Die politisch-geistigen und sozialen Prozesse, die in der Gesellschaft der DDR ablaufen, spiegeln sich in der Funktion und der Rolle, die das „sozialistische Mehrparteiensystem" heute hat, wider. Grob geschätzt, treten in der letzten Zeit jährlich knapp 15 000 DDR-Bürger in die nichtkommunistischen Parteien CDU, LDPD, NDPD und DBD ein. Es handelt sich zu einem Teil um Angehörige der sogenannten neuen Intelligenz. Ihr Motiv liegt zumeist darin, der politischen Kontrolle durch die SED auszuweichen. Dementsprechend haben sich die nichtkommunistischen Parteien zu gesellschaftspolitischen Reservaten mit eigenen Identitäten entwickelt. Zu einer Mitarbeit in den von der SED dominierten Gremien der Nationalen Front finden sich dementsprechend zumeist weniger als ein Fünftel der Parteimitglieder bereit. In den letzten Jahren ist die Bereitschaft dazu deutlich gesunken. Die tatsächlichen Funktionen der nichtkommunistischen Parteien im Gesellschaftsgefüge der DDR stimmen mit ihren offiziell zugewiesenen Funktionen nur teilweise überein. Offiziell haben sie als „Transmissionsriemen" die Politik der SED in die Gedankenwelt spezifischer Bevölkerungsschichten zu übersetzen und zugleich in einem gewissen Rahmen Mitgliederinteressen zu vertreten. Insgesamt haben sie eine erziehende und Politik korrigierende Aufgabe. Die Identität der nichtkommunistischen Parteien in der DDR wird bestimmt durch ihre Geschichte und das Wirken führender Personen von CDU, LDPD und NDPD nach dem Zweiten Weltkrieg. Johannes Dieckmann, Hermann Kastner, Otto Nuschke und Vincenz Müller haben mitgeholfen, ihre Parteien der SED-Linie anzupassen, zugleich aber auch, teilweise bis zum Beginn der sechziger Jahre, den Spielraum zwischen der dogmatischen und der flexiblen Linie sowjetischer Deutschlandpolitik zu nutzen versucht. Sie nahmen der SED-Politik manche Ecken und Kanten. Ihre Bemühungen galten aber insbesondere der deutschen Einheit. Sie haben im Innern dieser Parteien damit ein gewisses Klima der Unabhängigkeit erhalten, so daß die von der LDPD und der CDU neuangebahnten nationalen und internationalen Kontakte von der SED sehr ambivalent betrachtet werden. Je stärker westdeutsche und andere westliche Gesprächspartner die Beziehungen zu diesen Parteien verstärken, desto mehr verstärkt sich die Rolle dieser Parteien gegenüber der SED.
Das „sozialistische Mehrparteiensystem“ der DDR
Nach außen möglichst Einheit vortäuschend, ist die DDR im Innern jedoch kein Monolith. Auf der einen Seite wird das politische Leben in der DDR von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) mit ihren über zwei Millionen Mitgliedern und den Traditionen der kommunistischen Arbeiterbewegung geformt, auf der anderen Seite aber auch von den etwa 400 000 Mitgliedern der anderen in der DDR zugelassenen Parteien, der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU), der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) und der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD), verkörpert. Unter ihren zumeist plakativen Ergebenheitsadressen an die SED entwickelte sich seit dem Beginn der fünfziger Jahre ein Tradierungsprozeß geistig-kultureller Werte, der die politisch-geistige Monokultur der SED auflockerte und das Selbstverständnis der DDR langsam zu ändern beginnt. Von den Ahnherren Lenin, Stalin und anderen Sowjetführern über Ernst Thälmann, Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck zu Scharnhorst, Friedrich dem Großen, Luther und jetzt auch Bismarck führt ein Weg, der ohne die Arbeit der nichtkommunistischen DDR-Parteien kaum hätte zurückgelegt werden können. Ihre darüber hinausgehende Bedeutung erhalten die nichtkommunistischen Parteien der DDR gegenwärtig sowohl aus ihrer neuerdings positiven Mitgliederbilanz als auch ihrem deutlichen Charakter als „Nischenparteien“, Parteien des geschützten Rückzugs vor den Ansprüchen der SED. Ihr Selbstverständnis kommt aus ihrer eigenen Geschichte, nicht aus den ihnen zugewiesenen Funktionen, unter anderem „Transmissionsriemen" der SED-Politik zu sein. Im Spannungsfeld sowjetischer Nachkriegspolitik, das latent nach wie vor vorhanden ist, hatten einige der führenden Politiker von LDPD, CDU und NDPD einen Spielraum, den sie nutzten, soweit es ihnen möglich war. Er ist heute kaum von vorhanden. In anderer Weise stärken jedoch die jetzt zunehmend entwickelten Kontakte zu innerdeutschen und auswärtigen Gesprächspartnern die Rolle, die insbesondere die CDU und die LDPD innerhalb der DDR einnehmen wollen: stärkeren Einfluß auf die Politik der DDR zu gewinnen.
Abbildung 2
Tabelle 2:Sozialstruktur der LDPD-Mitglieder
Tabelle 2:Sozialstruktur der LDPD-Mitglieder
Mitgliederbewegungen und Sozialstrukturen der „bürgerlichen“ Parteien Die CDU der DDR ist, legt man die unterschiedlichen Einwohnerzahlen der beiden deutschen Staaten zugrunde, etwa halb so mitgliederstark wie die CDU der Bundesrepublik, die LDPD, gemessen am selben Einwohnerverhältnis beider Staaten, dagegen aber dreieinhalbmal mitgliederstärker als ihre alte Schwesterpartei, die FDP der Bundesrepublik Deutschland. Beide Parteien hatten nach ihrer Gründung 1945 einen starken Mitglieder-zulauf, der bei der CDU mit 211 176 Mitgliedern (ohne Berlin) 1948 seinen Höhepunkt fand, während er bei der LDPD erst 1950 mit 198 920 Mitgliedern erreicht wurde. Danach sanken die Mitgliederzahlen kontinuierlich und beide Parteien überalterten stark. Ihre ursprüngliche politische Funktion in einer parlamentarischen Machtkonkurrenz, sich mit den anderen Parteien und politischen Gruppierungen auseinanderzusetzen, war verlorengegangen. Politisch waren sie „gleichgeschaltet" worden.
Seit dem Beginn der siebziger Jahre zeichnet sich ein deutlicher Mitgliederzulauf ab, der die Zahlen wieder steigen läßt. Zwischen 1977 und 1982 wurden zum Beispiel nach offiziellen Angaben für die Liberal-Demokratische Partei „weit über 20 000" neue Parteimitglieder gewonnen. Etwa 4 000 jährlichen Neuzugängen stehen etwa 2 600 Abgänge pro Jahr gegenüber, die in erster Linie altersbedingt sind.
Ein ähnlicher Prozeß vollzieht sich bei den beiden erst 1948 ins Leben gerufenen Parteien, der NDPD und der DBD. Zwischen 1977 und 1982 konnte die NDPD etwa 18 200 neue Mitglieder aufnehmen, so daß durchschnittlich etwa 3 640 Neuzugängen pro Jahr etwa 2 440 Abgänge gegenüberstehen. Im Verhältnis zur Liberal-Demokratischen und auch zu den anderen nichtkommunistischen Parteien dürfte die NDPD die stärkste Überalterung aufweisen. Im Bezirksverband Magdeburg sind nach offiziellen Angaben beispielsweise lediglich 25 Prozent der NDPD-Mitglieder unter 40 Jahre alt.
Als Auffangbecken für ehemalige NSDAP-Mitglieder, Wehrmachtsangehörige und national-konservative Kreise gedacht, gewann die NDPD ihren Mitgliederzulauf jedoch erst seit 1950, als sie für die Eigeninitiative der kleinen Unternehmer sowie der privaten Handwerker eine stärkere Bedeutung bekam. Die Mitgliedschaft in der NDPD sicherte damals dem Handwerksbetrieb seine Eigenständigkeit und schützte den Einzelhändler gegen eine Beschlagnahme des Geschäfts. Die unabhängigen Gewerbetreibenden, die sich der LDPD und der CDU angeschlossen hatten, genossen diesen Schutz nicht. Inzwischen sind die Parteien gegenüber dem Mittelstand gleichgestellt worden.
Die Bauernpartei (DBD), die ebenfalls 1948 ins Leben gerufen wurde, ist im wesentlichen eine berufsständische Vertretung und unterliegt deshalb anderen Eigengesetzlichkeiten als normale politische Parteien, denen der politische Einfluß genommen wurde.
NDPD-und LDPD-Mitglieder sind zumeist in den Städten konzentriert. Etwa 80 Prozent der NDPD-Mitglieder sind in städtischen Grundeinheiten organisiert. Ähnlich dürfte es bei der CDU sein, wenn sie auch einen etwa 40 Prozent höheren Bauernanteil haben dürfte. Dagegen sind natürlicherweise 80 Prozent der DBD-Mitglieder in ländlichen Grundeinheiten zusammengefaßt. Von ihren insgesamt 91 000 Mitgliedern sind 79 100 in der Landwirtschaft tätig.
