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Erfolge und Grenzen technokratischer Umweltpolitik in Japan | APuZ 9-10/1984 | bpb.de

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APuZ 9-10/1984 Tradition und Moderne in der japanischen Industriegesellschaft Zur japanischen Außen-und Sicherheitspolitik Wirtschaftsmacht Japan Erfolge und Grenzen technokratischer Umweltpolitik in Japan Artikel 1

Erfolge und Grenzen technokratischer Umweltpolitik in Japan

Helmut Weidner

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Folgen der Umweltzerstörung in Japan haben weltweit Aufsehen erregt — über Erfolge der Umweltpolitik, die es auch gibt, ist dagegen kaum berichtet worden. Dabei hat Japan, um den Weg ins „ökologische Harakiri" zu vermeiden, einige bemerkenswerte umweltpolitische Kraftanstrengungen vollbracht. Die im internationalen Vergleich besonders herausragenden Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Luftreinhaltepolitik, werden dargestellt. Angesichts der in der Bundesrepublik gegenwärtig geführten Diskussion über die Gesundheitsfolgen von Luftverschmutzungen wird auch auf das japanische Kompensationssystem für Gesundheitsschäden — in dieser Art weltweit einmalig — eingegangen. Die technokratischen Elemente der japanischen Umweltpolitik werden herausgearbeitet und hinsichtlich ihrer Problemverschiebungseffekte untersucht. Dabei wird gezeigt, daß das bestehende Defizit an präventiver Umweltpolitik zur Entstehung neuer Umweltprobleme oder zu Grenzen in bisher erfolgreichen Bereichen führt. Trotz dieser Schwächen wird die japanische Umweltpolitik als beispielhaft eingestuft, weil sie kurz-bis mittelfristig eine erhebliche Minderung der Umweltbelastung erreicht hat, ohne daß volkswirtschaftliche Probleme auftraten.

Für die intensive Unterstützung meiner Forschungsarbeiten in Japan im Herbst 1983 danke ich Prof. Hiroshi Oda (Tokio-Universität) und Herrn Tsuneo Takeuchi (staatliches Umweltamt, Tokio).

Weitere Ausführungen des Autors zu diesem Thema finden sich in: Zeitschrift für Umweltpolitik, (1983) 3, und Arbeitskreis Chemische Industrie Köln/Katalyse-Gruppe Köln (Hrsg.), Das Waldsterben. Ursachen, Folgen, Gegenmaßnahmen, Köln 1983.

Japan ist weder auf dem Weg zum einst vorausgesagten „ökologischen Harakiri" noch ist es dabei, ein ökologisches Musterland zu werden. Es hat furchtbare Erfah und Arbeitskreis Chemische Industrie Köln/Katalyse-Gruppe Köln (Hrsg.), Das Waldsterben. Ursachen, Folgen, Gegenmaßnahmen, Köln 1983.

Japan ist weder auf dem Weg zum einst vorausgesagten „ökologischen Harakiri" 1) noch ist es dabei, ein ökologisches Musterland zu werden. Es hat furchtbare Erfahrungen mit den Folgen der Umweltzerstörung hinter und noch etliche ungelöste Umweltschutzprobleme vor sich. Es ist zugleich ein Land, in dem weltweit einmalige technische und politische Maßnahmen zur Minderung der Gesundheits-und Umweltfolgen industriellen Wachstums ergriffen wurden.

Gerade im Bereich der Luftreinhaltepolitik haben die Japaner gezeigt, daß es innerhalb einer relativ kurzen Zeit — und ohne volkswirtschaftliche Friktionen zu verursachen — möglich ist, eine drastische Verminderung der Luftbelastung durch Schwefeldioxid (SO 2) zu erreichen. Der Gemeinplatz, „das mag für die Umweltpolitik richtig sein, taugt aber nicht für die Ökonomie", bewahrheitete sich in Japan nicht. Angesichts des Waldsterbens in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer langjährigen Immissionsschutzpolitik, die große Paragraphenberge und kleine Effekte hervorbrachte, ist es durchaus angebracht, den Blick auch einmal auf die erfolgreichen Maßnahmen und ihr politisches Umfeld in Japan zu richten, anstatt auf unsere europäischen Nachbarn, die weniger tun als wir selbst 2).

Japan taugt als ökologischer Lehrfall nicht nur für Dritte-Welt-Länder, die auf eine schnelle Industrialisierung setzen, sondern vor allem für das Studium sozialer und ökologischer Folgen superindustriellen Wachstums 3). In letzterer Hinsicht kann Japan wegen seiner immer noch vorhandenen Wachstumsdynamik als reales „Testlabor" für Industrieländer gelten. Schließlich gehört eine* Berücksichtigung der Umweltprobleme wegen ihrer weitreichenden sozialen, politischen und ökonomischen Folgen auch zu jeder umfassenderen Darstellung des japanischen Gesellschaftssystems: Wer die Umweltprobleme hierbei ausklammert, läßt ein relevantes Stück japanischer Wirklichkeit unberücksichtigt. Im vorliegenden Beitrag wird überwiegend auf die technokratischen Elemente der Umweltpolitik eingegangen. Eine Darstellung und Analyse der umweltpolitischen Probleme seit etwa den fünfziger Jahren erfolgte bereits in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift so daß an dieser Stelle die verschiedenen Entwicklungsphasen in knapper Form beschrieben werden können. Die Möglichkeiten und Grenzen der gegenwärtigen japanischen Umweltpolitik werden anhand der Entwicklung der Umweltsituation überprüft, wobei besonders auf Problemverschiebungen als einem konstitutiven Element einer weitgehend „entsorgenden" (reaktiven) Umweltpolitik geachtet wird. Abschließend wird kurz auf die Frage eingegangen, was andere Industrieländer von Japan lernen können.

I. Merkmale technokratischer Umweltpolitik: Partielle Erfolge, langfristige Versäumnisse

Sehr frühzeitig schon wurde in wissenschaftlichen Analysen darauf hingewiesen, daß ein wesentliches Merkmal staatlicher Umweltpolitik die Strategie des „peripheren Eingriffs" sei, oder — anders gewendet — die unzureichende Berücksichtigung des „ökologischen Gesamtkontextes" Diese Mängelrüge kann auch heutzutage noch gegenüber der Umweltpolitik in allen Industrieländern erhoben werden. Für die Bundesrepublik etwa kam die Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie" zu dem Ergebnis, daß von einer umfassend ökologisch ausgerichteten Umweltvorsorgepolitik oder von einer Abkehr von den bisherigen medial oder sektoral ausgerichteten Strategien noch längst nicht gesprochen werden kann Zu einem nahezu gleichlautenden Ergebnis kommt das japanische Umweltamt in seinem neuesten Umweltgutachten und fordert dementsprechend einen „umfassenden Ansatz" der Umweltpolitik auf Basis der Erfordernisse des Ökosystems Es wird gar von einer „Mission" gesprochen, dafür Sorge zu tragen, daß die unschätzbare und begrenzte Natur von Generation zu Generation unbeeinträchtigt weitergegeben wird Hier drängt sich die Ähnlichkeit zum Diktum von Karl Marx auf, daß gegenwärtige Gesellschaften nicht Eigentümer, sondern nur Besitzer und Nutznießer der Erde seien und sie als „boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen" hätten

Im Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern hat Japan recht unkonventionelle Regelungsinstrumente entwickelt, in manchen Bereichen der Umwelttechnik die „Weltspitze" erklommen und drastische Umweltbelastungen in erheblichem Maße abgebaut. Die Poli-tikform, mit der dies erreicht wurde, möchte ich als technokratisch-aktive Umweltpolitik bezeichnen.

Der Unterschied der technokratisch-aktiven Umweltpolitik zu anderen Formen der Umweltpolitik, die ebenfalls den ökologischen Gesamtkontext unzureichend berücksichtigen besteht vor allem in den folgenden Merkmalen:

O Es wird stärker das technisch Machbare als das umweltrechtlich Festgeschriebene bei der Maßnahmenentwicklung akzentuiert

O Es werden stringente Ziel-Mittel-Relationen für umweltpolitische Maßnahmen in ausgewählten Problembereichen aufgestellt, wobei die Ziele nicht absichtsvoll im Vagen oder Unverbindlichen verbleiben.

Bemerkenswert ist hierbei, daß die rechtliche Form und Konkretisierung der Ziele der japanischen Umweltpolitik oftmals viel weniger eindeutig sind als in anderen Ländern. Ihre dennoch faktisch stärkere handlungsleitende Funktion liegt vermutlich in der Übereinkunft der beteiligten Akteure (in der Regel Bürokratie und Industrie), einmal vereinbarte Ziele tatsächlich anzustreben, gleichgültig, ob sie nun rechtlich einklagbar sind oder nicht

O Die Zielerfüllung wird für einen kurz-, manchmal mittelfristigen Zeitraum angestrebt und in der Regel auch tatsächlich erreicht. Aus der Sicht der Vollzugseffektivität hebt sich die japanische Umweltpolitik im positiven Sinne von den Politikformen anderer Länder ab: Sie ist Krisenmanagement an der Sache und nicht an der Sache vorbei Die japanische Umweltpolitik, die diese drei Merkmale in ausgeprägter Form enthält, wird hier als technokratisch-aktive und nicht schlicht als effektive bezeichnet, weil sie trotz ihrer vergleichsweise positiven Seiten im Rahmen technokratischer Lösungsmuster verbleibt, während transzendente Lösungsmuster in stärkerem Maße die Problemursachen einzubeziehen und langfristig zu überwinden hätten. So ist die japanische Umwelt-strategie durchaus eine systemimmanente und „systemrationale" Politik. Das Bemerkenswerte gewinnt sie erst dadurch, daß zahlreiche andere Industrieländer mit ihrer Umweltpolitik unter dem Niveau technokratisch intelligenter Politik bleiben

Die Grenzen einer nicht am ökologischen Gesamtkontext orientierten Umweltpolitik sind darin zu sehen, daß sie mit ihren Mitteln des selektiven und peripheren Eingriffs zwar eine kurz-bis mittelfristige „Entsorgung" erreichen kann, daß langfristig jedoch die erreichten Erfolge gefährdet werden oder gar die alten „Sorgen" auf einem höheren Niveau wieder auftauchen. Die Erklärung hierfür liegt in dem Prozeß der wachstumsbedingten Akkumulation der Restschadstoffe und vor allem in dem Phänomen der Problemverschiebung.

