Vor, während und nach dem ersten Nahostkrieg 1948/49 zwischen Israel und den arabischen Staaten flüchteten ungefähr 900 000 Araber aus ihrer Heimat Palästina in drei Richtungen: nach Syrien und in den Libanon, in den arabisch besetzten Teil Palästinas und das Westjordanland sowie nach Ägypten und in den Gazastreifen. Ihre Zahl steigerte sich in den weiteren vier Kriegen auf ungefähr 3, 5 Millionen 500 000 weitere Palästinenser leben noch in Israel. Dies war der Ausgangspunkt eines langen und zum Teil blutigen Konflikts, der auf drei Ebenen verlief und dessen Ende keineswegs abzusehen ist: Die Differenzen bestehen erstens zwischen dem palästinensischen Volk und den arabischen Staaten, zweitens innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und drittens zwischen Israel und der PLO.
Der Verlauf der Beziehungen auf diesen drei Konfliktebenen, die überdies nicht isoliert bestehen, sondern in Wirklichkeit mannigfaltig ineinander verwoben sind, zeigt, daß die PLO offensichtlich noch keinen gangbaren Ausweg aus diesem politischen Dreiecksdilemma finden konnte. So stieß schon die Verteilung der ersten Flüchtlinge auf die arabischen Staaten und ihre dortige Integration auf den national motivierten Widerstand der Flüchtlinge selbst wie auf den der Bevölkerung in den Aufnahmeländern. Jene nutzen das Schicksal der Flüchtlinge zum Teil zur Verwirklichung ihrer eigenen Zielvorstellungen, z. B. zur Ablenkung von eigenen inneren Problemen. An einer eigenständigen palästinensischen Führung war den am Krieg mit Israel beteiligten sogenannten Frontstaaten wenig gelegen. Die jordanische Monarchie der Haschemiten verfolgte vielmehr das nationale Ziel einer jordanischen Kontrolle über einen möglichst großen Teil Palästinas und annektierte deshalb 1950 das Westjordanland. Daher fürchtete Jordanien die Errichtung eines eigenständigen Staates Palästina; denn dieser könnte sich eines Tages gegen Jordanien selbst wenden . Während viele Palästinenser zunächst die arabische Einheit als den geeignetsten Weg zur Befreiung ihrer Heimat Palästina ansahen und deshalb eine pan-arabische Lösung des Nahostkonflikts befürworteten, war es im Gegensatz dazu von Anfang an das Ziel der in den fünfziger Jahren gegründeten „Bewegung zur Befreiung Palästinas" (al-Fatah), einen eigenen nationalen und unabhängigen Staat Palästina zu gründen; die arabische Einheit sei nur durch die Befreiung Palästinas erreichbar. Dieser Basisdissens zwischen der von der al-Fatah dominierten PLO und den Kontrollbestrebungen der arabischen Staaten konnte bis heute nicht beigelegt werden.
I. Zwischen Unterdrückung und Emanzipation: Das Verhältnis zwischen pan-arabischer Idee und palästinensischem Nationalismus
Die Fatah folgte ihrem Vorbild, der algerischen Befreiungsbewegung FLN, und strebte eine enge Verbindung zu den palästinensi-sehen Volksmassen, die Überwindung des religiösen Gegensatzes zwischen Muslimen und Christen sowie die völlige Unabhängigkeit von den arabischen Staaten an. Das Auseinanderbrechen der syrisch-ägyptischen Union, der „Vereinigten Arabischen Republiken", im Jahr 1961 versetzte der pan-arabischen Idee als Weg zur Befreiung Palästinas einen ersten schweren Rückschlag, wodurch der von der Fatah propagierte palästinensische Nationalismus an Boden gewann.
Der militärische Arm der Fatah, al-Assifa („der Sturm“), wurde 1962 mit dem Ziel gegründet, mittels Guerilla-Aktionen den Spannungszustand zwischen den arabischen Staaten und Israel zu erhalten, zwischen beiden einen Krieg herbeizuführen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Palästinenser durch ihre Aktionsfähigkeit zu demonstrieren. Damit hoffte die Fatah, Einfluß auf die gesamt-arabischen Entscheidungen zu erlangen In dieser Zeit war der ägyptische Staatspräsident Nasser unbestrittener Führer der arabischen Nation. Sein Charisma verhalf der panarabischen Idee zu großem politischen Einfluß unter der arabischen Bevölkerung. Um der durch die Fatah drohenden Gefahr, die Kontrolle über die Palästinenser zu verlieren, auszuweichen, faßte die Gipfelkonferenz von 13 arabischen Staatschefs 1964 in Kairo auf Vorschlag Nassers den Beschluß, daß eine palästinensische Befreiungsorganisation gegründet werden sollte, die als offizielle Vertretung des arabischen Volkes von Palästina anerkannt, aber unter der Kontrolle der Arabischen Liga stehen sollte. Daraufhin trat am 1. Juni 1964 der 1. Palästinensische Nationalrat zusammen und beschloß die Gründung einer „Organisation zur Befreiung Palästinas", ein „Grundgesetz", eine „palästinensische Nationalcharta" und die Schaffung einer „palästinensischen Befreiungsarmee" (PLA). Die palästinensische Befreiungsarmee wurde in Syrien, Ägypten und im Irak aufgestellt, unterstand aber dem Oberbefehl der jeweiligen Gastgeberländer.
