Kubas Außenpolitik: Das erneuerte lateinamerikanisch-karibische Profil
Gerhard Drekonja-Kornat
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Zusammenfassung
Einleitend wird darauf hingewiesen, daß die Vereinigten Staaten seit diesem Jahrhundert den großkaribischen Raum als ureigenste Sicherheitszone betrachten. Sowohl die Monroe-Doktrin als auch insbesondere der viel schroffere Roosevelt-Zusatz definierte dafür die Spielregeln, als deren Kern zu gelten hat, daß extrazonale Akteure aus ihr fernzuhalten sind. Die kubanische Revolution bricht mit dieser Prämisse, weil Havanna durch diese sozialistische Revolution die Sowjetunion in diese Zone hineinholt. Dementsprechend mußte Kuba die erbitterte Feindschaft der Vereinigten Staaten in Kauf nehmen. Daraus wiederum lassen sich die Grundmuster kubanischer Außenpolitik ableiten. Infolge der Feindseligkeit der USA muß Kuba revolutionäre Verbündete in Lateinamerika, Afrika und Asien suchen oder durch Revolutionsunterstützung erst schaffen, um dadurch der bedrohenden Einschnürung seitens der Vereinigten Staaten zu entrinnen. Daraus entwickelte sich eine kohärente, klare und letztlich sogar transparente Außenpolitik Havannas. In den sechziger Jahren versuchte Kuba der ihm auferlegten Isolierung durch Revolutionsunterstützung in Lateinamerika zu entgehen. Nach dem Scheitern dieser Strategie verlagerte Kuba in den siebziger Jahren den Akzent seiner außenpolitischen Aktivität auf Afrika und wurde im Lager der Blockfreien aktiv. Gegenüber Lateinamerika wurde auf die traditionelle Diplomatie zurückgegriffen — was die weitreichende Wiedereingliederung Kubas in die lateinamerikanische Staatengemeinschaft bewirkte. Gegenüber der Inselkaribik erprobte Kuba erfolgreich eine offensive Kulturpolitik. 1979/80, als Nicaragua und Grenada unerwartete Chancen boten, entschloß sich Kuba zu einer Reaktivierung seiner revolutionsunterstützenden Außenpolitik im großkaribischen Raum. Infolge der antikommunistischen Containment-Politik der Reagan-Administration häuften sich dabei für Kuba die Kosten und Risiken, so daß seit Herbst 1983 deutlich eine Defensivposition der kubanischen Außenpolitik auszumachen ist.
I. Das Entstehen einer Sicherheitszone
Im 19. Jahrhundert perfektionierten die großen europäischen Mächte, untereinander im Wettbewerb, den Kolonialismus. Diese gewaltsamen Landbesetzungen ermöglichten den Europäern die Annexion riesiger Gebiete Afrikas und Asiens. Um die Jahrhundertwende entwickelten die jungen Vereinigten Staaten als nachdrängende Großmacht eine wirksamere Art imperialer Durchdringung. Nachdem einmal mit Kalifornien, Kuba, Puerto Rico und dem Panama-Kanal der äußere Gürtel territorialer oder quasi-hoheitlicher Arrondierung erreicht war, verzichteten sie auf eine weitere Landnahme. An deren Stelle trat das Konzept der Sicherheitszone — hier zu verstehen als geographischer Raum, der infolge geopolitischer Bedeutung einen besonderen Stellenwert erlangt und daher unter ausdrücklicher tutoraler Kontrolle einer Großmacht steht.
Exemplarisch wuchs die Großkaribik in diese Rolle hinein. Seit Beginn dieses Jahrhunderts bzw.seit Eröffnung des Panama-Kanals im Jahr 1914 betrachten die Vereinigten Staaten diese Zone als besonders sensiblen Sicherheitsraum, in dem Stabilität und Ordnung herrschen sollen, um zu verhindern, daß auf der Basis interner Auseinandersetzungen extrazonale Akteure auftauchen, darauf erpicht, die hegemoniale Position der Vereinigten Staaten herauszufordern.
Aus der Perspektive Washingtoner Sicherheitspolitiker kam für die Großkaribik unausweichlich immer die geopolitische Definition zur Anwendung. Inselkaribik, Mittelamerika und Anrainerstaaten wurden trotz kultureller, ethnischer, sprachlicher, religiöser und politischer Vielfalt als Einheit zusammengefaßt und einer homogenen Behandlung unterworfen. Trotz des Unbehagens von Anthropologen, Ethnologen und Historikern, die auf den Eigenwert der vielfältigen lokalen Einheiten in diesem Bereich nachdrücklich hinwiesen, (weswegen nie eine allgemein verbindliche Definition der Zone erarbeitet wurde > blieb für die offizielle Politik in Washington der geopolitische Begriff der „Großkaribik" oder des „Karibischen Beckens" (Inselkaribik, Mittelamerika, Panama, Mexiko, Kolumbien, Venezuela und die Guayanas) lange Zeit maßgeblich. Als solcher tauchte der Begriff erneut 1979 im außenpolitischen Sprachgebrauch auf und soll auch hier verwendet werden, obschon der Vorbehalt eines nordamerikanischen Kollegen geteilt werden soll: „The term (Caribbean Basin) is an unfortunate one, for it conveys a sens of homogeneity or commonality that does not exist in the region in either fact or spirit... The term is also unfortunate in that its roots lie in U. S. geopolitical thinking. It has become a populär phrase under Reagan because of the East-West or Strategie bent that has characterized his conservative Republican Interpretation of U. S. national interests."
Wie zahlreiche US-Analytiker feststellten, geht es für die USA im Großkaribischen Raum weniger um leicht identifizierbare objektive Interessen (Investitionen, Handel, Ressourcensicherung), sondern vielmehr um nur vage auszumachende subjektive Interessen. Zu letzteren zählen an vorderster Stelle die US-Sicherheitspolitik, der Panama-Kanal mit den davon betroffenen Schiffahrtswegen, das Netz der karibischen Erdölraffinerien, die Einwanderer aus Mittelamerika und aus der Karibik und so fort.