Eine Problemverschiebung wird häufig dann verursacht, wenn Schadstoffe aus einem Umweltmedium zwar beseitigt, -jedoch nicht durch ursachenorientierte Maßnahmen an ihrer Entstehung gehindert werden. So kommt es zu Problemverschiebungen medialer (etwa Schadstoffverlagerungen von der Luft ins Wasser), lokaler (Luftverbesserungen in Ballungsgebieten werden durch eine weiträumige Schadstoffverteilung mit Hilfe einer „Politik der hohen Schornsteine" erzielt) und temporaler Art (etwa durch Schadstoffverdünnung, die statt akuter chronische Belastungen bewirkt, deren Gesundheitseffekte erst relativ spät erkennbar werden

II. Umweltpolitische Entwicklungsphasen: Von der ökologischen Ignoranz zur technokratischen Intelligenz

Von der ökologischen Ignoranz der japanischen Regierung bis zur technokratisch-aktiven Umweltpolitik, durch die Japan zu einem umweltpolitischen Schrittmacher wurde, war es ein weiter, für die Bevölkerung oftmals dornenreicher Weg: Nirgendwo sonst waren dermaßen viele Krankheits-und Todesfälle so eindeutig auf Umweltverschmutzung zurückzuführen. Von den Todesopfern hatten etliche an qualvollen Krankheiten gelitten. Weltweites Aufsehen erregten dabei die Minamataund die Itai-Itai-Krankheit, beide durch toxische Schwermetalle (Methylquecksilber bzw. Kadmium) in Industrieabwässern hervorgerufen. Schwerwiegende Auswirkungen für Leben und Gesundheit hatten auch Arsen-, PCBund Hexachrom-Vergiftungen, gleichfalls Resultate industrieller Tätigkeiten. Auch das Atmen fiel den Japanern immer schwerer: Industrie-und Kraftfahrzeugabgase hüllten die Städte in giftige Smogwolken, so daß die Atemwegerkrankungen rapide zunahmen. Der industriellen Dampfwalze fiel auch die Natur zum Opfer: Flüsse, Küstengewässer und Seen verwandelten sich in Kloaken; ehemals als Naturschönheiten geltende Landstriche wurden zubetoniert oder durch Verkehrswege zerschnitten. Ausgangspunkt für die nationale Umweltpolitik war mithin eine ökologische Krise, die unter den Industrieländern ihresgleichen sucht. Die gegenwärtige Umweltpolitik ist Ergebnis überaus konfliktreicher Auseinandersetzungen; ihre Entwicklungsphasen lassen sich grob in folgende drei Stufen einteilen: 1. Die Phase der gezielten ökologischen Ignoranz Die Geschichte der japanischen Umweltbewegung reicht einige Jahrhunderte zurück. Eine „Chronologie der Umweltverschmutzung in Japan" weist durch Umweltzerstörungen verursachte Konfliktfälle bis in die Tokugawa-Periode (1603— 1867) nach Im Dezember 1690 brachten beispielsweise Einwohner des heutigen Takachiho eine Petition um Steuernachlaß vor, weil toxische Emissionen den für Lackarbeiten vorgesehenen Baumbestand gefährdeten. Noch bekannter ist der Großkonflikt um die Ashio-Kupfermine Ende des 19. Jahrhunderts, der sowohl vom Ablauf als auch von der Reaktion der zuständigen Behörden her große Ähnlichkeit mit den Streitfällen nach dem Zweiten Weltkrieg aufweist: Trotz nachweislicher Beeinträchtigung von Gesundheit und Agrarland durch die Kupferproduktion blieb die Zentralregierung rund sechs Jahre lang praktisch untätig. Das Unternehmen wiederum versuchte, den Konflikt durch niedrige Schadensersatzzahlungen an die Betroffenen (sog. Tränen-oder Kondolenzgeld) zu lösen. Erfolglos: Es kam zu Protestmärschen der Dorfbewohner, die in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten. Erst als der Fall landesweite Aufmerksamkeit auf sich zog, erließ die Regierung Umweltvorschriften, die sich allerdings als unzulänglich erwiesen

In den folgenden Jahrzehnten kam es zu einer Reihe weiterer Auseinandersetzungen, ohne daß daraus effektive umweltpolitische Konsequenzen auf zentralstaatlicher Ebene gezogen wurden. Auf lokaler Ebene erlassene Umweltschutzvorschriften — den Beginn machte Tokio 1949 — erwiesen sich in der Regel als zu schwach

Die japanische Wachstumsstrategie, die vor allem den Ausbau bekanntermaßen umwelt-belastender Industriezweige wie Schwer-, Chemie-und Mineralölindustrie förderte — im Zeitraum 1956— 1968 verzehnfachte sich die Produktion in diesen Sektoren —, sowie die Ignorierung sich immer deutlicher abzeichnender Folgen für Gesundheit und natürliche Umwelt trugen dazu bei, daß es zu einigen schwerwiegenden Erkrankungen kommen konnte (Minamata-und Itai-Itai1%)

Krankheit). Im Falle der Minamata-Krankheit, die erstmals in der kleinen Industriehafenstadt Minamata auftrat, führten Quecksilbervergiftungen zu schweren Schäden des zentralen Nervensystems; Hirnschäden, Krämpfe, Hör-und Sprachstörungen waren die Folgen. Die Vergiftungen mit Kadmium hatten insbesondere eine Schrumpfung des Skeletts zur Folge; wegen ihres äußerst schmerzhaften Verlaufs — einige Betroffene verübten deshalb Selbstmord — wurde diese Krankheit Itai-Itai, d. h. Aul-Au! -Krankheit genannt. Sie trat vorwiegend im Flußgebiet des Jintsu auf

In der Reaktion der Regierung und der zuständigen Ministerialbürokratie auf diese Vorfälle zeichnete sich der Typus einer ökologisch ignoranten und repressiven Politik in geradezu klassischer Weise ab. Zunächst erfolgte keine Reaktion. Als die Krankheitsfälle sich häuften und erste Protestaktionen aufkeimten, wurde die These, daß es sich um Folgen giftiger Industrieabwässer handelte, angezweifelt — auch mit Hilfe von nachweislichen Gefälligkeitsgutachten. Gegen die zunehmend militanteren Proteste der Betroffenen wurden staatliche Machtmittel eingesetzt; unabhängige Forscher wurden behindert. Bis zur Anerkennung der von engagierten Wissenschaftlern entwickelten „Kadmium-bzw. Quecksilbertheorie" durch die Regierung vergingen Jahre, in denen die Erkrankungen zunahmen und nun auch in anderen Orten auftraten. Die wachstumstrunkene, umweltpolitisch jedoch abstinente Regierung ergriff nämlich erst dann vorbeugende Maßnahmen, als an den Beweisen nicht mehr zu rütteln war und die Konflikte eine landesweite Dimension annahmen. Noch heute gibt es 1 950 anerkannte Opfer, etliche warten seit langem auf ihre staatliche Anerkennung; die Dunkelziffer der Gesamtschadensfälle wird um einiges höher geschätzt

Ähnliche Ablaufmuster der ökologisch ignoranten Politik lassen sich auch in anderen Fällen nachweisen Daß diese Strategie indessen immer brüchiger wurde, lag vorwiegend an der zunehmenden Konfliktfähigkeit der Betroffenen, die Unterstützung durch kritische Wissenschaftler, Juristen, Bürgerinitia-tiven, Studenten der „neuen Linken" und die Medien erhielten. Der zentrale Satz der Verfassung des Prinzen Shötoku aus dem Jahr 604: „Die Harmonie ist hochzuschätzen, und der Verzicht auf Widerspruch ist ehrenhaft", verlor hierdurch an Bedeutung für die Regelung umweltpolitischer Konflikte. Unterstützung durch die traditionellen politischen/gesellschaftlichen Kräfte (Parteien, Gewerkschaften) gab es dagegen anfänglich nicht; auch große Teile der Bevölkerung hatten zunächst mit Diskriminierung der Betroffenen reagiert

Die Regierung hielt es angesichts des Stimmungsumschlags in der Bevölkerung, befördert durch die Zunahme der Schadensfälle, für opportun, ihre Mixtur aus Vogel-Strauß-Politik und Repression zugunsten einer „weicheren" Politik aufzugeben, die mit vertrauensbildenden Maßnahmen den Konflikten die Spitze nehmen und durch „Verrechtlichung" der Umweltproblematik die Konflikte kalkulierbarer machen sollte. 2. Die Phase der symbolischen Umweltpolitik Die konservative Zentralregierung ging daran, der Umweltpolitik neue Kleider zu schneidern. Sie ließ ab etwa Mitte der sechziger Jahre die Paragraphen-Webstühle auf Hochtouren laufen. Heraus kam allerdings ein Gespinst, das eher die umweltpolitischen Blößen der Regierung bedeckte, denn einen wirkungsvollen Schutz gegen industrielle Emittenten bot. Eine solche Phase der symbolischenUmweltpolitik, in der zwar auf dem Papier beeindruckende Programme, aber kaum Effekte produziert werden, haben die meisten anderen Industrieländer auch durchlaufen oder stehen noch mittendrin

Im Jahr 1967 trat in Japan ein allgemeines Umweltgesetz'm Kraft, in dem die Grundprinzipien der Umweltpolitik (Ziele, Strategien, Instrumente und Zuständigkeiten) festgelegt wurden, an denen sich die späteren Spezialgesetze zu den einzelnen Umweltbereichen oder Sonderfällen (etwa Kompensationsregelungen für Umweltschäden) zu orientieren hatten Es enthielt jedoch eine Klausel, die sich als folgenschweres Hemmnis für die Durchsetzung und Entwicklung konkreterer umweltpolitischer Strategien entpuppte: Gefordert war, daß der Schutz der „lebendigen" Umwelt in „harmonischer Abstimmung" mit einer gesunden Wirtschaftsentwicklung erfolgen sollte. Diese Harmonieklausel wurde von der Industrielobby häufig gegen den Erlaß schärferer Umweltmaßnahmen ins Spiel gebracht und als Aussage zugunsten eines Primats der Ökonomie interpretiert

Dem insgesamt weichen Umweltbasisgesetz folgte eine Reihe gleichfalls schwachherziger Spezialgesetze und Verordnungen Sie alle scheiterten im großen und ganzen an den Vollzugsrealitäten. Es gelang nicht, damit das historisch entstandene Wachstumskartell aus Großindustrie, Regierungspartei und Ministerialbürokratie aufzubrechen und in weniger umweltbelastende Bahnen zu lenken: Traten früher akute Belastungen noch in örtlich relativ begrenzten „Probleminseln" auf und schädigten vorwiegend Bewohner ländlicher Gebiete, so änderte sich das Bild im Zuge des weiteren rapiden industriellen Wachstums grundlegend. Es kam zu einer landesweiten Ausbreitung spürbarer Umweltbelastungen, zu einer „chronischen Belastung aller, statt der akuten Belastung weniger" Das wurde besonders im Bereich der Luftverschmutzung deutlich, denn die Zahl der Atemwegerkrankungen wuchs beträchtlich.

