und nur bei 29 % zu einer Verringerung der Arbeitsein-* kommen Teilweise gingen die Haushalte mit geringem Einkommen „zu den bereits bestehenden konventionellen bundesstaatlichen Unterstützungsprogrammen über"
Wie würde sich nun bei einem RaE auf kulturell angemessenem Niveau das Arbeitsangebot verändern? Im folgenden sollen verschiedene Effekte benannt und gleichzeitig argumentiert werden, daß diese Effekte unter bestimmten gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen auch durchaus wünschenswert sind. Das Arbeitsangebot für die schlecht bezahlten, unqualifizierten, gesundheitsschädlichen und belastenden Tätigkeiten ginge bei einem RaE stark zurück. Niemand wäre mehr gezwungen, Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, „von denen man vorab ziemlich genau abschätzen kann, daß sie zu irreparablen Schädigungen für die intellektuelle Potenz, die körperliche und/oder psychische Verfassung der Arbeitenden führen werden"
Durch den Rückgang des Arbeitsangebots für derartige Tätigkeiten werden vermutlich die Löhne in diesem Bereich steigen. Dieser Effekt kann verteilungspolitisch durchaus als erstrebenswert angesehen werden, wenn man berücksichtigt, daß andere gesellschaftlich notwendige Arbeiten, die ein hohes Maß an Selbstverwirklichung gewährleisten, nicht gesundheitsschädlich sind etc., gegenwärtig trotzdem viel höher bezahlt werden. Durch die gestiegenen Löhne für derartige Tätigkeiten wird ein Druck auf das Rationalisierungsverhalten der Unternehmen ausgeübt, der den quantitativen Umfang derartiger Tätigkeiten vermindern dürfte. Vermutlich würde insgesamt damit eine viel weitergehende Humanisierung der Arbeit erreicht, als mit allen bisherigen Programmen
Zum zweiten ginge vermutlich das Arbeitsangebot zurück, das allein auf dem Geldanreiz beruht und das gleichgültig ist gegenüber Inhalt und Ziel der ausgeübten Tätigkeit. Die damit verbundene Verringerung sekundär-motivierter Arbeit, die ohne direktes und primäres Interesse am Inhalt der Tätigkeit und ihrer vernünftigen Verrichtung verausgabt wird, ist ebenfalls als gesellschaftspolitisch durchaus wünschenswert anzusehen. Insgesamt käme dieser Effekt nur der Qualität der zu verrichtenden Arbeiten zugute. Beruf hätte dann etwas mehr mit „Berufung" zu tun.
Zum dritten ginge vermutlich das Arbeitsangebot für die Produktion von Gütern zurück, die von vielen als gesellschaftlich nicht sinnvoll, unwürdig oder schädlich eingeschätzt werden — also etwa für die Produktion von bestimmten Giften, deren Einsatz in der Landwirtschaft der Industrieländer verboten ist, die aber in die Dritte Welt exportiert werden.
Zum vierten ginge vermutlich das Arbeitsangebot zurück, weil sich mehr Menschen nach der Maxime verhielten: „Es ist das Leben, das wichtig ist, nicht die Arbeit. Die Arbeit kann knapp sein, aber das Leben ist noch knapper.“ Es käme zu einer zeitweiligen zeitweisen Schwerpunktsetzung auf andere Lebensbereiche — wobei jedoch keineswegs davon auszugehen ist, daß größere Gruppen gar nicht mehr arbeiten. Arbeit wird trotz Werte-wandel nach wie vor von den meisten Menschen als zur Selbstverwirklichung gehörend angesehen. Hier würde vermutlich ein sehr produktiver Effekt auf die dann verrichteten Tätigkeiten wirksam. Die durch die zeitweise Schwerpunktsetzung der eigenen Lebensperspektive auf andere Bereiche entwickelten Fähigkeiten, wie etwa die Kultivierung von sozialen Beziehungen, von solidarischem zwischenmenschlichen Umgang etc. würden z. B. in erheblichem Ausmaß dem Arbeitsklima zugute kommen.
