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Zur Kollektivtheorie und Kollektiverziehung in der DDR | APuZ 16-17/1984 | bpb.de

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APuZ 16-17/1984 Bewegung im Monolith Soziologische Forschung und Gesellschaft in der DDR Zur Kollektivtheorie und Kollektiverziehung in der DDR Artikel 1

Zur Kollektivtheorie und Kollektiverziehung in der DDR

Heinz E. Wolf

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Erziehung im und durch das Kollektiv ist nach den Entwicklungsvorstellungen in der DDR und der UdSSR eine Hauptaufgabe. Jedoch stimmen weder Definitionen des „Kollektivs" noch Abgrenzungs-oder Einordnungsvorstellungen überein. Ursächlich hierfür ist das heterogene, hierarchisch gegliederte marxistisch-leninistische Kollektivdogma, das die einzelnen Theorien-und Modellgruppen konvergierend verbindet. Die übergreifende Kollektiverziehungsstrategie umstellt den einzelnen mit einer Vielzahl von Einzelkollektiven, um dadurch die Persönlichkeits-und Überzeugungsbeeinflussung zu maximalisieren und die unerwünschten Einflüsse auszuschalten. Von diesen Einzelkollektiven ist das Kollektiv Schule wegen seiner vielfältigen Möglichkeiten am bedeutungsvollsten, doch sind die erhofften Erfolge der Kollektiverziehung nur teilweise eingetreten. Spätestens seit Mitte der siebziger Jahre ist u. a.deswegen eine deutliche Aufwertung des Kollektivs . Familie'festzustellen, was sich auch wesentlich aus der Entwicklung der empirischen Forschung der DDR-Psychologie erklärt. Während die Pädagogik meist Soll-Vorstellungen diskutiert, weist die DDR-Psychologie (mit Ausnahme der Pädagogischen Psychologie) den „Ist“ -Zustand aus. Danach haben es Schule wie Familie mit den Schwierigkeiten und Problemen zu tun, die die fortschreitende technische Entwicklung aufzwingt. Diese Schwierigkeiten werden durch die Kollektivstrategie offenbar nicht nur nicht aufgehoben, sondern eher noch addiert. Das sehr starke Ansteigen psychischer Schwierigkeiten, das zu einer schnellen Aufwärtsentwicklung der Psychotherapie in der DDR geführt hat, scheint in seiner durchschlaggebenden Bedeutung von den Kollektivdiskussionen noch nicht verarbeitet worden zu sein. Dies hat auch Auswirkungen auf die Ideologietheorie des Marxismus-Leninismus.

I. Einleitung

Der Kollektivbegriff wird in der DDR nicht nur in der politischen und ideologischen, sondern sehr häufig auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur verwendet. Wenngleich diese häufige Verwendung einerseits der ideologietheoretischen Bedeutung des Begriffs entspricht, steht dem andererseits keine durchgehende Übereinstimmung in dessen Definition gegenüber. Dies gilt nicht nur für die DDR, , sondern gleichermaßen für die UdSSR, die in gewisser Weise „federführend" erscheint. Beispielsweise schreibt der sowjetische Autor W. P. Ratnikow, es gäbe bis auf den heutigen Tag selbst unter den sowjetischen Autoren, die sich speziell mit den Problemen der Kollektivs beschäftigen, noch keine volle Einmütigkeit in der Definition des Begriffs, des Wesens, der historischen Grenzen der Existenz und des Strukturniveaus, auf denen das Kollektiv fungiert” -Und in seiner Untersuchung der Kollektiverziehung der sowjetischen Schule kommt Uwe Bach zu dem Schluß, daß die Erziehung im Kollektiv und durch das Kollektiv zwar ein charakteristisches Merkmal der sowjetischen Politik sei, trotzdem aber herrsche „bei den Gesellschaftswissenschaftlern — einschließlich der Pädagogen — keine Übereinstimmung darüber, was ein Kollektiv überhaupt ist, durch welche Merkmale es sich von anderen menschlichen Gemeinschaften unterscheidet" Dies trifft auch für die DDR-Literatur zu. So geben z. B. die Wörterbücher für Pädagogik, Soziologie und Psychologie teilweise umfangreiche Darstellungen, enthüllen aber damit zugleich, wie komplex und faktisch mehrschichtig das Kollektivproblem ist. Neuere Versuche, z. B.der Sozialpsychologie der DDR, haben sich zur Zeit noch nicht durchgesetzt Interessanterweise fehlt eine verbindliche Erklärung gerade dort, wo man sie am ehesten erwarten sollte: in den Wörterbüchern der marxistisch-leninistischen Philosophie

Bundesrepublikanische Veröffentlichungen gehen auf die Komplexität des Kollektivbegriffs im Marxismus-Leninismus entweder nur sehr ungenügend ein, oder klammern die Thematik, abgesehen von einigen wenigen Detailstudien, aus Dies scheint aus der Eigentümlichkeit der DDR-Literatur zu resultieren, die auch in der DDR-Forschung der Bundesrepublik nur teilweise berücksichtigt wird. Da hier wesentliche Mißverständnisse entstehen können, die nicht nur die Analyse des Kollektivproblems beeinträchtigen, muß darauf kurz eingegangen werden.

1. In der DDR-Literatur treffen wir oft auf floskelartige Formulierungen, die das Gemeinte stark verkürzen und damit oft verzerren. Es war dies die bevorzugte Darstellungsart in der pawlowistisch-stalinistischen Periode. Aber auch heute noch läßt sich eine solche relativ grobschlächtige Darstellung antreffen, vornehmlich in jenen an die Partei (SED) angelehnten Schriften aber auch vor allem in der entsprechenden pädagogischen Literatur, die sich hauptsächlich durch die Bekundungen von Sollvorstellungen ausdrückt , Ähnlich verhält es sich oft mit der Pädagogischen Psychologie, die dem Niveau der stalinistischen Periode noch immer am nächsten steht und sie neuerlich wieder anzustreben scheint Wo Derartiges an anderer Stelle, etwa in Vorworten u. ä., anzutreffen ist, folgt dem indes meist eine differenziertere Darstellung, die die Vergröberung wieder aufhebt.

Aber für flüchtige Leser oder gar solche, die sich lediglich an Vorworten oder Zusammenfassungen orientieren, geht der letztgenannte Sachverhalt meist verloren. Auf dieser Informationsbasis wird dann Qualität und Niveau der DDR-Diskussion, besonders im Bereich der Sozialforschung, entscheidend unterschätzt.

Es läßt sich aber auch der umgekehrte Fehler antreffen. Viele Fachaufsätze, z. B.der Klinischen Psychologie, die eine der wichtigsten Informationsquellen über die derzeitige Lage in der DDR darstellen lassen entweder jeden „parteieigenen''Einstieg vermissen oder begnügen sich mit eher rudimentären Hinweisen. Daraus ist dann gelegentlich auf eine Ablehnung, eine Kritik am Staat oder der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus geschlossen worden, die keineswegs vorliegt. 2. Die größte Schwierigkeit für den Interessierten aus der Bundesrepublik liegt offensichtlich in der philosophisch-ideologietheoretischen Eigenart des Marxismus-Leninismus. Seine Axiomatik stellt sich dar als eine umfassende (totale) Ganzheit, die eine Fülle unterschiedlicher (Gliederungs-) Aspekte (Strukturelemente) umspannt. Diese Vielzahl und Vielschichtigkeit läßt sich in Einzelarbeiten niemals aufzeigen, sondern immer nur andeuten. Je umfassender, grundsätzlicher aber das Problem ist, desto maximaler werden die Anforderungen. Gerade für das Kollektiv-problem scheint zu gelten, daß wir es hier mit den maximalsten Anforderungen zu tun haben

Der Bewertungsgesichtspunkt der strukturierten Ganzheit des jeweiligen Problems gründet in der positiv-futurologischen Sichtweise des Marxismus-Leninismus, der alle faktischen Schwierigkeiten entweder übergeht oder sie bagatellisiert. Für den jeweiligen Fachmann in der DDR stellt es keine besondere Schwierigkeit dar, Soll-und Ist-Situation zu verbinden, zumal der durchgehend kategoriale Gehalt der Axiomatik des Marxismus-Leninismus eine Grundsatzkritik nicht so ohne weiteres zuläßt Anders ist es jedoch für bundesrepublikanische Autoren, die der pädagogischen Sichtung folgen und entsprechend das Heterogene der jeweiligen Problematik und Diskussion in der DDR kaum konsequent ausweisen. Das gilt u. a. für die Darstellung der Persönlichkeitsdiskussion in der DDR

3. Eine dritte Schwierigkeit liegt in der vereinheitlichten Begriffsgleichheit der Diskussionsthemen in der DDR und der Bundesrepublik. Begriffe wie Interessen, Familie, Gruppen, Konflikt, Autorität, Fleiß, Persönlichkeit usf. werden hier wie dort verwendet, doch ist das Gemeinte meist nicht unmittelbar vergleichbar, sondern verlangt eine mehrfache Umsetzung. Für den Kollektivbegriff gilt in diesem Zusammenhang, daß er in der westlichen Literatur in der Regel völlig anders als im Sozialismus verwendet wird.

4. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der relativ schnellen Entwicklung der Sozialwissenschaften in der DDR, wodurch sich für den Beobachter zwei Hauptprobleme ergeben.

a) Im Zeitraum von drei bis fünf Jahren ändern sich in den Zweigen der Sozialforschung der DDR in der Regel die Problemlagen. Dies hängt nicht allein — nicht einmal primär — vom Ertrag empirischer Forschung ab, sondern von der fortschreitenden Problemdifferenzierung. Daraus folgt, daß sich der Interessent aus dem Westen, wenn möglich, an den neuesten Veröffentlichungen orientieren muß, will er nicht Problemdiskussionen aufgreifen, die längst überholt sind

b) Während man vergleichsweise im Westen die vorhergehenden Diskussionen oftmals übergehen kann, weil sie überholt sind, werden viele neuere Diskussionen in der DDR überhaupt erst verständlich, wenn man sie auf die vorhergehenden Mängel, Fehler u. ä. bezieht, die aber nur selten, und nur selten korrekt, eingestanden und aufgezeigt werden. Übersieht man diese Bezüge, erfaßt man Ziel und Inhalt der neueren Diskussion nur teilweise. Darüber hinaus gibt es tabuierte Themen, Verdeckungen, regelrechte Verfälschungen wissenschaftshistorischer Phänomene, die entweder undiskutiert bleiben oder in der traditionell verfälschten Form beibehalten werden.