Das Bestreben der SED, die LDPD und NDPD zu einer ähnlichen Art von Berufsgruppen-vertretung des städtischen Mittelstandes zu machen, ist gescheitert. „Wir haben auf diesem 11. Parteitag", sagte der LDPD-Vorsitzende Manfred Gerlach „unsere Politik so breit wie auf noch keinem anderen Parteitag ausgearbeitet und betont, daß wir keine Ko-Ha-Ge-Partei (Komplementäre-Handwerker-Gewerbetreibende-Partei, d. Verf.) sind, was bedeutet, daß es völlig falsch wäre, wenn wir uns nur auf Komplementäre, Handwerker und Gewerbetreibende konzentrieren würden." Ein Vergleich der Sozialstruktur der Liberaldemokraten von 1948 und 1981 zeigt, daß die soziale Zusammensetzung im wesentlichen gleichgeblieben ist. Lediglich der Arbeiteranteil, den die LDPD ebenso wie die NDPD Ende der vierziger Jahre noch aufwies, ist verschwunden. Angehörige der „Arbeiterklasse" dürfen beide Parteien ebensowenig wie die DBD aufnehmen.
Die CDU hat als einzige der nichtkommunistischen Parteien jedoch ihren ursprünglichen Volksparteicharakter behalten. Da es nach wie vor Christen auch in der Arbeiterschaft gibt, darf sie Arbeiter aufnehmen. Sie darf sie allerdings nicht in repräsentativen Positionen, wie zum Beispiel in Volksvertretungen, zum Aushängeschild der CDU machen.
Konflikte mit der SED Der starke Mitgliederzulauf bei den nichtkommunistischen Parteien bringt sowohl für die betroffenen Parteien als auch für die SED politische Probleme mit sich. Die neuen Mitgliedschaften bei LDPD, CDU, NDPD und DBD erfolgen, um der SED auszuweichen.
Die SED ist nach dem sogenannten Produktionsprinzip strukturiert, so daß ihre berufstätigen Mitglieder in den Betrieben organisiert sind. Sie erhofft sich dadurch einen starken Einfluß und eine stärkere Disziplinierung, weil mögliche Verweigerungen zu dieser oder jener gesellschaftlichen Arbeit direkte Konsequenzen im Berufsleben haben. Dagegen sind die nichtkommunistischen Parteien, wie andere bürgerliche Parteien in westlichen Staaten, nach dem sogenannten Territorialprinzip organisiert. Dort wo man wohnt, ist die Individualisierung und die Möglichkeit, sich unangenehmen Verpflichtungen zu entziehen, größer. Der Anteil der Intelligenz, den die nichtkommunistischen Parteien heute haben, weist darauf hin, daß gerade die sogenannte neue Intelligenz, die aus jenen gebildet wird, die in der DDR ihre akademische Ausbildung erfuhren, sich ihr politisches Dach in den nichtkommunistischen Parteien gesucht hat. Noch in den sechziger Jahren war es den anderen Blockparteien in der Regel untersagt, Angehörige der neuen Intelligenz aufzunehmen. Mittlerweile haben sie sich gegenüber der SED durchgesetzt. Regelmäßige Konferenzen mit Geisteswissenschaftlern, Pädagogen und Angehörigen der technischen Intelligenz zeichnen seit den siebziger Jahren ihre Arbeit aus.
Der neue Mitgliederzustrom schob die Parteien in den Volksvertretungen der Groß-und Mittelstädte im letzten Jahrzehnt stärker gegen die SED. Die Konflikte traten offensichtlich dort auf, wo die neue Intelligenz ihre politische Heimstatt fand. Auf der Ebene der Kommunalpolitik läßt sich eine Gegnerschaft besser formulieren als in ideologischen Fragen. Nicht immer muß die führende Partei in der zu treffenden Entscheidung das letzte Wort haben, wo beispielsweise ein neues Schwimmbad gebaut werden soll.
Deutliche Folge war, daß die SED in verschiedenen Volksvertretungen den prozentualen Anteil der Abgeordneten der anderen Parteien deutlich kürzte. So verringerte sich ihr prozentualer Anteil in den Stadtbezirksversammlungen der größeren Städte von 1970 bis zur vorerst letzten Kommunalwahl 1979 von etwa 10 auf knapp über 6 Prozent. Einen Zuschlag erhielten insbesondere der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Freie Deutsche Jugend (FDJ), deren Abgeordnete schätzungszweise zu 70— 75 Prozent Mitglieder der SED sind. Ähnlich sieht es in den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen der mittleren Städte aus, während die Zusammensetzung der Volksvertretungen der Kleinststädte und Gemeinden, der Bezirkstage und der Volkskammer weiterhin konstant blieb.
Schulung und Publizistik Zur Schulung ihrer Mitarbeiter, ihrer niederen bis mittleren Funktionäre und als Stätten spezifischer Erberezeption besitzen die Parteien Bildungsstätten. Die CDU unterhält im ehemaligen Barockschloß der Grafen von der Schulenburg in Burgscheidungen (Thüringen) die Schulungsstätte „Otto Nuschke". In der abgelegenen märkischen Landschaft in Bantikow bei Neustadt an der Dosse führt die LDPD in einer schloßähnlichen ehemaligen Industriellenvilla die „Zentrale Parteischule , Dr. Wilhelm Külz'". Die NDPD hat ihre „Hochschule für Nationale Politik" in Waldsieversdorf bei Berlin angesiedelt und die DBD ihre Parteischule „Thomas Müntzer" in dem kleinen Ort Borkheide südlich Berlins.
Differenzierter sind dagegen die Parteien wieder in der Tagespublizistik. Die CDU gibt neben dem Zentralorgan „Neue Zeit" noch fünf Regionalzeitungen heraus, die alle zusammen eine Auflage von 270 800 Exemplaren erreichen. Hinzu kommen die CDU-nahe Zeitschrift „Standpunkte", die für die evangelischen Christen gedacht ist, mit einer Auflage von 2 700 Expemplaren pro Monat, und die Zeitschrift „Begegnung", die mit 3 000 monatlichen Exemplaren für katholische Christen bestimmt ist. Als Funktionärsorgan erscheint „Union teilt mit". Eine wesentliche Bedeutung über die CDU hinaus haben die beiden der CDU gehörenden Verlage Koehler & Amelang sowie der Union Verlag, die neben der politischen CDU-Literatur Schriften und Bücher mit historischen und kirchlich-religiösen Themen sowie eine breite Palette Belletristik anbieten. Im Union Verlag wird zum Beispiel auch Heinrich Böll verlegt.
Das LDPD-Zentralorgan „Der Morgen" erscheint mit anderen vier Regionalzeitungen, die zusammen eine Gesamtauflage von 442 300 Exemplaren erreichen. Das LDPD-Funktionärsorgan nennt sich „LDPD-Informationen". Als parteieigener Verlag existiert der „Buchverlag Der Morgen", der neben dex spezifischen LDPD-Literatur ein breites Feld historischer und belletristischer Themen abdeckt. Der „Buchverlag Der Morgen" ist zum Beispiel Hausverlag von Stefan Heym.
Der NDPD gehören insgesamt sechs Tageszeitungen, darunter das Zentralorgan „National-Zeitung", die eine Auflage von 191 600 Stück haben. Früher wurde noch als Wochen-zeitung die „Deutsche Woche" mit einer Auflage von etwa 600 000 und die mehr sportlich orientierte Zeitung „NZ am Montag" mit einer Auflage von 200 000 Stück herausgegeben, die am 29. Dezember 1952 jedoch beide ihr Erscheinen einstellen mußten. Die Konkurrenz-presse war der SED zu stark geworden.
Als eine Art von gemeinsam mit der SED unterhaltener Vorhoforganisation war die „Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere 1 mit ihrem Vorsitzenden, Generalmajor a. D. Otto Korfes (NDPD), und dem Stellvertreter, Generalmajor Martin Lattmann (SED), anzusehen. Sie gab von 1958 bis 1971 das „Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere" heraus. Einerseits zielte es auf die ehemaligen Offiziere der deutschen Wehrmacht im Westen Deutschlands, andererseits behandelte es historische Themen aus dem Militärwesen und hat damit einen wesentlichen Beitrag zur Differenzierung des zeitgeschichtlichen Bildes in der DDR geleistet. Als Funktionärsorgan gibt die NDPD „Der nationale Demokrat" heraus und unterhält den „Verlag der Nation". Der „Verlag der Nation" hat ein ähnliches Profil wie der „Buchverlag Der Morgen", nur daß die historisch-nationale Akzentuierung stärker in Erscheinung tritt.
Als einzige nichtkommunistische Partei besitzt die DBD als Tageszeitung lediglich das „Bauern-Echo", das mit fünf Regionalausgaben in einer Gesamtauflage von 91 100 Exemplaren erscheint. Die deutliche Konkurrenz der SED macht sich hier bemerkbar, die die DBD von je her nur als ihren verlängerten Arm in die Bauernschaft hinein betrachtet hat. Die SED gibt die „Neue Deutsche Bauernzeitung" mit einer Auflage von 195 100 Stück heraus. Funktionärsorgan der DBD ist „Der Pflüger", hauseigener Verlag ist der „Deutsche Bauern-verlag", der mehr Fachliteratur als allgemein-interessierende Publikationen verlegt.
