Einleitung
Die Entzauberung der technischen Zivilisation hat für viele begonnen. Der Glaube an industriegesellschaftliche Werte wie Rationalisierung, technisch-wissenschaftlicher Fortschritt und Effektivierung geht zurück. Unberührt davon glauben aber auch viele daran, daß die technologische Förderung und wirtschaftliche Einführung der Mikroelektronik neue Vitalität in die entwickelte industrielle Gesellschaft bringen wird. Aus diesem noch zunehmenden Spannungsverhältnis erwächst die hier zu untersuchende Frage.
Nachdem erkennbarer wird, daß das „System des Industrialismus" inzwischen alle Lebensbereiche der Gesellschaft erfaßt und durchorganisiert hat, und auch deutlicher wird, daß die Krise der technischen Zivilisation neue soziale Prozesse auslöst, die u. a. auf eine erweiterte politische Teilhabe („partizipatorische Revolution") drängen, rückt die demokratietheoretisch bislang vernachlässigte Frage nach den gesellschaftlichen Konsequenzen eines von den neuen Informations-und Kommunikationstechnologien eingeleiteten Rationalisierungsprozesses in den Vordergrund.
Die Einführung der neuen Informationstechnik wird erstmals in der Geschichte der Industriegesellschaft dazu führen, daß die ent-organisierende Kraft technisch erzeugbarer Rationalisierungsmöglichkeiten gezielt und in größerem Umfang eingesetzt wird und — wie zu prüfen sein wird — vielleicht die Chance zu neuen, erweiterten Formen der demokratischen Teilhabe öffnet.
Damit sind die Ausgangspunkte markiert: Die Folgen der Industrialisierung lösen wachsenden Zweifel am Fortschrittsglauben aus und beginnen das kulturelle Wertesystem des Industriesystems zu unterminieren, mit der Folge, daß die Bürger immer stärker die Forderung nach einer unkonventionellen, direkten Beteiligung stellen. Dieser gesellschaftstheoretische Rahmen ist soweit aufzufächern, daß eine demokratietheoretische Bündelung vorgenommen werden kann, die den Versuch erlaubt, die in der Logik einer wachsenden „Informatisierung" der Gesellschaft liegenden Tendenzen zu analysieren. Welchen Nutzen kann eine solche demokratietheoretisch orientierte Auswirkungsanalyse haben?
Es wird versucht, den gesellschaftspolitischen Umbruchprozeß, in dem wir uns heute und wahrscheinlich für lange Zeit befinden, zur Ausgangslage einer Analyse zu machen, die gezielt die technisch-physikalische Logik der Computernetze und deren gesellschaftspolitisch wirksam werdende Konsequenzen auf Widersprüche bzw. Übereinstimmungen mit der Tendenz zu umfassenderen Partizipationsbestrebungen befragt. * Eine besondere methodische Schwierigkeit liegt darin, daß es sich bei dem Prozeß des Wertewandels sowie der Informatisierung der industriellen Gesellschaft jeweils um noch unabgeschlossene historische Prozesse handelt. Ob nämlich die neue Informationstechnik z. B. vorhandene Tendenzen zur „technokratischen Eliteherrschaft" verstärkt oder aber dem wachsenden Druck nach direkter Teilhabe am gesellschaftlich relevanten Wissen nachgibt, ist, so oder so, eine Frage nach der Qualität, dem Selbstverständnis, mit dem ein neuer Begriff von Politik vor dem Hintergrund des historischen Umbruchs der technischen Zivilisation gesehen wird.
I. Politische Partizipation und Gesellschaftstheorie
Bislang galt der soziale Konflikt als zentrale Komponente des politischen Lebens in westlichen Industriegesellschaften. Es mehren sich aber die Anzeichen, daß wir die Abwendung von einer klassenorientierten und die Hin-wendung zu einer mehr und mehr wertorientierten politischen Polarisierung erleben. Als Ursache wird der kulturelle und politische Wandel in Westeuropa gesehen. Dies besonders bezüglich der Bürgerinitiativbewegung, die als neue soziale Bewegung gewertet wird und bewußt quer zu den etablierten Parteien und den kanalisierten Verarbeitungsmustern des politischen Systems liegt. Als Auslöser für die Entstehung der Bürgerinitiativen gelten die Umweltproblematik, die Kernenergie und das gewachsene Unbehagen der Bürger, daß demokratische Konsenssuche durchaus Lösungen hervorbringen kann, die „vom Bürger da draußen" und dessen Wert-und Erwartungsstrukturen qualitativ nicht mehr akzeptiert werden Dem „abgehobenen" Agieren der politisch-administrativen Elite wird — trotz anhaltender stabiler Wahlbeteiligung und hoher Parteienkonzentration — weniger Vertrauen als in der Vergangenheit entgegengebracht. Die Parteiendemokratie scheint ihre Funktion der Systemintegration nicht mehr in vertrautem Maße wahrnehmen zu können denn wichtige soziale Konflikte der letzten Jahre weichen von der traditionellen Konfliktlinie (Arbeit und Kapital) ab. Außerhalb der Themensetzungsmacht der politischen Parteien ist es zu einer Politisierung neuer Lebensbereiche wie Umwelt, Lebensqualität, Erziehung, technischer Fortschritt, Rüstung usw. gekommen. Im Zentrum westlicher Industriestaaten steht bei der Setzung bzw. Kontrolle politischer Themen mehr und mehr die sich formierende neue soziale Bewe-gung (Bürgerinitiativ-, Kernkraft-, Ökologie-, Alternativer Lebensstil-, Friedensbewegung). Technikkritik ist von ihnen zu einem gesellschaftlichen und politischen Thema gemacht worden. „Die grundsätzliche Neuheit ökologischer Krisen und die zunehmende Thematisierung der globalen Umweltfolgen des Industrialisierungsprozesses geht mit einer allgemeinen Infragestellung des Fortschrittgedankens Hand in Hand ..
Aus analytischer Sicht wurden verschiedene Versuche unternommen, die neuen Konflikt-dimensionen zu systematisieren. So hat Raschke versucht, die gegenwärtige Lage als eine Phase des Paradigmenwechsels zu deuten. Nach einer Epoche des „Herrschaftsparadigmas" und des darauffolgenden „Verteilungsparadigmas" entfalte sich derzeit ein Paradigma der „Lebensweise".