Besonders die letztgenannte Fehlerquelle spielt in der Diskussion über Kollektivvorstellung eine große Rolle.

II. Die Kollektivkonzeption von Makarenko

Obschon A. S. Makarenko seine Erfahrungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges gesammelt hatte, blieb seine Arbeit zunächst ohne Resonanz. Seine „Pädagogisches Poem" erschien erst 1931 Der Grund dafür lag in dem Gegensatz der Erziehungskonzeption Makarenkos zur offiziellen Pädagogikauffassung, wie sie vor allem von der Frau Lenins, Nadezka K. Krupskaja (1869— 1937), dem Volkskommissar Vasiljevic A. Lunarscharski (1875— 1933) sowie von dem Theoretiker Pavel P. Blonskij (1884— 1941) u. a. vertreten wurde , Später wurden besonders durch Leonhard Froese neben der politischen auch die russisch-geistesgeschichtliche Situation berücksichtigt und Leo Tolstoi und Makarenko als Antipoden dargestellt.

Der Gegensatz zwischen Makarenko und den damals führenden Parteipädagogen der zwanziger Jahre lag in den unterschiedlichen Aufgabenstellungen begründet. Die vormalige Lehrerin Krupskaja wollte die Schüler von dem stumpfsinnigen Zwangscharakter der bisherigen Schule befreien, die auf die Interessen der Schüler keine Rücksicht nahm, ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler nicht kannte und die Schüler zudem vom tatsächlichen Leben weitgehend isolierte Ihre Konzeption der „freien Erziehung" hat sich für die sowjetische Schule teilweise schädlich ausgewirkt. Spätere, noch relativ freundliche Kritiken sprechen davon, sie habe die „Bedeutung der Freiheit und Selbständig-keit der Kinder für die Organisation des inneren Schullebens stark übertrieben" Makarenko hatte es demgegenüber nicht mit normalen Schülern und herkömmlichen Schulproblemen, sondern mit stark verwahrlosten Kindern zu tun. Hier kam es in erster Linie darauf an, die Voraussetzungen für eine gezieltere pädagogische Weiterbildung zu schaffen. Dazu gehörte in erster Linie Disziplin als Zwang. Der Erfolg der von Makarenko angewendeten Methode, der sich keineswegs in jedem Fall einstellte, hat ihn international bekannt gemacht. („Freie Erziehung" mit ihrer faktischen Disziplinlosigkeit auf der einen Seite Disziplin, Ordnung und Ein-(Unter-) ordnung auf der anderen Seite standen sich somit als Erziehungskonzepte gegenüber. Zwar wurde Makarenkos Konzeption in der Stalinzeit aufgegriffen, ging aber nicht ursächlich auf Stalin selbst zurück

In einer vereinfachten Form lassen sich drei Strukturelemente der Kollektivvorstellungen Makarenkos unterscheiden: 1. Anstelle eines alleinigen Führers (des Erziehers, Leiters) setzte er die Gruppe mit ihren personalen Gruppenstrukturen ein. Die einzelnen Gruppenmitglieder wurden nach und nach in den Aufgabenbereich der Gesamtgruppe eingepaßt und beeinflußten sich damit gegenseitig. Unabhängig davon war eine solche Vorstellung der internen funktionalen Beeinflussungsmöglichkeit etwa gleichzeitig auch in der westlichen Kleingruppenforschung entwickelt worden. 2. Während man dort aber die gesetzten Themen und Inhalte als Spielereien formalistisch handhabte, wurden sie in Makarenkos Gruppen existentiell notwendig. Die Notwendigkeit der Praxis, nicht aber akademische Hypothesen waren Grundlage dieser Erziehungskonzeption in Gruppen, die Makarenko auch nicht Gruppe, sondern Kollektiv nannte. 3. Diese Bezeichnung, das „sozialistische Kollektiv", sollte gerade das Neuartige, Weiterführende, Fortschrittliche ausdrücken, auch in der Erziehung. Schon vorher war der Kollektivbegriff gelegentlich benutzt worden, aber bis dahin in einer ideolgisch unbrauchbaren Form. Zwar läßt sich, so V. V. Kumarin, bei Makarenko keine einheitliche Kollektiv-definition finden, „in den verschiedenen Formulierungen hebt er bald ein, bald zwei oder gleich mehrere charakteristische Merkmale des Kollektivs hervor" doch orientieren sich, so Kumarin, die heutigen Definitionen des Kollektivbegriffs weitgehend an Makarenkos Definition: „Ein Kollektiv ist eine freie Gruppe von Werktätigen, die ein einheitliches Ziel, einheitliches Handeln verbindet; es ist eine organisierte Gruppe mit leitenden Organen, mit Disziplin und Verantwortung. Das Kollektiv ist ein sozialer Organismus in einer gesunden menschlichen Gesellschaft. Ein solcher Organismus ist in dem Mischmasch der bürgerlichen Welt unvorstellbar."

Der letztgenannte Sachverhalt erklärt, warum nicht nur Makarenko die Bildung von Kollektiven ausschließlich dem Sozialismus zugeordnet hat. Die Definition läßt aber noch mehr erkennen: Kollektiv ist mehr als eine jeweils auf ein Ziel gerichtete sozialistische Gruppierung, es ist auch der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, die auf die Menschheitsgeschichte zurückgeht. Und mit dieser, mehr implizit als explizit gesetzten Konzeption verbindet sich bei Makarenko die übliche Gruppen-Kollektivdiskussion — wie sie hier vereinfachend bezeichnet werden soll — mit den Entwicklungsvorstellungen von Marx und Engels, die beide vom Kollektiv, der soge-nannten Urgemeinschaft (oder Urgesellschaft), ausgehen. Ohne Kenntnis dieses Zusammenhangs bleibt jede Diskussion über das sozialistische Kollektiv sinnlos!

Die pädagogische sowie die ihr nahestehende Literatur der DDR erweckt den Anschein, als habe sich die sowjetische Erziehung von Beginn an nach den Richtlinien Makarenkos orientiert. Das Fehlen detaillierter Information, daß und warum es nicht so war, kann beim Leser zu Mißverständnissen führen. 1. Wie schon ausgeführt, wertete Makarenko das Kollektiv als etwas Neues, dem Sozialismus Wesenseigentümliches, nur in ihm konstituierbar, wobei Makarenkos Erfolg wesentlich aus dem Spezifikum der Gruppenstruktur seines Kollektivs resultierte.

Die unkritische Übernahme der Bewertung des Kollektivs hat dann zu einer lange Zeit affektiv verteidigten Alternative geführt, in der das „sozialistische Kollektiv" der „bürgerlichen Gruppe" und entsprechend der „bürgerlichen" Gruppenforschung gegenübergestellt wurde. Diese Alternative ist selbst in der UdSSR keineswegs durchgehend akzeptiert worden, hat aber in der DDR zunächst vorgeherrscht. Sie verschwand zu Beginn der sechziger Jahre, als sich in der DDR die Psychologie und Sozialpsychologie zu einer eigenständigen, offiziell anerkannten und geforderten Größe entwickelten. Nunmehr gab es auch offiziell eine „sozialistische" Gruppenforschung, die keineswegs antikollektivistisch war, sondern die Bedingungen untersuchte, unter denen sich sozialistische Kollektive bilden und entwickeln bzw. festigen ließen

Zweierlei ist hier anzumerken. Erstens sind die gelegentlichen Auseinandersetzungen über Begriff und Problem von Gruppen und besonders von Kleingruppen von bundesrepublikanischen Autoren dramatisiert und fehlinterpretiert worden Zweitens war es weniger die DDR-Pädagogik als vielmehr die Soziologie der DDR, die bis in die neuere Zeit den von Psychologen der DDR benutzten Gruppenbegriff westlich-ideologischer Rudimente verdächtigte 2. Der zweite Fehler lag in der relativen Gleichsetzung eines konkret existierenden Kollektivs mit dem allgemeinen Erziehungsziel sozialistischer Kollektive einerseits und der umfassenderen Kollektivtheorie des Marxismus-Leninismus andererseits. Diese zwar konvergierenden, aber doch unterscheidbaren Problemstrukturen lassen drei Typen der Kollektivdiskussion in der DDR wie in der UdSSR erkennen. — In einer besonders von Pädagogen vertretenen Diskussionsrichtung wird die Existenz des Kollektivs als gegeben hingestellt. Begründet wird dies mit der Existenz des Sozialismus. Diese Kollektivvorstellungen gehen zuweilen so weit, daß sie den Autoren des Westens jegliches Verständnis über Kollektiv und Kollektivismus im Sozialismus absprechen

— Die zweite Diskussionsrichtung nimmt Kollektiv als das Anzustrebende, weiß also, daß der Sozialismus zwar die Bedingungen für die Existenz auch sozialistischer Kollektive geschaffen hat, Kollektive aber damit noch nicht automatisch existieren müssen. Es gibt Varianten, die selbst in der Existenz eines Kollektivs keineswegs eine abgeschlossene Entwicklung sehen, sondern auf die stetige Festigung, Verbesserung des Kollektivs im Zuge der weiterführenden Entwicklung hinweisen.

— Die dritte Diskussionsrichtung, anzutreffen in der Partei, der parteinahen sowie der pädagogischen Literatur, verwendet den Kollektivbegriff rein formal institutional und bezeichnet bestehende Gruppierungen, die der Kollektiverziehung unterzuordnen sind, schlechthin als Kollektiv. Sie dürften die Mehrzahl der Veröffentlichungen über das Kollektiv ausmachen und sind auch deswegen wichtig, weil hier die Diskussionen über die Methodik der Kollektiverziehung am ausführlichsten vorgetragen werden. Das gilt besonders für jene Kollektive, die mit der Schule Zusammenhängen. Hier werden dann auch die von Makarenko herausgearbeiteten Kriterien verwendet.

III. Zurückweisung westlicher Kollektivvorstellungen

Ihre interne Sicherheit haben die Vertreter der Konzeption des „sozialistischen Kollektivs" auch aus der Zurückweisung westlicher Kollektivvorstellungen gewonnen. Dies vollzog sich in drei Phasen:

1. Anfangs hatten es die Vertreter des Marxismus-Leninismus leicht. Sie konnten sich gegen eine spekulative Gruppenforschung wenden und immer wieder auf deren ideologische Vorurteile hinweisen. Sofern überhaupt vom Kollektiv gesprochen wurde, geschah dies wenig präzise und blieb theoretisch und terminologisch unklar In einigen Fällen waren solche Hinweise auch gegen den Sozialismus gerichtet und konnten als „antikommunistisch" abgetan werden Dies ergab einen doppelten taktischen Vorteil: a) Die Kollektivdiskussion im Westen ließ sich als unwissenschaftlich abweisen.

b) Sie ließ sich darüber hinaus als stark ideologisch bedingt abtun. Eine wissenschaftliche Diskussion über Kollektive konnte es folglich nur im Sozialismus geben, zudem es nur hier Kollektive geben konnte.

