Look again: It's the West that's strong, Moscow that's weak!
Lord Carrington, ehern, britischer Außenminister
I. Einleitung
Die Angst vor einem Dritten Weltkrieg und der nuklearen Vernichtung ist in Europa in den letzten Jahren zu einem dominierenden Thema geworden. Verständlicherweise ist diese Diskussion ganz auf die für die Europäer unmittelbar wahrnehmbare Auf-bzw. Nachrüstungsfrage konzentriert. Kriege brechen aber nicht allein durch Rüstung aus, sondern durch ein kompliziertes Zusammenwirken von Rüstungsverhalten und mangelnder Konfliktkontrolle bzw. falschem Umgang mit Konflikten. Carl Friedrich von Weizsäcker, seit Jahren einer der eindringlichsten Warner vor der Gefahr eines Atomkrieges, hat kürzlich ausgeführt, daß angesichts des „Hegemoniekonflikts zwischen Amerika und Rußland" das „wachsende Konfliktpotential der Dritten Welt" einer der Hauptgründe seiner großen Besorgnis über den Ausbruch eines Atom-krieges sei
Ausgelöst durch tiefgreifende sozio-kulturelle Modernisierungskrisen (Iran) und massive ökonomische Notlagen, werden gewaltsame Umstürze und andere Formen der politischen Instabilität auch in diesem Jahrzehnt ein beherrschendes Element der Politik in verschiedenen Teilen der Dritten Welt sein. Zahlreiche Länder Schwarzafrikas, über zwanzig an der Zahl, befinden sich hinsichtlich ihrer Nahrungsmittelversorgung in einer dramatischen Lage, deren Auswirkungen auf die Stabilität ihrer politischen Systeme sich gegenwärtig nur schwer abschätzen lassen. Ganz generell wird die Unruhe, die die Dritte Welt in den zurückliegenden Jahren gekennzeichnet und dort zu über 100 Kriegen seit 1945 geführt hat, eher zu-als abnehmen. Das bedeutet global-politisch natürlich ein großes Element der Unsicherheit. (Die Tatsache, daß fast alle Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg in der Dritten Welt geführt wurden, bedeutet nicht, daß die Entwicklungsländer die ausschließlich Verantwortlichen für diese Kriege waren
Europa steht also, verkürzt ausgedrückt, in der Gefahr, Opfer einer nuklearen Auseinandersetzung zu werden, die ihren Anlaß nicht in einem europäischen Konflikt hat. Um das zu verhindern, muß die Frage des Umgangs mit den Konflikten der Dritten Welt daher heute neben der Rüstungsfrage in den sicherheitspolitischen Untersuchungen in den Vordergrund gestellt werden. Sowohl in der Friedensbewegung als auch bei einigen Militär-strategen ist dieser Zusammenhang zu sehr aus dem Blickfeld geraten.
Konflikte sind vor allem dann schwer zu kontrollieren, wenn sie von der einen oder anderen Seite als unmittelbare Bedrohung für lebenswichtige Interessen begriffen werden. Der Zwang, schnell zu reagieren, nimmt zu und damit die Gefahr von Fehlverhalten und Überreaktionen, die den Konflikt eskalieren und außer Kontrolle geraten lassen. Aufgrund des ideologisch prinzipiell antagonistisch definierten Beziehungsverhältnisses besteht im Ost-West-Verhältnis zudem ein Klima, das Überreaktionen begünstigt.
Die Frage, ob sich ein Land und seine Regierung bedroht fühlt, ist — wie jeder Sicherheitspolitiker weiß — in wesentlichen Teilen eine Frage der Wahrnehmung. Wissenschaftliche Analysen haben belegt, in welchem Maße diese von subjektiven und auch irrationalen Faktoren beeinflußt wird Nur in zweiter Linie ist das Gefühl der Bedrohung zumeist Folge einer differenzierten Analyse der Wirklichkeit. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Wahrnehmung der Gefährdung westlicher Interessen in der Dritten Welt. Denn den meisten Menschen und Politikern in der westlichen Welt ist, wie übrigens ähnlich in den Ostblockstaaten, die sogenannte Dritte Welt eine in ihren sozialen und politischen Zusammenhängen nach wie vor ziemlich unbegreifliche Welt. Zwar sind Konflikte und Gewalt in den Entwicklungsländern ein beliebtes Medienthema. In den Nachrichten des Fernsehens verkürzen sie sich aber recht häufig zu einem mit Faszination und Abscheu gleichermaßen angeschauten einseitigen Konglomerat von Instabilitäten, Putschen, Krisen und Kriegen, das auf den mit dem Alltag in den Entwicklungsländern nicht vertrauten Bürger nur bedrohlich wirken kann. Zweifellos trägt die sowjetische Politik durch ihre weltrevolutionäre Propaganda und ihre geringe Transparenz im Hinblick auf die Entscheidungsprozesse im Kreml nachhaltig dazu bei, daß man über ihre längerfristigen Absichten nur das Schlimmste befürchten kann. Angebliche Äußerungen Lenins, daß der Weg nach Europa über Afrika führe, und Prahlereien Chuschtschows „to bury the West" in der Dritten Welt spielen heute in vielen westlichen Abhandlungen über die Gefährlichkeit des sowjetischen Vorgehens eine prominente Rolle.
Die erste Voraussetzung für eine vernünftige Friedens-und Sicherheitspolitik der westlichen Staaten in der Dritten Welt ist daher, auf eine differenzierte Wahrnehmung der Bedrohung westlicher Interessen durch sowjetische Aktivitäten in den Entwicklungsländern hinzuarbeiten. Dazu soll nachfolgend am Beispiel Afrikas ein Beitrag geleistet werden. Bedrohung der Kap-Route, Unterbrechung der Rohstoffversorgung, Einordnung Angolas, Äthiopiens und Mozambiques als Satelliten des Ostblocks sind immer wieder zu hörende Stichworte einer undifferenzierten Bedrohungswahrnehmung. Denn tatsächlich gibt es auch zu Anfang der achtziger Jahre, nach fast drei Jahrzehnten sowjetischer Afrika-Politik, keine ernsthafte Bedrohung lebenswichtiger westlicher Interessen in diesem Teil der Welt durch die Sowjetunion und ihre Verbündeten. Die Sowjetunion befindet sich vielmehr in einer defensiven Phase und muß um ihre in früheren Jahren gewonnenen Positionen sogar fürchten. Zu dieser nüchternen Einschätzung der Erfolgschancen sowjetischer Einflußsuche in Afrika ist nicht nur kürzlich eine umfangreiche deutschsprachige Untersuchung gelangt sondern auch in verschiedenen amerikanischen Veröffentlichungen der letzten Jahre ist eine derartige Einschätzung nachzulesen
Nachfolgend wird ausgeführt, wie es zu dieser nüchternen, von der Politik der Regierung des einen oder anderen westlichen Landes abweichenden Einschätzung kommt. Sie beruht nicht darauf, wie von Experten aus dem militärstrategischen Bereich häufig vermutet oder behauptet wird, daß die expansiven Neigungen des sowjetischen Systems übersehen werden. Diese sind in der Tat vorhanden, modifizieren sich in der Praxis aber beträchtlich. Gerade in der sowjetischen Afrikapolitik besteht eine gewaltige Kluft zwischen den vom System postulierten ideologischen Zielen und der Fähigkeit, sie erfolgreich umzusetzen. Nach 30 Jahren des sowjetischen Engagements steht heute fest, daß die sozio-ökonomischen Bedingungen in den Ländern Afrikas und die Realitäten der Weltwirtschaft eine äußerst wirksame Barriere gegen einen umfassenden, hegemonialen Einfluß der Sowjetunion in Afrika darstellen. Ihre sicherheitspolitische Bedeutung wird, sei es aus Unkenntnis oder aufgrund eines professionell deformierten Denkens, in den meisten militärstrategischen Abhandlungen übersehen, die die Dritte Welt recht unbefangen als ein unbegrenztes Feld für sowjetische „power projection" sehen
II. Keine direkten militärischen Eingriffsmöglichkeiten zur Absicherung des ideologischen Expansionsanspruchs
Das militärische Vorgehen der Sowjetunion in Ost-Berlin 1953, Ungarn 1956, der CSSR 1968 sowie in Afghanistan im Dezember 1979 hat deutlich gemacht, daß die Möglichkeit zu einem direkten militärischen Eingreifen Voraussetzung dafür ist, daß Länder mit einem sozialistischen Weg auf Dauer im Machtbereich der Sowjetunion verbleiben. Die militärischen Rahmenbedingungen sind also entscheidend für die Durchsetzung des in der Doktrin vom „sozialistischen Internationalismus“ (sog. Breschnew-Doktrin) theoretisch definierten Hegemonieanspruchs. Mit Blick auf Afrika sind diese Rahmenbedingungen für die Sowjetunion aber ungünstig. Die große Entfernung von den Heimatbasen und die militärische Überlegenheit der westlichen Länder (insbesondere der USA und Frankreichs) an den Küsten Afrikas und Arabiens bedingen, daß die für den Einsatz und Nachschub der östlichen Truppen lebenswichtigen See-und Luftverbindungen äußerst unsicher sind und jederzeit unterbrochen werden können, ganz anders als es beim sowjetischen Einmarsch in Afghanistan der Fall war. Außerdem wäre der Einsatz östlicher Truppen davon abhängig, daß verschiedene blockfreie Länder den sowjetischen Transporten auf dem Weg nach Afrika Passage-, Überflug-und Zwischenlanderecht gewähren. Die Bereitschaft dazu dürfte, anders als seinerzeit bei dem Vorgehen in Angola und Äthiopien, gering sein. Denn die militärische Disziplinierung eines afrikanischen Landes ähnlich wie die Afghanistans stieße auf die entschiedene Ablehnung der großen Mehrheit der blockfreien Länder.
