I. Ausgangslage
Der Versuch einer Bilanz und Bewertung der Hochschulpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte, also der Zeit von 1968 bis 1983, kann nicht ohne einen Blick auf den vorherigen Zustand des Bildungswesens auskommen. Wie stellte sich dieses dar? Was galt es (mit welchem Ziel) zu reformieren? Welche Forderungen wurden erhoben? Zustand In den ersten Nachkriegsjahren versuchte jede Besatzungsmacht auf ihre Weise, im Bildungswesen — wie in allen anderen Lebensbereichen der Deutschen — die Überreste der Institutionen des Nationalsozialismus zu beseitigen und sie durch Modelle zu ersetzen, die ihren eigenen, d. h.den englischen, französischen, sowjetischen oder amerikanischen Idealen weitgehend entsprachen 1). Unter ihrer eigenen politischen Führung begannen die Deutschen in den fünfziger Jahren, eine ihnen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus vertraute Gesellschaft und deren Institutionen in ihren wesentlichen Zügen wieder aufzubauen Die deutschen Universitäten waren lange berühmt für ihre hervorragenden akademischen Leistungen, ihre Autonomie (trotz der Finanzierung durch den Staat), ihren elitären Charakter und die außergewöhnliche Machtstellung auf Lebenszeit berufener Professoren, der sogenannten Ordinarien
Von der Zeit des Wiederaufbaus bis in die Mitte der sechziger Jahre stiegen die Studentenzahlen an den Universitäten rapide an, während zur gleichen Zeit der Ansturm durch die Gründung neuer Universitäten nur teilweise aufgefangen werden konnte. 2. Kritik und Forderungen Vereinzelt wurden Ende der fünfziger, vor allem aber Anfang der sechziger Jahre kritische Stimmen laut, welche auf gewisse Unzulänglichkeiten u. a. bei den Lehrmethoden und auf die oligarchische Verfassung der Universitäten hinwiesen.
Im Vergleich zu anderen hochindustrialisierten Staaten wurde der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt als viel zu gering betrachtet die Entwicklung der Hochschulzugänge, so wurde befürchtet, würde zu einer Überfüllung der Hochschulen führen Allgemein bekannt geworden — und häufig genug mißverstanden — ist der Warnruf Pichts vom Bildungsnotstand Diesen setzte er gleich mit wirtschaftlichem Notstand Er prophezeite ein rasches Ende des eingetretenen wirtschaftlichen Aufschwungs, wenn qualifizierte Nachwuchskräfte fehlten, ohne die im technischen Zeitalter kein Produktionssystem etwas leisten könne Die Zahl der Abiturienten sei das geistige Potential eines Volkes; vom geistigen Potential in der modernen Welt seien die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft, die Höhe des Sozial-produkts und die politische Stellung abhängig -
Aus dem im Vergleich zu anderen Industrienationen geringeren Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt wurde eine nachrangige, unterwertige Rolle der Bildung auf der nationalen Prioritätenliste abgeleitet Der quantitative Mangel wurde darin gesehen, daß es zuwenig Abiturienten, zuwenig Lehrer und überfüllte Hochschulen gab Als qualitativ unzureichend sah man das „veraltete" Bildungssystem an worunter die in-nere Verfassung der Hochschulen verstanden wurde, überlange Studienzeiten und die scharfe soziale Auslese beim Zugang zu einer höheren Ausbildung
Hemmnisse bei der Lösung ergaben sich vor allem aus der Bildungskleinstaaterei, aus einem mißlungenen Kulturföderalismus
Die Forderungen nach einer Reform gingen konsequent von den angenommenen Mängeln aus. Vor allem wurde eine quantitative Ausweitung de höheren Bildungswesens gefordert Die inhaltliche Reform des Studiums zielte darauf ab, Gesamthochschulen einzuführen und eine Verkürzung des Studiums zu erreichen Schlagworte der Hochschulreform waren ferner: neue Lehrkörperstruktur, Mitbestimmung, Modernisierung und Stärkung der Hochschulselbstverwaltung Zur Erreichung dieser Ziele sollte der Bund eine Grundsatz-und Rahmenkompetenz für das gesamte Bildungswesen erhalten, um die gesamtstaatlichen Strukturdaten für die Entwicklung des Bildungswesens in quantitativer, qualitativer, finanzieller und organisatorischer Hinsicht festzulegen
Die Beweggründe waren zum Teil in einem ökonomischen Ansatz erkennbar. Standen bereits in den fünfziger Jahren wegen der zu beobachtenden Engpässe Fragen des Bedarfs an hochqualifizierten Arbeitskräften im Vordergrund des Interesses, so beschäftigte man sich später mit dem Problem einer ökonomisch orientierten Bildungspolitik, deren Ziel es sein sollte, die — in der Ost-West-Auseinandersetzung beider Wirtschaftssysteme — bis 1970 vorgegebenen Wachstumsraten zu erreichen Wirtschaftliches Wachstum wurde als Bedingung und Resultat der Kultur-politik verstanden Stärker betonte demgegenüber nur Dahrendorf den individuellen Ansatz
II. Folgerungen
Die vielfältig aufgestellten Forderungen erfuhren eine breite Zustimmung und wurden zu einem großen Teil politisch umgesetzt. Die wichtigsten Beispiele dafür sind:
— Das Abkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung eines Wissenschaftsrates (1957 Hochschulbereich).
— Das Verwaltungsabkommen über die Errichtung des Deutschen Bildungsrates (1965 Schulbereich).
— Die Ergänzung des Grundgesetzes (1969) durch Art. 74 Nr. 13 Abs. 1 Nr. la, Art. 91a, Art. 91b u. a. mit der Ermöglichung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau.
— Das Hochschulbauförderungsgesetz (1969). — Die Schaffung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (1970).
— Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (1971) mit dem Grundsatz (§ 1), daß ein Anspruch auf individuelle Ausbildungsförderung besteht für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung, wenn dem Auszubildenden die erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.
— Das Hochschulrahmengesetz (1976) z. B. mit den Aufgaben der Neuordnung des Hoch-schulwesens (§ 4), der Errichtung von Gesamt-hochschulen (§ 5), der Studienreform (§ 8), der Schaffung einer neuen Personalstruktur (§§ 36 ff), Vorgaben für die Organisation und Verwaltung (§ 58 f) und die Hochschulplanung (§ 67 f).
Das Hochschulrahmengesetz wurde teilweise bereits als Resignation bezüglich mancher Reformvorstellungen verstanden
III. Die tatsächliche Entwicklung
Die Umsetzung der Reformideen war zunächst gekennzeichnet durch einen beachtlichen Ausbau der Hochschulen (bis 1975). Es folgte dann, als Konsequenz der Veränderung der Rahmenbedingungen, eine Phase der Stagnation (bis 1980). Seit Anfang der achtziger Jahre ist die Situation durch eine Rezession der Aufwendungen bestimmt.