Zum fünften schließlich käme es vermutlich zu einer Verringerung des Arbeitsangebotes durch die Möglichkeit, aus der Erwerbstätigkeit auszusteigen, sich auf RaE zurückzuziehen, gleichzeitig aber durch Schwarzarbeit sein Einkommen aufzubessern. Diesen keineswegs wünschenswerten Effekt gälte es einerseits administrativ, andererseits aber vor allem durch den Versuch zu bekämpfen, eine gesellschaftliche Normenänderung zu erreichen, die derartiges nicht mehr augenzwinkernd toleriert.
Die hier grob umrissenen Effekte der Verringerung des Arbeitsangebotes durch ein RaE dürften quantitativ nicht das Ausmaß erreichen — von dieser These soll heuristisch erst einmal ausgegangen werden —, als daß sie nicht durch das Arbeitsangebot der gegen-wärtig Erwerbslosen kompensiert werden könnte. Es ist sicher bei der zu erwartenden qualitativen Umstrukturierung des Arbeitsangebotes — die zum größten Teil als gesellschaftspolitisch durchaus wünschenswert anzusehen ist — mit Friktionen zu rechnen. Grundsätzlich dürfte es aber möglich sein, das Prinzip der Freiwilligkeit in die Erwerbstätigkeit einzuführen, ohne daß die Gesellschaft zusammenbricht und niemand mehr arbeitet. Damit wär das RaE gleichzeitig ein unbürokratischer Weg zur gesellschaftlichen Umverteilung von Arbeit, die heute zur Lösung der Krise breit diskutiert wird.
V. „Recht auf Einkommen" — eine sinnvolle Reformperspektive?
Erscheint es unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit und des Arbeitsangebots und bei entsprechender Ausgestaltung des RaE als durchaus möglich und wünschenswert, eine derartige Reformmaßnahme anzugehen, so gibt es auf der anderen Seite bei näherem Hinsehen jedoch eine Reihe von Problemen, die diesen Eindruck relativieren.
Wenn der oben angedeutete Rotationseffekt nicht eintritt, daß nämlich viele — quer durch die Gesellschaft — zeitweise das Angebot des RaE nutzen und damit letztlich allgemein der Zugang zur Erwerbstätigkeit erleichtert wird, so würde das RaE die gegenwärtig feststellbare Tendenz der Spaltung der Gesellschaft in einen Kern-und einen marginalisierten Randbereich eher verstärken. Unter Hinweis auf das RaE wäre es noch leichter als bisher etwa Problemgruppen des Arbeitsmarktes (Frauen, ältere Arbeitnehmer, Behinderte etc.) dauerhaft auszugrenzen; dieser Zustand wäre zugleich politisch nicht mehr so brisant.
Erwerbsarbeit dient aber auch der Strukturierung und Sinngebung des Lebens, ist zentral für das Selbstwertgefühl: Werden die Zugangsmöglichkeiten für Teile der Gesellschaft systematisch erschwert, so führt das bei den Betroffenen trotz RaE zu Gefühlen der Minderwertigkeit, zu Apathie etc. Betätigungen im informellen Sektor, für die das RaE als eine Art Bezahlung angesehen werden kann, können gegenwärtig m. E. nur dann einen Ausgleich bieten und die produktive Potenz, die sich Vertreter des Konzepts der Dualwirtschaft erhoffen, voll entfalten, wenn sie als Ergebnis eines bewußten, freien Entschlusses gegen die Erwerbstätigkeit aufgenommen werden, wenn jeder jederzeit wieder die Möglichkeit hat, in den Erwerbssektor zurückzukehren. Die von Offe und Berger optimistisch gesehene Perspektive einer „partiellen Abkoppelung der Lebensführung von Arbeitsund Warenmärkten" dürfte ohne diese Möglichkeit für Teile der Gesellschaft nur zu einer Marginalisierung führen.