Die arabische Niederlage gegen Israel im Juni-Krieg 1967, die zur israelischen Besetzung des Westjordanlandes und der Sinai-Halbinsel führte, versetzte der palästinensischen Hoffnung und dem Vertrauen auf die Fähigkeiten der arabischen Staaten, Israel besiegen und Palästina militärisch befreien zu können, einen zweiten schweren Rückschlag. Unter der palästinensischen Bevölkerung gewannen die Idee der Unabhängigkeit und Eingenständigkeit sowie die Ziele der Fatah weiter an Einfluß, so daß die PLO der Kontrolle der arabischen Staatschefs zusehends entglitt. Darüber hinaus gelang es ihr, eigene zivile Organisationsstrukturen zu bilden, was ihr Ansehen noch weiter anhob
König Hussein von Jordanien sah seine Herrschaftsgewalt bedroht, zumal er israelische Vergeltungsmaßnahmen auf von Jordanien aus vorgetragene palästinensische Guerilla-Aktionen befürchten mußte. Deshalb stellte er in einem blutigen Krieg zwischen der jordanischen Armee und den PLO-Kämpfern, die so aus Jordanien vertrieben wurden, im „Schwarzen September" 1971 die jordanische Souveränität wieder her. Allerdings hinterließ diese offene Schlacht unter den arabischen „Brüdern" und die ausbleibende Unterstützung insbesondere der Syrer bei den palästinensischen Freischärlern einen nachhaltigen Eindruck, der ihren Willen zur Unabhängigkeit und zur Eigenständigkeit nur noch verstärkte. So lehnte die PLO auch den Hussein-Plan vom 15. März 1972 ab, der die Gründung eines demokratischen und föderativen „Vereinigten Arabischen Königreiches" im Westjordanland und Jordanien unter Husseins Herrschaft vorsah. Als politische Konsequenz der fortschreitenden palästinensischen Emanzipation mußten die arabischen Staatschefs auf den Gipfelkonferenzen in Algier 1973 und in Rabat 1974 zunächst gegen den Widerstand König Husseins die PLO als die einzig legitime Vertreterin des arabischen Volkes von Palästina anerkennen, die das Recht habe, auf jedem Teil des befreiten Gebiets eine unabhängige, nationale Autorität zu errichten. Die Ambivalenz dieser Beschlüsse liegt jedoch darin, daß die PLO nicht gleichzeitig das Recht und die Möglichkeit zur konkreten Verwirklichung dieses Zieles zugestanden erhielt Einen weiteren Erfolg der internationalen politischen Anerkennung verzeichnete die PLO durch den Auftritt und die Rede Yassir Arafats vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 13. November 1974 und die Anerkennung der PLO durch die Mehrheit der UNO-Mitgliedstaaten. Die PLO erhielt in der UNO Beobachter-status. Bei der Palästina-Konferenz der Vereinten Nationen Anfang September 1983 war die PLO sogar mit einer gleichberechtigten Delegation vertreten.
Dieser politische „Höhenflug" konnte dennoch nicht über die weitgehenden Meinungsunterschiede in der arabischen Welt hinwegtäuschen, wie eine Regelung des Nahostkon-flikts erreicht werden sollte. Ägypten, Syrien und die konservativen arabischen Staaten (mit Ausnahme Jordaniens) befürworteten im Gleichklang mit den beiden Supermächten USA und UdSSR eine Lösung gemäß den UN-Resolutionen 242 und 338, die der Sicherheitsrat der UNO 1967 und 1973 beschlossen hatte -Ägypten und Syrien erreichten durch den Abschluß bilateraler Truppenentflechtungsabkommen mit Israel als Ergebnis der „Pendeldiplomatie" des damaligen amerikanischen Außenministers Henry Kissinger Teilerfolge. Der Irak, Libyen, die Volksrepublik Jemen und die PLO lehnten demgegenüber jede Art von Teillösungen des Palästina-Problems ab. Der PLO ging es dabei insbesondere um ihr in diesen Resolutionen nicht erwähntes Recht auf Selbstbestimmung einschließlich Staatsgründung auf palästinensischem Boden.
Schauplatz dieser inner-arabischen Auseinandersetzungen wurde der innenpolitisch labile Libanon, in dem sich die PLO nach ihrer Niederlage im „Schwarzen September" eine neue Basis geschaffen hatte Als aber die syrische Armee im Sommer 1976 in den zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen tobenden Bürgerkrieg eingriff, kam es auch zu der unvermeidlichen bewaffneten Auseinandersetzung mit palästinensischen Verbänden. Durch die Beschlüsse der Arabischen Liga die die Entsendung einer arabischen Friedenstruppe in den Libanon (vorwiegend schon dort kämpfende syrische Einheiten) nachträglich befürworteten und die schließlich zum Waffenstillstand im Libanon führten, wurde verdeckt, daß die arabischen Staaten den syrischen Versuch zur Disziplinierung der PLO billigten. Im Gegenzug wurde die PLO allerdings Vollmitglied der Arabischen Liga — vorher hatte sie dort lediglich Beobachterstatus ohne Stimmrecht, was ihre Stellung in der arabischen Welt bis 1976 zusätzlich kennzeichnet.
Mit der Mehrheit der arabischen Staaten war sich die PLO erst wieder in der gemeinsamen Ablehnung der Politik des ägyptischen Staatspräsidenten Sadat einig: Durch die Verträge von Camp David 1978 und 1979 er-kannte Ägypten Israel positiv an, d. h., es schloß nicht nur Frieden, sondern nahm auch diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen mit Israel auf, ohne dafür konkrete Zusagen in der Frage des besetzten Westjordanlandes und des Gazastreifens bzw. eines palästinensischen Teilstaates zu erreichen. Präsident Sadat räumte vielmehr mit dem Vertragsabschluß den national ägyptischen Interessen (die Rückgewinnung des Sinai) Vorrang vor den gesamtarabischen und den palästinensischen ein. Aus der Sicht der PLO bedeutete das, daß der militärisch stärkste Gegner Israels aus der arabischen Front herausgebrochen worden war und somit die Chancen einer militärischen Befreiung Palästinas vollends auf Null sanken.