Bis auf die schon gezogene Parallele des „Bauern-Echo" mit der SED-Konkurrenzausgabe, führen Vergleiche mit SED-Organen, wie sie im Westen oft gezogen werden, zu falschen Schlußfolgerungen. Zwar hat das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland" allein eine Auflage von 1, 1 Millionen Exemplaren täglich, doch wird häufig übersehen, daß es für Betriebe und Institutionen, vom kleinsten Leiter an aufwärts, sowie für alle Gliederungen von Massenorganisationen Pflicht ist, das „Neue Deutschland" und andere SED-Publikationen zu abonnieren. Für die Zeitungen der nichtkommunistischen Parteien dagegen gibt es, ihre eigenen Parteiapparate ausgenommen, keine Pflichtabonnements. Sie stellen gewissermaßen die „Kür" gegenüber der „Pflicht" dar, die für die Lektüre der SED-Presse besteht. Den stärksten Verbreitungsgrad außerhalb der eigenen Parteimitgliedschaft haben mit weitem Abstand die Tageszeitungen der LDPD. Ihre Auflage ist fast dreimal so hoch wie die LDPD Mitglieder hat. Ein Grund dafür dürfte sein, daß insbesondere das Feuilleton der liberaldemokratischen Presse im Vergleich zu anderen Zeitungen wesentlich unkonventioneller ist. Der kürzlich vom „Neuen Deutschland" und dem Zentralorgan der FDJ . Junge Welt" verrissene Film „Insel der Schwäne", der die Jugendproblematik in der DDR sehr offen behandelt, erfuhr in „Der Morgen" und in der „Liberal-Demokratischen Zeitung" eine sehr positive Besprechung. Den Tageszeitungen der LDPD folgen die der CDU und der NDPD. Bei beiden Parteien übersteigt die Auflagenhöhe der Tageszeitungen die Zahl der Parteimitglieder um gut das Doppelte. Die DBD-Zeitung scheint dagegen kaum über die Parteimitgliedschaft hinaus verbreitet zu sein. Im Verhältnis zur Parteimitgliedschaft liegt die Auflagenhöhe des „Bauern-Echo" zwölf Prozent unter der Zahl der DBD-Mitglieder.
Rückzug in die Nischen der Parteien Geben die Auflagenhöhe und Verbreitungsgrad der Zeitungen einen gewissen Einblick in die Resonanz, die die nichtkommunistischen Parteien sehr unterschiedlich in der Gesellschaft finden, so spiegeln die offiziell angegebenen Parteimitglieder, die — mehr oder weniger formal — sich einmal zur Mitarbeit in den Ausschüssen der Nationalen Front, einer Dachorganisation aller Parteien und Massenorganisationen unter Führung der SED, bereit erklärt haben, den gesellschaftlichen Nischencharakter der „anderen Blockparteien" wider. Offiziell wird stets die politische Arbeit dieser Parteien als ein integraler Bestandteil der Arbeit der Nationalen Front verstanden. 1963 wurden beispielsweise die Parteistrukturen der LDPD den regionalen Strukturen der Nationalen Front angepaßt. Bei den anderen Parteien war es zu unterschiedlichen Zeitpunkten ähnlich. Trotzdem haben sich nur knapp 24 Prozent der DBD-Mitglieder 1978 verpflichtet, in der Nationalen Front mitzuarbeiten. In den Jahren bis 1982 ist der Anteil sogar auf 22, 3 Prozent gesunken. Nimmt man eine Zahl von 1962 zum Vergleich, di Prozent gesunken. Nimmt man eine Zahl von 1962 zum Vergleich, die etwa 29 Prozent der DBD-Mitglieder als ehrenamtliche Mitarbeiter in der Nationalen Front ausweist, erkennt man ein deutliches Gefälle und die DBD gewinnt, wie die anderen Parteien auch, den Charakter einer Nischenpartei. Die LDPD weist 1971 etwa 20 Prozent ihrer Mitglieder aus, die sich für die Mitarbeit in den Ausschüssen der Nationalen Front verpflichtet haben. Innerhalb von elf Jahren gelang der offiziellen Politik lediglich eine Steigerung auf 21, 6 Prozent im Jahre 1982. Die NDPD gibt für 1978 eine Zahl von 20, 9 Prozent ihrer Parteimitglieder in der Nationalen Front an, verschweigt auf ihrem 12. Parteitag 1982 jedoch vorsichtshalber jede neue Aussage. Die CDU ist in dieser Hinsicht offener. Wies sie 1978 noch 19 Prozent ihrer Mitglieder zur Arbeit in der Nationalen Front aus, so waren es 1982 nur noch 14, 4 Prozent, über 24 Prozent ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Ausschüssen 4er Nationalen Front haben in den letzten Jahren also ihre Arbeit aufgekündigt oder sind, sofern es die Neueintritte betrifft, von vornherein keine Verpflichtung eingegangen, im SED-dominierten Dachverband mitzuwirken. Die Diskussionen um Kriegsdienst und Wehrerziehung haben, so ist zu vermuten, einen gewissen Anteil am Rückgang.
Trotz der geringen Zahl der nichtkommunistischen ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Nationalen Front ist deren Fluktuationsrate hoch. Nicht viele schienen es dort lange auszuhalten oder verpflichteten sich lediglich zur Mitarbeit, wurden in der Statistik geführt, tauchten aber nie in den Gremien der Nationalen Front auf. Die Fluktuation seiner Parteimitglieder, stellte in diesem Zusammenhang der LDPD-Vorsitzende Gerlach fest, sei in den Gremien der Nationalen Front „relativ groß" 2).
Die offiziellen Funktionen Die offiziellen Funktionen, die die nichtkommunistischen Parteien von der SED zubemessen bekommen haben, stimmen nicht mit ihren tatsächlichen Nischenfunktionen überein. Eine ihrer offiziellen Funktionen ist, als Transmissionsriemen der „Partei der Arbeiterklasse" die der offiziellen Politik kritisch gegenüberstehenden Bevölkerungsteile umzuerziehen. „In einem gründlichen Umerziehungsprozeß sollen die uns nahestehenden Kreise des Mittelstandes ihre Aufgaben beim Aufbau des Sozialismus erkennen", heißt es in einer Entschließung des Hauptvorstandes der CDU von 1958 3). Der Begriff „Transmissionsriemen" stammt vom Theoretiker und Praktiker der russischen Revolution, Wladimir Iljitsch Lenin. Lenin war der Auffassung — und sah sie in der Praxis bestätigt —, daß sich sozialistisches Bewußtsein nicht spontan entwickele. Die meisten Menschen würden nur ein „trade-unionistisches" Bewußtsein entwickeln. Den Namen leitete Lenin von den englischen Gewerkschaften ab und meinte damit ein Bewußtsein, das nur an den Symptomen des Kapitalismus herumkuriert, statt an seine Wurzel zu gehen und ihn zu stürzen. Deshalb brauche die Gesellschaft eine politisch-bewußte Avantgarde, die „Partei der Arbeiterklasse" als „Partei neuen Typs", deren Gedanken und Politik in die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten durch spezielle Organisationen übertragen werden müßten. Als eine besondere Zielgruppe benannte er die bürgerlichen Mittelschichten und die Bauern. Walter Ulbricht drückte es in seiner Rede zum 20. Jahrestag des „Demokratischen Blocks", in dem neben der SED sowohl alle nichtkommunistischen Parteien wie auch der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, die Freie Deutsche Jugend, der Demokratische Frauen-bund Deutschlands und der Kulturbund der DDR zusammengeschlossen sind, so aus: „Wir wissen die Leistungen der befreundeten Parteien zu schätzen, die sie in der Arbeit mit allen Mitgliedern und ihnen nahestehenden Kreisen in der Nationalen Front geleistet haben. Sie knüpften an die Gedankenwelt dieser Bevölkerungsschichten an und halfen, sie für den sozialistischen Weg zu gewinnen."
An die Gedankenwelt anzuknüpfen heißt in der DDR, sich in Sprache, Stil und den aufzuarbeitenden Traditionen untereinander und von der SED zu unterscheiden. Die CDU soll im offiziellen Auftrag zur Beeinflussung der Kirchen an das Gedankengut Luthers, der calvinistischen Reformierten und der katholischen Kirche anknüpfen und sie zu Kronzeugen der SED-Politik berufen; die LDPD soll es mit geistigen Vertretern des Bürgertums in ähnlicher Weise tun. Dazu gehören auch die Traditionen der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei und der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei der Weimarer Republik Die Nationaldemokraten haben dagegen mehr die Vertreter der national-konservativen Kreise zu pflegen, insbesondere an das Gedankengut deutsch-nationaler Wehrmachts-und Reichswehroffiziere anzuknüpfen, bei denen die preußischen Tugenden in Verbindung mit der preußischen Geschichte einen besonderen Wert besitzen. Ein Kuriosum bildet in diesem Zusammenhang die Bauernpartei. Auf dem Weg, eigenständige revolutionär-bäuerliche Denkinhalte zu ergründen, kam man auf nichts weiter als auf die Bundschuh-Bewegung zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die im wesentlichen die Leibeigenschaft abschaffen, die herrschaftlichen Abgaben reduzieren und die geistlichen Güter aufteilen wollte, auf Thomas Müntzer und den Bauernkrieg. Daß derartige Traditionen aufgesetzt sind, merkte auch bald die DBD und konzentrierte sich daher mehr auf aktuelle landwirtschaftspolitische und agronomische Fachfragen.
