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Politik zugunsten der Familie | APuZ 20/1984 | bpb.de

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APuZ 20/1984 Artikel 1 Politik zugunsten der Familie Plädoyer für eine realistische Familienpolitik Liberale Familienpolitik Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik

Politik zugunsten der Familie

Irmgard Karwatzki

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Fundament für eine Gesellschaft der Mitmenschlichkeit ist die Familie. Hier lernen die Menschen Verhaltensweisen, die unsere Gesellschaft prägen: Liebe und Vertrauen, Toleranz und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung. Solidarität, Gleichberechtigung und Partnerschaft lassen sich in der Familie verwirklichen, man kann diese Werte in der Familie erfahren. Eine an demokratischen und pluralistischen Prinzipien orientierte Familienpolitik muß viele Formen von Familie und Gestaltungsmöglichkeiten des Familienlebens zulassen. Es ist Aufgabe der Familienpolitik, Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, ihr Leben in der Familie so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Die Familien sind finanziell, in der Arbeitswelt, bei der Befriedigung von Wohnbedürfnissen und in anderen Bereichen benachteiligt. Die gesellschaftspolitische Schieflage zu Lasten der Familien muß durch ein neues Gleichgewicht der Gesellschaftspolitik, das Familien gerecht behandelt, abgelöst werden. Die Bundesregierung sieht in der Familienpolitik eine Schwerpunktaufgabe mit absoluter Priorität. Sie wird die Benachteiligungen der Familien beseitigen.

I. Familie als Voraussetzung für eine Gesellschaft der Mitmenschlichkeit

Das Fundament für eine Gesellschaft der Mitmenschlichkeit ist die Familie. Hier lernen die Menschen Verhaltensweisen, die unsere Gesellschaft prägen: Liebe und Vertrauen, Toleranz . und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung." (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983)

I. Befund Die Familie ist heutzutage für viele Men; sehen gleichzeitig selbstverständlich und problematisch. In einer im Frühjahr 1983 durchgeführten Umfrage des Hamburger SAMPLE-Instituts erklärten 83% aller Frauen und 70% aller Männer: „Für mich ist meine Familie das Wichtigste." Noch 1976 hatten bei einer Allensbach-Umfrage — allerdings bei einem anderen Wortlaut der Frage — 36% aller Männer und 37% aller Frauen behauptet, „daß man keine Familie braucht, um wirklich glücklich sein“. Auch bei jungen Leuten haben — trotz neuer Formen des Zusammenlebens — Ehe und Familie ihre überragende Bedeutung als Lebensperspektive nicht verloren. In Umfragen nennen etwa 3/4 der jungen Menschen als ihr zentrales Lebensziel: Ich möchte Kinder haben und ein glückliches Familienleben führen. 2. Definition Die Sachverständigenkommission zur Erstellung des 3. Famili Definition Die Sachverständigenkommission zur Erstellung des Familienberichts der Bundesregierung ist in ihrem im Juli 1978 vorgelegten Bericht von folgender Definition der Familie ausgegangen: Von Familie wird gesprochen, „wenn durch Geburt und/oder Adoption von Kindern aus der Ehe eine biologisch-soziale Kleingruppe zusammenlebender Menschen entsteht. Die familialen Kleingruppen können unterschiedliche Größen, Strukturen und Organisationsformen haben". Es wird zwischen vollständigen und unvollständigen Familien unterschieden. „Die vollständige Familie ist eine aus zwei Generationen bestehende Gruppe von Eltern und ihren ledigen Kin-dern, die zusammen leben. Sie wird auch Kernfamilie genannt. Von unvollständigen Familien (Ein-Elternteil-Familie) ist die Rede bei einer zwei Generationen umfassenden Gruppe, bei der entweder nur die Mutter oder nur der Vater mit ledigen Kindern zusammen leben." 1) Diese umfassende Definition von Familie wird auch hier zugrunde gelegt. 3. Der Wert der Familie Die Familie hat einen Eigenwert, der sich aus den Bedürfnissen der menschlichen Person ableiten läßt. Sie verliert im Bewußtsein der Menschen an Wert, wenn einzelne ihre Beziehung zur Familie auf eine individualistisch-privatistische Sichtweise verkürzen. Die Familie wird gefährdet durch ein „individualistisches Autonomiedenken" 2), bei dem sie sich „mit ihren Bindungen und Verbindlichkeiten, ihren Leistungen und Lasten mit den Bedürfnissen nach privatistischer Selbstverwirklichung als unverträglich erweist" 3).

Eine solche Sichtweise der Familie würde auch die soziale Vernetzung der Familie und die über die Familie hinausgehende Verantwortungsbereitschaft beeinträchtigen.

Die Familie darf nicht nur danach definiert werden, welche Funktionen sie in der Gesellschaft wahrnimmt. Gesamtgesellschaftliche Rationalität und Funktionalitätsgesichtspunkte dürfen nicht entscheidender sein als die Bedürfnisse des Menschen. Aus einer Position heraus, die besagt: Die Familie muß vorrangig gesamtgesellschaftliche Anforderungen erfüllen, wird oft die Auffassung vertreten, Erziehung müsse weitestgehend aus der Familie herausgelagert werden, damit keine „schichtenspezifische Sozialisation" zustande kommt. Ganz abgesehen davon, daß Familie nicht auf Erziehung reduziert werden kann, ist dazu zu sagen, daß das Wichtigste für einen Menschen und seinen späteren Weg in die Gemeinschaft die Erfahrung von Angenommensein und Liebe durch seine „Bezugspersonfen)" ist. Diese Aufgabe kann (nicht nur, aber doch in besonders geeigneter Weise) in der und durch die Familie erfüllt werden. Am eindrücklichsten wird die Wechselwirkung zwischen familialen und außerfamilialen Sozialisationsleistungen durch das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung in den Vereinigten Staaten belegt: Nur für Maßnahmen, bei denen es gelang, die Eltern in den Förderungsprozeß der Kinder mit einzubeziehen, ließen sich dauerhafte Erfolge feststellen

Mit diesen Forschungsergebnissen sind alle Bestrebungen, durch eine möglichst frühe und umfassende Herausnahme der Kinder aus ihrer Familie mehr Gleichheit zu realisieren, stark relativiert worden

Die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft für die personale Entfaltung des Menschen. In der Familie finden Menschen in den unterschiedlichsten Ausprägungen des Familienlebens ihren Raum für ein sinnerfülltes Leben in mitmenschlicher Gemeinschaft: Hier können Geborgenheit, Angenommensein, Anerkennung, gegenseitige Hilfe und Verantwortung füreinander und für andere erfahren werden. Die gesicherte Beständigkeit der Beziehung macht die Familie fähig, auch Belastungen durchzuhalten, ohne daß dadurch die personale Zuwendung sofort in Frage gestellt wird.