Angesichts dieser Situation wäre ein Vorgehen gegen afrikanische Länder nach dem Vorbild in Osteuropa und Afghanistan mit Risiken belastet, die aus der Sicht der sowjetischen Führung im Verhältnis zu der begrenzten Bedeutung, die Afrika global-politisch für sie hat viel zu groß sind. Adomeit hat in einer umfassenden Studie kürzlich nachge-wiesen, daß es ein Grundmuster sowjetischer Außenpolitik ist, Expansion nur bei relativ gut kalkulierbaren Risiken zu betreiben Und die gegenwärtig in Afrika stationierten kubanischen Truppen dürften mit einiger Sicherheit nicht ausreichen, um Länder wie Angola oder Äthiopien ähnlich wie Afghanistan militärisch zu disziplinieren — abgesehen von der Frage, ob Fidel Castro bereit wäre, kubanische Soldaten zu diesem Zweck einzusetzen. Geschützt also durch die große Entfernung von der Sowjetunion und daher der Notwendigkeit zu umständlichem Luft-und Seetransport, vollziehen sich sozialistische Entwicklungen in Afrika unter völlig anderen machtpolitischen Rahmenbedingungen als bei den Anrainern der Sowjetunion, insbesondere in den osteuropäischen Staaten. Der Spielraum für eigenständige politische und ideologische Entwicklungen ist dementsprechend relativ groß, mit der Folge, daß Thesen und Doktrinen des orthodoxen Marxismus-Leninismus einem ungleich härteren Test hinsichtlich ihrer gesellschaftspolitischen Effizienz und Akzeptanz ausgesetzt sind als im Ostblock. Werden sie diesen Realitäten nicht gerecht, kann dieses Versagen nicht durch den Einsatz der Roten Armee kaschiert werden. Das haben die sowjetischen Politiker bei dem Sturz Nkrumahs in Ghana 1966 sowie später in Ägypten, dem Sudan, in Mali, Somalia und Guinea auf schmerzliche Weise erfahren müssen. Um Niederlagen nicht als solche erscheinen zu lassen, ist östlichen Ideologen häufig nur eine Anpassung sowjetischer Doktrinen an die Realitäten in den Entwicklungsländern geblieben. Das ist auch im großen Umfang geschehen, wie die amerikanische Sowjetunion-Expertin Kridl-Valkenier in einem Buch kürzlich dargestellt hat
III. Ungünstige sozio-ökonomische Bedingungen für die ideologische Expansion
Die öffentliche Auseinandersetzung über den Ost-West-Konflikt in Afrika spielt sich in relativ undifferenzierten Argumentationsmustern ab. Propagandistische Äußerungen des sozialistischen Lagers, etwa, daß „der Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab unvermeidlich" sei oder daß sich „das internationale Kräfte-verhältnis stetig zugunsten des sozialistischen Lagers verschiebe", finden weit mehr Aufmerksamkeit als differenzierte Feststellungen östlicher Experten über die Schwierigkeiten des Sozialismus in der Dritten Welt. Diese Experten haben aber Einfluß auf das praktische Vorgehen der Sowjetunion bzw. spiegeln das Denken wider, das hinter diesem Vorgehen steht. Einige von ihnen, wie R. A.
Uljanovskij, stellvertretender Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, sitzen an für Planung und Durchführung der sowjetischen Afrikapolitik maßgeblichen Stellen. Direktor des Moskauer Afrikainstituts ist A. Gromyko, ein Sohn des sowjetischen Außenministers. überwiegend zeichnen sich die Abhandlungen sowjetischer Afrikanisten durch eine erstaunliche Skepsis hinsichtlich der Erfolgschancen des Marxismus-Leninismus in den Entwicklungsländern aus, sieht man einmal von den für östliche Abhandlungen typischen und aus ideologischen Gründen obligatorischen optimistischen Eingangs-und Schlußsätzen über den Sieg der Weltrevolution ab. Führende DDR-Autoren haben sich dieser Skepsis, wenn auch mit einiger Verzögerung, angeschlossen Sie ist die Folge der erwähnten Rückschläge in Afrika in den sechziger und siebziger Jahren und einer intimen Kenntnis der schwierigen sozio-ökonomischen Bedingungen in den Entwicklungsländern, über die heute die meisten östlichen Experten verfügen. Es war der erwähnte Ul'janovskij, der 1977 an die Adresse seiner Kollegen und an die Adresse von Marxisten-Leninisten in der Dritten Welt mahnend schrieb: „Der Punkt ist jedoch, daß es Tendenzen zur Überbewertung sozialistischer Bestrebungen in einigen Ländern der Dritten Welt gibt, eine unkritische Einstellung zu den widersprüchlichen Erscheinungen und Prozessen in diesen Ländern sowie einen naiven historischen Optimismus." Ihm fügte A. Gromyko 1979 — also nach den sowjetischen Positionsgewinnen in Mozambique, Angola und Äthiopien — hinzu, daß „die sozialen und ökonomischen Reformen in Algerien, der VR Kongo, Guinea, Tansania, Angola, Mozambique, Benin, Madagaskar nicht unter der Diktatur der Arbeiterklasse und der Führung marxistisch-leninistischer Parteien durchgeführt" werden Alle sowjetischen Dritte-Welt-Autoren sind sich daher auch darin einig, daß es in diesen Ländern — im Gegensatz zu den osteuropäischen — noch keine „Unumkehrbarkeit" der revolutionären Prozesse gibt. Das bedeutet im Klartext, daß die „Breschnew-Doktrin" für diese Länder keine Gültigkeit hat. Die Sowjetunion wird ihre Positionen in Afrika zwar verteidigen, aber nicht mit allen Mitteln. Sie hat dies im übrigen auch in den Präambeln zu den Verträgen über Freundschaft und Zusammenarbeit mit Angola (Oktober 1976), Mozambique (März 1977), Äthiopien (November 1978) und der VR Kongo (Mai 1981) indirekt zum Ausdruck gebracht. Auf Formulierungen, die im Sinne der Breschnew-Doktrin interpretiert werden und damit die Sowjetunion unter Umständen zu einem militärischen Eingreifen verpflichten könnten, wurde verzichtet Aus der Sicht orthodoxer Marxisten-Leninisten liegt das entscheidende Hindernis für die Durchsetzung eines genuinen Sozialismus in den afrikanischen Ländern auf der Hand. Sie haben bisher noch keine oder nur eine geringe kapitalistische Entwicklung und Industrialisierung durchgemacht. Das Proletariat ist dementsprechend zahlenmäßig gering und weist in seiner Zusammensetzung ideologisch schwer einzuordnende Besonderheiten auf (z. B. das in Afrika weit verbreitete Wanderarbeitertum). Als politische Basis für revolutionäre Regime spielt es, anders als bei der Oktoberrevolution in der Sowjetunion, jedenfalls keine bedeutende Rolle. Ausschlaggebend sind aus sowjetischer Sicht vielmehr nicht-proletarische Gruppen, wie insbesondere die Bauernschaft und die sogenannten Zwischenschichten (Intelligenz, selbständige Handwerker, Kleinhändler und Gewerbetreibende), die bedingen, daß bestimmte Regime zwar als „revolutionär" eingestuft werden können, aber nicht in einem „proletarischen" und damit genuin sozialistischen Sinne. Für diese Regime hat die östliche Terminologie den Begriff der „sozialistischen Orientierung" eingeführt. Das Wort „Orientierung" markiert dabei eine politisch und ideologisch ganz entscheidende Trennungslinie zwischen der gesellschaftspolitischen Qualität der revolutionären Regime im Ostblock und der in der Dritten Welt (Ausnahme in dieser Hinsicht: Kuba, Vietnam, Laos), die von westlichen Journalisten und Politikern gerne übersehen wird.
Uljanovskij schreibt dazu: „In den in der Literatur anzutreffenden Vorstellungen von der sozialistischen Orientierung wird diese mitunter dem Sozialismus gleichgesetzt. Das ist eine voreilige Schlußfolgerung, die zur Idealisierung der nationalen Demokratie, zum übersehen ihrer inneren Widersprüchlichkeit, zur unkritischen Haltung gegenüber pseudo-revolutionären Phrasen sowie zum Verwischen der Grenze zwischen dem subjektiv interpretierten und dem wissenschaftlichen Sozialismus führt."
