Die weitgehende Sensibilisierung weiter Teile von Politik und Öffentlichkeit für Probleme des Friedens und der Abrüstung hat auch das Interesse an der Rüstungsentwicklung in der Dritten Welt geweckt. Auffallend ist, daß die Aufrüstung in der Dritten Welt im großen und ganzen weitaus rapider voranschreitet als in den Industrieländern. Dies ist allerdings kein Prozeß, der die Gesamtheit aller Entwicklungsländer umfaßt. Tatsächlich gibt es eine begrenzte Anzahl von Staaten, die aus unterschiedlichen Motiven zum Motor der Rüstung geworden sind. Die Folgen der Rüstungsentwicklung sind sowohl unter sicherheits-wie unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. Sicherheitspolitisch gesehen wird sie dazu beitragen, daß die Unterschiede innerhalb der Dritten Welt zunehmen werden. Zudem ist eine weitere Intensivierung und Verlängerung bestehender bewaffneter Konflikte zu erwarten. Entwicklungspolitisch gesehen tragen die vermehrten Rüstungsbemühungen eher zu einer Verlangsamung ökonomischen Wachstums bei. Ursachen und Bedingungsfaktoren der Rüstung der Dritten Welt müssen differenziert betrachtet werden. Auf der einen Seite hat zweifellos der Ost-West-Konflikt erhebliche Auswirkungen auf die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gehabt, andererseits dürften die wesentlichsten Impulse jedoch von lokalen oder regionalen Konfliktlagen herrühren. Gegenstrategien müssen von daher nicht nur als Rüstungskontrollmaßnahmen unter Beteiligung der Supermächte angelegt sein, bei ihnen muß großes Gewicht auf Vermittlung und Konfliktbeilegung gelegt werden.
Die weitgehende Sensibilisierung weiter Teile von Politik und Öffentlichkeit für Probleme des Friedens und der Abrüstung hat auch das Interesse an der Rüstungsentwicklung in der Dritten Welt geweckt. Dabei stehen nicht nur unmittelbare Krisen (z. B. Naher Osten, Golfregion) im Mittelpunkt, sondern auch und gerade die langfristigen Verlaufstendenzen dieses Prozesses, wobei der Zusammenhang zwischen Rüstung und Entwicklung einen besonderen Stellenwert einnimmt. Von Friedensforschern ist in diesem Zusammenhang die These einer „Neuen Weltmilitärordnung''aufgestellt worden Sie besagt, daß Rüstung und Militarisierung in der Dritten Welt neue Abhängigkeiten zwischen Nord und Süd schaffen und das Entwicklungsproblem verschärfen. Waffenhandel, Militärhilfe und Unterstützung beim Aufbau lokaler Rüstungsproduktionen in der Dritten Welt werden als die wesentlichsten Instrumente gesehen, mit deren Hilfe das bipolare Weltsystem zementiert wird und in dessen Folge sozialer und ökonomischer Wandel in der Dritten Welt unterdrückt, Abhängigkeiten vom „Norden" verstärkt und Konflikte zwischen den Industriestaaten auf dem Rücken der ärmsten Völker der Welt ausgetragen werden. Die „Neue Weltmilitärordnung" schreibt nach Ansicht vieler Autoren bereits bestehende ungleiche Strukturen des internationalen Systems weiter fest und führt zu einer Vertiefung der Kluft zwischen Nord und Süd
Demgegenüber vertreten andere Autoren die These, daß die wachsende Rüstung der Dritten Welt die globalen Kräfteverhältnisse eher zu ungunsten der entwickelten Industriestaaten verändere. So könne das seit dem Beginn der Neuzeit bestehende militärische Übergewicht der westlichen Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern nicht mehr als gegeben angesehen werden. Zudem würden Rüstungsbeziehungen zwischen „Nord" und „Süd" zumeist recht komplexe gegenseitige, keinesfalls jedoch immer nur einseitige Abhängigkeiten bewirken Ebenso wie jene Friedensforscher, die von der These der „Neuen Weltmilitärordnung" ausgehen, sehen allerdings auch die hier genannten Autoren die Entwicklung in der Dritten Welt als dramatisch an, da die Verknüpfung von wirtschaftlicher Not und Unterentwicklung mit regionalen Konflikten und Großmächteverwicklungen gefährlichen Sprengstoff schaffe. Im Gegensatz zu den oben genannten Friedensforschern, die recht radikale Schritte zum Abbau der „Neuen Weltmilitärordnung" vorschlagen (Verzicht auf Rüstungsexporte, kein Export von Rüstungsproduktionsanlagen, Verhütung nuklearer Proliferation, keine militärischen Interventionen und Stützpunkte in der Dritten Welt), bemühen sich die Autoren der letztgenannten Gruppe um differenzierte Verfahren und Kriterien zur Eindämmung der Proliferation konventioneller wie nuklearer Waffen sowie zur Steuerung regionaler Konflikte.
I. Die militärische Entwicklung in der Dritten Welt
1. Allgemeine Entwicklungstendenzen Es ist von verschiedenen Seiten in den vergangenen Jahren des öfteren darauf hinge-wiesen worden, daß in den sechziger und insbesondere in den siebziger Jahren in der so-genannten Dritten Welt ein ganz beachtlicher Rüstungsschub stattgefunden hat. Diese Entwicklung läßt sich anhand einiger quantitativer Indikatoren leicht nachvollziehen. Betrachtet man die Rüstungsausgaben aller Entwicklungsländer, so ist die Veränderung sehr augenfällig: 1960 gaben die genannten Länder der amerikanischen Abrüstungsbehörde ACDA (= Arms Control and Disarmament Agency) zufolge ca. 10 Mrd. US-Dollar für Verteidigungszwecke aus, im Jahre 1980 lag diese Ziffer bereits bei 147 Mrd. Selbst bei Abzug des Inflationsfaktors bleibt noch immer ein Steigerungseffekt von 300 bis 350% bestehen. Entfielen auf die Entwicklungsländer im Jahre 1960 noch 10% des Anteils an den weltweiten Militärausgaben, so erhöhte sich dieser bis 1970 auf 17 % und ist gegen Ende der siebziger Jahre auf knapp 25 % angestiegen
Beachtenswert ist auch der Anstieg des relativen Anteils der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt in der Dritten Welt. Im Jahre 1963 verwandten Entwicklungsländer im Durchschnitt 4, 4 % ihres Bruttosozialproduktes für Verteidigungszwecke, die Industrieländer hingegen im Durchschnitt 8, 5 %. Im Jahre 1980 war der durchschnittliche Anteil bei den Entwicklungsländern auf 5, 1 % angestiegen, während die Industrieländer nunmehr nur noch bei 5, 4% lagen. Der Vergleich fällt noch etwas deutlicher aus, wenn in Rechnung gestellt wird, daß die westlichen Industrieländer (OECD-Staaten) 1980 gerade im Schnitt 3, 7 % ihres Bruttosozialproduktes für Militärausgaben verwendeten (NATO: 4, 4 %), die Länder des Warschauer Paktes hingegen zum selben Zeitpunkt 11, 8 %
Bemerkenswert % 6).
