I. Die Vorgeschichte
Im achtzehnten Jahrhundert war Deutschland in über 300 weltliche und kirchliche Gebiete aufgeteilt. Diese reichten von großen Mächten wie zum Beispiel Österreich und Preußen bis zu winzigen Fürstentümern und Freistädten. Franz II., der letzte Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, war nicht in der Lage, in den deutschen Gebieten, die außerhalb des Habsburger Machtbereichs lagen, eine wirksame Kontrolle auszuüben. Die deutschen Staaten waren in der Tat unabhängige Staaten, die ihre Innen-und Außenpolitik frei bestimmten.
In Deutschland wurden Zölle, Steuern und Transitgebühren normalerweise nicht an den Landes-, sondern an Provinzgrenzen, Stadttoren, auf Märkten und Messen eingezogen Privilegierte Personen, wie zum Beispiel Adlige und Diplomaten, wurden oft von der Zahlung solcher Abgaben befreit. Man schätzt, daß es in Deutschland im Jahre 1790 ungefähr 1 800 Zollgrenzen gab. Die von den Habsburgern beherrschten Gebiete waren in zehn Zollbereiche unterteilt Bayern hatte 1722 über 400 Zollhäuser. „Nicht weniger als einige sechzig verschiedene Zollsysteme, Tarife, und dergleichen mit eben so zahlreichen Zollschranken und Zollgrenzen bestanden innerhalb der preußischen Gebiete; fast jede Stadt war durch eine Accise wieder vom Lande getrennt, aller Verkehr zwischen einzelnen Teilen durch die lästigsten Plackereien und Controllen gehemmt." Kein Wunder, daß ein französischer Beobachter erklärte, die Deutschen handelten wie Gefangene hinter Gittern.
Kaufleute, die ihre Waren durch Deutschland transportierten, mußten nicht nur Einfuhrzölle und Steuern zahlen, wenn sie die Zollgrenze überschritten, sondern es wurde ihnen auch auferlegt, Abgaben an staatliche Behörden, Privatpersonen oder Innungen auf Straßen, Brücken oder Fähren und in Flußhäfen zu leisten. Einige Flußhäfen, wie z. B. Köln, genossen althergekommene Stapelrechte, aufgrund derer die Kaufleute gezwungen wurden, ihre Waren für den nächsten Abschnitt ihrer Reise auf einheimische Schiffe zu laden.
Sachsen hatte 36 Heerstraßen, auf denen Abgaben geleistet werden mußten. Am Rhein befanden sich 32 und an der Elbe 30 Zollstationen Auf der Donau wurde das Gepäck eines Reisenden im Jahre 1788 zwischen Pfalz-Neuburg und der österreichischen Grenze sechsmal durchsucht. „Zu Engelhartszell, beim Eintritt in Österreich, hätte ein unkundiger Reisender glauben können, das Schiff sei unter Korsoren gefallen. Handfeste Kerle sprangen mit langen Stangen aufs Verdeck, das Dach, alle Bretter wurden gelüftet ... bis sich endlich der so stürmisch angefangene Akt mit einer Schreiberei unzähliger Zettel und armseliger Pfennigberechnungen schloß."
Versuche im achtzehnten Jahrhundert, das System der indirekten Besteuerung umzugestalten, hatten nur mäßigen Erfolg. In Preußen führte Friedrich der Große 1766 neue Steuern ein, die zum ersten Mal für das gesamte Königreich galten. Die Einziehung der indirekten Steuern wurde vom Generaldirektorium auf eine neue Behörde, die Regie übertragen, die von einem fähigen französischen Beamten, de la Haye de Launay, geleitet wurde. In der preußischen Grafschaft Mark verlegte Freiherr vom Stein im Jahre 1796 die Einziehung der inländischen Abgaben auf die Grenzen. In Bayern wurde in den 1760er Jahren Die steuerlichen Veränderungen in Deutschland unter Napoleon hatten paradoxe Folgen. Einerseits war der Handel innerhalb eines Staates durch die Verlegung der Steuer-und Zolleinziehung auf die Grenze erleichtert worden, andererseits unterlag aber der Handel innerhalb Deutschlands nun durch die Errichtung starrer Zollschranken zwischen den Staaten größeren Einschränkungen als zuvor.
Die Mitglieder des Rheinbundes stellten bald fest, daß ihre neugewonnene Souveränität ihnen nicht das Recht gab, selbst Steuer-und Zolltarife festzulegen. Sie mußten ihre Tarif-politik den Wünschen ihres französischen Herrn anpassen. Einerseits war ihnen der Zugang zu dem französischen Markt praktisch verschlossen, andererseits waren sie gezwun-* die Zahl der Zollgebiete nach langen Streitigkeiten mit dem Kaiser auf zwei reduziert, auf Ober-und Niederbayern mit vier Rentenämtern und die Oberpfalz. In den Gebieten, die unter der Habsburger Oberherrschaft standen, führte in den 1780er Jahren Joseph II. zwei Reformen durch, die den Weg für die Aufhebung der Zollgrenze zwischen Österreich und Ungarn ebnen sollten. Die erste gestattete die Ausfuhr von Waren, die bei der Einfuhr nach Österreich zollpflichtig waren, nach Ungarn, ohne daß noch weitere Abgaben geleistet werden mußten. Die zweite Reform sah eine wesentliche Zollsenkung für ungefähr dreißig Artikel vor, die in Österreich hergestellt und nach Ungarn ausgeführt wurden.
Als Folge der Französischen Revolution und der Kriege von 1792 bis 1815 fanden in Deutschland wesentliche politische und wirtschaftliche Veränderungen statt. Dadurch, daß Napoleon Österreich und Preußen besiegte, machte er sich zum Herrscher Deutschlands. Eine der ersten Veränderungen, die die Franzosen nach Annektierung aller auf dem linken Rheinufer gelegenen Gebiete (1797) einführten, bestand in einer Verbesserung des Rheins als Transportweg. Durch den Rhein-Octroi-Vertrag von 1804 wurde zur Kontrolle der Rheinschiffahrt eine internationale Verwaltung gegründet und die Zahl der Zollstationen auf zwölf herabgesetzt.
Die politische Geographie Deutschlands östlich des Rheins wurde wesentlich vereinfacht. Unter Ausschluß von Österreich und Preußen bestand Deutschland nun aus von Frankreich beherrschten Satellitenstaaten. Da das Heilige Römische Reich nicht mehr bestand, bildeten diese Staaten den Rheinbund, ein Protektorat Napoleons. Dem neuen Bund gehörten Bayern, Württemberg und Baden, deren Gebiete wesentlich vergrößert worden waren, und außerdem Sachsen, Westfalen, Berg, Hessen und Frankfurt an. Die Unterwürfigkeit der Herrscher dieser Gebiete ihrem Protektor gegenüber wurde im Oktober 1808 offensichtlich, als sie sich in Erfurt anläßlich eines Treffens zwischen Kaiser Napoleon und dem Zar von Rußland versammelten. Die Gebietsveränderungen in Deutschland hatten die Säkularisation der kirchlichen Territorien, die Mediatisierung vieler Fürsten und die Abschaffung der Freistädte und Reichsritter zur Folge.