Der skandinavische Afrikaforscher A. Aaby hat den Grundwiderspruch zwischen der Entwicklungsproblematik schwarzafrikanischer Länder und dem Marxismus-Leninismus sowjetischer Provenienz auf eine einfache Frage reduziert Ist es sinnvoll, daß sich afrikanische Regime auf eine revolutionäre Ideologie stützen, die von dem Vorhandensein eines umfangreichen Industrieproletariats ausgeht, obwohl die Masse ihrer Bevölkerung (80% und mehr in Mozambique, Angola, Äthiopien und den meisten sozialistisch-orientierten Ländern Afrikas) dem ländlichen Sektor zuzurechnen ist? Wie sollen, so ist ergänzend zu fragen, auf der Basis einer industriell-proletarisch und damit letztlich urban ausgerichteten Ideologie die für den ländlichen Bereich notwendigen Struktur-und Bewußtseinsveränderungen herbeigeführt werden? Diese grundlegende Frage wird von afrikanischen Marxisten natürlich keineswegs ausgeblendet. Vielmehr ist ein wichtiger Punkt ihrer Diskussion, wie die vorwiegend agrarischen Strukturen afrikanischer Länder unter revolutionären Gesichtspunkten einzuschätzen sind.
Die Antworten fallen bis heute recht unterschiedlich aus. Jedoch teilen bei weitem nicht alle Autoren die sowjetische Auffassung, nach der die Übernahme staatskollektivistischer Modelle auch für die afrikanischen Länder letztlich der richtige Weg zur Lösung ihrer Agrarprobleme sei. Im allgemeinen hat sich bei afrikanischen und anderen Dritte-Welt-Marxisten eine recht kritische, zumindest aber distanzierte Haltung gegenüber den Vorstellungen der Sowjetunion durchgesetzt. Auf die Einzelheiten ihrer Diskussion kann an dieser Stelle zwar nicht eingegangen werden, hervorzuheben ist aber, daß der Marxismus von ihnen in erster Linie als eine Methode zur analytischen Durchdringung der polit-ökonomischen Möglichkeiten von Entwicklungsländern betrachtet wird und weniger als ein verbindliches gesellschaftspolitisches Modell.
Die Regime Angolas, Mozambiques, Äthiopiens, der VR Kongo und Benins, die im Gegensatz zu den afro-sozialistischen Orientierungen in Tansania, Sambia etc.den klassen-kämpferischen Marxismus-Leninismus zu der für sie gültigen Ideologie erklärt haben, räumten — beeinflußt von dieser Diskussion — der Entwicklung der Landwirtschaft oberste Priorität ein. Wie für alle schwarzafrikanischen Länder ist für sie die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität zur vordringlichsten aller Aufgaben geworden. Entsprechend ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Ostblock haben dabei östliche Modelle, also vor allem Modelle direkter staatlicher Lenkung, am Anfang eine große Rolle gespielt. In Mozambique wurden Staatsfarmen von der FRE-LIMO-Führung 1977 als „höchste Form der ökonomischen Organisation in der Landwirtschaft", dann aber schon 1980 von einigen Politikern als Fehlschlag bezeichnet. Der Anteil der Staatsfarmen an der gesamten landwirtschaftlichen Produktion Mozambiques soll 1980 nur schätzungsweise 15% betragen haben. Konsequenterweise wurden sie daher in dem Entwurf der „Thesen für den 4. Kongreß der FRELIMO-Partei" (April 1983) nur noch als eine unter vier landwirtschaftlichen Produktionsformen genannt. Um die Produktivität der mozambiquanischen Landwirtschaft zu steigern, legte die Führung Mozambiques nun ganz eindeutig Gewicht auf die Entwicklung von und ländlichen Ko „Dorfgemeinschaften -operativen" In Angola verlief die Entwick-lung ähnlich. Große Teile der erwerbswirtschaftlichen landwirtschaftlichen Betriebe befinden sich heute zwar in staatlicher Hand (ca. 512 000 ha) oder sind in Genossenschaften (ca. 60 000 ha) organisiert. Aber schon 1978 wurde von der MPLA-Führung Zurückhaltung bei der Kollektivierung empfohlen, da sie auf Widerstand in der Bevölkerung stieß. Und 1980 wurde angesichts der immer weiter abfallenden Produktivität der angolanischen Landwirtschaft angekündigt, daß das private Element durch größere Anreize des Staates wieder zu intensiverer Produktion stimuliert werden sollte.
In Mozambique und Angola, aber auch Äthiopien, deutete sich damit zu Beginn der achtziger Jahre ein Verlauf an, wie er sich in Mali, der VR Kongo und Benin schon früher erkennen ließ. Nach einigen Jahren des Experimentierens mit staatskollektivistischen Modellen werden von den revolutionären Regimen nicht-staatlich gelenkte Produktionsformen wieder stärker betont, da die östlichen Modelle, obwohl für einige Bereiche durchaus nützlich, nicht zu der erhofften Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität auf breiter Basis führen. „Die Produktion auf den meisten Farmen sank auf die Hälfte des vor-revolutionären Trends", schrieb 1981 selbst ein sowjetischer Autor über die Erfolgsbilanz der etwa 50 Staatsfarmen in Äthiopien
Die Ernüchterung über östliche Modelle im landwirtschaftlichen Bereich — verstärkt durch die auch in Afrika nicht unbemerkt gebliebenen Schwierigkeiten der sowjetischen Landwirtschaft — hat, politisch gesehen, weitreichende Folgen: Die von der Sowjetunion angebotene Ideologie und ihre Konzepte versagen nicht nur in einem Teilbereich, sondern auf dem für die ökonomische Entwicklung dieser Länder und die Stabilität ihrer Regime wichtigsten Gebiet. Zwar ist bekannt, daß die sowjetische Führung heute revolutionäre Regime in der Dritten Welt davor warnt, traditionelle Strukturen gerade im ländlichen Bereich überhastet zu zerschlagen, weil das zu gravierenden Rückschlägen geführt hat. Als Gradmesser für die Fortschritte bei der Implementierung östlicher Modellvorstellungen jedoch ist die Errichtung von Staatsfarmen für die sowjetische Führung nach wie vor von großer Bedeutung.
Aber nicht nur im agrarischen Bereich stößt die sowjetische Einflußsuche auf grundlegende Probleme. Die große Rolle, die das inländische und ausländische private Kapital und Unternehmertum nach wie vor in den Entwicklungsländern spielen, hat sich als ein weiteres Hindernis erwiesen, das zu beseitigen der Kreml-Führung allergrößte Schwierigkeiten bereitet. Schon in den sechziger Jahren wurde den Führern sozialistisch-orientierter Entwicklungsländer wie Ägypten, Algerien, Guinea etc. von der Sowjetunion bedeutet, daß sie nicht damit rechnen könnten, ihre Bedürfnisse an Kapitalien, Ausrüstungen und technischer Hilfe allein bei den sozialistischen Staaten zu befriedigen, sondern einen bedeutenden Teil aus den imperialistischen Staaten decken müßten. Es „besteht ein objektiver Bedarf an ausländischem, darunter privatem Kapital", schrieb ein sowjetischer Autor Dementsprechend kam es gerade in dieser Frage zu einem kontinuierlichen Abbau der ursprünglich gehegten „anti-imperialistischen" und -anti-kapitalistischen" sowjetischen Vorstellungen. Privates Kapital und marktwirtschaftliche Elemente werden in verschiedenen sowjetischen Abhandlungen sogar bereits als ein nützlicher Bestandteil der Volkswirtschaften der Entwicklungsländer bezeichnet und eine „friedliche Koexistenz" zwischen staatlichem und privatem Sektor empfohlen 19). Sowjetische Experten haben sich damit weitgehend den Thesen von Entwicklungsexperten aus der Dritten Welt und den westlichen Ländern angeschlossen, die eine „mixed economy" für den erfolgversprechendsten Weg halten, um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern zu bewältigen.
IV. Weiterhin wirtschaftliche Vormachtstellung der westlichen Industriestaaten
Dramatische Aussagen über das Ausmaß der von den östlichen Aktivitäten ausgehenden Bedrohung sind häufig auf eine methodisch bedingte Verzerrung der Optik zurückzuführen. Da die Aktivitäten anderer außer-afrikanischer Mächte nicht Untersuchungsgegenstand sind und deswegen gar nicht oder nur unzureichend behandelt werden, erscheinen die von den östlichen Aktivitäten ausgehenden Gefahren übergroß. Ausgeblendet werden insbesondere die westlichen Industriestaaten mit ihren vielfältigen Formen der Präsenz und ihrem großen Potential, auf die Entwicklungen in Afrika Einfluß zu nehmen. Allein die Einflußmöglichkeiten Frankreichs dürften die der Sowjetunion übertreffen. So nahmen z. B. an dem im Oktober 1982 in Kinshasa (Zaire) abgehaltenen franko-afrikanischen Gipfeltreffen 37 afrikanische Länder teil. Unter ihnen befanden sich als Vollmitglieder oder Beobachter außer Äthiopien und Guinea alle sozialistisch-orientierten Länder Schwarzafrikas, einschließlich Angolas und Mozambiques. Auf dem ersten franko-afrikanischen Gipfeltreffen in Paris im November 1973 waren es nur zehn Länder. Verbessert hat sich in den letzten Jahren auch kontinuierlich das Verhältnis Angolas und Mozambiques zur früheren Kolonialmacht Portugal. Lissabon strebt an, durch eine intensive Zusammenarbeit mit seinen ehemaligen Kolonien weltpolitisch wieder eine bedeutsamere Rolle zu spielen. Diese Bemühungen sind nicht ohne Erfolg, wie die gegenwärtige Vermittlerrolle Portugals im südlichen Afrika zeigt.
