I. Kulturverständnis im Wandel
Aus Stellungnahmen von Parteien, Politikern und Gewerkschaften sowie parlamentarischen Anfragen und Debatten geht in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse an kunst-und kulturpolitischen Fragen hervor. Bekunden diese Äußerungen eine Verschiebung politischer Prioritäten zugunsten der Kunst-und Kulturförderung und der Berücksichtigung der kulturellen Dimension im politischen Handeln, oder geht es dabei vorwiegend um die Rechtfertigung oder Abwehr von Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten? Die kulturpolitische Debatte würde seit Anfang der siebziger Jahre besonders durch die richtungweisenden Empfehlungen des Deutschen Städtetages geprägt, in denen dieser die Städte zu verstärktem kulturpolitischem Engagement auffordert und dabei von einem erweiterten Kulturverständnis ausgeht. Unterstützt werden diese Bemühungen durch entsprechende Empfehlungen der UNESCO (1976) und des Europarats (1976, 1983) Besonders in der deutschen Tradition verstand man seit dem 19. Jahrhundert unter „Kultur" meist jene „höheren", dem profanen Alltag enthobenen Lebenstätigkeiten, vornehmlich die Bereiche des Künstlerischen und „Geistigen". Das Wort „Zivilisation" galt für alle anderen Lebensbereiche. Diese Unterscheidung ist Ausdruck der neuzeitlichen Trennung von Rationalität, Ethik, Ästhetik und Politik, — mithin von Denken, Fühlen und Handeln
Es sind konkrete Erfahrungen, die einen Wandel des Kulturverständnisses herausfordern: die Gefährdung der Städte als humaner Lebensraum, Umweltzerstörung, weltweite Aufrüstung und die Auswirkungen neuer Kommunikations-und Informationstechni-ken. So werden in den entsprechenden Resolutionen des Europarats, der UNESCO und des Deutschen Städtetages die menschlichen Lebensbereiche in ihrer kulturellen Vernetzung gesehen und dabei insbesondere die kulturellen und politischen Konsequenzen des quantitativen Wirtschaftswachstums als dominanter Zielsetzung vor Augen geführt. „Kultur" in diesem Verständnis bezeichnet nicht eine Parzelle der Gesellschaft, sondern die Gesamtheit der vielfältigen Lebensäußerungen einer Bevölkerung. Es sind durchaus Einsichten der Kulturanthropologie und Ethnologie, die sich entsprechend der Intention dieser Empfehlungen ins Normative wenden lassen: Die schöpferische Aneignung der Umwelt, Identitätsfindung in (auch emotional erfahrbaren) überschaubaren Lebensräumerf, Sinnerfüllung im alltagsweltlichen Lebensvollzug für alle Bevölkerungsschichten werden in ihrer (trans) kulturellen Bedeutung erkannt Von entsprechenden Einsichten läßt sich beispielsweise die UNESCO-Empfehlung „über die Teilnahme und Mitwirkung aller Bevölkerungsschichten am kulturellen Leben" (1976) leiten und verbindet sie mit demokratischen Werten und Zielvorstellungen. Zur Kultur gehöre auch „der Erwerb von Kenntnissen, der Anspruch auf einen Lebensstil und das Bedürfnis nach Kommunikation". Die Teilnahme am kulturellen Leben bedeute eine „Behauptung der Identität, der Authentizität und der Würde". Die Behauptung der kulturellen Identität solle allerdings nicht zur Isolation von Gruppen führen, sondern fruchtbare wechselseitige Bereicherung durch häufige Kontakte mit sich bringen
Es waren hautnah erfahrbare Fehlentwicklungen in den Städten, die zunächst beim Deutschen Städtetag einen Prozeß des kulturpolitischen Umdenkens in Gang setzten. Dem traditionellen Kulturverständnis entsprechend, war es die zentrale Aufgabe der (kommunalen) Kulturpolitik, die „Einrichtungen der Kunst und Kulturpflege", Theater, Museen, Orchester, Bibliotheken, wieder und neu aufzubauen und zu unterhalten. Auf diesen „trotz größter wirtschaftlicher Not" erfolgten Aufbau verweist der Deutsche Städtetag in der heutigen Spardebatte nicht ohne Stolz Seit Ende der sechziger Jahre wurde dann zunehmend erkannt, daß sich kommunale Kulturpolitik nicht im wesentlichen auf die Sicherung dieser Einrichtungen beschränken darf, wenn sie dazu beitragen will, einem offensichtlichen Verlust an Lebensqualität in den Kommunen entgegenzuwirken. Auf der Hauptversammlung 1973 („Wege zur menschlichen Stadt") wurden Erfahrungen und Konsequenzen in einer nach wie vor gültigen Weise formuliert. Die einseitige Orientierung an raschem ökonomischem Wachstum habe vielfach eine disharmonische städtebauliche Umwelt erzeugt und humane Lebensbedingungen gefährdet. Die Vermenschlichung der Städte, ihre „Wiedergewinnung als kulturgeprägte Schöpfung und Ereignisstätte" soll daher auch gegen Widerstände durchgesetzt werden. Das ökonomische Ziel sei in die Zielsetzungen für die menschliche Stadt einzuordnen
Diesem grundsätzlichen Prioritätenwechsel entspricht die neugewonnene kulturpolitische Konzeption, der sich inzwischen auch der Deutsche Städte-und Gemeindebund und der Deutsche Landkreistag mit entsprechenden Empfehlungen (1980) angeschlossen haben. Voraussetzung für die Entfaltung des Menschen in der Stadt sei die Schaffung einer Umgebung, die durch Proportion und Grundstruktur die Phantasie anrege und gleichzeitig die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt gewährleiste. Auch auf der letzten Hauptversammlung des Deutschen Städtetages wurden diese Leitlinien der Kulturarbeit in Erinnerung gerufen. Kulturarbeit müsse dazu beitragen, die Nachdenklichkeit, die Besinnlichkeit der Menschen anzuregen, Kommunikation zu fördern, die Entfaltung der Kreativität zu unterstützen. Kulturpolitik in diesem Sinne wird als Daseinsvorsorge für die Bürger verstanden. Ziel einer demokratischen Kulturpolitik ist eine „Kultur für, mit und von allen“ Durch öffentliche Kunst-und Kulturförderung soll verhindert werden, daß der Konsum kommerzieller Angebote in der zunehmenden Freizeit das Leben der meisten Bürger bestimmt, zumal die Haltung passiver Konsumenten auch die Weiterentwicklung einer beteiligungsfreundlichen demokratischen politischen Kultur gefährdet. Angesichts der Vernetzung der Politikfelder, die im kommunalen Raum besonders evident wird, und angesichts der bekannten Zukunftsprobleme ergibt sich für Kulturpolitiker auch die Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß politisches Handeln insgesamt von kulturellem Interesse geleitet wird und an der Entwicklung struktureller Voraussetzungen für einen Orientierungswandel mitwirkt. Die Berücksichtigung der kulturellen Dimension in der Stadtentwicklung, aber auch in der Bundes-und Landespolitik, setzt engagierte Kooperation über die oft engen Ressortgrenzen hinweg voraus Auch im engeren Sinne verstanden, kann sich Kunst-und Kulturförderung nicht darauf beschränken, die traditionellen Einrichtungen Theater, Museen, Bibliotheken und Orchester zu unterhalten und zu fördern: Hinzu kommen müssen die Förderung von Künstlern, kulturellen Initiativen und Vereine, soziokulturellen Stadtteilzentren (Kleinzentren) sowie kulturpädagogische Aktivitäten (Animation).
