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Liberale Familienpolitik | APuZ 20/1984 | bpb.de

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APuZ 20/1984 Artikel 1 Politik zugunsten der Familie Plädoyer für eine realistische Familienpolitik Liberale Familienpolitik Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik

Liberale Familienpolitik

Norbert Eimer

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Eine Vielzahl von Ideen und Lebensformen wächst nicht aus gleichgeschalteten Menschen, Verhaltensweisen oder Organisationsformen. Dies ist darauf begründet, daß Menschenbild und Rollenverständnis der Menschen in einer Gesellschaft einem ständigen Wandel unterliegen und sich nach liberaler Vorstellung jeder selbständig denkende Mensch sein Leitbild selber setzt. Gerade in der Familie müssen mehr Freiräume geschaffen werden, sei es in finanzieller Hinsicht durch die Verbesserung des Familienlastenausgeichs, sei es durch die Wiederherstellung des Freiraums für die Familie in seiner ursprünglichsten Bedeutung. Wer mehr Freiheit beansprucht, muß allerdings bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen. Für das Verständnis von liberaler Gesellschafts-und Familienpolitik und damit auch für Randgruppen sind weniger konkrete Rezepte und Programme nötig, sondern die liberalen Grundsätze, aus denen die Triebkräfte für liberales Handeln kommen.

I. Grundsätze

Eine Vielzahl von Lebensformen und Ideen wächst nicht aus gleichgeschalteten Menschen, Verhalten und Organisationsformen. Die natürlichen Grundlage einer liberalen Gesellschaft ist deshalb die unabhängige Familie. Sie erhält und schafft Pluralismus und Individualität. Totalitäre Gedanken und Philosophien haben deshalb ebenso wie totalitäre Systeme rechts und links versucht, in die Familie hineinzuwirken, um die Freiheit der Ideen zu beschneiden, zu kanalisieren und damit die Individuen zu gängeln. Kommunisten und Faschisten haben deshalb dafür gesorgt, daß die Erziehung möglichst von der Familie entfernt und von staatlichen Institutionen übernommen wird.

Die Familie entsteht aus dem freiwilligen Zusammenschluß von Individuen zum gemeinsamen Wirtschaften und Leben. Die Rechte der Familie gegenüber dem Staat begründen sich aus der Individualität und der Freiheit der Einzelpersonen. Nicht der einzelne und die Familie erhalten ihre Freiheit vom Staat, sondern der einzelne und die Familie übertragen dem Staat bestimmte Aufgaben und Rechte. Deswegen ist zwar aus liberaler Sicht die Familie durch den Staat zu schützen, viel wichtiger aber ist der Schutz der Familie vor dem Eingriff des Staates. Nur die Eltern setzen ohne fremde Beeinflussung die Wertmaßstäbe und Ziele der Erziehung.

Dieses Elternrecht sehen Liberale weder als das Recht der Eltern über ihre Kinder wie eine Sache, noch hat der Staat den Eltern Vorgaben zu machen. Kinder sind nach liberaler Ansicht Träger eigener, wenn auch noch nicht voller, Persönlichkeitsrechte. Elternrecht ist also aus liberaler Sicht der Schutz-zaun der Familie vor Beeinflussung durch Staat und Gesellschaft.

Nur dort, wo gegen die Persönlichkeitsrechte des Kindes verstoßen wird, gibt man — wie jedem Individuum — den Schutz des Grundgesetzes und des Staates. 1. Rollenbild und Rollenverständnis Menschenbild und Rollenverständnis der Menschen in einer Gesellschaft sind ständig im Wandel. Liberale schreiben weder Rollen-bild noch menschliches Verhalten vor. Sie schaffen aber Raum, so daß jeder seinen Vorstellungen und Möglichkeiten nachgehen kann. Begrenzt wird diese Freiheit nur dort, wo der Freiraum des Nächsten in unzumutbarer Form eingeengt wird.

Ohne Festlegung einer bestimmten Rollenverteilung innerhalb der Ehe und zwischen den Ehepartnern geht es aber nicht, auch wenn beide alle Aufgaben partnerschaftlich übernehmen. Dies muß allerdings allein die Sache der Ehepartner bleiben.

Das Ideal der Liberalen ist also weder eine Frau, die nicht erwerbstätig ist und nur Kinder und Haushalt versorgt, noch sehen sie die Gleichberechtigung der Frau vor allem im Betrieb und beruflichen Leben. Sein Leitbild muß jeder selbst setzen können.