Vor 1973 war die Zone objektiv bedeutend für die Vereinigten Staaten nur im Hinblick auf den Rohstoff Bauxit. Eine generelle Aufwer-tung erfuhr sie Mitte der siebziger Jahre, als der gesamte Gürtel von Mexiko bis Venezuela sich als eine der letzten großen Reserven an Kohlewasserstoffen erwies — sicherlich ein Grund mehr, warum in den späten siebziger Jahren erneut das geopolitische Interesse an der Großkaribik vorrückte und warum das Jahr 1979 für die Vereinigten Staaten verstörend wirkte
Vor allem die Inselkaribik hatte sich während der spanischen Kolonialperiode in den Schauplatz eines intensiven machtpolitischen Wettbewerbs der Europäer untereinander verwandelt Engländer, Franzosen und Holländer forderten die bereits fest etablierten Spanier heraus. Erst das 19. Jahrhundert, als die Karibik uninteressant geworden war, führte unter der Schirmherrschaft Londons zur ersten langdauernden Stabilitätsperiode, zur „Pax Britannica". Diese wurde um die Jahrhundertwende abgelöst von der „Pax Americana", die den gesamten Raum, obwohl formaliter souverän, zu einer homogenen Sicherheitszone zusammenfaßte, was den Vereinigten Staaten nicht nur die handelspolitische, sondern auch die diplomatische, militärische und kulturelle Penetration dieser Zone ermöglichte. Dies geschah allerdings nicht — wie es für die Europäer in Afrika zutrifft — zum Zwecke der Landnahme, sondern zur Absicherung des eigenen machtpolitischen Kerns auf dem Festland.
Wichtigste Maxime dieser Politik seit der Monroe-Doktrin war es, extrazonale Akteure — also die Europäer! — von der Region fern-zuhalten. In einer verschärften Version wurde diese Forderung 1904 als Roosevelt-Zusatz („Roosevelt-Corollary") vorgelegt. Genau zu einem Zeitpunkt also, als europäische Staaten wegen Venezuelas damaliger Zahlungsunfähigkeit Caracas militärisch drohten und Deutschland den Hafen von Maracaibo beschießen ließ, formulierte der Roosevelt-Zusatz unbekümmert aus, was längst ungeniert Piaxis war: Die Vereinigten Staaten hätten das Recht und die Pflicht, als Gendarm in der Großkaribik aufzutreten, um interne Wirren zu bereinigen, bevor diese europäische Akteure anlocken würden!
Hierin wurzelt der von Historikern der Karibik geprägte Begriff der „limitierten Souveränität". Demnach sind die mittelamerikanisch-karibischen Staaten wohl unabhängig, unterliegen jedoch der Kontrolle der Vereinigten Staaten im Fall von Bürgerkrieg, Rebellion, Putsch oder Überschuldung Monroe-Doktrin und Roosevelt-Zusatz projektierten jeweils ihre Feindbilder, die immer im europäischen Rahmen erschienen. So bestätigten beispielsweise die U-Boote des nationalsozialistischen Deutschland, die 1942 in der Karibik Erdöltransporter versenkten, die US-Sicherheitspolitiker in ihrer Annahme von der geopolitischen Bedeutung der Zone. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Sowjetunion mit ihren „totalitären Marxisten" in die Feindrolle hinein. Dagegen konnten die Vereinigten Staaten (Modell Guatemala 1954!) um so leichter ihre Interventionskapazität einsetzen, als der gesamte lateinamerikanische Kontinent auf der Basis von zwei Pakten (politisch die Organisation Amerikanischer Staaten, militärisch der 1947 in Rio unterzeichnete TIAR -Tratado Interamericano de Asistencia Reciproca) organisatorisch gestrafft worden war.
II. Die kubanische Herausforderung
Die erprobte Homogenität und Stabilität der Großkaribik wurden jäh verunsichert von der Revolution Fidel Castros, die auf Kuba vor nunmehr genau 25 Jahren ihren Anfang nahm. In einer noch vom abflachenden Kalten Krieg geprägten Epoche, in der das reformistische Vokabular den Vereinigten Staaten als tabu galt, mußten die gesellschaftlichen Veränderungen, die von den respektlosen Comandantes auf Kuba erlassen wurden, skandalös wirken. Als Fidel Castro, um politisch zu überleben, die Moskau-Achse zu aktivieren begann, weitete sich für die USA der politische Skandal zur sicherheitspolitischen Herausforderung aus, welche die großkaribische Sicherheitszone bedrohte. Nachdem im April 1961 der nach guatemaltekischem Muster aus dem Jahr 1954 vorgetragene Korrekturversuch in der Schweinebucht mißlungen war, mußten sich die Vereinigten Staaten auf das diplomatische und wirtschaftliche Einfrieren der Zuckerinsel beschränken. Dies gelang anschließend einigermaßen erfolgreich, weil die beiden Supermächte USA und UdSSR bei der Entschärfung der Raketenkrise vom Oktober 1962 über den Kopf Kubas hinweg diejenige Art von bilateralen Absprachen einzupendeln begannen, aus der sich die Detente herauskristallisieren sollte (die u. a. die — nie formalisierte — Zusage der USA beinhaltete, Kuba militärisch nicht anzugreifen).
Für Kuba selbst ergab sich eine ganz andere Ausgangslage. Um das Ergebnis einer eigenständigen Revolution zu wahren, mußte einerseits die Sowjetunion als neuer Hegemon umworben und gehalten werden; um andererseits die Abhängigkeit von der neuen Zentral-macht möglichst beschränkt zu halten, sollte wiederum eine eigene revolutionäre Außenpolitik alternative Kooperationsachsen und zusätzliche Revolutionen in Lateinamerika, Afrika und Asien schaffen. Daraus entwikkelte sich für Kuba als Land der westlichen Hemisphäre, blutsmäßig aber auch Afrika verbunden, außerdem Teil der Dritten Welt und bald auch Mitglied des sozialistischen Blocks, ein Grundraster der Außenpolitik, der auf den ersten Blick scheinbar unübersichtliche und widersprüchliche Aktionsmuster liefert, in Wirklichkeit aber konstante Züge trägt, wie dann auch im Artikel 12 der Verfassung von 1976 mit dem Bekenntnis zu den „Grundsätzen des proletarischen Internationalismus und der kämpferischen Solidarität der Völker" bestätigt.