Eine zweite Funktion, die die nichtkommunistischen Parteien im offiziellen Sinne haben, ist die partielle Interessenvertretung ihrer Mitglieder und der ihnen zugerechneten Bevölkerungskreise. Man kann nämlich nicht auf bestimmte Bevölkerungsgruppen einzuwirken versuchen und zugleich grob gegen ihre Interessen verstoßen. Am prägnantesten hat das Spannungsverhältnis zwischen Transmissionsriemen und Interessenvertreter vor kurzem die CDU beschrieben. „Zum einen:
Die CDU ist nicht das politische Sprachrohr der Kirche. Wir können und wollen sie nicht für uns vereinnahmen. Zum anderen: Christen — Glieder der Kirchen — finden in unserer Partei ein breites politisches Tätigkeitsfeld, das ihnen viele Möglichkeiten zur Gestaltung unserer sozialistischen Gesellschaft bietet. Wir leben also im Spannungsverhältnis von Nicht-Kirchenparteien und unserem An’spruch, eine Partei von Christen zu sein."
Die Vertretung der Mitgliederinteressen bezog und bezieht sich bei der CDU im wesentlichen auf die Abwehr einer atheistischen Propaganda, bei der LDPD und der NDPD insgesamt auf Bemühungen, Teilen des Mittelstandes wirtschaftliche Überlebensmöglichkeiten zu schaffen. „Wenn es Klassen und soziale Schichten in der DDR gibt“, erklärte Manfred Gerlach für seine Partei in einem Interview mit Radio DDR II 1972, „dann gibt es naturgemäß auch unterschiedliche Interessen, auch individuelle Interessen, die nicht amer mit den gesellschaftlichen Gesamtineressen übereinstimmen. Das ist ganz natürich!"
ine dritte offizielle Funktion liegt für die lichtkommunistischen Parteien darin, Auftiegschancen für weniger bedeutsame Posiionen im Staatsapparat und im beruflichen eben denjenigen zu öffnen, die der SED mit einer gewissen Reserve gegenüberstehen. Frustrationen, die bei Nichtkommunisten gegenüber SED-Mitgliedern entstehen könnten, verden damit abgebaut und in individuelle Karrierechancen überführt. Allerdings ist es »o, daß besonders Lehrer und andere Mitareiter im pädagogischen Bereich nach wie vor Aufstiegsschwierigkeiten haben, wenn sie sich zu einer der nichtkommunistischen Parleien bekennen, während der Aufstieg in den militärischen und Sicherheitsorganen für Mitglieder der anderen Blockparteien völlig unmöglich ist. Es gibt heute im Unterschied zu früher keinen Offizier der Nationalen Volksarmee mehr, der Mitglied einer der mit der SED „befreundeten" Parteien ist. Auch der diplomatische Dienst bleibt bis auf ganz wenige Ausnahmen den anderen Parteien verschlossen. Bei einigen sogenannten Nomenklatur-kadern ist sogar ausschließlich die SED-Mitgliedschaft vorgeschrieben. Dazu gehören die . Kaderleiter", die Personalchefs aller staatlichen Betriebe. Ausgesprochene Vorteile von der Mitgliedschaft in einer der anderen Parteien haben dagegen Handwerker, Gewerbetreibende und Freiberufler.
Eine vierte offizielle Funktion der nichtkommunistischen Parteien liegt darin, politische Stimmungsberichte aus ihrer Mitgliedschaft und den ihr zugerechneten bürgerlichen Kreisen zu sammeln und über die Nationale Front an die Führungsspitzen der SED weiterzugeben. Namen werden dabei in der Regel nicht genannt, sondern Meinungstendenzen aufgezeigt, z. B. wie bestimmte Bevölkerungskreise auf Maßnahmen der Regierung der DDR und ihrer führenden Partei, der SED, reagieren. Das Weitergeben von Meinungstendenzen hat eine gewisse politikkorrigierende Funktion, weil die SED daran sieht, wie weit sie gehen kann und ob sie getroffene Maßnahmen evtl, ändern muß. Im Bezirksverband Berlin der Liberal-Demokratischen Partei ist zum Beispiel Ende der siebziger Jahre ein Stimmungsbericht zur deutschen Frage erstellt worden, der zusammen mit anderen Erhebungen mit dazu geführt haben dürfte, daß die SED Ende 1982 ihre These von der „eigenständigen DDR-Nation" hat fallen lassen und heute wieder sowohl vom „deutschen Volk" als auch vom „sozialistischen Deutschland" spricht.
Derartige Stimmungsberichte werden von den untersten Gliederungen der Parteien angefertigt und im eigenen Parteiapparat weitergegeben. Allerdings sind nicht nur die nichtkommunistischen Parteien Informationsquelle mit korrigierender Funktion, sondern alle gesellschaftlichen Organisationen der DDR stellen neben dem Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED, das 1965 gegründet wurde, derartige Stimmungsbilder zusammen. Auch von den verhörenden Sicherheitsorganen in den Haftanstalten der DDR ist bekannt, daß sie sich von politischen Häftlingen individuelle Einschätzungen zu politischen Fragen zu dem selben Zweck schreiben lassen, um offensichtlich auch einen Meinungsspiegel der offenen politischen Opposition zu schaffen.
Bürgerlicher Spielraum im Spannungsverhältnis sowjetischer Nachkriegspolitik Die nichtkommunistischen Parteien im anderen Teil Deutschlands hatten nicht alle von vornherein Funktionen, die die SED ihnen zu-maß. CDU und LDPD entstanden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin mit dem Anspruch, Parteien für die übriggebliebenen Reichsteile Deutschlands zu sein. Die in Berlin residierenden Vorstände nannten sich deshalb längere Zeit nach ihrer Gründung noch Reichsparteileitungen. Tatsächlich konnten sie ihren Einfluß aber nur auf die Sowjetische Besatzungszone ausdehnen und die verschiedentlich spontanen Parteigründungen in Leipzig, Dresden und anderswo unter das Dach der Reichsparteileitungen bringen.
Angestrebte Vereinigungen mit den später auch in der amerikanischen und britischen Zone und noch später in der französischen Zone Deutschlands gegründeten ähnlichen christlich-unionistischen und liberalen Par. teien scheiterten sowohl an der zunehmenden Divergenz der vier Besatzungsmächte in Deutschland als auch an dem Unwillen vieler westdeutscher Parteienvertreter, das Handeln insbesondere der LDPD, aber auch bestimmter CDU-Vertreter unter den besonderen Bedingungen der Sowjetischen Besatzungszone zu begreifen. In der Sowjetischen Besatzungszone gab es zum einen die revolutionär-bolschewistische Linie, weitgehend repräsentiert von Oberst Sergej Tulpanow als einem Vertreter der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, und zum anderen die flexiblere Linie des in verschiedenen Funktionen tätigen Botschafters Wladimir Semjonowitsch Semjonow.
Walter Ulbricht, der Mann der harten Linie in der SED, vermied zum Beispiel, so wird berichtet, stets Gespräche mit Semjonow und ließ seine Maßnahmen lieber von Tulpanow absegnen. Otto Grotewohl, ursprünglich SPD-Vorsitzender in der Sowjetischen Besatzungszone und später führendes Mitglied der SED, in der die SPD aufgegangen war, berichtete in diesem Zusammenhang, daß Semjonow ihm gegenüber seine Besorgnis darüber geäußert habe, „daß einige von Tulpanow und Ulbricht eingeleitete Maßnahmen über das Ziel der Moskauer Politik hinausgehen und die derzeit an sich schwierige Lage noch komplizieren könnten" Der erste Chef der Sowjetischen Militäradministration, Marschall Grigorij Shukow, der 1928 einen Generalstabslehrgang bei der Reichswehr absolvierte, hatte Otto Grotewohl bereits als damaligem SPD-Vorsitzenden das Angebot unterbreitet, Walter Ulbricht aus der Führung der KPD herauszunehmen. Grotewohl hatte es aber versäumt, auf dieses Angebot zurückzukommen
Als es Schwierigkeiten zwischen der SED und den Sowjets auf der einen und der CDU auf der anderen Seite gab und zuerst Andreas Hermes und Walther Schreiber, später Jakob Kaiser und Ernst Lemmer auf Befehl der Sowjets von der CDU-Führung abgelöst wurden, sollte Grotewohl auf Anraten von Erich W. Gniffke, einem der Gegner Ulbrichts in der SED, über Semjonow versuchen, Ernst Lemmer zu halten. Grotewohl und Gniffke wollten verhindern, daß weniger standhafte Politiker wie Otto Nuschke oder Luitpold Steidle neue CDU-Vorsitzende werden könnten Seine Absicht, zu intervenieren, kam jedoch zu spät.