Das RaE könnte also die Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft unterstützen, indem es sie erträglicher macht, und zugleich die in der gegenwärtigen Entwicklung feststellbare fortschreitende Auflösung gewachsener sozialer Zusammenhänge und immer stärkere Unverbindlichkeit sozialer Kontakte fördern. Der einzelne wird immer mehr der „vereinzelte einzelne". Dies sind Elemente eines Wandels der Form der Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhangs; Hirsch bezeichnet ihn als „fordistische Vergesellschaftung" und erklärt daraus das Entstehen der neuen sozialen Bewegungen Weil das RaE die Tendenz zur Unverbindlichkeit verstärken könnte, lehnten z. B. einige Alternativprojekte dieses ab, da es sie bei der Lösung der täglichen Probleme ihrer Praxis eher behindern würde
Würde nun ein sich minderwertig fühlender, durch immer stärkere Unverbindlichkeit der sozialen Beziehungen charakterisierter Teil der Gesellschaft sich nicht eher der Berieselung durch neue Massenmedien hingeben und apathisch gesellschaftliche Entwicklung noch weniger als bisher als Produkt eigenen Handelns begreifen? Würde die Lösung von aktuell lebensbedrohenden Fragen etwa in den Bereichen Ökologie oder Rüstung, die ein gesellschaftlich verantwortungsvolles Verhalten voraussetzen, nicht eher behindert? Welchem Begriff von Gesellschaftlichkeit würde überhaupt mit dem RaE Vorschub geleistet? Würden auf dem Hintergrund einer derarti-gen Entwicklungsperspektive — da bestimmte menschliche Bedürfnisse (nach sozialem Eingebundensein, nach Anerkennung, nach sinnvoller Tätigkeit etc.) nicht erfüllt werden — nicht umgekehrt autoritäre Lösungen wie die Idee eines Arbeitsdienstes, die diesen Bedürfnissen in entfremdeter Form Rechnung trägt, neuen Auftrieb erhalten?
All diese Fragen müssen intensiver, als es hier geschehen kann, diskutiert werden. Eines soll jedoch festgehalten werden: Die Ergebnisse einer derartigen Reformmaßnahme hängen eng mit der Art und Weise ihrer Durchsetzung zusammen. Würde das RaE heute als sozialstaatliches Geschenk von oben eingeführt, so wäre die Gefahr relativ groß, daß sich die weitere gesellschaftliche Entwicklung in die eben angedeutete problematische Richtung bewegt.
Das RaE wird seine produktiv-emanzipativen Potenzen nur entfalten, wenn es als Produkt der Aktivitäten einer breiten sozialen Bewegung begriffen und durchgesetzt wird, einer Bewegung, die insgesamt einen „drastic cultural change" initiiert, den bereits Erich Fromm als notwendig eng verbunden mit einem RaE gesehen hat
Der weite und noch sehr heterogene Bereich der Initiativen und Gruppen der Kritiker des gegenwärtig gezielt angestrebten industrialistisch-kapitalistischen Zukunftsmodells, aus dem heraus auch die neueren Forderungen nach einem RaE kommen, könnte durchaus sozialer Träger einer Bewegung zur Durchsetzung des RaE sein.
Damit die gesellschaftliche Entwicklung mit einem RaE nicht die angedeutete problemati-sehe Richtung einschlägt, ist es entscheidend, daß die in diesen Bewegungen vorhandenen Tendenzen einer Orientierung auf „gesellschaftlich sinnvolle Arbeit", auf „sozial nützliche Produktion“ dominant werden. Sozial zu verorten sind diese Tendenzen besonders zum einen bei Teilen der Alternativbewegung, zum anderen in den links-gewerkschaftlichen Initiativen zur sozial nützlichen Produktion Hier deutet sich eine „höhere" Form von Gesellschaftlichkeit an, von bewußtem und verantwortlichem Sich-Beziehen auf andere Teile der Gesellschaft.
Wenn diese noch sehr heterogene Bewegung das RaE als Chance der Verbesserung ihrer Arbeits-und Aktionsmöglichkeiten begreift und sich gleichzeitig durch die Thematisierung gesellschaftlich sinnvoller Produktion bei der Finanzierungsproblematik des RaE (d. h. etwa dem Streichen aller staatlichen Ausgaben, die gezielt auf eine Förderung des industrialistisch-kapitalistischen Zukunftsmodells hinauslaufen) weiter ausbreitet, so würde zum einen das RaE eventuell durchsetzbar, zum zweiten aber im Prozeß der Durchsetzung vermutlich die angedeutete problematische Entwicklungsperspektive vermieden. Damit ergäben sich dann vermutlich weitreichende Veränderungen und überraschende Lösungen on Problemlagen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, die aus Platzmangel leider an anderer Stelle weiterdiskutiert werden müssen.