Zunehmend wird in isolierten Teilbereichen der Familie und Gesellschaft gedacht, d. h., es wird nach Lösungen für Einzelgruppen gesucht, ohne die Zusammenhänge für die Gesellschaft zu sehen. So schafft man getrennte Freizeiteinrichtungen und Lebensorte für Jugendliche, Erwachsene und Alte. Dies führt zu der Gefahr einer Separierung der Gesellschaft. Jede Altersgruppe, für die getrennt gesorgt wird, die getrennt gehalten wird, entwickelt ein eigenes Bewußtsein. Die daraus entstehenden Probleme sind Probleme einer Klasse, aber nicht mehr die Probleme der Gesamtgesellschaft. Diese Separierung der Gesellschaft ist inhuman, unnatürlich und führt zur Vereinsamung. Notwendige Maßnahmen für einzelne Altersstufen müssen daher auch im Zusammenleben der Generationen gesehen werden. Liberale machen keine Vorschriften oder stellen keine Idealrollen auf. Sie erhalten aber den Freiraum für Selbstbestimmung, damit jeder so leben kann, wie er es sich vorstellt. 2. Gesellschaft und Kinder Eine Gesellschaft ohne Kinder ist inhuman und leer. Der Geburtenrückgang, aber auch geburtenreiche Jahrgänge — können Anpassungsprobleme für Wirtschaft, Beschäftigung, für das Bildungswesen und für die Systeme der sozialen Sicherheit bringen. Eine gleichmäßige Geburtenentwicklung ist zwar erwünscht, aber aus liberaler Sicht darf die Entscheidung für Kinder nicht durch staatliches Handeln vorgegeben werden.

Auf der anderen Seite haben Kinder herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Deshalb geht es nicht an, daß die Gesellschaft die mit der Erziehung der Kinder verbundenen Leistungen in Anspruch nimmt, ohne sich an den Kosten für diese Leistungen zu beteiligen. 3. Familie und Beruf Die Familie war immer mehr als Mann, Frau und Kinder, selbst noch für unsere Verfassungsväter. Sie war mehr als eine Liebesgemeinschaft; sie war auch ökonomische Grundzelle der Gesellschaft. Ursprünglich fiel der Arbeitsplatz, der Wohnort, der Ort der Kindererziehung von Mann und Frau zusammen. Heute ist dies nur noch in der Landwirtschaft und in einigen Handwerksfamilien der Fall. Die Arbeitsteilung brachte die Trennung dieser Lebensorte und damit Probleme für die Familie und das Zusammenleben von Mann und Frau. Dort, wo diese Trennung noch nicht vorgenommen wurde, übernimmt auch heute noch die Frau gleichberechtigt wichtige Aufgaben, wie z. B. Haushaltsführung, Geldverwaltung und Organisation. In dieser Struktur war es früher und ist es auch heute noch möglich, daß Mann und Frau sich gleichmäßig um die Kindererziehung kümmern.

Liberale Familienpolitik muß auf diese Entwicklung eingehen, aber immer unter der Voraussetzung, daß es jedem einzelnen frei überlassen bleibt, wie er sein Leben gestalten, welche Rolle er spielen will. Liberale gestalten deshalb die gesellschaftliche Umwelt so, daß ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität erreicht wird, um den eigenen Lebensstil selbst zu suchen und zu finden. Der Staat darf keine Lebensform vorschreiben oder bevorzugen. Es sind aber die materiellen Grundlagen zu schaffen oder zu verbessern, daß jeder nach seinem Rollenbild oder Vorstellungen leben kann. Dies gilt vor allem für alleinerziehende Eltern oder neue Formen menschlichen Zusammenlebens. 4. Freiräume für die Familie Die Familien brauchen mehr Freiräume, vor allem für die Kinder. Der finanzielle Freiraum muß über einen Familienlastenausgleich verbessert werden.

Unsere Gesellschaft muß mehr Raum zur Verfügung stellen, wo Kinder oder Familien mit Kindern sich wieder frei bewegen können. Dies gilt besonders in den Kerngebieten unserer Städte, wo zunehmend Freiräume eingegrenzt werden. Wer Freiheit beansprucht, wie Liberale dies tun, muß sich bewußt sein, daß er andererseits dafür mehr Verantwortung übernehmen muß.