Auf der Ebene des militärischen Kräfteverhältnisses ist die Lage ähnlich. Allein die Zahl der französischen Flotteneinheiten an den Küsten Afrikas entspricht fast der der sowjetischen. Zusammen mit den amerikanischen und britischen übertrifft das westliche Flottenkontingent das sowjetische sogar um mehr als das Doppelte. Die französische Präsenz, und damit — zumindestens im Krisenfall — auch die der übrigen westlichen Einheiten, ist abgesichert durch verschiedene gut ausgebaute Stützpunkte, wie sie den sowjetischen Kriegsschiffen nicht in annähernder Quantität und Qualität zur Verfügung stehen Die amerikanischen Einheiten verfügen außerdem über Abstützungsmöglichkeiten in So-malia und Kenia. Schließlich sind die Aktivitäten von Staaten wie der VR China, Indien, Brasilien, Japan und verschiedenen arabischen OPEC-Ländern in Rechnung zu stellen, die sich zwar nicht dem westlichen Lager zugehörig fühlen, aber einer nachhaltigen Ausweitung des sowjetischen Einflusses in der Dritten Welt ebenfalls ablehnend gegenüberstehen.
Die für die Politik der westlichen Industriestaaten so wichtige ökonomische Stärke (sie kann natürlich auch als ökonomische Schwäche des Ostblocks definiert werden, bleibt dann aber ein gestaltloses, wenig greifbares Phänomen) läßt sich anhand einiger Zahlen eindrucksvoll demonstrieren. Der Anteil der westlichen Industriestaaten am Außenhandel der afrikanischen Länder hat sich im letzten Jahrzehnt auf ca. 80% eingependelt. Demgegenüber ist es den RGW-Ländern nicht möglich gewesen, ihren durchschnittlichen Anteil auf über 7% zu steigern. 1980 betrug er sogar nur 4%. Im Hinblick auf die Frage einer möglichen Bedrohung westlicher Interessen ist an diesen Zahlen vor allem eines wichtig: Sie sind im letzten Jahrzehnt mehr oder weniger konstant geblieben, d. h. die RGW-Länder haben ihren relativen Anteil am Handel mit den afrikanischen Ländern nicht ausbauen können. Die Gefahr, daß die westlichen Industriestaaten durch die östliche Politik von den afrikanischen Märkten verdrängt werden, ist also gering. Das gilt im großen und ganzen auch für die sozialistisch-orientierten Länder. Zwar gelang den RGW-Staaten mit Angola, Äthiopien und Mozambique in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eine Steigerung ihres Handelsanteils auf 10 bis 14%, wobei sowjetische Waffenlieferungen im Falle Äthiopiens und Angolas keine geringe Rolle spielten. Die Vormachtstellung der westlichen Industriestaaten konnte dadurch jedoch nicht ernsthaft in Gefahr gebracht werden, und bereits Ende der siebziger Jahre zeichnete sich eine rückläufige Tendenz des östlichen Anteils ab. Objektive ökonomische Faktoren haben sich also als relativ resistent gegenüber ideologischen Veränderungen erwiesen.
Heute ist der Wunsch Angolas, Äthiopiens und Mozambiques, mit den westlichen Industriestaaten wieder enger ökonomisch zu kooperieren, eine unbestrittene Tatsache und der Handel der übrigen sozialistisch-orien37 tierten Länder Afrikas (z. B.der VR Kongo und Malis) mit dem RGW weiterhin marginal. Der Anteil der RGW-Länder an den kongolesischen Importen betrug Anfang der achtziger Jahre nur 1, 5%, bei den Exporten 6, 6%. Der Handel wurde eindeutig von den westlichen Ländern dominiert, vor allem von Frankreich. Der Außenhandel Malis zeigt eine ganz ähnliche Struktur. Zur Übermacht des Westens auf dem Gebiet des Handels kommen im übrigen die zahlreichen Investitionen westlicher Unternehmen hinzu, denen die RGW-Staaten nichts Vergleichbares entgegenzusetzen haben. Das vergleichsweise geringe Volumen der östlichen Kapitalhilfe ist eine allgemein bekannte Tatsache.
Zusammen mit den intensiven Handels-und Entwicklungshilfebeziehungen üben westliche Investitionen und unternehmerische Aktivitäten natürlich auf die längerfristige ökonomische und politische Orientierung afrikanischer Länder einen nachhaltigen Einfluß aus, wie scharf auch immer ihre Rhetorik auf ideologischem Gebiet sein mag. (Sowjetische Ideologen sind sich, wie erwähnt, des „konterrevolutionären" Einflusses des privaten Kapitals und Unternehmertums bewußt.) Das Verhalten der revolutionären Regime auf dem Rohstoffsektor ist hierfür ein deutlicher Beweis. Entgegen den im Westen vor allem von Sicherheitspolitikern seit 30 Jahren gehegten Befürchtungen ist bis jetzt kein Fall bekannt geworden, in dem eines der mit der Sowjetunion ideologisch verbündeten Regime Afrikas sich geweigert hätte, Rohstoffe zu den üblichen Preisen an westliche Abnehmer abzugeben. Ganz generell ist bei allen sozialistisch-orientierten Regimen eine deutliche Abspaltung der Rohstoffbeziehungen von den ideologischen Bündnisbeziehungen festzustellen. So hat z. B. das MPLA-Regime in Angola, trotz der engen militärischen Zusammenarbeit mit den Ostblockstaaten, das Volumen seiner Öllieferungen an westliche Länder kontinuierlich ausgeweitet und alle Konzessionen für die Förderung von Erdöl an westliche und nicht an östliche Unternehmen vergeben. Am 31. Mai 1983 unterzeichnete auch Mozambique mit Esso und Shell ein ölexplorationsabkommen für die Vorkommen in der Provinz Cabo Delgado
Westlichen Politikern und Publizisten ist meistens wenig bekannt, in welchem Umfang wirtschaftliche Realitäten die sowjetischen
Planer und Ideologen gezwungen haben anzuerkennen, daß die Entwicklungsländer Teil eines weltwirtschaftlichen Systems sind, auf das die Sowjetunion, anders als die westlichen Industriestaaten keinen wesentlichen Einfluß hat. Schritt für Schritt zerbrach die Hoffnung, die kapitalistische Weltwirtschaftsordnung mit Hilfe der Entwicklungsländer in eine funktionierende sozialistische internationale Arbeitsteilung unter Führung der Sowjetunion umzuwandeln, an den ökonomischen Realitäten. Heute wird deswegen von Moskau wohl auch nicht mehr die Zerstörung dieser Weltwirtschaftsordnung angestrebt, sondern lediglich ihre Modifizierung. Es verlief, so kann man heute feststellen, alles anders, als man es sich Mitte der fünfziger Jahre im Kreml unter Chruschtschow vorgestellt hatte. Trotz rasch voranschreitender Dekolonisierung wurde die Dritte Welt nicht zum Erfolgsfeld „anti-imperialistischer" sowjetischer Politik und nicht zu einem Platz „to bury the West". Vielmehr mußte unter anderem der bekannte sowjetische Ökonom Bogomolov Ende der siebziger Jahre eingestehen: „Im Hinblick auf den Handel der RGW-Länder mit den Entwicklungsländern sollte erwähnt werden, daß er einen recht bescheidenen Anteil am Gesamtvolumen des Welthandels hat, nämlich nur ca. 1, 5%." A. Gromyko fügte dem 1981 in einem Interview hinzu: „Zu ungefähr 97% gehört Afrika zur kapitalistischen Weltwirtschaft."
Die Tatsache, daß der RGW verschiedenen sozialistisch-orientierten Ländern Afrikas, insbesondere Mozambique und Äthiopien, die Aufnahme in den Rat verweigert hat, zeigt, daß diese Modifizierung der konzeptionellen Grundlagen sowjetischer Dritte-Welt-Politik im Sinne einer Reduzierung „anti-imperialistischer" Zielsetzungen bereits in die praktische Politik eingegangen ist. Denn natürlich wäre die Integration Mozambiques, Äthiopiens und anderer Entwicklungsländer in den RGW machtpolitisch ein wichtiger Schritt vorwärts gewesen, um eine hegemoniale Vormachtstellung der Sowjetunion in Afrika und anderen Teilen der Dritten Welt aufzubauen. Die ökonomischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern und im RGW lassen einen solchen Schritt jedoch nicht zu.