„Unser Leitbild ist die partnerschaftliche Familie, die geprägt ist von der Partnerschaft zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern." Eine partnerschaftliche Ehe und Familienstruktur entspricht unserer demokratischen Gesellschaftsverfassung. Partnerschaft in der Ehe bedeutet, daß Mann und Frau sich gegenseitig in ihrem eigenen Wert anerkennen, füreinander verantwortlich sind und ihre Aufgaben in Familie, Beruf, Gesellschaft und Freizeit gleichberechtigt vereinbaren. In der Familie können sowohl Partnerschaft als auch persönliche Freiheit und Solidarität verwirklicht und gelebt werden.

Im Rahmen der individuellen Lebensplanung kann Familie Belastungen, aber auch Bereicherungen und Entlastungen mit sich bringen. Allerdings: Gemeinsam lassen sich diese Aufgaben leichter erfüllen. Vater und Mutter tragen gemeinsam und im gleichen Maße die Verantwortung für ihre Kinder.

Für das Kind ist die Familie die erste und wichtigste Gemeinschaft.

Kinder haben Anspruch auf eine Welt, in der sie sich wohl fühlen. Eine gute, glückliche Erziehung ist ohne ein starkes Gefühl von Zugehörigkeit zwischen dem Kind und einem oder mehreren Erwachsenen unmöglich. Kinder brauchen Liebe und Stabilität in den Beziehungen zu den wichtigsten Erwachsenen in ihrer Umgebung, d. h. sie brauchen feste Bezugspersonen. Dies kann die Familie in besonders hervorragender Weise bieten. Die Atmosphäre der Emotionalität, der Geborgenheit und der Hinwendung ist allein in der Lage, dem Kind erste Sicherheit gegenüber sich selbst und anderen und damit die notwendige Gemeinschaftsfähigkeit für später zu vermitteln. In der Familie müssen wertbezogene selbstbewußte Persönlichkeiten aufgebaut werden. Dadurch wird für den einzelnen das Fundament gelegt, so daß er sich auch in größeren Lebenskreisen zurechtfinden und schwierige Lebensituationen durchstehen kann. Familie ist schon in dem, was sie für die Privatheit von Menschen leistet, bedeutsam für die Gesellschaft.

Die Bedeutung der Familie läßt sich folgendermaßen darstellen:

1. Die Familie vermittelt grundlegende und wichtige Werte, 2. Familie ist gelebtes menschliches Miteinander mit all seinen Chancen und Möglichkeiten, aber auch seinen Problemen. In der Familie kann Solidarität eingeübt werden: untereinander, zwischen den Generationen und nach außen. Gleichberechtigung und Partnerschaft lassen sich in der Familie verwirklichen und für jedes Familienmitglied erfahren. 3. Personale Eigenständigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit sind nicht nur Ziele der Erziehung, sondern auch wichtig für jeden Erwachsenen. Diese Eigenschaften werden in der Familie erworben und bestätigt.

4. Die Familie erzieht und prägt Menschen, die sich auch in größeren Gemeinschaften, in der Gesellschaft zurechtfinden können. 1. Familienpolitik im gesellschaftlichen Wertesystem Unter Familienpolitik werden im allgemeinen Maßnahmen der Träger der Familienpolitik verstanden, die Leistungen, die in der Familie und durch die Familie erbracht werden bzw. erbracht werden sollen, fördern und dadurch auch gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen verwirklichen

Als Träger der Familienpolitik kommen staatliche und nichtstaatliche Organisationen in Frage. Familienpolitik ist immer eingebunden in das gesellschaftliche Wertesystem. Die familienpolitischen Ziele werden durch gesellschaftliche Wertvorstellungen geprägt. Insbesondere die Anerkennung verschiedener freier Organisationen als wesentliche Träger der Familienpolitik entspricht einem pluralistischen Gesellschaftsverständnis.

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 6 [2] GG), die Sicherung und Förderung von Ehe und Familie ist damit ein grundgesetzlich abgesicherter Ordnungauftrag für das gesamte soziale Leben.

Für eine an demokratischen und pluralistischen Prinzipien orientierte Familienpolitik folgt daraus, daß sie viele Formen von Familie und Gestaltungsmöglichkeiten des Familienlebens zuläßt. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Staates, der Regierung, einzelne Familien-formen anderen gegenüber in besonderer Weise zu fördern. Aufgabe der Familienpolitik ist es vielmehr, Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, die es Eltern oder Alleinerziehenden mit Kindern, aber auch Großeltern und sonstigen Familienangehörigen ermöglichen, ihr Leben in der Familie so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Familienpolitik geht jedoch bei der hier zugrunde gelegten Auffassung von Familie noch über die Sicherung der Funktionstüchtigkeit der Familie hinaus. Es gibt einen wichtigen Bereich von Eigenbedeutung der Familie für die Entfaltung der menschlichen Personalität. Dieser Bereich — der im Kapitel I beschrieben wurde — ist dem gesellschaftlichen Beziehungssystem, in dem sich die Familie be-* II. Grundlagen für Familienpolitik findet, vorgelagert. Auch diesen Bereich gilt es zu fördern und zu pflegen. Familienpolitik muß sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit familiäre Leistungen von der Gesellschaft übernommen werden, welche Berechtigung die Politik dazu hat, ob sie dazu verpflichtet ist. Das Leitprinzip bei der Ausgestaltung von Familienpolitik sollte das Subsidiaritätsprinzip sein: den Familien wird Hilfe geboten, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Familienpolitik muß für Rahmenbedingungen sorgen, die ein Zusammenleben von Menschen in der Familie und die Erfüllung von Aufgaben durch die Familie fördern. Wenn Aufgaben nicht mehr in der Familie erfüllt werden können, müssen freie oder staatliche Träger mit ihren Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Familienpolitik ist keine partielle Interessen-politik, sondern eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe für die Verwirklichung des Gemeinwohls. Das bedeutet auch, daß Familienpolitik nicht auf einige wenige Maßnahmen beschränkt sein kann, sondern in vielen Bereichen der Politik Verbesserungen für Familien angestrebt werden müssen. Die Familienpolitik wird ein Schwerpunkt der Gesellschaftspolitik der Zukunft sein müssen. Ohne eine Stärkung der Familie läßt sich eine Gesellschaft der Mitmenschlichkeit nicht verwirklichen. Familienpolitik ist sowohl, was die Durchsetzung der Interessen der Familien in der Politik, als auch, was die unterschiedlichen Wertmaßstäbe bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Familienpolitik betrifft, auf Familienverbände und andere freie Träger angewiesen. 2. Familienpolitik als soziale Ordnungspolitik Der gesellschaftliche Funktionsverlust der Familie gegenüber der Familie in der vorindustriellen Gesellschaft wird von Familiensoziologen folgendermaßen beschrieben: Es handelt sich um — den Verlust an Sozialbeziehungen, die über die Kernfamilie hinausgehen — den Verlust an familienzentrierter Geselligkeit (an die Freizeit-Industrie und das Fernsehen)