Der Zuwachs an flächenbezogenen Plätzen im Jahre 1975 gegenüber 1970 betrug 42 %. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Teil der neu gebauten Fläche für Ersatzzwecke benötigt wurde und deshalb keine zusätzlichen Studienplätze geschaffen worden sind. Die tatsächliche Ausbauleistung liegt daher in vielen Fällen höher als der ausgewiesene Flächenzuwachs Die Liste der 27 Neugründungen unterstreicht diesen quantitativen Aspekt der Ausbaul Neugründungen 25) unterstreicht diesen quantitativen Aspekt der Ausbauleistung.
Das wissenschaftliche Personal wurde bereits zwischen 1961 und 1971 verdreifacht. Es erreichte im Jahre 1975 im Verhältnis zur Zunahme der Studienanfänger eine vergleichbare Größenordnung 26). Die Stellen an Wissenschaftlichen Hochschulen und Kunsthochschulen stiegen insgesamt von 131 000 auf 188 000 27). Bei anderen Angaben (220 020 für 1975) sind die nebenberuflich Tätigen einbezogen (für 1980 waren dies 22, 3 %).
Die Entwicklung der sonstigen Ausgaben für den Hochschulbereich entsprach der aufgezeigten Tendenz Die Ausgaben insgesamt sind im Zeitraum von 1970 bis 1975 verdoppelt worden
Diese Entwicklung war zum einen die Folge einer vermehrten Aufmerksamkeit für das Bildungswesen; zum anderen aber war sie eine zwingende Konsequenz aus dem Anstieg der Studienanfänger-und Studentenzahlen insgesamt
Die von den Trägern der Reformideen initiierten und von den politischen Kräften übernommenen Vorstellungen führten zu einem weiteren Anstieg der Studentenzahlen. Im Jahre 1980 wurde die Millionengrenze überschritten, im Wintersemester 1982/83 waren es 1 167 900 Studenten und für das Ende der achtziger Jahre werden 1, 5 Millionen Studenten nicht mehr ausgeschlossen. Entgegengesetzt dazu macht sich seit Mitte der siebziger Jahre eine Stagnation der Ausgaben beim Hochschulbau, bei Personalstellen und im Sachmittelbereich bemerkbar. Die zunehmende Knappheit der öffentlichen Mittel und eine veränderte Prioritätensetzung zum Nachteil des Bildungssektors lassen die Veränderung der Rahmenbedingungen deutlich erkennen. Bereits im Jahr 1976 hat die Westdeutsche Rektorenkonferenz ihr Konzept zur Sicherung der Forschung in den deutschen Hochschulen verdeutlicht Im gleichen Jahr ist die Stellungnahme „Zur begrenzten Überlastung der Hochschulen in den Jahren der verstärkten Nachfrage nach Studienplätzen" verabschiedet worden Seit 1980 nun ist ein deutliches Auseinanderklaffen von Aufgaben der Hochschulen (mehr Studenten) und rückläufiger Ausstattung (weniger Geld) festzustellen
Die Zahl der Studienanfänger ist von 1975 bis 1982 von 151 000 auf 201 300 gestiegen
Wegen der geburtenstarken Jahrgänge in der Zeit von 1962 bis 1967 ist das Maximum der Studienanfänger in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu erwarten Dementsprechend wird auch die Gesamtzahl der Studenten steigen.
Die Zahl der Stellen für wissenschaftliches Personal ist an Universitäten einschließlich der Pädagogischen Hochschulen von 49 161 im Jahre 1975 auf 47 938 im Jahre 1982 zurückgegangen Eine ähnliche Tendenz gilt für die Investitionsausgaben Dieser Widerspruch von (Folgen früherer) Bildungspolitik und (aktueller) Finanzpolitik wurde bereits 1982 hervorgehoben Inzwischen ist eine deutliche Abkehr auch von einer Reihe von Folgerungen zu beobachten, die seinerzeit im Konsens aller politisch Verantwortlichen gezogen worden sind. Dazu gehört — die Auflösung des Deutschen Bildungsrats (1975), — der Streit um die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau (1981) und um die Graduiertenförderung (1983), — das Scheitern der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans (1982), — die Umstellung des Bafög auf Volldarlehen (1982), — die Einsetzung einer Expertenkommission zur Überprüfung des Hochschulrahmengesetzes (1983), — die partielle Auflösung der Bund-Länder-Kommission (keine weiteren Bildungsgesamtpläne), — die aufkommende Diskussion um die Beibehaltung der Politik der Offenhaltung der Hochschulen (Beschluß der Regierungschefs von 1977).
Ursachen für diese Anzeichen einer soge-nannten Gegenreform sind in dem stärkeren Bestreben zu sehen, Länderinteressen durchzusetzen. Die allgemeine Finanzkrise spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Enttäuschung über das Scheitern inhaltlicher Reformen.
IV. Bilanz
Geht man von den Vorstellungen derjenigen aus, die Ideen zur Hochschulreform entwickelt haben, und fragt, was daraus geworden ist, so lassen sich in einer Bilanz durchaus Positivpunkte festmachen. Eine andere Frage ist dann immer noch, wie man sie heute bewertet, ob man — vom heutigen Standpunkt — das eingetretene Ergebnis für wünschenswert und richtig hält.
Die wesentlichen Forderungen waren:
— Erhöhung der Zahl der Studenten — Erhöhung der Ausgaben für den Bildungssektor — Änderung der Verfassung der Universitäten (Abschaffung der sogenannten Ordinarienuniversität; neue Lehrkörperstruktur; Demokratisierung) — Einführung von Gesamthochschulen — Studienreform mit dem Ziel der Verkürzung des Studiums — Bessere Konkurrenzfähigkeit mit anderen Industrienationen. 1. Studentenzahlen Die heute rund 1, 2 Millionen Studenten sind ohne Zweifel das Ergebnis von Bildungswerbung, Ausbau der Schulen und Hochschulen, aber auch der Hoffnung der einzelnen, durch eine weiterführende Ausbildung bessere Start-und Lebenschancen (incl. Einkommens-erwartungen) zu haben. Das Anwachsen der Quantitäten müßte zu dem Ergebnis führen, daß die Reform insofern positiv zu bewerten ist, zumal die Studentenzahlen mutmaßlich weiter steigen werden. Allerdings werden immer lauter Zweifel angemeldet, ob es denn richtig sei, so viele Akademiker auszubilden, die womöglich später keine ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung werden finden können. Dies läßt zwar den Aspekt des „Bürgerrechts auf Bildung" außer Betracht, denn dafür ist nicht entscheidend, ob der (Aus-) Bildung eine Tätigkeit folgt, in der die Ausbildung direkt verwertet wird. Den Betroffenen, vor allem den Beobachtern der Betroffenen, erscheint dies aber nicht ausreichend. Es wird vielmehr die Frage nach der sogenannten gesellschaftlichen Verwertbarkeit der Hochschulausbildung gestellt. In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, daß eine breite Bildungsbeteiligung aller sozialen Schichten zwar zweifellos den Einbezogenen die Chance zur Weiterentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung bietet, daß aber auf der anderen Seite die Auffassung, ein höherer Akademisierungsgrad übe zwangsläufig einen positiven Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes aus, nicht zweifelsfrei ist.