In den Rheinbundstaaten wurden entweder von französischen Beamten oder von durch französische Theorien und Verwaltungsmethoden beeinflußte deutschen Beamten wesentliche Steuerreformen durchgeführt. Was de Launay einst in Preußen gelungen war, erreichten seine Nachfolger in anderen deutschen Staaten. Die Reformen wurden von den Regierungen der einzelnen Staaten und nicht vom Rheinbund selbst eingeführt. Insbesondere die süddeutschen Staaten waren fest entschlossen, ihre neugewonnene Souveränität um jeden Preis zu erhalten; sie wiesen jeden Vorschlag mit Nachdruck zurück, der Rheinbund solle eine Zollunion werden. Zwischen 1806 und 1812 schafften viele Rheinbundmitglieder interne Zölle ab und verlegten die Einziehung der Zölle und steuerlichen Abgaben an ihre Grenzen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verloren diejenigen, die früher von indirekter Besteuerung befreit waren, dieses Privileg. Zur Einziehung der Zölle und Steuern wurden neue staatliche Gremien und Bürokratien, die oft unabhängig von den staatlichen Stellen waren, geschaffen. Deren Aufgabe bestand darin, direkte Steuern, wie z. B. die Landsteuer, einzuziehen. Gleichzeitig wurden einige auf Straßen und an Brücken zu leistende Abgaben abgeschafft. Die Zolleinziehung an den Grenzen hatte bestimmte Vorteile, doch war von Nachteil, daß der örtliche Handel an den Grenzen in einigen Gegenden, wie z. B. im Schwarzwald, ernsthaft gestört war. gen, die Einfuhr von britischen Kolonialwaren oder industriellen Erzeugnissen zu verbieten. Sie mußten Napoleons Kontinentalsystem einführen, was die meisten nicht getan hätten, wenn es wirklich unabhängige Staaten gewesen wären
Die Entstehung des Zollvereins
Als das Reich Napoleons 1815 zusammenbrach, wurde die Karte Europas neu gezeichnet. In Deutschland behielten die drei südlichen Staaten ihre vor kurzem gewonnenen Gebiete, aber nördlich des Mains erwarb Preußen Westfalen und das Rheinland. Hannover erhielt wieder seine Unabhängigkeit, während Sachsen die Hälfte seiner Gebiete an Preußen verlor. Es gab nun 39 deutsche Staaten, die im Deutschen Bund vereinigt waren. Die Macht des Bundes war stark eingeschränkt, und selbst der Herrscher des kleinsten deutschen Staates fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes frei von äußeren Kontrollen. Die deutschen Staaten waren vollkommen unabhängig bei der Bestimmung ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten, wie z. B. in bezug auf Festlegung von Steuern und sonstigen Abgaben, Bankwesen, Währung, Transport, Landwirtschaft, Industrie und Handel.
Was den innerstaatlichen Handel in Deutschland betraf, so hatte sich die Lage seit dem achtzehnten Jahrhundert gebessert. Es gab nun weniger Staaten als in den 1790er Jahren, und seit dem Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches standen ihre Herrscher nicht mehr unter französischer Gewalt. Aber im Gegensatz zu den Briten oder Franzosen hatten die Deutschen immer noch keine politische oder wirtschaftliche Einheit erzielt. Die deutschen Kaufleute, die einen legitimen Binnenhandel betrieben, waren in ihren Handlungen immer noch durch zahlreiche Zollschranken behindert. Eine von Friedrich List im Jahre 1819 verfaßte Bittschrift für den Deutschen Handels-und Gewerbsverein klagte:..... achtunddreißig Zoll-und Mautlinien in Deutschland lähmen den Verkehr im Innern und bringen ungefähr dieselbe Wirkung hervor, wie wenn jedes Glied des menschlichen Körpers unterbunden wird, damit das Blut ja nicht in ein anderes überfließe. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zoll-und Mautordnungen zu studieren, zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen. Wer aber das Unglück hat, auf einer Grenze zu wohnen, wo drei oder vier Staaten Zusammenstößen, der verlebt sein ganzes Leben mitten unter feindlich gesinnten Zöllnern und Mautnern; der hat kein Vaterland."
Die vielen Zölle ermutigten den Schleichhandel und hatten zur Folge, daß es im ganzen Land einen großen Schwarm kleiner Schmuggler gab. Die Herzogtümer von Sachsen-Anhalt und Frankfurt waren berüchtigte Zentren, von denen aus Waren in benachbarte Staaten geschmuggelt wurden. Außerdem war durch die Länge der von einigen Staaten zu bewachenden Grenze — wie z. B. im Falle von Baden — die Zolleinziehung oft teuer und unzulänglich. Und es wurden viele Klagen laut, die deutschen Märkte seien überflutet von billigen englischen Waren, da die Freistädte Hamburg, Bremen und Frankfurt nur ganz geringe Einfuhrzölle erhoben. Siebzig Fabrikanten aus dem Rheinland unterschrieben eine von Johann Friedrich Benzenberg verfaßte und dem König von Preußen vorgelegte Bittschrift, die klagte:..... von allen Märkten Europas sind unsere Gewerbe durch Zoilinien ausgeschlossen, indes alle Gewerbe von Europa in Deutschland einen offenen Markt haben" Ähnliche Gefühle kamen in einer bekannten Ballade zum Ausdruck.
Auf Fürsten, auf, macht uns durch Wort und Thaten Von diesem Joche frey Denn drückend ist für alle deutschen Staaten
Des Handels Tyranney O, wehrt der Noth, der Unthat jener Briten Mit ernst und Energie Vergesst es nicht, wir haben mitgestritten Für unsere Industrie
Viele Staatsmänner, Publizisten und Fabrikanten waren sich darüber im klaren, daß das Problem nur durch die Gründung einer Zollunion, die alle deutschen Staaten umfassen würde, gelöst werden konnte. Es bestanden verschiedene Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Die Initiative hätte einmal vom Deutschen Bund ergriffen werden können, denn Artikel 19 der Verfassung besagte: „Die Bundesglieder behalten sich vor, bei der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurt wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten sowie wegen Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Beratung zu treten.“ Sollten die in Artikel 19 vorgesehenen Verhandlungen erfolglos bleiben, dann hätte eine Alternativlösung darin bestanden, daß Staatsgruppen mit gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen regionale Zollvereine gründeten. Eine weitere Möglichkeit bestand schließlich darin, daß der Tarif von Preußen — dem größten Staat außerhalb Österreichs — nach und nach von anderen deutschen Staaten hätte übernommen werden können.