V. Ein-Partei-Herrschaft und sowjetische Einflußsuche
Der gewachsene Realismus sowjetischer Dritte-Welt-Experten hinsichtlich der ungünstigen Bedingungen für eine ideologische Expansion hat nicht zur Folge gehabt, daß die These vom unaufhaltsamen Vormarsch des Sozialismus und seinem endgültigen Sieg im Weltmaßstab aufgegeben worden ist. Einen solchen expliziten Verzicht läßt die starke Verankerung des weltrevolutionären Anspruchs im sowjetischen System und seine Bedeutung für die Legitimität des gegenwärtigen Regimes wohl auch nicht zu. Die sowjetischen Autoren hoffen vielmehr darauf, daß die veränderten internationalen Machtverhältnisse die ideologisch ungünstigen Bedingungen in den Entwicklungsländern ausgleichen können. Denn nach ihrer Auffassung haben die an sich noch recht schwachen revolutionären Kräfte und Tendenzen in den Entwicklungsländern im sozialistischen Lager einen mächtigen Verbündeten gefunden, der die unzureichenden internen „objektiven" Voraussetzungen für eine sozialistische Entwicklung durch sein politisches, militärisches und ökonomisches Potential von Fall zu Fall ersetzen kann. „Der weltrevolutionäre Prozeß und das Entstehen eines globalen sozialistischen Systems haben in der Geschichte der Welt einen radikalen Wandel herbeigeführt." In der Praxis bedeutet diese These den Versuch, als „fortschrittlich" eingestufte Regime von Entwicklungsländern durch die Implementierung östlicher Modellvorstellungen möglichst fest an das sozialistische Lager anzubinden. Auf der „Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz: Der gemeinsame Kampf der Arbeiterbewegung und der Befreiungsbewegung" in Ost-Berlin im Oktober 1980 hat Ponomarev daher erneut betont, daß das wichtigste Element einer sozialistischen Orientierung die Vormachtstellung einer marxistisch-leninistischen Avantgarde-Partei ist, so wie in der Sowjetunion selbst Der Aufbau von Massenorganisationen, eine „revolutionäre“ Erziehung der Streitkräfte etc.
sind weitere wichtige Elemente.
Um die Implementierung ihrer Modellvorstellungen durchzusetzen, strebt die Sowjetunion eine direkte Einflußnahme auf bestimmte, für die innenpolitische Machtverteilung wichtige Zentren an. Vor allem in Ländern, die in größerem Umfang von der militärischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion abhängig sind, wird versucht, östliche Berater an entsprechenden Stellen zu plazieren. Die Schulung und Beratung von Führungskadern des Partei-und Staatsapparates, Ausbildung und unmittelbare Durchführung von Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit und des Presse-und Informationswesens sowie die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Massenorganisationen (Gewerkschaften, Frauen-und Jugendbewegungen etc.) sind in diesem Zusammenhang zu nennen. (Die Einflußnahme auf innenpolitisch wichtige Machtzentren ist natürlich nicht nur ein Merkmal des östlichen Vorgehens, sondern trifft auch für die Politik westlicher Staaten zu. Man denke insbesondere an die französische Afrikapolitik, die in dieser Hinsicht sehr erfolgreich ist.)
Die Errichtung von Ein-Partei-Systemen mit marxistisch-leninistischen Vorzeichen wird von vielen westlichen Beobachtern als Signal gewertet, daß afrikanische Regime den westöstlichen Rubikon überschritten haben und nun endgültig als Bestandteil des sozialistischen Lagers anzusehen sind. Angesichts der zeitweise sehr ausgeprägten Rhetorik der Führungen in Mozambique, Angola und Äthiopien im Sinne des orthodoxen Marxismus-Leninismus ist eine solche Einstufung verständlich, jedenfalls bei denjenigen, die sich mit der Geschichte des Sozialismus in Afrika und den internen Bedingungen dieser Länder nicht genauer befaßt haben. Denn die ideologisch eindeutige Abgrenzung gegenüber dem Ostblock wurde von diesen Regimen — anders als von den afro-sozialistisehen Regimen, die auch ideologisch eine blockfreie Linie anstreben — aufgegeben. Maputo, Luanda und Addis Abeba übernahmen östliche Thesen, wie die, „natürliche Verbündete" des sozialistischen Lagers zu sein.
Eine differenzierende Betrachtungsweise sollte sich von dieser Rhetorik jedoch nicht beirren lassen. In erster Linie bestätigt sich in Angola, Mozambique und den übrigen sozialistisch-orientierten Ländern Afrikas nur, was für die große Mehrheit aller afrikanischen Staaten gilt, nämlich eine klare interne Dynamik zugunsten von Ein-Partei-Systemen, so-39 weit nicht Militärs die Macht ausüben. Die Gründe für das Vorherrschen von Ein-Partei-Systemen in Afrika sind vielfältig und können hier nicht im Detail erörtert werden. Die Notwendigkeit, der Zentrifugalkraft ethnischer Unterschiede und post-kolonialer Entwicklungsprobleme Herr zu werden, ist hier ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, daß sich sogenannte Eliten auf dem Wege der Ein-Partei-Herrschaft relativ unangefochten als permanente Machthaber und Nutznießer ökonomischer Vorteile etablieren können. Diese in sozialistisch wie in kapitalistisch orientierten Entwicklungsländern anzutreffende „Staatsklassenproblematik" ist Ausdruck eines tiefgreifenden sozio-politischen und sozio-ökonomischen Strukturproblems, wie es Elsenhans unter dem Stichwort „bürokratische Entwicklungsgesellschaft" beschrieben hat Auch in den meisten pro-westlichen Staaten Afrikas, wie z. B. in Zaire, Sambia, Malawi, Sudan etc., ist dementsprechend Ein-Partei-Herrschaft die vorherrschende Regierungsform. In Kenia hat sich die Regierung erst kürzlich entschlossen, das Land nun auch de jure zum Ein-Partei-Staat zu machen, ohne daß dies irgend etwas mit einer ideologischen Umorientierung zu tun hat. Umgekehrt hat der Rückgang des östlichen Einflusses in So-malia und Guinea nicht zu einem entsprechenden Abbau des aus der Zeit der Kooperation mit dem Ostblock stammenden Partei-Modells geführt.
Ein-Partei-Herrschaft, wie auch immer tituliert, sagt also wenig über die Dauerhaftigkeit des östlichen Einflusses aus. Zudem haben marxistisch-leninistische Avantgarde-Parteien, wie sie in Mozambique und Angola aufgebaut werden, nur wenig gemeinsam mit den moskäuhörigen KPs aus der Zeit der Komintern. (Derartige KPs gibt es in Afrika nur ganz vereinzelt, z. B. in Südafrika und Sudan.) Bei ersteren handelt es sich vielmehr um sozial-revolutionäre Bewegungen, die Moskau zwar in abhängige kommunistische Parteien umzuwandeln versucht, die selbst aber ein großes Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit haben. Sergio Vieira, führendes Mitglied des ZK der FRELIMO-Partei, hat ihr Selbstverständnis auf der schon erwähnten wissenschaftlichen Konferenz in Ost-Berlin 1980 auf eine kurze Formel gebracht: „Nach unserer Ansicht gibt es keine Modelle für die nationale und soziale Befreiung, für den Aufbau des Sozialismus. Es gibt kein europäisches, kein asiatisches, kein afrikanisches Modell für den Sozialismus."