2. Dies änderte sich teilweise mit dem Aufkommen der empirischen Sozialforschung. Im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo wesentlich Soziologen die Initiatoren waren, waren es in der DDR die Psychologen. Die DDR-Psychologie aber hatte Ende der fünfziger Jahre für die Staatsführung eine immer stärkere Bedeutung erhalten, da wirtschaftliche und soziale Probleme dringend der Mithilfe des Psychologen bedurften. Unmittelbar damit zusammenhängend gewann die Psychologie an Bedeutung auch für die Ideologietheorie des Marxismus-Leninismus und entscheidend auch für die Kollektividiskussion.

Dies hatte drei Folgen:

a) Mit der empirischen Sozialforschung gewann das Problem der Methoden auch in der DDR-Psychologie immer stärkere Beachtung.

Diese Methoden waren zwar der westlichen Sozialwissenschaft entlehnt, konnten aber wegen ihres formalen Charakters ohne größere Schwierigkeiten akzeptiert werden und wiesen damit die entsprechende DDR-Forschung als Wissenschaft aus. b) Damit aber gewann die Gruppenforschung ihren Vorrang vor der bisherigen Kollektiv-diskussion. Es war nicht schwer, sich mit der Übernahme der Methoden der bisherigen (westlichen) Ideologien zu entledigen oder sie, auch dies ein wissenschaftlich legitimes und notwendiges Anliegen, kritisch zu überprüfen und zu verbessern c) Damit aber wurde die Diskussion über den Zusammenhang von Gruppen und Kollektiven neu formuliert. Das Kollektiv blieb, wie es die Ideologietheorie von ihm verlangte, das Wichtigere von beiden, also mehr als die Gruppe. Deutlich drückt dies der sowjetische Psychologe A. W. Petrowski aus: „... wenn etwas für eine beliebige Gruppe charakteristisch ist, heißt das noch nicht, daß dies auch für ein Kollektiv zutrifft. Genau an dieser Stelle verläuft die methodologische, sagen wir es genauer, die ideologische Wasserscheide zwischen der sowjetischen und der bürgerlichen psychologischen Wissenschaft."

Mit anderen Worten: In der DDR (wie in der UdSSR) war die Gruppenforschung der Kollektivforschung vorgeordnet und damit ihr gegenüber relativ indifferent. Zugleich war sie aber die Voraussetzung auch für die Kollektivforschung. Da nun in der westlichen Sozialforschung vom Kollektiv als Forschungsgegenstand überhaupt nicht die Rede war, blieben die sozialistische Kollektivforschung und ihr Kollektivbegriff in der wissenschaftlichen Diskussion konkurrenzlos. 3. Gerade dieser Tatbestand änderte sich mit dem Aufkommen linksextremistischer Richtungen der „Neuen Linken" und der „Antiautoritären Erziehung" etc. im Westen, besonders in der Bundesrepublik. Obschon diese Gruppierungen, von ihrer Lautstärke und der erstaunlichen Unterstützung durch bundesrepublikanische Massenmedien einmal abgese-hen bestenfalls im Vorfeld wissenschaftlicher Diskussionen ernst genommen werden konnten war ihre ideologische Bedeutung für die DDR-Theoretiker beachtlich. Wichtig war. dabei nicht in erster Linie der verwaschene Kollektivbegriff sondern der Anspruch, den „richtigen" Marxismus gegenüber dem in der DDR praktizierten zu vertreten. Vor allem zwei Themenbereiche konnte man in der Ideologietheorie und Sozialwissenschaft der DDR nicht ignorieren: 1.der Versuch, die Psychoanalyse und Neopsychoanalyse incl.der verschiedenartigen Sekten mit dem Marxismus-Leninismus zu verbinden; 2. die kritische Diskussion des Begriffs der Autorität.

Mit beiden Problemen sind die DDR-Autoren relativ leicht fertig geworden, was nicht nur an dem vergleichsweise wesentlich höheren Niveau des Marxismus-Leninismus gegenüber den bundesrepublikanischen Marxismen lag, sondern auch daran, daß man auf die Sozialwissenschaft, insbesondere auf die DDR-Psychologie,zurückgreifen konnte. Auf das Autoritätsproblem wird im folgenden noch kurz einzugehen sein. Was die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der verschiedenartigen Sekten der orthodoxen oder neueren Psychoanalyse anbelangte, so wurde hier die Diskussion von Anfang an gründlich geführt Auch hier spielten ideologietheoretische Gegenpositionen nur teilweise eine Rolle; auch hier war die DDR-Psychologie federführend. Es waren die Vagheit der Terminologie, die Unprüfbarkeit der Behauptungen bzw., wo sie sich prüfen ließen deren Widerlegungen, die zu einer Ablehnung psychoanalytischer Konzepte führten. Mit der Entwicklung der Klinischen Psychologie und Psychotherapie der DDR wurden dann auch einzelne prüfbare Thesen der Psychoanalyse durch die weitere Forschung verworfen Die heutige Stellungnahme gegenüber Freud und der Psychoanalyse deckt sich weitgehend mit der der unvoreingenommenen Wissenschaft des Westens

IV. Pluralität und Komplexität der Kollektivtheorie

Die Kollektivtheorie des Marxismus-Leninismus weist sich als eine plurale, komplexe, aber stark gegliederte Gesamtheit axiomatischer Einzeltheorien aus. Dabei müssen zwei aufeinanderfolgende Theoriengruppen unterschieden werden: 1. die auf der Axiomatik des Historischen Materialismus entwickelte philosophisch-anthropologische Kollektivtheorie, hier genannt primäre Kollektivtheorie, und 2. die daraus abgeleitete sozialwissenschaftliche Kollektivtheorie, hier genannt sekundäre Kollektivtheorie. 1. Die primäre Kollektivtheorie umspannt die Gesamtaxiomatik der Leitsätze des Marxismus-Leninismus. Sie kann unter den verschiedensten wissenschaftssystematischen Aspekten untersucht werden.

Ihre Einzeltheorien auf einer Ebene sind: Bewußtseinstheorie (BT), Tätigkeitstheorie (IT), Bedürfnistheorie (BdT), Kollektivtheorie (KT), Persönlichkeitstheorie (PT), Moraltheorie (MT) und Determinismustheorie (DT). Jede einzelne dieser Theorien, aber auch das Insgesamt kann unter den Aspekten der für den Marxismus-Leninismus bedeutsamsten Disziplinen analysiert werden: Philosophie (Ph), Soziologie (So), Sozialpsychologie (SPs) und Pädagogik (P). Mit dem Ansatz einer einzigen dieser Disziplinen ist eine ausreichende Kenntnis des Theorien-und Modellgehaltes weder der einzelnen Teildisziplinen noch der Gesamtheit der Theorien möglich.

Der Ansatz einer Analyse, ausgehend von den Einzeltheorien, ähnelt nur sehr äußerlich einem Aspektenverfahren Vielmehr handelt es sich um verschiedenartige Zugänge zu einem Insgesamt von Vorstellungen, die untereinander unmittelbar zusammengehören. In einer notwendigen, gleichwohl didaktisch vertretbaren Verkürzung und Vereinfachung läßt sich die primäre Kollektivtheorie auf dieser Ebene wie folgt darstellen: Am Anfang steht die metaphysische Behauptung der sich selbst bewegenden Materie 45). Dies soll hier vereinfacht als das Aktivitätsprinzip gekennzeichnet werden, das sich in der Tätigkeitstheorie ausdrückt. Diese Aktivität ist die Grundlage aller Bewegungen, Entwicklungen, Veränderungen und damit auch des Fortschritts Mit der vollendeten Entwicklung des Affen zum Menschen entwickelt sich das dem Menschen spezifische Bewußtsein. Aber auch die Tätigkeit selbst führt zu einer ständigen Veränderung nicht nur der materiellen und sozialen Umwelt, sondern auch des tätigen Individuums und damit zu sich ändernden Bedürfnissen, zunächst materieller, sodann psychischer Art. Die Situation des Materiellen zwingt zur Gemeinsamkeit — wie schon bei den Affen —, und so steht am Anfang die Urgemeinschaft, das erste, ursprüng- liehe Kollektiv 47). Hier herrscht zunächst eine Verhaltensweise vom Typ: Einer für alle, alle für einen! Eine Arbeitsteilung mit der „Arbeit als Herzstück der Tätigkeit" gibt es erst in Ansätzen. Die Gleichartigkeit des kollektiven natur-und sozial bedingten Seins bestimmt das sich entsprechend entwickelnde Bewußtsein und die Bedürfnisse. Mit der Entwicklung der Arbeitsteilung, also unterschiedlicher Tätigkeiten, kommt es zur Entwicklung individueller Eigenschaften und übergreifender Moralanschauungen. Aus dem Miteinander des ursprünglichen Kollektivs wird das Gegeneinander der späteren Sklavenhaltergesellschaft, des Feudalismus und Kapitalismus. Nur insofern ist die Geschichte der Menschheit die Geschichte der Klassenkämpfe. Die immer differenziertere Arbeitstätigkeit schafft immer differenziertere individuelle wie auch überindividuelle (soziale) Bedürfnisse, Charaktereigenschaften und Moralauffassungen, gebunden an die jeweils konkrete Gegebenheit der materiellen Arbeitssituation, letztlich des Eigentums an den Produktionsmitteln. Der Gegensatz der Klassen spitzt sich im Stadium des Kapitalismus immer mehr zu und erzwingt, zwar notwendig, aber nicht automatisch, den Sozialismus. Nunmehr enden allmählich das konkurrierende, individualistische Gegeneinander, der Egoismus, die Übervorteilung usf. und es formt sich eine neue Gemeinschaft der Menschen: das sozialistische Kollektiv. Es bilden und entwikkeln sich neue Menschen: die allseitig gebildeten, kurz: sozialistischen Persönlichkeiten; auch dies nicht automatisch, aber notwendig. 2. Die sekundäre Kollektivtheorie knüpft unmittelbar an die Aufgabe an, die dem Kollektiv im Sozialismus vorgegeben ist und daher hauptsächlich in einer Erziehungstheorie besteht. Sie soll nicht nur das sozialistische Kollektiv, sondern auch im unmittelbaren Zusammenhang damit die gewünschten und für den Fortschritt des Sozialismus notwendigen neuen Menschen, die sozialistische Persönlichkeit, entwickeln helfen.

