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Chancen und Risiken der Nah-und Mittelost-Politik der USA | APuZ 49/1983 | bpb.de

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APuZ 49/1983 Artikel 1 Chancen und Risiken der Nah-und Mittelost-Politik der USA Ziele und Grenzen sowjetischer Interessenpolitik in Nah-und Mittelost Die PLO im regionalen Dreieckskonflikt Ein zweiter Iran im Nahen Osten? Ägypten und die krisenhafte Entwicklung seiner Binnenstrukturen

Chancen und Risiken der Nah-und Mittelost-Politik der USA

Christian Hacke

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach der Schritt-für-Schritt-Diplomatie Kissingers, die zur Eindämmung der militärischen Auseinandersetzungen in Nahost, der diplomatischen Aktivität der Sowjetunion und des Einflusses der PLO führte, bemühte sich die Carter-Administration zunächst, gegen den Willen der Israelis und auch Ägypter, die UdSSR wieder in den Konfliktlösungsprozeß einzubeziehen. Mit seiner Friedensinitiative gegenüber Israel erzwang Sadat die Wende in der auch innenpolitisch gescheiterten Nahost-Politik Carters. Die Abkommen von Camp David stellten schließlich eine Rückkehr zur Realpolitik Kissingers dar. Die Politik der Reagan-Administration stützt sich nunmehr explizit auf den strategischen Konsens mit Israel, unter Einbeziehung Ägyptens und Saudi-Arabiens im Nahen Osten ein Bollwerk gegen jeden sowjetischen Einfluß zu bilden. Allerdings wurde der Konsens mit Israel durch Begins Politik, die auf die amerikanischen Interessenlagen wenig Rücksicht nahm, belastet; denn der Angriff auf den syrischen Atomreaktor und die Libanon-Politik Israels waren geeignet, die Friedensbemühungen der USA zu unterlaufen. Die Friedensinitiative Reagans vom 1. September 1982 versuchte, wenn auch verspätet, auf der Grundlage von Camp David durch Kompromisse einer Verhandlungslösung des Nahost-Problems näherzukommen. Der Vorschlag einer Selbstregierung der Palästinenser auf der Westbank und im Gaza-Streifen im Rahmen einer Assoziation mit Jordanien versucht, dem israelischen Sicherheitsinteresse Rechnung zu tragen, indem kein souveräner Palästinenserstaat gefordert wird. Wenn auch der arabische Gipfel in Fes weiterhin auf einem unabhängigen Staat beharrte und die PLO erneut als Verhandlungspartner bestätigte, so schien doch auf diplomatischem Gebiet Bewegung entstanden zu sein. Die Gespräche Arafats mit Hussein über ein gemeinsames Vorgehen hinsichtlich des Reagan-Plans scheiterten schließlich am Widerstand der radikalen, syrisch gesteuerten Gruppen in der PLO, die sich gegen Verhandlungen Husseins mit den USA und Israel über einen Palästinenserstaat wandten. Die zunehmende Kontrolle Syriens über die PLO verschlechtert die Aussichten für eine einvernehmliche Nahost-Regelung zusätzlich. Entscheidend aber ist, daß sich aufgrund der starren israelischen Politik die Menge der Handlungsoptionen für die USA verringert hat Dennoch besitzen die Vereinigten Staaten in der Region ein politisches und ökonomisches Übergewicht gegenüber der Sowjetunion, das sie einsetzen müssen, um nach Arafats Niederlage im Libanon wieder die Kräfte in der PLO und den arabischen Staaten zu stärken, die die Lösung des Palästinenser-Problems im Rahmen einer jordanischen Option sehen.

I. Die Sowjetunion als Partner, Rivale und Gegner der USA

Es war logisch, daß die globale Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg regionale Kooperationen der Supermächte weitgehend ausschloß. Es ist aber tragisch, daß zu Beginn amerikanisch-sowjetischer Bemühungen um Entspannung unter anderem mit Blick auf den Nahen Osten amerikanisch-sowjetische Lösungsversuche auch am arabisch-israelischen Gegensatz scheiterten. Weder die USA noch die Sowjetunion konnten ihre Partner im Nahen Osten an den Verhandlungstisch bringen.