Mit Unterstützung verschiedener Vertreter der Sowjetischen Militäradministration konnten bürgerliche Politiker sich längere Zeit einen vorsichtig taktierenden Spielraum erhalten, der heute noch gewisse Nachwirkungen hat. Nach wie vor pflegen führende Vertreter von LDPD und CDU, an ihrer Spitze die Vorsitzenden Manfred Gerlach und Gerald Göt ting, ihre eigenen Drähte zur sowjetische] Botschaft in Ost-Berlin. Auf Wunsch der So wjets hielt deshalb Gerald Götting als einzi ger Vertreter einer nichtkommunistischer Partei des sowjetischen Machtbereichs 198'Ehrenwache am Sarg Breschnews in Moskau Die Vorstände beider Parteien wie auch den anderen laden die Vertreter der sowjetischer Botschaft in unregelmäßigen Abständen sc wohl zu Sitzungen ihrer Zentral-bzw. Haupt vorstände und zu Veranstaltungen ihrer zentralen Parteischulen ein.
Sowjets und SED als Parteigründer Der zunächst größere Spielraum der CDU und der LDPD wurde 1948 eingeschränkt. Aul Betreiben der SED wurde die Demokratische Bauernpartei Deutschlands gegründet und auf Wunsch der Sowjets die National-Demokratische Partei Deutschlands. Die Sowjetische Militärverwaltung, so teilte Oberst Tulpanow in einem Gespräch mit hohen SED-Funktionären mit, habe „aus einer Reihe von Untersuchungen über ehemalige Mitglieder und Funktionäre der Nazipartei die Überzeugung gewonnen, daß sich dort sehr brauchbare Kräfte finden, die sich nur schlecht in die bestehenden Massen-und Parteiorganisationen eingliedern lassen. Jetzt werden Entlassungen ehemaliger Nazifunktionäre vorgenommen, und ich habe mit einigen von ihnen ausführliche Gespräche gehabt. Um diese Kräfte zu aktivieren, haben wir von unserer Seite aus vorgeschlagen, die Bildung einer Partei zu befürworten, in denen diese Kräfte gesammelt, vereinigt und der weiteren Entwicklung der Zone nutzbar gemacht werden können. Die Partei wird voraussichtlich National-Demokratische Partei heißen. Diesen Kräften sollen in der Zone Entfaltungsmöglichkeiten gegeben werden."
Bestätigt werden diese Angaben inzwischen auch in Berichten des NDPD-Zentralorgans selbst. „Fünf Männer aus dem Mittelstand", schrieb die National-Zeitung beispielsweise am 26. Mai 1963, „wurden von der Sowjetischen Kommandatur eingeladen und aufgefordert, darzulegen, wie sie sich die politische Mitarbeit unter den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP, den Offizieren, unter den Handwerkern und Privatbesitzern denken." Aus diesem Gespräch ging die Gründung der NDPD in Potsdam-Babelsberg hervor. Auf-grund ihrer stärkeren Unterstützung durch die Russen durfte sie sich zunächst auch öffentlich mit der SED anlegen. 1948 gab es zum Beispiel eine Pressepolemik zwischen dem Vorsitzenden der NDPD, Lothar Bolz, und dem „Neuen Deutschland". Das „Neue Deutschland" kritisierte das nationale und . abgeklärte", aus „Vernunftsgründen geborene Verhältnis zur Sowjetunion" und bemängelte I die nichtsozialistischen Auffassungen. Lothar Bolz schrieb in seiner Erwiderung: „Ob solcher Anschauungen sind Sie empört. Wir können Ihnen nicht helfen. Wir können nur wiederholen, daß wir uns keiner Weltanschauung (auch nicht Ihrer), keinem sozialen Dogma (auch nicht Ihrem) und auch keinem Klassenstandpunkt (auch nicht Ihrem) verschreiben!" Als die Russen später ihr spezielles Interesse an der NDPD verloren hatten, weil es ihr an größerem Einfluß auf die national-konservativen Kräfte beider Teile Deutschlands ermangelte, wurde die NDPD gezielt durch die SED unterwandert und ihr Spielraum eingeschränkt. So wurde beispielsweise 1954 von der Bezirksstelle des Staatssicherheitsdienstes Gera der Mitarbeiter Lothar T. als Abteilungsleiter III der NDPD-Parteikontrollkommission eingesetzt. Schon 1948 hatte sich die NDPD auch gegenüber der LDPD profiliert. Sie wurde zu Beginn der fünfziger Jahre immer stärker gegen die Liberal-Demokratische Partei geschoben, und 1952 wurde vom politischen Berater des Chefs der Sowjetischen Kontrollkommission Semjonow die Ausschaltung der LDPD als „wichtigste Aufgabe" der NDPD dargestellt
Die Demokratische Bauernpartei hat nie einen Spielraum von der SED zubemessen erhalten. Ihr Gründungsprogramm von 1948 enthält keine eigenen politischen Konzeptionen. Die Liberal-Demokratische Partei drückte es 1948 so aus: „Die bestehenden antifaschistischen Parteien, in erster Linie unsere Partei, sind sehr wohl in der Lage, die Interessen der Bauern zu vertreten. Die wahren Ziele, die bei der Bildung einer Bauernpartei von der anderen Seite verfolgt werden und die darauf hinauslaufen, die Bauern von den nichtmarxistischen Parteien abzudrängen und diese dadurch zu schwächen, müssen der Bauernschaft eindeutig dargelegt werden." In diesem Jahr gehörten der LDPD immerhin 23 436 Bauern an. Um der DBD eine Stütze in der Bauernschaft zu geben, wurden SED-Mitglieder in die neue Partei delegiert.
Zwischen Anpassung und Korrektur. Motive des politischen Handelns Verschiedene Politiker der nichtkommunistischen Parteien haben versucht, sich in der Spanne, die sich öfter zwischen den beiden Linien der sowjetischen Politik in ihrer Zone auftat, zu bewegen. Sie hatten dabei zugleich die Politik der SED zu berücksichtigen, die sich mit ihrem Hauptrepräsentanten Walter Ulbricht an die revolutionär-bolschewistische Linie der sowjetischen Politik anlehnte und sie weiterzutreiben versuchte. Die SED stützte sich auch auf Politiker in der CDU, LDPD, NDPD und DBD. Es handelt sich insbesondere um den Vorsitzenden der LDPD Hans Loch und seinen Generalsekretär Herbert Täschner, um Heinrich Homann, der vom politischen Geschäftsführer der NDPD 1952 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Partei avancierte und 1972 den Vorsitz übernahm, sowie zeitweise um Gerald Götting, den 1949 erst 26jährigen Generalsekretär der CDU. Er hatte insbesondere die Aufgabe, den Einfluß des CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke in seiner Partei zu paralysieren. Gerald Götting wurde 1966 Vorsitzender der CDU und war zumindest seit dieser Zeit auf eine stärkere Profilierung der CDU bedacht. Seine Rolle von heute ist nicht seine Rolle von gestern. Herbert Täschner, der in Zusammenarbeit mit der SED von Major Siora von der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen aufgebaut wurde, avancierte 1950, erst 34 Jahre alt, zum Generalsekretär der LDPD. Seine scharfen Stalinisierungsmaßnahmen in der Partei stießen jedoch auf den erbitterten Widerstand von Johannes Dieckmann, des stellvertretenden Vorsitzenden der LDPD und Präsidenten der Volkskammer, der zusammen mit seinem persönlichen Referenten Theo Hanemann, dem heutigen Direktor der Zentralen Parteischule „Wilhelm Külz", 1954 erfolgreich Täschners Ablösung betrieb. Sein Nachfolger Manfred Gerlach, der seit 1967 Vorsitzender der LDPD ist, bewegte sich von vornherein konzilianter.
Das Motiv der Politiker, die in einer gewissen Grauzone zwischen den beiden Linien sowje-tischer Politik und der SED operierten, war neben sehr persönlichen Eitelkeiten insbesondere, der aufziehenden Diktatur des Proletariats die Schärfen zu nehmen und die bürgerlichen. Strukturen in der DDR zu konservieren. Man hoffte damals noch auf eine Wiedervereinigung und wollte retten, was für Deutschland noch zu retten war. Von Johannes Dieckmann wurde beispielsweise 1959 das Goethe-Wort zitiert: „Treuer Dienste tägliche Bewahrung, sonst bedarf es keiner Offenbarung", dessen ersten Teil er bejahte, dessen zweiten er aber relativierte. „Es wurde vorhin hier einmal in irgendeinem Zusammenhang gesagt, es sei diesem oder jenem Parteifreund der Vorwurf gemacht worden, der eine sei zu liberal, der andere sei zu demokratisch. Was ist dazu zu sagen? Es kann niemand von uns zu liberal sein, und es kann niemand von uns zu demokratisch sein, wenn wir das Wort demokratisch im Sinne unserer Zeit richtig verstehen."
Walter Ulbricht, Gegner der „Grauzonenkräfte" in den nichtkommunistischen Parteien, bestätigte später ihren korrigierenden Einfluß: „Wir bekennen offen, daß wir auch von den Freunden der Blockparteien so manches gelernt haben. Manch scharfe Kanten in der Politik, die bei der Härte des Klassenkampfes in Deutschland unvermeidlich waren, wurden im Meinungsaustausch und in der Zusammenarbeit abgeschliffen."