Die seit den siebziger Jahren entstandenen vielgestaltigen Aktivitäten künstlerischer und soziokultureller Initiativen zeigen deutlich, daß die kommunal-und kulturpolitischen Zielsetzungen der genannten Empfehlungen einem sich wandelnden Interesse vieler Bürger entsprechen. Diese zum Teil durch neue Wertvorstellungen geprägte Erwartungshaltung wurde bei der letzten Hauptversammlung des Städtetages ausdrücklich auf die eigene kulturpolitische Konzeption bezogen: „Auch wenn viele Bürger, in der Wirtschaftsrezession wiederum von der Sorge um den Arbeitsplatz, preiswerten Wohnraum und eine angemessene Sicherung des erreichten Lebensstandards bedrückt sind, so ist dennoch festzustellen, daß die ausschließliche Ausrichtung der Gesellschaft am wirtschaftlichen Erfolg und am ökonomischen Wachstum zunehmend in Frage gestellt wird. Viele Menschen suchen nach einer neuen Sinngebung des eigenen Daseins, nach neuen Zukunftsperspektiven, nach neuen Formen der Selbstverwirklichung und der Mitgestaltung einer lebenswerten Umwelt, insbesondere im erfahrbaren Lebens-und Wohnbereich. Dies ist zugleich die Suche nach einer neuen kulturellen und geschichtlichen Identität. Die Menschen fordern zu Recht, daß der von ihnen geschaffene Wohlstand auch dazu diene, durch breite kulturelle Angebote die Qualität des Lebens zu vergrößern."
Dieser Einstellungs-und Wertwandel findet seinen Ausdruck in konkreten Aktivitäten zahlreicher Bürgerinitiativen in den Bereichen des Umweltschutzes, der Stadtentwicklung und der Friedenssicherung. Ein großer Teil dieser Initiativen ist in soziokulturellen Bereichen tätig. Insgesamt zeigen sich hier Ansätze eines verstärkten Interesses an aktiver politischer Beteiligung, an kreativer und kommunikativer Selbstentfaltung und an der schöpferischen Gestaltung der Umwelt in solidarischem Handeln
Diesen positiven Ansätzen, die in Richtung des vom Europarat empfohlenen Weges von der Konsumgesellschaft zu einer kulturellen Demokratie weisen, stehen verstärkte gegenläufige Tendenzen entgegen: Insbesondere ist dies die rasche Entwicklung der Kommunikations-und Informationstechniken, vor allem ein forcierter Ausbau der „neuen Medien" aus primär kommerziellem Interesse. Auf die Zunahme der Freizeit hat sich eine florierende Freizeit-und Medienindustrie mit einem breiten Konsumangebot eingestellt. Etwa 40 Prozent der Freizeit an Werktagen und 50 Prozent an Wochenenden dient bereits heute der Fernsehnutzung’ Ganz überwiegend von Gewaltdarstellungen wird nach Angaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften der in den letzten Jahren stark expandierende Markt bespielter VideoKassetten beherrscht Starke Bestrebungen, die Verkabelung der Bundesrepublik voranzutreiben und die Techniken des Kabel-und Satellitenfernsehens für eine Ausweitung des Programmangebots durch Zulassung privater Anbieter zu nutzen, dürfte nach bisherigen Erfahrungen in anderen Ländern im Endeffekt nicht nur den Fernsehkonsum (zumindest bei Kindern) erhöhen, sondern auch zu einer. Verflachung des gesamten Angebots führen, wenn nicht entschiedene Vorkehrungen getroffen werden.
Auf erwartete negative kulturelle Auswirkungen einer den passiven Medienkonsum verstärkenden Entwicklung der neuen Medien haben der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Städtetag und die Enquöte-Kommission „Neue Informations-und Kommunikationstechniken" des Deutschen Bundestages nachdrücklich hingewiesen. Letztere verweist in ihrem Zwischenbericht auf die Gefahr, daß die für einen lebendigen Kulturprozeß notwendige personale Kommunikation durch technisch vermittelte Kommunikation verdrängt und die eigene Erfahrung zunehmend durch die Übernahme fremder Erfahrungsinhalte ersetzt werde: „Die neuen Informationsund Kommunikationstechniken können zu einem Abbau direkter zwischenmenschlicher Kommunikation und kultureller Aktivitäten führen. Ein vermehrtes Medienangebot, wie zum Beispiel über Lokalfernsehen oder Videoprogramme, kann die Tendenz zu passivem Medienkonsum am heimischen Bildschirm verstärken. Ein solcher Rückzug in die Privatheit müßte zum Abbau des öffentlichen Kulturangebots führen.“ Daher müßten in gleichem Maße, in dem die technikgestützte Kommunikation gefördert wird, auch die „lebendigen" Formen personaler Kommunikation gefördert werden (zum Beispiel „Kulturangebote, Breitenkultur, Entwicklung des kulturellen Milieus, Kultur-und Kommunikationszentren") Die Sicherung des öffentlichen kulturellen Lebens müsse gegebenenfalls auch unter Einschränkung der Geschwindigkeit des Wachstums der Informations-und Kommunikationstechniken in einigen Bereichen gesichert werden Da die Ausweitung des Programmangebotes durch private Anbieter als beschlossen gilt, richtet sich das Interesse verstärkt auf die Inhalte geplanter Mediengesetze. So soll eine dem Programm der öffentlich-rechtlichen Anstalten vergleichbare Programmstruktur gewährleistet werden, besonders auch bei der Herstellung lokaler Programme, bei denen den lokalen Bildungs-und Kultureinrichtungen eine wesentliche Bedeutung zukommen soll Der Deutsche Kulturrat fordert eine Verpflichtung zur Ausstrahlung kultureller Sendungen und dabei einen angemessenen Anteil von Eigen-und Auftragsproduktionen unter entsprechender Berücksichtigung der kreativen einheimischen Kräfte sowie der einheimischen Kulturwirtschaft, allerdings auch eine verstärkte internationale Pro-grammzusammenarbeit, vor allem im europäischen Bereich und mit der „Dritten Welt"
Diese Forderungen basieren auf der internationalen Erfahrung, daß eine Vielzahl von Anbietern noch keineswegs zu einer Vielfalt des Programms führt, wenn (auch kulturelle) Neuproduktionen eingeschränkt werden, weil die Nutzung weltweit angebotener Lizenzen Kosten spart. Für die kommunale Kulturarbeit ergibt sich die Aufgabe, die Nutzung neuer Medien zu fördern, wo sie kreativer Tätigkeit dienen können, so zum Beispiel die Unterstützung von Video-Gruppen, die eigene Filme herstellen, und die Nutzung des Offenen Kanals. Um der Einseitigkeit des Marktes entgegenzuwirken, sollen öffentliche Bibliotheken und Bildstellen auch entsprechende Videokassetten bereitstellen Die kulturpolitische Realität ist freilich, daß die Ankaufsmittel vieler Bibliotheken empfindlich gekürzt wurden. Während angesichts der gegebenen Situation und der dargestellten kulturellen Zielsetzungen Kunst-und Kulturförderung in allen Bereichen — und nicht zuletzt der Kunst-und Medienpädagogik — verstärkt werden müßten werden im Hinblick auf die angespannte Haushaltslage in vielen Kommunen und den meisten Bundesländern Mittel zur Kulturförderung gekürzt.
Daß es sich hier nicht um ein spezifisch deutsches Problem handelt, zumal aufgrund der dezentralen Förderungsstruktur die Ausgangslage in der Bundesrepublik noch relativ günstig ist, zeigt auch die „Bremer Erklärung" (1983) auf der Ebene des Europarats Darin rufen die bei der Bremer Konferenz versammelten Vertreter der Städte die Gemeinden auf, Kulturpolitik als vorrangige Aufgabe anzusehen und ihre Anstrengungen (auch in finanzieller Hinsicht) zu verdoppeln, und die Regierungen sollen sie dabei angemessen unterstützen: „Damit kulturelles Leben sich entfalten, Neuerungen entstehen und die kulturelle Demokratie entwickelt werden kann, ist es wesentlich, daß die Gemeinden kulturelle Vielfalt und Verschiedenartigkeit — von volkstümlichen Interessen bis zu denjenigen von Spezialisten und Eliten — bejahen. Es besteht ein dringender Bedarf an konkreten Programmen auf kommunaler Ebene, mit welchem dem vorherrschenden Medienkonsum entgegengewirkt werden kann."