Auch der rechtliche Freiraum muß erweitert werden. Es darf nicht sein, daß z. B. Kinder-lärm eine Qualitätsminderung von Wohnungen darstellt, wie dies von Gerichten schon festgestellt wurde. Alle gesetzestechnischen Maßnahmen können jedoch Freiräume für Familien nicht schaffen, wenn diese Freiräume nicht emotional dem einzelnen von der Gesellschaft zugebilligt werden.

II. Maßnahmen:

1. Familienlastenausgleich Familien mit Kindern sind heute in vielfältiger Hinsicht benachteiligt. Da meist nur ein Ehepartner erwerbstätig sein kann, ist das pro Kopf zur Verfügung stehende Einkommen bei Familien mit Kindern wesentlich geringer. Auch die persönliche Freizeit nimmt entsprechend ab. Im Rentenalter steht darüber hinaus. ebenfalls meist nur sehr viel weniger Einkommen zur Verfügung.

Eine weitere Benachteiligung erfolgt dann, wenn alte Menschen Pflegefälle werden. Bei Personen ohne Kinder werden diese Kosten, wenn nötig, von der Sozialhilfe übernommen. Hat jedoch eine pflegebedürftige Person Kinder, so werden sie zu dieser Leistung herangezogen. Gerade weil heute die Entscheidung für oder gegen Familie und Kinder leichter getroffen werden kann, müssen die Lasten der Familie ausgeglichen werden. Dies kann und darf nicht über Tarifverträge und Einkommen geschehen, sollten Arbeitnehmer mit Familie nicht schlechtere Chancen im Berufsleben haben. Der Ausgleich muß über Steuer oder Transferleistungen erfolgen. 2. Familiensplitting Das Familiensplitting berücksichtigt die Steuerkraft pro Mitglied der Familie. Gleiches pro-Kopf-Einkommen wird steuerlich gleich behandelt. Von dieser Betrachtung her ist es ein sehr gerechtes System. Steuerlich gerechte und vernünftige Lösungen für Allein-erziehende sind einfach. Das Familiensplitting begünstigt aber besonders hohe Einkommen und benachteiligt solche, die mit ihrem Einkommen in der Proportionalzone liegen. Weil unser Einkommenssteuerrecht keinen Unterschied zwischen dem Einkommen macht, das für Konsum verwendet wird und dem Einkommen, das vermögenssteigernd durch Investitionen wirkt, ist eine Umsetzung beim heutigen Einkommensteuerrecht außerordentlich kompliziert und teuer; Ungerechtigkeiten sind nicht oder nur sehr schwer zu beseitigen. Erst bei einem gespaltenen Einkommenssteuerrecht ist Familiensplitting gerecht zu gestalten.

Aber auch dann muß ein Ausgleich geschaffen werden für diejenigen, die wenig oder keine Steuern zahlen, weil für diese Personengruppe kein finanzieller Vorteil aus dem Familiensplitting entsteht. Dieser Ausgleich ist die Transferleistung Kindergeld. 3. Kindergeld Liberale sind für gleiches Kindergeld. Die bisherige Gestaltung entspricht nicht diesen Vorstellungen. Gerade für das erste Kind bekommt man den geringsten Betrag, obwohl es die höchste Belastung bringt. Dazu kommt meist der Wegfall eines Einkommens. Deswegen sind Liberale für eine kräftige Anhebung des Erstkindergeldes.

► Viele Paare wollen mehr Kinder, aber beim ersten sehen sie die Einengung der Freizeit und vor allem die Reduzierung ihres Lebensstandards. Soziologen sprechen vom Erstkinderschock. Der Wunsch nach dem zweiten Kind wird also unterdrückt. Auch deswegen ist eine Anhebung des Erstkindergeldes geboten. Die zur Zeit geltenden Einkommensgrenzen sind ein Notbehelf, der aus der knappen Finanzlage begründet ist. Einkommensgrenzen sind aber bürokratisch und ungerecht für diejenigen, deren Einkommen an eine derartige Grenze kommt. Sie müssen wesentlich mehr verdienen, um das gleiche Nettogehalt zu erhalten, als lägen sie knapp unter dieser Einkommensgrenze. 4. Versteuertes Kindergeld Die Versteuerung des Kindergeldes — wie übrigens aller Transferleistungen — kann ein Ausweg sein. Die Steuer berücksichtigt Leistungsprinzip und Leistungsfähigkeit besser als Einkommensgrenzen ohne Bürokratie, ohne Ungerechtigkeit bei den Übergängen. Wer wenig verdient, hat viel vom Kindergeld, wer viel verdient, bekommt dagegen weniger. Das geht aber nur über eine Finanzamtslösung. Selbst bei dem geringen Betrag von 5 Milliarden DM, die der Finanzminister für Familienlastenausgleich mehr als heute ausgeben will, kann bei einem versteuerten Kindergeld 180 DM für das erste und zweite Kind und 300 DM für das dritte und jedes weitere Kind ausgezahlt werden.