Es keimen vielmehr neue Probleme auf. Zum einen wird es in einer Fülle von Fachrichtungen für die Absolventen immer schwieriger, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden; die Akademiker-Arbeitslosigkeit nimmt seit einigen Jahren zu Zum anderen treten in Be-reichen, die für die wirtschaftlich-technische Weiterentwicklung von großer Wichtigkeit sind, Defizite auf: In einigen natur-und ingenieurwissenschaftiichen Fächern fehlte es eine Zeitlang an Studienanfängern und Absolventen. Etwa bis zur Mitte der siebziger Jahre waren die Beschäftigungsaussichten für Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik sehr günstig. Dabei war auch die Expansion der Bildungseinrichtungen in allen Bereichen mit entsprechendem Personalbedarf von erheblicher Bedeutung. Seitdem haben sich die Chancen der Hochschulabsolventen deutlich verschlechtert.
Die Zahl von rund 100 000 Abschlußprüfungen jährlich seit dem Jahr 1975 bedeutet, daß inzwischen etwa 11 bis 12 % eines Altersjahrganges eine Hochschulprüfung erfolgreich absolviert haben. Der Anteil der Studienanfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung beträgt aber 21 %. Die Expansion des Hoch-schulwesens ist also noch nicht voll auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen
Das Hauptbeschäftigungsproblem des akademischen Nachwuchses liegt in der Sättigung des öffentlichen Dienstes. Dieser hat in der Vergangenheit rund 60 % der Hochschulabsolventen aufgenommen. Die Zahl der arbeitslosen Hochschulabsolventen nahm daher in den letzten Jahren besonders in jenen Bereichen zu, in denen die Beschäftigungsmöglichkeiten sich auf den öffentlichen Dienst konzentrieren: bei Lehrern, Sozialarbeitern und -pädagogen, Bibliothekaren, Soziologen, Politologen und Psychologen. Wie die Berufschancen der Absolventen in der Zukunft beschaffen sein werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Jede Prognose ist mit um so größeren Unsicherheiten belastet, je weiter sie in die Zukunft reicht: So ist es ungewiß, wie sich politische Plandaten verändern werden, z. B. das Verhältnis Schüler-/Lehrerzahlen. Ungewiß ist es auch, ob neue Branchen entstehen, deren Expansion von neuen Studiengängen oder bestimmten Spezialisierungen traditioneller Studiengänge begleitet wird. So hat sich z. B. — vor zehn Jahren noch kaum absehbar — eine Computerindustrie entwickelt, mit der der Diplom-Informatiker zum begehrtesten Berufsanfänger avancierte. Derlei innovatorische Schübe sind auch für die Zukunft weder ausgeschlossen noch vorhersehbar. Sie machen letztlich jede langfristige Beschäftigungsprognose zum Glücksspiel.
Der Zugang zu Spitzenpositionen und damit auch zu entsprechenden Einkommen hängt heute entscheidend vom Erwerb von Zusatz-qualifikationen ab, so — von während des Studiums erworbenen praktischen Erfahrungen, — von im Ausland erworbenen Fremdsprachenkenntnissen, — von der Promotion im Bereich der Naturwissenschaften, — oder auch von Kenntnissen in der Datenverarbeitung. Das Gros der Hochschulabsolventen sogenannter Massenfächer wird aber nur dann beschäftigt werden können, wenn es bereit ist, nicht ausbildungsadäquate Tätigkeiten anzunehmen, die früher von Nichtakademikern wahrgenommen wurden, und Abstriche bei den Einkommenserwartungen zu machen. Es wird immer offensichtlicher, daß an den Hochschulen — gemessen am Bedarf — zu-viele zu teuer und zu lange ausgebildet werden. Aus der Diskrepanz zwischen Ausbildung und Anforderungsprofil der Tätigkeit erwächst ein ernstes politisches Spannungspotential. Eine Verstärkung des Hangs zu einer erneuten Radikalisierung der Studenten ist nicht ausgeschlossen. Ebenso zeichnet sich eine verbreitete Demotivation von Studenten ab, die noch mehr junge Leute zum „Aussteigen" veranlassen könnte. 2. Ausgaben für den Wissenschaftsbereich Im Jahre 1981 wurde ein Gesamtbetrag von 31, 4 Mrd. aus öffentlichen Mitteln für Lehre, Forschung und Entwicklung ausgegeben. Die Gesamtausgaben der Hochschulen betrugen 18, 9 Mrd. 1970 beliefen sich die Gesamtausgaben nur auf 11, 2 Mrd., wovon 6, 9 Mrd. auf die Hochschulen entfielen. Die Steigerung beträgt nach Abzug der Inflationsrate 38 %
Die Gesamtausgaben für das Bildungswesen sind von 27, 5 Mrd. DM im Jahr 1970 auf 82, 3 Mrd. DM im Jahr 1982 gestiegen und haben sich damit im Zeitraum von 1970 bis 1982 fast verdreifacht. Die Hochschulen ließen sich Bund und Länder im Jahr 1982 19, 7 Mrd. DM kosten, wovon der Bund allerdings nur knapp 5% beisteuerte.
Der Anteil der öffentlichen Wissenschaftsausgaben am Bruttosozialprodukt betrug 1970 1, 6%; inzwischen stagniert er bei 2 % Der Anteil am Gesamthaushalt von Bund und Ländern liegt seit 1970, nach zwischenzeitlichen Steigerungen bis auf 7, 9 % unverändert bei 7, 0 %.
Die Zunahme der öffentlichen Wissenschaftsförderung fand in der ersten Hälfte der siebziger Jahre statt. Während sie ab Mitte der siebziger Jahre auf dem erreichten Niveau verblieb, wuchsen die Aufgaben, gemessen insbesondere an der Zahl der Studenten.