II. Kulturpolitik zwischen Neuorientierung und Sparzwängen
Kann die hier erhoffte Bereitschaft erwartet werden, der Kulturpolitik Priorität einzuräumen? Hier stellt sich natürlich die Frage, inwieweit öffentliche Bekundungen von Politikern auf den verschiedenen Ebenen des politischen Lebens vornehmlich deklaratorischen Charakter haben oder tatsächlich die Bereitschaft ausdrücken, Kunst-und Kulturförderung im Sinne eines „neuen" Kulturverständnisses im politischen Entscheidungsprozeß verstärkt zur Geltung zu bringen. Erst seit Anfang der achtziger Jahre wird Kulturpolitik der Länder nicht mehr fast ausschließlich als Schul-, Hochschul-und Wissenschaftspolitik wahrgenommen (für den Schul-, Hochschulund Forschungsbereich gaben die Länder 1980 53, 83 Mrd. DM aus, für „Kunst-und Kulturpflege" 2, 29 Mrd. DM) Charakteristisch für die zurückliegenden Jahre und auch heute noch keine Ausnahme ist beispielsweise die Erklärung von Kultusminister Göller zum Abschluß der kulturpolitischen Haushaltsdebatte 1984 im Landtag von Rheinland-Pfalz: „Wir haben heute über den dritten Bereich in meinem Ressort überhaupt nicht geredet; ich will ihn wenigstens hier anführen. Es handelt sich um die Kunst und die Kulturförderung."
In den Landtagen zeigt sich seit einigen Jahren ein deutlicheres Interesse an Fragen der Kunst-und Kulturförderung. Besonders durch Große Anfragen in mehreren Landesparlamenten sowie im Bundestag wurden die Regierungen zu umfangreichen Berichten veranlaßt, in denen auch konzeptionelle Überlegungen ihren Platz fanden und an die sich ausführliche Debatten anschlossen. Auch bei den Haushaltsberatungen erhalten kunst-und kulturpolitische Fragen zunehmendes Gewicht Der Situation in den Kommunen ver-gleichbar, gibt es zwischen den zuständigen Regierungsmitgliedern und Ministerialbeamten und dem kleinen Kreis interessierter Abgeordneter über die Parteigrenzen hinweg in der Regel ein bemerkenswertes Einverständnis in den Grundsätzen der Kunst-und Kulturförderung. Dieses findet seinen Ausdruck in der grundsätzlichen Bereitschaft zur Förderung kultureller Einrichtungen und freier Initiativen sowie kulturpädagogischer Bemühungen und kultureller Kooperation. Der Konsens im Grundsätzlichen wird auch von den Sprechern der Fraktionen gern betont. Differenzen bestehen natürlich hinsichtlich der Gewichtung in der Förderungspraxis und der Einschätzung der Zuständigkeiten von Ländern und Gemeinden. So unterscheidet sich das kulturpolitische Konzept der SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen vom April 1981 in den Grundsätzen nicht wesentlich von dem im Mai 1981 vom „Minister für Wissenschaft und Kunst“ -unterzeichneten Kulturförderungsprogramm. Dieses wird auch von R. Silkenbeumer, dem Sprecher der SPD-Opposition begrüßt, der Ministerpräsident Albrecht einen Hang zur Repräsentativkultur und entsprechende Einmischungen in das zuständige Ministerium vorwirft und ebenso wie die Sprecher der anderen Oppositionsfraktionen die Sparmaßnahmen in sensiblen Bereichen der Kunst-und Kulturpflege (Bibliotheken, Künstlerförderung etc.) und die mangelnde Standfestigkeit des Ministers gegenüber anderen Ressortinteressen kritisiert Auch in Baden-Württemberg wird das Kunstkonzept der Landesregierung von den Sprecherinnen der Oppositionsfraktionen gelobt, in der Praxis werden allerdings dann Konsequenzen im Bereich alternativer Kunst-und Kulturformen (Kulturzentren mit überörtlicher Bedeutung) gefordert
In Nordrhein-Westfalen beklagt der Sprecher der Regierungsfraktion (SPD), daß der Kultur-haushalt 1984 erneut „überrollt“ worden ist und kritisiert die mangelnde Standfestigkeit des zuständigen Ministers im Kabinett, der es hoffentlich in Zukunft nicht mehr nötig haben werde, „sich parlamentarische Lorbeeren an den Hut zu stecken“. Er zeigt sich dankbar für die „hochgradige Übereinstimmung" zwischen den Fraktionen der SPD und der CDU, deren Kulturpolitiker (bescheidene) Korrekturen durchsetzen konnten. Wie in Nordrhein-Westfalen, so hat es auch in anderen Ländern bei den jüngsten Haushaltsberatungen gemeinsame Vorstöße der Kulturpolitiker von Oppositions-und Regierungsfraktionen gegeben, die z. B. zu einer leichten Anhebung der reduzierten Förderungsmittel für kommunale Theater und Bibliotheken führten Der Erfolg solcher Vorstöße in den eigenen Fraktionen zeigt immerhin, daß Kulturpolitiker bei entsprechendem Einsatz und öffentlicher Unterstützung in den Haushaltsberatungen nicht auf verlorenem Posten stehen müssen. Nach wie vor tun sich Kulturpolitiker im kommunalen Bereich wie auf Länderebene gleichwohl schwer damit, sich „gegen die Lobbies konkurrierender Ressorts durchzusetzen und drastische Kürzungen abzuwehren". Diese nach wie vor bestehende Schwierigkeit, die Bedeutung der Kunst-und Kulturförderung im Kontext konkurrierender Interessen bewußtzumachen, kommt auch in der immer wieder in Debatten geäußerten Kritik zum Ausdruck, der zuständige Fachminister zeige zu wenig Rückgrat oder der kulturpolitische Sprecher der Oppositionsfraktion stehe mit seinem Plädoyer in der eigenen Fraktion auf verlorenem Posten Für den kommunalpolitischen Bereich hat der erfolgreiche Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann das freiwillige Zurückweichen von Kollegen kritisiert, „die aus Angst vor einer Nicht-Wiederwahl, vor lästigem Parteiärger oder im Kotau von Kämmerern oder Verwaltungschefs von sich aus eilfertige Abbauvorschläge für ihre Ressorts unterbreiten", anstatt um jede Mark zu kämpfen
In den Landtagsdebatten zeigen sich grundsätzliche Unterschiede auch zwischen den Kulturpolitikern der Parteien vor allem dort, wo es um die Wirkungsmöglichkeiten der Kulturpolitik und die Berücksichtigung der kulturellen Dimension im Kontext der Politikbereiche geht, so besonders bei der Einschätzung der kulturellen Auswirkungen der „neuen Medien". Vergleichbare Äußerungen wie die der SPD-Abgeordneten Elisabeth Nill gab es in mehreren Debatten: „Was die Kunst-politik der Landesregierung fördert, wird also die Medienpolitik derselben Regierung wieder zunichte machen." Solche kritischen Bezüge lassen erkennen, daß jedenfalls von einigen Kulturpolitikern die kulturell wirksamen Wechselbeziehungen politischer Entscheidungen zunehmend erkannt werden. Die Durchsetzungschancen kultureller Anliegen auf der Ebene politischer Entscheidungsinstanzen hängen auch von parteiinterner Überzeugungsarbeit und dem Stellenwert kultureller Tätigkeiten in der Parteipraxis ab.