Trotzdem gelang es nicht, alle verbleibenden arabischen Parteien auf den Friedensplan des saudi-arabischen König Fahd festzulegen, obwohl Yassir Arafat an seinem Zustande-kommen beteiligt gewesen war. Der israelische Feldzug im Libanon und der Auszug der PLO-Kämpfer aus Beirut im Sommer 1982 machten darüber hinaus deutlich, daß die PLO in ihrem Kampf um das Selbstbestimmungsrecht und einen eigenen Staat zwar auf die verbale, nicht aber auf eine tatkräftige militärische Unterstützung ihrer „arabischen Brüder" und der Sowjetunion zählen kann. Arafat lehnte auch das syrische Angebot, die auf verschiedene arabische Länder verteilten Kämpfer der PLO aufzunehmen, im Herbst 1982 ab, weil er befürchtete, die PLO könnte völlig unter syrische Kontrolle geraten. Er entschied sich für die Errichtung eines neuen palästinensischen Zentrums in Tunis
Auf dem Gipfeltreffen der arabischen Spitzenpolitiker in Fes im September 1982 konnte endlich ein gemeinsamer Plan zur Lösung des Palästina-Konflikts beschlossen werden; der Fahd-Plan wurde abgelehnt, obwohl er sich nur in wenigen Punkten vom sogenannten Fes-Plan unterschied. Die Beschlüsse von Fes heben die Rolle der Palästina-Araber hervor und postulieren eine Existenzgarantie für alle Staaten in dieser Region einschließlich eines Palästina-Staates durch den UN-Sicherheitsrat Israel wird nicht ausdrücklich erwähnt. Dennoch wird seine stillschweigende Anerkennung in diesem Plan ausgedrückt, weil die wichtigsten Staaten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die USA und die Sowjetunion, Israel seit seiner Gründung anerkennen und mehrfach bekundet haben, auch seine Sicherheit garantieren zu wollen. Der Sowjetunion geht es dabei in erster Linie um ein gewisses Mitspracherecht in einer Region, die sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft befindet, worauf sie ständig hingewiesen hat. Eine Garantie würde überdies ihrem Supermachtprestige nützen. Daher ist sie daran interessiert, Garantiemacht für einen Frieden in Nahost zu werden; sie hat mehrmals ihre Bereitschaft zu Sicherheitsgarantien für alle Staaten der Region einschließlich Israels erklärt. Aber auch konservative arabische Staaten neigen offenbar dazu, der Sowjetunion ein gewisses Mitspracherecht zu konzedieren Die von arabischer Seite in Fes geforderte israelische Gegenleistung besteht in der Gründung eines Staates Palästina unter Führung der PLO. Der nicht zu unterschätzende Erfolg des Feser Gipfeltreffens besteht in erster Linie darin, daß die negative Einigkeit der Araber, die Feindschaft zu Israel, endlich in eine positive, den Vorschlag für eine Konfliktbeilegung, umgesetzt werden konnte. Dennoch erscheint eine gewisse Skepsis angebracht, wenn es in Zukunft darum geht, dem Fes-Plan die Tat folgen zu lassen. Nicht nur, daß Israel einen Staat Palästina kategorisch ablehnt (es sieht in diesen Vorstellungen die eigene Vernichtung), sondern auch der Verlauf der Beziehungen zwischen der PLO und den arabischen Staaten zeigt, daß zwar rhetorische Einigungen möglich sind, die Absicht der arabischen Staaten, möglichst die Kontrolle über die Politik der PLO zu behalten, aber weiter fortbesteht.
Die zwischen dem jordanischen König Hussein und Arafat im April 1983 ausgehandelte Einigungsformel scheiterte am Widerstand der „Radikalen" in der PLO Sie hatte eine palästinensische Staatsgründung mit anschließender freiwilliger jordanisch-palästinensischer Konföderation vorgesehen, welche Erinnerungen an den Hussein-Plan von 1972 weckte. Einer gemischten gemeinsamen Delegation für Verhandlungen über eine Nahostlösung sollten auf der palästinensischen Seite Persönlichkeiten aus den besetzten Gebieten, die formal nicht PLO-Mitglieder sind, angehören. Dies war eine wesentliche Konzession Arafats in Richtung Reagan-Plan, weil er auf die Forderung, die PLO sei die einzig legitime Vertretung des palästinensischen Volkes, verzichtet hatte. Jedoch lehnten andere führende PLO-Vertreter den Arafat-Hussein-Entwurf ab, weil er nicht mit den Beschlüssen des 16. Nationalrats vom Februar 1983 in Einklang stand. Dort war der Reagan-Plan als Lösungsgrundlage für den Nahost-Konflikt abgelehnt und die PLO als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes bezeichnet worden, die folglich auch in einer gemischten Verhandlungsdelegation mit Jordanien vertreten sein müßte. Die PLO wollte nicht über ihre politische Minimalforderung, den Fes-Plan, hinausgehen
Syrien unterstützte — teils offen, teils verdeckt — die gegen Arafat gerichtete „Rebellion" in der Fatah und wies ihn im Juni 1983 überraschend aus Syrien aus. Die ihm treuen Militärverbände forderte Syrien auf, ihre Stellungen in der libanesischen Bekaa-Ebene zu räumen. Nach einem Gespräch zwischen dem Führer der „Volksfront zur Befreiung Palästinas", George Habasch, und dem syrischen Präsidenten Assad unterstrichen beide die Notwendigkeit, die verschiedenen Palästinenser-gruppen sowohl einheitlich untereinander als auch mit den syrischen Streitkräften zu koordinieren. Die syrische Regierungszeitung al Thaura schrieb, Syrien werde „weiter die gerechten und nationalen Forderungen der Reformisten unterstützen“. Allerdings könne die Palästinenserfrage nicht im Alleingang gelöst werden, sondern sei eine „nationale pan-arabische (!) Angelegenheit"
Der Basisdissens zwischen dem palästinensischen Nationalismus und den pan-arabischen Bestrebungen ist durch eine Reihe von Zugeständnissen, z. B. die Finanzierung der PLO vorwiegend durch Saudi-Arabien oder die Vollmitgliedschaft in der Arabischen Liga usw., nicht überbrückt, sondern lediglich gemildert und verschleiert worden. Staaten wie Ägypten, Syrien oder Jordanien ließen aus nationalen Interessen keine Chance ungenutzt, die PLO politisch zu kontrollieren. Dies führte, wie beschrieben, zu teilweise schweren militärischen Auseinandersetzungen. Daher hat auch Yassir Arafat an den wahren Absichten der „arabischen Bruderstaaten" keinen Zweifel gelassen. In seiner Rede vor dem 16. palästinensischen Nationalrat im Februar 1983 sagte er, die PLO könne auf diese Staaten nicht zählen; kein arabischer Staat sei wirklich bereit, den Palästinensern zu ihrem Staat zu verhelfen
II. Der inner-organisatorische PLO-Konflikt
Die politische Willensbildung innerhalb der PLO ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, weil im palästinensischen Nationalrat, dem „Exilparlament“ der PLO, das Konsensprinzip herrscht, d. h., Beschlüsse können nur gefaßt oder geändert werden, wenn sich dafür eine gemeinsame Haltung gebildet hat. Die heterogene Struktur dieses Gremiums — wie der PLO insgesamt — erfordert großes Verhandlungsgeschick, wenn die unterschiedlichen politischen und zum Teil ideologischen Zielvorstellungen konstruktiv unter ein Dach gebracht werden müssen. Diese Tatsache engt den außenpolitischen Handlungsspielraum der PLO von vornherein erheblich ein.