Um Kubas Haltung in Mittelamerika und der Karibik heute zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück bis auf das Jahr 1960, als die kubanische Außenpolitik nach den ersten Experimenten und Schwenks Konturen zu gewinnen begann
III. Kubanischer Revolutionsexport 1960/61 bis 1968
In dieser Phase der kubanischen Außenpolitik mußte die Sowjetunion erfahren, daß Kuba zwar Wirtschaftshilfe und militärische Absicherung suchte, aber nicht bereit war, sich Moskaus globalen Interessen unterzuordnen. Nach dem für sie negativen Ausgang der Raketenkrise vom Oktober 1962 leitete die Sowjetunion Schritte zu einer Detente mit den Vereinigten Staaten ein, weswegen sie die kubanische Unterstützung der castristischen Guerilla in Lateinamerika — damals die Hauptstoßrichtung kubanischer Außenpolitik — als Störfaktor für die Politik der friedlichen Koexistenz empfand.
Die Entschärfung der Raketenkrise vom Oktober 1962 war ohne Konsultation Kubas erfolgt, was eine erste'Zäsur in den kubanisch-sowjetischen Beziehungen herbeiführte. Am selben Tag, da Chruschtschow die US-amerikanische Forderung nach Abzug der Raketen akzeptierte, hatte die kubanische Führung ihrerseits fünf Vorbedingungen für eine Krisen-lösung aufgestellt (Vorbedingungen, die theoretisch noch immer Gültigkeit haben): Beendigung der Wirtschaftsblockade, Einstellung aller subversiven Aktivitäten gegen Kuba, Unterbindung bewaffneter Aktionen von Exilkubanern, Verzicht auf Aufklärungsflüge über kubanisches Territorium und Auflösung des US-Marinestützpunktes Guantänamo. Allerdings blieben diese Punkte bei der sowjetisch-amerikanischen Absprache unberücksichtigt; überdies wurde Castro auch nicht gefragt, als die Sowjets der Überwachung des Raketenabtransports seitens der Vereinten Nationen zustimmten — was die Kubaner als Verletzung ihrer Souveränität empfanden Zu einer weiteren Reibungsfläche wurde die castristische Revolutionskonzeption für Lateinamerika. Moskau war es nicht gelungen, die orthodoxen Kommunisten Lateinamerikas mit einer erfolgbringenden Revolutionsstrategie auszustatten. Die kubanische Revolution hingegen hatte einen Weg zur Abstreifung der Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten sowie zur radikalen Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse gewiesen. Dies legitimierte Kuba nach eigener Interpretation zur Sammlung der revolutionären Kräfte und zur Anleitung des revolutionären Kampfes in Lateinamerika, woraus zumindest ein Dutzend an der kubanischen Revolution orientierte Bewegungen entstanden. Kuba kostete dies die Sympathie des offiziellen Lateinamerikas, so daß nur Mexiko Beziehungen mit Havanna auf konsularischer Ebene beibehielt; dafür aber stand die Zuckerinsel in der Vor-hut des revolutionären, antiimperialistischen Kampfes.
Getreu ihrem revolutionären Credo war die kubanische Führung bestrebt, den revolutionären Funken nicht nur auf den lateinamerikanischen Kontinent zu tragen, sondern ihn auch dem Unabhängigkeitskampf Afrikas und Asiens dienstbar zu machen. Besonders Afrika stand frühzeitig im kubanischen Blickfeld. Ernesto „Che" Guevara, als Argentinier betont geopolitisch-revolutionär denkend, erprobte persönlich den schwarzen Kontinent als Schauplatz für die Auseinandersetzung mit dem „Imperialismus".
In Verwirklichung dieses Anspruchs und mit der Absicht, Kubas relative Handlungsfreiheit zwischen den um Einfluß in Afrika und Asien rivalisierenden Großmächten Sowjetunion und China zu bewahren sowie den zersplitterten linken Kräften in Lateinamerika Auftrieb zu geben, verfolgten die Kubaner die Gründung einer revolutionären Dritte-Welt-Bewegung. Diese Initiativen gipfelten in der Ersten Solidaritätskonferenz der Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die Anfang Januar 1966 in Havanna stattfand. Sie beschloß die Gründung der Solidaritätsorganisation der Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas (OSPAAL) zur Vereinigung, Koordinierung und Verstärkung des Kampfes gegen Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus, um solche revolutionären Initiativen unter kubanischer Führung lose zusammenfassen zu können. Außerdem beschloß diese „Tricontinental" die Gründung der Lateinamerikanischen Solidaritätsorganisation (OLAS), die im Juli/August 1967 ihr erstes Treffen in Havanna veranstaltete. In der von den Teilnehmern verabschiedeten Deklaration wurde der „bewaffnete Kampf" zur grundlegenden Aktivitätsform erhoben und anderen Wegen eine nur zweitrangige Bedeutung zugestanden. Die Priorität des „bewaffneten Kampfes" einerseits und die indirekte Frontstellung gegen die Koexistenzpolitik der Sowjetunion andererseits basierten auf der Überzeugung, die kubanische Revolution könne nur überleben, wenn der revolutionäre Funke auf das kontinentale Lateinamerika Übergriffe.
Zieht man auch andere ideologische Spannungen zwischen Havanna und Moskau ins Kalkül (so z. B. die Debatte über „moralische" und „materielle" Inzentive), läßt sich die Aussage rechtfertigen, in den Jahren 1966/67 sei das kubanisch-sowjetische Verhältnis auf einem Tiefpunkt angelangt.