Bemerkenswert ist überdies die Zunahme des Militärpersonals. Im Jahre 1960 waren laut amerikanischen Angaben in der Dritten Welt ca. 8, 7 Mill. 8 % 6).
Bemerkenswert ist überdies die Zunahme des Militärpersonals. Im Jahre 1960 waren laut amerikanischen Angaben in der Dritten Welt ca. 8, 7 Mill. Mann unter Waffen (einschließlich Milizen). 1980 hatte sich diese Zahl bereits auf etwa 14, 8 Mill, erhöht, was eine Vergrößerung um mehr als 60 % ausmacht 7).
Ein weiteres Indiz ist die Zunahme des internationalen Waffenhandels mit der Dritten Welt 8). Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI (= Stockholm International Peace Research Institute) stellte seinerzeit fest, daß sich das Volumen des Handels mit schweren Waffen mit der Dritten Welt in konstanten (d. h. inflationsbereinigten) US-Dollar berechnet, mehrfach erhöht hat. Während in den fünfziger Jahren Waffen für insgesamt 9 Mrd. US-Dollar an Länder des Südens verkauft wurden, stieg diese Summe in den sechziger Jahren auf 18 Mrd. an und erreichte in den siebziger Jahren die Größenordnung von 70 Mrd. Dollar 9). Die amerikanische Abrüstungsbehörde ACDA, die nicht nur die Großwaffentransfers berücksichtigt, kam für den Zeitraum zwischen 1970 und 1979 zu dem Schluß, daß der Rüstungsexport in die Dritte Welt den Umfang von 126 Mrd. US-Dollar überschritten haben müsse 10). Das Gesamtvolumen des weltweiten Waffenhandels liegt Anfang der achtziger Jahre bei ca. 25 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Während der Import-Anteil der Dritten Welt an diesem Markt zu Beginn der sechziger Jahre noch knapp über 40 % lag, ist er gegen Ende der siebziger Jahre auf mehr als 70 % angestiegen. Bemerkenswert ist auch die Zahl der transferierten Waffen. In den siebziger Jahren wurden im Durchschnitt pro Jahr ca. 3 000 Panzer und Geschütze auf Selbstfahrlafette, etwa 1 500 Stück gezogene Artillerie, ca. 3 000 Schützen-panzer und sonstige gepanzerte Fahrzeuge, 120 Kriegsschiffe, etwa 1 700 Kampfflugzeuge, ca. 4 000 Luftabwehrraketen sowie Hunderttausende von Handfeuerwaffen, Granaten und Munition und sonstige militärisch zu verwendende Artikel in die Dritte Welt geliefert. Von wachsender Bedeutung ist auch die Zunahme der Rüstungsproduktion in Ländern der Dritten Welt. Diese kann entweder lizenziert sein, d. h. es werden Fremdentwicklungen legal nachgebaut, oder aber sie beruhen auf Eigenentwicklungen oder illegalen Nachbauten. Heutzutage sind über 40 Länder in der Dritten Welt imstande, Waffen, Waffen-komponenten oder sonstige Rüstungsgüter herzustellen. Einige von ihnen besitzen bereits die Fähigkeit, eigene Panzerfahrzeuge, Flugzeuge, Düsenjäger, Raketen sowie komplizierte Elektronik herzustellen 11). In diesem Zusammenhang werden viele dieser neuen Rüstungsproduzenten zu Anbietern auf dem internationalen Waffenmarkt, wo sie durch teilweise recht aggressive Verkaufsmethoden von sich Reden gemacht haben (z. B. Brasilien, Nord-Korea, Ägypten).
Ein besorgniserregender Aspekt ist auch die Weiterverbreitung von Kernwaffen, die nukleare Proliferation. Bislang ist die Volksrepublik China das einzige Land der Dritten Welt, welches offen eine Nuklearrüstung betreibt. Daneben ist aber die Gefahr groß, daß weitere Länder in den Club der Kernwaffen-mächte vordringen wollen. Die Versuchung, mit Hilfe dieser Waffen einen wesentlichen Vorsprung gegenüber regionalen Rivalen zu erhalten, sowie die Aussicht, einen weltweiten Prestigegewinn verbuchen zu können (immerhin sind alle bisherigen Kernwaffen-mächte ständige Mitglieder des Sicherheitsrates), ist groß. Zudem gibt es eine Reihe von technischen Möglichkeiten, die zivile Nutzung von Kernenergie und den internationalen Handel mit nukleartechnischen Gütern für die heimliche Produktion von Kernsprengköpfen zu nutzen. Auch der Knowhow-Transfer auf diesem Gebiet ist kaum zu steuern. So konnten vor einigen Jahren in einer amerikanischen Zeitschrift detaillierte Angaben über den Bau einer Wasserstoff-bombe veröffentlicht werden. Zwar bieten der Atomwaffensperrvertrag von 1968 sowie das Kartell der Hersteller von nukleartechnischen Anlagen und Kernbrennstoffen (Londo5 ner Suppliers Club) eine gewisse Gewähr dafür, daß die nukleare Proliferation unter Kontrolle bleibt, dennoch ist das gegenwärtige Nicht-Verbreitungssystem keinesfalls undurchlässig. Einige Staaten der Dritten Welt, von denen man am ehesten annimmt, daß sie Kernwaffen herstellen können (Indien, Pakistan, Israel, Südafrika, Brasilien, Argentinien), haben den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Zudem kann man selbst bei Staaten, die sich entsprechenden Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) unterworfen haben, nicht ausschließen, daß diese unter dem Denkmal der friedlichen Kernenergienutzung nach und nach die Voraussetzungen für eine Nuklear-rüstung erwerben, den NV-Vertrag kündigen (oder brechen) und binnen weniger Monate oder Wochen zur Kernwaffenmacht werden. 2. Schwerpunkte Die hier angeführten Tendenzen geben natürlich nur einen sehr allgemeinen Eindruck von den tatsächlich herrschenden Verhältnissen wieder. Um ein genaueres Profil von der Rüstung der Dritten Welt zu erhalten, bedarf es einer Aufschlüsselung nach einzelnen Kategorien von Staaten. Augenfällig ist dabei zunächst, daß innerhalb der Dritten Welt die Rüstungsentwicklung regional sehr unterschiedlich ausfällt.