Die wichtigste Mitgliedsorganisation der PLO ist die al-Fatah unter der Führung von Yassir Arafat. Ihren stetigen Aufstieg verdankt sie vor allem ihren national-palästinensischen Zielsetzungen, da die pan-arabischen Vorstellungen aus der Sicht des palästinensischen Volkes in den sechziger Jahren ihre Attraktivität einbüßten. Einen gewissen Wendepunkt in dieser Entwicklung markierte die „Schlacht von Karameh" 1968. Hier konnte die al-Assifa zusammen mit jordanischen Streitkräften den Mythos von der „Unbesiegbarkeit der israelischen Armee“ zerstören und der Fatah zusätzliches Prestige verschaffen. Yassir Arafat wurde 1969 Vorsitzender des PLO-Exekutivkomitees und organisierte die PLO nach den Vorstellungen der Fatah in einen Dachverband aller palästinensischen Gruppen und Organisationen um.
Die „großsyrische Fraktion“ in der PLO, die Saika, wurde aus den palästinensischen Bataillonen der syrischen Armee gebildet, die noch heute deren organisatorischer Bestandteil sind und daher z. B. im libanesischen Bürgerkrieg gegen andere PLO-Einheiten auf syrischer Seite kämpften. Wie Syrien vertritt die Saika die Auffassung, Palästina sei ein Bestandteil Groß-Syriens und müßte daher wieder unter syrische Herrschaftsgewalt gebracht werden.
Unter den „Radikalen" ist die sozialrevolutionäre Linke zu verstehen, die zur Zersplitterung neigt. Ihr gehören besonders die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) unter der Führung von George Habasch, die „Volksfront zur Befreiung Palästinas — General-kommando" (PFLP-GC) unter der Führung von Achmed Dschebril und die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas" (PDFLP) unter der Führung von Nayef Hawatmeh an. Die Unterschiede zwischen ihnen zeigen sich besonders im ideologischen Bereich, wie zum Beispiel in der Frage des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Die PDFLP wird allgemein als moskautreu und die PFLP-GC als libyen-freundlich bezeichnet. Alle drei Gruppierungen begreifen den palästinensischen Kampf für einen eigenen Staat in einem größeren Rahmen sozialer Revolutionen innerhalb der arabischen Welt Politische Kompromißlösungen lehnen sie gemeinhin ab.
Solange die PLO ihr zunächst sehr weit gestecktes Ziel, die völlige Befreiung Palästinas von der israelischen Besetzung, wie es in der Nationalcharta festgelegt wurde, nur durch das Mittel des militärischen Kampfes an der Seite der arabischen Staaten zu erreichen hoffte, fielen die grundlegenden politischen Auffassungsunterschiede innerhalb der PLO kaum ins Gewicht. Mit der stetigen Aufwertung im arabischen Lager und innerhalb der UNO bzw. durch die Anerkennung mehrerer Staaten wurde die PLO zu einem regionalen politischen Machtfaktor. Als gemeinsames Ziel aller PLO-Gruppierungen wurde deshalb die Errichtung eines „demokratischen, säkularen Staates" in Palästina genannt, in dem Christen, Juden und Moslems gleichberechtigt mit-und nebeneinander leben könnten Jedoch schieden sich die Geister innerhalb der PLO, wenn es um die Interpretation dieses Zieles ging. In der Grenzfrage und in der Anerkennung Israels wurde dies besonders deutlich: Der Zwang zum Konsens in den Beschlüssen hat bislang verhindert, daß die PLO ihre Ziele auf eine Staatsgründung im Westjordanland und im Gazastreifen eingrenzt und gleichzeitig das Existenzrecht Israels anerkennt. Die „Radikalen“ lehnen jeden Kompromiß ab, dessen Preis für die Errichtung eines Staates die Anerkennung Israels, die Versöhnung, sichere Grenzen und die Aberkennung des historischen Rechts auf Rückkehr ist.
Dennoch konnten die „Gemäßigten" in der PLO, zu denen auch Yassir Arafat zu rechnen ist in den Beschlüssen des palästinensischen Nationalrats einige Korrekturen zur Auflockerung der allzu konfrontativen Zielsetzung und der viel zu militanten Sprache durchsetzen: Auf der 12. Nationalratstagung 1974 wurde schon die Errichtung einer „nationalen, unabhängigen und kämpfenden Autorität auf jedem Teil des zu befreienden Territoriums“ als Interimsziel angestrebt und zum ersten Mal betont, daß der bewaffnete Kampf nicht das alleinige Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles sei Auf der 13. Nationalrats-tagung im März 1977 wurde die Formulierung von der zu errichtenden „unabhängigen, nationalen und kämpfenden Autorität" in die „Errichtung eines unabhängigen, palästinensischen Staates auf palästinensischem Staatsgebiet" abgemildert. Dennoch hat die PLO mit Rücksicht auf ihren radikalen Flügel bis heute nicht ausdrücklich auf die „völlige Befreiung des besetzten palästinensischen Territoriums", was der Vernichtung des israelischen Staates gleichkäme, verzichtet, oder das israelische Existenzrecht anerkannt Yassir Arafat hat dazu mehrmals betont, daß die PLO Israel solange nicht anerkennen könnte, wie Israel sich umgekehrt weigere, dafür die PLO als Sprecherin für das palästinensische Volk anzuerkennen, der das Recht auf Selbstbestimmung und der Gründung eines eigenen Staates in einem Teil Palästinas zustehe. Daraus spricht die Bereitschaft des PLO-Exekutivkomiteevorsitzenden, in Verhandlungen die gegenseitige Anerkennung zu vereinbaren.