Schließlich wurde das letztere Verfahren angenommen. Die Möglichkeit der Gründung einer Zollunion wurde von deutschen Ministern bei Verhandlungen zwischen 1815 und 1820 diskutiert, allerdings ohne Erfolg. Daran sich anschließende langanhaltende Verhandlungen in Darmstadt und Stuttgart (1820 bis 1825) mit dem Ziel, eine regionale Zollunion zwischen den drei süddeutschen Staaten und einigen ihrer kleinen Nachbarstaaten zu gründen, blieben ebenfalls erfolglos
In der Zwischenzeit brachte Preußen seine wirtschaftlichen Angelegenheiten voran. Graf Bülow, der Finanzminister, — er hatte zuvor Steuerreformen im Königreich Westfalen eingeführt — war damit beschäftigt, Preußens Finanzen zu reformieren. Sein diesbezüglicher Plan wurde von einem Ausschuß geprüft, dem Karl Georg Maaßen, der Generaldirektor für Steuerangelegenheiten, angehörte. Ein Edikt von 1818 führte zwei Zolltarife ein (für die östlichen und westlichen Provinzen), die bald durch einen einzigen Tarif ersetzt wurden. Der Maaßen-Tarif war einer der liberalsten in Europa. Für Rohmaterialien mußten normalerweise keine Einfuhrzölle gezahlt werden, während auf Fertigerzeugnisse 10% ad valorein und auf Kolonialwaren 20 bis 30% zahlbar waren. Auf Waren, die Preußen durchquerten, wurden Durchgangszölle . erhoben. Die Zölle wurden an der Grenze eingezogen und aufgrund von Gewicht oder Volumen, und nicht auf Wertbasis, berechnet Maaßen, der später zum Finanzminister ernannt wurde, erlebte noch, wie sein Zolltarif vom Zollverein übernommen wurde. Dies hätte er aber 1818 nicht voraussehen können, als er nur daran interessiert war, die unmittelbareh wirtschaftlichen und steuerlichen Probleme zu lösen, denen sich Preußen damals gegen-übersah. Eine Schwierigkeit bei der Einführung des Zolltarifs stellten die neun Enklaven in den östlichen Provinzen Preußens dar. Es wurde beschlossen, an der preußischen Grenze auf Waren, die für diese Gebiete bestimmt waren, Einfuhrzölle zu erheben. Der erste, der sich dagegen wehrte, war der Herrscher des winzigen Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen, dessen Unterherrschaft vollkommen von preußischem Gebiet umgeben war. Durch einen im Jahre 1819 unterzeichneten Vertrag wurden diese Enklaven in das preußische Zollsystem miteinbezogen. Dieser Vertrag war das Modell für spätere Verträge, aufgrund derer alle Enklaven in Preußen sich dem preußischen Zollsystem anschlossen (1820— 1831) und einen Anteil an den gemeinsamen Steuereinnahmen erhielten; der Anteil wurde aufgrund der Bevölkerungszahl im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerungszahl der östlichen Provinzen Preußens berechnet. Bei diesen Verhandlungen wurden die Rechte der kleinen Fürstentümer als unabhängige, souveräne Staaten genauestens gewahrt. Die preußischen Beamten, die an diesen Besprechungen teilnahmen, machten wertvolle Erfahrungen, die ihnen bei späteren Verhandlungen mit größeren Staaten sehr von Nutzen waren.
Als Friedrich Motz im Jahre 1825 Finanzminister von Preußen wurde, erklärte er den deutschen Nachbarstaaten — und auch Holland — gegenüber, daß er bereit sei, die wirtschaftlichen Interessen Preußens mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu för-dem. Zusammen mit seinem Kollegen Eichhorn, dem Leiter der Handelsabteilung im Auswärtigen Amt, versuchte er, Hannover und Hessen-Kassel zu überreden, dem preußischen Zollsystem beizutreten, um die östlichen und westlichen Provinzen Preußens auf diese Weise zu verbinden. Dies gelang ihm zwar nicht, aber 1828 sicherte er den Beitritt von Hessen-Darmstadt, wodurch das Rheinland direkten Zutritt zu Bayern, Baden und der Bundesfestung Mainz erhielt. Die Vertragsbedingungen waren ähnlich denen der mit den Enklaven abgeschlossenen Verträge, nur mit der einen Ausnahme, daß die Zollverwaltung der Enklaven in den Händen preußischer Beamter lag, während die Zollangelegenheiten von Hessen-Darmstadt von örtlichen Beamten geregelt wurden
Zwei weitere regionale Vereine wurden 1828 gegründet, einer zwischen Bayern und Württemberg und der andere — der Mitteldeutsche Handelsverein — zwischen Hannover, Hessen-Kassel, Sachsen und verschiedenen Kleinstaaten in Mitteldeutschland Der Mitteldeutsche Handelsverein hatte keinen gemeinsamen Zolltarif; seine Mitglieder verpflichteten sich lediglich, keinem anderen Zollverein beizutreten und zur Verbindung der Hafenstädte Hamburg und Bremen mit den Handelszentren Frankfurt und Leipzig Straßen zu bauen. Die Kaufleute, die auf diesen Straßen ihre Waren transportierten, überquerten kein preußisches Gebiet und zahlten keine preußischen Durchgangszölle.
Die Mitglieder des Mitteldeutschen Handels-vereins waren sich nur in ihrer gemeinsamen Feindschaft Preußen gegenüber einig. Sie stritten untereinander und konnten keine Einigung darüber erzielen, wohin die von ihnen geplanten Straßen führen sollten. Der unerbittlichen Opposition Preußens konnten sie nicht lange standhalten. Die zwanglosen Gespräche, die Motz mit dem Herausgeber Johann Friedrich Cotta führte, ebneten den Weg für die Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem Zollverein von Preußen/Hessen-Darmstadt einerseits und dem Zollverein Bayern/Württemberg andererseits im Mai 1829. Hierdurch wurde der Handel zwischen den beiden Gebieten durch die Abschaffung einiger Einfuhrzölle und die Senkung anderer erleichtert. Bald danach schloß Motz Verträge mit den thüringischen Kleinstaaten Gotha und Meinigen ab mit dem Ziel, Straßen durch ihre Gebiete zu bauen, auf denen der Waren-transport zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten möglich war, ohne daß Durchgangszölle gezahlt werden mußten. Zwar starb 'Motz im Juni 1830, doch starb sein Werk nicht mit ihm. Vielmehr hatte der bayerische Gesandte in Berlin recht, als er schrieb: „Les ides de M.de Motz ne sont point enterres avec lui, elles vivent — elles se dvelopperont toujours davantage et porteront d'heureux fruits"
Der Nachfolger von Motz als Preußischer Finanzminister war Maaßen, der bald die Früchte der Motzschen Bemühungen erntete. Als Hessen-Kassel aus dem Mitteldeutschen Handelsverein austrat und 1831 dem Zollverein von Preußen und Hessen-Darmstadt beitrat, hatte Maaßen endlich für Preußen eine Verbindung zwischen seinen östlichen und westlichen Provinzen hergestellt. Der Mitteldeutsche Handelsverein löste sich auf, und etliche seiner Mitglieder — darunter Sachsen und die thüringischen Staaten — erklärten sich bereit, den Maaßen-Tarif anzunehmen. Bayern und Württemberg, die bereits durch den Vertrag von 1829 mit Preußen verbunden waren, traten ebenso dem preußischen Zollsystem bei. Als die Zollverein-Verträge am 1. Januar 1834 in Kraft traten, hatte die Union 18 Mitgliedsstaaten, die sich über ein Gebiet von 423 000 km 2 erstreckten mit einer Gesamtbevölkerung von 23,5 Millionen. Bis 1836 waren Baden Nassau und Frankfurt (mit einer Bevölkerungszahl von 1, 7 Millionen) auch beigetreten. Hamburg und Bremen blieben in steuerlicher Hinsicht unabhängig, während Hannover, Oldenburg und Braunschweig ihre eigene Zollunion (den Steuerverein) gründeten, der 20 Jahre lang existierte.