VI. Waffenexport — wichtiges, aber überschätztes Instrument der sowjetischen Einflußsuche
Ausschlaggebend für den Bestand des sowjetischen Einflusses in Afrika sind deswegen letztlich nicht Ein-Partei-Systeme und eine bestimmte ideologische Rhetorik, sondern machtpolitische Abhängigkeiten, die sich im Sinne Moskaus einsetzen lassen. Waffenexport und Militärhilfe sind hier die entscheidenden Instrumente. Zusammen mit den USA (die Rangfolge ist umstritten) ist die Sowjetunion heute der größte Exporteur von Waffen an die Dritte Welt. Waffen gehören zu den wenigen industriellen Gütern, mit denen Moskau auf dem Weltmarkt gegenüber den westlichen Industriestaaten konkurrenzfähig ist. Durch die Exporte an die Dritte Welt wer
den jährlich ca. 15% des sowjetischen Deviseneinkommens erwirtschaftet. Schwarzafrika ist neben dem Nahen und Mittleren Osten, bedingt nicht zuletzt durch die Kriege in Äthiopien und Angola, zu einem der Haupt-abnehmer sowjetischer Waffen geworden. Machtpolitische Einwirkungsmöglichkeiten auf schwarzafrikanische Regime eröffnen sich vor allem durch die folgenden Begleiterscheinungen des Waffenexports: Ausgestaltung der Preis-und Zahlungsbedingungen, Entsendung von Beratern, Ausbildung von afrikanischen Militärs im Ostblock sowie die Nachlieferung von Waffen und Ersatzteilen. Im „Normalfall" sind die aus ihnen resultierenden Druckmöglichkeiten allerdings relativ begrenzt und keine prinzipielle Gefahr für die Eigenständigkeit der Regime. Außerdem vermeidet es die Sowjetunion nach den Aussa-gen afrikanischer Politiker zumindest in der Anfangsphase der militärischen Zusammenarbeit, politischen Druck auszuüben, weil es ihrer Attraktivität als Waffenlieferant schaden könnte. Eine qualitative Veränderung tritt jedoch ein, wenn zwei weitere Bedingungen hinzukommen: Erstens eine mehr oder weniger vollständige Abhängigkeit der Armee des betreffenden Landes von sowjetischen Waffen sowie, zweitens, eine interne oder externe Konfliktlage, durch die das überleben des betreffenden Regimes unmittelbar gefährdet ist. In einem solchen Fall kann die Zusammenarbeit mit Moskau nur schwer kurzfristig abgebrochen werden, und die Regime können durch die Drohung, keine weiteren Waffen und Ersatzteile zu erhalten, beträchtlich unter Druck gesetzt werden. Die MPLA-Regierung in Angola und der Dergue in Äthiopien befinden sich seit Jahren in einer solchen Lage, und diese erklärt manche einseitig anti-westliche Stellungnahme auf der Ebene des Ost-West-Konflikts. Beachtung verdient jedoch, daß sich Angola, Mozambique und Äthiopien in der für den Westen so wichtigen Stützpunktfrage als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen haben. Allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz gibt es in diesen Ländern keine sowjetischen Marinestützpunkte. Lediglich begrenzte Nutzungsrechte (Auswechseln von Mannschaften, kleinere Reparaturen, Brennstoffaufnahme etc.) wurden zugestanden. Mozambique und Angola haben in ihren Verfassungen die Errichtung von ausländischen Stützpunkten auf ihrem Territorium generell für unzulässig erklärt.
Rüstungsexport und Militärhilfe können zwar kurz-und mittelfristig ein sehr erfolgreiches Instrument der Einflußsicherung sein, längerfristig haben sie angesichts der im Vergleich zu den westlichen Ländern eklatanten wirtschaftlichen Schwäche des Ostblocks aber einen „self-defeating" -Charakter. Diese sehr wichtige Differenzierung zwischen kurz-und mittelfristigen sowie längerfristigen Auswirkungen wird vielfach übersehen. Ein Scheitern der östlichen Anbindungsstrategie ist fast zwangsläufig. Denn einerseits sind — verkürzt dargestellt — Kontinuität und Intensität der östlichen Einwirkungsmöglichkeiten davon abhängig, daß das betreffende Land in militärische Auseinandersetzungen größeren Maßstabs verwickelt und dementsprechend auf sowjetische Lieferungen angewiesen bleibt. Die sowjetische Führung ist deshalb nur bedingt an einem Ende oder der friedlichen Regelung solcher Konflikte interessiert, wie nicht zuletzt an der mißtrauischen Haltung Moskaus gegenüber den Bemühungen der westlichen Namibia-Kontaktgruppe abzulesen ist. Andererseits zehren die fortgesetzten Kampfhandlungen die Wirtschaft des betreffenden Landes mehr und mehr aus. Notwendige Entwicklungen im infrastrukturellen Bereich und in anderen Bereichen können nicht oder nur verlangsamt durchgeführt werden, und der Unmut über die hohe, volkswirtschaftlich gesehen aber unproduktive Finanzlast der militärischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten steigt. Denn auch an die ideologisch befreundeten Länder in Afrika „verschenkt" die Sowjetunion keine größeren Mengen von Waffen, anders als es bei Kuba und Vietnam der Fall ist.
In Äthiopien und Angola sind alle diese Schwierigkeiten seit längerem deutlich zu erkennen. Angola mußte seit der Unabhängigkeit einen Großteil seiner Deviseneinkommen für Waffenkäufe einsetzen, insgesamt mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Präsident dos Santos wies 1982 ausdrücklich darauf hin, daß dieses Geld — zumeist Deviseneinkommen aus dem Verkauf von öl — unter anderen Bedingungen für die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung hätte eingesetzt werden können. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die die Sowjetunion dafür verantwortlich machen, daß der Konflikt militärisch nicht erfolgreich zu Ende geführt werden kann. Dies gilt besonders für Äthiopien, wo die kriegerischen Auseinandersetzungen in Eritrea nicht enden und in der Provinz Tigre eher zunehmen. Nutzen und Qualität der militärischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion werden mehr und mehr in Frage gestellt — ein Thema, das in der Dritten Welt angesichts verschiedener Kriege, die mit sowjetischen Waffen geführt, aber nicht gewonnen wurden oder werden, generell an Aktualität gewinnt. Insgesamt findet jedenfalls nicht die Entwicklung statt, die notwendig wäre, um die Übernahme marxistisch-leninistischer Modellvorstellungen für die Bevölkerung und die Elite dieses und anderer afrikanischer Länder attraktiv erscheinen zu lassen, nämlich eine signifikante Besserung der Lebensbedingungen im Vergleich zur vorrevolutionären Zeit. Zwangsläufig tritt das ein, was in den Presseberichterstattungen westlicher Zeitungen in den letzten Jahren immer häufiger zu lesen war, nämlich eine „Öffnung" Mozambiques, Angolas und anderer sozialistisch-orientierter Länder Afrikas zum Westen — scheinbar überraschend, tatsächlich aber vorgegeben von dem strukturellen Grundproblem der sowjetischen Afrikapolitik. Nicht hegemoniale Ausweitung auf breiter Front, sondern der Wechsel von Positionsgewinnen und -Verlusten ist eines der auffallendsten Merkmale dieser Politik seit Mitte der sechziger Jahre.
VII. Öffnung der sozialistisch-orientierten Länder Afrikas gegenüber dem Westen
Seit Beginn der achtziger Jahre wird in den Berichten westlicher Journalisten aus Afrika darüber spekuliert, ob eine Öffnung verschiedener sozialistisch-orientierter Länder Afrikas gegenüber dem Westen bevorsteht. Durch die Reise des mozambiquanischen Präsidenten Samora Machel im Oktober 1983 durch fünf westeuropäische Länder (Belgien, Holland, Portugal, Frankreich und Großbritannien) wurden entsprechende Tendenzen für die westliche Öffentlichkeit deutlich unterstrichen. Der Ausdruck „Öffnung" mag zwar etwas dramatisch sein, denn tatsächlich hatten sich diese Länder in ihrer praktischen Politik häufig gar nicht so eindeutig vom Westen abgeschlossen bzw. an den Osten angelehnt. Eine beträchtliche Zahl von Ereignissen jedoch, die auf eine veränderte Orientierung Mozambiques, Angolas, Äthiopiens und anderer sozialistisch-orientierter Länder auf der Ebene des Ost-West-Konflikts schließen lassen, läßt sich aufzählen:
— Im August 1982 erkannte Mozambique in einem Nahrungsmittelabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland erstmals die „Standard-Berlin-Klausel" an. Mit Rücksicht auf die DDR und deren Engagement im Befreiungskampf der FRELIMO hatte die mozambiquanische Führung lange auf diesen Schritt verzichtet. Guinea-Bissau folgte in einem Rahmenabkommen zur wirtschaftlichen Kooperation mit der Bundesrepublik, das im März 1983 in Kraft trat, dem Vorbild Mozambiques. — Die Regierungen Mozambiques und Angolas haben im Herbst 1982 ihre Entschlossenheit bekundet, an den Lom 6-III-Verhandlungen teilzunehmen. Dieser Entschluß bedeutet im Hinblick auf die Orientierung zwischen Ost und West zweifellos nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch eine längerfristige Weichenstellung in Richtung Westen. — Weitere Schritte im Sinne einer Liberalisierung der Wirtschaftspolitik in Richtung auf eine „mixed economy" wurden unternommen.