Die Erfolge der GRÜNEN und Alternativen als Teil einer Kulturbewegung haben auch damit zu tun, daß die großen Parteien ihr „Innenleben“ über viele Jahre hinweg kulturell vernachlässigt haben. Inzwischen gibt es erste Ansätze, Versäumtes nachzuholen. So hat der Arbeitskreis „Kommunale Kulturpolitik" beim Institut für Kommunalwissenschaften der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. auf der Basis u. a.der Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände beachtliche und über die Partei hinaus weitgehend konsensfähige Thesen zur kommunalen Kulturpolitik (1981) vorgelegt, deren Wirkung auf die Praxis allerdings schwer einzuschätzen ist. Um der Unterschätzung der kulturellen Dimension in der Partei-arbeit entgegenzuwirken, hat der Parteivorstand der SPD im Juni 1983 das „Kulturforum der Sozialdemokratie" ins Leben gerufen, das ein „Brückenpfeiler zwischen Politik und Kultur" sein soll, wie der 1981 bestellte Kulturbeauftragte der SPD, Reinhold Schattenfroh, feststellt, der in einem 1982 vorgelegten kulturpolitischen Bericht ein solches Forum vorgeschlagen hatte Schattenfroh und Freimut Duve (als Stellvertreter) haben den Vorsitz des Vereins übernommen. Vorsitzender des Kuratoriums, dem neben führenden Politikern auch eine Reihe hochangesehener Künstler und Wissenschaftler (auch ohne Parteibuch) angehören, ist Hilmar Hoffmann. Der Parteivorstand soll in jeder Amtsperiode mindestens einmal mit dem Kuratorium über Kulturpolitik diskutieren, daraus „Folgerungen ziehen für die eigene Arbeit und die Kommunikation zwischen Kultur und Politik auf diese Weise wieder kontinuierlich herstellen," Anlaß für die Einrichtung ist ein-mal, daß der Kontakt zu Künstlern und Wissenschaftlern im politischen Alltagsgeschäft vernachlässigt worden ist und Kulturpolitik überwiegend von Amtsträgern in der Exekutive, allenfalls noch von den Fraktionen und Stadträten gemacht wurde, kaum mehr von eigentlichen Parteigremien Diese Vernachlässigung der „Parteikultur", besonders auch in den Ortsvereinen, gilt als eine Ursache für die Schwierigkeiten bei der Behauptung kultureller Interessen, wenn es um die Verteilung knapper gewordener Finanzmittel geht. Willy Brandt, der sich als Parteivorsitzender für dieses Forum eingesetzt hat, sieht hier „deutliche Lücken", doch habe die Partei nun Kulturpolitik und Kulturarbeit wieder als zentralen Orientierungspunkt für die Gesamtpartei erkannt. Brandt geht vor dem Kuratorium von einem weiten Kulturverständnis aus, wonach Kultur „alle schöpferischen Äußerungen des Menschen" umfaßt, vom . Alltagsverhalten bis zu den Spitzenleistungen in Wissenschaft und Kunst", und er sieht das Aufgreifen von kulturell bedeutsamen „Zukunftsthemen" als Aufgabe des Forums In Gesprächen von engagierten Parteivertretern mit Künstlern und Wissenschaftlern und eng orientiert an den tatsächlichen Interessen der Bevölkerung sollen kulturelle Engpässe aufgespürt, tradierte Verkrustungen analysiert und beide korrigiert sowie schließlich ein kulturpolitisches Programm erarbeitet werden. Ähnlich wie bei den Parteien sind auch bei den Gewerkschaften kulturelle Defizite in der eigenen Arbeit erkannt und ist über Abhilfe nachgedacht worden. Im Zusammenhang mit dem neuen Grundsatzprogramm hat der DGB „Vorstellungen zur Kulturpolitik und Kultur-arbeit" auf der Grundlage eines weiten Kulturverständnisses entwickelt. Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik müsse der schöpferischen Entfaltung des Menschen dienen Die vom Städtetag verbreitete konsensfähige Formel der „kulturellen Vielfalt" und der gleichgewichtigen Förderung unterschiedlicher Änsätze, von den künstlerischen Spitzenleistungen bis hin zu soziokulturellen Aktivitäten, wird vom DGB aufgenommen; dabei werden kulturpädagogische Bemühungen besonders hervorgehoben. Die Zielsetzungen dieses Programms zusammenfassend, forderte der DGB-Vorsitzende Ernst Breit auf dem Außerordentlichen Gewerkschaftstag der Ge-werkschaft Kunst (1983), „in der gegenwärtigen schwierigen finanziellen Situation die Kulturetats nicht zu kürzen, sondern durch entsprechende Etatgestaltung die erforderlichen Mittel für den Erhalt der Kultureinrichtungen und die Verstärkung kultureller Breitenarbeit sicherzustellen"
Ziel der gewerkschaftlichen Kulturarbeit sei es, zur allseitigen Entfaltung der geistigen und sinnlichen Fähigkeiten der Arbeitneh-mer beizutragen. Umfang und Qualität kultureller Aktivitäten hätten an der gewerkschaftlichen Basis zugenommen, doch fehle es noch an der Unterstützung durch die Kreis-vorstände. DGB-Landesbezirksvorstände und Kreisvorstände werden daher aufgefordert, Kulturpolitik als Teil der Gewerkschaftspolitik stärker als bisher zu ihrer Aufgabe zu machen. Zu ihrer Unterstützung sollen sie . Arbeitskreise Kulturpolitik" bilden
III. Kunst-und Kulturförderung als Pflichtaufgabe
• Mit der Forderung, Kulturförderung als Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand zu begreifen, schließt sich der DGB den Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände an, die inzwischen auch Unterstützung von Verfassungsjuristen erhalten. Das Anwachsen der fachwissenschaftlichen Literatur zum Kulturverfassungsrecht und zum Thema „Kulturstaat" sind Ausdruck zunehmenden Interesses: „Kulturauftrag im Verfassungsstaat" war auch das Thema der letzten Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (1983).
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich die Gewährleistung der Kunstfreiheit im Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht in der Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern fordert auch gestaltendes Handeln des Staates. Dies entspricht der tatsächlichen Förderungspraxis und dem immer häufiger betonten Verständnis der Bundesrepublik als „Kulturstaat": „Als objektive Wertentscheidung für die Freiheit der Kunst stellt (diese Verfassungsnorm) dem modernen Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern." Daraus läßt sich die Verpflichtung der öffentlichen Hände ableiten, unter Wahrung künstlerischer Freiheit Kunst und Kultur im Interesse einer Teilhabe und Teilnahme möglichst vieler Bürger zu fördern. In diesem Sinne sollte statt von „Kulturstaat" von „kultureller Demokratie” gesprochen werden, um die staatliche Förderungsverpflichtung besser mit dem gewandelten Interesse an einer „Kultur für, mit und von allen" zum Ausdruck bringen.
Um den kulturellen Auftrag des Gesamtstaates zu verdeutlichen, soll nach den Vorstellungen einer vom Bundesjustizminister eingesetzten Kommission die Staatszielbestimmung in das Grundgesetz (Art. 20 und 28) aufgenommen werden, daß die Bundesrepublik Deutschland „die Kultur und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen" schützt und pflegt und entsprechend die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern gestaltet sein soll In den meisten Landesverfassungen gibt es solcherart verpflichtende Bestimmungen bereits. So heißt es ausdrücklich in den Verfassungen Bayerns (Art. 140) und Nordrhein-Westfalens (Art. 18), daß Kunst, Kultur und Wissenschaft durch Land und Gemeinden zu fördern sind.