IV. Kubas außenpolitische Metamorphose 1969— 1975
Die 1. OLAS-Konferenz diente dem Versuch, die lateinamerikanische revolutionäre Linke um Kuba zu scharen. Eine für 1969 geplante 2. OLAS-Konferenz kam nicht mehr zustande. Erstens erlitten die Guerillefos durch die von den USA modernisierten und in der Gegenguerilla trainierten lateinamerikanischen Armeen durchweg Niederlagen; zweitens brachte der Tod „Che" Guevaras im Oktober 1967 , in Bolivien die castristische Guerilla zum Stocken, weil Havanna die. logistische Unterstützung versanden ließ; drittens gab Kuba durch allmähliches Einschwenken auf die sowjetische Position der „friedlichen Koexistenz" den Anspruch auf die Führungsrolle im revolutionären Kampf auf.
Das kubanisch-sowjetische Rapprochement • wurde durch die zögernde Zustimmung Fidel Castros zum sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei vom August 1968 eingeleitet. Castro verhehlte zwar nicht, daß dadurch die tschechoslowakische Souveränität verletzt worden sei, billigte die Aktion aber wegen der Unorthodoxien der Prager Führung.
Maßgebend für die Herstellung eines auch ideologisch, politisch und wirtschaftspolitisch engeren Verhältnisses zur Sowjetunion war die Einsicht, daß weder Lateinamerika reif war für die Revolution noch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Aufbaus in Kuba allein bewältigt werden konnten. Nach der großen Massenmobilisierung für die Zucker-ernte der „ 10 Millionen Tonnen“ 1969/70 übte Castro am 26. Juli 1970 scharfe Selbstkritik und signalisierte die Bereitschaft der kubanischen Führung zur Reorganisation des Wirtschaftssystems nach den Kriterien des orthodoxen (osteuropäischen) Sozialismus. Kuba brach seine ideologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Experimente ab und übernahm in der Folge das sowjetische Modell der Leitung und Lenkung der Wirtschaft, trat — im Juli 1972 — dem COMECON bei und enthielt sich künftig aller castristischen Eigenheiten
Diese Annäherung Kubas an die Sowjetunion dürfte auch von Sicherheitsüberlegungen motiviert gewesen sein, war doch ein verstärkter Druck der Vereinigten Staaten auf die Zuckerinsel im Anschluß an die US-Intervention in der Dominikanischen Republik im Jahr 1965 der Anzeiger dafür, wie sensibel Washington auf nicht genehme Entwicklungen im Karibischen Becken reagierte. Andererseits hatte die Unterzeichnung des SALT-I-Abkommens 1972 gezeigt, daß die sowjetisch-amerikanische Detente weitere Fortschritte zu machen versprach. Wohl in der Erwartung, daß auch Kuba letztlich von ihr profitieren könnte, schwenkte Fidel Castro ganz auf die sowjetische Entspannungspolitik ein (Besuch Breschnews in Havanna Ende Januar/Anfang Februar 1974). Die Sowjetunion honorierte Kubas Verhalten nicht nur mit verstärkter Wirtschaftshilfe, sondern auch mit einer Intensivierung der militärischen Unterstützung in Form von modernsten Waffen und Ausbildern (die wiederholten sowjetischen Beistandszusagen fanden allerdings keine vertragliche Formalisierung; auch ist Kuba nicht Mitglied des Warschauer Paktes geworden).
Das Einschwenken Kubas auf den sowjetischen Entspannungskurs blieb nicht ohne positive Auswirkungen auf das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Ungeachtet ungelöster bilateraler Fragen wie der amerikanischen Entschädigungsansprüche, der US-Prä-senz in Guantänamo und des Handelsembargos schlossen beide Staaten im Februar 1973 ein erstes Abkommen zur Bekämpfung von Flugzeugentführungen: Kuba verpflichtete sich darin, Luftpiraten auszuliefern; die USA übernahmen die Verpflichtung, von ihrem Territorium ausgehende Aktionen von Exil-kubanern gegen Kuba zu unterbinden.
Fidel Castros Parteinahme für die Sowjetunion schlug sich auch in seinem Verhalten innerhalb der Bewegung der Blockfreien nieder. Unter Abkehr von früheren Haltungen (verkörpert vor allem in der Person Ernesto „Che" Guevaras), wonach die Sowjets verdächtigt wurden, die Dritte Welt auszubeuten, verurteilte der kubanische Revolutionsführer bei der Konferenz der Staats-und Regierungschefs der Blockfreien in Algier (1973) die chinesische „Theorie von den zwei Imperialismen" und geißelte jeden Versuch, die Blockfreien in einen Gegensatz zum sozialistischen Lager zu bringen, als zutiefst konterrevolutionär. Auch die kubanische Lateinamerika-Politik erfuhr durch Kubas Einschwenken auf die sowjetische Position eine nachhaltige Veränderung. War die Unterstützung für die Guerilla auf dem lateinamerikanischen Kontinent bereits 1968 eingefroren worden, so demonstrierten die Erfahrung der chilenischen Unidad Populär (1970— 1973), die Strömung des wirtschaftlichen Nationalismus der Andenländer und letztlich auch der militärische Linksnationalismus der Peruaner seit 1968 die anscheinend taktische Überlegenheit des „friedlichen Wegs". Mit dem Versanden der klassischen Landguerilla in Lateinamerika zeigte der Kontinent langsam wieder Interesse an einer Gesprächsaufnahme mit Kuba. Das linksperonistische Argentinien durchbrach 1974 als erstes lateinamerikanisches Land die 1961/62 gegen Kuba verhängten Blockaden. Letztlich war es dann ausgerechnet das Forum der Organisation Amerikanischer Staaten 1974 in Quito, wo man es den Mitgliedern freistellte, die Art der politischen und wirtschaftlichen Beziehung mit der Zukkerinsel selbst zu bestimmen. Zwar brach im selben Jahr die für Kuba positive Strömung des lateinamerikanischen Linksnationalismus jäh ab, doch im großen und ganzen blieb die Stimmung für Fidel Castro auf dem Kontinent wesentlich freundlicher als während der sechziger Jahre.