Die am stärksten militarisierte Region in der Dritten Welt ist jener Großraum, der Ost-, Südost-und Südasien umfaßt. Hier ist nicht nur mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wohnhaft, hier befinden sich auch die zahlenmäßig größten Streitmächte der Dritten Welt: Die VR China mit 4, 2 Mill. Mann, Indien mit 1, 1 Mill. Mann, Vietnam mit 1, 2 Mill. Soldaten, Nord-Korea mit 780 000 und Süd-Korea mit 620 000 Soldaten sowie Taiwan mit 460 000 Mann unter Waffen; daneben sind auch Indonesien, die Philippinen, Thailand sowie Pakistan relativ große Militärmächte. Neben der Atommacht VR China sind derzeit Indien und Pakistan einer nuklearen Rüstung in der Dritten Welt am nächsten. Zur Zeit gehen etwa 12 % aller Rüstungsexporte der Welt in diesen Raum, was dazu geführt hat, daß das technologische Niveau der dortigen Militär-mächte in den letzten Jahren erheblich zunehmen konnte.
Die Region mit der gegenwärtig stärksten Rüstungsdynamik ist hingegen der Nahe und Mittlere Osten. SIPRI konstatiert z. B. einen jährlichen Anstieg der dortigen Rüstungsausgaben von 13 bis 14%. Derzeit belaufen sich die jährlichen Rüstungsaufwendungen dieser Länder auf über 45 Mrd. US-Dollar, und ca. 40 % aller Waffenimporte der Welt gehen auf das Konto von Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Stärker noch als im übrigen Asien ist es hier zu einer sehr weitgehenden Verbreitung modernster konventioneller Waffen-technologien gekommen, die z. T. in regionalen Konflikten praktisch ausprobiert worden sind.
Lateinamerika bleibt, was relative Militärausgaben und militärische Stärke anbetrifft, weit unter dem Weltdurchschnitt. Die einzigen Ausnahmen stellen Kuba, Argentinien und Brasilien dar; letztere haben offenbar auch nukleare Ambitionen noch nicht beiseite gelegt. Zur Zeit entfallen etwa 5 % aller Rüstungsimporte der Welt auf den lateinamerikanischen Raum. Bemerkenswert ist dabei, daß die zentralamerikanische Region sowie die Karibik (auch hier ist die Ausnahme Kuba zu nennen) bislang von weitgehenden Aufrüstungsmaßnahmen verschont geblieben sind. Costa Rica konnte es sich sogar leisten, sein Militär gänzlich abzuschaffen. Ob diese Entwicklung angesichts der krisenhaften Zuspitzung um Nicaragua und El Salvador noch lange anhalten wird, bleibt abzuwarten.
Eine relativ dynamische Rüstungsentwicklung findet auch in Nordafrika statt, wo vor allem Libyen und Algerien große militärische Ambitionen haben. Libyen importierte in den letzten acht Jahren mehr Waffen als seinerzeit der Schah von Persien, der als der größte Waffenimporteur der Welt galt. Relativ schwach militarisiert ist das übrige Afrika, wo die meisten Staaten nur über unwesentliche militärische Apparate mit veralteter Technik und minimaler Schlagkraft verfügen. Lediglich im südlichen Afrika sowie am Horn von Afrika ist in den vergangenen Jahren eine ganz erhebliche Ausgabensteigerung für Rüstung zu beobachten gewesen. Welche Dynamik die Konflikte in Afrika haben können, wird daran ersichtlich, daß Gesamtafrika Ende der siebziger Jahre mehr als 20 % aller Rüstungsimporte der Welt auf sich vereinigte.
Praktisch ohne Rüstung und Militär existieren-lediglich die Staaten Ozeaniens, bei denen einzig die Fidji-Inseln ein bescheidenes militärisches Potential besitzen.
Allerdings sind in der Rüstungsentwicklung innerhalb der hier genannten Regionen auch sehr starke Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern festzustellen. Den stärksten Zuwachs verzeichneten in den siebziger Jahren die Militärausgaben der Mitgliedstaaten der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC = Organization of Petroleum Expor7 ting Countries). Diese begannen ab 1973 mit Hilfe der gestiegenen Öleinnahmen militärische Machtmittel in großen Mengen anzuhäufen. Ihre Rüstungsausgaben stiegen in den vergangenen zehn Jahren um 300 %, wobei die arabischen OPEC-Staaten gegenüber den anderen Ländern weit an der Spitze lagen.
Eine weitere Kategorie von Ländern, die ganz besonders intensiv als Motor für die Rüstung der Dritten Welt fungieren, sind die soge-nannten Schwellenmächte. Hierunter werden jene Staaten der Dritten Welt gezählt, die aufgrund ihres vergleichsweise hohen Niveaus der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung und der gesellschaftlichen Organisationsfähigkeit die Möglichkeit besitzen, relativ große militärische Apparate auf einem fortgeschrittenen technologischen Entwicklungsstand aufzubauen und zu erhalten. Argentinien, Brasilien, Indien und die Volksrepublik China wären als Beispiele zu nennen, wobei allen diesen Staaten gemein ist, daß sie wirtschaftlichen Aufschwung und militärische Stärke als wesentliche Bestandteile ihrer Rolle als regionale Großmacht betrachten. Die gewachsene Bedeutung des militärischen Faktors für diese Schwellenländer sowie andere, ihnen nahekommende Staaten (Südkorea, Taiwan) wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß in den siebziger Jahren die Rüstungsausgaben jener Entwicklungsländer, die ein hohes Bruttosozialprodukt pro Kopf (über 700 US-Dollar) haben, um nahezu 90 % gestiegen sind.
Daneben gibt es jene Staaten, die sich militärische Rüstung eigentlich gar nicht oder zumindest nur in beschränktem Rahmen leisten könnten, dennoch aber militärisch über ihre Verhältnisse leben. In den meisten Fällen lassen sich die betreffenden Länder finanziell von befreundeten Großmächten oder anderen finanzkräftigen Staaten (z. B. OPEC-Ländern) aushalten. Beispiele hierfür wären Syrien, Jordanien, Pakistan, Kuba und auch Vietnam.
Andere Staaten, die hochgerüstet aber dennoch hierzu wirtschaftlich eigentlich nicht imstande sind, gleichen die damit verbundenen hohen sozialen Kosten durch scharfe innenpolitische Unterdrückungsmaßnahmen aus, wie z. B. Nord-Korea und zu einem geringeren Teil Taiwan.