Eine selbstkritische Einschätzung der Umweltsituation im Ballungsraum Tokio durch die Stadtregierung gibt zugleich ein treffendes Bild von der nationalen Problemlage in diesen Jahren: Japan, so hieß es, sei zu einer „Schaubühne der Umweltzerstörung" geworden -Die Bevölkerung war indessen immer weniger bereit, die Rolle von Statisten in diesem ökologischen Schauerstück zu spielen. Proteste und Prozesse gegen umweltbeeinträchtigende Aktivitäten und Vorhaben mehrten sich. Die glanzvollen Zahlen der BSP-Steigerungsraten (die Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes betrug zwischen 1961 und 1970 rund 11 %) verloren in der fast alltäglichen Erfahrung photochemischer Smogschleier ihre Suggestivkraft. Gesundheitsbeeinträchtigungen und Umweltzerstörungen zugunsten von Wirtschaftswachstum wurden — Meinungsumfragen zufolge — immer weniger toleriert. Selbst Bewohner ländlicher Gebiete, die noch wenig früher Neuansiedlungen begrüßt hätten, sperrten sich zunehmend gegen Industrievorhaben aller Art Landesweit bekannt wurde das Motto einer japanischen Umweltinitiative: „Lieber Reis essen unter blauem Himmel als Beefsteaks im Smog".

Es erwies sich, daß der Umweltzerstörung nicht mit primär symbolischen Maßnahmen beizukommen war. Die abnehmende Wachstums-und Fortschrittsgläubigkeit der japanischen Bevölkerung und die zunehmende Opposition gegen Industrievorhaben, aber auch gegen staatliche Infrastrukturmaßnahmen (Eisenbahntrassen, Autostraßen) stellten für das japanische Wachstumskartell eine bedrohliche Entwicklung dar. Es wurde immer schwieriger, neue Industriestandorte zu gewinnen, gab es doch in den Ballungsgebieten im dicht-besiedelten Japan kaum noch Expansionsmöglichkeiten. Gemeinsam mit den monetären Kosten (Entschädigungszahlungen an Betroffene, Kompensationszahlungen für Standortgenehmigungen etc.) nahmen die „politischen Kosten" immer größere Dimensionen an: Neben einem allgemeinen Glaubwürdigkeitsverlust der Regierung wegen ihrer offensichtlichen Parteilichkeit bei Umweltkonflikten zeichnete sich auch ein Bröckeln der Wählerbasis der Regierungspartei ab

Hierauf reagierte die Regierung mit einem relativ radikalen „umweltpolitischen Kleider-wechsel", wodurch einige nachhaltige Änderungen der staatlichen Umweltpolitik eingeleitet wurden: 3. Die Phase technokratisch-aktiver Umweltpolitik In der dritten, technokratisch-aktiven Phase der staatlichen Umweltpolitik wurden sowohl teilweise scharfe Maßnahmen gegen maßgebliche Umweltverschmutzer ergriffen als auch einige im internationalen Vergleich herausragende Regelungsinstrumente geschaffen. Sie führten ebenso wie der beachtliche Anstieg der privaten und staatlichen Aufwendungen für Umweltschutzmaßnahmen zu markanten Verbesserungen in einigen Schadstoffbereichen, auf die andere Industrienationen in der Regel nicht verweisen können. (Auf die erfolgreichen Maßnahmen wird in Kapitel III näher eingegangen.)

Die dritte Phase der japanischen Umweltpolitik begann in etwa mit dem parlamentarischen Kraftakt von 1970, als auf einer Sonder-parlamentssitzung ein „Umweltgesetzespaket" mit insgesamt 14 Umweltschutzgesetzen bzw. -Verordnungen verabschiedet wurde. Die Vorschriften wurden im Laufe der Zeit, häufig in Reaktion auf die „umweltbewußte" Rechtsprechung — auf sie wird weiter unten noch eingegangen —, ergänzt und modifiziert. Die um-weltpolitisch verhängnisvolle Harmonieklausel im Umweltbasisgesetz wurde gestrichen. Die umweltpolitische Wende der konservativen Zentralregierung wurde mit herbeigeführt und in der Folgezeit intensiviert durch Entwicklungen im gesellschaftlichen, kommunalpolitischen und judikativen Bereich. Auf die sozialen Entwicklungen (steigende Proteste von Betroffenengruppen etc.) ist oben schon hingewiesen worden. Es waren jedoch nicht nur Bürgergruppen, die sich für strengere Umweltschutzmaßnahmen einsetzten. Druck auf die untätige Zentralregierung übten auch Politiker stark belasteter Großstädte und einiger Präfekturen aus. Tokio stand dabei oftmals irt vorderster Front, wenn es galt, die Zentralregierung zu schärferen Umweltschutzregelungen anzuspornen. Dieser „kommunale Ungehorsam" gegen die einspurige Wachstumspolitik der Zentralregierung äußerte sich u. a. darin, daß lokal und regional Umweltschutzverordnungen erlassen wurden, die in wesentlichen Teilen strenger waren als die nationalen Gesetze. Wo dies an rechtliche Grenzen stieß, wurden Unternehmen durch politischen Druck zu sogenannten Umwelt-vereinbarungen gezwungen, die oft weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgingen. Sie bieten vor allem die Möglichkeit, auf ortstypische Belastungssituationen flexibel reagieren zu können. Solche Vereinbarungen werden in Japan von Unternehmen sowohl mit Umweltbehörden als auch mit Einwohnergruppen abgeschlossen. Inzwischen gibt es über 23 000 solcher Vereinbarungen.

Besonders engagiert gingen sieben japanische Großstädte gegen das laxe Verhalten der Regierung im Fall der Kfz-Abgasbegrenzungen für Stickstoffoxide vor. Sie bildeten nicht nur eine „Sieben-Städte-Expertengruppe", um durch eigene wissenschaftliche Untersuchungen und Öffentlichkeitsarbeiten einen strengeren Abgasstandard durchzusetzen, sondern sprachen für ihre Verwaltungsgebiete auch Fahrverbote in besonders belasteten Bezirken aus, kauften bevorzugt Autos mit niedrigen Abgaswerten für den Behördengebrauch und veröffentlichten „Hit-Listen" der saubersten Autos. Die konzertierte kommunale Umwelt-aktion war erfolgreich: Inzwischen hat Japan die strengsten Kfz-Abgasstandards der Welt. Bleifreies Benzin kann seit Anfang der siebziger Jahre überall im Lande getankt werden. Der ökologischen Raubbauwirtschaft streuten auch einige Richter Sand ins Getriebe. Aufgrund einiger bahnbrechender Gerichtsentscheidungen zu den Fällen Itai-Itai-, Minamata-Krankheit und „Yokkaichi-Asthma" mußten verschiedene Industrieunternehmen teilweise hohe Entschädigungssummen an die Betroffenen zahlen. Im Falle des „Yokkaichi-Asthmas" — die Industriestadt Yokkaichi hatte wegen der hier besonders gehäuft auftretenden Atemwegerkrankungen alsbald den Beinamen „Asthma-City" erhalten — stand eine Gruppe von sechs Unternehmen wegen ihrer SO 2-Abgase vor Gericht. In diesem Fall wagten sich die Richter in ihrer Rechtsinterpretation besonders weit vor. So wurde entschieden, daß Unternehmen selbst dann zu Schadensersatzleistungen herangezogen werden können, wenn sie sich nachweislich an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten haben, da ihre allgemeine „soziale Verantwortlichkeit" für ihre Betriebsführung auch durch behördliche Genehmigungen nicht aufgehoben werde. Die innovativste Lösung entwickelte die Rechtsprechung im Bereich des Kausalitätsprinzips, das grundlegend geändert wurde. Nach konventioneller Rechtsauffassung wäre es nicht möglich gewesen, eine ursächliche Beziehung zwischen dem entstandenen Schaden bei den zahlreichen Betroffenen und dessen Verursachung durch die Beklagten nachzuweisen. Der nach dem insbesondere hierzulande noch vorherrschenden naturwissenschaftlichen Kausalitätsideal zu führende eindeutige Nachweis einer Ursache-Wirkung-Beziehung, der de facto bei den üblicherweise komplexen Umwelt-problemen in fast keinem Fall möglich ist, wurde durch die japanischen Gerichte durch den realitätsbezogenen „rechtlichen" Kausalitätsnachweis ersetzt: Wenn statistische, in der Regel aufgrund epidemiologischer Untersuchungen gewonnene Informationen plausibel erscheinen lassen, daß offensichtlich ein Zusammenhang zwischen bestimmten Krankheiten und dem Vorkommen bestimmter Schadstoffe besteht, dann ist nach Meinung des Gerichts (Yokkaichi-Fall) der Zusammenhang ausreichend eindeutig, um hierauf Maßnahmen, auch Entschädigungszahlungen, zu gründen. Diese Art der Beweisführung wird auch der „epidemiologische" oder „statistische" Kausalitätsnachweis genannt.

In den meisten Industrieländern ist auch wegen der starken Verankerung des naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzips im Um-weltrecht keine Waffengleichheit für Umweltschutzgruppen oder Betroffene in ihrem Streit mit Umweltverschmutzern gegeben. Die japanischen Richter haben diese zusätzliche rechtliche Privilegierung der ökonomisch ohnehin Stärkeren durch ihre Urteile erheblich relativiert. Die Prozeßerfolge stimulierten zahlreiche weitere Gruppen, ihr Recht vor Gericht zu suchen. Noch heute sind viele Verfahren anhängig, in denen auf Schadensersatzleistungen und strengere Umweltschutz-maßnahmen geklagt wird

Die Reaktion der Zentralregierung auf diese Herausforderungen erschöpfte sich diesmal nicht im Ausbau der Paragraphenberge. In enger Kooperation mit den betroffenen Industriezweigen wurden kurzfristige Ziele für Umweltqualitätsverbesserungen abgesteckt und die hierfür erforderlichen Strategien festgelegt. Zum Teil wegen der „optischen Effekte" (schnelle Sichtbarkeit umweltpolitischer Erfolge) wurde der Schwerpunkt auf luftreinhaltepolitische Maßnahmen gesetzt. Die Zukunft sollte zeigen, daß das spezifische Verhältnis zwischen Industrie, Bürokratie und Regierung in Japan zu, wenn auch nicht konfliktfreien, so doch klaren Entscheidungen und deren konsequenter Umsetzung führen kann. In anderen Ländern sind dagegen häufig schon die Zielsetzungen vage und ihre Realisierung nur selten an den Einsatz effizienter Instrumente gekoppelt Dementsprechend wurden in Japan in den schwerpunktmäßig angegangenen Politikbereichen auch weitaus größere Erfolge erzielt.