Wiederum auf eine relativ einfache Formel gebracht, ergeben sich drei ineinander ver-schränkte Aspekte: Durch das Kollektiv (K) als organisierte (Gruppen-) Größe, die Persönlichkeit (P) als das Individuum, das zum neuen Menschen erzogen werden soll, und die Einstellung (E), die nötig ist, soll die gewünschte sozialistische Persönlichkeit erreicht und in der Kommunikation und Integration mit anderen Persönlichkeiten im Kollektiv das Kollektiv selbst wiederum zu einem echten sozialistischen Kollektiv vorangebracht werden.

Bei der Diskussion dieser im Grunde futurologischen Konzeptionen der Kollektiv-, Persönlichkeits-, Einstellungs-(= überzeugungs-) Erziehung kommt es nicht selten zu einer vom ideologischen Wunschdenken getragenen Verzerrung der konkreten Gegebenheiten des „Ist" durch die „Soll-" Vorstellungen. So wurden beispielsweise auf einer spezifischen Entwicklungsstufe der DDR die Anforderungen der „kommunistischen Moral" propagiert In UdSSR sind ).der es ohnehin die Moralphilosophen, die diese Seite des Persönlichkeitsproblems diskutieren Sodann proklamierte die SED später die Entwicklung allseitig gebildeter Persönlichkeiten Daraus wurde im sozialwissenschaftlichen Schrifttum die „sozialistische Persönlichkeit", ein Begriff, den zuerst wohl Hiebsch verwendet hat Im Jahre 1974 wurde dieser Begriff der „sozialistischen Persönlichkeit" nicht nur im Jugendgesetz der DDR offiziell als Erziehungsziel aufgenommen, sondern auch in einer Reihe von Merkmalen konkreti-siert Damit aber hat sich Margot Honekker, Kultusminister der DDR, offenbar von der Pädagogischen Psychologie, ohnehin mit Abstand schwächste Disziplin der DDR-Psychologie aufs Glatteis führen lassen. Bis heute ist diese Konkretisierung nicht in einem einzigen Fall von der empirischen Forschung der Psychologie, Sozialpsychologie oder Jugend-forschung aufgegriffen worden. Zwar wurde für lange Zeit der Begriff der „sozialistischen Persönlichkeit" zum Schlagwort, doch offenbar nur in seiner Zielvorstellung als „Soll". Nur einige wenige Psychologen wiesen auf die Konkretisierung des Jugendgesetzes positiv hin andere hielten eine solche vorgreifende Kennzeichnung für nicht möglich Sodann häuften sich die Hinweise, daß man es in der Bevölkerung eben noch nicht mit solchen gewünschten Persönlichkeiten zu tun habe Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre scheint dann auch die Verwendung des Begriffs „sozialistische Persönlichkeit" zumindest in der Fachliteratur zu enden. An seine Stelle tritt wieder die Diskussion über die „Persönlichkeit"

V. Kollektiverziehung am Beispiel der Schule

Jede konkrete Kollektiverziehung ist Glied einer übergreifenden, pluralen Kollektivstrategie. In ihr verknüpfen sich Gruppenforschung und Kollektivkonzeptionen nahezu nahtlos: Alle Gruppierungen, in denen der einzelne angetroffen werden kann, gelten daher immer auch als Kollektive, und zwar unabhängig davon, in welchem Stadium der Entwicklung und Qualität sich das jeweilige Kollektiv befindet. Kollektive sind also: Familie, Kindergarten, Heime, Schulen, Arbeitsgruppen, Sportgruppen, Freizeitgruppen usf.

Auf der Basis einer solchen Kollektivstrategie der Erziehung lassen sich mindestens drei analysierbare Ebenen aufzeigen:

a) Aufgaben der Kollektiverziehung. Kollektive haben allgemein drei Aufgaben: 1. Eine ideologische: Persönlichkeits-und Überzeugungserziehung im Sinne der Übereinstimmung mit den Prinzipien des Marxismus-Leninismus. Vereinfacht kann man sie als Überzeugungserziehung bezeichnen. 2. Fachliche und/oder sachliche Erziehung, die Leistungen gewährleistet, die für die Existenz des Staates vorrangig von Bedeutung sind. Man spricht hier von Leistungserziehung. 3. Die Integration von überzeugungs-und Leistungserziehung. Sie erst gewährleistet die wechselseitige Stützung des Ideologischen mit dem Fachlichen.

b) Kollektive lassen sich unterscheiden nach den jeweiligen Anteilen von Überzeugungsund Leistungserziehung. Leistungserziehung ist vorrangig z. B. im Arbeitskollektiv, während dort die ideologische Erziehung zwangsläufig nur die zweite Rolle spielen kann. Sie ist in der Familie am wenigsten gefordert, ohhe daß damit dort notwendig die gewünschte ideologische Überzeugungserziehung gewährleistet ist. In der Schule hingegen sind beide Aufgaben unmittelbar miteinander verknüpft. Damit hat das Kollektiv Schule in doppelter Hinsicht eine große Bedeutung. c) Kollektive lassen sich auch nach Intensität und Extensität ihrer Einwirkungsweisen unterscheiden. Wie lange und mit welchen Mitteln kann der einzelne — als Kind, Schüler, Jugendlicher, Heranwachsender — dem Einfluß eines relativ gleichbleibenden Kollektivs ausgesetzt werden? Hier stehen zwei Kollektive an der Spitze: Familie und Schule. Im Gegensatz aber zu der recht problematischen und zwielichtigen Situation der Kollektiver-ziehung in der Familie erweist sich die Schule als das in jeder Hinsicht bedeutungsvollste Kollektiv. Hier sind die Einwirkungsmöglichkeiten nicht nur zeitlich am längsten, nicht nur technisch am günstigsten (Lehrpläne etc., Lehrpersonal), sondern dadurch, daß die Schule in ihrem Einwirkungsverhältnis einen sehr wichtigen entwicklungspsychologischen Zeitraum umspannt, ist der einzelne durch schulische Erziehungsmaßnahmen noch am ehesten zu beeinflussen. Diese Kollektiverziehung der Schule hat also gewissermaßen „Prägungs" -Aufgabe.

Die vielschichtige Bedeutung der Schule als Mittel der übergreifenden, totalen Kollektiverziehungsstrategie der DDR läßt keine unmittelbaren Vergleiche mit Schule und Schulsituation in der Bundesrepublik zu. Da die Aufgabenstellungen vor allem ideologisch bedingt sind, verlieren Einzelvergleiche, so gut sie gemeint sein mögen, ihren Sinn. Dies schließt aber nicht aus, daß sich gerade DDR-Pädagogen solcher Vergleiche (bei denen dann die Schule in der Bundesrepublik prinzipiell schlechter abschneidet) annehmen, die — wegen der schiefen und einseitigen Vergleichsdarstellung — taktisch und propagandistisch auf den eigenen Leserkreis bezogen — der Abgrenzungsstrategie zustatten kommen. Um die besondere Situation der DDR-Schule herauszuarbeiten, muß man sich von solchen, aber auch eher vordergründigen Beurteilungen in unserem Schrifttum lösen. Keineswegs weichen die DDR-Pädagogen spezifischen Problemen, die wir als wichtig werten, aus, sondern manche dieser Probleme spielen in der Regel für die DDR-Schule keine wesentliche Rolle, wie auch für unsere Schule viele Fragen, mit denen sich die DDR-Pädagogen befassen, keine Rolle spielen.

Die Schule in der DDR ist eine relativ straff organisierte, auf die Belange des Staates gerichtete Institution, die quantitativ und qualitativ an der Spitze der Einzelkollektive steht, darüber hinaus in Teilkollektiven (Klassen-kollektiv, Lehrerkollektiv, Schülerkollektiv) aufgegliedert ist. Dies macht die DDR-Pädagogik nicht nur zu dem bedeutsamsten Erziehungsfaktor neben der Familie, sondern immer zugleich auch zu einem ideologischen wie fachlichen Politikum: Erfolge der Schule sind in der DDR in erster Linie Erfolge der Partei und des Staates; Mißerfolge hingegen gehen zumeist ausschließlich zu Laster» der Schule. Dies erklärt teilweise das Vorherr-B sehen von Sollvorstellungen im Schrifttum der DDR-Pädagogik. Nur gelegentlich, eher am Rande, werden auch Unzulänglichkeiten diskutiert, doch sind solche Negativa offenkundig nicht Gegenstand einer Pädagogik, der es auch offiziell um Darstellung von Ziel-und damit Sollvorstellungen geht. Negatives findet sich recht deutlich in der schulferneren Literatur der DDR-Psychologie, z. B.der Psychodiagnostik, der Klinischen und der Forensischen Psychologie, kaum jedoch in der Pädagogischen Psychologie. Insofern ist es falsch, der DDR-Literatur generell Verschweigen und Bagatellisierung von Schwierigkeiten an-zulasten; hier ist lediglich die Arbeitsteilung deutlicher ausgeprägt.