Die Mehrzahl der Länder der Dritten Welt leistet sich keine größeren militärischen Apparate und unterhält meistens Streitkräfte in einer Größenordnung, die die innere Struktur aufrechtzuerhalten hilft und ein Minimum an Verteidigungsbereitschaft garantiert. Zwar ist auch bei diesen Ländern eine nicht unerhebliche Steigerung bei den Rüstungsausgaben in den siebziger Jahren festzustellen gewesen, nur machen sich diese Zuwächse im internationalen Vergleich gesehen noch relativ gering aus.
Es ist in diesem Zusammenhang wert festzuhalten, daß die Machtergreifung von Militärregimes in der Dritten Welt nur selten mit einer übermäßigen Steigerung der Verteidigungsausgaben einhergeht. Die so oft zitierte „Selbstbedienungsmentalität" von Obristen und Generälen, die die Macht im Staat erlangt haben, läßt sich nur in wenigen Fällen nachweisen. Es gibt vielmehr durchaus Gegenbeispiele, wie z. B.den Militärputsch in Indonesien von 1965, in dessen Folge die Militärausgaben des Landes drastisch reduziert wurden.
Auffällig ist hingegen, daß jene Staaten der Dritten Welt, die sich zum Marxismus-Leninismus bekennen, ein überdurchschnittlich hohes Niveau an Rüstungsaufwendungen haben. Man ist geneigt, hier von dem Phänomen eines Roten Militarismus zu sprechen, für den Länder wie Kuba, die VR China, Nordkorea und Vietnam stehen.
II. Die Folgen der Rüstung in der Dritten Welt
Abbildung 2
Tabelle 2: Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt im Vergleich (in %)
Tabelle 2: Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt im Vergleich (in %)
1. Sicherheitspolitische Konsequenzen Eine Folge der hier geschilderten Entwicklung ist es, daß sich Unterschiede zwischen militärisch schwachen und starken Mächten in der Dritten Welt zukünftig deutlicher herausbilden werden. Waren bislang fast alle gleichermaßen schwach und anfällig, so erlangen nunmehr einzelne Länder regionale Machtpositionen, neue Rivalitäten brechen auf, Staaten bauen ihre eigenen „Sicherheitssysteme" um sich herum auf und bringen andere Länder in Abhängigkeit. Man kann durchaus den Begriff einer neuen internationalen „Hackordnung" einführen, die die Gewichte in der internationalen Politik verschieben wird.
Parallel dazu gibt es eine Tendenz der Zunahme und Intensivierung militärischer Konflikte in der Dritten Welt. Zwar schafft Rüstung an sich noch keine Konflikte, aber im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt, der gerade wegen der großen Mengen angehäufter Rüstung auf beiden Seiten bislang unblutig verlief, hat der enorme Rüstungszuwachs in der Dritten Welt keinen vergleichbaren stabilisierenden Effekt gehabt. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat es mehr als 120 Konflikte in diesen Regionen gegeben, die über 30 Millionen Tote und Verwundete gefordert haben. Rüstungsexporte und Militärhilfe an die dabei beteiligten Parteien haben häufig zu einer Verschärfung geführt; nur in wenigen Fällen kam es zu nachhaltigen Stabilisierungseffekten
Auf politischer Ebene ist zu beobachten, daß diese Entwicklung die Erosion der politischen Einheit der Länder der Dritten Welt (z. B. im Rahmen der Blockfreien Bewegung oder innerhalb der OPEC) weiter vorantreibt. Oftmals lassen lokale Anlässe Fronten zwischen einer Reihe von Staaten entstehen (wie z. B. im Falle des Krieges zwischen Iran und Irak) und führen zu gänzlich neuen Situationen und Staatenverbindungen.
In diesem Zusammenhang unterliegen auch die Beziehungen zu den Supermächten sowie den anderen europäischen Großmächten einem Wandel, der allerdings nicht dem Bild entspricht, welches die Vertreter der Theorie der „Neuen Weltmilitärordnung" entwerfen. Zwar gibt es neue Formen der Abhängigkeit, wie z. B. im Bereich der Rüstungstechnologie (Ersatzteillieferungen, Munition) sowie bei den Modalitäten der Bezahlung von Waffenlieferungen und der Ausbildung von Offizieren und Rekruten. Jedoch lassen sich diese Abhängigkeiten immer weniger instrumentalisieren, da zum einen, die käuferfreundliche Struktur des internationalen Waffenmarktes und zum anderen das zunehmende Nationalbewußtsein in den Ländern der Dritten Welt die Einflußmöglichkeiten geringer werden lassen.
Umgekehrt entsteht oft genug der Eindruck, daß Staaten oder Politiker der Dritten Welt die Supermächte für ihre Zwecke instrumentalisieren und dabei für eine Zeitlang zumindest verbal Partei im Ost-West-Konflikt ergreifen. Die Behauptung, daß der amerikanisch-sowjetische Konflikt die Ereignisse in der Dritten Welt überlagere, kann dabei kaum aufrechterhalten werden. Eher besteht eine Art Gemengelage, bei der regionale Streitparteien, externe Mächte sowie sonstige lokale Bedingungen eine nur schwer zu durchschauende Verbindung eingehen. So mancher als „Stellvertreterkrieg" angesehene Konflikt in der Dritten Welt entpuppte sich im nachhinein als rein regionales Phänomen, an dem die Supermächte zwar teilhatten, welches sie aber nur mangelhaft zu steuern imstande waren. In diesem Zusammenhang ist auch zu betonen, daß Militärmächte der Dritten Welt ein zunehmend wirksameres Störpotential gegenüber den Supermächten und den anderen Großmächten entfalten können. Die weitgehende Verfügbarkeit von modernen Düsenflugzeugen, Panzern, zielsuchenden Raketen, Seezielraketen, modernen U-Booten und gar Atomwaffen lassen militärische Interventionen immer schwieriger werden (z. B. Falkland-Krieg) und engen den Spielraum für militärische Manöver in entfernten Regionen spürbar ein. 2. ökonomische Konsequenzen Ein wesentlicher ökonomischer Aspekt der Rüstung in der Dritten Welt ist, daß Kapital, Arbeitskraft und Kreativität zu relativ unproduktiven Zwecken und nicht für Entwicklungsaufgaben gebraucht werden. Im globalen Maßstab gesehen ergeben sich z. T. erschrekkende Ungleichgewichte. So wenden Entwicklungsländer zwar im Durchschnitt schon einen ebenso großen Anteil des Bruttosozialproduktes für Verteidigungszwecke auf wie die Industriestaaten; in den Bereichen Erziehung und Gesundheitswesen bleiben die entsprechenden Anteile jedoch um 40 bzw. 70 % hinter den vergleichbaren Zahlen für die Industrieländer zurück.