III. Maßnahmen und Erfolge technokratischer Umweltpolitik: Technische Schrittmacherleistungen entspannen umweltpolitische Atmosphäre

1. Technische Umweltschutzmaßnahmen Die größten umweltpolitischen Leistungen wurden im Bereich der Luftreinhaltepolitik, insbesondere beim Luftschadstoff SO 2 erzielt. Die zeitweilig extremen SO 2-Belastungen (mit Jahresdurchschnittswerten von teilweise weit über 150ug/m 3) konnten mit überwiegend auf eine Emissionsverminderung abzielenden Sondermaßnahmen relativ rasch abgebaut werden. Bei 99 % der rund 1 590 erfaßten Meßstationen im Lande wird nun der im Weltmaßstab strenge SO 2-Immissionsstandard eingehalten, im Jahr 1973 waren es nur 4% gewesen Selbst im Ballungsgebiet Tokio wurden beträchtliche Reinigungsleistungen erzielt. Die Luftbelastung durch SO 2 „Sauerstoff-Tankstellen" in Tokios Straßen, die den unter Atemnot leidenden Bürgern die Inhalation sauberer Luft ermöglichen sollten, findet man heutzutage nicht mehr.

Diese Umweltqualitätsverbesserungen, die in der Folgezeit auch zu einer Entlastung der gespannten umweltpolitischen Atmosphäre führten, wurden primär durch Maßnahmen erreicht, die ergänzend zu den Aktivitäten im Rahmen des allgemeinen Immissionsschutzrechts ergriffen wurden. Zu den wesentlichen Sondermaßnahmen gehören eine systematisch betriebene Brennstoffentschwefelungspolitik, der Import von teuren, schwefelarmen Brennstoffen, der forcierte Einbau von Rauchgasentschwefelungsanlagen im Kraftwerks-und Industriebereich (und zwar bei neuen und alten Anlagen!) sowie Luftreinhalteprogramme auf der Basis eines sog. SO 2-Gesamtmengen-Kontrollsystems und der Ausbau eines staatlichen Kompensationssystems für Gesundheitsschäden durch Umweltverunreinigungen

Bei der Rauchgasentschwefelung hat Japan im internationalen Vergleich inzwischen eindeutig die Spitzenposition inne. Während in der Bundesrepublik Deutschland 1983 erst zwölf Anlagen betrieben wurden, waren es in Japan bereits Ende der siebziger Jahre mehrere hundert Hier zeigt sich sehr deutlich, daß die Entwicklung von Vermeidungstechnologien im wesentlichen eine Frage klarer politischer Zielsetzungen und des öffentlichen Drucks ist; halbherzige umweltpoliti-sehe Entscheidungen, die auf einen autonomen technischen Fortschritt im Umweltbereich setzen, fördern dagegen eher die lethargische Entwicklung des „Standes der Technik“.

Wie bei SO 2 konnte auch die Luftbelastung durch Blei und Kohlenmonoxid gesenkt werden. Die Belastungen durch Stickstoffoxide — die ähnliche Atemwegerkrankungen wie SO 2 verursachen und gleichfalls zu den maßgeblichen Waldschädigern gezählt werden — sind dagegen nicht gesunken, in einigen Ballungsgebieten sogar gestiegen. Gleichwohl sind die japanischen Anstrengungen auf diesem Gebiet bemerkenswert, denn keine andere Industrienation hat ähnliches gegen diese Schadstoffe unternommen. So führte die von der Umweltpolitik erzwungene Entwicklung von Vermeidungstechniken auch hier zu Schrittmacherleistungen: Industrielle Anlagen zur Stickstoffoxid-Abscheidung werden fast nur in Japan betrieben; 1981 gab es bereits 175 davon Die NOx-Emissionsstandards für den Industrie-und Kraftwerksbereich wurden seit 1973 kontinuierlich verschärft, zuletzt 1983. Sie zählen nun zu den weltweit strengsten

Japan hat gleichfalls die strengsten Abgas-begrenzungen für Personenkraftwagen Auf diesem Gebiet wurde der ursprüngliche Spitzenreiter USA überflügelt. Die europäischen Kfz-Hertseller figurieren hier „unter ferner liefen" Daß sich diese Maßnahmen nicht positiv auf die Luftqualität auswirkten, wird hauptsächlich auf den raschen Anstieg des Kraftfahrzeugbestandes zurückgeführt Positiv für die Entwicklung der Luftqualität schlug dagegen zu Buche, daß es den energie-intensiven Industriezweigen in einer relativ kurzen Zeitspanne gelungen war, drastische Energieeinsparungen zu verwirklichen. Der Energieverbrauch pro Einheit reales Bruttosozialprodukt sank 1973-1980 um 22 % Zugleich betreibt die japanische Regierung für nicht mehr wettbewerbsfähige Branchen, überwiegend energieintensive und stark umweltbeeinträchtigende Industriezweige, eine aktive „Schrumpfungspolitik" Mit diesen strukturorientierten Maßnahmen werden Luftbelastungen gesenkt, und zwar auf eine der umweltverträglichsten Arten. 2. Umweltpolitische Instrumente Nicht nur die technischen Maßnahmen verdienen Aufmerksamkeit. Auch das staatliche Kompensationssystem für Gesundheitsschäden, die Schadstoffmengen-Kontrollprogramme und das Instrument quasi-privat-rechtlicher Umweltschutzvereinbarungen sind in Art und Umfang einmalig.

Japan ist das einzige Land, das ein umfassendes spezialgesetzlich geregeltes Kompensationssystem für Gesundheitsschäden hat, die durch Umweltverschmutzung bedingt sind. Nach dem „Gesetz über die Entschädigung für umweltbedingte Gesundheitsschäden von 1973" wird für bestimmte, gesetzlich festgelegte „Umweltkrankheiten" eine nach der Schwere der Beeinträchtigung gestaffelte Entschädigung gezahlt. Sie reicht von einer Erstattung der Heilkosten über eine „dynamisierte" Rentenzahlung bis zum, von Umwelt-gruppen so bezeichneten, „Kondolenzgeld" im Todesfall. Kompensationsleistungen erhalten nicht nur Opfer von Umweltverschmutzungen, deren Verursacher eindeutig feststehen (wie etwa im Falle der Minamata-Krankheit), sondern auch die zahlenmäßig wesentlich größere Gruppe, deren Krankheiten auf Luftverschmutzungen durch SO 2 zurückzuführen sind. Flierzu werden durch Regierungserlaß bestimmte Gebiete festgelegt, in denen ein signifikanter statistischer Zusammenhang zwischen Luftbelastung und Atemwegerkrankungen ersichtlich ist. Leidet in diesen Gebieten jemand an festgelegten Krankheiten (Asthma, chronische Bronchitis etc.), so kann er bei einem speziellen Gremium einen Antrag stellen, als „staatlich anerkanntes Verschmutzungsopfer" Entschädigung zu erhalten.

Am Kompensationssystem ist die Art der Kostenverteilung höchst interessant: Die Kostendeckung erfolgt weitgehend (zu 80 %) durch Abgaben, die Unternehmen entsprechend ihren SO 2-Emissionen in einen Fonds zu zahlen haben. Der bürokratische Aufwand zur Berechnung der Abgabe ist gering. Auch hier gehen die Japaner pragmatisch vor: Errechnet werden die SO 2-Emissionen auf der Grundlage des Schwefelgehalts der Brennstoffe und der Verbrauchsmengen. Betriebe in Belastungsgebieten müssen wesentlich höhere Abgaben zahlen als Unternehmen in den restlichen Gebieten. Das Abgabensystem schafft für die Luftverschmutzer aus dem Kraftwerks-und Industriebereich nachweislich einen wirksamen Anreiz, die SO 2-Emissionen zu verringern. Auch die Autofahrer müssen ihren Beitrag leisten: 20 % der Kosten werden durch die Kfz-Gewichtssteuer gedeckt. Was am japanischen Kompensationssystem besonders beeindruckt, ist die pragmatische Lösung von komplizierten Zusammenhängen, die andere Länder oftmals davor „zurückschrecken" lassen, Entschädigungszahlungen stärker in ihre Umweltpolitik einzubauen. Angefangen von der Frage nach der Bestimmung des Ursachen-Wirkungs-Zusammenhangs bis zur Entscheidung, welche Verursacher wieviel zu zahlen haben, wurden simple, dafür aber durchführbare Lösungen in Japan erdacht.

Probleme bei der Durchführung des Gesetzes sind dennoch vorhanden. Die Kritik richtet sich vor allem gegen ein zu rigides Anerkennungsverfahren, durch das Krankheitsfälle unberechtigt abgewiesen würden und die Anerkennung teilweise stark verzögert werde. Ende 1982 gab es insgesamt 87 648 anerkannte Krankheitsfälle (davon 85 581 Fälle von Atemwegerkrankungen). Es wird geschätzt, daß die Dunkelziffer um etliches höher liegt. Auch der Umfang der Entschädigungszahlungen wird als unzureichend kritisiert * Selbst bei einer Berücksichtigung der noch verbliebenen Probleme hat dieses Kompensationssystem eine über den jeweiligen Einzelfall hinausweisende, fundamentale umwelt-und gesellschaftspolitische Bedeutung, die in der umweltpolitischen Diskussion in anderen Ländern bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist. Es handelt sich um seine Mobilisierungs-, Legitimations-und Präventivfunktion gegen industrielle Risikoproduktion. Erst mit Hilfe einer formalisierten und staatlich geregelten Gesundheitsfolgen-Feststellung von Umweltbeeinträchtigungen wurde eine Vielzahl vereinzelt leidender Individuen empirisch zu einer sozialen Gruppe gemacht, deren nun auch öffentlich sichtbares Leiden an der Umweltverschmutzung zu einer stärkeren öffentlichen Unterstützung und zur Steigerung der Organisations-und Konfliktfähigkeit der Betroffenen selbst beitrug.