Mozambique kündigte die Dezentralisierung seines Außenhandelssystems und den Entwurf eines „Investment code" an, der die legitimen Interessen der Investoren garantieren Soll In Angola deutete Planungsminister Lopo do Nascimento ebenfalls eine Liberalisierung des Marktes für Nahrungsmittel an und einen weiteren Rückgang der Bedeutung der Staatsfarmen
— Im April 1982 schlossen Mozambique und Portugal ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit, das erste dieser Art mit einem westlichen Land. Einige portugiesische Offiziere sind bereits mit der Ausbildung der mozambiquanischen Armee beschäftigt. Anläßlich des Besuchs von Machel in Portugal im Oktober 1983 wurde, gewissermaßen als Krönung der neuen Zusammenarbeit, feierlich ein Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit abgeschlossen Auch Großbritannien hat sich im Prinzip bereit erklärt, Mozambique „beim Kampf gegen Unterentwicklung und Destabilisierung durch seine Feinde zu unterstützen". Am Ende des Besuchs von Machel in London sagte der mozambiquanische Außenminister Chissano, daß Großbritannien Militärhilfe angeboten hätte und sogar die Möglichkeit bestünde, daß mozambiquanische Offiziere im traditionsreichen Sandhurst ausgebildet werden würden Im Rahmen der Verbesserung der Beziehungen mit den USA äußerte Machel schließlich auch den Wunsch nach Militär-hilfe aus den Vereinigten Staaten
In Angola soll schon seit einiger Zeit ein Kontingent portugiesischer Militärs als Ausbilder tätig sein. Einen spektakulären Schritt unternahm in dieser Hinsicht Frankreich Ende 1983 nach seinem Austritt aus der westlichen Namibia-Kontaktgruppe. Es sollen über 30 Kampfhubschrauber an Angola geliefert worden sein
Seitens Äthiopiens ist bis jetzt zwar kein Wunsch nach westlicher Militärhilfe geäuBert worden, zumindest nicht offiziell. Die Tatsache, daß seit Ende 1983 die Zahl der kubanischen Truppen im Ogaden aber Schritt für Schritt verringert wird, läßt sich durchaus als ein Signal an den Westen verstehen, die Bindungen an das sozialistische Lager nicht überzubewerten.
— Ausgeprägter ist die Distanznahme gegenüber dem Ostblock bei den sozialistisch-orientierten Ländern VR Kongo, Benin, Guinea-Bissau und Guinea. Die VR Kongo hat ihre Militärkooperation mit Paris auf Kosten Moskaus intensiviert. Auch mit der Bundesrepublik kam anläßlich des Besuches des damaligen bundesdeutschen Entwicklungshilfe-ministers Rainer Offergeld Anfang 1982 eine nachhaltige politische Annäherung zustande. Redynamisiert wurden 1981/82 des weiteren die Beziehungen zwischen Benin und Frankreich. Beide wollen militärisch wieder eng kooperieren. Das schon seit 1977 dem Westen wieder verstärkt zugewandte Guinea setzte diesen Weg fort. Demnächst sollen sogar Offiziere zur Ausbildung in die USA gesandt werden
Bei einer Kenntnis der längerfristigen strukturellen Schwäche der sowjetischen Dritte-Welt-Politik sind diese Entwicklungen nicht überraschend. Sie bestätigen die These, daß nicht kontinuierliche Machtausweitung, sondern ein Wechsel von Positionsgewinnen und -Verlusten charakteristisch ist für die sowjetische Afrikapolitik. Dennoch ist in den westlichen Ländern die Skepsis groß, daß diese Öffnungen nur eine taktische Maßnahme Moskaus sein könnten, ähnlich der von Lenin zu Beginn der zwanziger Jahre praktizierten „Neuen ökonomischen Politik (NÖP)". Verständlich ist diese Skepsis insofern, als es Äußerungen sowjetischer Politiker gibt, die den revolutionären Regimen diese Politik Lenins als Vorbild hinstellten. Der Hinweis auf Lenins NÖP ist jedoch, ohne daß das hier in allen Einzelheiten belegt werden kann, eher als ein Versuch zu interpretieren, diese von objektiven Bedingungen diktierte Öffnung ohne allzu großen ideologischen Gesichtsverlust aufzufangen, als Ausdruck einer raffinierten, für den Westen gefährlichen Taktik. Die Feststellung eines DDR-Autors ist in dieser Hinsicht erstaunlich freimütig: „Einer aufsteigenden Phase der nationalen demokratischen Revolution, die beträchtliche Ergebnisse bringt, folgt eine Phase, in der sich der revolutionäre Prozeß verlangsamt, die Revolution degeneriert, ihre anti-kapitalistische Tendenz schwächt sich ab, allmählich verschiebt sich das Kräfteverhältnis zugunsten der revolutionär-demokratischen Kräfte bis hin zu einer Neutendenzwende zugunsten kapitalistischer Orientierung oder Entwicklung." Wichtig ist schließlich, daß der Verlauf der Öffnung nicht unabhängig vom Verhalten des Westens beurteilt werden kann. Zwar ist es richtig, zu überlegen, wie bei allen anderen Entwicklungsländern auch, inwieweit westliche Wirtschaftshilfe für die Beseitigung der ökonomischen Schwierigkeiten dieser Länder sinnvoll eingesetzt werden kann. Sie lediglich aus machtpolitischen Erwägungen vom Osten „loszukaufen", wird langfristig wenig einbringen. Ausdruck einer im höchsten Maße un-subtilen und letztlich kontraproduktiven Politik wäre es jedoch, das westliche Eingehen auf die Öffnung von einem mehr oder weniger offenen Bruch dieser Regime mit Moskau und einer Aufgabe ihrer sozialistischen Orientierung abhängig zu machen, wie es vereinzelt gefordert wurde. Das wäre eine direkte Hilfestellung für Moskau, seine Positionsgewinne in Afrika erfolgreich zu verteidigen. (Die für Herbst 1984 anläßlich des 10. Jahrestages der äthiopischen Revolution möglicherweise zu erwartende Errichtung einer Arbeiterpartei ähnlich den Ein-Partei-Systemen in Mozambique und Angola birgt z. B. die Gefahr in sich, im Westen im Hinblick auf die Ost-West-Orientierung Äthiopiens gründlich mißverstanden zu werden.)
Derart rigide Forderungen verkennen das außenpolitische Grundproblem von Entwicklungsländern. Angesichts ihrer schweren ökonomischen Lage geht es für sie einerseits darum, durch intensive Zusammenarbeit mit den „reichen" Ländern des Nordens umfassende Unterstützung für ihre entwicklungspolitischen Bemühungen zu bekommen, wobei es sekundär ist, ob diese Hilfe aus dem Westen oder aus dem Osten kommt. Andererseits müssen sie aber der Gefahr entgegenwirken, von diesen Ländern ökonomisch oder militärisch einseitig abhängig zu werden. Diversifizierung und Balancierung der Außenbeziehungen ist der einzige Weg, das zu erreichen. Der Staatschef der VR Kongo, Oberst Sassou-Nguesso, drückte das im Dezember 1981 fol-gendermaßen aus: „Der Kongo beabsichtigt, Kooperation gleichzeitig mit der Sowjetunion und mit Frankreich zu entwickeln, will jedoch in keiner Weise privilegierte Beziehungen zu dem einen oder anderen der beiden Länder unterhalten."
VIII. Ausblick auf Grundbedingungen und -elemente westlicher Sicherheitspolitik
Nach drei Jahrzehnten sowjetischer Afrika-politik läßt sich heute verkürzt folgendes Fazit ziehen:
Die These, daß die Ausweitung des orthodoxen Marxismus-Leninismus und damit des sowjetischen Einflusses nach Afrika „historisch zwangsläufig" sei, darf als widerlegt gelten.
Die sozio-ökonomischen Bedingungen für eine dauerhafte Implementierung des Marxismus-Leninismus sowjetischer Provinienz sind dafür zu ungünstig und die Kluft zwischen ideologischen Zielen und machtpolitischen Durchsetzungsmöglichkeiten des sowjetischen Systems zu groß. (Diese These stellt nicht in Abrede, daß die Sowjetunion heute in einer viel größeren Breite und Intensität Beziehungen zu den meisten afrikanischen Ländern unterhält als zu Beginn ihres Engagements Mitte der fünfziger Jahre; damals fing sie praktisch bei Null an.) Die Kreml-Führer stehen heute aber vor einer sehr ambivalenten Lage. Angesichts der Ernüchterung auf ideologischem Gebiet und um unnötige Kosten und Risiken zu vermeiden, wären einige von ihnen wohl geneigt, ideologische Positionsgewinne wieder aufzugeben, z. B. was Mozambique und Angola betrifft. Militär-strategisch orientierte Denker im Kreml werden dagegen aber Einwände haben, weil sie befürchten, daß das zumindest zu psychologisch gefährlichen Rückwirkungen für den Supermacht-Status der Sowjetunion führen könnte.
Im Hinblick auf die Ost-West-Konkurrenz in der Dritten Welt und die Absicherung westlicher Interessen in Afrika ist das eigentlich überraschende Phänomen, daß — trotz umfassender Dekolonisierung und „anti-imperialistischer" sowjetischer Politik — die wirt. schaftliche Vorherrschaft der westlichen Länder in Afrika ungebrochen fortbesteht. (Daß dies aus afrikanischer Sicht keine erfreuliche Tatsache ist, steht auf einem anderen Blatt.)