Zwar geben diese Relationen ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wieder, weil die relativ hohen Rüstungsausgaben der OPEC-Staaten die Gesamtbilanz verfälschen, aber sie deuten doch an, daß die Bereitschaft zu hohen Rüstungsausgaben in vielen Entwicklungsländern sehr groß ist Von anderer Stelle ist wiederum darauf verwiesen worden, daß hohe Rüstungsausgaben und hohes Wirtschaftswachstum häufig miteinander korrelieren, so daß die negativen Auswirkungen wettgemacht werden können. Verteidigungsausgaben hätten demnach auch positive Effekte für die Volkswirtschaft der betreffenden Länder, da zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen, Aus-bildungsprogramme und Nachfrageeffekte auftreten Dieses gelte nicht nur für die sogenannten „Schwellenländer", sondern auch für arme Entwicklungsländer, in denen das Militär manchmal die einzig verläßlich funktionierende staatliche Organisation sei und für einige Wirtschaftszweige eine konstante Erwerbsquelle darstelle. Eine Bilanz der positiven wie negativen volkswirtschaftlichen Effekte von Rüstungsausgaben kann lediglich für den Einzelfall vorgenommen werden. Generell läßt sich aber feststellen, daß die meisten Entwicklungsländer — mit unterschiedlichem Erfolg — versuchen, ihre aus außenpolitischen Gründen für notwendig erachteten Militärausgaben in einer Weise zu steuern, die nach Möglichkeit wirtschafts-und strukturpolitische Vorteile mit sich bringt.
Betrachtet man lediglich die ökonomischen Konsequenzen von Rüstungsimporten in den Ländern der Dritten Welt, so sieht das Bild allerdings durchweg negativ aus. Zum Ankauf von Waffensystemen und zur Bezahlung von Dienstleistungen werden diesen Staaten zumeist westliche Devisen abverlangt, was zur Folge hat, daß weniger Geld zum Ankauf ziviler Güter zur Verfügung steht, oder daß Sektoren der heimischen Landwirtschaft zu zusätzlichen Exportsteigerungen angeregt werden müssen. Häufig ist die Zunahme der Auslandsverschuldung sowie die Verschlechterung der heimischen Versorgungssituation die Folge von Waffenkäufen im Ausland. Dieses Problem wird auch in jenen Ländern nur mangelhaft gelöst, die sich darum bemüht haben, eine eigene Rüstungsindustrie auf die Beine zu stellen. Selbst Indien, Argentinien und Brasilien, die über relativ große und hochentwickelte Einrichtungen verfügen, um moderne Waffen herzustellen, müssen einen großen Teil der dabei verwendeten Komponenten aus dem Ausland importieren. Hinzu kommt, daß die bisherigen Erfahrungen beim Aufbau eigener Rüstungsindustrien in Entwicklungsländern gezeigt haben, daß die jeweiligen Endprodukte qualitativ schlechter und zudem teurer waren als vergleichbare ausländische Waffensysteme. Besonders augenfällig ist dieser Tatbestand im Falle von Lizenzproduktionen, wo es sich oft genug als sehr viel teurer erwiesen hat, eine Waffe im eigenen Land herzustellen, anstatt sie gleich beim ursprünglichen Produzenten zu kaufen
III. Ursachen und Bedingungsfaktoren der Rüstung der Dritten Welt
Abbildung 3
Tabelle 3: Rüstungsproduktion in peripheren Ländern
Tabelle 3: Rüstungsproduktion in peripheren Ländern
Die Gründe für die Rüstung der Dritten Welt sind in der politischen wie wissenschaftlichen Diskussion stark umstritten. Auf der einen Seite finden sich viele, die behaupten, daß die Militarisierung der Dritten Welt hauptsächlich durch äußere Faktoren verursacht worden ist (z. B. Übertragung des Ost-West-Gegensatzes). Andere hingegen argumentieren, daß es vornehmlich endogene Faktoren waren, die zu der jüngsten Entwicklung geführt haben. Der Wahrheit am nächsten kommt wahrscheinlich eine Betrachtungsweise, die vom Zusammentreffen mehrerer Ursachen ausgeht.
Zweifellos stellt der Ost-West-Konflikt, der in den letzten 35 Jahren in vielfältiger Weise auf die Regionen der Dritten Welt ausgegriffen hat, ein wichtiges Moment dar. Dabei gehen viele Autoren davon aus, daß die gegen die Sowjetunion gerichtete Eindämmungspolitik der USA seit Ende der vierziger Jahre hierbei den Anfang gemacht habe Diese Annahme läßt sich jedoch nur dann aufrechterhalten, wenn man die Ereignisse in Ost-asien ausblendet. Immerhin galt die 1947 verkündete Truman-Doktrin bis 1950 ausschließlich für Europa und Kleinasien. Dies wurde in der amerikanischen Haltung gegenüber der nationalen Partei im chinesischen Bürgerkrieg deutlich, wo Washington nach anfänglicher Unterstützung die Hilfe für die von den Kommunisten bedrängten Guomindang wegen des korrupten Charakters der nationalchinesischen Regierung einstellte. Bescheiden war im übrigen umgekehrt auch die Hilfe Moskaus für die Kommunisten. Erst der Sieg der kommunistischen Kräfte trug aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Wandel in der Position der Sowjetunion bei; denn das Nachgeben Washingtons hatte sowohl bei der sowjetischen wie bei der neuen chinesischen Führung die Überzeugung gestärkt, daß eine weitere militärische. Ausbreitung des Kom-munismus in Ostasien möglich sei. Der in diesem Zusammenhang vom Zaune gebrochene Koreakrieg brachte jedoch das gegenteilige Ergebnis, da nunmehr die USA sich schon um ihrer weltpolitischen Glaubwürdigkeit willen genötigt sahen, der nord-koreanischen Invasion entgegenzutreten.