Mehr noch: Die Erziehung im und durch das Kollektiv soll ja gerade mit den üblichen Schwierigkeiten, „Widersprüchen", fertig werden. Hier knüpft man im wesentlichen an die Erfahrungen Makarenkos an. Das Kollektiv vermittelt zwischen Gesellschaft und Individuum und ist damit „der konkrete soziale Rahmen, in dem sich die wesentlichsten Wechselverhältnisse und Beziehungen der Menschen in einem komplizierten Umsetzungsprozeß entwickeln" Die Schule muß „im Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen Kräften, besonders mit der Jugend-und Kinderorganisation, inhaltsreiche kollektive Beziehungen entwickeln, die günstige Bedingungen für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen im Kollektiv und durch das Kollektiv sind"

Die Frage der Kollektiverziehung ist damit identisch mit der Frage nach der Methodik, richtiger: nach der Methodenstruktur. In einer abermals stark verkürzten Übersicht seien die wichtigsten Sachverhalte angegeben, die schon Makarenko aufgezeigt hat

a) Die Perspektiven: Untergliedert in Nahe, Mittlere und Weite Perspektiven. Die Nahen Perspektiven sind Teilziele gemeinsamer Tätigkeit, gesetzt durch elementare und geistige Bedürfnisse, die von der individuellen Ebene ausgehen. Sie stellen das notwendige Minimum dar, ohne das eine Erziehungsarbeit unwirksam bleibt. Ihre Erfüllung erfreut jedoch die Mehrzahl der Kollektivmitglieder und mobilisiert sie deshalb (z. B. Film-und Theaterbesuche, Wanderungen etc.). Die Mittleren Perspektiven befriedigen höhere Bedürfnisse, erfordern aber auch Anstrengungen über längere Zeit (z. B. feste Freundschaften mit Kindern anderer sozialistischer Staaten, Kenntnis der Volksarmee, Schulfeste, Fahrten). Die Weiten Perspektiven stellen die höchsten Anforderungen und bestimmen z. B. die Tätigkeit des Schul-und Klassenkollektivs über Jahre hinaus (Übergabe wertvoller Erinnerungen an die Schule, Klassenausstattungen, gesellschaftlich nützliche Arbeitseinsätze).

b) Die Traditionen: Sie umspannen die im Kollektiv herausgebildeten Werte, Normen, Bräuche und Moden, aber auch einige wiederkehrende Ereignisse, die das kollektive Leben in vielen Einzelheiten selbst regulieren. „Im Netz dieser Traditionen fühlen sich die Kinder unter einem eigenen, besonderen Kollektivgesetz, sind stolz auf dieses Gesetz und bemühen sich, es zu verbessern!“ Daher ist wirksame Erziehung ohne solche Traditionen nicht möglich, weil die entsprechenden notwendigen Bedingungen, das „mächtige Kollektiv", nur geschaffen und erhalten werden können, wenn dieses „seine Würde achtet und sein kollektives Gesicht empfindet" (Makarenko) In der Systematik ergibt das eine Vielzahl weiterer Aufgliederungen.

c) Die Kollektivmeinung: Das Kollektivbewußtsein, das sich als kollektive Meinung äußert, besitzt eine Mittlerfunktion zwischen dem gesellschaftlichen und dem individuellen Bewußtsein. Da die Kollektivmeinung das gesamte kollektive Leben reguliert, reguliert sie auch bestimmte Bereiche des individuellen Lebens. So sieht der einzelne in der „Autorität der allgemeinen Meinung eine Stütze für sein Handeln", was zu einer — teilweise unrichtigen — Gleichsetzung der gesellschaftlichen und der kollektiven Meinung führt Während sich nun im Kinder-und Jugendkollektiv die kollektive Meinung verhältnismäßig schnell ändert, kann sie zur Stereotypie. werden: Zwar ändern sich Personen, Erscheinungen und Sachverhalte rasch, nicht aber die Meinung des Kollektivs über sie, insbesondere im Hinblick auf negative Wertungen Also muß die Kollektivmeinung selbst — z. B. über die Perspektiven — gesteuert und berichtigt werden. d) Die Binnengliederung: In der Abhängigkeit von der konkreten Aufgabenstellung besitzt jedes Kollektiv eine Funktions-und Rollen-differenzierung (= Binnengliederung). Sie ist der „vorantreibende Gegenpol“ zum steigenden Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dabei sind innerhalb eines Kollektivs drei Untergruppen erkennbar: 1. Der aktive Kern: die aktivsten und bewußtesten Mitglieder, die als erste die gesellschaftlichen Forderungen erkennen, aufnehmen und sie gegenüber den anderen Mitgliedern vertreten. 2. Die „bereitwillige und aufgeschlossene Reserve des Kerns": sie nähert sich immer mehr dem Kern an und verschmilzt schließlich mit ihm. 3. Der noch relativ undifferenzierte Rest: jene Mitglieder, die noch nicht völlig in das Kollektiv einbezogen sind, aber während der und durch die Entwicklung immer stärker in das Kollektiv einbezogen werden (können).

VI. Die Kehrseite der Medaille

Ausdrücklich sei nochmals herausgehoben, daß die obige Darstellung lediglich eine stichwortartige Aufzählung der wichtigsten Aspekte darstellt, die das Schulkollektiv zu berücksichtigen hat. Jeder dieser Aspekte ist jedoch noch vielfach untergliedert und mehrschichtig mit jeweils anderen Aspekten oder Teilaspekten verbunden. Fast ausschließlich betrifft dies den Aufgabenkomplex der Persönlichkeits- und Überzeugungsbildung, hinzukommt aber noch die Gesamtheit allgemeiner und spezieller Aufgaben der schulischen Wissensvermittlung (Fach-und Sachkenntnis).

Damit aber werden zwei entscheidende Tatbestände deutlich:

1. Die Aufgaben der Kollektiverziehung im Rahmen des Schulkollektivs umspannen faktisch alle Probleme der allgemeinen und speziellen Menschenerziehung überhaupt.

2. Die Lösung dieser Aufgaben, d. h. die Anwendung für die Praxis, erfordert optimale Kenntnisse in fast allen Gebieten der Sozial-forschung und — was Kenntnisvermittlung betrifft — auch der Naturwissenschaften u. ä. Selbst wenn eingestanden wird, beide Tatbestände ließen sich in der konkreten Aufgabenstellung (Schultyp, Klassen, Altersstufen etc.) reduzieren und konkretisieren, läßt sich die Folgerung vertreten: Das Schulkollektiv als Erziehungsinstitution hat es mit Aufgaben zu tun, die sich weder theoretisch noch praktisch bewältigen lassen!

Der Versuch einer Theorienlösung geht den Weg über die Konstruktion von Modellen.

Mit ihnen läßt sich am ehesten die schier verwirrende Vielfalt komplexer und komplizierter Zusammenhänge durch mehrfache Vereinfachung anschaulich darstellen. Dies mag erklären, warum sich so gut wie keine Theoriendiskussion in der DDR-Pädagogik findet, wohl aber Systematiken, die Modellfunktionen darstellen. Auch darf nicht vergessen werden, daß das Problem des Schulkollektivs und seiner Erziehungsaufgabe nur Teil der übergreifenden sekundären und primären Kollektivtheorien ist.

Der Versuch, eine solche (also schon theoretisch unhandliche und faktisch kaum überschaubare) Konzeption zu konkretisieren, muß zwangsläufig nicht nur das in der Theorie — oder im Modell — Vorgegebene reduzieren, -sondern auch punktualisieren und wird damit den übergreifenden Theorieansprüchen nicht mehr gerecht. Die entsprechenden Resultate in der konkreten Arbeit des Schulkollektivs lassen sich in das bereits angeführte Muster einordnen: Tatsächlich (oder vermeintlich) Positives bestätigt den Erfolg der Kollektivkonzeption; Negatives wird den Pädagogen angelastet.

Hypostasiert man, daß bei aller Problematik der Überzeugungserziehung in der Schule wenigstens die schultypische Kenntnisvermittlung den Sollvorstellungen entspricht, so erweist sich auch eine solche Annahme als nur teilweise haltbar. Dies wird deutlich u. a. in den Studien von Rainer Brämer aber auch im Schrifttum der Psychotherapie der DDR-Psychologie

Damit stehen wir vor der Frage nach der Wirksamkeit der ideologischen Erziehung, die im Bereich der Persönlichkeits-und Überzeugungserziehung die Kollektiverziehung vorrangig zu leisten hat. Bei der Beantwortung müssen wir uns allerdings von der üblichen klischeeartigen „Pro-Anti" -Vorstellung distanzieren, die sich in der westlichen Literatur antreffen läßt.

Keine Erziehung ist ohne Wirkung! Zu fragen ist daher, ob diese Wirkung dem Erziehungsziel entspricht, ob sie der Erziehungsintention folgt, also dem Ziel immerhin nahekommt, ob sie in gänzlich andere Einstellungsbereiche (wenn auch vielleicht unter ähnlichen Bezeichnungen) einmündet, gar Opposition und Gegensätze hervorruft. Alle diese Möglichkeiten sind immer auch anzutreffen. Ohne Zweifel schätzen viele DDR-Psychologen und Pädagogen die Situation recht realistisch ein, auch dort, wo die Interpretationen der Forderung einer positiven Futurologie folgen. Und erst von hier aus versteht sich die Besonderheit einer Diskussion über die „Autorität", worauf im folgenden kurz eingegangen werden soll.

Mit dem praktischen Problem der Autorität hat sich die DDR-Forschung nicht nur im Bereich der Schule ernsthaft beschäftigt. Auch hierbei ist vielfach eine Diskussion als Reaktion auf den westlichen „Antiautoritarismus" festzustellen Autorität sei gesellschaftlich bedingt; in der „Ausbeutergesellschaft" diene sie zur Unterdrückung und zur Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft. „Im Sozialismus stimmen die Interessen der Individuen mit denen der Gesellschaft fortschreitend überein. Demzufolge gewinnt die Autorität als gesellschaftliches Verhältnis eine neue Qualität. Die Autorität von Partei und Staat wird anerkannt. Es wirkt immer mehr das Prinzip der freiwilligen Aktivität und Einordnung der Individuen im Sinne des gesellschaftlich notwendigen Verhaltens"

Das ist nicht nur die formulierte Sollvorstellung, sondern bereits Wunschdenken. Das vielschichtige Autoritätsproblem wird auf die geforderte Anerkennung von „Staat und Partei" reduziert. Empirische Ergebnisse sehen dann auch ganz anders aus. Wo Autoritätsanerkennung gefunden wird, liegt diese im Bereich der Familie, während die Lehrer bereits in dieser Hinsicht abfallen Die Familie ist es auch, der ein „außergewöhnlich stark persönlichkeitsprägender „Einfluß zugesprochen wird

Die Bedeutung des Kollektivs Familie wird heute offenkundig in der DDR als entscheidend angesehen und hat die des Kollektivs „Schule“ weit übertroffen. Die westliche Darstellung der Familie in der DDR hat bisher vor allem oberflächliche, an reinen Verordnungs-und Gesetzesdaten orientierte Berichte vorgelegt und „dabei die entscheidenden wechselnden Bedeutungsfaktoren der Familie als Möglichkeit spezieller und übergreifender Kollektiverziehung bestenfalls am Rande gestreift" Dabei ist dann auch der überaus wichtige neuere Ansatz der Kollektiverziehungspraxis nicht gesehen worden, der einmal mehr zeigt, daß die bisherige Kollektivtheorie der Erziehung, die primär das Schulkollektiv zum Gegenstand hatte und diesem Priorität zusprach, nunmehr vor einer Art Vakuum zu stehen scheint. Nicht zufällig ist es gerade das „Disziplin-Syndrom", das das Kollektiv Schule nur schwer in den Griff bekommt — darin durchaus vergleichbar mit westlichen Verhältnissen.

