Die „freie Wirtschaft" ist eine Erfindung des Staates. Wie sehr sie dies ist, zeigt uns der Übergang vom Merkantilismus zum Liberalismus, der sich in Deutschland etwa zwischen den Jahren 1800 und 1850 vollzieht In diesen Zeitabschnitt fällt die Schaffung des Deutschen Zollvereins, eine Maßnahme, die von den Regierungen der Einzelstaaten des Deutschen Bundes, parallel mit Aktionen zur Verbreitung technischer Qualifikation und zum Ausbau der Infrastruktur, vorgenommen wurde. Nur scheinbar sind die nach dem Dreißigjährigen Krieg weithin befolgte Lehre des Merkantilismus, der eine Wachstumssteigerung durch direkte Eingriffe anstrebte, und die mit dem Ende des 18. Jahrhunderts populär werdende Auffassung des Liberalismus, daß eine Steuerung der Wirtschaft schädlich sei, unvereinbare Gegensätze. Gemeinsam ist ihnen, daß sie beide Doktrinen sind, rationale Denksysteme, die durch hierfür berufene Intellektuelle, die schon dem Typ des modernen Wissenschaftlers angehören, ausgearbeitet wurden. Die Absicht war in beiden Fällen, Anleitung zum Regierungshandeln zu geben.
I. Der Beamte als Treuhänder der Wirtschaft
Der moderne Interventionsstaat, so stellte vor einigen Jahren der Historiker Lothar Gall bei seiner Beschäftigung mit Bismarck noch einmal fest, „hat gerade im Gewände des liberalisierenden und reformierenden Staates die größten Fortschritte gemacht". Gall hob hervor, daß dies nicht erst für Bismarcks Kanzlerschaft zutreffe, sondern „bereits für den soge-nannten aufgeklärten Absolutismus und für die Revolution von 1789, auch für die preußischen Reformen nach 1806" Nicht um „Staat“ oder „keinen Staat“ ging der Streit, sondern darum, ob mehr Wirkung zu erzielen wäre, wenn der Staat offen in Erscheinung trete, oder ob mehr von indirekten Beeinflussungsmethoden erwartet werden könnte. Gerade das beschleunigte Herbeiführen eines Zustands der freien Konkurrenz hat sich dabei als eine der schroffsten staatlichen Erziehungsmaßnahmen erwiesen. Die freie Konkurrenz mußte verteidigt werden gegen die Bequemlichkeit von Kaufleuten, die einmal errungene Märkte durch Monopole und Beihilfen für ewige Zeiten behalten wollten. Mit den Prämien und Rückvergütungen, die sie forderten, verfälschten sie dabei den Blick für die wirklichen Gewinnerwartungen. Aus dem 1776 veröffentlichten Hauptwerk von Adam Smith „Der Wohlstand der Nationen" kennen wir die Polemik gegen diese Mißbräuche.
Auch Adam Smith aber hat die Souveränität des Staates über die Wirtschaft prinzipiell nicht bestritten. Sein Werk hat freilich dazu beigetragen, über diese Souveränität einen Schleier zu decken.
Die Theorie von Adam Smith hat sich besonders auf zwei Wegen in Deutschland ausgebreitet. 1796 erschien von dem Göttinger Dozenten Georg Sartorius des „Handbuch der Staatswirtschaft zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen nach Adam Smiths Grundsätzen ausgearbeitet“. Die „mindestens für eine Reihe von Jahren in enger und engster Anlehnung an Smith lehrenden und schreibenden Göttinger Professoren haben zwiefach, durch Wort und Schrift, Einfluß auf ihre Studenten, künftige Beamte und Staatsmänner, ausgeübt und sind so ganz bewußt zu politisch wirksamen Hochschullehrern, zu . politischen Professoren'im eigentlichen Sinn geworden"
Noch bevor Adam Smith bekannt wurde, haben diese Professoren liberales Denken weitergegeben an Hörer wie Karl August von Hardenberg (1750— 1822), später Außenminister und Staatskanzler Preußens, und Reichs-freiherr Karl vom und zum Stein (1757-1831), der 1808 die preußische Verwaltung refor-mierte. Ihnen folgte der spätere preußische Finanzminister und Minister für Handel und Gewerbe Ludwig Friedrich von Bülow (17741825). In Königsberg hielt Christian Jakob Kraus (1753-1807) Vorlesungen im Sinne von Adam Smith, deren Besuch für den Nachwuchs des Verwaltungsdienstes in Ostpreußen obligatorisch war. Bald geriet eine ganze Beamtengeneration in Ostpreußen „unter den entscheidenden Einfluß" von Kraus und damit indirekt von Smith Demgegenüber zählten die Beamten und Minister Preußens, die zwischen 1775 und 1800 an der preußischen Universität Halle studiert hatten, nicht zu den Verfechtern liberaler und freihändlerischer Ideen