Die Entwicklung der Finanzen läßt erkennen, daß sich die finanzielle Lage der Hochschulen in den letzten Jahren verschlechtert hat. Die Zuwächse reichen nicht aus, um die Preissteigerungen auszugleichen
Seit Jahren wächst der Anteil der „festen" Ausgaben (Personal, Energiekosten). Für Sach-und Betriebsmittel, die zur Aufrechterhaltung des Lehr-und Forschungsbetriebes dienen, stehen immer weniger Mittel zur Verfügung. Dies hat bereits Auswirkungen auf die Qualität von Lehre und Forschung. Kann man heute schon von einer beträchtlichen Überlastung des wissenschaftlichen Personals sprechen, die nur schwerlich in einem pauschalen Prozentsatz zu erfassen ist, so bahnt sich für die kommenden Jahre ein kaum zu rechtfertigender Zustand an. Das Verhältnis Studenten je Stelle für wissenschaftliches Personal, das sich in den vergangenen Jahren bereits verschlechterte, wird sich noch ungünstiger entwickeln.
Geht man davon aus, daß die Stellenzahl für das wissenschaftliche Personal in einigen Ländern sogar reduziert wird und die Studentenzahl auf 1, 4 Millionen anwächst, so wird die Zahlenrelation einen Rückfall hinter die Verhältnisse von 1960 erfahren.
Da zudem die politische Vorgabe besteht, den Zugang zu den Hochschulen offenzuhalten, wird der Ansturm der Studenten durch eine Mehrbelastung des wissenschaftlichen Personals aufgefangen werden müssen. Diese Belastung wiegt um so schwerer, als nicht nur ein Mehr an Vorlesungen, Übungen und Prüfungen, deren Umfang heute bereits Kollisionen mit dem normalen Lehrbetrieb verursacht, zu verkraften sein wird, sondern zudem der Kenntnisstand der Absolventen bisweilen erhebliche Lücken aufweist und die Studierfähigkeit eines Jahrgangsfünftels im Durchschnitt auch niedriger zu bewerten ist als die des Jahrgangsdreißigstels früherer Jahre. Die Qualität der Ausbildung wird mit Sicherheit* unter einer Verschlechterung der Zahlenrelation zwischen wissenschaftlichem Personal und Studenten leiden. Die Kleingruppenbetreuung muß in ihrem Umfang beschnitten und das Angebot an Veranstaltungen, die nicht zum obligatorischen Grundprogramm gehören, weiter eingeschränkt werden.
Die erweiterte Belastung ist aber auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß es eine der Grundaufgaben der Hochschulen ist, Forschung zu betreiben. Die Hochschulen haben damit Verantwortung für die Zukunftssicherung. Dieser kann aber nur entsprochen werden, wenn sie auch in die Lage versetzt werden, zu forschen und Impulse für die technisch-wissenschaftliche Entwicklung zu setzen; denn nur so können Standard und Position der Bundesrepublik als Industrienation gehalten werden. In der Langzeitperspektive genügt aber nicht die Forschung allein; auf ihrer Grundlage müssen auch Studenten ausgebildet werden, die ihr Wissen in der späteren Praxis konkret umsetzen können. Dies muß allen Politikern deutlich gesagt werden, die einerseits immer von Zukunftssicherung und Langzeitperspektive sprechen, aber auf der anderen Seite den Hochschulbereich angesichts knapper werdender Mittel am stärksten schröpfen wollen.
Für den sogenannten akademischen Mittel-bau bringen die Finanzrestriktionen zusätzliche spezifische Probleme mit sich. Die im Zuge der Öffnung der Hochschulen notwendig gewordene Vermehrung des wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen wurde durch die Berufung einer großen Zahl junger Wissenschaftler gelöst. Dies führte zu einer erheblichen Verzerrung der Alters-struktur des Lehrkörpers. Ein überproportionaler Anteil heute 40-bis 50jähriger Professoren, die noch 15 bis 20 Jahre an den Hochschulen verweilen werden, verursacht einen unterproportionalen Ersatzbedarf. Während bei einer idealen, gleichmäßigen Altersstruktur jährlich etwa 4% der Professorenstellen — dieses entspricht 700— 800 Stellen — frei würden, scheiden z. Zt. jährlich nur 1, 5 % der Professoren aus. Dies hat zur Konsequenz, daß die Chancen des wissenschaftlichen Nachwuchses, auf eine Professorenstelle berufen zu werden, äußerst gering sind und zudem eine „Blutauffrischung" für Lehre und Forschung ausbleibt. Dieses wird noch dadurch verschärft, daß aufgrund eines enger werdenden finanziellen Rahmens in den letzten Jahren kein weiterer Stellenausbau an den Hochschulen erfolgte und neben dem sinkenden Ersatzbedarf der Erweiterungsbedarf völlig entfiel. Die Westdeutsche Rekto29 renkonferenz hat bereits vor einiger Zeit einen Plan vorgelegt, der die befristete Schaffung weiterer Stellen in den achtziger Jahren vorsieht, die Lösung des Nachwuchsproblems mit der Bewältigung des Studentenberges verbindet und dabei keine langfristige Stellenaufstockung präjudiziert. Leider fehlte es an einem entsprechenden Echo der politisch Verantwortlichen. 3. Gruppenuniversität Mit der Idee, die Universität zu „demokratisieren", sollte diesogenannte Herrschaft der Ordinarien abgeschafft, den Vertretern aller Gruppen — Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Studenten und nichtwissenschaftlichem Personal — ein Mitspracherecht bei allen Entscheidungen gegeben werden. Kontrolle der Entscheidungen, Transparenz der Vorgänge waren Ziele und Schlagworte zugleich. Man meinte, das Demokratisierungsgebot auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens, also auch auf die Hochschulen, ausdehnen zu müssen; gerade die Studenten sollten früh die Gelegenheit erhalten, Demokratie zu praktizieren, einzuüben. Man setzte auf den Sachverstand, auf die Mitwirkung aller Betroffenen, indem man sie auf diese Weise zu einer Identifikation mit ihrer Institution bringen wollte; sie sollten Verantwortung mittragen. Die Entwicklung hat dazu geführt, daß in allen Landeshochschulgesetzen die Mitwirkung der verschiedenen Gruppen in unterschiedlichem Umfang geregelt ist. Durch das Bundesverfassungsgericht ist die sogenannte Gruppenuniversität als zulässige Gestaltungsform anerkannt; zugleich sind aber auch die Grenzen der Mitwirkung der Gruppen bestimmt.