Die Verträge, auf die der Zollverein sich gründete, sahen eine Vertragsfrist von acht Jahren vor; danach bestand die Möglichkeit/der Vertragsverlängerung. Man war sich darüber einig, daß der Maaßen-Tarif übernommen werden und daß Preußen im Namen des Zollvereins Handelsverträge mit ausländischen Staaten abschließen sollte. Die leitende Funktion beim Zollverein hatte die General-zollkonferenz, deren Abgeordnete von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ernannt wurden. Die Entschlüsse mußten alle einstimmig gefaßt werden, so daß selbst der kleinste Staat ein Veto gegen einen Antrag einlegen konnte. Drohungen, daß von dem Recht der Vetoeinlegung Gebrauch gemacht werden könnte, waren oft der Grund dafür, daß ein Vorschlag nicht auf der Tagesordnung erschien. Als aber der Zeitpunkt für die Verlängerung der Zollverein-Verträge gekommen war, konnte Preußen in die neuen Verträge Vorschläge einbauen, die zuvor abgelehnt worden waren. Die Einfuhrzölle wurden an den Grenzen durch die Beamten eines jeden Staates eingezogen und an eine kleine Zentralstelle in Berlin weitergegeben, die von zwei leitenden Beamten, einer aus Preußen und einer aus Bayern, geführt wurde. Die Einnahmen wurden aufgrund der Bevölkerungszahl geteilt. Alle Mitgliedsstaaten des Zoll-vereins, mit Ausnahme von Preußen und Sachsen, bezogen mehr Gelder aus dem Zollverein, als sie angenommen hatten. Im Jahre 1845 erklärte Ludwig Kühne, der preußische Generaldirektor für Steuersachen, daß die Nettoeinnahmen Bayerns aus dem Zollverein im Zeitraum zwischen 1834 und 1845 22 Millionen Taler betragen hätten; Württemberg hatte 10 Millionen, die thüringischen Staaten fast 4 Millionen und Baden über 3 Millionen Taler bezogen. Gleichzeitig wurden durch strengere Verwaltungsmaßnahmen die Zolleinziehungskosten von einem Sechstel auf ein Zwölftel der Bruttoeinnahmen gesenkt
III. Die erste Etappe in der Geschichte des Zollvereins
Die ersten acht Jahre in der Geschichte des Zollvereines waren für Preußen sozusagen eine Bewährungsfrist. Wenn die Zollverein-Verträge 1842 verlängert werden sollten, mußte Preußen seine Partner davon überzeugen, daß die Mitgliedschaft im Zollverein finanzielle Vorteile und wirtschaftliches Wachstum zur Folge haben würde Bis 1842 war es offensichtlich, daß sich viele, die der Mitgliedschaft im Zollverein verheerende wirtschaftliche Folgen nachgesagt hatten, geirrt hatten. Die finanziellen Ergebnisse des Zollvereins waren zufriedenstellend und die Wirtschaft wuchs. Mit England und Holland waren Handelsverträge abgeschlossen worden. Luxemburg und Braunschweig waren vor kurzem dem Zollverein beigetreten.
Metternich war durch die Gründung des Zoll-vereins stark beunruhigt, da er sich darüber im klaren war, daß dieser den Einfluß Preußens in Deutschland verstärken würde. 1841 schließlich hatten sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Er sagte: „Lunion est reconnue par dautres puissances comme puissance commerciale allemande; un commerce allemand et une politique commerciale allemande s'affirment davantage de jour en jour; bientöt l'absorbtion de tous les territoires allemands, sauf les pays allemands de lAutrice, sera un fait accompli, et alors la puissance commerciale de l’Allemagne runie cherchera ä imposer aux Etats limitrophes des relations utiles ä ses intrts."
Nachdem sechs Monate lang verhandelt worden war, wurden die Zollverein-Verträge 1842 um zwölf Jahre verlängert. Während dieses Zeitraums überlebte der Zollverein zwei ernsthafte Krisen. Bei der ersten handelte es sich um die Kontroverse zwischen den Anhängern des Freihandels und den Protektionisten, die zweite stand im Zusammenhang mit Österreichs Versuch, den Zollverein in eine mitteleuropäische Zollunion einzubeziehen, die die Habsburger zu beherrschen gehofft hatten. Die Veröffentlichung von Friedrich Lists Das Nationale System der Politischen Ökonomie im Jahre 1841 und die Gründung der Zeitschrift Das Zollvereinsblatt im Jahre 1843 wiesen auf die verstärkten Aktivitäten der Protektionisten in Deutschland hin. Seit der Einführung des Maaßen-Tarifs im Jahre 1818 beschwerten sich Süddeutschland und das Rheinland — insbesondere die Eisenindustrie und die Textilhersteller —, daß ihre Einfuhrzölle zu niedrig seien, um die deutsche Industrie vor dem Wettbewerb seitens fortgeschrittener Industriestaaten, wie z. B. England, zu schützen. Unter der Führung von List verstärkten die Protektionisten nun ihren Feldzug und wurden vor jeder Sitzung der Generalzollkonferenz bei Staatsministern und Beamten vorstellig. Die Anhänger des Frei-handels unter der Führung von John Prince Smith setzten sich für die Abschaffung oder Senkung bestehender Zölle ein. Sie fanden dabei die Unterstützung von führenden preußischen Beamten wie Delbrück Pommer-Esche und Philipsborn, die für die Zollvereinangelegenheiten verantwortlich waren.