Durch die staatliche Anerkennung wurden die Forderungen nach Entschädigungen legitimiert und vom Zwielicht der „Sozialisierung“ individuell verschuldeter Beeinträchtigungen oder, in einem Wort, des Schmarotzertums befreit. Die nun politisch und gesellschaftlich legitimierten Forderungen bewirkten auch, daß Betroffene, die den Gang vor die Gerichte gescheut hatten oder vor dem Argwohn der Gesellschaft bzw. vor einer Diskriminierung zurückgeschreckt hatten, mobilisiert wurden. Die Gesundheitsfolgen von Umweltbelastungen wurden so aus der bisherigen, auch politisch produzierten Dunkelzone stärker ans Licht der Öffentlichkeit gebracht und schärften auf diese Weise den Blick für die Risiken einer nachlässigen Umweltpolitik. Zugleich führte die nun steigende Zahl der Anträge auf Entschädigungsleistungen zu intensiveren Forschungen über die gesundheitlichen Auswirkungen von Umweltbelastungen: Es scheint nun einmal ein Merkmal auch des Wissenschaftssystems zu sein, daß es dann erst in stärkerem Maße mobil wird, wenn Schäden unübersehbar geworden sind. Bis zu diesem Punkt waren es in Japan meist „Au-ßenseiter" gewesen, die trotz zahlreicher Anfeindungen aus dem Kollegenkreis engagierte Forschung betrieben , Für das japanische Kompensationsgesetz kann festgehalten werden, daß diesem technokratisch-pragmatisch organisierten Regelungsinstrument eine „überholende Kausalität" (P. C. Mayer-Tasch) innewohnt, indem seine ursprünglich geplante Funktion als nachträgliches Entsorgungsinstrument in Richtung auf eine Stärkung des Vorsorgekaiküls im Bereich der Risikoproduzenten — nicht zuletzt wegen der drohenden Entschädigungszahlungen — ausgeweitet wurde Vielleicht ist es dieses Potential, das verhindert hat, daß dieses Regelungssystem mit seiner nunmehr zehnjährigen Praxis in Japan hierzulande wie auch in anderen Ländern kaum umweltpolitische Aufmerksamkeit fand. Angesichts der gegenwärtig in der Bundesrepublik erneut aufgekommenen Diskussion über die Gesundheitsfolgen von SO 2-Belastungen und „Saurem Regen" dürfte eine intensivere Beschäftigung mit dem japanischen Entschädigungssystem, in dem ja gerade der Schadstoff SO 2 im Mittelpunkt steht, hilfreich sein

Keine Nachahmung fanden auch die Luftreinhalteprogramme auf der Basis des Gesamtmengen-Kontrollsytems, obwohl ihre positiven Effekte in Japan beträchtlich waren. Nach diesem Konzept muß in den von der Zentralregierung bestimmten Belastungsgebieten durch die jeweils zuständige Präfektur-regierung ein zeitlich begrenzter Plan zum Abbau der SO 2-Gesamtemissionsmenge aufgestellt werden. Entsprechend dieser Zielsetzung werden allen größeren Betrieben individuelle Grenzen für ihre SO 2-Emissionsmengen gesetzt, bei kleineren Betrieben wird dagegen aus Praktikabilitätsgründen der Schwefelgehalt der eingesetzten Brennstoffe vorgeschrieben. Die größeren Betriebe können im Rahmen der ihnen vorgeschriebenen Emissionskontingente selbst entscheiden, an welchen Einzelquellen und mit welchen Mitteln sie entsprechende Verminderungsmaßnahmen vornehmen wollen. Das gibt ihnen eine relativ große Flexibilität, die kostengünstigsten Maßnahmen beim Vollzug der staatlichen Auflagen anzuwenden: Weniger Bürokratie beim Vollzug also, statt dessen mehr Politik bei der Zielsetzung. Inzwischen wird dies strikt emissionsbezogene Konzept in 24 Regionen angewendet; die SO 2-Emissionen konnten hier bis 1980 auf ein Siebtel des Ausgangswertes von 1970 gesenkt werden

Die japanischen Unternehmen werden nicht nur durch staatlich verordnete Auflagen und Abgaben in die ökologische Pflicht genommen. Das umweltpolitische System läßt gleichfalls den Präfekturen, Kommunen und Bürgergruppen einen weiten Spielraum, durch direkte Verhandlungen mit Betrieben quasi-privatrechtliche Vereinbarungen über Umweltschutzmaßnahmen zu treffen, die oft weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Diese Vereinbarungen gelten als geeignetes Mittel, die generellen Regelungen des nationalen Umweltrechts orts-und bürgernah zu vervollständigen. Inzwischen gibt es über 23 000 solcher Umweltschutzvereinbarungen. Auch die Zahl der direkten Vereinbarungen zwischen Bürgergruppen und Betrieben nahm bis vor kurzem stetig zu (1982: 2 805 Vereinbarungen)

IV. Grenzen technokratischer Umweltpolitik: Blauer Himmel über grauer Landschaft

Die Grenzen technokratischer Umweltpolitik werden, wie im 1. Kapitel ausgeführt, vor allem in den Folgeproblemen dieser Politikform gesehen: mediale, temporale, lokale Problem-verschiebungen und Restschadstoffakkumulation aufgrund der selektiven und peripheren Eingriffe. Bevor der Frage nachgegangen wird, ob und welche Grenzen sich abzeichnen, wird kurz auf die Entwicklung in den verschiedenen Umweltbereichen eingegangen 1. Umweltbelastungstrends in verschiedenen Bereichen Auf die positiven Ergebnisse der Luftreinhaltepolitik im SO 2-Bereich ist bereits hingewiesen worden. Verbesserungen wurden auch bei den Schadstoffen Kohlenmonoxid (durch Grenzwerte für Kraftfahrzeuge) und Blei (durch Einführung von bleifreiem Benzin: weit über 90 % der Pkw tanken es) erzielt. Bei den Schwebstäuben liegen nur leichte Verbesserungen vor; von der Einhaltung des Umweltstandards ist man noch weit entfernt. Die Stickstoffoxid-Belastungen blieben seit 1974 in etwa konstant. An Meßstellen in verkehrsreichen Gegenden wurde von 1972 bis 1978 ein Belastungsanstieg festgestellt, seitdem blieb die Belastung in etwa gleich. Der Umweltstandard wird heute noch an über 30 % der Meßstellen überschritten.

Stickstoffoxide und Kohlenwasserstoffe tragen zur Entstehung von photochemischem Smog bei. Die Zahl der Warnungen und gemeldeten Gesundheitsschäden ging zwar von 1973 bis 1982 stark zurück, doch zeichnen sich wieder steigende Tendenzen ab, vor allem in den großen Ballungsgebieten Tokio und Osaka

Die Abfallmengen aus dem Haushalts-und Gewerbebereich nehmen zu — und Deponieplätze sind im dichtbesiedelten Japan rar.

Strenge umweltpolitische Maßnahmen führten zur beträchtlichen Abnahme toxischer Schadstoffe in den Gewässern-. Arsen, PCB, Blei, Kadmium, Quecksilber und ähnliche problematische Stoffe sind kaum noch feststellbar. Die Belastung mit organischen Sub. stanzen nimmt dagegen teilweise zu. Manche Seen und Buchten sind nach amtlicher Feststellung noch „extrem" verschmutzt.

Verantwortlich für diese insgesamt ungünstige Gewässersituation ist auch das langjährige Versäumnis, das Kläranlagen-und Kanalisationssystem auszubauen. Japan hat im Vergleich zu westlichen Industrienationen die niedrigste Kanalisationsrate; nur 31 % der Bevölkerung leiten ihre Abwässer in Kanalisationen. Die japanische Strategie der „Problemverdeckung" im Gewässerbereich — stark verschmutzte kleine bis mittelgroße Flüsse in den Städten werden durch Überbauung zu Abwässerkanälen gemacht — stößt auf steigenden Widerspruch. Gegen solche Maßnahmen sprachen sich nach einer neueren Meinungsumfrage zwei Drittel der Einwohner aus.

In den Böden wirken sich noch die Sünden der Vergangenheit aus, als es keine effektiven Umweltschutzmaßnahmen und auch kein Umweltchemikaliengesetz gab Eine von der Regierung veranlaßte Untersuchung im Jahr 1981 ergab, daß etwa 124 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 6 610 ha mit Kadmium, Kupfer oder Arsen kontaminiert sind.

Lärm-und Vibrationsbelastungen machen den Hauptanteil der Beschwerden der Bevöl-kerung über Umweltbelastungen aus (1982: rund 40 % aller Beschwerden). Messungen an 3 700 Plätzen im Lande ergaben 1981, daß nur an 17, 2% der Meßpunkte die Lärmstandards eingehalten wurden. Kraftfahrzeuge, insbesondere der Lastwagenverkehr, Gewerbebetriebe und Bauarbeiten sind die wesentlichen Lärmquellen. Auch die Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge gehören zu den Ruhestörern. Das 1982 auf insgesamt 1 800 km ausgebaute Schienennetz führt häufig durch dicht-besiedelte Gegenden. In den zurückliegenden Jahren wurde immer häufiger über Gesundheitsschäden durch „unhörbaren Lärm" geklagt: Niederfrequenz-Schwingungen, häufig ausgelöst von Kraftfahrzeugen und Eisenbahnen, die über schwingungselastisch konstruierte Überführungen fahren, belasten das vegetative Nervensystem. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Erbrechen und Nasenbluten bei Kindern gehören zu den Folgen. Schon 1980 hat eine Bürgerinitiative in der Stadt Kashiba einen Prozeß gegen diese „neue Zivilisationsplage" angestrengt. Die Kläger leben in unmittelbarer Nachbarschaft einer Autobahnbrücke. Es war der erste Prozeß dieser Art in Japan

Aufgrund einer nur rudimentären Stadtplanungs-, Raumordnungs-und Naturschutzpolitik breiten sich die Städte krakenhaft aus. Die reinen Naturgebiete fallen der gestiegenen Bautätigkeit zum Opfer: Von 1975 bis 1980 nahm ihre Fläche um 20% ab. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche sank im gleichen Zeitraum um fast 6 %. Das in japanischen Städten ohnehin spärliche Grün mußte in steigendem Maße Beton und Asphalt weichen. Allein in Osaka ging der Anteil grüner Bezirke zwischen 1970 und 1980 um 10% zurück. Der Himmel, so kann überspitzt formuliert werden, wurde blauer, die Umgebung dagegen grauer. Eine amtliche Repräsentativ-umfrage zur Situation der natürlichen Umwelt zeigte, daß die Bevölkerung für die vergangenen zehn Jahre eine Verschlechterung wahrgenommen hat. Die gegenwärtige Situation wird von 36 % der Befragten als ziemlich schlecht und von 4 % als sehr schlecht bezeichnet. Der Blick in die Zukunft fiel pessimistisch aus: 37 % meinten, daß es um die natürliche Umwelt nach weiteren zehn Jahren „ziemlich schlecht" bestellt sein werde; einen „sehr schlechten" Zustand hielten weitere 8 % für möglich 2. Probleme der gegenwärtigen Umweltpolitik Es gibt, wie die obigen Ausführungen zeigen, noch eine breite Aufgabenpalette für die japanische Umweltpolitik. Daneben mehren sich die Anzeichen, daß in bisher erfolgreichen Bereichen die umweltpolitische Erfolgsquote abflacht oder gar neue Herausforderungen für die Umweltpolitik entstehen.