Der Koreakrieg markierte den Wendepunkt der amerikanischen Politik, die nunmehr damit begann, um die Sowjetunion und die VR China herum antikommunistische Militärbündnisse zu organisieren,, um auf diese Weise einen Eindämmungsring zu legen. Aber auch hierbei gingen die USA nicht in der Weise vor, daß sie Länder der Dritten Welt unbedacht aufrüsteten. Vielmehr bemühten sie sich hauptsächlich um die Erlangung von Stützpunkten, was durch Militär-hilfe und Rüstungslieferungen im relativ kleinen Maßstab abgegolten wurde. Für besonders gefährdete Regionen, wie z. B. für den Nahen Osten oder Südasien, fand Washington die Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs in dem Bestreben, das Rüstungsniveau der dortigen Streitparteien niedrig zu halten. Gerade diese Zurückhaltung aber war es, die der Sowjetunion Möglichkeiten bot, den Einkreisungsring durch großzügige Waffenlieferungen zu durchbrechen. Ab 1955 belieferte sie erst Ägypten, dann Syrien, später Afghanistan, Indonesien und auch Indien mit Waffensystemen, die diese Länder nicht oder nicht in der gewünschten Menge im Westen erhalten konnten. Man kann zumindest für die fünfziger Jahre feststellen, daß die Sowjetunion den weitaus größeren Anteil an Verantwortung für die Rüstung in der Dritten Welt hatte. Rechnet man die massiven Lieferungen von Rüstungsgütern und Waffen der Sowjetunion an die Volksrepublik China und an Nord-Korea mit ein, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Sowjetunion zu dieser Zeit der mit Abstand größte Rüstungsexporteur für Entwicklungsländer war
Infolge ihrer veränderten militärstrategischen Konzeption (Wandel von der Strategie der „massiven Vergeltung" zur „flexiblen Reaktion") und der Ereignisse um Kuba begannen die USA in den sechziger Jahren damit, die Verteidigungsfähigkeit von Ländern der Dritten Welt durch vermehrte Rüstungslieferungen und Ausbildungsangebote (insbesondere auf dem Sektor der Guerillabekämpfung) zu verstärken. Gegebenenfalls wollte man bedrängten Staaten außerhalb Amerikas und Europas sogar mit eigenen konventionellen Truppen helfen, wie es im Falle Vietnams dann auch geschah.
Das Fiasko dieser Vietnam-Politik führte 1969 schließlich zur sogenannten „Nixon-Doktrin", die darauf hinauslief, daß die USA weniger direkte Engagements in der Dritten Welt vornehmen wollten, hingegen jenen Staaten um so mehr mit Waffenlieferungen-unter die Arme zu greifen beabsichtigten, die bereit und willens waren, sich selbst zu verteidigen. Im Zusammenhang mit der Vervielfachung der Rohölpreise kam es ab 1973 zu einem Boom amerikanischer Rüstungsexporte in befreundete Länder des Nahen Ostens, hauptsächlich in den Iran. Infolge der damit verbundenen Schwierigkeiten und Probleme, die aus Anlaß der iranischen Revolution 1979 voll zum Ausbruch kamen, begann die Regierung von Präsident Carter ab 1977 damit, amerikanische Rüstungsexporte in die Dritte Welt wieder zu verringern. Diese Bemühungen zeitigten einige Erfolge, wurden jedoch von der nachfolgenden Reagan-Administration erneut revidiert, die heutzutage Rüstungsexporte und Militärhilfe relativ extensiv als diplomatische Instrumente nutzt.
Die Sowjetunion ihrerseits hat seit Beginn der sechziger Jahre ihre Rüstungslieferungen und Militärhilfe an Länder der Dritten Welt kontinuierlich erhöht. Sie steht zusammen mit den USA an der Spitze der weltweiten Rüstungsexporteure: Beide Supermächte zusammen bestreiten über 70 % des Exportes von Waffen in die Dritte Welt. Im Gegensatz zu den USA, wo die sonstige Auslandshilfe (hauptsächlich Kapitalhilfe) im gleichen Maße wie die Rüstungsexporte stieg, blieb die Entwicklungshilfe der Sowjetunion weit zurück. War das Verhältnis von Militärhilfe zu Entwicklungshilfe zu Zeiten Chruschtschows in der Sowjetunion noch mit 1: 1 relativ ausgeglichen, so macht gegenwärtig die Militärhilfe das Sechsfache dessen aus, was die Sowjetunion an Kapitalhilfe gibt Neben ihren sicherheitspolitischen Interessen verfolgen beide Supermächte auch ökonomische Anliegen. Die USA bekommen auf diese Weise Gelder zurück, die für Forschung und Entwicklung ausgegeben worden sind, teilweise lassen sich auch die Stückkostenpreise von Waffensystemen senken. Die Sowjetunion hingegen kann durch Waffenverkäufe ihre Diviseneinkünfte vergrößern. Man schätzt, daß gegenwärtig 10 bis 15% aller Hartwährungseinnahmen der Sowjetunion aus dem Verkauf von Waffen in die Dritte Welt (zumeist an OPEC-Länder) stammen. Bei beiden Supermächten dürften die ökonomischen Interessen aber letztendlich den sicherheitspolitischen Gesichtspunkten untergeordnet sein. Bei den westeuropäischen Rüstungsanbietern (hauptsächlich Frankreich und Großbritannien, aber auch Italien, die Bundesrepublik und die Niederlande) dominieren hingegen rüstungsökonomische Interessen. Sicherheitspolitische und ökonomische Interessen der Lieferländer können für sich genommen jedoch noch nicht die Rüstung und Militarisierung der Dritten Welt erklären, vor allem dann nicht, wenn — wie im Fall der USA — dieses Interesse gar nicht immer durchgehend gegeben war. Von daher bedarf es einer Betrachtung der sogenannten endogenen Faktoren. Wie das Beispiel des Nahost-Konfliktes zeigt, gibt es ohne Vorhandensein eines lokalen oder regionalen Konfliktes keine Einstiegsmöglichkeiten für Großmacht-interventionen oder sonstige Verwicklungen der Groß-und Supermächte. Ähnlich wie im Nahen Osten ist praktisch jeder Konflikt, bei dem zumindest eine der beteiligten Seiten nicht mehr zu einer politisch einvernehmlichen Lösung bereit ist, ein zusätzlicher Kristallisationskern für weitere Entwicklungen dieser Art. Das südliche Afrika, der Persische Golf oder auch die mittelamerikanische Region sind zur Zeit am meisten von der Gefahr einer derartigen Militarisierung bedroht. Von gleicher Bedeutung ist es, wenn Länder der Dritten Welt durch eine erhöhte Rüstung versuchen, eine regionale Machtposition zu erringen und zu behaupten. Staaten wie Indien, Pakistan, Iran und Irak, Algerien, Nigeria, Brasilien, Vietnam oder auch China können hier als Beispiele genannt werden. Am bizarrsten stellt sich der Fall Libyen dar, welches seit Jahren große Mengen von Waffen kauft, um sie dann zu politischen Bedingungen an andere Staaten oder Befreiungsbewegungen weiterzugeben. Der Versuch, eine regionale Machtposition durch Rüstungsmaßnahmen zu gewinnen, artet leicht in einen Rüstungswettlauf aus, wenn ein Rivale glaubt, in gleicher Weise mitziehen zu müssen. Beispiele dieser Art sind die indisch-pakistanische, die irakisch-iranische oder die brasilianisch-argentinische Rivalität.