Die Gemeindeordnungen enthalten entsprechend zu interpretierende Bestimmungen. Während die Länder auf ihrer „Kulturhoheit" gegenüber dem Bund beharren, betonen die Gemeinden ihre kulturelle Eigenständigkeit und kulturpolitische Kompentenz gegenüber den Ländern, wobei auch vergleichbare Argumente eine Rolle spielen. Dabei berufen sie sich auf Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach die Kommunen „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung" regeln. Im Hinblick darauf wird neuerdings auch von angesehenen Verfassungsjuristen besonders die gleichberechtigte, „originäre“ kulturelle und kulturpolitische Kompetenz hervorgehoben, da durch solche Aktivitäten vor Ort kulturelle Vielfalt (und damit in gewisser Weise auch die Gewährleistung der Kunstfreiheit) wie auch kulturelle Beteiligung am besten gewährleistet sind Daß mit der deutlichen Betonung dieser Kompetenz auch entsprechende Verpflichtungen für die Gemeinden bestehen, darauf weist der Deutsche Städte-tag die Städte gerade auch im Hinblick auf die Spardebatte in den Gemeinden nachdrücklich hin. Dieses Engagement des Deutschen Städtetages hängt auch mit der Einsicht zusammen, daß der größte Teil der Kulturarbeit nicht durch Landesgesetze geregelt ist und der kulturpolitische Entscheidungsund Handlungsspielraum noch als Kernbereich kommunaler Selbstbestimmung bewahrt werden konnte
Eine die Vielfalt und innovative Phantasie ermöglichende und anregende Kulturpolitik der Städte setzt ein besonderes Maß an Gestaltungsfreiheit voraus. Eingriffe durch landes-gesetzliche Regelungen können nach Ansicht des Städtetages nur dann auf Dauer verhindert werden, wenn die Gemeinden zu kontinuierlichem kunst-und kulturpolitischen Engagement bereit sind und Kulturförderung nicht als freiwillige, sondern als Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung begreifen. Bei einer Verknappung der Finanzmittel besteht sonst die Gefahr, daß zunächst hier Mittel eingespart werden. Diese Auffassung vertreten die Kulturpolitiker des Deutschen Städtetages auch in ihrer jüngsten Stellungnahme mit Nachdruck: Kulturausgaben belasten den Gesamthaushalt in sehr geringer Weise und eignen sich schon deshalb „nicht zum Speckpolster für magere Jahre". „Die bestehende Vielfalt an Theatern, Orchestern, Museen, Bibliotheken und Volkshochschulen ist vielmehr zu einem zentralen Bestandteil kommunaler Daseinsvorsorge geworden. Sie darf auch in finanziell schwierigen Zeiten nicht aufs Spiel gesetzt werden.“
Ernst Pappermann hat mit seiner — vor allem auf die Arbeiten von Peter Häberle gestützten — Auffassung Beachtung gefunden, daß Selbstverwaltungsaufgaben auch ohne gesetzliche Regelung zu Pflichtaufgaben werden, wenn dies der übereinstimmenden Auffassung (communis opinio) der Gemeindebürger entspricht Ein entsprechend gewachsenes kulturelles Interesse zeigt der große Zulauf zu den Museen, Bibliotheken und zum Musik-theater, aber auch das vielfältige Engagement sozialkultureller Bürgerinitiativen. Nach diesem Verständnis der Kulturförderung als „Pflichtaufgabe“ bleibt es den Gemeinden überlassen, wo und wie sie ihre Schwerpunkte setzen. Sie sind aber verpflichtet, dem Demokratieprinzip gemäß und im Interesse der Kunstfreiheit den Grundsatz der kulturellen Vielfalt zu beachten. Konkret bedeutet dies, daß je nach Finanzkraft und Größe der Kommunen unterschiedliche traditionelle und neue kulturelle Einrichtungen, aber ebenso freie Initiativen und Vereine wie auch musisch-kulturelle Bildung und Animation zu fördern sind.
IV. Traditionelle und neue Aufgaben der Kunst-und Kulturförderung
Die Gesamtausgaben für Kunst-und Kulturförderung betrugen 1981 DM 4, 81 Milliarden, das sind also nur etwa ein Prozent der gesamten Staatsausgaben: Die Gemeinden waren mit 56 Prozent an diesen Ausgaben beteiligt, der Anteil der Länder (einschließlich der Stadtstaaten) betrug 42 Prozent und jener des Bundes 2, 4 Prozent
Länder und Gemeinden sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich beteiligt. So entfallen von den Nettoausgaben für kulturelle Angelegenheiten (1979) in Bayern 59, 7 Prozent auf das Land und 40, 3 Prozent auf die Gemeinden, während in Nordrhein-Westfalen die Gemeinden mit einem Anteil von 80, 3 Prozent ganz eindeutig dominieren Grundsätzlich gilt, daß die Länder für die überörtlichen kulturellen Aufgaben zuständig sind. Da die größeren Städte mit ihrem kulturellen Angebot auch die Bewohner des Um-landes versorgen, leiten sie den Anspruch auf finanzielle Förderung durch das Land ab. Angesichts knapper eigener Finanzmittel und teilweise einschneidender Kürzungen der Zuweisungen durch die Länder werden Forderungen der Gemeinden gegenüber den Ländern mit wachsender Entschiedenheit vorgetragen, und dabei erhalten die Gemeinden auch zunehmend Unterstützung von kulturell engagierten Parlamentariern Soweit zweckgebundene Zuweisungen für bestimmte kulturelle Einrichtungen oder Aktivitäten der Kommunen mit detaillierten Verwendungsauflagen verbunden sind, stößt dies bei den kommunalen Verbänden auf Kritik. Nach E. Pappermann sollte angestrebt werden, daß der pauschale Verwendungszweck „kommunale Kulturarbeit“ ausreicht, doch ist die Durchsetzung dieses Ziels derzeit eher noch schwieriger geworden
Zentren des kulturellen Lebens sind in vielen Städten nach wie vor die Theater, die ja meist als Mehrspartenbetriebe geführt werden und auch herausragende Bedeutung für die Musikkultur vieler Städte haben (in 74 Gemeinden gibt es zur Zeit [1982/83] 84 öffentliche Bühnenbetriebe mit eigenem Ensemble, die an 258 Spielstätten Vorstellungen anbieten). Die Besucherzahlen sind derzeit etwa konstant: Über 19 Millionen waren es 1982/83. Der oft beklagte hohe Anteil der Theaterausgaben an den Kulturausgaben der Städte hat sich zugunsten anderer Aktivitäten etwas verringert (1982: 36, 4 Prozent), ist aber nach wie vor beträchtlich (in kleineren Städten kann dies ein Anteil von etwa zwei Drittel des Kulturhaushalts sein). Insgesamt betragen die öffentlichen Zuweisungen an die Theater zur Zeit 1, 59 Milliarden DM -Die Verpflichtung zur Unterhaltung eines kommunalen Theaters ergibt sich aus der Sicht des Städte-tages für größere Städte aus der Erwartung der Bürger und dem kulturellen Selbstverständnis der Städte.
Das finanzielle Engagement der Länder für Theaterförderung ist unterschiedlich und hängt wesentlich davon ab, ob ein Land eigene Staatstheater unterhält. Insgesamt beteiligen sich die Länder derzeit mit durchschnittlich 43 Prozent an den laufenden Zuschüssen, wobei der Anteil Bayerns und Niedersachsens überdurchschnittlich hoch liegt bzw. 68 Prozent), während Nordrhein-Westfalen nur 12 Prozent übernimmt. In Bayern, das zur Zeit 125, 5 Millionen DM aufwendet, kommt allerdings der überwiegende Teil den drei Staatstheatern in München zugute, bei den kommunalen Theatern schwanken die Zuschüsse zwischen 30 und 40 Prozent des Zuschußbedarfs; weitere Kürzungen haben die Landtagsfraktionen mit Erfolg verhindert 52). In Nordrhein-Westfalen, das unter Berufung auf höhere Gesamtzuweisungen die Finanzierung der Theater weitgehend den Städten überließ und sich erst seit 1975 stär-ker engagierte, sind 1982 die Mittel drastisch gekürzt und seither nicht mehr angehoben worden, was die Tendenz zu teilweise existenzgefährdenden Kürzungen der kommunalen Theaterhaushalte verstärkte Nicht zuletzt aufgrund einer entschiedenen Stellungnahme des Städtetages haben sich die Landtagsfraktionen auf eine Entschließung geeinigt, daß die Förderungsmittel schrittweise auf das Niveau von 1981 angehoben werden sollen Unterstützt durch öffentlichen Protest wehren sich Kulturpolitiker von Ländern und Gemeinden also nicht ohne Erfolg gegen Bestrebungen, besonders im Bereich der Kunst-und Kulturförderung Mittel zu kürzen. Besonders gefährdet sind die nach wie vor bescheidenen Mittel für Künstlerförderung und alternative Kulturarbeit. Engagierte Kulturpolitiker konnten aber auch plausibel machen, daß vor allem kurzfristig vorgenommene Reduzierungen bei den kulturellen Einrichtungen rasch zu einem Substanzverlust und beträchtlichen Qualitätseinbußen führen. Dies kann beim Theater bei scheinbar geringfügigen Kürzungen von 5 bis 10 Prozent in einem Jahr der Fall sein Da nämlich der größte Teil des Personals (Chor, Orchester, Verwaltung) tarifvertraglich gesichert ist, können diese Mittel kurzfristig nur durch Nicht-Verlängerung der meist kurzen Verträge von Solokünstlern oder — wie dies in der letzten Spielzeit geschehen ist — im relativ kleinen Sachkostenbereich eingespart werden.