— den Verlust an Selbstversorgung und der Einheit von Wohn-und Arbeitsplatz — den Verlust der Altenfürsorge, aber auch der Leistungen der Alten (der Großeltern) für Kindererziehung und Beaufsichtigung — den Verlust der Fürsorge-und Pflegeleistungen — den Verlust der Erziehungs-und Ausbildungsfunktionen (an Kindergarten, Schule und Betrieb)

Dies erschwere es der Familie zunehmend, die übrigen Funktionen befriedigend zu erfüllen. Ebel u. a. nennen als Funktionen der (historisch neuen) privatisierten Kleinfamilie die „bewußte Zuwendung zu Kindern und (die)... persönliche Vertrautheit und Intimität (, Geborgenheit')". Der Familie obliegen im Bereich der Sozialleistungen Funktionen, die sie oft als Lückenbüßerfunktionen empfindet, da sie in Notfällen und Krisensituationen die überlebensnotwendigen Dienstleistungen erbringen muß. Familienpolitik, von einem ordnungspolitischen Ansatz aus gesehen, bedeutet, die Probleme, die mit der Erfüllung familiärer Aufgaben in der Familie und der Übertragung familiärer Leistungen an gesellschaftliche Organisationen Zusammenhängen, zu beleuchten. Die Familie muß mit der individuellen Lebensplanung des Menschen kompatibel sein, deshalb geht es darum, Strategien anzubieten, die es den Menschen ermöglichen, Lebenspläne aufzustellen, in denen die Familie ihren Platz hat. 3. Familienpolitik unter Beachtung der Lebenszyklen von Familien Die Lebenszyklen der Familie und die sich in diesen Sitationen ergebenden Probleme sind Ansatzpunkte für die Politik.

a. Familienpolitik für die Eltern-Kind-familien Spricht man über diesen Bereich, so ist auch hier an die stark unterschiedliche Struktur dieser Familien zu denken. Insbesondere ist auf die Familie, in der nur ein Elternteil vorhanden ist, hinzuweisen.

Von 8, 2 Mio. Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind 0, 9 Mio. Familien mit alleinstehenden Erwachsenen. In 782000 Familien ist dies eine Frau und in 145000 Familien ein Mann

Folgende Problemsituationen scheinen mir für die Familien mit (kleinen) Kindern besonders relevant zu sein:

— Die jungen Eltern stehen im Spannungsfeld zwischen Familie und Erwerbsleben.

— Mit dem Kind kommen oft wirtschaftliche Schwierigkeiten auf die Familien zu.

— Die Arbeitswelt ist nicht familiengerecht gestaltet.

— Die Hausarbeit ist bei Erwerbstätigkeit beider Ehepartner ungleich verteilt: Oft sind die Männer nicht bereit, ihren Anteil an der Hausarbeit zu leisten, so daß die Frauen einer echten Doppelbelastung ausgesetzt sind.

— Die Wohnverhältnisse sind oft nicht auf ein Zusammenleben einer Familie mit mehreren (auch älteren) Kindern, eventuell auch auf das Zusammenleben von drei Generationen ausgerichtet.

— Eine familienfreundliche Umwelt, Möglichkeiten des gemeinsamen Familienurlaubs, Freizeitmöglichkeiten, bei denen auch Eltern mit kleinen Kindern eine Chance haben, mitzumachen, gehören zur Infrastruktur, die den Familien geboten werden sollte, an der es aber vielfach noch fehlt. b. Die Familie mit erwachsenen Kindern Mit dem Abschied der Kinder aus der Familie beginnt eine Zeit (die 1970 bei 21 Jahren liegt), in der Mann und Frau allein die Kernfamilie bilden. Interessant ist folgende Vergleichszahl: 1900 betrug die Zeit der „Gattenfamilie" nur fünf Jahre. Daran läßt sich erkennen, daß die Probleme in diesem Lebensabschnitt teilweise neu sind.

Ehepartner — praktisch sind das heutzutage nur Frauen —, die seit Heirat oder Geburt des ersten Kindes keiner Berufstätigkeit nachgegangen sind und eventuell noch nicht einmal eine Berufsausbildung absolviert haben, fühlen sich plötzlich leer, unausgefüllt, sie haben keine festen, sie zeitlich und geistig ausfüllenden Aufgaben mehr. Familienpolitik muß Beiträge dazu leisten, diesen Frauen eine Wiedereingliederung in den Beruf möglich zu machen. Ihnen müssen, wenn sie das wollen, ausreichend Möglichkeiten zum ehrenamtlichen Engagement in Verbänden, bei freien Trägern karitativer Hilfe, im politischen Bereich gegeben werden. c. Das „Alter"

In die Zeit der Kernfamilie mit erwachsenen Kindern fällt in der Regel auch die Zeit, in denen der/die berufstätigen Ehepartner in das Renterieben eintreten. Sie sind dann oft erst 58 oder 60 Jahre alt, bringen eine große Lebenserfahrung und oft noch sehr gute Gesundheit mit.

Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit und die längere Lebenserwartung führen zu neuen Anforderungen an das Alter. Dabei besitzt die Freizeit einen bedeutenden Stellenwert und muß sinnvoll ausgefüllt werden. Die gesellschaftliche Stellung dieser Menschen muß neu definiert werden. Die alten Menschen wollen ihr Leben aktiv gestalten. Sie besitzen ein neues Bewußtsein und sind nicht mehr passiv. Die Gesellschaftspolitik muß das beachten und das Alter positiv miteinbeziehen. Auch hier gilt es, den Menschen sinnvolle Betätigungsmöglichkeiten zu eröffnen. Die große Lebenserfahrung und das Wissen der älteren Menschen dürfen nicht brachliegen. d. Die Pflegebedürftigkeit Krankheit oder Pflegebedürftigkeit im Alter bilden neue Belastungssituationen für den einzelnen und auch für die Familien. Oft ergibt sich für pflegebedürftige ältere Menschen die Möglichkeit der Pflege durch Kinder oder Ehegatten in der Familie. Dem ist grundsätzlich Vorrang vor staatlicher Pflege im Heim zu geben, da dann die Menschen in ihrer familiären Situation bleiben können, in der sie sich heimisch und behaglich fühlen.

Jedoch, und hier spielt das erwähnte Subsidiaritätsprinzip eine entscheidende Rolle, muß die Familie in die Lage dazu versetzt werden.

III. Problemfelder der Familienpolitik — Die Politik der Bundesregierung —

Es gibt zentrale Bereiche, die die Leistungsfähigkeit der Familie, das Leben der Menschen in den Familien und die Vereinbarkeit von Familie mit anderen Elementen der individuellen Lebensplanung beeinflussen. Auf einige dieser Bereiche wird nun eingegangen. 1. Materielle Hilfen für die Familie „In unserem Lande gibt es zwei Klassen:

die Leute mit Kindern und die Kinderlosen. Die einen haben mehr Arbeit, die anderen haben mehr Geld."

Die Lebensbedingungen der Bürger werden heute durch staatliche Einflüsse wie z. B. Steuern, Sozialabgaben, Subventionen und Transferzahlungen wesentlich beeinflußt. Damit sind auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien in unserer Gesellschaft weitgehend bestimmt durch die Art und Weise, wie Familien im Steuerrecht, in den Sozialgesetzen und beim Kindergeld behandelt werden. Fragen, wie gerecht die Behandlung von Familien in diesen Gesetzen ist oder ob Familien sich benachteiligt fühlen, hängen eng damit zusammen, wie sich die Situation anderer Bevölkerungsgruppen wie z. B. Alleinstehender oder der Ehepaare ohne Kinder im Vergleich mit Familien darstellt.

Eine Analyse der Situation von Familien in der Bundesrepublik Deutschland unter diesen Gesichtspunkten ergibt eine Reihe von Defiziten der Sozial-und Gesellschaftspolitik zu Lasten der Familie: — Viele Familien in unserem Land erreichen kein bedarfsgerechtes Einkommen und schon gar nicht ein dem der Ehepaare ohne Kinder vergleichbares Einkommen. Das bedeutet konkret, daß sich viele Familien in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen befinden und sich gegenüber Ehepaaren ohne Kinder benachteiligt fühlen. Das verstößt angesichts der Bedeutung und der Leistung, die Familien für die Zukunft unserer Gesellschaft erbringen, gegen das Gebot sozialer Gerechtigkeit. Der Facharbeiter mit 3 Kindern z. B., der ein Jahreseinkommen von 30 000 DM hat, begreift es nicht, daß er gleich hohe Abzüge hat wie sein kinderloser Arbeitskollege. — Früher haben viele Frauen nach der Heirat ihre Erwerbstätigkeit auch dann aufgegeben, wenn sie keine Kinder hatten. Die meisten Ehepaare ohne Kinder lebten wie die Familien von einem einzigen Einkommen. Heute dagegen sind bei jüngeren Ehepaaren ohne Kinder beide Partner erwerbstätig. Wenn sich Eltern, die mit ihren Kindern zusammen von einem Einkommen leben, also z. B. drei oder vier Personen von einem Einkommen statt zwei Personen von zwei Einkommen, mit ihnen vergleichen, müssen sie feststellen, daß der Abstand im Pro-Kopf-Einkommen erheblich ist. In dieser Situation befindet sich die Mehrheit der Familien. Schon beim ersten Kind gibt die Hälfte der Mütter ihre Erwerbstätigkeit auf. Gerade zu dem Zeitpunkt, in dem zusätzliche Kosten entstehen, vermindert sich das Einkommen der Eltern. — Die Zeitspanne, in der Eltern für ihre Kinder finanziell zu sorgen haben, hat sich verlängert. Die Ausbildung dauert heute länger: Die Schulpflicht endet nicht mehr mit dem achten, sondern erst mit dem zehnten Schuljahr; der Anteil eines Jahrgangs, der die Hochschule oder Fachschule besucht, hat sich seit 1960 um das zweieinhalbfache vergrößert. Früher haben viele Kinder nach Abschluß der Lehre zum Einkommen der Familie beigetragen. Das ist immer mehr zurückgegangen. Statt dessen müssen heute weit mehr Eltern noch lange, nachdem ihre Kinder erwachsen sind, Zeiten der Ausbildung finanzieren. — Solange Eltern für ihre Kinder sorgen müssen, sind sie bei der Lohn-und Einkommensteuer benachteiligt. Während sonst die Faktoren berücksichtigt werden, die zu einer Verminderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit führen, werden Belastungen durch den erforderlichen Aufwand für den Lebensunterhalt und für die Betreuung von Kindern kaum berücksichtigt. Die Belastung des Einkommens durch die Steuer ist deshalb bei Eltern, die für ihre Kinder zu sorgen haben, wegen deren geringerer Leistungsfähigkeit, höher als bei anderen.

— Ein kinderloses Ehepaar wird künftig meist zwei volle Renten haben, während Eltern mit einer Rente auskommen müssen oder die zweite Rente durch die wenigen Versicherungsjahre sehr gering ist. Diejenigen, die für Kinder wirtschaftlich Verzicht geleistet haben, müssen zugunsten der Kinderlosen eine geringere Alterssicherung in Kauf nehmen, obwohl es ihre Kinder sind, die das Bruttosozialprodukt erarbeiten, aus dem die Renten und Pensionen aller finanziert werden. — Trotz der dargestellten Benachteiligung von Familien sind Förderungsmaßnahmen für Familien in den letzten Jahren in Bund, Ländern und Kommunen erheblich gekürzt worden. Damit sind Familien, die beim Ausbau des Sozialstaates das Schlußlicht bildeten, bei den Einsparungen als erste zur Kasse gebeten worden. Von den Kürzungsmaßnahmen in einzelnen Bundesländern sind z. B. folgende Bereiche betroffen: Familienbildungsmaßnahmen, Familienerholung und Familienferien, Familienberatung und andere Maßnahmen der Familienhilfe. In den Kommunen werden Familien z. B. besonders belastet durch Verteuerung der Benutzung kommunaler Einrichtungen und durch den Wegfall von Sondertarifen für Familien.