Die gehegten Erwartungen an die Wirkung der Gruppenuniversität sind sicher nicht eingetreten. Die niedrige Wahlbeteiligung bei den Studenten signalisiert ein fehlendes Interesse der großen Zahl der Studenten. Sie fühlen sich nicht so sehr als Mitglieder, sondern als Benutzer. Die Hoffnung trügt, die so-genannte schweigende Mehrheit könnte und würde sich wirksam gegen das Treiben linker Grüppchen wehren, die — wegen der geringen Wahlbeteiligung — legal Funktionen wahrnehmen. Die Mehrheit toleriert zum Teil auch rechtswidriges Tun, wohl nicht so sehr aus studentischer Solidarität oder aus einem prinzipiell gestörten Verhältnis zu Normen, sondern weil sie sich Vorteile für ihre individuelle Studiensituation versprechen. Interesse an Mitwirkung in den Gremien wird vor allem von politisch motivierten Gruppierungen geltend gemacht. Ihre Beiträge sind denn auch nicht in erster Linie auf die Lösung von Sachfragen in Hochschulangelegenheiten gerichtet; sie treten vielmehr in aller Regel mit einem politischen „Vorverständnis" auf. Beim sogenannten Mittelbau macht sich wegen der schlechten Chancen, diesen Status zu verlassen, weitgehend Resignation breit. Insbesondere bei jenen, die sich heute immer noch in den Positionen befinden, die sie bereits um das Jahr 1970 innegehabt haben, ist Enttäuschung nicht zu übersehen, oft genährt durch jüngere Professoren, die nicht immer wegen höherer Qualifikation an ihren früheren Kollegen vorbeigezogen sind. Auch hier kaum ein Hauch von Verwirklichung jener Ideen, die den Aufbruch bestimmt haben. Bei der Gruppe der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter gibt es zunehmend Überschneidungen mit der Personalvertretung. Hier macht sich nachteilig bemerkbar, daß es an Kompatibilitätsregelungen fehlt und daß das Nebeneinander von Gruppenrepräsentanz und Personalvertretung nicht harmonisiert ist.
Von einigen Professoren wird die Existenz der Gruppenuniversität lauthals als der Kern allen Übels beklagt. Zum Teil sind es jene, die auch voraufgegangene Verfassungen kritisiert haben, zum Teil hätten sie ohne die Regeln und Bedingungen der neuen Universität überhaupt nicht ihre Stellungen erreichen können. Es sind oft keine konkreten Vorwürfe, die erhoben werden, vielmehr wird „Griesgram" verbreitet, vielleicht nur, weil man gerade selbst nicht einem Entscheidungsgremium angehört.
Die Gründe für das Auseinanderklaffen von Idee und Wirklichkeit bei der Mitwirkung liegen zum Teil in der Politisierung oder Fraktionierung der Gremien. Die Übertragung allgemeiner Verfahrensgrundsätze auf den akademischen Bereich z. B. aus dem Kommunal-recht verkennt, daß die Universität eben keine Gebietskörperschaft ist und daß vor allem das sogenannte Repräsentationsprinzip nicht akzeptiert wird. Zwar klagen die Professoren häufig und heftig über zu viele Belastungen in der Selbstverwaltung, nur wenige aber sind bereit, die Vertretung durch Kollegen in Gremien zu akzeptieren. Da wären sie schon gerne selbst dabei.
Zu beobachten ist auch ein allgemeines Desinteresse, mitbedingt durch die Erkenntnis, daß wohl vorbereitete Vorschläge und Ideen oft durch einen Federstrich der Kultusbürokratie, nicht selten aus politischen Erwägungen, zunichte gemacht werden. Auch das trägt zu dem Eindruck bei, daß es mit der Umset-B zung der Idee der Mitwirkung wohl nicht so gut bestellt ist.
Solche Beobachtungen könnten nun dazu führen, einer schnellen Abschaffung entsprechender Regeln das Wort zu reden. Aber die Rückkehr zur alleinigen Bestimmung der Geschicke der Hochschulen durch die Professoren ist kaum die richtige Antwort. Denn dieses Prinzip hat sich, wie schmerzlich festgestellt werden mußte, nachweislich nicht bewährt. Jedenfalls war es, oder seine Träger, nicht stabil genug, Attacken der späten sechziger Jahre zu widerstehen. Solange Universitäten als Körperschaften organisiert sind, wird man den Gruppen ein bestimmtes Maß ah Mitwirkung weder versagen können noch sollen, auch mit sicher nicht immer erfreulichen Nebenfolgen. Eine andere Frage ist, ob nicht die Konstruktion als Anstalt sachgerechter wäre. Bejaht man dies, hat das aber auch Folgen für die Teilhabe der Professoren an Entscheidungsprozessen.
Die Diskussion mit dem Ziel eines Zurück zu den Regeln der sogenannten Ordinarienuniversität geht von der irrigen Vorstellung aus, die Probleme der Universitäten wären gelöst, wenn nur die Professoren allein das Sagen hätten. Daß dies nicht so ist, zeigt die Vergangenheit. übersehen aber wird vor allem, daß die Gruppe der Professoren heute anders zusammengesetzt ist, als sie es vor der soge-nannten Reform war. Das gilt in quantitativer Hinsicht (hier hat innerhalb von 25 Jahren mehr als eine Vervierfachung stattgefunden wohl aber auch was den qualitativen Ausweis angeht — eine Nebenwirkung der großen Zahl verfügbarer Stellen in der Zeit des raschen Ausbaus.
Man kann nicht auf der einen Seite den Qualitätsverlust an deutschen Hochschulen beklagen, indem auf schematische Überführungen, Discount-Professoren und Selbstbedienungspraktiken hingewiesen wird, und auf der anderen Seite die (angeblich oder tatsächlich) Begünstigten zu alleinigen Inhabern von Rechten machen, wie sie früher nur einer kleinen Gruppe von besonders Qualifizierten zugestanden wurde.
Die sogenannte Gruppenuniversität etwa nach baden-württembergischer Ausgestaltung ist eine Erscheinung, mit der ohne weiteres eine effektive und den Belangen von
Forschung und Lehre gerecht werdende Arbeit geleistet werden kann. Solange keine bessere Konstruktion gefunden ist, sollte — nicht zuletzt aus Gründen sonst fälliger fruchtloser Diskussionen — die bisherige Lösung beibehalten werden.