Gerade wenn man einmal zu einem gespaltenen Einkommensteuerrecht mit Familiensplitting für das Konsumeinkommen und Ehegattensplitting für Einkommen durch Vermögenssteigerungen kommen sollte, bildet die Kombination mit versteuerten Transferleistungen einschließlich Kindergeld eine ideale Ergänzung. Manipulationen mit Abschreibungen zur Erlangung von Sozialleistungen sind dann nicht mehr denkbar. Darüber hinaus werden Einblicke in wirtschaftliche Zusammenhänge und Notwendigkeiten deutlicher sichtbar. 5. Kinderbetreuungszuschlag Die F. D. P. ist für einen Zuschlag zum Kindergeld. Dieser entwickelt dann den heutigen verlängerten Mutterschaftsurlaub auch hin zu einem Erziehungsgeld. Im Gegensatz zu anderen Vorstellungen — Mutterschaftsurlaub nur für Berufstätige — oder: Erziehungsgeld nur für Mütter, die nicht erwerbstätig sind — sollte der Zuschlag nach liberalen Vorstellungen unabhängig gezahlt werden, ob Mutter oder Vater des Kindes berufstätig sind. So wird auch nicht durch die Hintertür über eine finanzielle Leistung ein Rollenbild vorgeschrieben. 6. Erziehungszeiten in der Rentenversicherung Zum Familienlastenausgleich gehört darüber hinaus ein Ausgleich für fehlende Beitrags-zeiten in der Rentenversicherung. Mindestens ein Jahr sollte für die Erziehung eines Kindes aus Steuermitteln gutgeschrieben werden. Wegen der finanziellen Lage könnte das auch in Stufen erfolgen. 7. Bafög für gleiche Startchancen Um Jugendlichen für ihr Leben annähernd gleiche Startchancen zu gewähren, bedarf es der individuellen materiellen Unterstützung. Es ist für eine liberale Gesellschaft unerträglich, wenn Jugendliche auf Grund ihrer sozialen Herkunft in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. So ist die Unterstützung nach dem Bafög in der bestehenden Regelung für die Studenten den Kosten der Lebenshaltung anzupassen. Auch Schüler müssen Zuschüsse erhalten, wenn die Gefahr besteht, daß sie wegen mangelnder Finanzkraft der Eltern ihre Schulausbildung frühzeitig abbrechen müssen.

Liberale erwarten von gleichen Startchancen nicht eine gleiche Gesellschaft, wie dies manche erhoffen, andere befürchten. Wegen der Individualität der Menschen bleiben bei gleichen Startchancen auch wieder unterschiedliche Menschen. 8. Wohnverhältnisse Das heutige Mietrecht wurde mit besten Absichten geschaffen, um sozial Schwache zu schützen. Es wirkt sich aber oft gegen die zu Schützenden aus. Weil der Markt nicht mehr funktioniert, haben wir ein Zweiklassen-Mietrecht. Diejenigen, die lange genug in einer Wohnung leben, zahlen geringe Mieten, neue Mietverträge bringen aber hohe Belastungen. Davon sind vor allem junge Familien mit Kindern betroffen. Sozialer Wohnungsbau hilft wenig. Zu hohe Belastungen müssen deshalb über Wohngeld ausgeglichen werden. 9. Zusammenleben der Generationen Auch heute gibt es noch vielfach den Wunsch, daß mehr als eine Generation Zusammenleben will. Das ist ohne große Probleme vor allem im Eigenheim möglich und bringt Vorteile für Alt und Jung. Die Frau ist nicht so sehr an das Haus gebunden, die Großeltern können die Betreuung der Kinder mit übernehmen. Für die Erziehung der Kinder ist es von Vorteil, wenn sie das Zusammenleben der Generationen erfahren. Für die älteren Menschen ist es meist humaner, in der Familie zu leben als in Heimen. So bleibt oft auch die Selbständigkeit in höherem Lebensalter erhalten. Nicht zuletzt ist es auch billiger für die Gesellschaft.