Die Provinz Ostpreußen gewann zentrale Bedeutung, als nach der militärischen Niederlage gegen Napoleon 1806 die preußische Regierung ihren Sitz dorthin verlegen mußte. An den Reformen von Staat und Gesellschaft in Preußen, gegen die der Widerstand jetzt geringer geworden war, waren neben Stein und Hardenberg zahlreiche der von Kraus beeinflußten Beamten beteiligt. Es war zunächst Hardenberg, der in seiner großen Rigaer Reformdenkschrift vom Sommer 1807 als Ziel der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik die „Herstellung des möglichst freien Gebrauchs der Kräfte aller Klassen“ benannte Speziell zum Außenhandel meinte er: „So manches Ausfuhr-und Einfuhrverbot, so manche Beschränkung durch Monopole oder andere Begünstigungen auf Orte oder Personen brachten Schaden statt Gewinn für das Ganze, und man kann wohl mit Gewißheit annehmen, daß dieser durch sorgfältige Aufmunterung und Unterstützung der Industrie bei Handels-und Gewerbefreiheit weit größer gewesen sein würde ... Eine Revision unserer Handels-, Zoll-und Akziseverordnungen gehört allerdings zu den dringendsten Bedürfnissen.“ Das Bündel der als „Stein-Hardenbergsche Reformen" bekanntgewordenen Maßnahmen hat seine unverkennbar liberalen Züge, wenn man unter „liberal" das versteht, was Hardenberg als „freien Gebrauch der Kräfte aller Klassen" bezeichnet hat. So wurde die Bauernbefreiung zum Ziel gesetzt und die Aufhebung der Standesschranken bei der Berufs-ausübung verkündet. Alle ständischen Hindernisse für den Grundbesitz wurden aufgehoben. Bei seinen Überlegungen zur Neugestaltung des Steuerwesens stellte Hardenberg die indirekten Steuern in den Mittelpunkt
Hardenbergs Proklamationen haben viele Historiker veranlaßt, ihn als entschiedenen Smithianer einzustufen. Doch das ist nur ein Teil seiner Person und seiner Ansichten. Eine Denkschrift Hardenbergs vom 5. März 1809 enthielt volkswirtschaftliche Standpunkte, unter anderem zur herausragenden Bedeutung einer positiven Handelsbilanz, die ihn dem Merkantilismus näherstehen lassen als Adam Smith
Genauso muß man die finanzpolitischen Zwänge beachten, unter denen solche epochemachenden Veränderungen wie die Verkündung der Gewerbefreiheit stattfanden. So sehr auch Hardenberg und sein Reformer-kreis von grundsätzlichen Überlegungen ausgegangen sein mögen das Tempo ihrer Maßnahmen wurde von dem ständig drängenden Geldbedarf des Staates bestimmt
Es ist also ungenügend, Hardenberg und seine Mitarbeiter, aber auch Stein, einfach als „Liberale" zu etikettieren und darunter womöglich ein „liberales" Vorgehen in Gesellschaft, Verfassung und Politik miteinzuschließen. Im Gegenteil: Die Verbindung liberaler Zielsetzungen mit dirigistisch-autoritärem Vorgehen ist der Periode der preußischen Geschichte zwischen napoleonischen Kriegen und Vormärz als wichtigster Wesenszug eigen. Bis 1848 blieb Preußen formal ein absolutistischer Staat, in dem der Wille des Monarchen oberstes Gesetz war. Dieser Absolutismus veränderte zwar gründlich sein Gesicht aber die absolute Macht des Fürsten war keineswegs durch die Mitregierung eines Parlamentes oder einer ständischen Versammlung abgelöst worden, sondern unter dem Schirm der Fürstenherrschaft wurde die reale Macht überwiegend von der Bürokratie ausgeübt. „Bürokratischer Absolutismus" ist eines der am häufigsten verwendeten Prädikate für den Regierungsstil vom Ende der Amtszeit Fried- richs des Großen bis zur Konstitutionalisierung Preußens Mitte des 19. Jahrhunderts
Die seit 1815 versprochene Verfassung mußte ausbleiben, weil sich herausstellte, daß die Bevölkerungsschichten, an die sich die Reformpolitik hauptsächlich wendete, ihr bewußtseinsmäßig noch gar nicht gerecht werden konnten. Weder Bauern, noch ostelbisches Stadtbürgertum, noch der politisch rege Landadel waren bereit oder in der Lage, die wirtschaftsliberalen Ziele der Administration parlamentarisch zu tragen oder abzusichern
Auch die Zeit der Regierung Hardenbergs als Staatskanzler (1810-1822) fügt sich so in den Bogen des bürokratischen Absolutismus ein. Zwar bedeuteten die jungen Aufsteiger, die er in sein Staatskanzleramt holte, einen Bruch mit der Tradition der Zeit vor 1806 und auch mit den Intentionen Steins Der Gegensatz zwischen der „Staatskanzlerdiktatur", über die die älteren Beamten schimpften, und dem überkommenen Apparat war aber nur die Fraktionsauseinandersetzung innerhalb einer Gruppe zwischen deren forscheren und deren gemäßigten Elementen. Mit dem Tod Hardenbergs und dem Schwinden des Einflusses seiner Vertrauten zeigte sich, daß der bürokratische Absolutismus als Dach weiter hielt.
Der Beamtenapparat verdankt seine Entstehung der Verschmelzung adliger und bürgerlicher Elemente. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts reichte die agrarökonomische Basis des preußischen Adels nicht mehr aus, um alle Angehörigen des Standes zu ernähren mehr und mehr Adlige mußten den Staatsdienst aufsuchen. Dort trafen sie auf Angehörige einer bewußter werdenden Bürger-schicht, für die es noch wenige Chancen gab, sich als Unternehmer oder Selbständige zu entfalten, und die deshalb ihren sozialen Aufstieg durch Bildung betrieben. Aus dem überlieferten Denken des Adels und den „bürgerlichen“ Tugenden der Rechtschaffenheit, Rationalität und Sachlichkeit hatte sich das Elitebewußtsein der preußischen Beamten ge-formt Auch die Männer für die Spitze, die Minister, wurden aus der Beamtenlaufbahn rekrutiert.