, Disziplin" ist im Menschenbild des Marxismus-Leninismus nicht einfach eine Eigenschaft neben anderen, sondern eine Art „Wesensausdruck" des „Neuen Menschen", und zwar schon auf seinen untersten Entwicklungsstufen. Damit aber wird, wie schon eingangs angemerkt, die Schule in der DDR sehr viel stärker als bei uns zu einem Prestigeobjekt, das die positiven Seiten der richtigen Ideologie auszuweisen hat. Die Phänomene negativer Leistungen, negativer Verhaltensweisen, besonders aber mangelhafter Disziplin werden zu Belastungen der Schule selbst. Erst unter diesen Voraussetzungen sind die Ausweichversuche der DDR-Pädagogen zum Thema „Disziplin" verständlich. In vereinfachter Form lassen sich drei Typen der Darstellungen in ihrem Bezug zum Schulalltag zeigen: 1. Es wird auf die allgemeinen ideologischen Forderungen und Verpflichtungen hingewiesen. Da keine Konkreta des Schulalltags dargestellt werden, finden sich folglich auch keine wesentlichen Hinweise auf Disziplin-schwierigkeiten. 2. Es wird auf Leitbilder und Vorbilder hingewiesen, wobei auch Probleme der allgemeinen und der speziellen Schulerziehung aufgegriffen werden. Auch hierbei finden sich keine Konkreta des Schulalltags.

3. Berichte und Erfahrungen aus dem Schulalltag. Sie sind in der Regel konkret. Dieser letzte Typ der Darstellung ist, obwohl die Disziplinschwierigkeiten von den wenigsten aufgegriffen werden, für unser Problem wichtig. Auch hierbei sind drei Darstellungsarten unterscheidbar: a) Hinweise auf die Disziplin werden zwar gegeben, sind aber prinzipiell positiv. Von Disziplinschwierigkeiten wird nicht gesprochen, b) Auf Disziplinarschwierigkeiten wird im Zusammenhang mit anderen Schwierigkeiten hingewiesen, so daß die Phänomene mangelnder Disziplin meist im Hintergrund bleiben, c) Disziplinschwierigkeiten werden primär und detailliert geschildert Die letztgenannte Darstellungsart ist zwar sehr selten, dafür aber meist ungeschminkt.

Zur Behebung solcher Disziplinschwierigkeiten wird in der Regel auf die Bedeutung des „Kollektivs", der „Kollektiverziehung" verwiesen. Damit leitet man auf die „Persönlichkeitserziehung" über — was das Problem naturgemäß nur verschiebt. Sodann wird auf die Notwendigkeit der Erziehung zur „bewußten Disziplin" hingewiesen, die „eine der wesentlichen Aufgaben der kommunistischen Erziehung" sei Der Teufelskreis der Argumente wird deutlich, wenn unter „bewußter Disziplin" — schon von Makarenko gefordert — verstanden wird: „die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen, sein Verhalten im Sinne der Normen unserer sozialistischen Gesellschaft aktiv und selbständig aus innerem Antrieb, also vom System der sozialistischen Grundüberzeugungen determiniert, zu steuern. Die mehr subjektive Seite der Disziplin bezieht sich auf die Fähigkeiten und Bereitschaften des Menschen. Die mehr objektive Seite umfaßt die gesellschaftlichen Normen, die als Bezugssystem des Verhaltens dienen" Und in Zweifelsfällen ist der Lehrer an der Disziplinlosigkeit schuld

VII. Neuer Trend — neues Dilemma

In ihrer Studie über Kollektiverziehung spricht Ulrike Behrens von einem „neuen Trend", der ein „neues Dilemma" aufgedeckt habe. Folgendes ist zu berücksichtigen: a) Für die Praxis des Marxismus-Leninismus gibt es keine „unwichtigen" Probleme, sondern nur Stufungen des „Wichtigen", b) Es gibt auch keine neuen Begriffe; denn alle in der Ideolo-gietheorie verwendeten Begriffe wurden bereits von Marx und Engels verwendet, c) Das Prinzip der übergreifenden Kollektiverziehung ist denkbar einfach: Das Individuum wird von einer Pluralität von Kollketiven umstellt, die den Freiraum minimalisieren und im wechselseitigen Spiel die „negativen" Momente eliminieren sollen.

Zu fragen ist also nach dem Gewichtigkeitswandelder Kollektive zueinander. Im Hinblick auf das Verhältnis der Kollektive „Schule" und „Familie" hat sich für das erstgenannte Kollektiv nichts gewandelt. Die Möglichkeiten der Kollektiverziehung in der Schule werden weiterhin uneingeschränkt gefordert. Allerdings hat die Erkenntnis von der doch begrenzten Leistung dieses Kollektivs die Bedeutung des Kollektivs Familie erneuert.

Das Kollektiv „Familie" wurde in der DDR ideologietheoretisch zunächst eher mit Mißtrauen bedacht bzw. ließ die durch den Krieg bedingte große Zahl unvollständiger Familien den Einsatz in eine Kollektiverziehungstheorie kaum zu. Die Familienmitglieder entstammten „bürgerlichen" Verhältnissen, selbst wenn es sich um Arbeiter und Bauern handelte. Diese Momente des Bürgerlichen galt es ja gerade auszuschalten, so daß hierin die besondere und zusätzliche Bedeutung des Kollektivs Schule lag, die damit gegen das Bürgerliche (Rückständige) der herkömmlichen Familie gerichtet war. Diese Einschätzung änderte sich schrittweise, als jene Personen Familien gründeten, die in der DDR aufgewachsen und dort erzogen oder die sogar in der DDR geboren worden waren. Der „neue Trend" wurde in den siebziger Jahren vor allem durch die Termini „sozialistische Familie" und „sozialistische Persönlichkeit" deutlich.

Gerade zu einer Zeit aber, in der in offiziellen Bekundungen die neue Qualität menschlicher Entwicklung verkündet wurde, setzten sich nicht nur in der DDR Kenntnisse über zunehmende psychische Schwierigkeiten der Bevölkerung durch. Die Feststellung in einem „Psy-chotherapiepapier" eines Kongresses in Prag, daß es hinsichtlich der steigenden psychischen Schwierigkeiten zwischen den westlichen und den sozialistischen Industriestaaten keine Unterschiede gäbe, glich einer „Zeitbombe" Zur Zeit bleibt unklar, ob die Ideologietheoretiker der DDR mit diesem Problem nicht fertig werden, weil es grundsätzlicher Natur ist oder weil es — zunächst — nicht in die positive Futurologie paßt. Die zunehmende Bedeutung der Familie bleibt davon aber weitgehend unberührt

Diese neue Entwicklung zeigt die Beeinflussungsgrenze, über die auch die Kollektivtheorie nicht hinauskommt. Zudem zeigen die den einzelnen umgebenden Kollektive zwei unterschiedliche Trends: der eine reduziert und eliminiert negative Einflüsse, der andere zeigt demgegenüber eine Multiplizierung dieser negativen Sachverhalte.

Die Reihenfolge der Beeinflussungsmöglichkeiten sei hier stark vereinfacht angegeben:

1. Die vorwissenschaftliche, aber auch die extreme mechanistische Milieutheorie nimmt an, der gewünschte Erziehungseinfluß werde erreicht, wenn man den einzelnen gleichbleibenden Einflüssen aussetzen und ihn gegenüber anderen Einflüssen abschirmen könne. 2. Soweit sich diese Vorstellung in Form eines politischen Konzepts als falsch erweist, wird die Pädagogik aufgerufen, gefordert aber wird der Pädagogismus& 81). Mißerfolge werden zunächst dem Fehlen der „richtigen" Methode oder Fehlern des Pädagogen zugeschrieben. 3. Das Unzulängliche scheint sich mit einer vorwissenschaftlichen Vorstellung von der Psychologie überwinden zu lassen, wobei nunmehr die Pädagogische Psychologie auf den Plan tritt. 4. Wird auch deren Begrenztheit deutlich, wird die Sozialpsychologie (Einstellungs-, Überzeugungsproblem) und die Persönlichkeitspsychologie gefordert, die in die umfassende Kollektiverziehung eingebaut werden. 5. Zeigt sich, daß auch dies nur teilweise Erfolg hat, schlägt das auf die Theorienbildung auch im Bereich der Ideologietheorie zurück, wobei sich drei Trends zeigen: a) Verantwortlich gemacht für die Mängel werden fremde — westliche — Einflüsse. Typisch ist dies für die Kriminologie der DDR. Entsprechend kann, da eine vollständige Abschirmung nicht möglich ist, der Einfluß des Negativen nur enden, wenn auch der Westen sozialistisch geworden ist — eine fatale, fast fatalistische Folgerung, die man deswegen auch kaum ausgeschrieben findet, b) Verantwortlich gemacht wird der „Charakter" des einzelnen, dessen Anlage-und Erbbedingungen plötzlich neu diskutiert werden. Diese in der sowjetischen Literatur anzutreffenden nativistischen Konzeptionen zeigen sich in der DDR (noch) nicht c) Die dialektische Determinationstheorie erweist hier ihre Schwäche. Sie könnte das generelle Determinationsprinzip aufrechterhalten, müßte aber für menschliches Verhalten engere Indeterminationen anerkennen. Das aber wäre ein folgenschweres Eingeständnis der Begrenztheit des Marxismus-Leninismus in der Praxis

Fussnoten

Fußnoten

  1. W. P. Ratnikow, Das Kollektiv als Objekt der soziologischen Forschung, in: L. P. Bujewa /T. Hahn (Hrsg.), Über die sozialistische Persönlichkeit. Soziologische und sozialpsychologische Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung im Sozialismus, Berlin (Ost) 1978, S. 155.

  2. U. Bach, Kollektiverziehung als moralische Erziehung in der sowjetischen Schule 1956— 1976, Berlin 1981, S. 59.

  3. Vgl. u. a.: G. Clauß u. a. (Hrsg.), Wörterbuch der Psychologie, Berlin (Ost) 1976; J. u. N. Niermann (Hrsg.), Wörterbuch der DDR-Pädagogik, Berlin (Ost) 1974; Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, Berlin (Ost) 1976.

  4. J. Gentner /R. Frindert /P. Schulze /Ch. Thormann /G. Vorwerg, Gruppe und Kollektiv, in: Autorenkollektiv unter Leitung von H. Hiebsch /M. Vorwerg (Hrsg.), Sozialpsychologie, Berlin (Ost) 1980.