Die Protektionisten fanden einen gewissen Trost in der Tatsache, daß, da die Zölle spezifischer Natur waren, ein Sinken der Preise seit 1818 einen automatischen Anstieg der Zölle zur Folge gehabt hatte, wenn sie auf Wertbasis berechnet wurden. Bowring hatte sich in seinem Bericht von 1840 beschwert, daß die von dem Zollverein vorgeschriebenen Zölle auf Baumwolltuch von 30% auf 120% und auf Wollartikel von 20% auf 50% steigen würden, wenn sie auf Wertbasis berechnet würden. Einige Zugeständnisse wurden den Protektionisten in den 1840er Jahren gemacht, als Roheisen zollpflichtig wurde und die Zölle auf Schmiedeeisen und Eisenschienen erhöht wurden. Im großen und ganzen änderten sich die Zollverein-Tarife jedoch zu dieser Zeit wenig. List und seine Anhänger waren außerdem der Meinung, daß Preußen versuchen solle, den Beitritt Hollands und Belgiens zum Zollverein zu veranlassen, um die Häfen von Amsterdam und Antwerpen in den Einflußbereich des Zollvereins einzubeziehen, aber Preußen bestand darauf, daß der Zollverein eine deutsche Einrichtung sei, der kein fremdes Land beitreten dürfe.
IV. Die Zollvereinskrise 1848— 1853
Die Revolution von 1848 beschleunigte eine weitere Krise in den Angelegenheiten des Zollvereins. Die Frankfurter Nationalversammlung, das erste gewählte Parlament Deutschlands, ernannte einen Wirtschafts-ausschuß, der vorschlug, daß alle deutschen Staaten einer einzigen Zollunion angehören sollten. Der Verfassungsentwurf von 1849 sah vor, „das deutsche Reich solle ein Zoll-und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzölle“. Preußens Befürchtungen, daß bei Durchführung dieses Plans seine eigene Stellung als führender Staat im Zollverein un-tergraben werden könnte, wurden beschwichtigt, als feststand, daß der Verfassungsentwurf nicht angenommen würde.
Aber kaum war die eine Gefahr abgewendet, als die nächste am Horizont auftauchte. Im Oktober 1849 schlug Karl Ludwig Bruck der österreichische Handelsminister, in der __________ offiziellen Wiener Zeitung vor, daß eine Zollunion mit einer Bevölkerung von 70 Millionen unter Einbeziehung des Zollvereins, •des Steuervereins, Hamburgs, Bremens und a. ller Habsburger Gebiete gegründet werden solle. Delbrück wies diesen Vorschlag unverzüglich im Namen der preußischen Regierung in einem Artikel im Preußischen Staatsanzeiger zurück, mit dem Argument, daß die einzelnen Zollgebiete ganz unterschiedliche Zolltarife erhöben und daß es daher unpraktisch sei, sie zu einer einzigen Zollunion zu vereinigen. Im November 1850 wurde Preuß 1 en von Prinz Felix Schwarzenberg, dem österreichischen Ministerpräsidenten, durch die Konvention von Olmütz gezwungen, die Wiederherstellung des deutschen Bundes anzunehmen. Österreich war erneut als führender Staat Deutschlands anerkannt. Schwarzenberg nutzte diesen Erfolg aus, indem er Brucks Plan, den Zollverein in eine grö1ß'ere, von Österreich beherrschte Zollunion e'inzugliedern, unterstützte. Der Vorschlag 1Schwarzenbergs und Brucks fand eine gewisse Unterstützung in Deutschland, z. B. von Ludwig von der Pfordten und Dalwick, den Ministerpräsidenten von Bayern und Hessen-Darmstadt
Bei ihren Versuchen, diese Gefahr abzuwenden, strebte die preußische Regierung den Anschluß des Steuervereins an den Zollverein an. Frühere Verhandlungen waren immer gescheitert, weil Hannover darauf bestand, daß sein Anteil an Zollverein-Einnahmen größer sein müsse als der auf der Bevölkerungszahl basierende Prozentsatz Delbrück gab nun in diesem Punkt nach, und im September 1851 wurde ein Vertrag unterzeichet, aufgrund dessen Hannover und Oldenburg sich bereit erklärten, dem Zollverein im Jahre 1854 beizutreten Der Zollverein würde sich dann praktisch über den gesamten deutschen Raum nördlich des Mains erstrecken und eine lebensfähige wirtschaftliche Einheit bilden, selbst wenn die süddeutschen Staaten und Sachsen Preußen im Stich lassen und gemeinsam mit Österreich eine regionale Zollunion gründen würden. Diese Möglichkeit schien 1852 nahe, als bei einer in Wien stattfindenden Versammlung Einigkeit über die Gründung einer solchen Union erzielt wurde, falls Preußen die Annahme von Brucks Plan oder auch nur Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit Österreich weiterhin verweigern sollte.
Schließlich wurde ein Kompromiß erzielt. Manteuffel, der preußische Ministerpräsident, erklärte sich bereit, daß Verhandlungen über einen österreichisch-preußischen Handelsvertrag der Erneuerung des Zollvereinsvertrages vorangehen sollten. Im Februar 1853 einigte man sich auf einen österreichisch-preußischen Handelsvertrag mit einer Laufzeit von zwölf Jahren, und bald danach wurde der Zollverein um zwölf Jahre verlängert.