In jüngster Zeit hat es wieder Diskussionen gegeben, ob dieser Beamtenapparat nach 1822 für die Bedürfnisse der nach Entfaltung drängenden kapitalistischen Kräfte, besonders des Rheinlands, genügend Verständnis aufgebracht hat, denn insbesondere scheint er unter dem Einfluß einer noch an die Landwirtschaft gebundenen Mentalität seiner adligen Mitglieder die Entstehung moderner Kredit-systeme und, mindestens bis zum Ende der 1820er Jahre, den Eisenbahnbau eher behindert zu haben Unbestreitbar ist aber, daß er einen beachtlichen Teil von staatlichen Vor-leistungen für die Modernisierung der preußischen Wirtschaft zu verantworten hat. In dieser Regierungs-und Modernisierungstätigkeit sind Merkantilismus als Form der Wirtschaftspolitik, Absolutismus als Regierungsstil und Liberalismus sowohl als Stil des Regierens wie des Wirtschaftens weniger Gegensätze als Optionen, die der Beamtenapparat nebeneinander und nacheinander anwendet und probiert und als Instrumente seines im ganzen anleitenden und bevormundenden Handelns einsetzt Kennzeichnend dafür ist, daß man für Hardenbergs Amtszeit nicht nur den Begriff des „bürokratischen Absolutismus" verwenden konnte, sondern auch den Umkehrbegriff des „gouvernementalen Liberalismus" geprägt hat
In der Periode nach 1815, die vom Streit um das uneingelöste Verfassungsversprechen und von den Karlsbader Beschlüssen mit der scharfen Repression gegen Studenten, Intellektuelle und die Presse gekennzeichnet war, witterten die „Demagogenverfolger" ihre Gegner auch in den Reihen der höheren Beamtenschaft Den vom österreichischen Staats-kanzler Metternich inspirierten altfeudalen Elementen am Berliner Hof waren, wie schon der Adelsopposition vom Beginn der Hardenbergschen Amtszeit, die Bürokraten mit dem Radikalismus ihres Planungswillens sehr verdächtig. Diese Theoretiker, die nicht an landschaftliches Herkommen und Tradition gebunden waren, unterschieden sich in ihrem Doktrinarismus für jene nur graduell von den unruhigen Studenten.
Dennoch vermochte die Beamtenschaft im ganzen unbehindert zu administrieren. Ihre souveräne Handhabung der verschiedenen Optionen erwies sie an ihrer Wirtschafts-und Infrastrukturpolitik sowie an der Zollpolitik bis zum Entstehen des Zollvereins.
Wenn man nur das Verhältnis von Staat und Gesellschaft im Inland im Auge hat, könnte man behaupten, daß England das einzige Land gewesen ist, das sich „ganz aus eigener Kraft zum Industriestaat wandelte" Allerdings wird dann übersehen, welche Bedeutung die jahrhundertelang auch merkantilistisch ausgebeuteten Kolonien für den Reichtum Englands gehabt haben. Richtig ist, daß der europäische Kontinent, ganz abgesehen von Frankreich mit seiner Tradition des Colbertismus, durch den Obrigkeitsstaat und verschieden starke obrigkeitliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben gekennzeichnet war. In vier verschiedenen Grundfunktionen trat der Staat der „Wirtschaft" gegenüber: als Gesetzgeber, Administrator, Unternehmer sowie als Konsument und Investor
Als Gesetzgeber fungierte der Staat beispielsweise auf dem Gebiet des Patentwesens. Die preußische Patentverordnung vom 14. Oktober 1815, die maßgeblich durch den Staatsrat Gottlob Johann Christian Kunth, Direktor des Departements für Gewerbe im Ministerium der Finanzen, beeinflußt war, sah die Möglichkeit einer Beschränkung des Nutzungsrechts im Sinne des Erfinders vor und knüpfte damit an das absolutistische System an. Jedoch sollten im Interesse der Wettbewerber nur ganz wenige einzelne Erfindungen derart geschützt werden — ein liberaler Grundsatz. Die Entscheidung darüber, welche Erfindung schützenswert sei, wurde dem Staat durch das System der Vorprüfung Vorbehalten
Als Administrator hatte der Staat eine ganze Reihe von Handhaben, in den Wirtschaftsablauf einzugreifen. Hierzu zählte zum Beispiel der ganze Bereich der Normierung und Kontrolle, der bei wachsender Kompliziertheit der Technik an Bedeutung zunahm. Dazu gehörte aber vor allem die staatliche „Gewerbeförderung", jene Eingriffe, die darauf abzielten, die gegenüber dem Konkurrenten England als rückständig empfundene Wirtschaft durch die Verbreitung technischen Wissens und die Gewährung von Beihilfen zu fördern, sie also nicht völlig ohne Beistand dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. Die entscheidenden Impulse kamen hier vom Departement für Handel und Gewerbe, einer Abteilung, die nacheinander dem Finanz-, Handels-und dem Innenministerium unterstand. Von 1818 bis 1845 wurde sie durch den Geheimen Finanzrat, späteren Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat Peter Christian Wilhelm Beuth geführt. Beuth verließ sich nicht allein auf staatliche Stellen, sondern rief 1821 einen „Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen“ ins Leben. Zu dessen vornehmsten Mitgliedern gehörten die bekannten Fabrikanten Berlins, aber auch der Staatsminister von Bülow, Feldmarschall Gneisenau, die Gebrüder Humboldt und der Freiherr vom Stein
Des weiteren arbeitete Beuth auch den Plan zur Errichtung einer technischen Schule aus, die zum ersten Mal eine wirklich auf die Bedürfnisse der industriellen Produktion ausgerichtete Bildungsanstalt darstellte. In ihrer Weiterentwicklung als „Königliches Gewerbe-Institut" trug sie dazu bei, die neuen Berufsstände des Mechanikers und des Ingenieurs in Preußen zu schaffen. Das Gewerbe-Institut bildete ein Echo auf vorangegangene Gründungen in Paris und Wien.