Johannes Dieckmann, LDPD Johannes Dieckmann war einer der profiliertesten nationalliberalen Politiker in der DDR. Vorsitzender der LDPD konnte er nicht werden, auch nicht, als die Position zweimal vakant wurde, da die SED stets ihr Veto einlegte. Als der Landesverband Sachsen, der „konservativste" innerhalb der LDPD, 1951 Johannes Dieckmann als neuen Parteivorsitzenden vorschlug, mußte Dieckmann auf seine Kandidatur verzichten.
Johannes Dieckmann war vor 1933 in führenden Positionen der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei tätig und hatte am Sturz des Dresdner Oberbürgermeisters Bernhard Blüher, der ebenfalls Mitglied der DVP war, mitgewirkt, weil Blüher die Unterstützung auch bei Kommunisten gesucht hatte. In einer 1974 erschienenen offiziellen LDPD-Würdigung Dieckmanns heißt es, er hätte durch die westdeutsche Politik der Westintegration „ein Gefühl der Ohnmacht" gehabt. Trotzdem hätte er seine Haltung mit der „illusionären Erwartung" verbunden, „Politiker wie er könnten Verbindungen knüpfen und gemeinsam mit politisch vernünftigen Kreisen in der BRD der Entwicklung irgendwie Einhalt gebieten." In seinem deutschlandpolitischen Denken orientierte sich Dieckmann „an der Politik Bismarcks, die davon ausging, daß ein gutes Verhältnis zum Nachbarn im Osten im wohlverstandenen beiderseitigen Interesse lag. Er war beeindruckt von der Rapallo-Politik, die sich bekanntlich auf die These gründete, daß das östliche Riesenreich ein europäischer und weltpolitischer Faktor ist, gleichgültig, welches politische System dort herrschte; und drittens berief sich Dieckmann auf Gustav Stresemann." Bis zum Beginn der sechziger Jahre forderte Dieckmann öffentlich einen nationalen Kompromiß „im Sinne Bismarcks", kam auf die Möglichkeit getrennter Wahllisten in der DDR zurück und betonte die Notwendigkeit gesamtdeutscher freier Wahlen. Ist nicht „eine der Grundvoraussetzungen dafür", fragte er, „daß in einem Lande freie Wahlen durchgeführt werden, daß dieses Land frei von fremden Truppen ist?"
Die SED, die schon frühzeitig gegen eine eigenständige gesamtdeutsche Rolle im Ost-West-Ausgleich öffentlich zu Felde gezogen war, wollte Dieckmann mehrfach ablösen. Seine Auffassung, auch von anderen vertreten, die LDPD werde „der Mittler zwischen Ost und West sein" paßte nicht in ihr Konzept. Vorgeschickt wurde der Justizminister und LDPD-Vorsitzende Hans Loch. Er bezeichnete im Zentralorgan „Der Morgen" Dieckmann als einen „antiselbstkritischen Barden". Der Volkskammerpräsident schwebe „über den Wolken als lächelnder Buddha und fährt nicht wie Jupiter tonans, wie der zür-nende Donnergott dazwischen. Solche Fehler darf auch der älteste Pelikan nicht begehen. Wir wissen, daß viele der alten Individualisten, die als Anhänger der Scheinliberalen Staatstheorie vom Nachtwächterstaat die Hauptverantwortlichen für die Entartung des Liberalismus gewesen sind, für unseren fortschrittlichen Liberalismus nicht mehr gewonnen werden können." Noch 1958 wurde ein Glückwunsch zu Dieckmanns 65. Geburtstag von der SED-Zeitung „Neuer Weg" zusammen mit der Abbildung eines Schneemenschen abgedruckt
Die Ablösung Dieckmanns mißlang, weil die Russen gerade an seinen gesamtdeutschen und Rapallo-Vorstellungen weiterhin Interesse hatten. Erst viel später, 1961, zollte zwangsläufig auch die SED ihm eine gewisse Anerkennung: „Dieckmann war kein Kommunist und ist kein Kommunist. Er war und ist ein hervorragender Vertreter und Politiker des liberalen deutschen Bürgertums, jenes Teils des deutschen Bürgertums, dem die wahren Interessen, eine friedliche Zukunft des deutschen Volkes am Herzen liegen." Trotzdem hatte sich der stellvertretende LDPD-Vorsitzende mit der SED nie wirklich ausgesöhnt. In einer testamentarischen Verfügung bestimmte er, daß der SED-Vertreter an seinem Grabe nicht länger als fünf Minuten reden dürfe.
Hermann Kastner. Das SED-System fast überwunden Eine ähnliche, für DDR-Verhältnisse unabhängige Rolle spielte Hermann Kastner. Er wurde 1949 zusammen mit dem später verhafteten Karl Hamann zum gleichberechtigten Vorsitzenden der LDPD gewählt. Aus dieser Position heraus wurde er stellvertretender Ministerpräsident der ersten DDR-Regierung. Nach der Flucht seines Sohnes in den Westen am 18. April 1950 wurde Kastner von der SED nahegelegt, sein Amt niederzulegen und die LDPD zu verlassen. Auf sowjetischen Druck mußte die LDPD jedoch wenig später Kastner wieder aufnehmen. Kastner war, wie sich später herausstellte, der hochrangigste Informant der „Organisation Gehlen" in der DDR. 1956 kam er in die Bundesrepublik. Spätestens seit Stalins Tod am 5. März 1953 wurde die alte Shukow-Semjonow-Linie zur offiziellen Regierungspolitik Moskaus. Semjo-now hatte schon vor Stalins Tod, als Kastner vier Wochen auf der Krim verbrachte, ein Drei-Tage-Treffen zwischen Stalin und Kastner arrangiert. Die Russen hatten ein Interesse daran, die DDR insgesamt attraktiver zu machen und einen gesamtdeutschen Kompromiß zu finden. „Ulbricht war nur noch formal Generalsekretär der Partei, faktisch war ihm die Führung bereits entzogen." Am 19. Juni 1953 wurde Kastner in Berlin von Semjonow aufgefordert, ihm als sowjetischem Hochkommissar geeignete Vorschläge zu einer populären Regierungspolitik zu unterbreiten. Einen Tag später schlug Kastner in einem Memorandum die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Richter, die Beseitigung des Einflusses der SED auf die Rechtsprechung, die Besetzung der wichtigsten Verwaltungsstellen ohne Rücksicht auf das Parteibuch und den Ausbau der Konsumgüterindustrie vor. Diesen Vorschlägen gegenüber war Semjonow aufgeschlossen. Kategorisch lehnte er jedoch die von Volkskammerpräsident Dieckmann mehrmals erhobene Forderung nach Neuwahlen ab. Kastner selbst hielt es nach seinen Gesprächen mit Semjonow für möglich, daß er Walter Ulbricht als stellvertretender Ministerpräsident ablösen könnte. Semjonow hatte, wie später verlautete, auch mit dem Gedanken gespielt, Hermann Kastner, den CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke oder den ehemaligen General der Wehrmacht und späteren Chef des Stabes der Kasernierten Volkspartei, Vincenz Müller (NDPD), zum Ministerpräsidenten ernennen zu lassen, überlegt wurde von den Russen auch, inwieweit der am 15. Januar 1953 verhaftete CDU-Außenminister der DDR, Georg Dertinger, und der zur gleichen Zeit inhaftierte ehemalige Vorsitzende der LDPD, Karl Hamann, in einem neuen Kabinett reaktiviert werden sollten
Die flexible Linie der sowjetischen Politik fand mit den Nachwirkungen des Juni-Auf-standes in der DDR ihr einstweiliges Ende, da der Aufstand dem harten Flügel in Moskau und Ost-Berlin Vorschub leistete. Vorsichtige Fühlungnahmen hatte es auch später noch gegeben. So sollte Kastner beispielsweise Mitte 1956 im Auftrage der Sowjets mit westdeutschen und anderen westlichen Politikern vertrauliche Gespräche über die Lösung der deutschen Frage führen. Ein Angebot der Sowjets war, die Herrschaft der SED in der DDR zur Disposition zu stellen und im Vorfeld ernsthafter Gespräche den nichtkommunistischen Parteien mehr Macht zu übertragen.