Dabei geht es u. a. darum, die „Welt vom Individuum her aufzubauen", den Menschen in seinen vielfältigen Lebensbeziehungen unmittelbar zum Bezugspunkt für die Politik zu machen. „Industriesystem, Kapitalismus, aber auch Sozialismus und Demokratie, wenn sie von den Funktionserfordernissen dieser Systeme und nicht von den Bedürfnissen des Individuums her konzipiert werden, gehören zu den problematisch gewordenen System-strukturen und -Ideologien, die an Dynamik und Überzeugungskraft eingebüßt haben."
Der jetzt ablaufende Paradigmenwechsel setzt zum Ausgangspunkt und Ziel politischen Handelns die Lebensweise des Menschen. Die partizipatorische Dimension des Paradigmas „Lebensweise" liegt in dem nicht vollendeten Demokratisierungs-Versuch, nämlich dem Bürger in seinen unmittelbaren Lebensbereichen mehr Transparenz und Einwirkungschancen zu verschaffen. Das bewußter werdende, strukturell angelegte Partizipationsdefizit wird jetzt politisiert. Der bislang weitgehend vorhandene Partizipationsverzicht großer Bevölkerungsteile scheint aufgekündigt zu sein. Partizipation ist zum neuen Zauberwort geworden, löste aber bislang ohne klare Vorstellung über die Ziele keine Probleme. Die bisher fehlende Ideologie, das Programm, ist mit der gleichberechtigten Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse gegenüber der Natur und in bezug auf die Gesellschaft nun aber gegeben.
Das jetzt zielgerechte partizipatorische Engagement, das in den Kanälen der Parteidemokratie nicht zur selbstfindenden Entfaltung kommt, schafft sich außerhalb der Institutionen und mit vielfach noch unkonventionellen politischen Beteiligungsformen eine eigene wachsende Basis Kaase spricht von einer „partizipatorischen Revolution" und meint, daß „die entwickelten Industriegesellschaften des Westens sich zunehmend einer umfassenden Forderung der Bürger nach Ausweitung ihrer sozialen und politischen Beteiligungsrechte gegenübersehen" Bezeichnend für die gegenwärtige Umbruchphase ist nun, daß „der zunehmende Druck der Bürger zur systematischen Ausweitung der bisher institutionell nur sehr begrenzt verankerten Teilhabe-rechte an Politik" als Prognose aus den Prozessen des Wertewandels abgeleitet werden. Die Frage nach dem „Wesen", nach einem „Wandel" oder einem „Verfall" alter Werte hat in letzter Zeit in den Diskussionen an Bedeutung gewonnen und wird noch zunehmen. Ob es sich um Ingleharts These vom allmählichen („lautlosen") Übergang zu nicht-materiellen Werten handelt oder um Bells Aussage, daß gegenwärtig eine Desintegration des Wertesystems stattfindet, die in einen Konflikt von miteinander um Dominanz konkurrierenden Wertmustern führt, um Löwenthals Zustimmung, daß die Ursachen der „Kulturkrise" bestimmt werden aus Defiziten des sozialen und politischen Systems gegenüber den Problembeständen der aktuellen Entwicklungsphase der Gesellschaft, z. B. Verknappung der natürlichen Ressourcen, oder um die von Habermas diagnostizierte „Motivationskrise": gemeinsam ist diesen kultur-soziologischen Konzepten nicht nur, daß ihnen entsprechende emprirische Untersuchungen zuzuordnen wären, sondern auch die abzuleitende Aussage, daß sogenannte „postmaterialistische" Werte (z. B. Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung) zunehmend an Bedeutung gewinnen, bis sie schließlich auch den Charakter der Politik verändern. Politische Teilhabe wird, ganz im Sinne radikaldemokratischer Theorien, als Ziel definiert. Allerdings zeigt sich, daß die ökonomische Krise in zahlreichen westlichen Industriegesellschaften noch die Dimension der postmaterialistischen Wertordnungen zugunsten des alten Links-rechts-Konfliktes verdrängt. Aber die soziale Basis für eine neue, postmaterialistische Politik ist damit keineswegs verschwunden. Die von Inglehart 1971 veröffentlichte These von der „stillen Revolution" — die weniger still abläuft — wird auch in absehbarer Zukunft nicht an Bedeutung verlieren Für diese Annahme spricht, daß die Kritik an der Technikentwicklung nun schon über zehn Jahre dauert und keine — wie viele schon länger erwarten — Abfallphase zu sehen ist. Statt dessen sieht es so aus, daß sich der Technologiekonflikt sowohl politisch (Grüne Partei) als auch thematisch stabilisiert. „Technikkritik ist ein Strukturproblem fortgeschrittener Industriegesellschaften geworden, weil Wissenschaft und Technik als erste Produktivkraft in fast allen Lebensbereichen eingesetzt wird und von daher alle Lebensbereiche stark in den Modernisierungsprozeß hineingezogen werden, dessen Folgeprobleme zum Anlaß von Konflikten werden."
Ergebnisse:
1. Der Technologiekonflikt, die immer wichtiger werdende Stellung von Wissenschaft und Technik im sozio-ökonomischen Zusammenhang der Gesellschaft, ist der bestimmende Auslöser gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Diffuses Unbehagen bildet sich gegenüber bislang tragenden Wertmustern, gesellschaftspolitischen Optionen und Lebensstilen heraus. Dies führt zur Veränderung der Wertordnung und zu Änderungen der politischen Kultur. Das Aufkommen neuer Orientierungsmuster und die Erosion der Legitimationsgrundlagen haben zu weitreichenden partizipativen Forderungen geführt. Der modernistische Fortschrittsglaube ist grundlegend gebrochen. Verstärkt ist die wachsende Sensibilität für immaterielle Werte, für Fragen der Lebensqualität wahrzunehmen. 2. Demokratie wird nicht mehr nur allein daran gemessen, ob freie Wahlen existieren, sondern wieweit der einzelne Bürger bei der unmittelbaren Gestaltung seines Lebens mitbestimmen kann. Neben die indirekte Form der politischen Beteiligung bei Wahlen tritt immer stärker die Forderung einer unkonventionellen direkten politischen Partizipation, frei von der Kanalisierung in institutionell vorgeprägten Zwängen.