Nun sind Unterschiede in den einzelnen Ländern nicht zu übersehen. Es fragt sich aber, ob es ein gutes Prinzip wäre, wenn z. B. Länder mit anderen Paritäten, also einer geringeren Beteiligung der Professoren, durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes gezwungen würden, den Schlüssel z. B.des baden-württembergischen Universitätsgesetzes zu übernehmen. Ebensowenig wie es tolerabel gewesen wäre, wenn eine sozial-liberale Bundesregierung einen Rahmen nach dem Bremer Muster der Mitwirkung hätte für alle Länder vorschreiben wollen, ist es einsichtig, daß ein „Rahmen" so eng gezogen werden soll, daß er keiner Ausfüllung mehr bedarf. Um keinen Zweifel zu lassen: Regelungen, wie sie in Baden-Württemberg gelten, sind der Bremer vorzuziehen. Wenn man es aber ernst meint mit Kulturhoheit und Föderalismus, sollten abweichende — vom eigenen Standpunkt aus: weniger gute — Bedingungen möglich sein.
Die große Reform der Reform lohnt nicht; geboten allerdings sind gewisse Kleinausbesserungen. 4. Gesamthochschulen Die Idee zielte darauf ab, die verschiedenen Hochschularten — Wissenschaftliche Hochschulen, Pädagogische, Kunst-und Musik-, Fachhochschulen — in einem Zusammenhang zu behandeln. Das Programm sah vor, daß in diesem Bereich Abiturienten grundsätzlich Studienplätze suchen sollten. Dabei sollten Begabungen und Wünsche der Studenten, Kapazitäten der Hochschulen und der Bedarf der Praxis in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden. Das Mittel sollte die kooperative oder integrierte Gesamthochschule sein.
Man kann heute feststellen, daß die Gesamt-hochschule kein Thema mehr ist. Dort, wo Einrichtungen u. a. (noch) diesen Namen tragen, ist die Idee doch so verwässert, weil alles darauf angelegt ist, daß Studenten in die Universitäten Studiengänge gelangen können. Ein konsekutives Modell mit Abgangsmög-lichkeiten nach einer ersten Phase für die große Zahl der Studenten und einem Postgraduiertenstudium nach anglo-amerikanischem Vorbild ist Illusion geblieben.
Hinderlich waren die zu lange Diskussion um die Bildung von Gesamthochschulen, die Tatsache, daß sie den Universitäten (vermeintlich) keinen Vorteil bringen würden und daß sie für die Fachhochschulen, nachdem ihnen die Befugnis, das Diplom zu verleihen, zuerkannt war, auch sonst keinen Nutzen mehr darstellten; schließlich, daß die Debatte um Sinn und Zweck in die parteipolitische Auseinandersetzung zwischen unionsregierten und sozial-liberal-regierten Ländern geriet.
Mit der eingetretenen Entwicklung ist die Chance vertan, ein Ausbildungssystem anzubieten, das angemessen ist für so dramatisch angestiegene Studentenzahlen und Anteile pro Altersjahrgang. So wird heute bei mehr als 21% Studenten pro relevanter Altersguppe immer noch das gleiche Ausbildungsprinzip-und System angewandt, das vor ca. 30 Jahren für 3 % angemessen erschien. Wenn von den 1 167 900 Studenten derzeitig 854 000 (= 73 %) an wissenschaftlichen Hochschulen eingeschrieben sind und nur 216 000 (= 18, 5%) an Fachhochschulen wäre es zwar übertrieben zu sagen, ein umgekehrtes Verhältnis wäre wünschenswerter; aber in der Tendenz wäre es besser und sachgerechtet. Nur ist dieses nicht zu korrigieren, indem jetzt (1983/84) der Ausbau der Fachhochschulen propagiert und womöglich weiterbetrieben wird. Gegen deren Attraktivität und damit gegen eine Umorientierung der Studenten spricht vor allem das überkommene (und veraltete) Laufbahnsystem. Jedem, dem bewußt ist, daß er ohne einen universitären Abschluß nicht ohne weiteres die Hürde zum höheren Dienst (A 13) überspringen kann, wird, um sich dieser Chance nicht Zu berauben, einen dies ermöglichenden Abschluß anstreben, wenn er nur die Voraussetzungen mitbringt. Dies soll nun keineswegs ein Plädoyer dafür sein, auch den Absolventen der Fachhochschulen den Zugang zu A 13 zu ermöglichen. Richtig wäre allein, die Eingangs-stufe für Universitätsabsolventen zu senken, ohne daß es zu einer Nivellierung, wohl aber zu einer Annäherung käme (Fachhochschule = A 10/11; Universität = 11/A 12).
Die Idee der Gesamthochschule mit einem konsekutiv oder gestuft aufgebauten Studien-angebot war ein angemessenes Lösungsangebot und eine richtige Ergänzung zu der Forderung, die Anteile pro Jahrgang im Tertiärbereich zu steigern. Ihre Nichteinführung und der überproportionale Ausbau der Universitäten waren falsch. 5. Studienreform Oberstes Ziel der Studienreform sollte die „Entrümpelung" von Studieninhalten sein. Man wollte praxisnahe Ausbildung anbieten, den Studenten durch Zwischenprüfungen Kontrollmöglichkeiten über ihre eigenen Leistungen geben und das Angebot so gestalten, daß ein normal befähigter und durchschnittlich fleißiger Student das Pensum in einer Regelstudienzeit (von acht Semestern) absolvieren kann.
Eine nahezu unübersehbare Zahl von Studienreformkommissionen auf Hochschul-, Landes-und Bundesebene hat sich mit dem Problem (und anderen Scheinproblemen) herumgebalgt, ohne daß ein entscheidender Durchbruch erzielt worden wäre.
Zwar ist im Rahmen des geltenden Systems eine Menge an Studienreformarbeit geleistet worden bezogen auf die Aktualisierung geltender Prüfungs-und Studienordnungen. Nur ist nichts geschehen oder auch nur vorbereitet worden, was die Beantwortung der Frage betrifft, ob denn mehr als 21% eines Alters-jahrgangs im tertiären Ausbildungssystem so ausgebildet werden sollen und können, wie es früher 3% wurden. Das Problem der Massen-universität und der ihr gemäßen Ausbildungsform ist bisher kaum erkannt, vielmehr verkannt oder verdrängt worden.
Immer wieder wird behauptet, Studienreform müsse „vor Ort" geschehen. Das ist im Rahmen von Vorgaben auch zutreffend. Nur ist nicht zu leugnen, daß „vor Ort", d. h. in den Fakultäten, die erwünschte Verkürzung des Studiums kaum erreicht werden kann. Dies wäre nämlich nur möglich, wenn auf bestimmte Fächer als Prüfungsleistung oder Vorleistung (Voraussetzung zur Meldung zur Prüfung) verzichtet werden könnte. Hiervon aber wären Professoren unmittelbar betroffen. Sie müßten sich, wenn sie für die Streichung ihres Faches als Prüfungs-oder sogenanntes Scheinfach wären (ein Schein als Voraussetzung zur Meldung zur Prüfung ist zu erbringen), gewissermaßen selbst verstümmeln. Denn die Herausnahme eines Faches aus einem solchen Bereich bedeutet in der Regel aus Kapazitäts-und Deputatsgründen, die GeB fahr des Abzugs von Personal-und Sachmitteln.