Direkte Verhandlungen zwischen Israelis und Arabern mißlangen ebenso wie der gemeinsame amerikanisch-sowjetische Versuch, auf ihre Partner im Nahen Osten Einfluß zu nehmen Gleichzeitig drehte sich die Rüstungsspirale rapide weiter.

Die USA und die Sowjetunion befürchteten wechselseitig, daß die Aufrüstungen auf der Gegenseite mit Unterstützung der rivalisierenden Supermacht die eigenen Sicherheitsinteressen und die der Partner im Nahen Osten bedrohen könnten und deshalb eigene, defensiv verstandene Maßnahmen notwendig seien.

Solange die Supermächte in dieser Furchtperzeption gefangen blieben, herrschte ein latentes Konfrontationsklima, das den Interessen -radikaler Araber und intransigenter Israelis entgegenkam: Letztere hofften auf den Faktor Zeit, der der Festigung des territorialen Status quo dienlich sein würde, während Araber und Palästinenser auf Revanche warteten.

L Die Sicht der Nixon-Ford-Regierungen Nixon hoffte, daß eine Einbeziehung der Sowjetunion

in die diplomatischen Lösungsver-suche im Nahen Osten sich gleichzeitig posi-tiv für die Durchsetzung der amerikanischen Interessen in Vietnam auswirken könnte. Er befürchtete aber auch, daß eine Eskalation der lokalen Konflikte im Nahen Osten zu einer militärischen, vielleicht zu einer nuklearen Konfrontation zwischen.den beiden Supermächten führen könnte

Der gescheiterte Friedensplan von Außenminister Rogers reflektierte mit seinen Ambivalenzen die Stärken und Schwächen der amerikanischen Verhandlungssituation. Die Stärke bestand darin, daß ein amerikanisch-sowjetischer Kompromiß zeitweilig möglich schien;

seine Hauptschwäche lag darin, daß die USA ihren Partner Israel weder angemessen konsultierten noch zu einem Verhandlungskompromiß bewegen konnten. In dem Umfang, in dem Außenminister Rogers versuchte, die amerikanische Interessenlage von einer reinen Bündnispartnersituation gegenüber Israel in eine umfassende und allseitig akzeptierte Maklerposition zu schieben, in dem Maße torpedierte Israel die amerikanische Verhandlungsinitiative. Das Scheitern des Rogers-Planes dokumentierte zudem, daß beide Supermächte an die Interessenlage ihrer Klienten gebunden blieben.

Mit dieser Entwicklung ging eine wachsende Aufrüstung der ägyptischen Sreitkräfte einher, die durch die Präsenz sowjetischer Soldaten und Experten verstärkt wurde. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg stationierte die Sowjetunion außerhalb des sozialistischen Lagers militärisches Personal.

Eine historisch unvergleichlich neue Qualität sowjetischer Präsenz im Nahen Osten, die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens vom August 1970 und das sowjetische Engagement in der Jordanien-Krise vermittelten der Nixon-Administration zunehmend den i Eindruck, daß nun die andere Supermacht im Nahen Osten die amerikanischen Interessen und die ihres Klienten Israel bedrohen und an diplomatischen Lösungsversuchen kaum interessiert sein würde.

Dementsprechend ließ nun aus amerikanischer Sicht der Nahost-Konflikt weniger Raum für kooperative Lösungsmöglichkeiten auf der Supermachtsebene, statt dessen trat die Freund-Feind-Kategorisierung wieder in den Vordergrund. Die Tragik dieser Entwicklung lag darin, daß der amerikanische Versuch, die eigene Diplomatie in eine überparteiliche Maklerrolle zu dirigieren, vorerst scheiterte. Vielmehr setzten die USA jetzt auf den Ausbau der Militärhilfe für Israel, und die Sowjetunion rüstete Ägypten, Syrien und den Irak auf: So wurden in dieser perzeptioneilen und militärischen Eskalationsspirale die militärischen Grundlagen für den Oktober-Krieg 1973 gelegt.