Die in diesen Punkten deutlich werdende gesellschaftspolitische Schieflage zu Lasten der Familien muß durch ein neues Gleichgewicht der Gesellschaftspolitik, das Familien gerecht behandelt und ihnen die zukommenden Entfaltungsräume sichert, abgelöst werden.

Die Bundesregierung sieht in der Familienpolitik eine Schwerpunktaufgabe mit absoluter Priorität.

Die wirtschaftliche Benachteiligung der Familie muß durch eine umfassende Reform und einen weiteren Ausbau des Familienlastenausgleichs korrigiert werden. Das geht allerdings nicht zum Nulltarif. Dafür müssen Milliarden eingesetzt werden. Wir wollen erstens eine spürbare steuerliche Entlastung für die Familie. Zweitens muß darüber hinaus das Kindergeld für solche Familien erhöht werden, die ein zu geringes Einkommen haben, so daß sich deswegen eine steuerliche Entlastung nicht oder kaum auswirkt. Drittens schließlich müssen junge Familien besonders gefördert werden. Deshalb stellt sich für mich die Einführung eines Erziehungsgeldes von 600 DM monatlich für ein Jahr als besonders vordringlich dar.

Der Familienlastenausgleich soll wieder in Form des dualen Systems von Steuererleichterungen und direkten Zahlungen an Familien gestaltet werden. Dadurch wird gleichzeitig der Tatsache Rechnung getragen, daß einerseits Bürgern, die ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern aus eigenem Einkommen bestreiten können, dies durch Steuererleichterungen besser ermöglicht wird. Zum anderen wird dafür gesorgt, daß derjenige, dessen Einkommen in der unteren Proportionalzone des Steuertarifs liegt, und der seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach nicht in der Lage ist, seine Kinder angemessen zu unterhalten, durch sozialen Transfer in Form des Kindergeldes dazu in die Lage versetzt wird. Steuererleichterungen unterstreichen die Eigenverantwortlichkeit des Bürgers und erkennen seine eigene Leistung an, während Kindergeldzahlungen stärker die Verpflichtung des Sozialstaates zum Ausdruck bringen, allen Vätern und Müttern unabhängig von ihrem Einkommen eine angemessene Versorgung ihrer Kinder zu garantieren.

Wer Kinder großzieht, leistet damit auch einen wichtigen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft und zur Festigung der Drei-Generationen-Solidarität. Deshalb sind Erziehungsjahre in der Rentenversicherung für den Elternteil, der sich der Erziehung seiner Kinder widmet, einzuführen, sobald die Finanzlage des Staates dies zuläßt. 2. Familie und Arbeitswelt Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Arbeitswelt und Familien stehen in einem besonderen Spannungsfeld, wobei die Arbeitswelt heute das Familienleben und die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander stark beeinflußt. Die Arbeitswelt d. h. Arbeitszeit und Arbeitsort prägen das Leben in der Familie. Physische und/oder psychische Belastungen in der Arbeitswelt beeinflussen auch das Befinden und Verhalten der Familienmitglieder.

Auch heute noch ist der Status des Menschen entscheidend durch seine außerhäusliche Erwerbstätigkeit bestimmt. Wir brauchen eine Neubewertung und Ausweitung des Begriffs „Arbeit". Das tägliche Familienleben, die Arbeit in der Familie ist als „Arbeit" anzuerkennen. Es ist selbstverständlich schwer, eine bezahlte berufliche Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt und nichtentlohnte Arbeit im Haus in ein vernünftiges Verhältnis zu setzen. Wichtig ist dabei: Die Familie muß als Arbeitsplatz für Männer, Frauen und Kinder anerkannt werden

Gerade vor dem Hintergrund der bevorstehenden tiefgreifenden Veränderungen des Arbeitslebens ist es angebracht, über den Wert in der Familie geleisteter Arbeit nachzudenken. ,

Eltern sollen frei darüber entscheiden können, wie sie ihre Aufgaben in Familie und Beruf untereinander aufteilen, ob sie sich Haushalt, Kinderbetreuung und Beruf teilen, oder ob sie sich dafür entscheiden, daß sich ein Elternteil ganz auf die Familie und der andere ganz auf den Beruf konzentriert. Maßnahmen für diejenigen Frauen und Männer, die sich ganz auf die Familie konzentrieren, sind ebenso unverzichtbar, wie Maßnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Man muß weg von einer Ideologie, die besagt, daß Frauen — und auch Männer — sich vorrangig im Beruf verwirklichen können. Männer und Frauen muß auch die Chance zur Verwirklichung in der Familie gegeben werden. Deren Bedeutung muß höher bewertet werden als bisher. a) Gestaltung des Arbeitslebens unter familienpolitischen Gesichtspunkten.

Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat eine Untersuchung zum Thema „Familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens" durchführen lassen, in der die flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten als besonders dringlich herausgestellt wird. Für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sind die Arbeitszeiten heute noch überwiegend relativ starr festgelegt; die Übernahme von Familienaufgaben in der arbeitsfreien Zeit ist häufig dadurch erschwert, daß die Zeitstrukturen der familienbezogenen Einrichtungen (z. B. Kindergärten, Schulen, Geschäfte) mit der Arbeitszeit praktisch nicht abgestimmt sind.

Dies gilt teilweise auch für Teilzeitbeschäftigte. Deshalb ist es notwendig, Alternativen zu den derzeit weitgehend starren Arbeitszeiten zu entwickeln, damit Eltern künftig eine partnerschaftliche Aufgabenverteilung in Familie und Beruf möglich ist.

Dazu müssen wir uns nicht an der Vollzeitbeschäftigung orientieren, da diese Beschäftigungsform Eltern vielfach nur die Möglichkeit läßt, sich für eine schwerpunktmäßige Übernahme der Aufgaben in der Familie einerseits und im Beruf andererseits durch Mutter und Vater zu entscheiden. Veränderte Arbeitszeitformen könnten in der Auswei-tung der Teilzeitarbeitsmöglichkeiten einschließlich verstärkter Angebote zur Arbeitsplatzteilung und in einer stärkeren Arbeitszeitflexibilisierung bestehen. Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung ist es jedoch unerläßlich, diese Arbeitszeitformen so auszugestalten, daß sie sowohl für Männer wie für Frauen attraktiv sind. D. h. in erster Linie, daß die Entlohnung, die Urlaubsansprüche und Sachleistung proportional zur geleisteten Arbeitszeit zu bemessen sind und daß die reduzierte Arbeitszeit hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Arbeitsinhalte und der Aufstiegschancen nicht prinzipiell eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers nach sich ziehen darf.