Otto Nuschke, CDU Otto Nuschke, der von 1948 bis 1957 nach der verordneten Ablösung von Kaiser und Lemmer den CDU-Vorsitz innehatte, war ein Mann des Konformismus in prinzipiellen und der Selbstbehauptung in einzelnen abgegrenzten Bereichen. Er wird heute oft als „Lehrer und Vater" der CDU gewürdigt. Ohne Einfluß auf die große Linie, versuchte er im Einzelfall mäßigend zu wirken, diesen oder jenen Menschen vor Verfolgung oder Zuchthaus zu bewahren und verschiedene Anordnungen der SED abzuschwächen. Er hat, wie Tulpanow 1975 in einem Rückblick feststellte, „die Auffassung vom Klassenkampf als einer geschichtlichen Gesetzmäßigkeit nicht geteilt"
Nuschke war von 1949 bis zu seinem Tode 1957 stellvertretender Ministerpräsident der DDR. Gleichzeitig hatte er von 1949 an das Amt für Kirchenfragen inne, von dem er 1956 durch den Kommunisten Eggerath abgelöst wurde. Nuschke war damit weitgehend entmachtet, denn er hatte sich um Ausgleich zwischen der SED und den Kirchen bemüht und nicht nur, soweit er es konnte, der Atheismus-Propaganda der SED die Schärfe genommen, sondern auch die Ausgliederung der theologischen Fakultäten aus den staatlichen Universitäten verhindert. Als er im Februar 1950 von der SED gestürzt werden sollte, wurde er von der Sowjetischen Militäradministration gehalten
Nuschke hatte insbesondere 1949 und in den darauf folgenden Jahren den Bestrebungen der SED eine aktive Neutralitätspolitik entgegenzusetzen versucht. Er plädierte außerdem dafür, daß an den gesamtdeutschen Bemühungen der verschiedenen Kräfte die „. Nationale Front'Schiffbruch erleiden" müsse. Gegenüber Professor Ulrich Noack, dem Vertreter des nationalneutralistischen Nauheimer Kreises in Westdeutschland, äußerte er sich jedoch skeptisch im selben Zusammenhang: „Ja, an unseren Bemühungen um die Einheit und Freiheit Deutschlands werden wir alle noch zugrunde gehen." Seine Motivation, trotz alledem in der DDR weiterzuwirken, hatte er schon 1948 in einer öffentlichen Rede deutlich gemacht: „Für die Deutschen in der Ost-zone gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder sie verüben Selbstmord oder sie flüchten in den Westen, oder sie versuchen mit der sowjetischen Besatzungsmacht zu einer Verständigung zu kommen."
Vincenz Müller, NDPD Vincenz Müller war von 1949 bis 1953 stellvertretender Vorsitzender der NDPD und später Generalstabschef der Nationalen Volksarmee. 1957 wurde er vom Dienst suspendiert, weil ihm vorgeworfen wurde, sich gegen Beschlüsse der SED über die führende Rolle der Partei in der Nationalen Volksarmee gestellt zu haben. Noch im Kaiserreich hatte er sich für den Offiziersberuf entschieden. Als junger Major war er in der Weimarer Republik Adjutant bei General von Schleicher geworden. Im Zweiten Weltkrieg wurde er 1943 zum Generalleutnant befördert und erhielt das Ritterkreuz. In der Gefangenschaft schloß er sich dem „Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD) und dem „Bund Deutscher Offiziere" an. Müller war Vertrauensmann der Sowjets. Er hielt zwischen 1950 und 1954 enge Kontakte zu seinen ehemaligen Wehrmachtskameraden, die später in der Bundeswehr hohe Positionen bekleideten.
Seine politische Konzeption bestand in einer deutschen Unabhängigkeit von Ost und West, die für ihn keine Ostorientierung bedeutete. Eine Neutralisierung ganz Deutschlands hielt Müller nur für begrenzt nötig. Gesprächspartner im Westen war Oberst Hermann Teske, der „mit Wissen der Behörde" den Kontakt zu Müller hielt und seine Vorschläge und politischen Konzeptionen in einem, wie es im Briefwechsel zwischen Müller und Teske nebulös heißt, „Familienrat" besprach, um das Ergebnis Müller anschließend wieder mitzuteilen. Zum „Familienrat" gehörten neben dem späteren Generalinspekteur der Bundeswehr General Heusinger auch der spätere Oberbefehlshaber im NATO-Kommando Europa-Mitte Speidel und die Generale von Sodenstern, Vieban, von Natzmer u. a. Die Kontakte, die sich fast ausschließlich um lie Frage der deutschen Einheit drehten, würfen nach 1954 nicht fortgesetzt. Die „Behörde"
n Westdeutschland drang auf einen Abbruch ler Kontakte, und auch im Osten schienen lie Weichen anders gestellt zu sein. Teske gelangte in Ost-Berlin nicht weiter als bis zu Heinrich Homann, der damals stellvertretender Vorsitzender der NDPD war. Die Konakte zwischen Oberst Teske und GeneralLeutnant Müller fanden vielfach im Hause der NDPD statt, wurden mitunter auch zusammen mit dem sowjetischen Oberst Alexandrow im Hauptquartier der Sowjets in Berlin-Karls-horst geführt
Müller setzte seine Kontakte später fort. Als Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung der DDR empfing er am 11. Juni 1955 und 20. Oktober 1956 den damaligen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU), um mit ihm über die Lösung der deutschen Frage zu sprechen. Hierbei spielte auch der Plan einer Konföderation beider deutscher Staaten, die zueinander etwa ein Verhältnis wie die Beneluxstaaten haben sollten, eine Rolle. Der Konföderationsplan soll von Schäffer ins Gespräch gebracht worden sein. Schäffer hatte in Ost-Berlin in Anschluß an sein Treffen mit Müller auch ein Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Puschkin
Alle Kontakte und gesamtdeutschen Bemühungen, die zwischen Politikern beider deutscher Staaten in einer gewissen „Grauzone" stattfanden, scheiterten schließlich. Vincenz Müller nahm sich am 12. Mai 1961 das Leben Die genauen Hintergründe sind unbekannt. Trotzdem oder gerade deshalb erhielt er in der DDR ein feierliches Staatsbegräbnis.
Spätfolge oder Neuanfang?
Die „Grauzonenkontakte" sind trotzdem nur teilweise abgerissen oder wurden später in anderer Besetzung wieder aufgenommen. Als „deutsche Patrioten in beiden deutschen Staaten" unterhielten sich 1980 in Ost-Berlin Bun-deswehrgeneral a. D. Heinz Karst und Offiziere der Nationalen Volksarmee, deren Kontakte von einem der stellvertretenden Verteidigungsminister der DDR gestützt wurden. Karst fuhr als Mitglied des „James-von-Moltke-Kreises", „der auch in der DDR Anhänger hat", nach Ost-Berlin und Potsdam. Gesprächsthema war, der deutschen Einheit näherzukommen
Nationale Bedeutung und internationale Kontakte Die Möglichkeiten und Chancen derartiger Kontakte sind heute sicher geringer, als sie es noch in den fünfziger Jahren waren. Das Regime war damals noch nicht so gefestigt wie heute, die Weisungsbefugnis der Sowjets größer und der Anteil der Vertreter der nichtkommunistischen Parteien in der Regierung der DDR höher. Von 14 Fachministern der ersten Regierung der DDR am 12. Oktober 1949 gehörten drei Minister der CDU, zwei der LDPD und je einer der NDPD und der DBD an. Von dreißig Fachministern der jetzigen DDR-Regierung sind 27 Mitglied der SED, während die CDU nur noch den Postminister, die LDPD den Justizminister und die Bauernpartei den Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft stellt. Die NDPD stellt keinen Fachminister mehr, wofür der dieser Partei angehörende Vorsitzende des Staatlichen Vertragsgerichts nominell ebenso wie die der CDU, LDPD und DBD angehörenden Fachminister zu stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats gemacht wurden. Im diplomatischen Dienst ist nur noch Ferdinand Graf von Thun und Hohenstein als Mitglied der NDPD vertreten. Er ist ständiger DDR-Vertreter bei der UNESCO in Paris. Im Unterschied zu früher sind jedoch alle Vorsitzenden der nichtkommunistischen Parteien als nominell stellvertretende Vorsitzende in dem wichtigen Machtorgan des Staatsrates der DDR vertreten.
Trotz des deutlichen Positionsverlustes der nichtkommunistischen Parteien, sollte der Einfluß einiger ihrer Repräsentanten nicht unterschätzt werden. Als stellvertretende Vorsitzende des Volkskammerausschusses für Nationale Verteidigung sind zum Beispiel der NDPD-Vorsitzende Heinrich Homann und der LDPD-Vorsitzende Manfred Gerlach zugleich Mitglieder des Nationalen Verteidi-gungsrates der DDR, der unter dem Vorsitz von Erich Honecker die volle Notstandskompetenz in seinen Händen hält. Die Namen der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates werden bis auf den Vorsitzenden in der DDR nicht veröffentlicht.
Die CDU definierte sich auf ihrem 15. Parteitag 1982 in Dresden „als eine Partei des Friedens" und hat eine im wesentlichen innenpolitische Bedeutung. Um in den Bereich der evangelischen Kirchen hineinzuwirken, arbeitet sie eng mit der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) zusammen, die 1958 in Prag gegründet wurde. Ihr Pendant für die katholische Seite ist die auf Initiative von Funktionären der CDU 1964 gegründete „Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten" (BK). Je stärker die Kirchen in der DDR ihren Spielraum erweitern, desto größere Bedeutung kann auch die CDU für sich in Anspruch nehmen.
Eine andersgeartete, wesentliche Bedeutung hat heute die LDPD. Sie sei zu „nuancierter Betrachtung bestimmter Sachfragen" imstande, erklärte der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Wolfgang Mischnick nach seinem Gespräch am 5. März 1984 mit Spitzenpolitikern der LDPD im Ost-Berliner Haus der Partei Wolfgang Mischnick war selbst bis 1948 Mitglied der LDPD und stellvertretender Landesvorsitzender Sachsens.