Beuth verwaltete eine große Modell-und Maschinensammlung, die für die Weiterverbreitung neuer Konstruktionsideen sorgen sollte. Informationen über solche neuen Maschinen wurden durch Auslandsreisen nach England und Belgien und durch Industriespionage beschafft. Auf Kosten des Staates wurden von neuen Original-Maschinen durch „hiesige oder auswärtige tüchtige Werkmeister" Kopien angefertigt, um dann „nach den einzel-nen Punkten der Monarchie, wo der betreffende Fabrikationszweig blüht", verteilt zu werden. Allein für die Maschinenspinnereien in Niederschlesien wurden von 1818 bis 1837 Staatszuschüsse in Höhe von 110 000 Talern aufgewendet, um dort neue Maschinen aufzustellen
Schließlich setzte man auch gelegentlich die Politik Friedrichs II. fort, ausländischen Fachleuten in Preußen Anreize zur Niederlassung zu geben. In seiner kurzen Amtszeit als Minister im alten General-Direktorium vor der Reform der Regierungsorganisation legte der Freiherr vom Stein 1805 Vorschläge zur Subventionierung von modernen Baumwollspinnereien in der Kurmark vor. Stein sprach sich für eine direkte Unterstützung in Geld aus (3 000 Taler jährlich auf 25 Jahre), da „nur durch solche Anlagen die Kunst des Garnspinnens wirklich einheimisch gemacht und allmählich weiter verbreitet, folgl Jahre), da „nur durch solche Anlagen die Kunst des Garnspinnens wirklich einheimisch gemacht und allmählich weiter verbreitet, folglich der Staat auch bei diesem Gewerbe, doch ohne Zwang, vom Auslande unabhängig werden kann 24). Auch Stein, der seine Laufbahn in der kameralistischen Bergbauverwaltung begonnen hatte, vermag die Möglichkeiten zu illustrieren, die zur Versöhnung merkantilistischen und liberalen Denkens bestanden. So ist ihm bescheinigt worden, er habe dem Staat „einen größeren Einfluß auf die Gestaltung der Wirtschaft" eingeräumt, „als es nach Smith recht war", aber er habe dies eben getan, weil er sah, daß der preußische Staat für einen reinen Liberalismus bei weitem noch nicht voll entwikkelt gewesen sei 25).
Beuth, einer der „jungen Männer" Hardenbergs, bezeichnete es in einem Schreiben vom 21. Dezember 1839 als Notwendigkeit, die Fabrikanten in Preußen „mit den Mitteln bekannt zu machen, die Konkurrenz (der auswärtigen Wettbewerber) siegreich zu bestehen"
Diese Konkurrenz war scharf, weil der preußische Staat inzwischen absichtlich den ausländischen Zugang zum preußischen Markt sehr erleichtert hatte. Das Zollgesetz vom 26. Mai 1818, mit dem dies entschieden wurde, hat der Nationalökonom Gustav Schmöller aus achtzigjährigem Abstand verklärend als einen der „gesetzgeberischen Höhepunkte" und als eine der „Großtaten jener Zeit" bezeichnet, „durch die der preußische Staat seinen alten Ruhm rationellen Fortschritts, kühner, entschlossener Neuerung im Sinne progressiver Ideale der Zeit aufs Neue befestigte"
II. Die einzelstaatliche Regelung der Zollfrage in Preußen
Das Zustandekommen dieses Gesetzes war überfällig als Teil einer Generalbereinigung des Steuer-, Zoll-und Finanzwesens im preußischen Staat, die der regierende König Friedrich Wilhelm III. bereits 1798 erfolglos in Angriff genommen hatte Auch Freiherr vom Stein hatte vor dem Krieg von 1806 an der Beseitigung des dringendsten Problems, der Zerrissenheit des preußischen Staatsgebiets durch Binnenzölle, gearbeitet und die Herstellung eines einheitlichen Zollgebiets angestrebt Während der französischen Beset-* zung und Kontributionsauflagen war es Hardenberg nur improvisierend möglich gewesen, an den Steuerproblemen zu arbeiten. Nach dem siegreichen Abschluß der Befreiungskriege glaubte man nun den Atem zu haben, die Steuer-und Zollreform geschlossen durchführen zu können. Außerdem war die Revision der Zollgrenzen und der Tarife nötig, weil Preußen durch die Regelung des Wiener Kongresses neue Gebiete für sich gewonnen hatte.
Am 14. Januar 1817 legte Finanzminister von Bülow dem König den Entwurf eines Gesetzes über die Steuerverfassung des Königreiches, „welches deren allgemeine Grundsätze angibt", und eines Gesetzes „über den Zoll und die Konsumtionssteuer" vor. Ein wichtiges Anliegen der beiden Gesetzentwürfe war es, die alten und die neugewonnenen Provinzen näher zusammenzuführen, denn: „Die Erfah-rung hat überall bewiesen, daß Provinzen, die nach verschiedenen Gesetzen regiert wurden, leicht von dem Mutterstaate getrennt werden konnten, und daß dagegen Gleichartigkeit der Verfassungen und Gesetze die Vaterlandsliebe vermehrt und ausdauert."