3. Die Forderung nach mehr direkter politischer Beteiligung wird besonders betont von jenen, die sich nicht nur durch eine überdurchschnittliche Gesprächsbereitschaft und -tätigkeit, sondern auch hinsichtlich ihres gesellschaftspolitischen Engagements auszeichnen. Die hier liegenden Ansätze zur politisch wirksam werdenden Meinungsführerfunktion sind im Hinblick auf die Konfliktfähigkeit wie auch auf die Konfliktbereitschaft von besonderer Bedeutung. („Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß eine Minorität den Kurs anzeigt, den die historische Entwicklung nimmt" [Fromm]). 4. Bemerkenswert ist, daß die gesellschaftstheoretische Debatte zwar ein Ende der industriegesellschaftlich bedeutsamen Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit ankündigt, aber kaum zu erkennen gibt, ob und in welcher Weise den vorerst wohl noch weiter existierenden Gewerkschaften im neuen Spannungsfeld zwischen Materialismus und Postmaterialismus eine Rolle zukommt. Es wird mit eine Aufgabe dieser Abhandlung sein, auch die Rolle und Funktion der Gewerkschaften im Übergang zur Informationsgesellschaft insbesondere unter dem Aspekt der Informationsteilhabe zu betrachten.
II. Die neue Qualität der Informationstechnik
Der Versuch, gesellschaftspolitisch bedeutsam werdende Konsequenzen der neuen Informationstechnik zu erarbeiten, dient dem Ziel, eine Vermittlung zwischen den empirisch abgesicherten Trends der weiteren historisch-sozialen Entwicklung und der „neuen Qualität" der Mikroelektronik herzustellen. Es gibt Stimmen, die es ablehnen, in diesem Zusammenhang aus heutiger Sicht schon von einer „neuen technologischen Qualität" zu sprechen Im folgenden soll begründet werden, warum es berechtigt ist, ausgehend von der physikalisch-chemischen Logik der Mikroelektronik, durchaus einen Qualitätssprung im Vergleich zur herkömmlichen ingenieurwissenschaftlichen Technologieentwicklung zu sehen.
Aufgrund der mit der „elektronischen Funktion" gegebenen neuen Technologiequalität muß aber, logisch weitergedacht, auch mit einer neuen Qualität gesellschaftspolitisch virulent werdender Auswirkungen im Über-gang zur Informationsgesellschaft gerechnet werden. Je für sich betrachtet ist die „elektronische Funktion" — als physikalisches Urprinzip der Mikroelektronik —, ihre Informatisierungskonsequenzen, zum Beispiel die Auflösung (Immaterialisierung) sozialer Prozesse und die Maschinisierung geistiger Tätigkeit, längst bekannt. Der spezifische Stellenwert des nachfolgenden Überblicks aber ist, daß in dem Wirksamwerden der Informatisierungsprozesse gesellschaftspolitisch bedeutsam werdende Konsequenzen liegen, die in noch näher zu klärender Weise auf ihre Bedeutung für die aus dem Wertewandelprozeß sich ergebenden Partizipationsforderungen geprüft werden müssen. 1. Die elektronisch-logische Funktion Für die Informations-und Kommunikationstechnik nimmt die Mikroelektronik eine Schlüsselposition mit politischer Brisanz ein. Mikroelektronik ist anderer Natur als etwa die Metallverarbeitung, der Elektromotoren-bau oder die Textilindustrie. Diese konventionellen Technologiefelder sind nur entwickelbar auf einer streng wissenschaftlich-ingenieurmäßigen Grundlage.
Die auf der Mikroelektronik beruhende neue Informationstechnik funktioniert im Grundsatz nach den physikalisch-chemischen Gesetzen des Atoms. Bei der Mikroelektronik ist die Funktion, die wir benutzen, unmittelbar in den atomaren Aufbau eines Festkörpers inte17 griert. Die Dimensionen sind ins Atomare gegangen. Waren bislang Komponenten und Strukturelemente sowie ihre Funktionen im Maschinensystem sichtbar, erkennbar, noch überschaubar, sind sie jetzt in der atomaren Anordnung eines festen Körpers versteckt und werden dort direkt genutzt. Unsichtbare atomare Prozesse im Innern eines Atomkerns erzeugen qualitativ neue Effekte. Die elektronisch ablaufenden Funktionen sind in der Atomordnung unsichtbar im Kristallinnern versteckt und lassen sich durch „Außensignale" (digitalisierte Programme) beliebig benutzen. Die elektronischen Funktionen in der Atomhülle eines Festkörpers lassen sich durch binäre Elemente (Bits), d. h. durch eine Aneinanderreihung von Einsen und Nullen in verschiedenen Kombinationen, die jeweils ein Symbol, einen in Informationseinheiten aufgelösten Wert darstellen, steuern. 2. Computer-Kommunikationssysteme Die digitalisiert steuerbaren elektronischen Funktionen eines Halbleiters kommen im technischen Instrument des Computers zur gesellschaftlich wirksamen Entfaltung. Die elektronische Funktion macht es mit Hilfe des Computers möglich, Informationen in bisher unbekannten Mengen und unbekannter Vollständigkeit zu speichern sowie Informationen in bisher unbekannter Geschwindigkeit und Vielschichtigkeit miteinander zu verknüpfen, um damit die Informationsqualität zu steigern. Computer sind „autonome Maschinen", nicht für eine bestimmte Aufgabe oder Arbeit konstruiert, die sich für jeden Zweck und von jedem Nutzer programmieren lassen. Den Computer zu benutzen, ist eine Frage an „maschinisierbare" Regeln und Gesetze, für abzubildende Gegenstände, Verfahren oder Systeme. Den digitalisierten Abbildungen der Wirklichkeit gehorcht der Computer. Aus den objektiven Bedienungsbedingungen der elektronischen Funktion erwächst die neue, dann gesellschaftlich wirksam werdende Qualität der Auswirkungen der mikroelektronik-unterstützten Informationstechnologien, wenn der Trend zur Vernetzung und Verflechtung von Computer-und Nachrichtentechnik fortschreitet. Neben längst vorhandene maschinengestützte Erzeugungs-und Transportsysteme wie Geldkreislauf, Versorgungssysteme (Wasser, Energie) und Verteilungssysteme für Güter durch Bahn und Auto tritt nun das Computer-Netzwerk bzw. das Informationsnetz. Rapide Fortschritte im Bereich der Informatik und Telekommunikations-Technologie während der letzten zehn Jahre haben zu deren Verschmelzung geführt. Die Telematik ist die Grundlage für grenzüberschreitenden Datenverkehr, d. h. für internationale Datenflüsse über transnationale Computer-Kommunikationssysteme. Zeit und Entfernung verlieren als Barrieren für den Zugang zu Computer-dienstleistungen für die Verarbeitung, Speicherung und Wiederabrufung maschinenlesbarer Daten zunehmend an Bedeutung. Heute ist es schon soweit, daß manche Industrien praktisch ohne transnationale Computer-Kommunikationssysteme nicht mehr funktionieren. Die Prozesse, die zur Telematik und zum grenzüberschreitenden Datenverkehr führten, werden eine beschleunigte Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft fördern und zu tiefgreifenden Veränderungen, neuen Abhängigkeiten in allen Volkswirtschaften und Gesellschaften führen Information ist zur Schlüsselressource geworden.