Qualitätseinbußen sind auch bei anderen kulturellen Institutionen zu befürchten. In der Bundesrepublik gibt es eine reichhaltige Museumslandschaft, in der nun auch Sammlungen zur Industrie-und Alltagskultur ihren Platz haben sollen Die Städte gaben 1981 für Museen 459 Millionen DM aus, die Länder 320 Millionen. Seit den siebziger Jahren wird im Zusammenhang mit dem sich wandelnden Kulturverständnis mehr Wert auf bessere Vermittlung und museumspädagogische Dienste gelegt. Auch der große Besucherstrom (1981: 54 Millionen) sollte die politischen Entscheidungsträger darin bestärken, diesen Prozeß fortzusetzen. Gerade jene neuen Formen der Präsentation und der museumspädagogischen Dienste sind aber durch Sparmaßnahmen besonders gefährdet
Geradezu dramatisch hat sich in manchen Bereichen die Situation der öffentlichen Bibliotheken zugespitzt, die sich in den siebziger Jahren oft zu einer Stätte der Begegnung weiterentwickelt haben. Seit der Vorlage des Bibliotheksplans 1973, dessen Zielsetzungen aus heutiger Sicht euphorisch erscheinen mögen, ist der qualifizierte Ausbau bestehender und der Aufbau zahlreicher neuer und attraktiver Bibliotheken erfolgt Die Gesamtaufwendungen liegen etwa viermal so hoch wie 1973. Einschneidende Sparmaßnahmen seit 1981 haben jedoch zu einer oft drastischen Kürzung der Anschaffungsmittel geführt, wodurch die Bibliotheken rasch ihre Aktualität und damit Attraktivität verlieren Betroffen ist natürlich auch der nötige Ausbau neuer Dienste (Videothek). Darauf weist der Städtetag in seinem Appell an das Land Nordrhein-Westfalen hin, das die Zuschüsse an die Kommunen von 8, 1 Millionen DM (1980) auf 2, 6 Millionen (1983) reduziert hatte. Aufgrund eines gemeinsamen Antrags von SPD und CDU wurden die Mittel dann für 1984 auf drei Millionen DM erhöht Ähnliche gemeinsame Vorstöße gab es auch in anderen Bundesländern, wobei es sich meist um bescheidene Korrekturen handelte, mit denen aber doch ein Signal gesetzt wurde. Immerhin zeigt dies, daß jedenfalls bei Kulturpolitikern aller Parteien die Privatisierungsideen des Schweizer Finanzwissenschaftlers Guy Kirsch auf Ablehnung stoßen, der auf einem Forum der CDU Widerspruch mit der Forderung erntete, man solle die Kunst dem freien Markt überlassen In allen kulturellen Einrichtungen gibt es auch die den allgemeinen Zugang erschwerende Tendenz, Eintrittspreise und Benutzergebühren einzuführen oder zu erhöhen, was bei manchen Bibliotheken zu einem merklichen Rückgang der Ausleihen geführt hat.
In diesem Zusammenhang kann auf drei Aspekte der „Spardiskussion" im kulturellen Bereich nur kurz hingewiesen werden:
1. Der Druck von Sparmaßnahmen kann auch den Spielraum von Intendanten einengen, natürlich auch den der Ensemblemitglieder, die von dem ggf. eingeräumten Mitwirkungsrecht (mit Rücksicht auf Vertragsverlängerungen) möglicherweise vorsichtiger Gebrauch machen
2. Um Unterstützung in der politischen Auseinandersetzung auch bei jenen zu finden, bei denen andere Motivationen fehlen, werden Auswirkungen der öffentlichen Förderung von Kunst und Kultur auf den Arbeitsmarkt und ihre ökonomisch stimulierende Wirkung hervorgehoben, so vom Präsidenten des Deutschen Musikrates, Richard Jakoby Besonders wird auf die Wechselwirkung zwischen der kulturellen Ausstrahlung einer Stadt und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hingewiesen
3. Wachsamkeit ist bei der gern geübten Praxis geboten, Kürzungsvorschläge im Bereich der kulturellen Einrichtungen mit Hinweisen auf bekannte Strukturprobleme (z. B. mangelnde Flexibilität großer Theaterapparate) zu verknüpfen, so zum Beispiel die Arbeit freier Theatergruppen gegen die Stadttheater aus-zuspielen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß ein großer Teil der Bürgerinitiativen im sozialkulturellen Bereich tätig sind Von diesen vielfältigen, in unterschiedlichen Bereichen engagierten kulturellen Initiativen, freien Gruppen und Vereinen verstehen sich viele insofern als „alternativ", als sie frei von politischen und institutioneilen Rücksichten ihre kommunikativen und kreativen Fähigkeiten entwickeln und an der Gestaltung ihrer Umwelt teilnehmen wollen. Deren kulturelle Bedeutung wurde von den Gemeinden zunehmend erkannt und dabei wurden die vielerorts auch zuvor schon bestehenden Ver-eine (z. B. Musikverein, Laienchor etc.) neu „entdeckt". Insgesamt gesehen werden seit den siebziger Jahren die von Institutionen unabhängigen künstlerischen Arbeiten (Kunst-und Musikvereine, freischaffende Künstler), aber auch „alternative Kulturangebote" wie Stadtteilfeste, Jazz-und Rockmusik, Kultur-und Kommunikationszentren, Film-clubs etc. stärker gefördert. Allerdings ist zum einen das kulturpolitische Engagement der Gemeinden sehr unterschiedlich, zum anderen gibt es deutliche Anzeichen, daß bei den bestehenden finanziellen Schwierigkeiten der Kommunen hier zuallererst Mittel eingespart werden, obwohl der Anteil für neue Ansätze der Kulturarbeit am gesamten Kulturhaushalt meist sehr gering ist (ein bis zwei Prozent). (Der Anteil für die Privattheater und freien Theatergruppen zusammen beträgt nur drei Prozent der gesamten öffentlichen Zuschüsse fürs Theater Erst nach und nach sind einige Städte dazu übergegangen, eigene Haushaltstitel für die Förderung von Initiativen und Vereinen einzuführen, um kontinuierlicher und flexibler fördern zu können. Da die Förderung das Eigenengagement voraussetzt und nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe" erfolgt, konnten mit vergleichsweise bescheidenen Förderungsmitteln in manchen Städten vielfältige Aktivitäten unterstützt und ermuntert werden. (Eine wichtige Hilfe leisten die Kulturämter einiger Städte durch Information und Vermittlungstätigkeit, z. B. durch Dokumentation von Gruppen und nichtkommunalen Einrichtungen.) Die Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt hat angesichts des Vorwurfs, sie bevorzuge die alternative Stadtteilkultur (für die ca. 1, 5 Prozent des Kulturhaushalts verwendet werden), die Proportionen des Kulturhaushalts veranschaulicht: „ 94 Prozent des Kulturhaushalts — auch heute noch — gehen in Theater, Museen, Musikhalle, Büchereien, Denkmalschutz, preußischen Kulturbesitz — im wesentlichen eben in die großen Organisationen. Die restlichen sechs Prozent — also diese berühmten freien Mittel — decken den gesamten anderen Bereich kulturpolitischer Aktivitäten ab. Das sind: die bildende Kunst, die Künstlerförderung, das Kunstbaus, der Kunstverein, . Fabrik'und „Markthalle', Frauenkultur, Literaturaktivitäten, Kulturprogramme, Kunst im öffentlichen Raum, musikalische Veranstaltungen im E-und U-Bereich, Hamburger Symphoniker, das Konservatorium in Blankenese. Die Stadtteilkultur, die Museumspädagogik, die Privat-museen, das Kommunale Kino, das Filmmodell, die freien Gruppen, die Stadtteilbespielung und die Schauspielschulen."