Der König hielt es für erforderlich, diese Gesetzentwürfe, deren eines, das Zollgesetz, vom Wirklichen Geheimen Oberfinanzrat Karl Georg Maaßen, zwischen Kunth und Beuth Chef der Verwaltung für Gewerbe und Handel, vorbereitet worden war, gründlich beraten zu lassen. Ort der Prüfung war der neu berufene Staatsrat, in dem die obersten Beamten durch ihre Erörterungen den Mangel an parlamentarischer Debatte ausgleichen mußten. Unter dem Vorsitz des Staatsministers Wilhelm von Humboldt wurde eine 24köpfige Kommission für die Steuer-und Zollfragen eingesetzt. Der Kommission wurde auch eine Reihe von Petitionen vorgelegt, in denen Kaufleute und Fabrikanten aus verschiedenen Regionen Preußens Schutzzölle und Verbotsmaßnahmen namentlich gegen englische Baumwollfertigwaren wie zur Zeit der napoleonischen Kontinentalsperre verlangt hatten In einer Unterkommission wurden nicht nur diese Petitionen gesichtet, sondern auch die Vorzüge und Nachteile von Schutzzoll und Freihandel diskutiert. Man nahm sich die Argumente vor, die von den Anhängern des Freihandelssystems gewöhnlich aus theoretischen Erwägungen vorgebracht wurden, etwa, daß Freihandel dem Konsumenten diene, da er ihn mit den Verbrauchsgütern zum günstigsten Preis versorge. Ein anderes (auch von Hardenberg) gern gebrauchtes Argument lautete daher, daß die technische Vervollkommnung der einheimischen Produktionszweige am ehesten durch die Zulassung ausländischer Konkurrenz gefördert werde. Die Unterkommission fand sie allesamt nicht überzeugend, meinte, man müsse die Entscheidungen auf „wirkliche Erfahrungssätze" gründen und schlug vor, je nach Region verschiedene Bedingungen, vom Einfuhrverbot bis zu einzelnen Ausgleichsabgaben, festzulegen
Fünf der sieben Mitglieder stimmten für dieses Gutachten. Staatsrat Kunth und Oberfinanzrat Maaßen, der seinen smithianisch aus-gerichteten Gesetzentwurf verteidigte, konnten sich nicht anschließen, Sie schrieben: „Das Wünschenswerteste für die allgemeine Wohlfahrt des preußischen Staats wäre unbeschränkter freier Manufakturhandel." Da sie aber überzeugt waren, daß dies auf jeden Fall noch Utopie bleiben müsse, schlugen sie vor, den „Mittelweg der Besteuerung zu wählen", wobei dieser Steuersatz aber „nominell nur mäßig sein“ dürfe. Für die durch die billigen Importe arbeitslos Gewordenen verwiesen sie kühn auf „andere Arbeiten und die schon gebrauchten Hilfsmittel" Andere Hilfsmittel gab es allerdings wenige in einer Zeit ohne Arbeitslosenversicherung. Es gab nur die Möglichkeit der Beschäftigung bei öffentlichen Baumaßnahmen und die — überlastete — gemeindliche Armenfürsorge.
Das Bemerkenswerteste war, daß die Gesamtsteuerkommission des Staatsrats nicht den Bericht der Mehrheit annahm, sondern sich Kunth und Maaßen anschloß und feststellte, „daß die Handelsfreiheit überall aufrechterhalten werden müsse, wo nicht ganz besondere Gründe augenblickliche Einschränkungen gebieten," sowie weiter, „daß eine solche gebietende Notwendigkeit nicht vorhanden sei, um die inländischen Fabriken zu schützen, da selbige unter den festgesetzten Abgaben und den übrigen oben erwähnten Begünstigungen mit dem Auslande sehr gut Konkurrenz halten können“
Während eine Gesamtregelung der Steuerfragen nicht, wie ursprünglich geplant, zustande kam, konnte der König doch das „Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr zwischen den Provinzen des Staats“ vom 26. Mai 1818 unterzeichnen. Sein erster Paragraph bestand aus dem berühmt gewordenen Satz:
. Alle fremden Erzeugnisse der Natur und Kunst können im ganzen Umfange des Staats eingebracht, verbraucht und durchgeführt werden.“ Auf die eingehenden fremden Waren wurde jedoch ein Zoll erhoben, „der in der Regel einen halben Taler für den preußischen Zentner beträgt“. Das bedeutete eine Neuerung: Die Waren wurden nach dem Gewicht verzollt, statt nach dem Wert, was die Abfertigung erheblich vereinfachte. Zu den Zöllen trat bei „mehreren fremden Waren des Auslandes eine Verbrauchersteuer, wenn diese Waren im Land bleiben. Diese Steuersollte in der Regel zehn Prozent nicht übersteigen. Für das preußische Staatsgebiet innerhalb der neugeschaffenen Zollaußenmauer mit den einheitlichen Bemessungsgrundsätzen galt: „Alle Staats-, Kommunal-und Privat-binnenzölle, welche hin und wieder noch bestehen, fallen daher weg, und zwar mit dem Tag, wo dieses Gesetz in Kraft tritt."
Gustav Schmöller beschreibt die Wirkungen dieses Gesetzes wie folgt: „Die Schultheoretiker wie die Minister und Parlamentarier streiten bis heute, ob das Gesetz schutzzöllnerisch oder freihändlerisch war“ und löst den scheinbaren Widerspruch auf: „Es war freihändlerisch gegenüber den Tarifen aller damaligen Großstaaten, schutzzöllnerisch gegenüber denen der Kleinstaaten.“
Zu diesem Ergebnis kommt er aus zwei Gründen: Erstens war es eine Realität geworden, daß sich alle großen Mächte, nämlich England, Rußland, Österreich und Frankreich, aber auch ein kleinerer Staat wie die Niederlande, mit hohen Zollaußenmauern umgeben hatten. An ihnen gemessen war der preußische Zolltarif bescheiden. Er war es aber nicht, wenn man ihn an den Bedürfnissen der Kleinstaaten maß, die von Natur aus auf Freihandel angewiesen waren, da sie ja nur wenig von ihrem eigenen Bedarf selbst erzeugen konnten.