Fazit: Der Computer ist zentrale Voraussetzung dafür, daß die neue technologische Qualität der Mikroelektronik — die Nutzbarmachung der elektronischen Funktion — möglich ist. Die Vernetzung von Computern wiederum ist Vorbedingung dafür, daß durch die Digitalisierung bzw. informationsmäßige Auflösung bekannter, routinierter, bislang von Menschen oder Maschinen wahrgenommener Verfahren und Regeln in Betrieb, Büro und Alltag die neue Qualität der informationstechnisch ausgelösten gesellschaftlichen Auswirkungen zur Entfaltung kommt. 3. Zur Struktur der Informatisierungs-Prozesse Der soziale Zusammenhang, in den die Computernetze in verschiedener Art eingebaut werden, öffnet die Perspektive, um nach den Konsequenzen der Informatisierung der Gesellschaft zu fragen.
Zunächst gilt festzuhalten: „Information" wird mit Hilfe der sich ausdehnenden Computernetze zu einer immer wichtigeren Ressource wie Wasser, Energie, Arbeit und Kapital. Daß in diesem Zusammenhang, kritisch indentiert, von „Informatisierung" gesprochen wird, ist darauf zurückzuführen, daß die Mikroelektronik ihre innere, formale Gesetzmä-ßigkeit den „äußeren" gesellschaftlichen Vorgängen aufpressen muß, soll ihre Effektivität genutzt werden. Alles und jedes muß in Informationsmengen (in Bits) ausgedrückt werden, um zu einer computergerechten Austauschbarkeit, Schnelligkeit, Quantifizierbarkeit von ent-materialisierten, ent-individualisierten Datenmengen zu kommen. Dieser „Verdatungseffekt" ist technische Konsequenz der physikalischen Logik der elektronischen Funktion; die gesellschaftliche Konsequenz beginnt dort, wo Computernetze neben den Menschen bzw. anstelle des. Menschen zur Unterstützung sozialer und technischer Prozesse (Kommunikationsvorgänge) eingesetzt werden bzw. eine Neuordnung des Zusammenspiels von Mensch und Organisation erzwingen. Computernetze vermögen jeden vorhandenen Kommunikations-, Interaktions-und Arbeitsprozeß zu koordinieren, zu beschleunigen, zu erweitern und aufzulösen. In dem Zwang zur Unterordnung, zur Anpassung des Menschen, aber auch konventioneller (Kraft) Maschinen an den von der binären Logik diktierten Impuls der Computernetze liegt der spezifische Aspekt der politisch wirksam werdenden Konsequenzen: sowohl einer Auflösung kommunikativer Vorgänge als auch einer Automatisierung geistiger, bislang noch vom menschlichen Gehirn ausgeübten Tätigkeit. a) Auflösung kommunikativer Vorgänge Wie dargelegt, gehört es zur Funktionslogik des Computers, daß Informationen über einen zu bearbeitenden Vorgang sowie das Bearbeitungsschema (Programm) vorliegen müssen. Übertragen auf die Situation in Betrieb, Büro und Alltag erfordern die Funktionsbedingungen der Mikroelektronik die symbolisierte Abbildung von technisch-maschinellen bzw. bürokratischen Verfahren in Form von binären Informationen. Die Auflösung konkreter Wissensbestände in Datenmengen stellt quasi eine Metaebene, einen weiteren vermittelnden, aber die Entfremdung erhöhenden Faktor menschlicher Arbeit dar (Arbeit verstanden als Aneignung von Natur). Die „verdatete" Abbildung kommunikativer Vorgänge ist als Rationalisierungsvorgang zu werten Damit besteht die Möglichkeit, zur (immateriellen) Reorganisation von Verfahren und Handlungen zwischen sich an verschiedenen Orten befindlichen Partnern zu kommen. D. h., die effektive Bedienung der neuen Informationstechnik wird rationalisierend in alle organisierten Prozesse der Gesellschaft eingreifen, eine politisch bedeutsame Reorganisation erzwingen und damit eine weitere Stufe der gesellschaftlichen Rationalisierung einleiten. b) Automatisierung geistiger Tätigkeit Verbunden mit der datenorientierten Aufbrechung der bislang zentralen Identität von Situation, Handeln und Wissen (Wissen ist unter den Bedingungen des Computers zu einer industriell erzeugbaren und kommerzialisierbaren Ware geworden; vgl. Nutzungsbedingungen von Datenbanken) ist das wettbewerbsmäßige Eintreten menschlicher Informationsverarbeitung mit computerunterstützter Informationsverarbeitung. Die informationsmäßige Auflösung kommunikativer Vorgänge erfordert, daß maschinisierte und programmierte Regelungen solche Tätigkeiten aufheben bzw. verändern, die bislang vom menschlichen Gehirn wahrgenommen und gesteuert wurden. Der naturwissenschaftlich verengte Vergleich eines Wettlaufes zwischen „Gehirn und Computer" ist als Konsequenz der Informatisierung gesellschaftlicher Prozesse in der Literatur weit verbreitet und geeignet, die gesellschaftspolitische Potenz dieses Prozesses abschätzen zu können. Automation bezeichnet den gesellschaftlichen Prozeß fortschreitender Ersetzung menschlicher Tätigkeit durch Funktionen künstlicher Systeme So gesehen gab es „Automation" schon vor dem Computer, weil längst menschliche Tätigkeit durch Werkzeuge und Maschinen ersetzt wurden. Die symbolisierte Abbildung gesellschaftlicher Vorgänge in Form von Informationsprozessen macht — wie angedeutet — keinen Unterschied, ob es sich dabei um die Maschinisierung körperlicher oder geistiger Arbeit handelt. Der Informationsautomat „maschinisiert" geistige Arbeit (einschließlich ihrer „manuellen" Bestandteile wie Lesen und Schreiben). Der Computer ist — im Unterschied zur (Kraft) Maschine — nicht nur Informations„maschine", sondern auch Universal„maschine" und damit in dieser Kombination etwas durchaus Neues in der Menschheitsgeschichte
Ergebnis Deutlich geworden sollte sein, daß sich mit dem durch die Computernetzwerke erzeugten allgemeinen Zwang zur Verdatung kommunikativer (sowohl menschlicher als auch technischer) Prozesse eine fundamentale gesellschaftspolitische Herausforderung an zentrale, industriegesellschaftlich bedeutsame Identitätsstrukturen (Arbeit, Bildung) einstellen wird. Im Gegensatz zur historischen Phase der Maschinisierung der körperlichen Arbeit sind heute die Gesetzmäßigkeiten einer Informatisierung gesellschaftlich bedeutsamer Kommunikationsvorgänge im Grundsatz bekannt, aber doch, so meine ich, bezüglich ihrer gesellschaftspolitischen bzw.demokratie-theoretischen Konsequenzen keineswegs ausreichend in Form von politischen Anpassungsstrategien (Reformen) aufgearbeitet.