V. Kubas außenpolitische Offensive 1975— 1980
Auf der Basis der politisch-ideologischen Konvergenz mit der Sowjetunion entfaltete Kuba ab 1975 vielseitige Aktivitäten, die einerseits die Tradition des proletarischen Internationalismus konkretisierten, andererseits einen größeren Handlungsspielraum für die eigenen Ziele im internationalen System herausholen sollten. Kubas neue Dynamik zeigte sich insbesondere durch die Intensivierung der Süd-Süd-Kooperation auf drei Ebenen: Erstens als Erweiterung des militärischen Engagements in Afrika; zweitens durch Anstreben einer führenden Position in der Bewegung der Blockfreien; drittens in einer weitergehenden Annäherung an die lateinamerikanisch-karibischen Staaten.
Im Unterschied zu früher bestand aber die Solidarisierung mit der Dritten Welt nicht im „Revolutionsexport", sondern vielmehr in der im Zeichen des proletarischen Internationalismus stehenden Unterstützung und Stabilisierung revolutionärer Regime in der restlichen Dritten Welt. Dies erfolgte mit Zustimmung, zuweilen auch mit Ermunterung der Sowjetunion, die durch eigenes offensives Operieren in ungeklärten Einflußbereichen im damals noch gültigen Dtente-Klima hohe Risiken eingegangen wäre.
Kubas Engagement in Afrika 1975 ist nicht neu Erhöht wurde lediglich die sichtbare Präsenz. Letztlich gehen Kubas Kontakte mit Afrika und Nahost auf das Jahr 1960 zurück.
Seit damals hat es Befreiungsbewegungen im Kampf um die Erlangung der Unabhängigkeit unterstützt oder hat zur Stabilisierung „progressiver" Regimes durch die Abwehr interner und externer Feinde beigetragen. Neben militärischen Beratern traten von Anfang an auch kubanische Lehrer, Ärzte, Agrarexperten, Ingenieure und Sicherheitsbeamte auf.
Stipendienplätze in Havanna für afrikanische und asiatische Studenten gehören seit den frühen sechziger Jahren zu den Selbstverständlichkeiten. Im Herbst 1963 unterstützte Kuba die Algerier im Grenzkonflikt gegen Marokko erstmals mit eigenen Kampfkontingenten. Auf „Che" Guevaras Einsatz in Schwarz-Afrika ist bereits hingewiesen worden (wobei gerade bei ihm der geopolitische Ansatz zum Tragen kam, Afrika ersatzweise für das kontinentale Lateinamerika im Kampf gegen den „Imperialismus" zu verwenden).
Neu ist lediglich die massive militärische Präsenz der Kubaner seit Herbst 1975 in Angola und seit 1978 in Äthiopien. Der Beschluß hierfür wurde am 5. November 1975 — nach kubanischer Darstellung ohne Vorausinformation der Sowjetunion — gefaßt. Logistisch abenteuerlich wurde ein Expeditionskorps in Marsch gesetzt, um dem Movimento Populär de Libertacäo de Angola (MPLA), mit dem Kuba seit Mitte der sechziger Jahre kooperierte, gegen die mit ihm um die Macht rivalisierenden Befreiungsorganisationen sowie gegen südafrikanische Truppen zu helfen. Das Eingreifen der Kubaner, deren Zahl bis auf 36 000 anwachsen sollte wendete rasch das Blatt zugunsten des MPLA; die südafrikanischen Truppen verließen bereits Ende Februar 1976 angolanisches Territorium.
Die Kubaner in Angola wurden vor allem von westlichen Leitartiklern gern als „Söldner" oder „Erfüllungsgehilfen" der Sowjetunion dargestellt. Tatsache ist jedoch, daß unter „Kubanologen" die Darstellung Havannas, anfangs auf eigene Faust gehandelt und dann erst die logistische Unterstützung der Sowjetunion abgerufen zu haben, als realistisch gilt
Allerdings: Im Unterschied zum kubanischen Engagement in Angola war Kubas Intervention am Horn von Afrika offensichtlich am strategischen Interesse der Sowjetunion orientiert. Kuba hatte jahrelang sowohl Somalia als auch Äthiopien Hilfe in Form militärischer Beratung zuteil werden lassen. Zwar verlagerte Kuba diese Hilfe noch vor der Sowjetunion auf Äthiopien; die völlige Abwendung von Somalia dürfte jedoch erst vollzogen worden sein, nachdem die Sowjetunion sich entschieden hatte, weiteren Einfluß in Afrika über das wichtigere Äthiopien zu suchen. Nachdem diese Entscheidung einmal gefallen war, transportierte Kuba auch reguläre Streitkräfte nach Äthiopien, mit deren 16)Hilfe die Äthiopier die Provinz Ogaden von den Somalis blitzkriegartig zurückeroberten. Das zweite Aktionsfeld der kubanischen Süd-Süd-Kooperation bildete die Bewegung der Blockfreien, in der Fidel Castro seit 1975/76, gestützt auf die revolutionäre Außenpolitik in Afrika, eine Führungsposition anstrebte. Dies sollte der eigenen Profilierung ebenso dienen wie der Annäherung der Blockfreien an die Sowjetunion, wobei sich die sozialistischen Länder als „natürliche Verbündete" der Blockfreien im Kampf gegen den „Imperialismus" darstellen sollten. Die Anerkennung der Führungsrolle Kubas unter den Blockfreien fand ihren Ausdruck in der Abhaltung der 6. Gipfelkonferenz der Blockfreien 1979 in Havanna. Zwar gelang es den Kubanern auf dieser Konferenz nicht, die prosowjetische Orientierung durchzusetzen; andererseits gab es aber auch keinen Eklat oder gar eine Spaltung des eigenen Lagers.