Ein weiterer Beleg für diese Bereitschaft der PLO ist implizit den Beschlüssen des 16. Nationalrats zu entnehmen, da dort die Unterstützung des „Breschnew-Plans" bekräftigt wurde. Dieser Plan des verstorbenen General-sekretärs der KPdSU sieht aber die Errichtung eines unabhängigen Palästina im Westjordanland und im Gazastreifen nach einem israelischen Rückzug aus diesen Gebieten, die Garantie für die Sicherheit aller Staaten in der Region und die Respektierung der gegenseitigen Souveränität zwischen Israel und Palästina vor. Diese ausdrückliche Unterstützung des sowjetischen Plans durch die PLO belegt, daß die Anerkennung Israels durch die PLO instrumentale Funktion angenommen hat, um das Selbstbestimmungsrecht und die Staatsgründung durchzusetzen. In der Tat schienen die Beschlüsse dieses letzten Nationalrats den Weg für eine politische Lösung des Nahost-Konflikts zu ebnen, da sie zwar den Reagan-Plan als Grundlage ablehnten, weil er einige unverzichtbare palästinensi-sehe Forderungen nicht erfülle, die Tür für eine jordanisch-palästinensische Konföderation aus zwei unabhängigen Staaten andererseits ausdrücklich offen ließen und damit Arafat die Chance für weitere Verhandlungen mit König Hussein ermöglichten. Hinzu kommt, daß sich die „Radikalen“ mit ihrer Forderung nach Ablehnung des Fes-Plans nicht durchsetzen konnten Schließlich war die in den Beschlüssen erwähnte Möglichkeit, daß ein unabhängiger Staat Palästina eine Konföderation mit Jordanien eingehen könnte, nicht im Sinne der „Radikalen“.
Ihr weiteres Bestreben richtete sich in der Folge darauf, einer palästinensischen Konzessionsbereitschaft, der sie offenbar nur unter erheblichem Druck zugestimmt hatten, Einhalt zu gebieten: Erstens wurde nach einer gemeinsamen Tagung der PFLP und der PDFLP im April 1983 erstmals ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht, das weitere Konzessionen in Richtung Reagan-Plan oder bei den jordanisch-palästinensischen Verhandlungen ablehnte. Dagegen wurden eine Zusammenarbeit der beiden Gruppen, weitere Schritte zur wechselseitigen Angleichung der Ideologien und eine Koordination ihrer Aktionen vereinbart. Ihr Ziel ist die Schaffung eines Bündnisses zur Verhinderung künftiger palästinensischer Konzessionen im Hinblick auf eine Friedenslösung im Sinne amerikanischer Vorstellungen. Sie streben den Ausbau ihrer „Zellen“ in den besetzten Gebieten, eine Normalisierung der Beziehungen zu Syrien und die Bildung einer vereinigten palästinensischen Nationalarmee zur Vorbereitung eines neuen Krieges an. Daher bildeten beide Gruppen am 26. Juni eine gemeinsame politische und militärische Führung ihrer Organisationen, die für die politischen Angelegenheiten und Standpunkte sowie für die bewaffneten Streitkräfte zuständig sein soll Zweitens kam es im Mai in Arafats Fatah durch einige Offiziere und ihre Mannschaften zu einer „Rebellion", deren äußerer Anlaß zwei militärische Personalentscheidungen Arafats waren. Die „Revolte“ wird von Oberst Abu Musa, einem militärischen Haudegen als dem militärischen und Nimr Saleh als dem politischen Kopf angeführt. Die „Meuterei" eskalierte bis hin zur militärischen Konfrontation zwischen Anhängern und Feinden Arafats in der Bekaa-Ebene. Die wichtigsten Forderungen der „Rebellen" beschränken sich keineswegs auf jene Personalfragen (die umstrittenen Entscheidungen mußten im Juli wieder zurückgenommen werden), sondern betreffen tiefgreifende institutioneile und politische Reformen Institutionell fordern die „Rebellen":
— die Bildung einer militärischen Führungszentrale unter gerechter Beteiligung aller PLO-Gruppen;
— die Einführung einer „kollektiven Führung" in der Fatah;
— die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung des Finanzgebarens der PLO-Führung; — die Bildung einer außerordentlichen Kommission zur Auswahl von Konferenzdelegierten und die Einberufung einer Fatah-General-Versammlung. Politisch fordern sie:
— die vollständige Befreiung Palästinas;
— die Rückkehr zum bewaffneten Kampf als dem einzigen Mittel zur Zielverwirklichung; — die Beendigung der „sinnlosen" Verhandlungspolitik (Arafat solle sich vom Fes-Plan, dem Reagan-Plan, den Verhandlungen mit König Hussein, einer palästinensisch-jordanischen Konföderation und den Gesprächen mit der ägyptischen Regierung öffentlich distanzieren); — die Beendigung von Gesprächen mit oppositionellen Israelis
Wenn sich diese „Reformen" durchsetzen, so bedeutet das einen Rückfall der PLO in die Jahre vor 1974.