Entsprechend gab es besorgte Reaktionen in vielen deutschen Mittel-und Kleinstaaten. Hatte man gar nicht an die Interessen des übrigen Deutschland gedacht? War hier Preußen, das den Norden Deutschlands beherrschte und in seinem Griff hielt, rein egoistisch vorgegangen und nun für alle Zeiten zufrieden?
III. Vom einzelstaatlichen Zollgesetz zur zollpolitischen Integration
Bisher waren die Versuche, das Zollproblem gesamtdeutsch zu behandeln, versandet. Die deutsche Bundesakte, das auf dem Wiener Kongreß angenommene Grundgesetz Deutschlands seit 1815, enthielt nur den laschen Artikel 19, daß man sich vorbehalte, „wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, sowie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Beratung zu treten“
Solche Beratungen waren noch nicht eingeleitet worden, als 1819 in Frankfurt der allgemeine deutsche Handels-und Gewerbsverein gegründet wurde, für den der württembergisehe Professor Friedrich List eine Petition an die Bundesversammlung, das oberste Gremium des Deutschen Bundes, entwarf. Darin wurde an die einstige Größe der Deutschen erinnert, die „zur Zeit der Hansa, unter dem Schutze eigener Kriegsschiffe, den Welthandel trieben" Gegen die staatsegoistische Rationalität, wie sie in der preußischen Gesetzgebung zum Ausdruck kam, wurden hier gesamtdeutsche nationale Gefühle und das nationale Interesse ausgespielt und in einer für das 19. Jahrhundert und sein Geschichtsdenken kennzeichnenden Verkürzung das Handel treibende Hansebürgertum der Seestädte mit der deutschen Nation gleichgesetzt List mahnte den Deutschen Bund daran, daß sein Zweck auch in der Hebung des deutschen Nationalwohlstandes bestehe. Vom preußischen Zollgesetz meinte er: „Dieses Mautsystem hat, wir müssen es offen gestehen, uns wie ganz Deutschland in dem ersten Augenblick in die größte Bestürzung versetzt, denn es scheint bei dem ersten Anblick nicht sowohl gegen den Handel mit Frankreich und England als gegen den Handel mit Deutschland gerichtet zu sein.“
Der Sinn des preußischen Zollgesetzes, hieß es weiter in dieser im Namen der Kaufleute ganz Deutschlands eingereichten Eingabe, könne nur darin bestehen, „durch dieses Zoll-system die übrigen Staaten Deutschlands zu veranlassen, endlich einer völligen Handels-freiheit sich zu vergleichen“. Deshalb werde seitens des Handels-und Gewerbevereins der Bundesversammlung die Bitte vorgetragen, die Zölle und Mauten im Innern Deutschlands aufzuheben und ein auf dem Grundsatz der Retorsion beruhendes Zollsystem gegen fremde Nationen aufzustellen Ähnliche Wünsche waren schon von Fabrikanten des Rheinlands noch vor dem Erlaß des neuen Zollgesetzes in Bittschriften an den preußischen König geäußert worden. Die Rheinlän- der und Westfalen litten besonders unter der Zerrissenheit der preußischen Monarchie, unter der Tatsache, daß die Westhälfte Preußens von der größeren Osthälfte durch eine Reihe kleinerer Staaten getrennt war. Als Hilfsmittel empfahlen Fabrikanten der Gemeinden Rheydt, Süchteln, Gladbach, Viersen und Kaldenkirchen dem König ebenfalls, über die Aufhebung der Zölle im Innern Deutschlands nachzudenken
In der Tat, Logik und gesunder Menschenverstand sprachen für eine solche Lösung. Die Rationalität des Zollzusammenschlusses ist auch deshalb hervorzuheben, weil die deutsche Zolleinigung in der Rückschau immer wieder einseitig im Hinblick auf den nationalen Gedanken gewürdigt worden ist. Daß der Zollzusammenschluß die kleindeutsche Einigung gewaltig gefördert hat, ist offensichtlich. Aber er ist nur am Rand mit diesem Ziel betrieben worden. Der Druck, der von einer Umwelt ausging, die das System der Außenzollmauern angenommen hatte, wirkte zusammen mit dem Gewicht, das Preußen als über den ganzen Norden Deutschlands ausgebreitetes Land besaß, ausreichend in die betreffende Richtung.
Was beim Studium der Entscheidungen über die Zollpolitik zwischen 1817 und 1834 außerdem auffällt, ist, zumindest für Preußen, das Übergewicht der wirtschafts-und finanzpolitischen Betrachtungsweise und die Dominanz der entsprechenden Ministerien. Es ist wenig von außenpolitischen Gesichtspunkten zu bemerken, selbst Aspekte der deutschen Bundespolitik sind erst allmählich in das Nachdenken über die Zölle eingedrungen. Bei der Behandlung der Enklaven, jener als souveräne Territorien in preußisches Gebiet eingesprengten Zwergstaaten, die die große Bereinigung der deutschen Landkarte überlebt hatten, wurde das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zunächst nicht einmal eingeschaltet. Staatskanzler von Hardenberg hatte es versäumt, rechtzeitig für eine Regelung der Kompetenzen Vorsorge zu treffen, die dem Außenministerium den ihm vernünftigerweise zustehenden Anteil zugewiesen hatte
Jedenfalls standen die Regierungen der Zwergstaaten spätestens mit dem 1. Januar 1819 vor vollendeten Tatsachen, denn das Berliner Finanzministerium hatte die Bezirks-regierungen angewiesen, die eingeschlosse-nen Landesteile „in bezug auf Besteuerung von fremden Gegenständen als Inland" zu betrachten und nach dem Zollgesetz vom 26. Mai 1818 zu behandeln
Manche der Enklaven schlossen bald einen Anschlußvertrag andere führten einen jahrelangen Kampf gegen die Anmaßungen der preußischen Regierung, der alle Mittel der Diplomatie innerhalb des Deutschen Bundes, einschließlich einer Klage am Bundestag, ein-begriff
In Preußen lösten sich währenddessen die Finanzminister ab. Auf Bülow, der das Gesetz vom 26. Mai 1818 auf den Weg gebracht hatte, war noch vor dessen Inkrafttreten Wilhelm von Klewiz gefolgt. Dieser reichte im Zusammenhang mit einer Haushaltskrise, für die man ihm die Hauptschuld gab, 1825 den Rücktritt ein und machte den Weg frei für Friedrich von Motz, den bisherigen Regierungspräsidenten des Bezirks Erfurt und Oberpräsidenten der Provinz Sachsen.