Aber diese Lebensform ist durch die Wohngesetze benachteiligt. Bei der Förderung des Einfamilienhausbaues werden diejenigen bestraft, die ihre Eltern aufnehmen wollen. Sie werden nur als „weitere Person" in den Freibeträgen behandelt, d. h. wie Kinder.

Schon eine kleine Rente kann bewirken, daß eine Förderung wegfällt. Damit werden alte Menschen geradezu in Heime gedrängt. Die Gesetze sind deshalb dahin gehend zu ändern, daß Eltern, die ins Eigenheim aufgenommen werden, den gleichen Freibetrag erhalten wie der Ehepartner. 10. Freiräume für Kinder und Jugendliche Für Kinder und Jugendliche ist kaum noch Platz in unseren Städten. Die F. D. P. fordert deshalb kindgerechte Spiel-und Abenteuer-plätze und Spielmöglichkeiten in verkehrsberuhigten Zonen. Sie müssen aber so ausgestaltet sein, daß sie attraktiv für die ganze Familie sind. Familienspielplätze beugen der Gefahr der Separierung der Generationen vor.

Viel Freiraum geht auch verloren durch ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis. An vielen Orten ist das Betreten nur deshalb verboten, weil der Eigentümer das Haftungsrecht bei etwaigen Unfällen der Kinder fürchtet. Wer mehr Freiheit haben will, muß auch bereit sein, mehr Verantwortung für sein eigenes Tun zu übernehmen. Wer im Falle eines Schadens immer bei anderen die Ursachen sucht, Haftungsansprüche geltend macht, wer von einer Gesellschaft eine absolute Gerechtigkeit fordert, gibt Freiheit ab. Dies gilt für alle Bereiche menschlichen Handelns. Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht.

Eine Änderung des Haftungsrechts könnte Freiräume zurückbringen. 11. Jugendpolitik Der Zeitraum, in dem man Jugendlicher ist, ist zeitlich sehr kurz. Es ist die Zeit — um in einem Bild zu sprechen — in der man aus dem Kinderzimmer ins Wohnzimmer geht. Aufgabe der Erwachsenen und auch der Politik ist es, jungen Menschen über „die Tür-schwelle" zu helfen, damit sie sich im Leben als Erwachsener zurecht finden.

Jugendpolitik im engeren Sinn ist Politik für Erzieher und Jugendfunktionäre. Junge Leute interessieren sich dafür kaum. Sie interessieren sich — Gott sei Dank — mehr für ihre Zukunft. So ist es kein Wunder, daß sie Probleme wie Rechts-, Sicherheits-, Umwelt-, Wirtschaftspolitik mehr ansprechen. So gese31 hen ist Jugendpolitik nicht die Aufgabe der Jugendpolitiker, sondern die Aufgabe aller Politikbereiche und damit aller Politiker. Wer Jugendpolitik allein durch Detailregelungen lösen will, wird den Problemen nicht gerecht. Junge Leute haben Angst, daß alles geregelt ist, sie eine Welt übernehmen müssen, die ihnen nicht gefällt, eine Welt, die sie nicht mehr oder nur schwer ändern können.