In den letzten Jahren war die Verbesserungsrate im SO 2-Bereich nur mehr sehr gering; 1983 lag sie nahe bei Null. Der seit der Ölpreiskrise eingeleitete energiepolitische Schwenk vom öl auf den Energieträger Kohle — der Kohleanteil an der Stromversorgung soll auch nach neueren Planungen von 1982 bis 1992 verdoppelt werden — hat wegen des höheren Schwefelanteils der Kohle einen steigenden SÖ 2-Anteil an den Rauchgasen zur Folge. Soll ein negativer Effekt auf die Luftqualität vermieden werden, müssen die Reinigungsleistungen erhöht werden. Neben den hiermit verbundenen Kostensteigerungen schlägt vor allem das Anwachsen der so-genannten Bei-(Gips) und Abfallprodukte (Asche) negativ für die ökologische Gesamtbilanz zu Buche. Es ist schon jetzt schwierig, den Gips aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen zu vermarkten und die Verbrennungsasche zu deponieren Seit der zweiten Ölkrise (1978) ist es zudem politisch schwieriger geworden, Industrie-und Kraftwerksunternehmen zu vermehrten Umweltschutzleistungen anzuspornen Selbst gegen bestehende Regelungen wächst die Industrieopposition. So wird etwa vom mächtigen Wirtschaftsdachverband KEIDANREN eine Über-prüfung des Kompensationssystems für Gesundheitsschäden gefordert. Die früher einmal in Aussicht genommene Ausweitung des Systems auf Stickstoffoxide findet derzeit keine Unterstützung des japanischen Umweltamtes Die Kraftwerksbetreiber wollen zudem erreichen, daß die „Umweltschutzvereinbarungen", mit denen ihnen von Kommunen und Bürgergruppen strenge Umwelt-schutzmaßnahmen aufgezwungen werden, durch die gesetzliche Einführung genereller, landesweit geltender Umweltstandards abgeschafft werden

Die Einwohner in den geplanten Standortgemeinden wehren sich zunehmend gegen den Bau der wegen ihrer relativ höheren Umweltbelastung ungeliebten Kohlekraftwerke. Die Zustimmung muß ihnen — wie schon im Kernkraftswerksbereich üblich — abgekauft werden: teilweise in Form direkter Finanz-transfers, teilweise durch Zahlungen in die Gemeindekasse. Die Kostenüberwälzung auf die Stromabnehmer dürfte zunehmend schwerer fallen, wurden doch erst 1980 die Strompreise um ca. 50 % erhöht

Es Zeichen sich mithin im SO 2-Bereich ökonomische, technische, soziale, politische und monetäre Grenzen einer Fortführung der bisherigen Strategie der peripheren technokratischen Eingriffe ab. Zusätzliche Brisanz könnten die dieser Strategie immanenten Schwachstellen bekommen, wenn sich herausstellen sollte, daß die bisherigen Ziele und Maßnahmen, die primär auf die Herstellung einer für die menschliche Gesundheit unbedenklichen Luftbelastung ausgerichtet waren, nicht ausreichen, um die Natur vor Schäden zu bewahren. Derzeit kann wegen der Informationslage nur darüber spekuliert werden, ob die zögerliche Behandlung der seit längerem im Parlament eingebrachten Gesetzesvorlage für eine umfassende Bestandsaufnahme der Umweltsituation hiermit im Zusammenhang steht. Es ist zugleich denkbar, daß die japanische Regierung das Thema Waldsterben und „Saurer Regen" absichtsvoll lange Zeit nicht auf die politische Tagesordnung setzte, um erneute luftreinhaltepolitische Kraftakte — dieses Mal zugunsten der beeinträchtigten Natur — hinauszuzögern Die Lektion aus den Folgen der Umweltbelastung für die Gesundheit sei, daß Vorsorge die beste Umweltmedizin, nachträgliche Reparaturen dagegen teuer zu stehen kommen, scheint die Zentralregierung für den allgemeinen Ökologiebereich noch nicht gelernt zu haben.

Von der Struktur her ähnliche Defizite und Folgeprobleme wie bei der Bekämpfung des Schadstoffes SO 2 zeichnen sich auch bei der Luftbelastung durch Kfz-Abgase und in den Bereichen Gewässerschutz-und Abfallbeseitigungspolitik ab. Trotz der Einführung strengster Abgasgrenzwerte für Personenkraftwagen gegen die heftige Opposition der japanischen Automobilhersteller steigt die Umweltbelastung durch Stickstoffoxide, weil die Fort-entwicklung der technischen Vermeidungsmaßnahmen (Abgaskatalysatoren) nicht mit dem steigenden Verkehrsaufkommen Schritt halten kann Eine ursachenorientierte Umweltpolitik hätte hier in stärkerem Maße Verkehrs-und Infrastrukturpolitik sein müssen.

Die dichtbesiedelten und engbebauten Ballungsräume in Japan machen jedoch eine umweltschonende Infrastrukturpolitik im Vergleich zu anderen Ländern zu einer wesentlich schwierigeren Aufgabe. Diese Restriktion ist jedoch gleichfalls Ergebnis des gesamtökologischen Defizits der japanischen Umweltpolitik: Stadtentwicklung ist in Japan mit wenigen Ausnahmen eine Folge „wildwüchsiger"

Bautätigkeit. Die Städtebaupolitik beruht auf unzureichenden planerischen und gesetzlichen Grundlagen

Wie anfänglich im Falle der Luftreinhaltepolitik hat die japanische Regierung ein großdimensioniertes Programm zum Gewässerschutz entwickelt und stellt zu seiner Durchführung große Summen öffentlicher Mittel bereit. Inzwischen machen die Ausgaben für den Kanalisations-und Kläranlagenbau den weitaus größten Anteil an den öffentlichen Umweltschutzausgaben aus Der gewässer-politische Kraftakt führte zwar zu einer Verbesserung der Wasserqualität in zahlreichen Flüssen, doch treten wegen der Selektivität der Maßnahmen mediale Problemverschiebungen auf: Die Kläranlagen produzieren mit steigender technischer Güte immer größer werdende Mengen von immer schadstoffreicherem Klärschlamm. Inzwischen werden rund 15 % der anfallenden Klärschlammengen als Düngemittel verwendet. Der größte Teil wird deponiert oder zur „Landgestaltung“ (etwa zum Bau von in Japan sehr beliebten Golfplätzen) verwendet. Etwa 10 % werden „verklappt", d. h. in die große „Müllkippe Meer" geschüttet — zusätzlich zu den radioaktiven Abfällen aus Japans Kernkraftwerken

Nicht nur die auch aus dem Gewässerschutz-bereich und dem Bereich der Energiepolitik in den Abfallsektor „problemverlagerten" Klärschlämme und radioaktiven Abfälle stellen Japans Umweltpolitik vor ein ernsthaftes Zukunftsproblem. Auch der steigenden Industrie-und Hausmüllmengen wird man kaum noch Herr. Dies konnte auch durch die beträchtliche Steigerung der Recycling-Maßnahmen nicht verhindert werden Aufgrund unzulänglicher Präventivmaßnahmen der Umweltpolitik, die schwer oder problematisch zu beseitigende Produkte erst gar nicht zuzulassen hätte, kommt es weiterhin zu einer ungünstigen Veränderung der Abfallzusammensetzung. Der steigende Anteil an Plastik macht den Müllverbrennungsanlagen technisch zu schaffen. Die rapide Zunahme von quecksilberhaltigen Kleinbatterien im Konsumsektor läßt die Müllverbrennungsan-lagen in bedenklicher Weise zu Giftschleudern werden: Die Quecksilberschadstoffe in der Umgebungsluft, so erfuhr die in dieser Hinsicht besonders sensibilisierte japanische Öffentlichkeit (Minamata-Krankheit!) kürzlich, habe stark zugenommen

Ob Abfall-Luft-oder Gewässerverunreinigungen — in allen Bereichen zeichnen sich sicht-und spürbar Grenzen der technokratischen Umweltpolitik ab. Sie sind, so zeigt es sich besonders augenfällig bei den Luftbelastungen durch quecksilberhaltige Batterien, weitgehend Folge einer umweltpolitischen Strategie, die es versäumt, zum Zentrum der Risikoproduktion vorzustoßen. Das aber wäre logische Konsequenz einer präventiven, den gesamtökologischen Kontext berücksichtigenden Umweltpolitik. Angesichts der Wachstums-und Herrschaftsstrukturen von Industriegesellschaften wird die Durchsetzung einer solchen Umweltpolitik zu einem Testfall für die Souveränität politischer Instanzen gegenüber dem Industriesystem In Abwandlung eines Satzes von Carl Schmitt heißt das: Souverän ist heute, wer über die Risikoproduktion entscheidet

V. Von Japan lernen?

Ob die japanische Regierung zureichende Veto-Macht und Souveränität aufgrund ihrer besonderen Liaison mit den Industriegruppen überhaupt entwickeln kann, um eine Umweltstrategie der Risikoverhinderung zu entwickeln und durchzusetzen, ist eine empirische Frage. Der gesellschaftliche Druck in diese Richtung hat zumindest nachgelassen. Mit ihrer technokratisch-aktiven Umweltpolitik und aufgrund der sichtbaren Verbesserungen im Luftbereich ist es der Regierung in den zurückliegenden Jahren gelungen, die hergebrachten ökonomischen Funktionserfor-dernisse und die gesellschaftlichen sowie legitimatorischen Anforderungen in eine weitgehend krisenfreie Balance zu bringen. Umweltschutzprobleme sind in Japan — das zeigt schon ein Vergleich zwischen der Presseberichterstattung in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre mit der heutigen Situation — kein zentrales öffentliches Thema mehr Eine schnell mobilisierbare, landesweit operierende Umweltbewegung hat sich in Japan bislang nicht etabliert. Die für Japan relativ ungünstige Wirtschaftsentwicklung der jüngsten Zeit tut ein Übriges, umweltpolitische Initiativen zu bremsen

Sofern die Hypothese zutreffen sollte, daß eine peripher und selektiv ansetzende Umweltpolitik dazu führt, daß ursächlich ungelöste Probleme nach einer kurz-bis mittelfristi78) gen Entlastung auf einem höheren Niveau (auch von den Dimensionen der Beseitigungskosten her) wieder auftauchen, müßte es in Japan alsbald wieder zu einer „ökologischen Herausforderung" der gegenwärtigen Politik kommen. Auch deshalb ist Japan ein lehrreiches Beispiel für Industrieländer, die gerade erst zu einer technokratisch-aktiven Umweltpolitik gefunden haben. Es gibt jedoch weitere gute Gründe, das umweltpolitische Augenmerk stärker auf die Situation in Japan zu richten.