Diese Stärke findet, wie schon in dem zu Beginn zitierten Ausspruch von Lord Carrington angedeutet, erstaunlich wenig Eingang in die Überlegungen der meisten westlichen Sicherheitspolitiker und -experten. Es sind nämlich nicht nur die sowjetischen Aktivitäten, sondern auch die Unfähigkeit, die eigene Stärke wahrzunehmen, die zu einem Gefühl des Bedrohtseins führen. Psychologische Mechanismen, beispielsweise das Projizieren eigener Zukunftsängste in die weitgehend unbekannte Dritte Welt mit allen ihren Instabilitäten, mögen dafür ebenso eine Rolle spielen wie die Notwendigkeit, sowjetische Aktivitäten aus innenpolitischen Gründen einseitig im Sinne einer Bedrohung zu stilisieren. Zudem würde ein bewußtes Wahrnehmen der westlichen Stärke dazu führen, daß auch ihre negativen Auswirkungen zur Kenntnis genommen werden müßten. In Zeiten, in denen die Unterscheidung zwischen „good guys" und „bad guys" wieder eine größere Rolle spielt, um außenpolitischen Konsens herzustellen, fällt das ganz besonders schwer.
In den nachfolgenden, diesen Aufsatz abschließenden Thesen zur Frage der westlichen Sicherheit geht es nicht um den Entwurf einer völlig neuen Sicherheitspolitik für Afrika. Verschiedene Elemente, die bereits Bestandteil der westlichen Politik sind oder waren, finden sich in ihnen vielmehr wieder.
1. Revolutionen, Umstürze und andere Formen der Instabilität werden in diesem und vermutlich auch in dem nächsten Jahrzehnt ein dominierendes Element der Entwicklungen in Afrika bleiben, ähnlich wie in anderen Teilen der Dritten Welt. Derartige Instabilitäten sind aus westlicher Sicht zwar unerwünschter, letztlich aber doch wohl notwendiger Bestandteil des schwierigen Prozesses, die relativ jungen Staaten von innen heraus zu politisch und ökonomisch stabilen Nationen zu konsolidieren. Wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, stellen Revolutionen in der Dritten Welt aber keine prinzipielle Gefährdung westlicher Handels-und Wirtschaftsinteressen dar. Die Befürchtung, * daß sie den westlichen Industriestaaten im Auftrag der Sowjetunion die Lieferung von Rohstoffen versagen könnten, beruht auf einer Unkenntnis objektiver ökonomischer Bedingungen. Zwar können revolutionäre Umstürze für einzelne westliche Unternehmen oder Branchen nachteilig sein. Im großen und ganzen hat die Wirtschaft inzwischen aber recht gut gelernt, mit ihnen fertig zu werden. David Rockefeller sagte dazu 1981 nach einem Besuch in Angola und anderen sozialistisch-orientierten Ländern Afrikas: „Unsere Erfahrung ist, daß wir mit den Regierungen unterschiedlichster Richtungen umgehen können,... je mehr Länder ich in Afrika gesehen habe, die angeblich marxistisch sind, desto mehr habe ich den Eindruck, daß diese Abstempelung mehr eine Irreführung als eine Wiedergabe der Wirklichkeit ist. Das Hauptinteresse der Führer dieser Länder ist es, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern und die Wirtschaft ihres Landes zu stärken."
2. Nicht Militarisierung, sondern die sozioökonomischen Bedingungen in den Entwicklungsländern und das eindeutig zugunsten des Westens bestehende weltwirtschaftliche Kräfteverhältnis sind die wichtigsten Barrieren gegen eine hegemoniale Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Afrika und anderen Teilen der Dritten Welt. Hier gibt es allerdings ein schwieriges Problem für die „Nervenstärke" der westlichen Demokratien in der Rivalität mit dem Osten. Kurz-und mittelfristig können Revolutionen und Instabilitäten der Sowjetunion Einstiegsmöglichkeiten eröffnen, die in der Tat gefährlich werden könnten, würden sie längerfristig zu einem kontinuierlichen Ausbau des östlichen Einflusses führen. In der Regel ist das aber, wie in dieser Untersuchung dargelegt wurde und sich in den letzten Jahrzehnten sowjetischer Dritte-Welt-Politik bewiesen hat, unwahrscheinlich. Zweierlei bedarf in diesem Zusammenhang einer stärkeren Wahrnehmung in der westlichen Öffentlichkeit und Politik. Erstens, in der operativen Planung der sowjetischen Dritte-Welt-Politik hat — anders als auf der Ebene der Propaganda — die anti-imperialistische Stoßrichtung mit einiger Sicherheit an Bedeutung verloren, basierend auf einem Lernprozeß im Kreml hinsichtlich der ökonomischen Erfolgsmöglichkeiten einer solchen Politik. Zweitens ist in den Entwicklungsländern eine erhebliche Ernüchterung im Hinblick auf sozialistische Modelle als „quick way to development" eingetreten
3. Eine nachhaltige Militarisierung westlicher Dritte-Welt-Politik, um revolutionäre Tendenzen zu unterdrücken, ist konzeptionell undifferenziert. Sie ist zum einen, wie verschiedene Beispiele zeigen, meistens nur kurz-und mittelfristig, nicht aber längerfristig erfolgreich, da hinter den revolutionären Bestrebungen zumeist tiefe sozio-ökonomische Probleme stehen. Angesichts der Vielzahl von Konflikten und Instabilitäten in der Dritten Welt läuft eine solche Militarisierung zum anderen auf eine Verzettelung der militärischen Kräfte und Ressourcen des Westens hinaus. Militärisch geht es lediglich darum, die sozialen und ökonomischen Barrieren gegen ein Hinüberwachsen östlicher Aktivitäten in eine hegemoniale Dominanz der Sowjetunion in einzelnen Ländern oder Teilen der Dritten Welt abzusichern. Für die Gefahr eines derartigen Hinüberwachsens „normaler" östlicher Beziehungen zu einer hegemonialen Dominanz sind zwei Indikatoren wichtig: Zum einen die Stationierung oder Entsendung von Truppen des Warschauer Paktes in großer, die militärische Lage in dem betreffenden Land eindeutig dominierender Zahl. (Die Grenzen sind hier fließend. Es sei daran erinnert, daß Ägypten in den siebziger Jahren keine große Mühe hatte, kurzfristig 15 000 sowjetische Soldaten nach Hause zu schicken und daß auch 15 000 bis 20 000 kubanische Soldaten Angola nicht in den Griff bekommen können.) Zum anderen die Errichtung von sowjetischen Stützpunkten. Beides, zahlenmäßig bedeutsame Stationierung von Kampftruppen und Errichtung von Stützpunkten, führt zu einem Zustand, der in gefährliche Nähe zu einer militärischen Implementierung sowjetischer Hegemonie nach osteuropäischem Vorbild führt.
4. Die gegenwärtigen Instrumente der westlichen Politik reichen ohne weiteres aus, derartige hegemoniale Bestrebungen der Sowjetunion bei gleichzeitig breitem Spielraum für revolutionäre Instabilitäten in Afrika abzublocken. Drei Bereiche verdienen besondere Aufmerksamkeit. Erstens, mit Blick auf die Möglichkeit eines östlichen Transfers von Kampftruppen und Waffen an Afrika, das militärische Kräfteverhältnis an den Küsten Afrikas und Arabiens. Um einen derartigen Transfer militärisch zu riskant zu machen, rei-eben die gegenwärtig im Indischen Ozean stationierten westlichen Kräfte allemal aus. Zweitens werden die Handlungsmöglichkeiten des Westens, und damit das militärische Kräfteverhältnis, bestimmt von den jeweiligen rechtlich-ordnungspolitischen Rahmenbedingungen konkreter Krisen und Konflikte. Die sowjetische Führung vermag sehr wohl zu erkennen, ob westliche Regierungen militärisch handlungsunfähig sind, weil sie sich auf die Seite eines international und innenpolitisch unakzeptablen Konfliktpartners in der Dritten Welt begeben haben. Die kubanisch-sowjetische Intervention in Angola Mitte der siebziger Jahre war dafür ein klassisches Beispiel. Aufgrund der ambivalenten Haltung westlicher Regierungen gegenüber dem weißen Minderheitsregime in Südafrika besteht diese für sowjetische Aktivitäten rechtlichordnungspolitisch günstige Lage fort. Drittens ist entscheidend das ökonomische Verhalten der westlichen Industriestaaten. Die Tatsache, daß es in Afrika zwar verschiedene sozialistisch-orientierte Regime gibt, keines von ihnen aber, auch nicht das von der Sowjetunion als strategisch relativ wichtig eingeschätzte Äthiopien, den kubanischen Weg gegangen ist, hängt maßgeblich damit zusammen, daß man diese Regime von westlicher Seite nicht derartig isoliert und boykottiert hat, wie es seinerzeit die amerikanische Politik im Fall Kubas getan hat und zum Teil noch tut. Eine unverkrampfte Politik des Westens im politischen und ökonomischen Bereich gegenüber revolutionären Regimen hat unmittelbar Bedeutung für die längerfristigen militärischen Optionen der Sowjetunion in bezug auf diese Regime. Denn jede andere Politik des Westens reißt die zwei entscheidenden Barrieren gegen hegemoniale Bestrebungen der Sowjetunion ein, nämlich die für sie ungünstigen " ökonomischen Bedingungen und die in diesen Ländern selbst bestehenden Bestrebungen, das frühere koloniale Joch europäischer Mächte nicht in ein neues, nämlich ein hegemoniales der Sowjetunion, umzuwandeln.