Der österreichisch-preußische Vertrag sah besondere Handelsbeziehungen zwischen dem Zollverein und den von den Habsburgern beherrschten Gebieten vor. Für eine breite Palette von Industriewaren wurden die Zölle auf beiden Seiten reduziert, während bestimmte Rohmaterialien als zollfrei deklariert wurden. Der Sinn der Vorzugszölle war es, den Handel zwischen den beiden Zollgebieten auf Kosten des Handels mit anderen Ländern zu fördern. Delbrück und seine Kollegen hatten den Ver-such Brucks, den Zollverein in eine größere zentraleuropäische Zollunion einzubeziehen, abgewehrt, aber sie waren sich darüber im klaren, daß die Habsburger die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, eines Tages ganz Deutschland wirtschaftlich zu beherrschen. Die Krise von 1848 bis 1853 zeigte, daß die mitteldeutschen Staaten nicht in der Lage waren, eine unabhängige Wirtschaftspolitik zu betreiben. Ungefähr vier Fünftel ihrer Staats-einnahmen bezogen sie aus dem Zollverein, und als es offensichtlich war, daß Österreich nicht garantieren konnte, daß die Einnahmen aus Zöllen nicht mindestens so hoch sein würden, wie die, die sie von Preußen bezogen hatten, ließen sie Wien im Stich
In den 1850er Jahren dehnte sich die deutsche Wirtschaft aus Das Land wurde industrialisiert. „Eisenbahn und Maschinenwerkstätten, Kohlengruben und Eisenhütten, Spinnereien und Walzwerke wurden aus dem Boden gestampft. In den Industriebezirken Sachsens, des Rheinlands und Westfalens namentlich schossen die Schornsteine wie Pilze aus der Erde hervor“ Die Verkehrsverbindungen wurden durch den Bau eines Eisenbahnnetzes verbessert, und neue Kreditbanken wurden gegründet. Die Einnahmen des Zoll-vereins wuchsen. Der wirtschaftliche Wohlstand begünstigte die Freihändler, die über den neu gegründeten Verein deutscher Volkswirte die Abschaffung der Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Produkte und Rohmaterialien und die Aufhebung der Vorzugs-und Transitzölle und der Steuerabgaben auf Straßen und Flüssen verlangten. Die Vorschläge, den Zollverein aufgrund dieser Argumente zu reformieren, wurden von den süddeutschen Staaten abgelehnt, die auf der Generalzollkonferenz von ihrem Veto-Recht Gebrauch machten. Preußische Minister und Beamte begannen, sich die Frage zu stellen, ob der Zollverein überhaupt überleben könne. Im Jahre 1858 schrieb Bismarck an einen Brieffreund: „Ich bin mit Ihnen darüber einverstanden, daß unsere Stellung im Zollverein verpfuscht ist; ich gehe noch weiter, indem ich fest überzeugt bin, daß wir den ganzen Zollverein kündigen müssen, sobald der Termin dazu gekommen ist“
V. Der Entscheidungskampf um die wirtschaftliche Führung Deutschlands
In den frühen 1860er Jahren ergab sich eine Gelegenheit, den toten Punkt zu überwinden. 1860 hatten England und Frankreich einen Handelsvertrag unterzeichnet, aufgrund dessen die Zolltarife beider Länder gesenkt wurden. Während nun aber England dafür sorgte, daß alle Länder von den niedrigeren Einfuhrzöllen profitierten, bestand Frankreich auf zwei Zolltarifen — niedrige Einfuhrzölle für englische Waren und höhere Zölle für die aus allen anderen Ländern eingeführten Waren. Die deutschen Industriellen wollten natürlich auch in den Genuß der Vorteile kommen, durch die England aufgrund des Anglo-Französischen Vertrages begünstigt war, und die preußischen Behörden erkannten, daß, wenn die Zollverein-Abgaben im Einverständnis mit Frankreich gesenkt würden, die Möglichkeit bestünde, die Annahme eines solchen Abkommens von der Verlängerung der Zollverein-Verträge im Jahre 1865 abhängig zu machen.
Für Napoleon III war es genauso wichtig wie für die preußische Regierung, eine zufriedenstellendere Grundlage für die franko-preußischen Handelsbeziehungen zu schaffen. Er betrachtete den Anglo-Französischen Vertrag als den ersten Schritt in Richtung einer allgemeinen Senkung der Zolltarife in ganz Europa. In dem darauffolgenden Juli lud die französische Regierung Preußen zu Verhandlungen über einen Handelsvertrag ein. Die Verhandlungen begannen im Januar 1861, wurden aber erst im März 1862 abgeschlossen. Der Vertrag sah eine Refom der Zollverein-Tarife auf der Grundlage der Freihandelsprinzipien vor. Das Hauptzugeständnis an Frankreich bestand in einer Senkung der Einfuhrzölle auf Wein und Seidenwaren, während Frankreich seinerseits die Zölle auf Eisen-und Textilwaren reduzierte. Der Vertrag enthielt eine Meistbegünstigungsklausel, so daß eventuelle zukünftige Zollzugeständnisse seitens Frankreichs oder des Zollvereins an Dritte auch an den anderen Partner weitergegeben würden.
Die Unterzeichnung dieses Vertrages rief eine weitere Krise innerhalb des Zollvereins hervor -Der Vertrag traf auf starken Widerstand nicht nur bei den protektionistischen Staaten wie Bayern und Württemberg, sondern auch bei Österreich, das seine in der Handelsvereinbarung vom Februar 1853 gesicherte Vorrechtsstellung verlor, sobald der neue Vertrag in Kraft trat. Delbrücks erste Aufgabe war es also, alle Mitglieder des Zoll-vereins zur Annahme des in dem Handelsvertrag mit Frankreich niedergelegten Zolltarifs zu überreden, und seine zweite Pflicht bestand darin, sich allen Versuchen seitens Österreichs, bestimmte deutsche Staaten von der Unterzeichnung des preußisch-französischen Abkommens abzuhalten, zu widersetzen. Im Juli 1860 ließ Rechberg, der österreichische Außenminister, den Plan zur Gründung seiner mitteleuropäischen Zollunion mit dem Ziel, den Zollverein und die Habsburger Gebiete zu vereinigen, Wiederaufleben. In seinen Memoiren erklärte Bismarck, solch eine Union sei „eine unausführbare Utopie wegen der Verschiedenheit der wirtschaftlichen und administrativen Zustände beider Teile. Die Gegenstände, welche im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größeren Teil des österreichisch-ungarischen Gebietes gar nicht zum Verbrauch" Delbrück hatte keinerlei Bedenken, den Rechbergschen Vorschlag ebenso entschieden zurückzuweisen, wie er dies getan hatte, als er zum ersten Mal 1849 von Bruck eingebracht wurde. Rechberg versuchte, Bayern, Württemberg und einige kleinere Staaten zu überreden, seinen Plan zu unterstützen; letzten Endes waren diese aber nicht bereit, durch ein Ausscheiden aus dem Zollverein das Risiko einzugehen, Verluste an Einnahmen zu erleiden.
Im Jahre 1865 einigten sich die Zollverein-staaten auf eine zwölfjährige Verlängerung ihrer Verträge. Sie nahmen die neuen im preußisch-französischen Vertrag von 1862 festgelegten Tarife an. Hannover und Oldenburg mußten ein neues, weniger vorteilhaftes Berechnungsverfahren für ihren Anteil der Zollvereineinnahmen akzeptieren. Das einzige von Preußen gewährte Zugeständnis bestand darin, daß es den Mitgliedsstaaten des Zollvereins erlaubte, das Veto-Recht bei der Generalzollkonferenz beizubehalten. Österreich mußte die Situation, so wie sie war, akzeptieren, und unterzeichnete einen neuen Vertrag mit dem Zollverein, in dem eine Meistbegünstigungsklausel die von Österreich zuvor genossenen Vorrechte ersetzte.
Sechs Monate nach Inkrafttreten der Zollvereinsverträge brach ein Krieg in Deutschland aus, und Preußen kämpfte nicht nur gegen Österreich, sondern auch gegen die meisten anderen deutschen Staaten. Der Ausbruch des Krieges bedeutete automatisch das Ende der Zollvereinsverträge, aber die Mitglieds-staaten des Zollvereins zogen weiterhin, wie üblich, Zölle ein und schickten die Einnahmen nach Berlin, wo sie dann unter den Mitgliedsstaaten aufgeteilt wurden.
Der neue Zollverein 1867— 1871
Durch den Sieg von Preußen bei Königgrätz war es Bismarck möglich, sowohl die politische wie wirtschaftliche Struktur Deutschlands umzuorganisieren. Der Deutsche Bund von 1815 wurde aufgelöst, und Österreich schied aus Deutschland aus. Es wurde ein neuer Norddeutscher Bund gegründet, dem , alle Gebiete nördlich des Mains angehörten.