Wo Initiativen und Vereine direkte Zuschüsse für Veranstaltungen etc. beantragen, ergeben sich selbstverständlich Bewertungsprobleme. Die Befürchtung, daß solche Initiativen in Abhängigkeit geraten und bei finanziellen Schwierigkeiten versucht sein könnten, sich durch politisches Wohlverhalten als förderungswürdig zu erweisen, ist gewiß nicht unbegründet. (Manche Initiativen verzichten daher auch freiwillig auf öffentliche Zuwendungen.) Es werden deshalb u. a. von der „Kulturpolitischen Gesellschaft" andere Formen der Unterstützung bevorzugt und neben der direkten Förderung auch praktiziert: so z. B. die Bereitstellung von Musikinstrumenten, Video-und Filmausrüstungen etc. und natürlich insbesondere von übungs-und Veranstaltungsräumen
In größeren Städten hängen solche kulturpolitischen Bemühungen mit der zunehmenden Einsicht in die Bedeutung dezentraler, stadtteilbezogener Kulturarbeit zusammen. Inzwischen gibt es in zahlreichen Städten Kultur-und Kommunikationszentren, die in leerstehenden Werkstätten, Lagerräumen, renovierungsbedürftigen Wohnhäusern etc. eingerichtet wurden. Besonders bewährt haben sich kulturelle Kleinzentren in den Stadtteilen. Träger sind gelegentlich die Gemeinden, zumeist aber Vereine, die aus Bürgerinitiativen hervorgegangen sein können und gegebenenfalls durch die Stadt unterstützt werden. So hat die Stadt Hamburg 1979 einen Haushaltstitel „Förderung sozialkultureller Stadtteilzentren" eingerichtet. Eine Reihe von Kulturhäusern ist inzwischen entstanden. Als Förderungskriterien werden genannt: Die beabsichtigten Maßnahmen sollen das kulturelle Leben der Stadt bereichern; Eigenaktivität der Gruppen soll schon erkennbar sein; durch die Aktivitäten soll die Kommunikation zwischen einzelnen und Gruppen im Stadtteil gefördert werden; vor allem sollen die Maßnahmen nicht auf Vereins-oder Gruppenmitglieder beschränkt bleiben, sondern der Öffentlichkeit im Stadtteil zugänglich sein.
Das Kulturamt zieht eine positive Bilanz: „Die staatlichen Hilfen haben dazu geführt, daß bei den Bürgern in ungeahntem Maße kreative und organisatorische Fähigkeiten freigesetzt wurden und sich allerorts ein reges kulturelles Leben entwickelt.“ Von solchen Kultur-häusern oder „Kulturläden" aus können Gruppen und Initiativen praktische Hilfen und qualitative Anregungen erhalten, und sie können darin ihrerseits gestaltend mitwirken. Hier wird auch Kooperation mit zentralen künstlerischen Einrichtungen gesucht: Mit mobilen Produktionen (z. B. Kindertheater) werden auch Menschen angesprochen, die sich nicht dazu entschließen können, die zentralen Einrichtungen aufzusuchen
Waren die Forderungen einer alternativen Kultur Anfang der siebziger Jahre mitunter gegen die traditionellen künstlerischen Einrichtungen gerichtet, ist eine solche Frontstellung seltener geworden. „Die traditionellen Einrichtungen brauchen die Impulse .freier, alternativer', besser ergänzender Kulturarbeit, sowie sich freie Gruppen an den Leistungen der bestehenden Einrichtungen messen lassen müssen“, heißt es programmatisch in der zitierten Stellungnahme des Städtetages In der kulturpolitischen Diskussion und zum Teil auch der Praxis wird zunehmend der Zusammenhang von qualifizierter künstlerischer Arbeit, musisch-kultureller Bildung (Animation) und kreativer wie kommunikativer Entfaltung von Laien berücksichtigt. Kulturpädagogische Hilfestellung und Animation sind hier ebenso gefragt wie vielfältige Formen der Kooperation. Die Zusammenarbeit und wechselseitige Anregung der Kulturinstitutionen untereinander wie auch zwischen kulturellen Einrichtungen, freischaffenden Künstlern und kulturellen Initiativen hat sich mancherorts verbessert und beispielsweise bei Stadtteilfesten und themenbezogenen Kulturtagen bewährt, bleibt aber in vielen Gemeinden noch hinter den Erwartungen zurück. Im Kontext der Spardebatte wird auch angeregt, daß die traditionellen Kultureinrichtungen Sachmittel, Räumlichkeiten und Personal verstärkt für die Kooperation mit freien Gruppen und Künstlern zur Verfügung stellen Auch aufgrund kulturpädagogischer Bemühungen, wie sie im Ergänzungsplan „Musisch-kulturelle Bildung" der „Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung“ und von den kommunalen Spitzenverbänden angeregt wurden, haben sich viele dieser Institutionen einem breiteren Publikum geöffnet. Bibliotheken und vor allem Museen haben die Präsentation und Öffentlichkeitsarbeit verbessert und zum Teil in Kooperation mit Schulen und Volkshochschulen kulturpädagogische Dienste ausgebaut. Eine zentrale kulturpädagogische Bedeutung haben die Theater. Die Angebote des Kinder-und Jugendtheaters sind in den siebziger Jahren erweitert worden, durch Sparmaßnahmen zum Teil aber auch wieder gefährdet. Vielfältige Formen der Zusammenarbeit von Schulen und Theatern werden praktiziert, doch bleiben die Theater-Erfahrungen für die meisten Schüler nur sporadisch. Erheblich erweitert wurde das Angebot der Musikschulen, in denen über 600 000 Schüler unterrichtet werden Die in mehreren Landtagsdebatten beklagten Defizite des Musikunterrichts können damit aber nur zum Teil ausgeglichen werden.