  5. Aus den zitierten Gründen (Anm. 1) fehle in einem „so fundamentalem Werk wie die . Philosophische Enzyklopädie " der UdSSR auch die Erklärung der Kategorie . Kollektiv'; vgl. W. P. Ratnikow, a. a. O. (Anm. 1). In der vorletzten Auflage des von G. Klaus /M. Buhr herausgegebenen Marxistischleninistischen Wörterbuch der Philosophie findet sich eine knappe Darstellung, S. 287 f. In der neuesten Ausgabe 1983 hingegen fehlt ein solches Kapitel völlig. Der dort ausgearbeitete Begriff „Kollektivbegriff'' (Bd. 2, S. 639 f.) bezieht sich lediglich auf das Problem der logischen Begriffsbildung.

  6. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), DDR Handbuch, Bonn 1979 (wiss. Leitung P. Chr. Ludz).

  7. W. R. Langenbuch /R. Rytlewski /B. Weyergraf (Hrsg.), Kulturpolitisches Wörterbuch. Bundesrepublik Deutschland /DDR im Vergleich, Stuttgart 1983.

  8. Man kann, grob gesprochen, das Insgesamt dessen, was in der Bundesrepublik als DDR-Forschung bezeichnet wird oder sich selbst so bezeichnet, in drei Gruppen unterteilen:

  9. In unserem Zusammenhang u. a. W. Land /W. Mader, Kollektiv und Pädagogik, in: Einheit, (1976) 5/6.

  10. Dies trifft für den größten Teil der Pädagogik-Literatur zu. Indessen sind naturgemäß auch diese Sollvorstellungen für Verständnis und Analyse notwendig. Akademie der pädagogischen Wissenschaften der UdSSR und DDR (Hrsg.), Pädagogik, Berlin (Ost) 1979.

  11. Vgl. hierzu: H. E. Wolf, Zu einigen Problemen der Entwicklung der Psychologie in der DDR, in: Deutschland Archiv, 14 (1981) 4; ders., Dilemma der Psychologie. Zur Realität in der DDR, in: Deutschland Archiv, 14 (1981) 6.

  12. Andeutungsweise dargestellt in: H. E. Wolf, Forensische Psychologie in der DDR, in: Deutschland Archiv, 16 (1983) 9; ausführlicher in: H. E. Wolf, Problemgeschichte der Psychologie in der DDR 1947— 1983, unv. Manuskript.

  13. H. E. Wolf, Zur Theorie der Kollektiverziehung in der DDR. Eine methodologische Analyse, unv. Arbeitsmanuskript.

  14. Sehr instruktiv in diesem Zusammenhang: J. Erpenbeck, Psychologie und Erkenntnistheorie. Zu philosophischen Problemen psychischer Erkenntnisprozesse, Berlin (Ost) 1980 (mit einem Geleitwort von H. Hörz und F. Klix).

  15. Das gilt insbesondere für die Arbeit von Ch. Lemke, Persönlichkeit und Gesellschaft. Zur Theorie der Persönlichkeit in der DDR, Opladen 1980.

  16. Während sich heute die Mehrzahl der Teildisziplinen der DDR-Psychologie in ihrer Entwicklung als mindestens vorläufig abgeschlossen erkennen lassen, scheint sich in der Klinischen Psychologie mit Beginn der achtziger Jahre ein Trend zu entwickeln, der sich in seinen Konsequenzen noch nicht übersehen läßt.

  17. Vgl. hierzu A. S. Makarenko, Gesammelte Werke, mehrere Auflagen.

  18. Dazu: O. Anweiler, Geschichte der Schule und Pädagogik in Rußland vom Ende des Zarenreiches bis zum Beginn der Stalin-Ära, Berlin-Heidelberg 1964.

  19. L. Froese, Ideengeschichtliche Triebkräfte der russischen und sowjetischen Pädagogik, Berlin 19637 siehe auch O. Anweiler, a. a. O. (Anm. 18),

  20. O. Anweiler, a. a. O. (Anm. 18), S. 84.

  21. Ebd.

  22. Zit. bei O. Anweiler, a. a. O. (Anm. 18), S. 85).

  23. Im Jahre 1928 stellte Lunascharskij fest: „Nicht einmal die einfachste Disziplin, das, was man eine gute Führung nennt, ist vorhanden"; zit. bei O. An-weiler, a. a. O. (Anm. 18), S. 251.

  24. Bereits Lenin hatte auf die Notwendigkeit intensiven Lernen hingewiesen, um die Entwicklung der Industrie voranzutreiben. Dem wurde die sowjetische Schule zunächst nur ansatzweise gerecht. In den dreißiger Jahren kam es dann zu jener Auffassung, die man mit dem Namen Stalins verbunden hat: Größere Anstrengung, größtmögliche Disziplin. Diese staatlichen Forderungen beendeten gewissermaßen die vorhergehenden romantischen Vorstellungen in der sowjetischen Pädagogik.

  25. Zitiert bei U. Bach, a. a. O. (Anm. 2), S. 60.

  26. Ebd.

  27. Schon früh in: H. Hiebsch, Sozialpsychologische Grundlagen der Persönlichkeitsformung, Berlin 1967. Das Manuskript war bereits 1960 fertiggestellt; H. Hiebsch /M. Vorwerg, über Gegenstand, Aufgaben und Methoden der marxistischen Sozial-psychologie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, (1963) 5; J. Gentner u. a., a. a. O. (Anm. 4), S. 58 ff.

  28. Das gilt für die Interpretation der Auseinandersetzung zwischen W. Friedrich und E. -H. Berwig, in: Pädagogik, 25 (1970) 2. Dazu: B. Hille, Kontroverse zwischen Pädagogen und Sozialpsychologen, in: Deutschland Archiv, 3 (1970) 9. Eine differenziertere Darstellung mit guter Analyse findet sich bei H. -P. Schäfer, Jugendforschung in der DDR, München 1974, bes. S. 149ff.

  29. Dies geht teilweise darauf zurück, daß die Soziologie der DDR lange Zeit sehr viel stärker dem unmittelbaren Einfluß der Ideologietheorie ausgesetzt war.

  30. Besonders deutlich ausgedrückt von dem sowjetischen Philosophen V. G. Ivanov, zit. bei U. Bach, a. a. O. (Anm. 2), S. VII. Danach seien selbst gutwillige westliche Wissenschaftler nicht in der Lage, Leben und Wesen des Kollektivs richtig zu erfassen, weil sie es nicht kennengelernt hätten.

  31. Vgl. hierzu: W. P. Ratnikow, a. a. O. (Anm. 1), S. 156f.

  32. Dies galt z. B. für die Kritik von Karl Jaspers. Vgl. W. P. Ratnikow, a. a. O. (Anm. 1), S. 157.

  33. Dies geschah schon früh z. B. durch H. Hiebsch, M. Vorwerg und W. Friedrich. Besonders kraß war diese Ideologie bei J. Moreno ausgedrückt, der sein Soziogramm u. a. religiös zu begründen suchte. Vgl. hierzu: G. Eckardt, Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Sozialpsychologie, in: Autorenkollektiv, a. a. O. (Anm. 4), S. 464.

  34. Diese Entwicklung zeigt sich im Bereich der Psychodiagnostik der DDR-Psychologie, neuerlich besonders in der Klinischen Psychologie.

  35. A. W. Petrowski, Sozialpsychologische Probleme des Kollektivs, in: A. Kossakowski (Hrsg.), Psychologie im Sozialismus, Berlin 1980, S. 189.

  36. Vgl. hierzu: H. E. Wolf, Die Entwicklung des linksideologischen Terrors in der Bundesrepublik Deutschland ab 1960— 1978; in: FWS-Report, (1978) 3.

  37. H. E. Wolf, Zur Problemsituation der Vorurteils-forschung, in: R. König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 12, Stuttgart 1978, S. 109f. Ders., Geschichte und Problemsituation der Autoritarismusforschung, in: FWS-Report, (1975) 2.

  38. Vgl. hierzu u. a. G. Sielski, Kritik der . antiautoritären'Erziehung. Ein Beitrag zur Analyse kleinbürgerlich-revolutionaristischer Erziehungsauffassungen, Berlin (Ost) 1977.

  39. Dies steht im strikten Gegensatz zu der Darstellung von M. Muck, Psychoanalyse, in: W. R. Langenbucher u. a., a. a. O. (Anm. 7), S. 591.

  40. Ausdrücklich festgestellt auf der 1960 von K. Gottschaldt, dem damaligen Lehrstuhlinhaber für Psychologie an der Humboldt-Universität, Berlin, einberufenen Internationalen Tagung über EntWicklungspsychologie. Siehe J. -P. De Waele (Brüssel), Zur Frage der Bestätigung psychoanalytischer Grundannahmen, in: Zeitschrift für Psychologie, (1961) 165, S. 90— 138. Kennzeichnend für die Situation der Diskussionsbeitrag von A Lehtovaare (Helsinki), ebd., S. 138.

  41. Hierzu: H. E. Wolf, Klinische Psychologie und Psychotherapie in der DDR. Ihre Entwicklung und Bedeutung für die DDR-Forschung (Manuskript).

  42. Siehe dazu: H. Hiebsch, Psychoanalyse, in: G. Klaus /M. Buhr, Marxistisch-leninistisches Wörterbuch der Philosophie, 1983 ’, S. 991— 993.

  43. Es bleibt völlig unklar, wie Muck zu seinen Thesen gekommen ist. Die Fachliteratur der DDR — nicht nur der Psychologie — zeigt eine ständige Berücksichtigung der — und Auseinandersetzung mit den — Behauptungen der Psychoanalyse. Das gilt auch durchweg für die sowjetische Psychologie.

  44. Zur Fehlerquelle des Aspektenverfahrens siehe: H. E. Wolf, Kritik der Vorurteilsforschung, Stuttgart 1979, S. 16, 21 f„ bes. S. 177f.

  45. Wer hier Mißverständnisse, voreilige Interpretationen vermeiden will, wird sich die unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe ansehen müssen (siehe das Marx-Len. Wörterbuch).

  46. „Die 10 Gebote der sozialistischen Moral und Ethik", vorgetragen von W. Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED 1958. Vom Parteiprogramm weitgehend eingearbeitet im Jahre 1963.

  47. Die entsprechende Veröffentlichung, Moskau 1979, eines Autorenkollektivs unter Leitung von L. Archangelski und unter Mitarbeit der DDR-Forscher R. Miller, H. E. Hörz und G. Neuner, erschien in deutscher Übersetzung 1980 unter dem Titel, . Sozialismus und Persönlichkeit’, Berlin (Ost) 1980.