Die dramatische Zunahme der Waldschäden in der Bundesrepublik verlangt rasch und einschneidend wirkende Maßnahmen gegen die Luftbelastung. Japan zeigt, daß es technisch und ökonomisch möglich ist, wesentlich größere Fortschritte bei der Luftschadstoffminderung zu erzielen, als gegenwärtig von der Bundesregierung beabsichtigt. Das Studium der umwelttechnischen Leistungen der japanischen Industrie kann außerdem verhindern, daß die von Großverschmutzern oft aufgestellte Behauptung, stärkere Umweltschutz-anstrengungen scheiterten am Fehlen von praktisch bewährten Vermeidungstechniken, sich hierzulande politisch durchsetzen kann, wie im Fall der Rauchgasentschwefelungsanlagen — eine Argumentation, die nun für andere Bereiche erneut zu hören ist: so etwa bei der geforderten Drosselung der Kfz-Abgase und den Stickstoffoxid-Emissionen. Werden wieder lange Jahre vergehen müssen, bis der umwelttechnische Alltag in Japan von der Umweltpolitik anderswo als technische Zukunft „entdeckt" wird?

Schließlich ist am Beispiel Japan zu lernen, daß umweltpolitische Fortschritte vor allem dann erreicht und gesichert werden können, wenn Bürgergruppen und umweltpolitisch engagierte Kommunalpolitiker beständigen Druck auf die Umweltverschmutzer und ihre Lobby in Politik und Verwaltung ausüben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. B. Gunnarson, Japans ökologisches Harakiri oder Das tödliche Ende des Wachstums, Reinbek bei Hamburg 1974.

  2. Vgl. M. Jänicke, • Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert, Opladen 1979; J. Huber, Die verlorene Unschuld der Ökologie, Frankfurt 1982.

  3. Zur These, daß die systematische Nichtberücksichtigung ökologischer Erfordernisse eine der wesentlichen Säulen war, auf der das rapide wirtschaftliche Wachstums Japans beruhte, vgl. H. Weidner, Ökologische Ignoranz als ökonomisches Prinzip. Umweltzerstörung und Umweltpolitik in Japan, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/1977, S. 11— 29.

  4. Ebd., hier werden auch zahlreiche Literaturhinweise zur japanischen Umweltsituation und -politik gegeben.

  5. Vgl. P. C. Mayer-Tasch, Umweltrecht und Umweltpolitik, in: Ch. F. Doran/M. Hinz/P. C. Mayer-Tasch, Umweltschutz — Politik des peripheren Eingriffs, Darmstadt und Neuwied 1974, S. 13— 68.

  6. Vgl. J. McHale, Der ökologische Kontext, Frankfurt 1974.

  7. Der Bundesminister des Innern (Hrsg.), Abschlußbericht der Projektgruppe . Aktionsprogramm Ökologie". Argumente und Forderungen für eine ökologisch ausgerichtete Umweltvorsorgepolitik, Bonn 1983 (Umweltbrief Nr. 29).

  8. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan 1983, Tokio 1983.

  9. Ebd„ S. 2 und S. 39

  10. Ebd., S. 40

  11. K. Marx, Das Kapital, 3. Band, Berlin (Ost) 1965, S. 784.

  12. Etwa symbolische, regulative, legalistisch-technizistische Umweltpolitik.

  13. Die Umweltpolitik in manchen Ländern, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, krankt daran, daß durch eine juristische Verkomplizierung der Umweltpolitik die Entwicklung von Umwelttechniken („Stand der Technik") nur einen lethargischen Verlauf nimmt. Vgl. P. Knoepfel/H. Weidner, Die Durchsetzbarkeit planerischer Ziele auf dem Gebiet der Luftreinhaltung aus der Sicht der Politikwissenschaft. Ergebnisse aus einer internationalen Vergleichsuntersuchung, in: Zeitschrift für Umweltpolitik, (1983) 2, S. 87— 115.

  14. Vgl. OECD, Environmental Policies in Japan, Paris 1977, S. 26.

  15. Zum Vollzugsdefizit in der bundesdeutschen Umweltpolitik vgl. R. Mayntz et al., Vollzugsprobleme in der Umweltpolitik, Stuttgart 1978.

  16. Japan gehört zu den wenigen Ländern, die massive umweltpolitische Konflikte mit weitreichenden Folgen für die Industriepolitik durch system-kompatible effektive Umweltschutznahmen abgebaut haben, so daß die in anderen Ländern häufig beklagte „Technikfeindlichkeit" der jungen Generation in Japan kein relevantes Thema ist.

  17. Vgl. H. Weidner, Von der Schadstoffbeseitigung zur Risikoverhinderung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/77, S. 34— 42. Zum Zyklus von industrieller Problemproduktion und industrialisierter Problemverarbeitung vgl. M. Jänicke, a. a. O. (Anm. 3).

  18. N. Iijama (Hrsg.), Pollution Japan. Historical Chronology, Tokio 1979.

  19. Vgl. N. Huddle/M. Reich/N. Stiskin, Island of Dreams. Environmental Crisis in Japan, New York und Tokio 1975, S. 27 ff.

  20. Zur Entwicklung der japanischen Umweltpoliitk vgl.den grundlegenden Aufsatz von Sh. Tsuru, Environmental Pollution Control in Japan, in: ders., Towards a New Political Economy (Collected Works, Bd. 13), Tokio 1976, S. 269— 303.

  21. Vgl. Jishu-Koza (Hrsg.), Kogai — The Newsletter from polluted Japan. Special issue: Mercury pollution, Tokio 1975 (2 Ausgaben) und B. Gunnarson, a. a. O. (Anm. 1).

  22. Interview mit Rechtsanwalt T. Goto in Tokio, Oktober 1983.

  23. Vgl. N. Huddle et al., a. a. O. (Anm. 20).

  24. Vgl. H. Weidner, a. a. O. (Anm. 4), S. 14 ff. Das Zitat der Verfassung Shotokus ist wiedergegeben in einem Artikel von G. Rahn in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Blick durch die Wirtschaft) vom 25. 3. 1983.

  25. Zu Theorie und Funktion symbolischer Politik vgl. Edelman, The Symbolic Uses of Politics, Urbana 1964.

  26. Eine deutsche Übersetzung vom „Gesetz über die Grundlagen des Umweltschutzes von 1967“ ist enthalten in: M. Bothe (Hrsg.), Ausländisches Um-weltrecht IV, Berlin 1975, S. 62— 68.

  27. Diese „Harmonieklausel" hatte eine ähnlich vollzugshemmende Wirkung wie die das Vorsorgeprinzip aushöhlende Bestimmung im bundesdeutschen Immissionsschutzgesetz, daß Sanierungsanordnungen nach dem Stand der Technik erfüllbar und wirtschaftlich vertretbar sein müssen. Vgl. H. Sendler, Wer gefährdet wen: Eigentum und Bestandsschutz den Umweltschutz — oder umgekehrt?, in: Umwelt-und Planungsrecht, (1983) 2, S. 33— 46.

  28. Vgl. H. Weidner, Japans Umweltgesetze im internationalen Vergleich, in: G. Foljanty-Jost et al. (Hrsg.), Japans Wirtschafts-und Sozialentwicklung im internationalen Vergleich, Frankfurt und New York 1981, S. 264— 343).

  29. Hierzu allgemein: M. Jänicke, Soziale und ökologische Aspekte rückläufiger Lebenserwartung, Forschungsbericht, Projekt Politik und Ökologie, Freie Universität Berlin 1975 (mimeo).

  30. H. Ihara, Protection of Urban Environment in Tokyo, o. O., o. J. (mimeo).

  31. Vgl. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan, Tokio 1973, S. 39. Zu Meinungsumfragen vgl. dies., Illustrated White Paper on the Environment in Japan, Tokio 1982, S. 26 f. Zur Umweltbewegung vgl. M. A. Mckean, Environmental Protest and Citizen Politics in Japan, Berkeley etc. 1981.

  32. Vgl. N. Huddle et al., a. a. O. (Anm. 20), S. 286f.

  33. Vgl. J. Gresser/K. Fujikura/A Morishima, Environmental Law in Japan, Cambridge (Mass.) und London 1981, S. 268 ff.

  34. Vgl. ebd., S. 55 ff und H. Weidner, Japans Luftreinhaltepolitik: Konflikte und Maßnahmen, in: Arbeitskreis Chemische Industrie Köln/Katalyse-Gruppe Köln (Hrsg.), a. a. O. (Anm. 2), S. 276ff.

  35. Interview im japanischen Umweltamt in Tokio, Oktober 1983.

  36. Vgl. T. J. Pempel (Hrsg.), Policymaking in Contemporary Japan, Ithaca und London 1977; P. Kevenhörster, Wirtschaft und Politik in Japan, Wiesbaden 1973; H. und U. E. Simonis (Hrsg.), Japan. Economic and Social Studies in Development, Wiesbaden 1974.

  37. Vgl. P-Knoepfel/H. Weidner, a. a. O. (Anm, 14).

  38. SO 2-Emissionen im gesamten Industrie-und Kraftwerksbereich sanken im Zeitraum 1970— 1975 um mehr als die Hälfte. Vgl. H. Weidner, Luftreinhaltepolitik in Japan. Regelungsinstrumente und Ergebnisse, in: Zeitschrift für Umweltpolitik, (1983) 3, S. 211— 247; hier: S. 226. Zum Vergleich: in der Bundesrepublik sind die SO 2-Emissionen 1968 bis 1980 in etwa konstant geblieben, Verbesserungen in der Umgebungsluft demnach primär auf eine weiträumige Schadstoffverteilung („Hochschornsteinpolitik“) zurückzuführen.