Motz gelang es nicht nur binnen kürzester Zeit, von 1825 bis 1828, die Staatsfinanzen zu sanieren, er war auch der energischste Betreiber der Zolleinigung. Als erfolgreicher „Macher" scheute er sich nicht, gegenüber dem Schein von der Gleichberechtigung der Staaten im Deutschen Bund kurzerhand die reale Macht Preußens auszuspielen. So argumentierte er einmal in dem Entwurf eines Briefes, den sein Monarch als königliches Hand-schreiben an einen deutschen Kleinfürsten absenden sollte, „daß, wenn sich die Interessen eines Staats von 30-40 000 Einwohnern mit einem von 12 Millionen im Konflikt befinden, es völlig in der Natur der Verhältnisse liegt, daß der erstere nachgebe, sobald ihm eine vollständige Entschädigung geboten wird". Und über den Deutschen Bund meinte er: „Sollte der Bund die aus einer übel verstandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleinerer Staaten gegen mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweisen, so würde für diese das Bundes-verhältnis bald unerträglich werden und der Bund ... allerdings in Gefahr schweben." Erst ganz spät, als durch das Zusammenwirken preußischer Einigungsbestrebungen mit denen der süddeutschen Staaten der Zollzusammenschluß eine gesamtdeutsche Dimension bekam, schlug dieser Finanzminister auch patriotische Töne an oder ließ, wie im Juni 1829, zu, daß eine in seinem Auftrag angefertigte Denkschrift mit dem Zwischentitel gegliedert wurde: „Politische Einheit — notwendige Folge der kommerziellen."
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich aber bereits Veränderungen vollzogen, die an Bedeutung die preußische Politik gegenüber den Enklaven weit in den Schatten stellten. Der von List formulierte Appell des Handels-und Gewerbevereins hatte in Süddeutschland durchaus sein Echo. Seine Wirkung fiel jedoch zeitlich mit einer inneren Repression zusammen, die durch die „Karlsbader Beschlüsse" vom Sommer 1819 charakterisiert ist. Die Regierungen versuchten jetzt zu demonstrieren, daß alles, was mit dem inneren Zusammenhang und der weiteren Vereinheitlichung der Verhältnisse im Deutschen Bund zu tun hatte, bei ihnen in guten Händen sei, und veranstalteten in Wien eine Konferenz der Bundesmitglieder, auf der die Handelsangelegenheiten zur Sprache kamen. Dort äußerte der österreichische Staatskanzler Metternich, daß ein gemeinsames Zollsystem in Deutschland unausführbar sei und in den Bereich der frommen Wünsche gehöre Es lag im Interesse Metternichs, davon abzulenken, daß Österreich mit der dichten Zollmauer, die es um seine deutschen und außerdeutschen Gebiete errichtet hatte, zu den Haupthindernissen für eine Zollunion auf der Basis des Deutschen Bundes gezählt werden mußte.
Die erste regionale Zollunion in Deutschland war das Resultat von separaten Verhandlungen, die die süddeutschen Mittelstaaten nach dem Auseinandergehen der Wiener Konferenz aufgenommen hatten. Sie entstand 1828 zwischen Württemberg und Bayern. Dagegen wendete sich in den Jahren nach 1820 niemand von sich aus an Preußen, um auch nur über einen Handelsvertrag zu sprechen. Die Ausnahme bildeten nicht die drei Länder Hannover, Braunschweig und Hessen-Kassel, durch die die Ost-und die Westhälfte der preußischen Monarchie voneinander getrennt waren, sondern das eher unbedeutende Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Sowohl im Berliner Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten als auch im Finanzministerium erörterte man den hessischen Antrag 1826 unter grundsätzlichen politischen Gesichtspunkten. Motz eröffnete den Hessen, daß nur ein vollständiger Zollanschluß sinnvoll sei. Er gestand Hessen-Darmstadt die Beibehaltung einer eigenen Zollverwaltung zu, die nur an der Spitze mit der preußischen vereinigt wurde. Wie ein Bericht des Außenministers an den König einräumt, entstanden für Preußen zunächst finanzielle Nachteile, die aber um des größeren politischen Gewinns willen in Kauf genommen werden sollten Der Gewinn bestand darin, daß damit die Isolierung Preußens durchbrochen war und in Zukunft auch Druck auf Hessen-Kassel ausgeübt werden konnte.