Die Kontakte zwischen beiden Parteien sind immer nur kurzfristig unterbrochen worden.
Während die Unionsparteien beider deutscher Staaten überhaupt keine Gespräche untereinander führen, und von der westdeutschen CDU nach wie vor jeder Kontakt abgelehnt wird, fanden Kontakte zwischen der FDP und der LDPD seit jeher auf den verschiedensten Ebenen statt. 1947 wurde zwischen allen vier Zonenparteien der Liberalen die „Demokratische Partei Deutschlands" mit ihrem Kontaktbüro’in Frankfurt a. M. gebildet. Gleichberechtigte Vorsitzende waren Theodor Heuss (West) und Wilhelm Külz (Ost). Zu Beginn des Jahres 1948 scheiterte jedoch der gesamtdeutsche Parteiversuch am Unwillen der westdeutschen Liberalen, weiterhin mit Wilhelm Külz, dem LDPD-Vorsitzenden, zusammenzuarbeiten und an der Ablehnung des Vorschlages von Johannes Dieckmann, sich nicht an der Bildung von deutschen Separatstaaten zu beteiligen. 1955 erschien eine LDPD-Delegation uneingelade zum 6. Bundesparteitag der FDP in Older bürg. Sie wurde nicht in den Saal gelassei Vom 4. bis 6. Oktober 1956 fanden dann i Weimar offizielle Gespräche statt. Die FD. wurde von Erich Mende, Walter Scheel unWolfgang Döring vertreten; seitens der LDPL nahmen Manfred Gerlach, Rudolf Agsten um Harald Werthmann an den Verhandlungen teil. Alle drei haben nach wie vor führende Positionen in der LDPD. Am 13. Januar 196: sprach Johannes Dieckmann auf Einladung des Liberalen Studentenbundes in Marbach bei Marburg, das heißt, er versuchte zu spre chen. Splitternde Fensterscheiben und Rufe wie „Hängt ihn auf" störten die Atmosphäre 1966 kam es dann wieder zu einem öffentlichen Podiumsgespräch zwischen Vertretern beider Parteien, 1973 zu einem Treffen zwischen Wolfgang Mischnick und Manfred Gerlach und nach Aufgabe der rigorosen Abgrenzungspolitik der DDR gegenüber der Bundesrepublik zu einer offiziellen Einladung an die FDP, am 12. LDPD-Parteitag 1982 in Weimar teilzunehmen. Die FDP nahm diese Einladung an. Kurz darauf traf sich Hans-Dietrich Genscher (FDP), der selbst bis 1952 der LDPD angehörte, mit Manfred Gerlach in Halle.
Bei den jüngsten Treffen in Ost-Berlin wurde die LDPD zur Teilnahme am nächsten Bundesparteitag der FDP sowie zu Gesprächen mit der FDP-Führung nach Bonn eingeladen. Ziel der neuen Kontakte ist es u. a., einen Rahmen zu vereinbaren, in dem die mittleren und kleinen Betriebe beider deutscher Staaten in eine wirtschaftliche Kooperation einbezogen werden können. Es ist das Bestreben der SED-wie der LDPD-Führung, die mittleren und kleinen Betriebe der DDR leistungsstärker zu machen.
Wie ambivalent die SED den nationalen und internationalen Kontakten der LDPD gegenübersteht, zeigt, daß zur „II. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa der Europäischen Zentrums-, Liberalen-und Agrarparteien" vom 14. bis 16. Oktober 1983 in Finnland aus der DDR lediglich die DBD entsandt wurde, obwohl mehrere Kontaktpartner der LDPD, so die Liberale Volkspartei Finnlands, die Demokratische Partei Polens und die westdeutsche FDP, Teilnehmer der Konferenz waren
Die Bauernpartei, deren innenpolitische Bedeutung sich, wie schon beschrieben, auf höchstens eine politische Standesvertretung beschränkt, unterhält keine innerdeutschen, dafür aber einige internationale Kontakte mit der Zentrumspartei Finnlands (vormals Agrarunion), der Bauernpartei Griechenlands (AKE), dem Bauernverband Zyperns, dem Nationalen Italienischen Bauernverband sowie Agrarvereinigungen in Österreich, Japan, Schweden, Norwegen, Belgien und Dänemark. Hinzu kommen die Fortschrittspartei Islands, die Radikale Venstre Dänemarks, der Alläthiopische Bauernverband sowie der Verband der Kleinbauern Kubas. Zwei dieser Parteien, die isländische und die dänische, sind Mitglieder der Liberalen Internationale. Die Zentrumspartei Finnlands hat dort einen Beobachterstatus. Als befreundete Parteien werden die Bulgarische Bauernpartei und die Vereinigte Polnische Bauernpartei bezeichnet. In einer gemeinsamen Erklärung nahmen sie 1982 zur Sicherheitslage in Europa Stellung, die die Haltung der führenden Parteien ihrer Staaten unterstrich. Die Kontakte der DBD als verlängerter Arm der SED in den Agrarbereich machen deutlich, daß die nationalen und auch internationalen Kontakte der LDPD unterlaufen werden sollten. Wenig später zog deshalb die LDPD nach. Am 18. Mai 1983 wurde eine umfangreiche Erklärung der LDPD, der Demokratischen Partei Polens und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Partei — alle drei auch Kontaktpartner der FDP — aus der polnischen Hauptstadt veröffentlicht. Anschließend wurde eine internationale Pressekonferenz gegeben, auf der Manfred Gerlach auf eine Frage des „Morgen" die Verbindungen der LDPD mit der Liberalen Volkspartei Finnlands, der rechtsliberalen Italienischen Liberalen Partei (PLI), zu den Niederländischen linksliberalen „Democraten ’ 66", zu den belgischen Liberalen, zur französischen „Bewegung der Radikalen Linken", zur Liberalen Partei Kolumbiens und zu den Liberalen Partei Großbritanniens betonte Im Februar 1984 besuchte Gerlach dann seine Kontakt-partner in den Niederlanden und Frankreich. Eine Zusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) wurde im März 1984 vereinbart. Von den Kontaktpartnern der LDPD sind sechs von acht westlichen Parteien Mitglied der Liberalen Internationale.
Die CDU unterhält ihrer innenpolitischen DDR-Funktion entsprechend Kontakte nur in den innerkirchlichen Bereich. Die NDPD hatte zwar Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre erfolglos versucht, mit Parteien und Institutionen in der Bundesrepublik Kontakt aufzunehmen. Heute hat sie weder nationale noch internationale Gesprächspartner außerhalb der Grenzen der DDR. Je stärker sich gegenwärtig die innerdeutschen Kontakte gestalten und je mehr sie mit Perspektiven ausgestattet werden, desto größer wird die Bedeutung von LDPD und CDU. Wie schon dargelegt, hat auch die Sowjetunion ihr Interesse an diesen Parteien keineswegs verloren.
Politische Machtlosigkeit und Profilbildung Die Mehrzahl der nichtkommunistischen Parteien ist durch ihre anpassungsbereite und auf allen Parteitagen sowie sonstigen Veranstaltungen öffentlich bekundete Musterhaftigkeit für die SED zu einem Problem geworden. Es gibt keine öffentlichen Auseinandersetzungen mehr, wie sie noch Anfang der fünfziger Jahre stattfanden. Und es gibt auch keine öffentlichen Erklärungen von Politikern mehr, wie sie bis weit in die fünfziger Jahre hinein von einigen nichtkommunistischen Politikern der DDR bei ihren Gesprächen mit westdeutschen Politikern und Kirchenvertretern außerhalb der DDR abgegeben wurden. Insbesondere die CDU und die LDPD versuchen zu stärkeren Partnern der SED zu werden, indem sie ihre Mitsprache in allen gesellschaftlichen Bereichen betonen und eine Mitwirkung auch im diplomatischen Dienst der DDR fordern. Zugleich haben sie sich unter dem Dach der öffentlich-politischen Gleichförmigkeit einen weiten Bereich der politisch-kulturellen Unabhängigkeit gesichert. Ihre weitgehende politische Machtlosigkeit haben sie durch politisch-kulturelle Profilbildung zu kompensieren versucht. Die Denktraditionen des christlichen, liberalen und auch — soweit es die NDPD betrifft — nationalen Bürgertums, die sie als Transmissionsriemen der SED aufzunehmen hatten, haben die Parteien zu einem weiten Betätigungsfeld ausgebaut.
Wolfgang Mleczkowski, Dipl. -Historiker, geb. 1943; Studium der Geschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität und dem evangelischen Sprachenkonvikt in Ost-Berlin; Mitglied der LDPD; Mitarbeiter an der Deutschen Akademie der Wissenschaften; 1976 Übersiedlung nach West-Berlin; Landesgeschäftsführer des Kuratoriums Unteilbares Deutschland. Zeitschriften-Veröffentlichungen u. a.: Studien über Staatsbewußtsein und Widerstand in der DDR, 1978; Der neue Moralismus — Zur politisch-geistigen Alternative in der DDR, 1979; Grenzprobleme regimekritischen Denkens, 1979; Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, 1980; In Search of the Forbidden Nation; Opposition by the Young Generation in the GDR, 1983.
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