  39. Der (amtliche) Immissionsstandard gibt den Grad der voraussichtlich für die menschliche Gesundheit noch unschädlichen SO 2-Konzentration in der Umgebungsluft an. Er beträgt in Japan 100 Mikrogramm (24-Stundenwert).

  40. Zu diesen und den folgenden Angaben über die Umweltbelastungstrends wurden die alljährlich veröffentlichten offiziellen Umweltberichte ausgewertet (Environment Agency, Quality of the Environment in Japan, Tokio 1973 ff.); hier: Umweltbericht von 1983.

  41. Ausführlich hierzu mein Beitrag in der Zeitschrift für Umweltpolitik (Anm. 39).

  42. Insgesamt waren es nach amtlichen Angaben 1983 rund 1 360 Anlagenblöcke.

  43. Vgl. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan 1983, S. 178.

  44. In der Bundesrepublik gibt es bisher keine Anlagen zur NOx-Abscheidung, obwohl die Stickstoffoxid-Emissionen gerade im Kraftwerksbereich in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen sind. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht in Sicht. Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Wald-schäden und Luftverunreinigungen. Sondergutachten März 1983, Stuttgart und Mainz 1983. Zu neueren NOx-Maßnahmen in Japan vgl. Environment Agency (Hrsg.), Japan Environment Summary, Nr. 10/1983, S. 3f.

  45. Vgl. Umweltbundesamt (Hrsg.), Schadstoffarme Antriebssysteme (Berichte 2/1980), Berlin 1980, S. 5.

  46. Erst seit der Diskussion um das Waldsterben haben politische Initiativen zur gesetzlichen Verankerung strengerer Abgaswerte im EG-Bereich eingesetzt.

  47. Vgl. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan 1983, S. 16. Auch soll die Einhaltung der Abgasvorschriften für Stickoxide nicht immer gewährleistet sein; vgl. Die Zeit vom 30. 12.1983.

  48. Environment Agency (Hrsg.), Japan Environment Summary Nr. 6/1982, S. 4.

  49. Vgl. H. Laumer, Japans Wirtschaft in den achtziger Jahren — Perspektiven, Chancen, Risiken, in: ifo-Schnelldienst (München), (1980) 35/36, S. 14 bis 22.

  50. Ausführlich hierzu H. Weidner, a. a. O. (Anm. 39), S. 234 ff.

  51. Bis zum Mai eine amtliche 1981 hatten über 10 000 Personen Anerkennung ihrer Gesundheits-Schäden durch Quecksilbervergiftungen beantragt (1982 erhielten nur 1 914 Personen Entschädigungsleistungen im Rahmen des staatlichen Kompensationssystems). Es wird geschätzt, daß etwa 200 000 Personen, die im durch quecksilberhaltige Abwässer verseuchten Shiranui-Küstengebiet leben, in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wurden. Vgl. Mainichi Daily News vom 18. 7. 1981. Ähnlich sieht es bei den anderen Krankheitsarten aus (Interview mit Rechtsanwalt Takanori Goto in Tokio, Oktober 1983).

  52. Vgl. B. Gunnarson, a. a. O. (Anm. 1). Das dürfte auch zur Frage führen, ob der generelle Mangel an vorausschauender, vorsorgender Umweltpolitik in anderen Ländern nicht auch eine Ursache im ökologischen Defizit des Wissenschaftssystems hat.

  53. So wird seit längerem gefordert, den Regelungsbereich des Kompensationssystems auf andere Schadstoffe, etwa Stickstoffoxide, auszuweiten. Im März 1983 fand hierzu in Japan eine Anhörung durch eine spezielle parlamentarische Kommission statt. Eine Entscheidung steht derzeit (Februar 1984) noch aus. Es ist relativ offensichtlich, daß das japanische Umweltamt eine Ausweitung des Systems nicht unterstützt (Interview im japanischen Umweltamt in Tokio, November 1983).

  54. Vgl. die Spiegel-Titelgeschichte „Saurer Regen schädigt auch Kinder und Kranke" (Der Spiegel vom 9. 1. 1984). Japanische Untersuchungen haben gleichfalls relativ eindeutig gezeigt, daß ältere Menschen und Kinder von der Luftverschmutzung besonders betroffen sind. In der Industriestadt Kawasaki etwa machen sie rund 60 % der Patienten mit Atemwegerkrankungen aus; vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 22. 7. 1982. In Tokio erhielten bereits 1975 die Eltern von über 8 700 Säuglingen wegen deren auf Luftverschmutzungen zurückgeführten Krankheiten öffentliche Zuschüsse zu den Behandlungskosten; vgl. Tokyo Metropolitan Government (Hrsg.), Tokyo Fights Pollution, Tokio 1977, S. 199.

  55. Interview im japanischen Umweltamt in Tokio, Oktober 1982.

  56. Vgl. H. Weidner, a. a. O. (Anm. 39), S. 240 ff. Inzwischen läßt, vermutlich aufgrund der ungünstigen Wirtschaftsentwicklung, das Engagement der Kommunen bei der Durchsetzung strenger Auflagen nach (Interview mit Prof. Tsunao Imamura in Tokio, Oktober 1983).

  57. Ausgewertet wurden hierzu insbesondere die amtlichen Umweltberichte und die englischsprachige japanische Tagespresse (Asahi Evening News, The Mainichi Daily News, The Japan Times, The Daily Yomiuri). Die Darstellung mußte aus Platzgründen notgedrungen kurz ausfallen. Einen lebhaften Eindruck von der Umweltbelastungssituation vor allem in Großstadtgebieten vermittelt der Artikel von H. Becker, in: Die Zeit vom 30. 12. 1983.

  58. Immerhin wird dieser Form der Umweltbelastung große umweltpolitische Aufmerksamkeit zuteil. Das spiegelt sich auch in der Anzahl der Meßstellen wider: Inzwischen werden photochemische Oxidantien an über 980 Stationen gemessen. Auch die gemeldeten Gesundheitsbeeinträchtigungen werden statistisch erfaßt. In der Bundesrepublik werden trotz der anerkannten Brisanz dieses Problembereichs nur rudimentäre Maßnahmen ergriffen; vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, a. a. O. (Anm. 44).

  59. 1973 erhielt Japan als eine der ersten Industrienationen ein Chemikaliengesetz. Eine rechtsvergleichende Untersuchung kommt hierbei zu einem Ergebnis, das auch für generelle Charakteristika der japanischen Umweltpolitik gelten kann: „Charakteristisch für das japanische Recht ist ein pragmatischer Ansatz ohne Gesetzesperfektionismus und überhöhte Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse" (R. Lummert, Das Chemikalien-gesetz Japans im internationalen Vergleich, in: Zeitschrift für Umweltpolitik, (1982) 2, S. 171— 197; Zitat S. 171).

  60. Vgl. Handelsblatt vom 5. 11. 1980.

  61. Environment Agency (Hrsg.), Japan Environment Summary, (1982) 4, S. 3.

  62. Etwa 65 % der Rauchgasentschwefelungsanlagen in Kraftwerken produzieren Gips. Seine Vermarktung gilt als „extrem dringliches" Zukunftsproblem (Interview im japanischen Wirtschaftsministerium in Tokio, Oktober 1983).

  63. Entsprechend weist die japanische „Öko-Industrie" auf rückläufige Auftragszahlen hin; vgl. The Japan Economic Journal (International Weekly) vom 22. 3. 1983.

  64. Interview im japanischen Umweltamt in Tokio, November 1983.

  65. Mündliche Mitteilung eines Vertreters der „Kyushu Electric Power Co." am 11. 10. 1983.

  66. Vgl. Neue Zürcher Zeiung vom 19. 3. 1980.

  67. Eine umfassende Untersuchung zu den Folgen des „Sauren Regens" ab 1984 wurde amtlich in Aussicht gestellt; vgl. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan, Tokio 1983, S. 192.

  68. Vgl. ebd., S. 15f.

  69. Vgl. N. J. Glickman, The Growth and Management of the Japanese Urban System, New York etc. 1979.

  70. Die öffentlichen Ausgaben für Umweltschutz-maßnahmen stiegen im Zeitraum 1967— 1982 um das 25fache. Ihr Anteil am Staatsbudget betrug 1982 1, 3 %. An der Gesamtsumme in Höhe von rund 1, 2 Billionen Yen (rd. 13 Mrd. DM) für Umweltschutzaufwendungen sind die Mittel für den Kanalisations-und Kläranlagenbau mit rund 700 Mrd. Yen (rd. 7, 7 Mrd. DM) beteiligt; vgl. Environment Agency, Quality of the Environment in Japan, Tokio 1983, S. 71 ff.

  71. Vgl. zum Atommüll-Problem J. W. Powell, Nuclear power in Japan, in: The Bulletin of Atomic Scientists, Mai 1983, S. 37 f.

  72. Vgl. Environment Agency, Illustrated White Paper on the Environment in Japan, Tokio 1982, S. 30; M. Schwind, Neue Landesentwicklung in Japan, Reihe Japanwirtschaft, Heft 9, Düsseldorf 1980, S. 13.

  73. Vgl. Die Zeit vom 30. 12. 1983.

  74. Diese These wurde entwickelt in: M. Jänicke/H. Weidner, Optische Täuschungen im Umweltschutz, in: Umschau, (1977) 22, S. 722— 729.

  75. Der Wortlaut im Original: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."

  76. Vgl. hierzu die Literaturangaben in Anm. 37.

  77. Interview mit Dr. Jun Ui, einem zentralen Akteur in der japanischen Umweltschutzbewegung, in Tokio, November 1983.

  78. Das wurde von nahezu allen Interviewpartnern hervorgehoben. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Basis für die effektiven Umweltschutzmaßnahmen in günstigen ökonomischen Zeiten, insbesondere vor der ersten Ölpreiskrise 1973, gelegt worden war.

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Helmut Weidner, Dipl. -Pol., geb. 1948; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte in Berlin und Kiel; seit 1978 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft des Wissenschaftszentrums Berlin; leitet gegenwärtig ein mehrjähriges Forschungsprojekt zur japanischen Umweltpolitik. Veröffentlichungen u. a.: ökologische Ignoranz als ökonomisches Prinzip. Umweltzerstörung und Umweltpolitik in Japan, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/77; (zus. m. P. Knoepfel) Handbuch der SO 2-Luftreinhaltepolitik (2 Bände), Berlin 1980; (zus. m. P. Knoepfel) Innovation durch international vergleichende Politikanalyse. Dargestellt am Beispiel der Luftreinhaltepolitik, in: R. Mayntz (Hrsg.), Implementation politischer Programme II, Opladen 1983.