Arafat selbst beurteilt den Aufstand innerhalb der PLO als eine „arabische Einmischung", zu der Syrien und Libyen die PFLP-GC und die Saika benützten Obwohl die PFLP und die PDFLP mit den politischen Forderungen der „Rebellen" übereinstimmen, leh37) nen sie dennoch die Reform der institutioneilen Struktur der PLO als „übertrieben" ab. Als Ergebnis von Vermittlungsbemühungen führte die Fatah auf Beschluß ihres Zentralkomitees im Juli eine kollektive Führung mit sechs Ausschüssen ein: für Finanzen und Militärwesen unter Arafats Leitung, für auswärtige Beziehungen unter der Leitung des „PLO-Außenministers" Faruk Kaddumi, für Finanzkontrolle und Mobilisierung sowie ein Informationskomitee. Auch der Einberufung des palästinensischen Zentralrats mußte Arafat zustimmen, der die Bildung einer Sonderkommission zur Beilegung der blutigen Kämpfe zwischen den verfeindeten Palästinensergruppen im Libanon und des Streits mit Syrien sowie zur Überwindung der drohenden Spaltung der PLO beschloß. Zwar scheint dadurch die Anhängerschaft Abu Musas erheblich geschrumpft zu sein, aber es ist dennoch zu früh, um die Machtkämpfe in der PLO für beendet zu erklären. Arafat hält weiter an seinen politischen Grundüberzeugungen fest:
— er lehnt den Reagan-Plan als Grundlage für eine Lösung des Nahost-Konflikts ab, weil er den Palästinensern das Selbstbestimmungsrecht verweigere, und wartet auf Beweise für die Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Absichten;
— er hält am Fes-Plan fest und möchte den Dialog mit Jordanien neu eröffnen;
— er hält am Dialog mit „progressiven" israelischen Oppositionellen fest;
— er distanziert sich persönlich vom bewaffneten Kampf gegen Israel, obwohl er ihn als Option bezeichnet, die andere Palästinenser wählen, die er nicht hindern könnte;
— er verknüpft sein politisches Schicksal mit seinem politischen Programm: „Ich bleibe unserem politischen Programm treu oder trete zurück. Es ist mir unmöglich einen Kurs zu steuern, an dessen Erfolg ich nicht, glaube.“
Arafat hat sich also zu institutioneilen Reformen bereit gefunden, ohne deshalb politische Konzessionen an die „Rebellen" und die „Radikalen" zu machen. Mit den jüngsten militärischen Kämpfen um die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli hat die Auseinandersetzung zwischen Arafat und den von Syrien massiv unterstützten „Rebellen" um Abu Musa eine neue Qualität erreicht, die den Bestand der PLO in ihrer bisherigen Form in Frage stellt. Syrien geht es offenkundig darum, mit der Hilfe der al-Fatah-„Rebellen“ und dem „Volksfront für die Befreiung Palästinas-Generalkommando" den arabisch-palästinensischen Basisdissens endgültig zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Nach wie vor kann Arafat auf politische (nicht militärische!) Unterstützung von außen zählen: Die Sowjetunion hat von Syrien gefordert, die Kämpfe gegen Arafat zu beenden und die Einigkeit in der PLO wieder herzustellen; die im soge-nannten Golfrat zusammengeschlossenen konservativen arabischen Golfanrainerstaaten versuchten mit einer Delegation in Damaskus zwischen den verfeindeten Arabern zu vermitteln, erreichten aber nur einen vorübergehenden Waffenstillstand; Kuwait stellte sogar seine Finanzhilfe für Syrien ein; trotz ihrer politischen Kritik an Arafat empfinden die Führer der PFLP und der PDFLP seine Vernichtung als großes Übel für die PLO im allgemeinen und ihrer Organisation im besonderen; und schließlich kam es in vielen Flüchtlingslagern — besonders in Syrien — und im Westjordanland zu Sympathiedemonstrationen der palästinensischen Zivilbevölkerung für Arafat. Aber an dieser Auseinandersetzung zeigt sich wiederum die zweideutige Haltung der PLO, der es offenkundig nicht gelingt, eine einheitliche gemeinsame Position zu finden. Ihren politischen Gegnern, besonders Israel, muß dies nach wie vor als schiere Taktik („the good guy and the bad guy“) erscheinen.
III. Die Feindschaft zu Israel
Die Uneinigkeit in der arabischen Welt und der Verweis auf die radikalen Ziele der palästinensischen Nationalcharta enthoben Israel bislang der Aufgabe, sich konstruktiv mit der Möglichkeit eines von der PLO geführten Staates im Westjordanland und dem Gazastreifen zu befassen. Es kann dennoch kein Zweifel bestehen, daß Israel eine derartige Lösung in Bausch und Bogen ablehnt Spä-testens die Regierung Begin verwies die Vorstellungen von einem palästinensischen Teil-staat nach einem israelischen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten in die Welt der Träume. Das Westjordanland und der Gazastreifen, die in Begins Regierung und wohl auch unter seinem Nachfolger Schamir „Judäa" und „Samaria" genannt werden, seien Teil des biblischen „Erez Israel“ (Land fsräel) und müßten deshalb unter israelischer Souveränität bleiben. Den Palästinensern will Israel kein Selbstbestimmungsrecht im Sinne einer Staatsgründung, sondern nur eine gewisse Autonomie einräumen. Der von der Knesset am 28. Dezember 1977 gebilligte 26-Punkte-Plan sieht deshalb lediglich eine koordinierte gemeindliche Selbstverwaltung ohne Hoheitsrechte für die Palästinenser vor, die in den besetzten Gebieten leben. Die israelische Kontroll-und Verfügungsgewalt über diese Gebiete bliebe erhalten, und für die weitere Errichtung jüdischer Siedlungen bestünde im Falle der Verwirklichung dieses Planes eine legale Grundlage, überdies behielte Israel die Kontrolle darüber, wieviele palästinensische Flüchtlinge aus der Diaspora in ihre Heimat zurückkehren könnten. Begins Plan negiert die für einen palästinensischen Staat konstitutiven Merkmale (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt), so daß sich Israel im Falle der Durchführung dieses Autonomieplans des drohenden Problems eines palästinensischen Teilstaates endgültig entledigt hätte
Kaum zu bestreiten ist, daß Israel auf dem Weg zu seinen Zielen einige nicht unbeträchtliche Erfolge verbucht hat: die weitgehende Festlegung seines wichtigsten Verbündeten, der Vereinigten Staaten, auf die eigene Politik, die Vereinzelung der verschiedenen arabischen Gegner und die Errichtung sicherer Verteidigungslinien.