Eine Studienreform, die wirksam kürzere Studienzeiten erreichen will, muß daher mit wenigstens zwei Vorgaben operieren, — der (Höchst-) Zahl der zugelassenen Fach-semester, — der (Höchst-) Zahl der Prüfungsfächer (einschließlich sogenannter Voraussetzungen zur Prüfungsanmeldung).
V. Bewertung
Ohne Zweifel ist festzustellen, daß vieles an Reformideen in der Hochschulpolitik gar nicht oder nur unvollkommen verwirklicht worden ist. So könnte man eine Bewertung für jeden Sachpunkt vornehmen, indem die Wirklichkeit an der Idee gemessen und dann abgelesen wird, wie groß die Diskrepanz ist. Das aber wäre eine zu einfache, letztlich technokratische Betrachtungsweise. Von größerer Bedeutung dürfte sein, ob ein Gewinn oder Verlust und damit eine positive oder negative Bilanz vorliegt in bezug auf übergreifende Begriffe und deren Inhalte wie Ansehen, Qualität und Selbstgestaltungsmöglichkeit der Universitäten. Ihr Ansehen hat ohne Frage erhebliche Einbußen erlitten. Ursache dafür ist das Bild, das von den Universitäten in den letzten eineinhalb Jahrzehnten gezeichnet worden ist, und bei dem Auseinandersetzungen, ausgehend von den Studentenunruhen, bestimmend waren. Gegenstand der Berichterstattung war, was nicht überraschen durfte, nicht der normale Alltag, der Betrieb von Forschung und Lehre, sondern das Außergewöhnliche, das Spektakuläre. Auch wenn der Anteil des Auffälligen am Gesamtgeschehen nur verhältnismäßig gering war, erschien dies doch überproportional — eine Beobachtung, die es nicht nur für den Hochschulbereich zu machen gilt, hier aber neu war, weil die Hochschulen zuvor selten Gegenstand des öffentlichen Interesses waren und mit dieser Rolle deshalb auch wenig vertraut sein konnten.
Gern wird auch die nachlassende Qualität der Leistungen an deutschen Hochschulen sowohl in der Lehre als auch in der Forschung beklagt. Das Ausbleiben von Nobelpreisen wird als sicheres Zeichen des Qualitätsverlusts der Forschung gewertet; die Unzufriedenheit über Leistung und mangelnde Einsatzbereitschaft der Absolventen wird als Fehler der Ausbildung dargestellt. Dabei wird verkannt, daß es weiterhin — auch im Welt-maßstab anerkannte — hervorragende Leistungen gibt. Die Attraktivität deutscher Forschungsstätten für ausländische Wissenschaftler ist unbestritten; das Verfahren und die Bedeutung der Schulen, von Zugehörigkeit zu Richtungen bei der Vergabe von internationalen Preisen sind nicht unbekannt.
Weiterhin wird eine Spitze von Studenten hervorragend ausgebildet. Was Sorge macht, ist die große Zahl derer, die sich voller Mühe durch das Studium quälen und, nicht selten nach anfänglichem Scheitern, womöglich erst im Alter von fast dreißig Jahren die Hochschule verlassen. Dies geschieht dann, da ja das Examen formal gleichwertig mit dem früherer Zeiten ist, mit dem Anspruch, zumindest der Erwartung, eine der Ausbildung und dem Abschluß entsprechende Tätigkeit und Besoldung zu erlangen. Der Einsatz aber erfolgt nicht selten „unterwertig", da die adäquaten Positionen mit guten, jüngeren Hochschulabsolventen besetzt sind. Die so Beschäftigten gelten als „überqualifiziert" und erfüllen unter Umständen gerade in ihrem Tätigkeitsbereich die Erwartungen nicht. Daraus wird dann gegen die Hochschulen der Vorwurf abgeleitet, sie bildeten nicht sachgerecht aus und produzierten an der Praxis vorbei. Gewiß wäre es besser, eine große Zahl von Studenten verließe zu einem früheren Zeitpunkt die Hochschule. Aber damit sind wir wieder bei der Studienreform.
Bei der Gegenüberstellung von Soll und Haben ist auch unverkennbar, daß der Gestaltungsspielraum der Universitäten zunehmend eingeengt worden ist. Einzelvorkommnisse an wenigen Hochschulen haben dazu geführt, daß die Kultusbürokratien immer mehr Einzelentscheidungen an sich gezogen haben, veranlaßt durch Initiative und Druck aus den jeweiligen Landtagen. So ist ein Verlust an Autonomie festzustellen, der von den Hochschulen auch beklagt wird. Andererseits ist immer wieder zu beobachten, daß von einzelnen Mitgliedern, insbesondere von Professoren, nach dem Staat gerufen wird, wenn eine Entscheidung innerhalb der Universität nicht so ausfällt, wie der Betroffene sie sich vorstellt. Darüber zu streiten, wer „Schuld" an einer Negativbilanz trägt, ist allerdings weitgehend müßig. Es ist sicher das Zusammenwirken mehrerer Umstände, die dazu geführt haben, daß die Ideen der Reformer nicht so haben umgesetzt werden können, wie sie gedacht waren.
Die Reformen sind stets als Ganzes verstanden worden; ihre Verwirklichung setzte gleichbleibende, kontinuierliche Rahmenbedingungen voraus. Statt dessen hat es einen überstürzten Ausbau gegeben, der von plötzlichen Stopps unterbrochen wurde. Sprunghaftigkeit in der Politik, die zunächst begeistert Reformideen aufgegriffen hat und sie alsbald wieder verwarf, war keine Ausnahme. Auffälligstes und zugleich schlechtestes Beispiel ist der Umgang mit den Ideen von Picht. Er wurde zunächst als der Hellseher gefeiert, seine Ideen zum Teil ungeprüft übernommen, und schließlich verdammt, weil die Politiker selbst Nebenwirkungen ihres Handelns nicht bedacht hatten.