Die Bundesregierung bereitet z. Z. einen Gesetzentwurf zur Förderung der Beschäftigung vor. Hiernach soll Teilzeitarbeit durch einen besseren arbeitsrechtlichen Schutz auch für solche Arbeitnehmer attraktiv gemacht werden, die heute vollzeitbeschäftigt sind, aber an Teilzeitarbeit interessiert sind. Außerdem sollen Arbeit auf Abruf im Rahmen kapazitätsorientierter variabler Arbeitszeit und Arbeitsplatzteilung auf sozialverträgliche Formen beschränkt werden.

Für den öffentlichen Dienst wird z. Z. in den Gesetzgebungsorganen ein Gesetzentwurf beraten, nach dem die Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung und der langfristigen Beurlaubung der Beamten erweitert werden sollen. Für die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes soll künftig das Beschäftigungsförderungsgesetz gelten. b) Flankierende Maßnahmen zur Erleichterung des Familienlebens Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muß darüber, hinaus durch Maßnahmen, die das Familienleben unterstützen, ermöglicht werden. Folgende Probleme sind hier aufzuzeigen: — das Fehlen geeigneter Betreuungseinrichtungen für Kinder, — das Bedürfnis kranker Kinder nach ganztägiger Betreuung. Lösungsmöglichkeiten liegen hier bei Kinderbetreuungseinrichtungen und bei weitergehenden Regelungen für die Freistellung von erwerbstätigen Eltern kranker Kinder.

Auch die Bereitstellung von Familienhilfen z. B. Sozialstationen, kann hier einen Beitrag zur Verbesserung des Familienlebens leisten. c) Maßnahmen für nichterwerbstätige Frauen und Männer zur beruflichen Wiedereingliederung. Es geht hier um die Frage, wie es denjenigen Frauen und auch Männern, die zugunsten der Familie den Beruf unterbrechen, gelingen kann, während dieser Zeit ihre berufliche Qualifikation zu erhalten. Da bisher noch zu-wenig Erkenntnisse zur konkreten Ausgestaltung notwendiger Maßnahmen vorliegen, hat die Bundesregierung eine Untersuchung zum Thema: „Verbindung zur Berufswelt während der Familienphase" in Auftrag gegeben. Die Untersuchung soll einen Überblick darüber geben, auf welche Weise Frauen oder auch Männer, die sich ganz oder überwiegend der Kindererziehung widmen, ihre Berufskenntnisse aufrechterhalten können, und welche weitergehenden Maßnahmen erforderlich sind.

Darüber hinaus wird es auch um die Chancen dieser Gruppen gehen, nach Abschluß der Familienphase wieder in das Berufsleben zurückzukehren. Auch hier kommen einerseits Fortbildungsmaßnahmen in Betracht, andererseits geht es auch um organisatorische Maßnahmen, die es den Männern oder Frauen erleichtern, sich schrittweise den Erfordernissen im Berufsleben neu anzupassen. 3. Die Wohnbedürfnisse der Familien Familienorientierte Wohnungen, d. h. Wohnungen, in denen auch kinderreiche Familien und/oder Drei-Generationen-Familien ihren Platz haben, müssen Ziel einer Politik sein, die auf eine Verbesserung der Wohnumwelt für Familien hinausläuft. Bei einer familien-orientierten Wohnungspolitik müssen die Belange kinderreicher und einkommensschwacher Familien Vorrang haben. Wohnungsbaupolitische Maßnahmen sollten so ausgestaltet sein, daß sie jungen Familien helfen, denn solange die Kinder noch klein sind, sind ja Wohnraumbedarf und die qualitativen Anforderungen an die Wohnung (Möglichkeiten für Kinder zu toben) besonders groß.

Die Bundesregierung muß trotz des Wohngeldes auch zukünftig davon ausgehen, daß es weiterhin eine große Zahl von Haushalten geben wird, die es schwer hat, im Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt zu bestehen: Dies sind insbesondere die jungen und kinderreichen Familien und Familien ausländischer Arbeitnehmer sowie Alleinstehende mit Kindern. In seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 hat der Bundeskanzler auf die besondere Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldes in der sozialen Marktwirtschaft aufmerksam gemacht Es müssen eile Möglichkeiten ausgeschöpft werden, diese Instrumente gezielt einzusetzen und damit Wohnungsnot vorrangig dort zu beseitigen, wo sie am drängensten ist Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sind hier besonders gefordert Entsprechend der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 sollen Förderungsmaßnahmen des Wohnungsbaus auch dazu beitragen, daß wieder häufiger mehrere Generationen unter einem Dach leben können, wenn sie dies wollen.

Zum Wohnen gehört auch die Wohnumwelt Für die Kinder ist sie als Spiel-und Lebensraum unentbehrlich. Die Wohnumwelt darf nicht nur Verkehrsraum sein, sondern muß auch auf die Belange derjenigen, die in dieser Umwelt leben, hin gestaltet werden. Positiv ist hier schon die Abkehr vom Bau riesiger Betonklötze zu bemerken. Heute wird kleinräumiger und vielgestaltiger gebaut. Das ist auch menschlicher und sehr zu begrüßen.

Die neuen Kommunikationstechnologien können eine Rückverlagerung von Arbeitsplätzen in die unmittelbare Nähe des Wohnbereichs möglich machen. Hierdurch kann Frauen und Männern für einige Jahre eine Arbeit in der unmittelbaren Nähe ihrer Kinder ermöglicht werden.

Eng mit den Wohnverhältnissen und der Wohnumwelt hängt auch die Befriedigung des Bedürfnisses vieler junger Leute zusammen, in Gemeinschaften zu leben, die über die traditionelle Kleinfamilie hinausgehen. Dieses Bedürfnis ist gerade von der Alternativbewegung immer deutlich gemacht worden. Ich halte solche Erweiterungen des Familienlebens für denkbar und wünschenswert, sei es, indem mehrere Familien in größeren Wohnund Haushaltseinheiten Zusammenleben, sei es, indem die Großeltern wieder stärker in die Familien einbezogen werden. Damit können Familien auf Dauer größere Entfaltungschancen gewinnen. 4. Schutz des ungeborenen Lebens Ungeborenes Leben ist die schwächste Form des menschlichen Lebens; es kann daher besonderen Schutz beanspruchen.