Aber auch die innere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur der Länder der Dritten Welt hat einen Einfluß auf deren Rüstungspolitik. Wie oben bereits festgestellt, ist dieser Zusammenhang bei Militärregimes recht gering, bei kommunistischen Staaten hingegen sehr hoch. Das bedeutet nicht, daß nicht auch demokratische Staaten viel in ihre Rüstung investieren (wie z. B. Indien), es ist aber auffällig, daß gewisse Kategorien von Staaten ähnliche Rüstungsmuster aufweisen. Auffällig ist auch, daß jene Länder, die über längere Perioden von gleichermaßen ambitionierten wie charismatischen Persönlichkeiten beherrscht werden (Sukarno, Nkrumah, Nasser oder heutzutage Ghaddafi), außergewöhnlich hohe Rüstungsaufwendungen haben und sich oftmals in vielerlei militärische Abenteuer verstricken.
Einen weiteren Faktor bilden die Vorstellungen der jeweiligen nationalen Eliten über die ökonomischen und technologischen Fähigkeiten ihres Landes zur Rüstungsintensivierung. Dort, wo diese hoch eingeschätzt werden, also besonders bei den sogenannten Schwellen-mächten, besteht am ehesten eine Anfälligkeit für militant-nationalistische Strategien.
Abgesehen von diesen endogenen Ursachen sind noch einige allgemeine Bedingungsfaktoren für Rüstung und Militarisierung der Dritten Welt zu nennen. So hat sich die Zahl der unabhängigen Staaten in der Dritten Welt in den letzten 30 Jahren ganz erheblich erhöht, womit auch eine Vergrößerung der Nachfrage nach militärischen Gütern einher-ging. Allerdings sollte dieser Faktor nicht allzu stark gewichtet werden; denn die „militärischen Großverbraucher" der Dritten Welt waren bereits zu einem Zeitpunkt unabhängig, als ihre Militarisierung noch gar nicht in Bewegung gekommen war.
Ein wesentlicher Faktor ist hingegen die Ölpreiserhöhungswelle von 1973/74 gewesen, die die materielle Basis für die immensen Rüstungseinkäufe der OPEC-Staaten und deren Verbündeten abgab. Hinzukommen dürfte die jüngere Entwicklung im Bereich des internationalen Seerechtes, wo viele Staaten ihre neugewonnenen Souveränitätsbereiche mit den entsprechenden Mitteln auch kontrollieren wollen.
Als Fazit bleibt zu konstatieren, daß Versuche, die Rüstungsentwicklung in der Dritten Welt mit Hilfe eines umfassenden Konzeptes wie das der „Neuen Weltmilitärordnung" zu erklären, nur teilweise zu befriedigenden Ergebnissen führen. Zwar handelt es sich bei den Ländern der Dritten Welt fast ausschließlich um solche Staaten, die nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft und des Kolonialismus politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich deformiert sind und in vielfacher Weise Schwächen aufweisen. Die Rüstungsentwicklung läßt sich aber keinesfalls als ein weiterer Bereich bezeichnen, in dem neue Abhängigkeiten des „Südens" vom „Norden" erwachsen. Vielmehr ergibt sich ein recht buntes Bild, und man gewinnt gelegentlich den Eindruck, als ob viele dieser Länder einen verbesserten militärischen Status u. a. auch deshalb anstreben, weil sie in anderen Sektoren nicht in der erhofften Weise haben mithalten können.
Die Militarisierung der Dritten Welt ist mithin ein Begleitphänomen der internationalen Politik, wie sie sich in der Zeit seit 1945 herausgebildet hat. Sie ist dabei aufs engste mit der Entkolonialisierung, dem Überborden des Ost-West-Konfliktes, den vielfältigen Problemen beim Aufbau nationaler Gemeinschaften in deformierten Gesellschaften und dem Wiederauftritt bzw. Neuauftritt unzähliger lokaler und regionaler Konflikte in Asien, Afrika und Lateinamerika verbunden. Von daher wird es auch keinen radikalen Wandel in dieser Entwicklung geben, vor allem, solange derart viele ungelöste Konflikte in der Dritten Welt bestehen und darüber hinaus militärische Rüstung ein primäres Instrument zur Erhöhung des eigenen Status bleibt.
IV. Perspektiven von Gegenstrategien
Trotz der nüchternen Aussichten für einen grundsätzlichen Wandel ist es aus sicherheitspolitischen wie ökonomischen Gründen geboten, nach Maßnahmen zu fragen, wie die Rüstung der Dritten Welt zumindest so gesteuert werden kann, daß ihre absehbaren negativen Folgen nicht allzu schwerwiegend werden. In der Hauptsache müßten Maßnahmen bei der Kontrolle des Transfers von konventionellen Waffen und des militärischen Know-hows sowie der Verhinderung der nuklearen Proliferation ansetzen.
Die weitgehendsten Bemühungen gibt es bisher auf dem Sektor der Verhinderung einer weiteren Ausbreitung von Kernwaffen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die zivile Nutzung der Kernenergie militärisch zu mißbrauchen, führten bereits 1968 zum Abschluß des Atomwaffensperrvertrages, in dem sich die Nicht-Kernwaffenstaaten verpflichteten, auf den Erwerb von Kernwaffen zu verzichten, während umgekehrt die Kernwaffenstaaten sich bereit erklärten, Hilfe bei der zivilen Nutzung von Kernenergie zu gewähren sowie sich um eine nukleare Abrüstung zu bemühen.
Als Kontrollorgan wurde die internationale Atomenergieorganisation (IAEO) eingesetzt, die bei allen unterzeichnenden Nicht-Kernwaffenstaaten nukleartechnische Einrichtungen sowie den Brennstoffkreislauf überwacht. Kurz zuvor hatten die lateinamerikanischen Länder eine Vereinbarung über die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in ihrem Gebiet abgeschlossen, in der sie übereinkamen, auf den Erwerb von Kernwaffen zu verzichten, eine Überwachungsorganisation einzurichten sowie Sicherheitsgarantien der Atommächte zu verlangen. Beide Vertragswerke sind noch nicht voll wirksam geworden, da wesentliche nukleare Schwellenmächte bislang ihre Unterschrift verweigert haben oder auf entsprechende Verifizierungsvereinbarungen noch nicht eingegangen sind.