III. Gesellschaftlich wirksam werdende Konsequenzen der Informatisierung
Automation, rechnergestützter Entwurf/rechnergestützte Fertigung (CAD/CAM) und Robotik im industriellen Bereich, Übersetzungsautomaten, Sprechschreiber, Bürokommunikationssysteme im Bürobereich, die digitale Schallplatte, Videorecorder, Bildplatte, Heimcomputer im Bereich von Familie und Freizeit öffnen den Weg in die Informationsgesellschaft. Die elektronisch-technologischen Instrumente der Informatisierung revolutionieren den Prozeß der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine und erzwingen eine Veränderung der Arbeitsorganisation mit Konsequenzen für die gesamte berufliche Qualifikationspyramide. Sie werfen die Frage auf, was der Mensch in einer von Computer-Kommunikationssystemen beherrschten Informationsgesellschaft eigentlich noch lernen soll und eröffnen gleichwohl die von interessierten gesellschaftlichen Kräften zu nutzende Möglichkeit einer breiteren Teilhabe am gesellschaftlich relevanten Wissen.
Dies gibt stichwortartig den Blick frei auf die Struktur der gesellschaftspolitischen Konsequenzen einer Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Industrieroboter wird die Arbeitsplätze von 400 000 un-und angelernten Arbeitern (Stand: 1978) in der Serienproduktion verändern und substituieren, ohne daß heute schon klar ist, ob und wo neue Arbeitsplätze für die Menschen am Sockel der Qualifikationspyramide entstehen werden Auch der Fachar-beiter — eine Säule der ehemaligen Industriegesellschaft — sieht, daß die „unbemannte Fabrik der Zukunft" nicht erst am Ende des Jahrhunderts, sondern schon in fünf Jahren Wirklichkeit sein kann Mechanisiert ist die Arbeitswelt seit über hundert Jahren, jetzt aber geht die Kontrolle über die mechanischen Arbeitsgeräte vom Menschen immer mehr weg hin zu den immateriellen Informationsprozessen des Computers. Ob es die computergesteuerte Werkzeugmaschine (CNC) ist oder das weitere Vordringen von CAD/CAM im Fertigungsbereich, die Verdrängung vorwiegend mechanischer Regelungs-und Steuerungssysteme durch wartungsfreie elektronische Bausteine — in der Bundesrepublik Deutschland (und natürlich nicht nur hier verändert sich die konven'tionelle Berufsperspektive für Schlosser, Mechaniker und Elektriker (zusammen ca. zwei Millionen Beschäftigte) im Zuge der Informatisierung des Produktionsprozesses grundlegend Das Vordringen von CAD/CAM-Systemen wird nach und nach systematisch Management und Organisation eines Industrie-unternehmens hin zu einer computerisierten Fabrik verändern. Dafür sprechen die unglaublich rasche Zunahme (von 1979 bis 1982 stieg der Computerbestand in der Bundesrepublik von 184 791 auf 356 589) und die Verbilligung der Computerleistung, gestützt auf eine geometrische Progression der Funktionsund Speicherkapazität der Mikroprozessoren. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie in gesamtgesellschaftlicher Sicht die Produktiv-kraft „Roboter" zu bewerten sein wird. Sollen Roboter einen Gewerkschaftsbeitrag zahlen, weil die Gewerkschaften bald ohne Mitglieder dastehen? Roboter können keine Sozial-partner sein, obwohl sie einen Teil der materiellen Grundlagen sichern helfen Diese Problematik läßt sich auf den Bereich des Büros ausdehnen, denn die Suche nach Reserven zur Produktivitätssteigerung mit Hilfe des Computers macht vor den Türen der Verwaltung nicht Halt
Die Büroarbeit ist längst ins Visier der Betriebsorganisatoren und Datenverarbeiter gekommen. Mit Hilfe der zur modernen Büro-technik verschmolzenen Computer-und Nachrichtentechnik soll das konventionelle Büro von heute in eine moderne Informationsfabrik verwandelt werden. 27 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten im Büro sowohl beim Sachbearbeiter, der Sekretärin, ja selbst beim Experten sind (so Siemens) durch computerunterstützte Bürokommunikation 25 bis 35 Prozent an Arbeitszeit zu gewinnen. Das Büro der Zukunft braucht kein Papier mehr, die Büros kommunizieren automatisch untereinander und weltweit nahezu ohne den Menschen. Diese informationstechnologisch ausgelöste Entkopplung des Menschen von der herstellenden Maschine, die Verdrängung an die Peripherie seines verinnerlichten Selbstverständnisses von erwerbswirtschaftlicher Arbeit („Es wird halt immer langweiliger" hat weitreichende Konsequenzen für das, was die Leistungsfähigkeit marktwirtschaftlicher Industriegesellschaften mitgeprägt hat: a) die bislang systemstabilisierende Rolle der Gewerkschaften und b) der durch individuelle Leistungen erzielbare persönliche Erfolg. 1. Vermehrte Informationsteilhabe als Perspektive Die Gewerkschaften werden angesichts der Entstehung computergesteuerter Fabriken kaum noch im konventionellen Sinne die Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen können, weil es nicht mehr nur um eine möglichst gerechte Verteilung materieller Güter, sondern um die Verteilung und Teilhabe an immateriellen Gütern (nämlich Informationen) geht
Aber gerade der Prozeß der informationsmäßigen Auflösung historisch gewachsener und hierarchisch geformter Informations-und Kommunikationswege z. B. im Bereich der industriellen Produktion (Betrieb und Büro) bietet für ein neues Rollen-und Systemverständnis der Gewerkschaften einen zentralen strategischen Ansatz, ihre Forderungen nach umfassenderer gewerkschaftlicher Mitbestimmung auf eine neue, vielleicht erfolgversprechendere Grundlage zu stellen.