Das dritte Aktionsmuster der kubanischen Süd-Süd-Kooperation wurde während dieser Jahre voll in Lateinamerika und in der Karibik entfaltet. Nachdem einmal der Beschluß der Organisation Amerikanischer Staaten gefallen war, den Mitgliedstaaten die Art der Beziehungen zu Kuba freizustellen, ergab sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ein stetig wachsender Austausch mit den Latein-amerikanern. Vergessen war die Rolle Kubas als Motor der castristischen Aufstandsbewegungen, die die Anden in die „Sierra Maestra der Amerikas" verwandeln wollten. Jetzt standen das Thema des gemeinsamen Weges im Rahmen des lateinamerikanischen Wirtschaftsnationalismus, die koordinierte Auseinandersetzung mit den Industriestaaten, die Bemühungen um verbesserte Rohstoffpreise und andere Themen im Vordergrund. Schritte auf dem Weg zur Integration Kubas in die lateinamerikanische „Familie" waren dessen Aufnahme als Mitglied in den Dachverband der lateinamerikanisch-karibischen Zucker-exporteure GEPLACEA (Grupo de Paises Latinoamericanos y del Caribe Exportadores de Azucar), dessen Mitgliedschaft in der karibischen Schiffahrtsgesellschaft NAMUCAR und insbesondere im Sistema Economico Latinoamericano (SELA), dem neuen, 1975 konstituierten und in Caracas amtierenden Koordinationsmechanismus Lateinamerikas für den Nord-Süd-Dialog. Mit den offenen Türen für Kuba im SELA waren die ertraglosen, diplomatisch sogar katastrophalen sechziger Jahre überwunden.
Diese vielfältigen Süd-Süd-Initiativen brachten zwar einerseits für Kuba beträchtliches Prestige in Afrika und Asien und letztlich sogar in Lateinamerika. Aber sein zur Expansion der sowjetischen Machtsphäre beitragendes militärisches Engagement in Angola und Äthiopien sowie die neuen Aktivitäten in der Karibik — zu erwähnen ist hier insbesondere die kubanische Unterstützung für die puertorikanische Unabhängigkeitsbewegung — erwiesen sich kontraproduktiv für eine Fortführung der Verständigung mit den USA. Zwar unterzeichneten die beiden Nachbarn im März 1977 ein (inzwischen von den USA wieder aufgekündigtes) Fischerei-Abkommen, um offene Fragen, die sich aus der von den beiden Staaten vorgenommenen Ausdehnung ihrer Küstengewässer ergaben, zu entschärfen; auch eröffneten beide am 1. September 1977 in Havanna und Washington „Interessenvertretungen" als Ersatz für diplomatische Beziehungen. Doch in der Folgezeit stagnierte der Annäherungsprozeß. Kubas Afrika-Korps irritierte die USA ebenso wie die Frage einer sowjetischen Kampfbrigade auf Kuba, so daß die Carter-Administration trotz aller Flexibilität gegenüber Lateinamerika aus sicherheitspolitischen Befürchtungen um die eigene Position in der Großkaribik diese Möglichkeit der Annäherung verstreichen ließ. Kuba wiederum opferte das Rapprochement mit den USA bewußt der eigenen Afrika-Politik, die zu geringen Kosten unerwartet hohe Gewinne einzubringen schien.
Die von den USA zur Bedingung für eine Normalisierung der Beziehungen erhobene Forderung der Beendigung der kubanischen Prä-senz in Afrika und der den US-Interessen abträglichen Aktivitäten in der Karibik konnte für die Kubaner kein Gegenstand für Verhandlungen sein, da sie den Verzicht hierauf als Verrat am proletarischen Internationalismus empfinden und den Verzicht auf die dank des Afrika-Engagements stark erweiterte eigene Manövriermöglichkeit hinnehmen hätten müssen. Die Carter-Administration wiederum fand sich nicht bereit, das gegen Kuba verhängte Handelsembargo aufzuheben, was die Kubaner als Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen betrachteten. Außerdem eröffnete das Jahr 1979 für Havanna unerwartete Möglichkeiten im Großkaribischen Raum. Demnach begann Afrika in den Hintergrund zu treten, während die eigene Nachbarschaft an Bedeutung gewann.
VI. Kubas Rückbesinnung auf den Großkaribischen Raum 1980 bis ?
Trotz der Konstanz in der revolutionären Außenpolitik Kubas läßt sich eine gewisse Pendelbewegung im Hinblick auf die Beziehungen zu Lateinamerika—Karibik ausmachen. Das kontinentale Lateinamerika nahm bis 1968 einen bevorzugten Platz ein, wobei die kubanische Führung durch Unterstützung castristischer Guerillagruppen politisch zu reüssieren hoffte. Diese erfolglose Strategie wurde nach 1969 zugunsten anderer Taktiken und Ziele — in Komplementarität mit den Interessen der Sowjetunion — aufgegeben. Keine Rolle spielte damals die Inselkaribik, die sich gerade erst in der Endphase der Entkolonialisierung befand.
Allerdings begannen die jungen englischsprachigen Karibik-Staaten Kuba während der siebziger Jahre enorm zu interessieren sozusagen als Ersatz für den lateinamerikanischen Kontinent, von dem Havanna sich zu enthalten lernte. Infolge der Sensibilitäten dieser für die Vereinigten Staaten bedeutungsvollen Sicherheitszone setzte Kuba damals diplomatisch klug eigentlich nur sein Instrumentarium der personellen Hilfe (Ärzte, Lehrer, Techniker) und der Kulturpolitik ein. Bewußt griff es dabei auf seine afrikanische Verwurzelung zurück und legte die tastende Karibikpolitik so weit als möglich in die Hände schwarzhäutiger Diplomaten, Techniker und Kulturpolitiker. Auch in dieser Hinsicht erreichten die Bemühungen ihren Gipfelpunkt im Jahr 1979, als im Juli das karibische Kulturfestival CARIFESTA III in Havanna abgehalten wurde. (Übrigens hat diese experimentelle Kulturpolitik in jenem Jahr auch den aufsehenerregenden Dialog Kubas mit jungen Exilkubanern ermöglicht.)
Zwar begannen einige konservative Mikro-Staaten der Zone damals schon vor einer kubanischen Penetration zu warnen (Antigua, St.