Schon in einem zunächst geheim gehaltenen Zusatzmemorandum zum zweiten Sinai-Abkommen zwischen Israel und Ägypten verpflichteten sich die USA gegenüber Israel dazu, erstens mit der PLO nicht zu verhandeln oder sie gar anzuerkennen, solange diese nicht das Existenzrecht Israels und die Resolutionen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrates anerkannt hat, und zweitens die israelisch-arabischen Verhandlungen auf die bilaterale Ebene zu beschränken. Im Klartext heißt das, die PLO müßte durch die Anerkennung der UN-Resolutionen, die die Palästinenser nicht als Volk, sondern als „Flüchtlinge" behandeln, selbst ihre Minimalforderung, die einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes zu sein, aufgeben, da sie implizit die Nichtexistenz dieses Volkes anerkennen würde. Weiterhin kann Israel auf dieser Grundlage und mit der Unterstützung der USA mit jedem arabischen Staat einzeln, ohne den Zwang einer umfassenden und multilateral auszuhandelnden Lösung, bilateral verhandeln. Dabei ist der israelische Verhandlungsspielraum ungleich größer.
Den ersten Erfolg konnte Israel denn auch mit den Camp-David-Verträgen einstreichen: Es gelang nicht nur, mit dem militärisch gefährlichsten Gegner Frieden zu schließen, sondern ihn noch zusätzlich durch die Aufnahme normaler diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen positiv zu sichern. Darüber hinaus erreichte Israel eine noch detailliertere Festlegung der USA auf seine Politik gegenüber der PLO. Israel erhielt eine umfassende amerikanische Bestandsgarantie und die Zusage amerikanischer Unterstützung in der UNO und gegenüber der Sowjetunion sowie bei einer Wiederaufnahme der Genfer Nahostfriedenskonferenz, die allerdings seit zehn Jahren ruht. Demgegenüber erreichte Ägypten seine weiter gesteckten Ziele nicht. Noch 1977 hatte Präsident Sadat eine separate Friedenslösung mit Israel abgelehnt und eine gerechte Regelung des Palästinenser-Problems sowie den vollständigen Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten als unabdingbar gefordert In Camp David gelang es Ägypten nicht, Israel zwei-/felsfrei auf diese Ziele festzulegen. In weiteren Verhandlungen fehlt nun möglicherweise der entscheidende Anreiz bzw. Druck auf Israel, das Westjordanland und den Gazastreifen als Preis für Frieden und Sicherheit mit allen seinen arabischen Nachbarn räumen zu müssen Dagegen hat Israel klargestellt, daß seine Interpretation der Camp-David-Verträge mit dem Autonomieplan von 1977 im Einklang stehe.
Die Sicherung der zweiten israelischen Front, der syrischen, gelang mit der Annektion der Golanhöhen im Dezember 1981. Damit sind jene militärischen Linien besetzt und dauerhaft gesichert, die eine sichere Verteidigung im Falle eines syrischen Angriffs gewährleisten. Die Sicherung seiner dritten Front erreichte Israel durch den Feldzug in den Libanon im Sommer 1982 und durch das israelisch-libanesische Abkommen über Truppenrückzug vom 17. Mai 1983 Das Abkommen soll zwar erst mit dem Rückzug aller ausländischen Streitkräfte aus dem Libanon in Kraft treten, und gibt mithin Syrien und der PLO implizit ein Veto-Recht, dennoch bleibt bis dahin die israelisch-libanesische Grenze auch nach dem Teilrückzug bis zum Awali-Fluß militärisch durch im Libanon stationierte israelische Streitkräfte gesichert. Nach dem Inkrafttreten des Truppenrückzugsabkommens gilt eine dreifache Sicherung durch militärische, politisch-diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen, die den Libanon als zweiten arabischen Frontstaat nach Ägypten unter den arabischen Feinden Israels neutralisieren: Die militärischen Sicherheitsvereinbarungen sehen unter anderem eine ungefähr 45 km breite Sicherheitszone bis zum Awali-Fluß, die Bildung einer gemeinsamen Sicherheitskommission und ein Aufenthaltsverbot für ausländische Streitkräfte in beiden Ländern vor, sofern ihre Entsendestaaten nicht diplomatische Beziehungen zu Libanon und Israel unterhalten. Die politisch-diplomatischen Sicherheitsvereinbarungen bestehen in der Errichtung von Verbindungsbüros in den jeweiligen Hauptstädten, in Verhandlungen über ein Abkommen über den Austausch von Waren und Personen und in der beiderseitigen Verpflichtung, alle Verträge, Gesetze und Regelungen zu annullieren, die im Widerspruch zu diesem Abkommen stehen. Wirtschaftlich wird das Abkommen durch die Entwicklung der Beziehungen einschließlich des Personen-und Warenverkehrs gesichert. Zwar wurde damit kein formeller Friedensvertrag zwischen beiden Staaten geschlossen und die rechtliche Fixierung einer „Normalisierung" der Beziehungen vermieden, de facto wird diese Normalisierung jedoch durch die Ausfüllung der Einzelbestimmungen erreicht werden.