Aufgabe der Erwachsenen, nicht nur der Politiker ist es, zu zeigen, daß es in wenigen Jahren die heutige Jugend ist, die die Welt von morgen gestalten wird. Dazu sind Freiräume zu schaffen, daß dies wieder leichter möglich und vor allem sichtbar wird. Hauptaufgabe der Jugendpolitik ist das öffnen von Zukunftsperspektiven, aber nicht auf dem Weg über ein fertiges Rezept, sondern als Möglichkeit, eigene Rezepte neu zu entwickeln und dann auch gestalten zu können. 12. Familie und Beruf Die F. D. P. geht von einem Bild der partnerschaftlichen Familie mit den Grundlagen der Gleichberechtigung und der Freiheit von Rollenzwängen aus. Das erfordert gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zu allen Berufen und ein erweitertes Angebot an Fortbildungsmaßnahmen, gerade auch zur Verbesserung der Beschäftigungschancen nach einer familienbedingten Berufsunterbrechung. Nicht starre Vorschriften über die Wochenarbeitszeit, sondern flexible Arbeitszeiten, auch in qualifizierten Berufen, werden den Anforderungen der Familie gerecht. 13. Familienplanung und Bevölkerungspolitik Es ist das Recht der Eltern, die Zahl ihrer Kinder selbst zu bestimmen. Dazu bedarf es eines ausreichenden und pluralistischen Beratungsangebots für Familienplanung sowie für Erziehungs-und Partnerschaftsprobleme. Es ist die Aufgabe der Familienpolitik, die soziale Notlage schwangerer Frauen zu beheben, um Schwangerschaftsabbrüche aus wirtschaftlichen Gründen zu verhindern. Die bestehende Regelung von § 218 muß erhalten bleiben, genauso wie die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines legalen Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkassen.

Die F. D. P. lehnt Familienpolitik als Bevölkerungspolitik ab. Die Entscheidung für Kinder muß die höchstpersönliche Entscheidung zweier Menschen bleiben. Sie darf aus liberaler Sicht nicht durch staatliches Handeln bestimmt werden. Familienpolitik kann aber dazu beitragen, daß die Geburtenentwicklung gleichmäßiger verläuft und zu starke Schwankungen in der Vergangenheit geglättet werden. Damit werden daraus folgende Probleme entschärft. Keinesfalls darf aber von einem sterbenden Volk gesprochen werden. Deutschland ist dicht genug besiedelt. Selbst im Dritten Reich, als man von einem Volk ohne Raum sprach, war das Gebiet der Bundesrepublik halb so dicht besiedelt.

Mit den Folgen des Bevölkerungsaufbaus um die Jahrtausendwende, vor allem für die Rentenpolitik, werden wir leben müssen. Auch eine Maschinen-oder Wertschöpfungssteuer löst das Problem nicht, sondern verschleiert es nur, weil damit der ungünstige Bevölkerungsaufbau — das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen — nicht geändert werden kann. 14. Frauenpolitik Die Situation der Frau wird gerne im Bereich der Familienpolitik abgehandelt. Dies wird den Problemen der Frau nicht gerecht. Familienpolitik aus liberaler Sicht kann immer nur Männer und Frauen gemeinsam und gleichberechtigt ansprechen.

Politik für die Frau ist verknüpft mit den allgemein gültigen Persönlichkeitsrechten aller gleichberechtigt lebender Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Rasse, Klasse, Religion oder sonstigen Merkmalen.

Das gilt selbstverständlich auch für Jugend-politik, soweit es sich um deren Persönlichkeitsrechte handelt und nicht um das „über die Schwelle helfen" wie im Kapitel Jugend-politik beschrieben. 15. Minderheiten und Randgruppen Detailregelungen und Lösungen für einzelne Probleme und Problemgruppen in der Familienpolitik bergen nicht nur die Gefahr der Separierung der Gesellschaft; Sonderregelungen sind auch eine Gefahr für Sonderformen von Familienzusammenschlüssen. Alleinerziehende, Großfamilien in ursprünglicher und moderner Ausprägung werden erst zu Rand-gruppen, wenn sie als solche behandelt werden. Gesetze sind erst dann gut, wenn niemand durch allgemein gültige Regelungen benachB teiligt wird und damit Sonderregelungen für bestimmte Gruppen nötig werden.

Niemand weiß, welche Minderheiten von heute die Mehrheit von morgen ist. Eine liberale Gesellschaft gibt Raum für Wandel und ist offen für Experimente.

Für das Verständnis von liberaler Gesellschafts-und Familienpolitik und damit auch für Randgruppen sind weniger konkrete Rezepte und Programme nötig, sondern die liberalen Grundsätze, aus denen die Triebkräfte für liberales Handeln kommen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Norbert Eimer, Ingenieur grad., geb. 1940; seit 1976 Mitglied des Deutschen Bundestages, Kreisvorsitzender der F. D. P. in Fürth, Mitglied des Landesvorstandes in Bayern, Mitglied der Programmkommission der F. D. P. Veröffentlichungen: Grundlagen und Standort des Liberalismus, in: liberal, (1983) 12.