Die effektive betriebliche Einführung der qualitativ neuen Möglichkeiten der Informationstechnik wird — bei dem Willen zur konsequenten Nutzung — nicht an einer grundsätzlichen Reorganisation des betrieblichen Informationsablaufes vorbeikommen. Der technologisch diktierte Zwang einer computerzentrierten Neustrukturierung aller betrieblichen Subsysteme wird sozial zu nutzende Effekte zeigen, die in dem hier interessierenden Zusammenhang auf real sich ergebende neue Möglichkeiten einer erweiterten Informationsteilhabe schließen lassen:
Der Trend in Richtung auf einen gemeinsamen innerbetrieblichen Informationspool (Computer als zentrale Steuerungsinstanz) ist Folge der Auflösung bisheriger Informationsund Kommunikationsformen. Eine zunehmende Interaktion zwischen unterschiedlichen Betriebseinheiten in neu organisierte innerbetriebliche Ablaufstrukturen ist zu erwarten. Das Personal, ob aus dem Bereich des Büros, der Konstruktion, der Arbeitsvorbereitung, der Produktion oder den Forschungsabteilungen, kann und wird zunehmend den Vorteil eines schnelleren, umfassenderen Informationszugriffs nutzen, um — mit der Hilfe der neuen, zentral eingerichteten Informationstechnik — einen verbesserten Beitrag zur gesamtbetrieblichen Zielsetzung leisten zu können. Diese Entwicklung wird zur Folge haben, daß Unternehmen, die weniger an Abteilungsgrenzen orientiert sind und einen fla-cheren hierarchischen Aufbau haben, eher geeignet sind, integrierend wirkende Computersysteme effektiver zu nutzen, als herkömmliche, auf Informationskanalisierung bzw. -abschottung aufbauende, stark hierarchisch gegliederte Betriebsstrukturen Der Zwang zur Reorganisation industriegesellschaftlich orientierter Informationsverteilungs-und -Zugangsbedingungen wird — sollen die Computernetze in Betrieb, Büro und Alltag effektiv zum Einsatz kommen — gewachsene hierarchische Strukturen, demokratisch nicht legitimierte Machtpositionen durchaus zunächst einmal in Frage stellen. Die Annäherung bzw. Nivellierung gewachsener hierarchischer Strukturen, das Zusammenrücken bislang getrennter sozialer Schichten und Gruppen wird als gesellschaftspolitische Konsequenz einer ernstgemeinten Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft — aus politischer Sicht auch als ein qualitativ neues partizipatorisches Element der Informationsgesellschaft — zu beurteilen sein. 2. Legitimationsprobleme der Informationstechnik Die Prinzipien der Leistungsgesellschaft und die darauf aufbauenden Werte und Motivationen geraten mit dem Fortschritt der Informatisierung in eine Krise und legen die politisch wirksam werdenden Grundlinien der neuen Herausforderungen offen. Betroffen von der Informatisierung sind Werte, Tugenden und Normen der Industriegesellschaft von heute. Pünktlichkeit, Disziplin, Gehorsam sowie Fleiß und Arbeitshaltung verlieren in einer informatisierten Welt an Bedeutung. Die dingliche Erfahrung geht verloren, je stärker die Automatisierung, die Zergliederung der Arbeit zwischen Mensch und Computer voranschreitet und je besser der Informationszugang organisiert ist. „Eine radikal mit Informationstechnik ausgestattete Welt wird sich derart drastisch von der . dummen'Welt von gestern unterscheiden, daß viele die Frage aufwerfen werden, welche Bedeutung unser kulturelles Erbe für diese neue Welt überhaupt hat." Die kulturelle Identität mit dem industriegesellschaftlich geprägten Zivilisationsverständnis von heute wird sich mit dem Grad der technisch verfügbaren Informiertheit über die Welt wandeln. Probleme der Identitätsbildung, zumal im Zeichen eines durch die Dynamik der Informationstechnik ausgelösten raschen Wandels unserer informationellen Umwelt, galten schon immer als Kristallisationspunkte für wachsende Unsicherheit, schwindende Motivation, für ein Nachlassen des Vertrauens in die „Richtigkeit" der Politik. Die Legitimationsprobleme des politischen Handelns werden sich gerade im Übergang zur Informationsgesellschaft noch verstärken. Die Frage wird in den Vordergrund rücken, inwieweit die . Arbeitsteilung" zwischen Mensch und Computer zugunsten einer Entlastung des Menschen — bis hin zur totalen Entlassung — gesellschaftspolitisch sinnvoll ist bzw. durch eine laisser-faire-Politik laufen gelassen werden kann. Die Risiken eines wachsenden Legitimationsentzuges für ein nicht handelndes politisch-administratives System werden in dem nachstehenden Profil einer informationstechnisch erzeugten und sich aufbauenden Krisenstruktur sichtbar:
Drohende Fehlqualifikation (in Form von Überqualifikation), weil „falsche" Bildungsangebote nicht mit dem Tempo billiger und schnellerer informationstechnischer Systeme Schritt halten können. „Big-brother-is-watching-you‘'-Gesellschaft, weil das Risiko der elektronischen Überwachung des Menschen ein Schatten der neuen informationstechnologischen Möglichkeiten ist und Datenschutz logisch eigentlich nur hinter den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik herlaufen kann.
Verlust des kulturellen Erbes, weil dieses Wissen nicht mehr zur Bewältigung von Alltagsproblemen im Gehirn des Individuums als vorhandenes „Verfügungs-Wissen" verfügbar sein muß, sondern als gespeicherte Information jederzeit abgerufen werden kann.