Mit dem bayerisch-württembergischen und dem preußisch-hessischen Verein entstanden in wenigen Wochen des Jahres 1828 zwei große Handelsbündnisse. Wie ein Sperriegel lagen nun noch die Zwergstaaten Thüringens und Hessen-Kassel zwischen den beiden Gebieten. Diese Staaten schlossen eine Abwehr-allianz, deren gemeinsamer Nenner darin bestand, daß die Mitglieder sich verpflichteten, keiner anderen Zollunion beizutreten. Den Sperriegel zerbrach Motz, indem er den soge-nannten „Straßenkrieg" eröffnete. Das wichtigste infrastrukturpolitische Instrument des Chausseebaus war ein geeignetes Mittel, um finanzschwache Kleinstaaten durch die Drohung mit Umgehungsstraßen oder durch die Lockung mit Baukostenbeteiligungen gefügig zu machen. Dabei „suchte Preußen gar nicht etwa die unangenehme Wirkung seines Zoll-gesetzes abzuschwächen, sondern nutzte im Gegenteil alle geographischen Vorteile zur Belästigung der Nachbarn aus, um sie zum Eintritt in die preußische Zoilinie zu veranlassen”
Motz erklärte, der Straßenbau gehöre zu den „Meliorationen“, die man niemals unter dem -Gesichtspunkt der unmittelbaren Rentabilität, sondern nur unter dem Aspekt ihrer Wirkung auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum (wie wir heute sagen würden) betrachten dürfe -Mit seinen Straßenbauaktionen belastete Finanzminister Motz das preußische Budget bis an den Rand. Während Adam Smith vorgeschlagen hatte, alle Verkehrswege sollten sich möglichst durch Benutzungsgebühren selbst finanzieren, benutzte Motz die Senkung der Chausseegebühren als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument. Die Erhaltung der bestehenden Chausseen wurde von den Chausseegeldeinnahmen unabhängig ge- macht und für jede Meile eine feste Summe im Haushaltsplan angesetzt Von dieser Praxis wich der König nach dem Tod von Mötz allerdings wieder ab aber zumindest für die zollpolitische Einigung hatten die Straßen zu diesem Zeitpunkt ihre Aufgabe als Druckmittel bereits erfüllt. Für Motz kam nach dessen vorzeitigem Tod 1830 als Nachfolger nur noch Karl Georg Maaßen in Frage, der das Zollgesetz entworfen hatte und es nun zur Grundlage des Zollwesens machen konnte.
Nach und nach löste sich die mitteldeutsche Abwehrallianz gegen Preußen auf. Am 25. August 1831 wurde der Anschlußvertrag Hessen-Kassels unterzeichnet Als nun die Verhandlungen über eine vollständige Verschmelzung des norddeutschen und des süddeutschen Zollunionsgebiets begannen, konnte sich auch Sachsen, das sich eingekreist sah, nicht mehr fernhalten. Wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrages am 22. März 1833 erklärten Sachsen und die Thüringischen Staaten ihren Beitritt. Das Inkrafttreten der Verschmelzungsverträge am 1. Januar 1834 bedeutete, daß ein von ungefähr 25 Millionen Deutschen bewohntes Gebiet frei von Schlagbäumen und Zollschranken wurde. Hannover, Braunschweig, Baden und einige andere Länder fehlten freilich immer noch. Erst 1888 war das deutsche Zollgebiet komplett.
Die Zolleinigungspolitik zwischen 1818 und 1833 machte zweierlei deutlich: Sie bewies die Bedeutungslosigkeit des Deutschen Bundes in Fragen der Wirtschaft und Finanzen. Die preußische Bürokratie wurde in ihrer Ansicht bestätigt, daß sich die Zollfragen nur durch direkte Verhandlungen von Staat zu Staat lösen ließen.
Die Zollverhandlungen zwischen Preußen und Darmstadt zeigten außerdem, was es bedeutete, wenn eine Regierung frei von parlamentarischer Kontrolle handeln konnte. Der Biograph des preußischen Ministers von Motz, ein Bewunderer seines rigorosen Stils, schildert die Widerstände gegen den Zollanschluß in den Darmstädter Kammern und meint: „Es war ein Glück, daß Preußen selbst damals noch keine Kammern hatte. Bei dem offensichtlichen pekuniären Nachteil, den Preußen infolge des Vertrags zunächst erlitt, den die Regierung ja vollkommen vorausgesehen hatte und zu dem einzelne Minister ein sehr mißvergnügtes Gesicht machten, wäre es wohl geradezu ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, diese Vertragspolitik durchzuhalten."
Dies sind die Zweifel eines in den Traditionen des Machtstaatsgedankens stehenden deutschen Historikers am Parlamentarismus.
Er stand damit nicht allein. Auch in der lange Zeit wichtigsten Arbeit über das Problem einer Verfassungsgebung in Preußen während der Restaurationszeit heißt es, die innere Politik Preußens, „die eine straffere Einheit des Staates und seine finanzielle und wirtschaftliche Gesundung anstreben mußte, wäre durch die Mitwirkung eines Parlaments wohl kaum erleichtert worden"
Nicht nur der altständische Adel opponierte gegen die Reformpolitik der Bürokratie. Auch das städtische, vorwiegend handwerkliche und kleingewerbliche Bürgertum stand ihr, zumindest östlich der Elbe, verständnislos gegenüber. Eben dieses Bürgertum hätte aber in einer Nationalrepräsentation moderner Art bei der Ausarbeitung der Wirtschaftsgesetzgebung das wichtigste Wort gehabt. So blieb die Präponderanz des Staatsapparats gegenüber dem Bürgertum, ein Kennzeichen der deutschen Situation seit dem Dreißigjährigen Krieg, noch länger bestehen. Zu ihr gehört, daß die preußische Bürokratie Kaufleute zum Freihandel zwingen konnte, die von der eigenen Reife ihres Bewußtseins her noch gar nicht daran dachten.