Angesichts der eingangs geschilderten Tendenzen wird die kulturelle Entwicklung durch eine Reduzierung des (finanziellen) Engagements der öffentlichen Hände dort besonders gefährdet, wo die Arbeit von kulturellen Initiativen und Vereinen, kulturpädagogische Bemühungen und die Öffnung und Kooperation kultureller Einrichtungen betroffen sind. Kulturentwicklungsplanung, die einen für mehrere Jahre geltenden Rahmen für kulturelle Aktivitäten schafft (und sich als „Freiraumplanung" verstehen sollte), kann ein Weg sein, das Verständnis für kulturelle Zusammenhänge der Stadtentwicklung zu verbessern und dadurch auch eine längerfristige Finanzierung zu sichern. Bei entsprechender Bürgerbeteiligung, vor allem im Kontext der Stadtentwicklungsplanung, können kulturelle Lern-und Bewußtseinsbildungsprozesse in Gang gesetzt werden, die nicht minder wichtig sind wie das Ergebnis selbst
V. Der Bund und die „Kulturstiftung der Länder"
Verglichen mit den Gemeinden und Ländern sind die innerstaatlichen kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes aufgrund der verfassungsmäßigen Zuständigkeit und der von den Ländern entschieden verteidigten Kulturhoheit eng begrenzt (die Gesamtausgaben aller beteiligten Bundesministerien für Kunst-und Kulturförderung sollen 1984 356 Millionen DM betragen). Die steuerpolitischen Möglichkeiten des Bundes wurden bisher wenig genutzt, worauf der Deutsche Kulturrat in seinen Vorschlägen „für ein kulturfreundliches Steuerrecht" hingewiesen hat
Der Bund entfaltet besondere kulturelle Aktivitäten in Bonn und Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz), über 50 Prozent der Förderungsmittel des Bundesinnenministeriums gehen nach Berlin. Nach einer Vereinbarung von 1980 übernimmt der Bund in Bonn 70 Prozent der kulturellen Aufwendungen der Stadt Nur wenige kulturelle Einrichtungen wie etwa die Deutsche Bibliothek in Frankfurt werden vom Bund alleine getragen; in den meisten Fällen beteiligt sich der Bund an der finanziellen Förderung kultureller Vorhaben, die auch von Ländern und Gemeinden sowie von Stiftungen gefördert und getragen werden. Seit den Regierungserklärungen von 1973 und 1976 zeigt der Bund in Bereichen der Kunst-und Kulturförderung zunehmendes Engagement, für die er nach dem Grundgesetz nicht ausdrücklich zuständig ist, und zwar mit dem Anspruch der gesamtstaatlichen kulturellen Repräsentation Diese Aktivitäten werden dem Bund zum Teil von den Ländern bestritten.
Seit dem Vorschlag in der Regierungserklärung Willy Brandts vom 18. Januar 1973 ist eine Deutsche Nationalstiftung im Gespräch, doch kam aufgrund der unterschiedlichen Einschätzung der Kompetenzen von Bund und Ländern keine Einigung zustande, was angesichts der unzulänglichen konzeptionellen Zusammenarbeit nur bedauert werden konnte.
Nach in wenigen Monaten erfolgten Vorarbeiten in den Staatskanzleien (nicht etwa den Kultusministerien!) unter Federführung Baden-Württembergs haben sich im Juni 1984 die Ministerpräsidenten nun untereinander und mit der Bundesregierung auf den Entwurf eines Abkommens zur „Errichtung einer Kulturstiftung der Länder" und ein Verwaltungsabkommen der Länder mit dem Bund geeinigt. Wegen der Bedeutung dieses Vorhabens ist allerdings zu erwarten, daß es mit Rücksicht auf die Länderparlamente doch zu einem Staatsvertrag der beteiligten Länder kommen wird. Wie bereits der Name signalisiert, haben sich die Länder mit ihren Vorstellungen von „Kulturhoheit" behauptet
Folgende Schwerpunkte wurden festgelegt: 1. Die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrungswürdiger Zeugnisse; 2. die Förderung von und die Mitwirkung bei Vorhaben der Dokumentation und Präsentation deutscher Kunst und Kultur; 3. die Förderung zeitgenössischer Formen und Entwicklungen von besonderer Bedeutung auf dem Gebiet der Kunst und Kultur; 4. die Förderung von überregional und international bedeutsamen Kunst-und Kulturvorhaben (§ 2).
Die Abwanderung von Kunstwerken ins Ausland (Evangeliar Heinrich des Löwen) durch die Bündelung des Engagements von Staat und Privaten zu verhindern, war ein wichtiges Motiv für diesen Beschluß Der Stiftung sollen eine Reihe jener Förderungsmaßnahmen des Bundes übertragen werden, mit denen sich der Bund kulturpolitisch profilieren könnte, die ihm aber nach Auffassung der Länder nicht zustehen, darunter auch die Förderung des Kunstfonds e. V., des Literatur-fonds e. V. sowie das Musikförderungsprogramm des Deutschen Musikrates Nach Einsprüchen der Kunstverbände und des Deutschen Kulturrates wurde diesen zuge-sagt, daß sie wie bisher ihre Zuschüsse weitgehend autonom vergeben könnten, doch gibt es noch keine öffentlich nachprüfbare Entscheidung. Die Länder sollen jährlich den relativ bescheidenen Betrag von 10 Millionen DM für die Durchführung laufender Ausgaben sowie die Ansammlung des Stiftungsvermögens entrichten (§ 4). Für 1985 soll der Bund etwa 13, 5 Millionen DM zur Verfügung stellen, ein Betrag, der bisher unter dem Vorbehalt parlamentarischer Billigung im Bundeshaushalt veranschlagt war Die Stiftung soll sich um Zuwendungen Dritter bemühen und durch einen Förderverein unterstützt werden, der für Mäzene und Förderer offen-steht (§ 4).
Der Entwurf eines . Abkommens zur Errichtung der Kulturstiftung der Länder" vom Februar 1984 ist aufgrund verschiedener Einsprüche von Politikern und Kulturverbänden deutlich abgeändert worden. Der jetzige Entwurf ist tragfähiger, doch bleiben Bedenken: Die Entscheidungsbefugnis liegt beim Stiftungsrat, der aus jeweils einem Mitglied der Länderregierungen und, sofern der Bund finanziell beteiligt ist, aus drei stimmberechtigten Mitgliedern der Bundesregierung besteht Entscheidungen werden einstimmig getroffen, womit Bedenken wegen der befürchteten Aushöhlung von Länderkompetenzen und vor allem des Übergewichts einer Partei Rechnung getragen, innovative Dynamik aber nicht gerade erleichtert wird. Auch mit Rücksicht auf das zunehmende kulturpolitische Engagement in den Parlamenten ist die Dominanz der Regierungen nicht unbedenklich. Angesichts der vorgesehenen Konstellation bleibt nun zwar zu hoffen, daß dem vom Stiftungsrat ernannten Kuratorium bei den fachlichen Beratungen tatsächlich „hohes Gewicht" zukommen wird, wie Lothar Späth für die Ministerpräsidenten versichert dem Kuratorium sollen aber neben 20 Sachverständigen, von denen bis zu zehn von Kultur-verbänden vorgeschlagen werden können, auch zehn „Förderer" angehören (§ 9). Das Gewicht der Förderer wurde gegenüber früheren Entwürfen deutlich reduziert, doch ist die Mitsprache von Mäzenen bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln nach wie vor umstritten. Dieter E. Zimmer verweist mit Recht auf mögliche Komplikationen bei der Zuteilung von Finanzmitteln: „Sollen die Institutionen ... künftig für ihre zuschußbedürftigen Projekte beim Bund und bei 11 Staatskanzleien gut Wetter machen müssen? Und sicherheitshalber auch noch bei den 10 Mäzenen, damit sie bei den Miisterpräsidenten ein gutes Wort für sie einlegen? Wird jeder Antrag dann zu einem Kampf mit einem vielköpfigen Drachen der Bürokratie?" Die Kulturpolitiker der kommunalen Spitzenverbände wurden ungeachtet des dort vorhandenen Sachverstandes nicht in die Beratungen über eine Kulturstiftung einbezogen. Ihnen verbleibt nach dem gegenwärtigen Stand der Entscheidungen nur die Möglichkeit, im Kuratorium mitzuwirken, woran jedenfalls der Deutsche Städtetag interessiert sein dürfte. Die angestrebte Verbesserung der Zusammenarbeit bei überregional bedeutsamen Förderungsvorhaben wie auch die Vermeidung kulturpolitisches Engagement beeinträchtigender Kompetenzstreitigkeiten von Bund und Ländern lassen die Einrichtung einer gemeinsamen Kulturstiftung sinnvoll erscheinen Die Entwürfe der Abkommen, auf die sich die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung nun geeinigt haben, sollten als Grundlage für weitere Diskussionen angesehen werden.