Wachsende Abhängigkeit von der transnationalen Informations-und Datenkommunikation, weil die Staaten der europäischen Gemeinschaft (und da besonders die Bundesrepublik Deutschland) einen noch wachsenden Nachholbedarf gegenüber den USA auf dem Gebiet der Datenbanken haben (USA = OPEC of Information) und es keine internationale Informations-und Kommunikationsordnung gibt.
Zusammenbruch des materialistisch orientierten Wertesystems, weil der einzelne sein geistiges Leistungspotential immer weniger individuellen Nutzen bringend einsetzen kann, da für eine breite Verwendung menschlicher Informationsverarbeitungsleistung keine motivierende, die soziale Differenzierung und das eigene Selbstwertgefühl fördernde Nachfrage mehr besteht.
Diese Struktur der informationstechnisch erzeugten neuen Herausforderungen bildet sich in einer Phase des Umbruchs der technischen Zivilisation, in der postmaterialistisch orientierte Anforderungen an die politische Steuerung des Übergangs in eine Informationsgesellschaft gestellt werden.
IV. Verstärkt die Informatisierung postmaterialistische Trends?
Die gesellschaftspolitisch-orientierten Bewertungen einer Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich in folgenden Standpunkten zusammenfassen:
Die pessimistisch-technikkritische Einschätzung einer Computerisierung von Betrieb, Büro und sozialem Alltag rückt folgende Stichworte in den Vordergrund: gläserner Mensch, Überwachungsstaat, die programmierte Computer-(Software) Wirklichkeit wird unsere Wirklichkeit, „Maschinisierung" der Wissensvermittlung, Unterwerfung der emotionalen Seins-Komponente des Menschen unter die Maschinen-Regeln des Computers „es entsteht der . automatisierte Mensch', der seine Weisungen vom System erhält und sich in all seinen Lebensrollen ein Abweichen vom System, von der normierten Kunstwelt überhaupt nicht vorstellen kann" Anhänger dieser technikkritischen Wertung der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung haben beim Bundesverfassungsgericht gegen das Volkszählungsgesetz geklagt; sie sehen in der Einführung des maschinenlesbaren und speicherbaren Personalausweises die pessimistische Zukunftsutopie von Orwell („ 1984") vor der Verwirklichung. Der französische Soziologe Alain Touraine kann als tongebender Theoretiker angesehen werden. Er spricht von „programmierter Gesellschaft", in der dem Wissen die gesellschaftsbestimmende Rolle zukommt, wobei aber fehlende Teilhabe an diesem gesellschaftlich relevanten Wissen einen neuen Grad der Entfremdung einleitet Die Identität einer pessimistischen Wertung der künftigen Compu-tergesellschaft mit den Argumenten der allgemeinen Industrialismuskritik ist gegeben; sie findet gerade in der Existenz der neuen sozialen Bewegung ihre eigentliche Basis und ihren argumentativen Schwung.
Die optimistisch-utopische Interpretation einer wechselseitigen Beeinflussung von Computer und Gesellschaft leugnet nicht die pessimistisch angelegten Risiken der technikkritischen Bewertungsvariante, deutet diese aber als Übergangsprobleme, denn „die informatisierte'
Welt wird im nächsten Jahrzehnt nicht ärmer an Aufgaben und Herausforderungen werden, sondern komplexe Arbeit vom Menschen fordern, eben weil die einfachen Aufgaben menschlicher Informationsverarbeitung entfallen" Zentrales Stichwort ist hier die Homuter-Gesellschaft (aus Homo und Computer), in der ein zunehmender Anteil der heutigen Informationsverarbeitung aus menschlichen Gehirnen an technische Systeme übergeht, wodurch der Mensch von dieser Arbeit befreit und zu neuen Tätigkeiten angeregt wird. Diese positive Utopie geht davon aus, daß es in einer solchen Zukunftsgesellschaft tatsächlich zu einer breiteren Teilhabe am gesellschaftlich bedeutsamen Wissen kommt, das gespeichert und abrufbereit vorliegt. Die heute vorherrschenden Selektions- und Ausgrenzungsmechanismen an der Teilhabe am Informationsaufkommen wären dann nicht mehr haltbar. Die Chance zur individuellen Profilierung durch Informationsvorsprung könnte es in einer solchen demokratischen Informationsgesellschaft nicht mehr geben. Der Weg in eine Informationsdemokratie, in der alle gleichberechtigt an interessierende Informationen herankommen, würde menschliche Denkressourcen freimachen zur Pflege und zum Wiedererlernen humanistischer Tugenden. Diese optimistische Utopie einer erstrebenswerten Form des menschlichen Zusammenlebens böte die Chance, die Gesellschaft von den Bedürfnis-sen der Menschen her aufzubauen. Dem einzelnen könnte durch Informatisierung von Gesellschaft und Wirtschaft die Chance zu mehr Transparenz und Einwirkungsmöglichkeiten auch in seinem unmittelbaren Lebensbereich gegeben werden.
Diese Utopie liefert noch keinen konkreten Handlungsansatz, aber sie ist eine politische Perspektive, in der „Menschlichkeit im Sinne unserer humanistischen Tradition einerseits und konsequente Informatisierung andererseits in einer Gesellschaftsordnung miteinander vereinigt werden"
Die handlungsorientierte Interpretation einer durch Computernetzwerke geprägten weiteren gesellschaftlichen Entwicklung leugnet nicht die Risiken einer umfassenden Informatisierung, begrüßt jedoch die Formulierung von positiven Zukunftsutopien und versucht, die erkennbare Handlungslücke zwischen massiver technologisch-wirtschaftlicher Förderung der Basisinnovation Mikroelektronik und einer nicht existenten, die Einführung der neuen Informationstechnik begleitenden Gesellschaftspolitik durch die Suche nach technologisch-sozialen Handlungskonzepten zu schließen -Hier steht die Überzeugung im Vordergrund, daß der rasante Zusammenprall zwischen dynamischer Technikentwicklung und Gesellschaft am ehesten positiv für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt zu nutzen ist, wenn es simultan in gleicher Anstrengung auch gesellschaftspolitisch ansetzende Überlegungen gibt, wie durch politische Steuerung der Übergang von der Industrie-zur Informationsgesellschaft erreicht werden kann Gesellschaftspolitische Reform als Auffangstrategie der durch die Informatisierung sich auflösenden Identitäts-und Motivationsstrukturen, um vor dem Hintergrund bitterer historischer Erfahrung aus dem Übergang von der Agrar-zur Industriegesellschaft möglichst vorbeugend absehbare Friktionen politisch zu begegnen.