Vincent), doch hinderte dies die selbstbewußteren Einheiten (Trinidad & Tobago, Barbados)
trotz aller Vorbehalte gegenüber der Zucker-insel nicht am Beibehalten der diplomatischen Beziehungen und führte (vor 1979) sogar zu guten Beziehungen mit Guyana und Jamaika.
Die „kooperative Republik" Guyana (das frühere British-Guayana) brachte infolge ihrer geographischen Abgelegenheit und wirtschaftlichen Brüchigkeit des Landes Kuba nicht gerade einen Brückenkopf ein. Doch Jamaika unter dem radikalsozialistischen Michael Manley vom People's National Party (PNP) ließ von 1976 bis 1980, als Manley während seiner zweiten Amtszeit die Wirtschaftspolitik Jamaikas auf den Kopf stellte, eine quasi-revolutionäre Achse zwischen Havanna und Kingston entstehen Diese Zusammenarbeit verunsicherte nicht nur die Vereinigten Staaten, sie verwüstete überdies Jamaika, das in eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung schlitterte — wirtschaftlich und ideologisch. Die Wahlen von 1980, die dem PNP eine verheerende Niederlage bescherten, beendeten dieses Kapitel. (Übrigens wurzelt in dieser Erfahrung das Mißtrauen der mittelamerikanisch-karibischen Revolutionäre vor Wahlen, weil Jamaika demonstriert hatte, wie eine „Revolution" an der Wahlurne scheitern kann.) Amtsnachfolger Eddy Seaga, Jamaikas Premier seit 1980, verringerte Kubas Präsenz in Kingston drastisch und steuerte sein Land in die Umarmung Washingtons. Das Jamaika des Jahres 1980 hat somit Kuba die erste sichtbare Störung seiner revolutionären Außenpolitik eingebracht und damit belegt, daß der großkaribische Raum keine leichten und risikoniedrigen Erfolge zuläßt wie das weit entfernte Afrika.
Allein, Jamaika ließ sich für Kuba verschmerzen, weil 1979/80 eine ganz neue Situation eintrat. Zunächst einmal erklomm Fidel Castro mit der Ausrichtung des Gipfeltreffens der Blockfreien im September 1979 in Havanna den bisherigen Höhepunkt aller außen-politischen Bemühungen entlang der Süd-Süd-Achse. Allerdings begannen sich schon unmittelbar danach die Widersprüche und Kosten dieser Politik zu zeigen, so daß Kuba seither erkennbar in die Defensive gedrängt wurde. Offensichtlich erschien jedoch der kubanischen Führung der Preis attraktiv genug, um den hohen Einsatz im großkaribischen Raum dennoch zu wagen
Die Wegscheide bildet das Jahr 1979. Mit dem Sieg der Sandinisten in Nicaragua, dem Putsch des New Jewel-Movement auf Gre-nada und dem linksnationalistischen Militär-coup in Surinam kippte die von den Vereinigten Staaten so sorgsam gehütete Stabilität und Homogenität der Zone um. Prompt trat ein, was Washingstons Sicherheitspolitiker immer befürchtet hatten: Eine Vielzahl von Akteuren und Konkurrenten strömte ein! Ideologischer Pluralismus, Heterogenität und Instabilität bilden seither die neue Konstellation, die gerade Kuba Möglichkeiten bietet Gleichzeitig aber verschlechtern sich für Havanna die Rahmenbedingungen für seine Außenpolitik, weil das Scheitern der Detente, die Afghanistan-Krise und die daraus resultierende Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes die Toleranzgrenzen des internationalen Systems für kleine Staaten verengte. Zusätzlich verschmälert wurden sie durch den Amtsantritt Präsident Reagans im Januar 1981, da an seiner antikommunistischen Eindämmungspolitik kein Zweifel bestehen konnte. Trotzdem entschloß sich die kubanische Führung 1980 zur sichtbaren Erhöhung des eigenen Profils im karibischen Becken und erreichte, daß prompt alle an der Zone interessierten Akteure ihre „geopolitischen Streitäxte“ hervorholten.
Um die Sicht Washingtons darzustellen, genügt es, nur eine offizielle Stellungnahme zu zitieren „Today the peace and security of the Caribbean Basin are deeply threatened .. . by a web of political violence, economic collapse and Cuban support for Subversion .. . Timing the move to exploit.. . vulnerabilities, Cuba has mounted a campaign to establish Marxist-Leninist dictatorships in both Central America and the Caribbean. Beginning in 1978, Fidel Castro redoubled his efforts to discredit Basin governments, ridicule democracy and glorify armed violence."
Alle Akteure im mittelamerikanisch-karibischen Raum können einer von drei möglichen Gruppierungen zugeordnet werden (mit Ver-änderungen und Verschiebungen zwischen den Gruppen über die Zeit hinweg): (siehe Tabelle Seite 34)
Aus der Perspektive der revolutionären Achse kam Kuba mit Surinam nicht unbedingt zurecht; auch dann nicht, als im Dezember 1982 Oberst Desi Bouterse die internen Machtkämpfe momentan für sich entscheiden konnte. Aber Grenada und Nicaragua — letzteres wiederum mit einem starken Interesse am politisch-militärischen Sieg der bewaffneten Volksopposition in El Salvador — boten Kuba aussichtsreiche Möglichkeiten, mittels erzieherischer, medizinischer, technischer und militärischer Kader die Art von Revolutionsunterstützung und Revolutionsstabilisierung anzubieten, die in Afrika fast zwei Dekaden lang erprobt worden waren.
Jedoch spielte sich das jüngste Kapitel kubanischer Revolutionshilfe in einer für die Vereinigten Staaten hochsensiblen Sicherheitszone ab, so daß Gegenzüge zu erwarten waren. Auf diese Weise betrat Kuba brüchiges Terrain, denn die bisherigen Engagements, einschließlich der massiven Afrika-Präsenz seit 1975, wurden immer zu einem überschaubaren Risiko und vor allem mit eindeutigen Gewinnchancen eingegangen. In Grenada und Nicaragua jedoch sank die Gewinnchance bei gleichzeitig hochschnellenden Kosten und Einsatzrisiken.