Ein Vorwurf aber ist auch den Spendern von Reformideen nicht zu ersparen. Sie haben sich womöglich zu wenig gefragt, für wen die Reformen konzipiert waren. Ihre Umsetzung ohne schädliche Nebenfolgen, gerade im Bereich der Mitwirkung, setzte Solidarität, Verantwortungsgefühl und eine Identifikation mit der Sache voraus, wobei persönliche Absichten und Anliegen zurückstehen mußten. Niemand wird den Reformern für ihre Personen absprechen wollen, daß ihre Vorstellungen lauter waren und daß sie selbst zu einem entsprechenden Tun bereit und in der Lage gewesen wären. Nur traf das kaum auf die große Zahl derer zu, die „reformiert" werden sollten. Hier war nur zu häufig zu sehen, wie Chancen sehr bewußt zum eigenen Vorteil wahrgenommen wurden. So war z. B. das Modell der Bundesassistentenkonferenz nicht von vornherein falsch, eine Assistenzprofessur mit selbständigen Rechten einzuführen, aber auch mit dem Risiko für den Inhaber verbunden, nach Fristablauf die Hochschule ohne Auffangstellung verlassen zu müssen. Die Initiatoren der Idee hätten das Risiko vermutlich getragen; die Begünstigten der folgenden Generation aber haben den Eintritt des vorhersehbaren, zunächst einkalkulierten Ereignisses als Unrecht angeklagt und von der Hochschule gefordert, daß es abgewendet werden müßte.
Reformvorhaben sind auch unter dem Aspekt zu bedenken, für wen sie bestimmt sind und was man damit — neben dem gewünschten Zweck — machen kann.
Wenn nun die Bilanz der Hochschulpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte nicht eben positiv ausfällt, so läßt sich heute vielleicht sagen, was die Gründe und Ursachen dafür waren, wo Alternativen gelegen hätten oder was falsch gemacht worden ist. Man könnte heute eine bessere Bilanz vorlegen, wenn diejenigen, die Teile dazu beizusteuern hatten, bessere Arbeit geleistet hätten. Die schlechte Bilanz eines Kaufmanns wäre weniger schlecht, wenn der Kaufmann besser wäre. So ist eben die Bilanz der Hochschulpolitik so gut wie die Hochschulpolitiker waren. Gewiß gab es Rahmenbedingungen und Vorgaben;
es gab aber auch Ungereimtes und häufig genug Zurückweichen, opportunistisches Taktieren und damit ein Abweichen von einer konsequenten Linie.
Was heute als Zwischenbilanz vor uns liegt, ist nicht so schlecht, daß Konkurs angemeldet werden muß; die Hypotheken als Belastungen wiegen aber so schwer, daß sie abgearbeitet werden müssen. Dabei ist die Hauptlast, das richtige System der Ausbildung für die große Zahl der Studenten zu finden. Die Idee ist vorhanden, seit langem immer wieder propagiert, aber nicht umgesetzt worden. Die Bilanz kann nur bereinigt werden, wenn in diesem Punkt eine Korrektur erfolgt.
Dringlich ist nach wie vor eine umfassende Reform des Studiums. Aus der Erkenntnis, daß zu viele zu lange und zu teuer ausgebildet werden, ist in Anlehnung an das anglo-amerikanische Bildungssystem empfohlen worden, alle Schulabsolventen mit einer Studienberechtigung zunächst ohne Zulassungsbeschränkung zu einem dreijährigen Kurzstudium mit berufsqualifizierendem Abschluß zuzulassen. Nur eine kleinere Gruppe gelangt danach in die sogenannte Post-Graduiertenphase. Ein solches System verspricht, den qualifikationsspezifischen Anforderungen am ehesten gerecht zu werden.
Indem an einem überholten Studiensystem festgehalten wird, zeigt sich, daß die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit, die man doch gerade erhalten und ausbauen wollte, möglicherweise deshalb im Schwinden begriffen ist, weil wir unsere Studenten falsch ausbilden. Nämlich zu viele auf einem zu hohen Niveau, für das sie unter Umständen nicht die Voraussetzungen mitbringen, statt einen großen Teil auf einer mittleren Qualifikationsbasis und nur die besonders Befähigten auf einem post-graduierten Level. Gerade wenn uns Japan immer wieder als Beispiel vorgehalten wird, darf nicht übersehen werden, daß — neben anderen Gründen — auch in dem anderen Ausbildungssystem eine Erklärung liegen kann.
Die Aussichten, eine Korrektur zu erreichen, sind allerdings nach wie vor kaum gegeben. Das bestehende System bietet dadurch die Grundlage für ein Spannungspotential in der akademischen Jugend. Durch eine Anpassung an die gegebenen Voraussetzungen müßte das Ausbildungssystem zeitgerecht gestaltet werden. Da dies nicht geschieht, kann sich ein solches Spannungspotential leicht in eine po-B litisch kaum kalkulierbare und sicher nicht gewünschte Richtung bewegen.
Unverzichtbar ist deshalb vor allem, die Betroffenen — und hier vor allem die Schüler und Studenten — über die Gegebenheiten zu unterrichten. Die im Vergleich zu früheren Jahren schlechteren Berufsaussichten dürfen allerdings nicht abschreckend und demotivierend wirken. Es muß der jungen Generation auch klargemacht werden, daß sie bereits an einer für sie gestalteten Entwicklung teilgehabt hat. Es ist durchaus als Privileg dieser Generation zu begreifen, daß nicht mehr — wie vor 30 Jahren — lediglich 3% eines Altersjahrgangs die Hochschulreife erwerben, sondern 27%. Wenn man beklagt, daß in vielen Disziplinen die Absolventen wegen der großen Studentenzahlen schlechte Berufsaussichten haben, kann die Alternative aber nicht die Schaffung entsprechend besoldeter Positionen etwa im öffentlichen Dienst sein.
Nicht gewollt ist sicher auch die Alternative einer drastischen Reduzierung der Zahl derjenigen, welche die Berechtigung zum Besuch der Hochschulen erwirbt mit dem Argument:
Gäbe es weniger Studenten und damit weniger Hochschulabsolventen, wäre auch die Situation auf dem Arbeitsplatz entspannter.
Zu dem, was unmißverständlich deutlich zu machen ist, gehört aber auch, daß von der durch die Ausbildung privilegierten Jugend das Einhalten der Regeln des Zusammenlebens erwartet werden muß. Der Ausbau der Einrichtungen des Bildungssystems erfolgte unter anderem auch deshalb, weil man sich durch die Teilhabe all derjenigen, welche die Voraussetzungen mitbringen, eine „bessere Gesellschaft" versprochen hat.
Sollte die Reaktion der an mehr (Aus-) Bildung Beteiligten aber eine allein an den individuellen, gar egoistischen Interessen orientierte Forderung sein, so erhielten bedauerlicherweise jene eine Bestätigung, die den Ausbau des Bildungswesens in dem erfolgten Umfang für falsch halten. Nur wenn es gelingt, für diesen Gedanken Verständnis und Einsicht bei der Mehrzahl der Betroffenen zu wecken, sind die denkbaren negativen Folgen aufgrund des gegebenen politischen Spannungspotentials zu vermeiden oder in Grenzen zu halten.