Eine vierte Wertung der möglichen gesellschaftspolitischen Konsequenzen der Informatisierung läßt sich als realistische Auffassung der weiteren Entwicklung interpretieren. Auch hier werden die Risiken einer informationsmäßigen Auflösung kommunikativ-sozialer Prozesse gesehen, die Notwendigkeit einer positiven Utopie anerkannt, aber der Glaube daran, daß die Führungseliten in Wirtschaft und Gesellschaft ohne weiteres bereit wären, eine breitere gesellschaftliche Nutzung der neuen Informationstechnik durch soziale Reformen zu unterstützen, erscheint wenig wahrscheinlich. Eher wird auf die Einführung neuer Informations-und Kommunikationstechnologien verzichtet, wie das Beispiel der kleinen und mittleren Unternehmen zeigt: Die Einführung neuer Technologien bricht die bisherige Organisationsstruktur auf. Gerade weil häufig noch Familienunternehmen mit durchaus stark hierarchisierten Entscheidungsstrukturen anzutreffen sind, verlangt der Einsatz neuerer Technologien eine stärkere Delegation und dürfte so für einen großen Teil der mittelständischen Unternehmen gravierende Konsequenzen haben, da sie die ihnen nachgelagerte Hierarchieebene stärker und aktiver am Entscheidungsprozeß beteiligen müssen, als sie es bisher getan haben
Die „realistische" Position hält die gegenwärtige Laisser-faire-Politik bezüglich einer kompensatorisch-reformerischen Begleitung des informations-technologisch ausgelösten sozialen Wandels für einen Ausdruck der Herrschaftsinteressen, die die sich abzeichnende Polarisierung der Gesellschaft in Informationsarme und Informationsreiche zum Anlaß einer Restauration feudaler Strukturen nehmen könnte. Sie geht des weiteren von einer zunehmenden Auflösung der in sich geschlossenen Industriegesellschaft zu einer „polymorphen Informationsgesellschaft" aus. Es werden sich nicht mehr zwei Klassen im Konflikt gegenüberstehen, die aufgrund ihrer Stellung im Industrieprozeß strukturiert sind, sondern unzählige mobile Gruppen, die auf eine Segmentierung und „Pluralisierung der Lebenswelten" hinweisen und durch unterschiedliche privilegierte Informationszugangskanäle charakterisiert sind.
Allen vier Standpunkten ist eine gewisse Plausibilität eigen, auch wenn es kaum systematisch erarbeitete Kenntnisse über die wechselseitige Beeinflussung von technologischem und sozialem Wandel gibt. Die hervorgehobene Bedeutung des pessimistisch-technikkritischen Ansatzes liegt aber darin, daß er auf eine schon gesellschaftlich verankerte Basis (neue soziale Bewegung) aufbaut und ein programmatisches („Lebensweise") und politisches Konzept (direkte politische Teilhabe) hat. Den intellektuellen Trägern und Meinungsführern dieser Bewegung wird es gelingen, die an sich schon wachsende Attraktivität einer auf postmaterialistischen Werten aufbauenden Ideologie auch für jene breiten Bevölkerungskreise zu öffnen, die bislang als „Noch-nicht-Aussteiger" im Umbruch zur Informationsgesellschaft von den Konsequenzen der Informatisierung getroffen und allein gelassen werden. Die Nicht-Existenz einer gesellschaftspolitischen Anpassungs-bzw. Auffangstrategie kann zum eigentlichen Auslöser einer wachsenden Erosion industriegesellschaftlich-orientierter Einstellungen werden. Dies gilt besonders für den — wahrscheinlichen — Fall, daß die konventionellen Politikformulierungsstrukturen zwar die Entwicklung und Einführung der Mikroelektronik fördern, aber zunächst nicht fähig sind, auch in gleicher Weise die durch die Informatisierung ausgelöste neue Qualität der politischen Herausforderung als solche zu erkennen und in einen handlungsorientierten Reformrahmen einzubringen.
V. Gesamtergebnis
1. Es ist nicht zwingend, daß die Informationsgesellschaft auch eine offenere, demokratischere Gesellschaft wird, in der gemäß den besseren technischen Informationsverarbeitungsmöglichkeiten auch eine neue Qualität der politischen und wirtschaftlichen (Informations-) Partizipation eintreten wird. Es ist damit zu rechnen, daß die technikkritische Position paradoxerweise an Glaubwürdigkeit und Zulauf dann gewinnen wird, wenn es ihr gelingt, ihr schon vorhandenes alternatives Gesellschaftskonzept mit den gesellschaftlich sich anbietenden und politisch zu gestaltenden Folgewirkungen der Informatisierung zu kombinieren.
2. Die Industrialismuskritik ist Geburtsstätte einer sich konstituierenden neuen sozialen Bewegung, die in klarer Abgrenzung von den auf die industriegesellschaftlichen Bedingungen abgestellten Forderungen der Gewerkschaften nach politischem Einfluß sucht. Der Übergang zur Informationsgesellschaft könnte eine historische Phase werden, in der die Gewerkschaften (für Betrieb und Büro) und neue soziale Bewegungen (für den gesellschaftlichen Alltag) in einem strategisch gleichgerichteten Sinne aktiv werden. Beide sind interessiert, den Tendenzen hin zu einer Hierarchisierung und informationsmäßigen Abschottung einzelner je für sich privilegierter Informationszugangskreise die Forderung nach einer informationstechnisch möglich werdenden breiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Informationsteilhabe entgegenzustellen. 3. Die Informationsgesellschaft könnte eine neue Form der Sozialpartnerschaft erzwingen, nämlich den stetigen, gegensätzliche Interessenlagen ausbalancierenden Dialog zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Staat und Öffentlichkeit. Für alle gilt, Informationen — und damit Wissen — über tatsächliche, vorausschaubare Entwicklungen und Aktivitäten des jeweiligen anderen Partners frühzeitig zu bekommen, um den mit der Informatisierung sich einleitenden Erosionsprozeß politisch-legitimatorischer Wertestrukturen — der letztlich zum Schaden aller führt — noch zu verhindern.