Dieser Bund wurde von Preußen beherrscht, das Hannover, Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt annektiert hatte. 1867 wurde ein neuer Zollverein gegründet, dessen Mitglieder der Norddeutsche Bund, Bayern, Württemberg und Baden waren Die General-zollkonferenz wurde durch einen Zollrat ersetzt, der sich aus Mitgliedern des Norddeutschen Bundesrates und Bevollmächtigten der süddeutschen Staaten zusammensetzte. Entscheidungen wurden durch Mehrheitsbeschluß gefaßt; nur Preußen hatte das Recht, Vorschläge, die eine Änderung der bestehenden Zollbestimmungen zum Ziel hatten, mit einem Veto zu belegen. Außerdem wurde ein öffentlich gewähltes Zollparlament errichtet, das aus dem Norddeutschen Reichstag und gewählten Vertretern aus Süddeutschland bestand. Zum ersten Mal also hatte die Verfassung des Zollvereins ein demokratisches Element.
Im Jahre 1867 fanden die Wahlen statt, um die Abgeodneten für die 85 Sitze im Zollparlament, auf die die süddeutschen Staaten ein Anrecht hatten, zu wählen. Die bei diesen Wahlen zur Debatte stehende Streitfrage war, ob — so wie Bismarck es wünschte — die Vollmachten des Parlaments auf Angelegenheiten jenseits der Festlegung von Zöllen und der Genehmigung von Handelsverträgen mit fremden Ländern ausgedehnt werden sollten. Eine wesentliche Mehrheit der Wähler entschied sich zugunsten einer Beschränkung der Funktionen des Zollparlaments auf die im Zollvereinsvertrag festgelegten Punkte
Bismarck akzeptierte seine Niederlage in dieser Angelegenheit, und als das Zollparlament in Berlin tagte, versicherte er den süddeutschen Vertretern, daß keinerlei Absicht be* stehe, das Zollparlament in einen allgemeinen deutschen Reichstag umzuwandeln. Während seiner zwei Sitzungen — 1867 und 1869 — brachte das Zollparlament die in dem preußisch-französischen Handelsvertrag aufgegriffenen Themen zum Abschluß und reformierte die deutschen Zolltarife in Übereinstimmung mit aktuellen Freihandelsdoktrinen Bei der Einigung Deutschlands im Jahre 1871 wurde der Zollverein von dem neuen Deutschen Reich übernommen. Luxemburg gehörte weiterhin dem Zollverein an, obwohl es nicht Teil des Reichs war, während Hamburg und Bremen bis in die 1880er Jahre außerhalb des Zollvereins blieben.
Wenn sich unabhängige Staaten zusammentun, um eine Zollunion zu gründen, stellen sie bald fest, daß eine Zusammenarbeit auch auf anderen wirtschaftlichen Gebieten wünschenswert ist.
So ergaben sich bald nach der Gründung des Zollvereins zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Zolleinziehung, weil so viele verschiedene Münzen und Geldscheine im Umlauf waren. Es wurde beschlossen, daß die Zölle entweder in preußischen Talern oder in süddeutschen Gulden bei einem Wechselsatz von 4 Talern zu 7 Gulden gezahlt werden sollten. Da es aber keinen Gulden mit genau dem gewünschten Wert gab, wurde 1837 eine neue Süddeutsche Währung geschaffen. Ein bestimmtes Wertverhältnis, das zur Vereinfachung der Berechnung der Zollabgaben eingeführt worden war, fand nun Anwendung, um eine feste Beziehung zwischen den beiden verbreitetsten deutschen Währungen aufzustellen. Ein Versuch im Jahre 1857, eine feste Verbindung zwischen den beiden hauptsächlichen deutschen Währungen und dem österreichischen Gulden herzustellen, schlug fehl, weil Österreich es unterließ, sein schwankendes Papiergeld zurückzuziehen.>>VII. Preußen und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands
Preußens Anstrengungen, die deutsche Wirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts zu einigen und zu dominieren, waren keineswegs auf seine führende Position im Zollverein beschränkt. In den Jahren nach der Gründung des Zollvereins 1834 und der Eröffnung der Eisenbahnlinie Dresden-Leipzig 1835 begann die industrielle Expansion Deutschlands. Zeitgenössische Geschäftsleute beklagten den Mangel an Münzen und Banknoten zur Durchführung kommerzieller Transaktionen. 1846 wurde die erst kurz zuvor von Christian von Rother reorganisierte „Bank von Preußen" zur Ausgabe von Banknoten im Wert von 21 Mio. Talern autorisiert. Diese Noten wurden in ganz Deutschland und teilweise auch im Ausland akzeptiert. 1848 wurde gewissen privaten Aktienbanken die Ausgabe von Noten im Gesamtwert von 7 Mio. Talern erlaubt. Der Reorganisation der Kölner „Schaafhausen Bank" folgte die Gründung anderer Aktien-kreditbanken, wie z. B.der „Disconto Gesellschaft" (Berlin) und der „Berliner Handelsgesellschaft". Die erste Schulze-Delitzsch-Genossenschaftsbank wurde 1850 in der preußischen Provinz Sachsen eröffnet. Dieser neue Banktyp eröffnete Handwerkern und kleinen Ladenbesitzern dringend benötigte Kreditmöglichkeiten und breitete sich bald auch in anderen Teilen Deutschlands aus. Rechnungen konnten nicht mehr nur durch Barzahlung oder in Banknoten bezahlt werden sondern auch durch Wechsel. 1847 ergriff die preußische Regierung die Initiative zur Einberufung einer Konferenz von Repräsentanten der deutschen Staaten, um über die Verabschiedung eines einheitlichen und in ganz Deutschland gültigen Wechselgesetzes zu beraten. Nach erfolgreichen Verhandlungen verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung 1849 die Reichswechselordnung Preußen spielte auch eine führende Rolle bei der Verbesserung der Posteinrichtungen in Deutschland. 1815 gab es im Bund 15 Postverwaltungen, einschließlich der alteingesessenen Thurn-und-Taxis'schen Post. Ferdinand Friedrich Nagler, 1823 zum preußischen Generalpostmeister ernannt, war ein außergewöhnlich fähiger Verwaltungsfachmann, der den Postdienst auf die neuerworbenen westlichen Provinzen Westfalen und Rheinland ausdehnte. Er sorgte für eine beschleunigte Postauslieferung und führte einen neuen Postkutschentyp ein, der den Passagieren größeren Reisekomfort bot. Vor allem die Bewohner der zwischen den östlichen und westlichen Teilen Preußens liegenden Gebiete profitierten von Naglers Reformen. 1848 ergriff Preußen die Initiative zu einer Verbesserung der Posteinrichtungen in ganz Deutschland. Das Ergebnis war die Unterzeichnung eines Abkommens, nach dem im voraus bezahlte Postsendungen auf dem kürzesten Weg in alle Teile Deutschlands und Österreichs geschickt werden konnten. 1850 wurde der Deutsch-Österreichische Telegraphen Verein von Preußen, Österreich, Bayern und Sachsen gegründet.