Zwar konnte die Reagan-Administration wegen der legislativen Kontrollen des US-Kongresses über die Präsidentschaft keine offene Interventionspolitik einleiten (so daß die ursprünglichen ÜS-Mittelamerika-und Karibik-Designs des „going to the source" archiviert werden mußten), aber den Akteuren im revolutionären Lager wurden zunehmend höhere Kosten in einer immer feindseligeren Umwelt aufgebürdet.
Darunter litt nicht nur Kubas Profil in Südamerika (Kolumbien zum Beispiel „suspendierte" im März 1981 wegen angeblicher Unterstützung der M-19-Guerilla die Beziehun-gen zu Havanna ), sondern sogar das traditionell freundschaftliche Verhältnis zu Mexiko unterlag diesem Verschleiß. Daß Fidel Castro die Einladung zum entwicklungspolitischen Gipfel in Cancun 1981 verwehrt wurde, ist ein Indiz dafür, daß Kubas Führungsrolle im Lager der Blockfreien — nicht zuletzt wegen der aus der Afghanistan-Krise entwachsenen Widersprüche — minimiert wurde.
Schließlich knickte im Oktober 1983 mit der US-Intervention auf Grenada ein Standbein der kubanischen Politik für das Karibische Becken ein, und zwar für Washington risiko-niedrig wegen der blutigen Konfliktaustragung in der New-Jewel-Revolutionsführung zwischen Premier Maurice Bishop und der prosowjetischen Bernard-Coard-Fraktion
Belastet von dieser offensichtlichen Niederlage und zurückgedrängt auf die bilaterale Kooperation mit dem sandinistischen Nicaragua, gab sich Kuba alle Mühe, sein Profil in Mittelamerika zu versachlichen, Verhandlungsvorschläge gutzuheißen, Personal zurückzuführen und sich überhaupt in Verteidigungsstellung auf Kuba einzuigeln Havan-nas Besorgnis, ein zweites Supermächteabkommen nach dem Muster vom Oktober 1962 könne auch diesmal über den eigenen Kopf hinweg ausgehandelt werden mag eine der Begründungen für die Politik der diplomatischen Mäßigung sein, wie Kuba sie seit dem Herbst 1983 praktiziert.
VII. Markierungen
Kuba, der kleine Staat mit der Außenpolitik eines großen verfolgte ein Vierteljahrhundert eine revolutionsunterstützende Strategie, agierte jedoch auf der Basis einsichtiger Kalküls berechenbar. „Abenteurertum" kann Kuba eigentlich nur während der frühen sechziger Jahre vorgeworfen werden, als Havanna die castristische Guerilla in zahlreichen Staaten Lateinamerikas unterstützte. Im Gefolge der „Institutionalisierung der Revolution" pendelte sich auch die Außenpolitik auf einsichtigere Muster ein. Die Intensivierung des kubanischen Engagements in Afrika 1975 hätte demnach keine brüske Überraschung bringen dürfen, weil solches der sogar in der kubanischen Verfassung verankerten Maxime des proletarischen Internationalismus entsprach. Ebensowenig darf überraschen, daß Kuba seit 1979/80 seine Chance in der Inselkaribik und in Mittelamerika wahrnahm, als Grenada und Nicaragua dafür günstige Voraussetzungen boten.
Als Einübung hierfür diente die Art von Kooperations-und Kulturpolitik, die Kuba während der siebziger Jahre in der Inselkaribik aufgebaut hatte. War 1979/80 einmal die prinzipielle Entscheidung gefallen, das eigene Profil in Mittelamerika und in der Karibik zu erhöhen, wurde konsequent, geradlinig und für die Weltöffentlichkeit relativ transparent gehandelt. Zusätzlich verstärkt wurde Kubas Bereitschaft für das neue Engagement im Karibischen Becken dank der Einsicht, lebendiger Teil dieser Zone zu sein
Aus kubanischer Sicht wurde dabei der Bogen nirgends überspannt — auch nicht mit dem Bau des Großflughafens auf Grenada. Doch der schroff antikommunistischen Reagan-Administration, die alle „totalitären Marxisten" in der Zone beseitigen will, um zur stabilen Homogenität der Zeit vor 1979 zurückzukehren, war dies alles Provokation genug. Jedoch hat Kuba das innerhalb kürzester Zeit enorm angestiegene Risiko für die eigene Revolution erkannt und igelt sich deshalb seit Herbst 1983 in eigenen Verteidigungsstellungen ein. Es ist deshalb auch bereit, Verhandlungslösungen vom Typ „Contadora" zuzustimmen — sofern dabei das überleben der sandinistischen Revolution gewährleistet erscheint. Gerade dies aber will die Reagan-Administration vermeiden. So erscheint es höchst fraglich, ob die Vereinigten Staaten Kubas taktischen Rückzug honorieren wollen. Nicht einmal der akademische Kissinger-Report da pointiert sicherheitspolitisch argumentierend, diagnostiziert in dieser Hinsicht eine Möglichkeit für Arrangements. Statt dessen legt der Kissinger-Report Wert darauf, zu zeigen, wie Kuba, anstatt nach 1962 neutralisiert zu werden, seine revolutionäre Penetrationskapazität vervielfachte 32).
Dementsprechend läßt sich die mittelamerikanisch-karibische Krise unter den gegenwär-tigen Umständen im besten Fall einfrieren, aber auf keinen Fall entschärfen
Gerhard Drekonja-Kornat, geb. 1939; Studium der Geschichte und der Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Cornell (USA); lebte in den vergangenen Jahren in Lateinamerika, wo er wissenschaftlich und publizistisch vor allem über lateinamerikanische Außenpolitik arbeitete; derzeit Chefredakteur der „Zeitschrift für Lateinamerika", Wien, und Gastprofessor für Außenpolitik von Dritte-Welt-Staaten an der Universität Wien. Veröffentlichungen u. a.: Retos de la Politica Exterior Colombiana, Bogota 1983; (hrsg. zusammen mit Juan G. Tokatlian), Teoria y Prätica de la Politica Exterior Latinoamericana, Bogota 1983.
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