Daher bliebe für Israel eine Regelung an der jordanisch-palästinensischen Front, im Westjordanland, und dem Gazastreifen übrig. Die israelische Invasion im Libanon verfolgte neben dem öffentlich proklamierten Ziel, „Frieden für Galiläa”, auch das Ziel, die politische und militärische Struktur der PLO zu zerschlagen. Israel erhoffte, damit freie Hand in den besetzten Gebieten zu erlangen. Der israelische Teilerfolg in diesem fünften Nahostkrieg ist unter anderem darin zu sehen, daß die PLO militärisch vollkommen besiegt und ihre politische Struktur durch die Verteilung der militärischen und politischen Führung auf mehrere arabische Staaten wesentlich geschwächt wurde. Damit war auch eine wichtige Voraussetzung für die innerorganisatorische Opposition gegen Yassir Arafat geschaffen worden. Was die besetzten Gebiete betrifft, so kam eine kürzlich unter der Leitung des israelischen Wissenschaftlers Meron Benvenisti entstandene Studie zu dem überraschenden Ergebnis, daß Israel das Westjordanland de facto bereits annektiert habe und die formal-rechtliche Annektion angesichts der wirtschaftlichen Integration dieser Gebiete und der israelischen Politik der vollendeten Tatsachen praktisch belanglos sei
Vor diesem Hintergrund mutet der „ReaganPlan” vom 1. September 1982, der als Fortschreibung des Camp-David-Prozesses auf der Grundlage der Resolution 242, die die Unzulässigkeit des Gebieterwerbs durch Krieg feststellt und den Abzug der israelischen Truppen „from territories occupied in the recent conflict“ (aus [den? ] 1967 besetzten Gebieten) fordert äußerst unglaubwürdig an. Präsident Reagan lehnte zwar die Bildung eines palästinensischen Teilstaates ab, betonte aber, daß die USA eine fortdauernde israelische Kontrolle oder gar Souveränität in den besetzten Gebieten nicht unterstützen würden. Die jüngsten amerikanischen Vorstellungen von einer Konfliktbeilegung laufen auf eine weitgehende Selbstverwaltung der Palästinenser unter Assoziierung an und unter Kontrolle von Jordanien hinaus. Israel hat jedoch diesen Plan zurückgewiesen und dementsprechend konsequent seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten fortgesetzt.
IV. Arafat in der Zwickmühle
Die PLO-Führung um den Exekutivkomitee-vorsitzenden Yassir Arafat befindet sich in keiner beneidenswerten politischen Position:
Erstens sieht sie sich dem Widerspruch zwischen den national-palästinensischen Unabhängigkeits-und Eigenständigkeitsinteressen und den Interessen einiger arabischer Staaten, die die Politik der PLO unter ihre Kontrolle zu bringen wünschen, ausgesetzt, zweitens steht sie unter Zeitdruck, weil die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland irreversible Tatsachen zu schaffen droht, und drittens formierte sich die Opposition innerhalb der PLO gegen Arafat und gegen eine Verhandlungslösung des Nahost-Konflikts nach der 16. Nationalratstagung im Februar neu. Sie tritt für eine weitere bewaffnete Auseinandersetzung mit Israel, die das regionale Kräfteverhältnis zugunsten der arabischen Seite verschieben soll, ein.
Aus dieser politischen Einkreisung einen gangbaren Ausweg zu finden, scheint deshalb nahezu unmöglich, weil ein Fortschritt auf der einen Seite des Dreiecksdilemmas fast automatisch den unüberwindlichen Widerstand auf mindestens einer anderen Seite hervorruft. Arafat ist zweifellos in eine politische Zwickmühle geraten. Sein Lösungsversuch mittels Verhandlungen mit König Hussein durch partielle Zugeständnisse beim Alleinvertretungsanspruch und der Unabhängigkeitsfrage wurde von den „Radikalen" in der PLO zu Fall gebracht und hat die innere Opposition gegen ihn geeinigt und gestärkt. Die denkbare Schaffung eines stärkeren Konsenses innerhalb der PLO durch eine vermehrte Betonung der Zielsetzung aus der National-charta und die Rückkehr zum bewaffneten Kampf als einzigem Mittel zur vollständigen Befreiung Palästinas würde Israels Bedrohungsängste verstärken, die innerisraelische Opposition schwächen, die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten be-schleunigen und eine Verhandlungslösung in weite Ferne rücken. Schließlich kollidiert die Möglichkeit, die Palästinafrage im Rahmen der pan-arabischen Einigung, beispielsweise durch Syrien, lösen zu lassen, mit der palästinensischen Forderung nach nationaler Unabhängigkeit. Auch die Rückkehr zum bewaffneten Kampf als einzigem Mittel würde die einseitige Abhängigkeit von Syrien als Front-staat und von anderen arabischen Geldgebern erhöhen. Dieses Argument scheinen die „Radikalen" bislang außer acht gelassen zu haben. So enthält die Lage der PLO nach dem Auszug aus Beirut keine grundlegende Neuerung ihres Drei-Fronten-Dilemmas, wohl aber eine Verschlechterung ihrer politischen Position als regionaler Machtfaktor im Nahostkonflikt: Die Verteilung der PLO-Kämpfer auf verschiedene arabische Länder macht die Kommunikation schwierig und fördert die Eigenständigkeit von kleinen, radikalen Gruppen in der PLO. Sie erhöht die palästinensische Abhängigkeit von den arabischen Staaten. Der Glaube und die Hoffnung der Palästinenser, die in den besetzten Gebieten leben, daß die PLO eine Lösung auf die eine oder andere Weise erreichen kann, sind nach der Niederlage von Beirut gesunken. Israel setzt seine Siedlungspolitik unvermindert fort. Dies wird sich auch unter der neuen Regierung Schamir nicht ändern.
Nach den jüngsten Ereignissen scheinen zwei prinzipiell alternative Entwicklungen denkbar: Erstens, Arafat verliert den Kampf in Tripoli. Dann gerät die PLO unter die Kontrolle der neuen und gestärkten Regionalmacht Syrien. Damit wären alle Chancen einer politischen Lösung des Palästinenser-Problems erloschen — zumindest auf die lange Bank geschoben. Die PLO würde zum bloßen Faktor des syrischen politischen Machtkalküls verkommen. Zweitens, Arafat gelingt das Kunststück, sich doch noch aus der militärisch aussichtslosen Position in Tripoli zu befreien. Dann würde die PLO ihre Unabhängigkeit bewahren. Einzelne Gruppen, wie die „Rebellen" um Abu Musa oder das PFLP-GC, würden aus dem palästinensischen Dachverband ausgestoßen und die PLO institutionell reformiert werden. Arafat würde mit dieser Rumpf-PLO einen neuen Anlauf zu einer politischen Lösung des Nahost-Konflikts versuchen. Aufgrund der seit dem Kampf um Beirut immer weiter geschrumpften politischen Machtbasis der PLO dürfte dies aber ein noch schwierigeres Unterfangen als bisher sein. Zwischen diesen beiden alternativen Entwicklungen dürfte sich das künftige Schicksal der PLO und des Palästinenserproblems bewegen.