Um weitere technisch mögliche Lücken im bestehenden Nonproliferationssystem zu schließen, kamen 1976 die wesentlichsten Lieferländer von nukleartechnischem Gerät und Brennstoffen in London überein, sich in ihren Exportgeschäften an gemeinsamen Kriterien zu orientieren. Zwar ist seit Abschluß des Atomwaffensperrvertrages keine neue Nuklearmacht auf den Plan getreten, es konnte aber z. B. nicht verhindert werden, daß 1974 Indien eine sogenannte „friedliche" Kernexplosion unternahm und eine Reihe weiterer Länder vermutlich über kleinere Bestände geheimer Kernwaffensprengköpfe verfügen. Auch ist die politische Grundlage des Atomwaffensperrvertrages mehr und mehr in Frage gestellt worden, weil von Seiten der Kernwaffenstaaten zum einen zusätzliche Verschärfungen im Bereich der zivilen Nutzung eingeführt worden sind, andererseits aber das Versprechen, für nukleare Abrüstung zu sorgen, bislang nicht hat verwirklicht werden können. Es darf aber schon als Erfolg angesehen werden, daß die Ausbreitung nuklearer Waffen in der Dritten Welt zumindest erheblich verlangsamt worden ist.
Entsprechende Vereinbarungen zur Verhinderung der Proliferation von konventionellen Waffen sind bislang noch nicht verwirklicht worden. Vorschläge in dieser Richtung stießen zumeist auf den allergrößten Widerstand bei den Empfängerstaaten, d. h. vor allem in der Dritten Welt. Aber auch innerhalb der Reihen der größten Rüstungsexporteure scheiterten Bemühungen dieser Art, wie z. B. die sogenannten CAT (Conventional Arms Transfer) -Gespräche. Versuche einiger lateinamerikanischer Staaten, sich auf eine gemeinsame Grundlage für Rüstungsbeschaffungen zu einigen, sind ebenfalls im Sande verlaufen. Auch die Vereinten Nationen, in denen das Thema „Entwicklung durch Abrüstung" eine große Rolle spielt, haben sich bislang als unfä13 hig erwiesen, in dieser Hinsicht irgendeinen Impuls zu setzen. Entsprechende Ansätze im Schlußdokument der Ersten Sondergeneralversammlung über Abrüstung (von 1978) sind mittlerweile in Vergessenheit geraten, weil vor allem die Länder der Dritten Welt eine Bevormundung ihrer eigenen Rüstungsbeschaffungspolitik ausschließen wollen. Ähnlich aussichtslos erscheint die Forderung zu sein, eine internationale Steuer auf Waffen-transfers zu erheben Dem steht schon entgegen, daß nur ein einziges Land dieser Welt — die USA — umfassend Rechenschaft über seine Waffenverkäufe und -Schenkungen abgibt, während in allen anderen Fällen die entsprechenden Daten nur auf Umwegen zu erhalten sind.
Auch die Strategie, durch einseitige Zurückhaltung bei Rüstungsexporten einen Beitrag zur Dämpfung der Rüstung der Dritten Welt zu leisten, hat wenig Aussicht. Dagegen spricht zum einen die Struktur des internationalen Rüstungsmarktes, bei dem ein Anbieterüberhang besteht. Zum anderen haben Versuche der Carter-Administration in dieser Richtung gezeigt, daß sofort andere (auch befreundete) Staaten in die entstandene Lücke einspringen. Abgesehen davon bleibt es natürlich für einzelne Länder (wie die Bundesrepublik Deutschland) unbenommen, aus wohl-überlegter außenpolitischer Zurückhaltung heraus eine äußerst vorsichtige Waffenexportpolitik gegenüber der Dritten Welt zu verfolgen.
Als einzigen Beitrag zur Dämpfung der Rüstung der Dritten Welt ließen sich lediglich Bemühungen um friedliche Konfliktschlichtung, um Vermittlung bei Konflikten sowie um vertrauensbildende Maßnahmen in der Dritten Welt anführen. Ihnen allen müßte gemein sein, daß sie verhindern sollen, daß Kon-flikte eskalieren, politisch nicht mehr lösbar werden und andere Mächte militärisch hineingezogen werden. Positive Beispiele hierfür wären die britische Schlichtung im Rhodesien-Konflikt (1979), die amerikanische Rolle im Nahost-Konflikt oder aber auch die sowjetische Vermittlung im indisch-pakistanischen Krieg von 1965. In diesem Bereich kommt den Vereinten Nationen sowie regionalen Organisationen eine gewisse Rolle zu, da auch sie imstande sind, Vermittlungsdienste zu leisten sowie eventuell Friedenstruppen zu entsenden.
Der Erfolg solcher Maßnahmen friedlicher Konfliktschlichtung hängt u. a.sehr stark vom allgemeinen internationalen Klima, d. h. insbesondere vom Verhältnis der beiden Supermächte zueinander, ab. Je nachdem wie hoch die Einsätze, die Risiken und die Möglichkeiten der Beeinflussung sind, ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten zum Eingreifen und Vermitteln. Im Nahen Osten haben z. B. die beiden Supermächte mehrere Male ein gemeinsames Krisenmanagement unternommen, mit dem eine Eskalation der Kriegs-handlungen unterbunden werden konnte. Im Gegensatz dazu haben sie bislang noch keinerlei Möglichkeit gehabt, die seit dem Kriegsausbruch am Persischen Golf entstandene gefährliche Situation zu meistern. In anderen Fällen war es durchaus sinnvoller, die Sowjetunion von solchen Vermittlungsaktionen fernzuhalten (wie z. B. im Nahen Osten nach 1973), da hier das Interesse Moskaus eher in Richtung auf Beibehaltung des Konfliktes lief.
Trotz dieser nicht gerade sehr ermutigenden Aussichten dürfte letztendlich eine Strategie, die der Rüstung in der Dritten Welt entgegensteuern will, nicht darum herumkommen, Konfliktschlichtung und Krisenmanagement in den Mittelpunkt zu stellen, wobei weitere Maßnahmen der Rüstungskontrolle und der Kontrolle von Waffentransfers mit einzubeziehen wären.
Joachim Krause, Dr. phil., Dipl. -Pol., geb. 1951; wissenschaftlicher Referent im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: Verwaltete Außenpolitik — Sicherheits-und entspannungspolitische Entscheidungsprozesse in Bonn, Köln 1978 (zusammen mit Helga Haftendorn, Wolf-Dieter Karl und Lothar Wilker); Die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Europa Archiv, (1981) 12; Rüstung und Abrüstung als Weltproblem, in: Weltprobleme, hrsg. von Peter J. Optiz, München/Bonn 1982; Sowjetische Militärhilfepolitik gegenüber Entwicklungsländern, Baden-Baden 1984 (i. E.).
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