  48. Eine detaillierte und kontinuierliche Darstellung dieser Diskussionsentwicklung findet sich bei C. Lemke, a. a. O. (Anm. 15).

  49. Hierzu ausführlicher H. E. Wolf, a. a. O. (Anm. 12).

  50. „Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik." Jugendgesetz der DDR vom 28. Januar 1974, GBl vom 31. Ja -nuar 1974. Zu den Merkmalen besonders § 2. Dazu H. E. Wolf, Zur psychologischen und sozialpsychologischen Grundlage der Theorie von der sozialistischen Persönlichkeit, in: Deutschland-Archiv (Hrsg.), Die DDR im Entspannungsprozeß. Lebensweise im realen Sozialismus, Dreizehnte Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. bis 30. Mai 1980.

  51. Bedauerlicherweise scheinen sich die ohnehin wenigen Darstellungen über die DDR-Psychologie vorwiegend am Diskussionsstand der dortigen Päd. Psychologie zu orientieren. So das Kapitel „Psychologie" aus dem DDR-Handbuch, 19792, oder im Kulturpolitischen Wörterbuch 1983, S. 592— 594.

  52. So W. Friedrich /W. Henning, Theoretische Probleme, Struktur und Erforschung der Persönlichkeit, Thesen zum Gegenstand, in: W. Friedrich /W. Henning (Hrsg.), Der sozialistische Forschungsprozeß. Zur Methodologie, Methodik und Organisation der marxistisch-leninistischen Sozialforschung, Berlin (Ost) 1975, S. 101; H. Kühn /K. Junghänel /H. Petschaelis, Bürgerliche Persönlichkeitspsychologie in der Krise, Berlin (Ost) 1980, sprechen sogar von der „massenhaften Wirksamkeit sozialistischer bzw. kommunistischer Persönlichkeiten unter der Führung der marxistisch-leninistischen Parteien", S. 7.

  53. Besonders früh bereits H. Hiebsch. Vgl. hierzu bei H. E. Wolf, a. a. O. (Anm. 12).

  54. H. E. Wolf, a. a. O. (Anm. 12).

  55. Wörterbuch der Marx-Len. Soziologie, a. a. O. (Anm. 3), S. 240.

  56. Akademien der pädagogischen Wissenschaften der UdSSR und DDR (Hrsg.), Pädagogik, Berlin (Ost) 1979, S. 30.

  57. Zu den Autoren der DDR, die mehrfach versucht haben, eine Übersicht über die Gesamtproblematik des Kollektivs für die Pädagogik zu geben, gehört u. a. H. Stolz u. a., Kollektive und ihre Entwicklung im Kindes-und Jugendalter, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule , Dr. Theodor Neubauer'Erfurt-Mühlhausen, 1 (1974) 11.

  58. Vgl. bei H. Stolz, a. a. O. (Anm. 60), S. 30 ff.

  59. Ebd., S. 34f.

  60. Einen Versuch, die positiven und negativen Möglichkeiten des überzeugungs-(Einstellungs-) Problems mittels eines Formalmodells in den Griff zu bekommen, hat A. Hermann versucht in: Die Bedeutung des Wissens und der individuellen Erfahrungen bei der Überzeugungsentwicklung der Schuljugend, in: L. P. Bujewa /T. Hahn (Hrsg.), a. a. O. (Anm. 1), S. 115 ff.

  61. R. Brämer, Anspruch und Wirklichkeit sozialistischer Bildung, Beiträge zur Soziologie des DDR-Bildungswesens, in: Marburger Beiträge zur Vergleichenden Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Band 18, 1983; W. Schlott, Selbstfindung statt Indoktrination: Sozialistische Erziehungswirklichkeit im Spiegel der neueren DDR-Literatur, in: Bildung und Erziehung, 36 (1983) 4.

  62. VgL bei H. E. Wolf, a. a. O. (Anm. 12), das Kapitel über Psychotherapie.

  63. Vgl. u. a. H. Müller, Autoritätserleben Jugendlicher, in: Autorenkollektiv unter Leitung von W. Friedrich (Hrsg.), Jugend, FDJ, Gesellschaft, Berlin (Ost) 1975.

  64. Ebd., S. 153.

  65. Vgl. ebd., S. 157. Leistungsstarke Jugendliche wählen den Vater zu 80%, die Mutter zu 89%, Berufsschullehrer zu 55% (als Autoritätspersonen). Bei Leistungsschwachen liegen die Werte: Vater: 67%, Mutter: 79%, Lehrer: 41%.

  66. H. Müller, Zur Entwicklung von Lebensorientierungen im Jugendalter, in: W. Friedrich /H. Müller (Hrsg.), Zur Psychologie der 12-bis 22jährigen, Berlin (Ost) 1980, S. 137.

  67. Eine solche Darstellung ist immerhin auch wichtig, weil sie überhaupt erst die Grundlage für weitere und diffizilere Studien schafft.

  68. U. Behrens, Der mehrfache Bedeutungswandel der Einstellung zur Familie in den Erziehungskonzeptionen der Kollektivvorstellungen der DDR. Vorläufiges Arbeitsmanuskript. Mit Erlaubnis der Autorin zitiert.

  69. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die entsprechenden Veröffentlichungen der DDR-Pädagogen gewissermaßen „paketweise" gegeben werden, also nicht kontinuierlich erfolgen. Der Bezug zur Thematik liegt vor. Deswegen dürfen Erscheinungszeiten nicht falsch eingeschätzt werden. Genaueres zu dieser Thematik bei H. E. Wolf, a. a. O. (Anm. 13).

  70. U. a. G. Neuner, Höhere Qualität der kommunistischen Erziehung der Schuljugend, in: Pädagogik (1980) 6. Vgl. auch die kritische Darstellung, die sich besonders gegen die formelhaften Vorschläge der Überwindung von Disziplinschwierigkeiten richtet, von R. Gehrmann, Erziehung zur bewußten Disziplin — wesentlicher Bestandteil der kommunistischen Erziehung, in: Pädagogik (1977) 4.

  71. Hierzu u. a. A. Kossakowski /K. -H. Otto, Untersuchungen zur Entwicklung der bewußten Disziplin, Berlin (Ost) 1967; K. H. Otto, Erziehung zur bewußten Disziplin, in: H. Stolz /A. Hermann /W. Müller (Hrsg.), Beiträge zur Theorie der sozialistischen Erziehung, Berlin (Ost) 1971.

  72. K. H. Otto, a. a. O. (Anm. 74), S. 238.

  73. U. a. G. Ebersbach, Erziehung zur bewußten Disziplin im Schülerkollektiv, in: Pädagogik (1963) 9; ders., Maßnahmen und Erfolge in der ersten Etappe der Kollektiverziehung, in: Pädagogik (1964) 5; W. Krutezki /H. Lukin, Die Erziehung der Elf-bis Fünfzehnjährigen zur Diszipliniertheit, Berlin (Ost) 1962. Dagegen die teilweise Kritik von R. Gehrmann, a. a. O. (Anm. 73), S. 315. Realistischer und sehr viel differenzierter: H. Stolz, Autorität und Elternliebe, Berlin (Ost) 1981, S. 6f.

  74. Eine Forderung nach der „Aufhebung der Familie", wie sie anfangs in der Sowjetunion diskutiert worden ist, hat es m. E. in der DDR nicht — oder mindestens nicht ausgeprägter — gegeben.

  75. Hier scheint der Bericht des Zentralkomitees (vom IX. Parteitag der SED) 1976, sodann der VIII. Pädagogische Kongreß mit dem Referat von Margot Honecker wichtig, „wonach die herangereiften neuen Bedingungen des Lebens in der Familie nur dann für die Erziehung, für die glückliche Entwicklung unserer Kinder wirksam werden, wenn wir uns ihrer bewußt sind, sie bewußt nutzen“.

  76. U. a. K. Seidel, VII. Jahrestag der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie der DDR, Teil I, Erfurt 1973. Zitiert bei J. Helm, Gesprächspsychotherapie, Berlin (Ost) 1979-, S. 9. Die Frage nach der Vergleichbarkeit der Entwicklung in Ost und West hat naturgemäß die Interpreten der Partei provoziert. Siehe auch A. Thom, Weltanschauliche Aspekte in der Entwicklung der klinischen Psychologie in der Psychotherapie der DDR, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 28 (1980) 4.

  77. U. a. E. Scharnhorst, Familienerziehung — wesentlicher Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Erziehung, in: Akademie der Päd. Wiss, der DDR (Hrsg.), Jahrbuch 1982, S. 291— 303.

  78. In der vorwissenschaftlichen Sicht wird in der Regel Psychologie gleichgestellt mit „Menschenkenntnis", „Menschenführung", „Therapie" etc.

  79. Vgl. hierzu H. E. Wolf, Das Erbe-Umweltproblem in der Pädagogischen Psychologie des Marxismus-Leninismus, Forschungsstelle für Jugend-fragen, Hannover, Juli 1980. Archivbogenmaterial Nr. 48.

  80. Vgl. hierzu den Stand der Diskussion bei W. Segeth im Marx-Len. Wörterbuch der Philosophie 1983, die Kapitel Determinismus, S. 263— 267, und Indeterminismus, S. 550— 552.

Weitere Inhalte

Heinz E. Wolf, geb. 1920; Studium der Psychologie an der Humboldt-Universität in Berlin (Ost) sowie an der Freien Universtität Berlin; seither Tätigkeit als Psychodiagnostiker in Erziehungs-und Eheberatung sowie im Jugendstrafvollzug; von 1968— 1978 Koordinator eines internationalen wissenschaftlichen Arbeitskreises über Vorurteilsforschung; seit 1979 verschiedene Forschungsprojekte im Rahmen der DDR-Forschung. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit H. J. Wolter) Rockerkriminalität, Seevetal-Ramelsloh 1974; Zur Problemsituation der Vorurteilsforschung, in: R. König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 12, Stuttgart 1978; Kritik der Vorurteilsforschung, Versuch einer Bilanz, Stuttgart 1979; Zu einigen Problemen der Entwicklung der Psychologie in der DDR, in: Deutschland Archiv, 14 (1981) 4; Dilemma der Psychologie. Zur Realität in der DDR, in: Deutschland Archiv, 14 (1981) 6; Forenische Psychologie in der DDR, in: Deutschland Archiv, 16 (1983) 9.