Heinrich Stephan, der es bis zur Stellung eines Geheimen Postrats im Preußischen Handelsministerium brachte, vollendete das von Nagler begonnene Werk. Er verfolgte die Ausweitung des preußischen Postdienstes auf ganz Deutschland. Als 1867 der Norddeutsche Bund gegründet wurde, konnte Stephan die Thurn-und Taxis'sche Post übernehmen und die Preußische Postverwaltung auf ganz Deutschland nördlich der Mainlinie ausdehnen. Nun konnte man im voraus bezahlte Briefe zum einheitlichen Tarif von einem Groschen/Lot verschicken. Nach der Reichs-gründung 1871 behielten nur Bayern und Württemberg ihre eigenen Postämter. Es sei hinzugefügt, daß Stephan bei der Gründung des Weltpostvereins 1874 eine führende Rolle spielte
Die Integration der deutschen Wirtschaft wurde auch durch den Bau eines Eisenbahnnetzes gefördert. Auch hier spielte Preußen eine führende Rolle. Es wäre in Übereinstimmung mit preußischen Traditionen gewesen, hätte der Staat dieses neue Transportsystem von Anbeginn an gebaut und betrieben. Dies war jedoch nicht möglich, da eine Verordnung von 1820 (Staatsschulden-Gesetz) jeder neuen Regierung die Aufnahme von Krediten ohne parlamentarische Genehmigung verbot und eine Nationalversammlung nicht vor 1847 einberufen wurde. Unter diesen Umständen wurden die ersten Strecken von privaten Gesellschaften gebaut, obwohl das Eisenbahn-Gesetz von 1838 vorsah, daß für jede Strecke eine Konzession durch die Regierung erteilt werden müsse. Diese Konzession sollte eine Klausel enthalten, die dem Staat das Recht gab, die Eisenbahn zu einem zukünftigen Zeitpunkt zu kaufen. 1842 hatte sich PreußensFinanzlage so verbessert, daß ein bescheidener Eisenbahn-Fonds (6 Mio. Taler) eingerichtet werden konnte, aus dem gewissen privaten Betreibern in begrenztem Umfang finanzielle Unterstützung gewährt wurde. Der Staat kaufte einige Eisenbahnaktien und für andere Aktien und Anleihen wurde eine staatliche Zinsgarantie übernommen. 1848 wurde eine bestehende Vereinigung preußischer Eisenbahngesellschaften zum Verein deutscher Eisenbahngesellschaften erweitert, was Preußen die Möglichkeit zu einer gewissen Einflußnahme auf die Eisenbahnen in anderen deutschen Staaten gab.
In den 1850er Jahren ergaben sich wichtige Veränderungen in der preußischen Eisenbahnpolitik. Preußen hatte jetzt eine Verfassung und einen Landtag, so daß Staatsanleihen zum Aufkauf bestehender und zum Bau neuer Strecken aufgenommen werden konnten. August von der Heydt der zwischen 1848 und 1862 das Handelsministerium leitete, unternahm alle Anstrengungen, die staatlichen Befugnisse über das Eisenbahnsystem auszuweiten. So weit wie möglich wurden neue Strecken, wie z. B. die Ostbahn (BerlinDanzig-Königsberg) und die Westfalen-Eisenbahn (Warburg-Hamm), vom Staat gebaut und betrieben. Wann immer sich eine passende Gelegenheit ergab, brachte von der Heydt private Strecken in Regierungsbesitz oder unter Regierungskontrolle. Als Ergebnis dieser Politik war 1860 mehr als die Hälfte der Eisenbahnen Preußens entweder in Staatsbesitz oder wurde vom Staat betrieben.
Aufgrund der geographischen Lage Preußens kreuzten mehrere seiner Eisenbahnlinien die Territorien anderer deutscher Staaten, wodurch es der preußischen Regierung ermöglicht war, ihren Einfluß auf die Eisenbahnpolitik anderer Staaten auszudehnen. So lief die Verbindung zwischen Berlin und Hamburg nicht nur durch preußisches, sondern auch durch die Gebiete von Mecklenburg-Schwerin, Lauenburg, Hamburg und Lübeck. Von der Heydt vertrat den Standpunkt, daß er berechtigt sei, das Unternehmen wie ein rein preußisches zu behandeln, da der Firmensitz Berlin sei und auch die Vorstandssitzungen in Berlin stattfänden. Er setzte sich rücksichtslos über die von Mecklenburg-Schwerin — aus Kostengründen — erhobenen Einwände hinweg, als er auf der Einrichtung einer Eisenbahn-Nachtverbindung bestand und überredete die Regierung von Hannover — wo die Eisenbahnen verstaatlicht waren —, der Einführung eines „Ein-Pfennig-Tarifs" für Kohletransporte von der Ruhr nach Magdeburg oder Berlin zuzustimmen.
1862 trat Graf Itzenplitz die Nachfolge von der Heydts als Handelsminister an und betrieb eine ganz andere Politik als sein Vorgänger. Er stoppte den Ankauf privater Eisenbahnen durch den Staat und erlaubte den Bau neuer Strecken durch private Gesellschaften. Als aber 1866 der Krieg zwischen Preußen und Österreich ausbrach, war von der Heydt wieder im Amt — diesmal als Finanzminister. Zur Finanzierung des Feldzugs verkaufte er staatseigene Eisenbahnaktien im Werte von 17, 3 Mio. Talern. Dieses Opfer war nicht umsonst, denn nach dem Krieg annektierte Preußen Gebiete mit 700 km verstaatlichten Eisen-bahnstrecken, die in den Besitz der preußischen Eisenbahnverwaltung übergingen und von ihr betrieben wurden. Darüber hinaus bewog von der Heydt den Landtag, zwei Anleihen über insgesamt 65 Mio. Taler für den Bau neuer Strecken zu genehmigen.
Bei der Erörterung der Fortschritte in der wirtschaftlichen Integration der deutschen Staaten vor der politischen Einigung des Landes 1871 wurde das Schwergewicht der Betrachtung auf das Werk der preußischen Minister und ihrer Spitzenbeamten gelegt, die den Zollverein gründeten und erweiterten und die Entwicklung der staatlichen Eisenbahnen und der staatlichen Post förderten. Doch spielte auch der Privatsektor der Wirtschaft eine Rolle bei der Förderung der wirtschaftlichen Integration. Die Zechen-, Hütten-und Spinnereibesitzer und viele andere, die große Unternehmen gründeten, beschränkten ihre Aktivitäten nicht auf einen deutschen Staat. Sie alle trugen zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums im ganzen Land bei.