Die hohe Zahl der Schwangerschaftsabbrüche stellt eine Herausforderung an unsere Familien-und Sozialpolitik dar. Fast 80% der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche werden mit einer „sonstigen schweren Notlage“ begründet. Frauen, die sich wegen ihrer Schwangerschaft in Not sehen oder diese für die Zukunft befürchten, muß geholfen werden. Ihnen muß ein anderer Ausweg eröffnet werden als der Schwangerschaftsabbruch. Sie müssen die Gewißheit haben, daß sie dem Kind, das sie zur Welt bringen, Geborgenheit und Sicherheit bieten können.

Auch wenn klar ist, daß unter der Indikation einer „sonstigen schweren Notlage" sehr vielfältige Ursachen und Begründungen für einen Schwangerschaftskonflikt ineinander fließen und im Einzelfall eine sehr komplexe Situation gegeben sein kann, dürfen wir uns nicht der Verantwortung entziehen, Hilfen dort zur Verfügung zu stellen, wo sie möglich sind und Entscheidungssituationen verändern können. Aus allen Untersuchungen über Ursachen und Begründungen für einen Schwangerschaftsabbruch geht hervor, daß neben Partnerschaftsproblemen und Einflüssen der nächsten Umgebung der Frau insbesondere wirtschaftliche Schwierigkeiten ausschlaggebend sind. Hinzu kommt die Angst, Versorgung und Betreuung eines Kindes nicht zu bewältigen.

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" auf den Weg gebracht, für die in diesem Jahr 25 Mio. DM und in den folgenden Jahren je 50 Mio. DM im Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Diese Stiftung ist eine Möglichkeit, werdenden Müttern schnell und unbürokratisch zu helfen. Sie ist ein besonders geeignetes Instrument, Hilfen bereit zu stellen, die auf die individuelle Not der werdenden Mütter zugeschnitten sind und die in dieser Situation gewährt oder zugesagt werden. In Betracht kommen neben Hilfen zur Erstausstattung des Kindes oder zur Beschaffung, Einrichtung oder Erhaltung einer familiengerechten Wohnung auch Hilfen zur Haushaltsführung während der Schwangerschaft und nach der Geburt, vor allem Hilfen durch Familienpflegerinnen für körperlich oder seelisch belastete Mütter, schließlich auch Hilfen zur Betreuung des Kindes, etwa für alleinstehende Frauen, die auch nach der Geburt ihres Kindes erwerbstätig sein wollen oder müssen. Die Bundesregierung sieht in der Stiftung einen Baustein einer neuen Politik für die Fall milien. Die Stiftung allein wäre jedoch ein Torso. Sie bedarf der Ergänzung insbesondere durch die Einführung eines Erziehungsgeldes, Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der Rentenversicherung und vieles mehr. 5. Familienpolitik als Politik für die Frauen Frauen sind in Familie und Beruf noch immer benachteiligt. Auch die geringe politisch-gesellschaftliche Teilhabe von Frauen bildet ein Problem. Traditionelle Rollenvorstellung und die durch ungleiche Aufgabenverteilung in der Familie verursachte Doppelbelastung in Familie und Beruf stehen einer angemessenen und erforderlichen Mitwirkung am öffentlichen Leben entgegen. Diese Probleme müssen auch bei der Formulierung einer Familienpolitik mitbedacht werden.

Unsere freiheitliche Gesellschaft kennt kein allgemeinverbindliches Leitbild der Frau, weder das der Hausfrau noch das der berufstätigen Frau.

Immer mehr Frauen sehen im Beruf einen ebenso selbstverständlichen Teil ihrer Lebensplanung wie in der Familie. Sie erwerben eine berufliche Ausbildung und arbeiten in Berufen, die früher den Männern vorbehalten waren. Arbeit ist nicht nur die Arbeit im Beruf: auch die Arbeit in der Familie ist verantwortungsvolle, harte und gesellschaftlich anerkennenswerte Arbeit. Selbstverwirklichung ist nicht nur im Beruf, sie ist auch in der Familie möglich.

Eine Familienpolitik, wie sie hier dargestellt wurde, ist auch eine Politik für die Frauen. Sie ist geprägt durch die Prinzipien — Gleichberechtigung — Partnerschaft — Wahlfreiheit.

Gerade für die Frau war und ist Familie oft nicht mit anderen Aspekten der Lebensgestaltung vereinbar, z. B. mit dem Ziel einer durchgehenden oder aber jedenfalls nach einer Familienzeit fortgeführten Berufstätigkeit. Der wichtigste Punkt und der entscheidende Schritt für mehr Partnerschaft, Wahlfreiheit und Modelle zur sinnvollen Vereinbarkeit von Familie und Beruf — für Mann und Frau — ist eine Änderung der Einstellung des Mannes. Er muß seine Verantwortung für Familientätigkeit und Hausarbeit genau so anerkennen, wie die Frau es tut.

Es ist erforderlich, die traditionelle Aufgaben-verteilung innerhalb der Familie zugunsten einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung zu ändern. Es darf nicht länger eine Forderung bleiben, sondern muß Realität werden, daß sich die Eltern die Aufgaben in der Familie und die Verantwortung für die Familie teilen und auch Väter ebenso selbstverständlich wie Mütter Aufgaben der Kinderbetreuung, Kindererziehung und Haushaltsführung übernehmen. Nur so kann wirkungsvoll die Doppelbelastung der erwerbstätigen Frau abgebaut werden.

Der Ehepartner, der sich für die Arbeit in der Familie entscheidet, darf nicht gesellschaftlich benachteiligt werden (Ansehen der Hausarbeit), finanziell diskriminiert werden (hier helfen Rentenjahre und Erziehungsgeld) und nicht von allen beruflichen Möglichkeiten ausgeschlossen werden (hier sind Teilzeitarbeitsplätze und Wiedereingliederungshilfen von Bedeutung).

Eine familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens nutzt den Frauen, die bisher wegen zu geringer Möglichkeiten der Vereinbarung von Familie und Beruf — trotz ihres Berufswunsches — auf die Berufsausübung verzichten mußten. Insbesondere tragen Maßnahmen auf diesem Gebiet auch dazu bei, daß Väter eine Zeitlang nicht oder halbtags erwerbstätig sein können, sich also Mann und Frau die Zeit für die Betreuung der Kinder teilen können. * Die Gleichstellung von Hausfrauen und erwerbstätigen Frauen bei Leistungen aus dem Mutterschaftsurlaubsgesetz ab 1. Januar 1987 und die Einführung eines Erziehungsgeldes für Frauen oder Männer werden dazu führen, daß die oftmals bestehenden finanziellen Zwänge abgebaut werden, die beide Ehepartner veranlassen, erwerbstätig zu sein, obwohl einer viel lieber beim Kind bleiben würde.

Die Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung für den Elternteil, der sich der Erziehung seiner Kinder widmet, wird insbesondere den Frauen, die ja zum größten Teil die Erziehungsarbeit leisten, zugute kommen.

Die Bundesregierung hat bereits erste Maßnahmen verwirklicht, die die Situation der Frauen in der Rentenversicherung verbessern. Die Wartezeit für Altersruhegelder wurde von 15 auf fünf Jahre verkürzt. Dadurch können Millionen junger Frauen mit einem eigenständigen Rentenanspruch in die Ehe gehen. Zeiten der Kindererziehung werden bereits bei den Voraussetzungen für die Berufs-und Erwerbsunfähigkeitsrente und damit erstmals in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt.

Eine Politik für die Frau fängt in der Familie an! Die Familienpolitik kann und muß Entwicklungen unterstützen, die die Rollenfixierung der Frau durch die Gesellschaft verhindern. — Die Hausmann-und Vaterrolle muß genau so anerkannt werden, wie die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter in der Familie.

— Eine Betonung des Partnerschaftsgedankens und die Ermöglichung von mehr partnerschaftlichem Verhalten in der Familie führt dazu, daß bei den Kindern, die bisher oftmals noch von den Eltern übernommenen Vorstellungen einer fixierten Rollenverteilung von Mann und Frau abgebaut werden, eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung von wirklicher gesellschaftlicher Gleichberechtigung der Frau.

Gerade in der jüngeren Generation ist eine wachsende Bereitschaft zur gleichberechtigten und partnerschaftlichen Arbeitsteilung in Familie und Beruf feststellbar. Diese Tendenzen müssen und können durch eine Familienpolitik, die die Interessen aller Partner in der Familie berücksichtigt, gefördert werden.

IV. Vorrang für Familienpolitik

In unserem Land gibt es seit Jahren eine Auseinandersetzung über den Wert und die Stellung der Familie. Der Strukturwandel in unserer Gesellschaft, die ständig wachsende Aufgabenteilung in allen Bereichen unseres Zusammenlebens haben die Familien vor immer neue Probleme gestellt. Hinzugetreten sind Gesellschaftsanschauungen, welche die Familie grundsätzlich in Frage stellen, sie als Hindernis bei der Verwirklichung ihrer Ziele ansehen. Diese Erscheinungen und die daraus resultierenden Symptome machen eine konsequente Familienpolitik erforderlich.

Die Familienpolitik hat, richtig verstanden, enge Beziehungen zur Frauen-, Jugend-und Bildungspolitik, Wohnungsbau-, Städtebauund Umweltpolitik, Arbeitsmarkt-, Rechts-und Finanzpolitik, Verkehrs-und Gesundheitspolitik. In allen diesen Bereichen müssen Belange der Familie berücksichtigt werden, wenn wir das Ziel einer familien-und kinderfreundlichen Gesellschaft erreichen wollen.

Die neue Bundesregierung, die zunächst die Konsolidierung des ihr in desolater Verfassung hinterlassenen Haushalts in Angriff nehmen mußte, hat die Weichen dafür gestellt. Die Einführung eines Erziehungsgeldes und Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung sind zwei Elemente einer grundsätzlich neuen Konzeption der Familienpolitik. Sie sollen zusammen mit einer grundlegenden Reform des Familienlastenausgleichs die Benachteiligungen abbauen, denen Familien in den vergangenen 15 Jahren ausgesetzt waren.

Erst diese Mosaiksteine zusammengenommen, die sowohl die wirtschaftliche Entlastung von Familien beinhalten als auch die Frauen sozial absichern, die Erziehung des Kindes auf eine solide Basis stellen, die Wahl-freiheit der Eltern praktisch ermöglichen, bilden die Grundlage für die Politik, die eine gesellschaftlich gesunde Entwicklung von Familien möglich macht. Die Bedeutung der Familie für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft insgesamt steht im Mittelpunkt der Politik dieser Bundesregierung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. M. Wingen, Vorüberlegungen zu einer Typologie familienpolitischer „Grundmuster", in: Leitbilder für Familie und Familienpolitik, hrsg. von Rosemarie von Schweitzer, Berlin 1981, S. 23.

  2. E. Pankoke, Ausbruch aus der Isolation, in: Die Neue Ordnung, (1984) 1, S. 24— 33, hier: S. 29.

  3. Vgl.: E. Bronfenbrenner, Wie wirksam ist kompensatorische Erziehung? Stuttgart 1974.

  4. F. -X. Kaufmann/A. Herlth/K. P. Strohmeier, Sozialpolitik und familiale Sozialisation. Zur Wirkungsweise öffentlicher Sozialleistungen, Band 76 der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Stuttgart u. a. 1980, S. 32.

  5. Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 13. 10. 1982.

  6. Vgl. Handlungsfeld Familie, 152 Empfehlungen zur Familienpolitik, hrsg. vom Landesfamilienrat Baden-Württemberg 1983, hier S. 39 f.

  7. Vgl. z. B. Ebel/Eickelpasch/Kühne, Familie in der Gesellschaft, Gestaltung — Standort — Funktion Band 204 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1983, S. 85— 122.

  8. Vgl. Ebd., S. 185.

  9. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. FS 1, Reihe 3, Haushalte und Familien 1982, Stuttgart-Mainz 1983, S. 14.

  10. E. Dessai, Auf dem Weg in die kinderlose Gesellschaft, Reinbeck 1979.

  11. Vgl.: Handlungsfeld Familie, (Anm. 7), S. 67.

  12. C. Born/Chr. Volmer, Familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens, Band 135 der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Stuttgart u. a. 1983.

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Irmgard Karwatzki; Sozialarbeiterin (grad.); seit 1976 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Oktober 1982 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.