Kissinger sah die militärische Auseinandersetzung zwischen den arabischen Staaten und Israel als eine Art Schmelztiegel, in dessen Hitze die gegensätzlichen Positionen und Widerstände bis zu einem gewissen Grad durch eine kluge amerikanische Diplomatie aufgeweicht werden könnten. Den Krieg als diplomatische Chance genutzt und seinen Ausgang kalkuliert mitbestimmt zu haben, um danach die USA in eine optimale Verhandlungsposition zu führen, das gehörte vermutlich zu Kissingers Meisterleistungen. So gesehen, wurde der Yom-Kippur-Krieg als Ausgangspunkt für eine neue Nahost-Politik der USA in Clausewitz'scher Tradition genutzt. Kissingers diplomatische Zurückhaltung im Nahost-Konflikt in den Jahren 1969 bis 1973, seine instinktive Auffassung, daß der Konflikt vorerst unlösbar war, hängt vielleicht auch mit seiner politischen Grundauffassung zusammen, daß in politisch festgefahrenen Situationen erst durch Krieg und Chaos neue Ansatzpunkte für Verhandlungen entstehen können

Eine weitere Lehre des Krieges bestand darin, daß gemeinsame amerikanisch-sowjetische Bemühungen um Entspannung keinerlei Garantie dafür boten, daß regionale Konflikte ausgeschaltet werden konnten. Beide Groß-mächte waren nicht bereit, ihre Bündnisverpflichtungen gegenüber ihren Partnern im Nahen Osten auf dem Altar der Entspannung zu opfern. So blieben die vertraglichen Kodifizierungsversuche der amerikanisch-sowjeti-sehen Beziehungen und eine schrittweise Formalisierung der Entspannung abstrakt. Auffallend bei Kissingers Schritt-für-Schritt-Diplomatie ist der Unterschied zwischen der öffentlichen Formulierung der Interessenrhetorik und der realen Interessensubstanz der USA. Kissingers Überlegungen zielten nicht darauf ab, im Verbund mit der Sowjetunion, sondern auf deren Kosten die Rolle der USA im Nahen Osten zu vergrößern. Die amerikanische Diplomatie war unter einem geostrategischen Primat angelegt. Die Souveränität, Sicherheit und Lebensfähigkeit Israels, der Zugang zu den strategisch wichtigen Rohstoffen, die Sicherung der Olzufuhr in den Westen und eine Verschiebung der Machtbalance in der Region zugunsten der USA waren die Ziele, die in die Rhetorik des Machtgleichgewichts gehüllt waren.

Diplomatische Phantasielosigkeit und substantielle ökonomische Unzulänglichkeiten der Sowjetunion standen im krassen Gegensatz zum diplomatischen Geschick von Henry Kissinger und zur ökonomischen Stärke der USA.

Nicht nur eine kluge politische Handhabung des Instruments der Waffenlieferungen, sondern vor allem die Aussicht, daß die USA Wirtschaftshilfe für die beteiligten Parteien in Aussicht stellen würde, machte die westliche Führungsmacht im Nahen Osten attraktiv. Kissinger erreichte eine militärische Eindämmung des arabisch-israelischen Konflikts, eine politische Eindämmung der Sowjetunion im Nahen Osten sowie eine diplomatische Eindämmung der PLO. 2. Die Sicht der Regierung Carter Wurde unter Nixon und Ford die Loyalität zu den Verbündeten nach den strategischen Interessen der USA ausgerichtet und die Konflikte in der Dritten Welt als Testfall für die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion angesehen, suchte Carter nicht selten sowjetische Kooperation und Hilfe, um Konflikte gemeinsam auf Supermachtebene zu lösen Diese Prämissen der Carter-Administration führten 1977 zu einer Doktrin, die sich in ihren Ansprüchen scharf von der sogenann-ten Nixon-Doktrin unterschied, die die erste Hälfte der siebziger Jahre geprägt hatte.

Ähnlich verhielt es sich mit den Ansprüchen der neuen Nahost-Politik der Carter-Administration. Intellektuelle Fundierung und konkrete Durchführung der Nahost-Politik wurden unter Präsident Carter in einem nicht unbeträchtlichen Umfang von Persönlichkeiten mitgetragen, die die Schritt-für-Schritt-Diplomatie der Nixon-/Ford-/Kissinger-Administration kritisiert hatten und statt dessen eine umfassende Friedensregelung befürworteten

Da die israelische Regierung im September 1977 eine Beteiligung der PLO an der Genfer Außenministerkonferenz abgelehnt hatte, entschlossen sich die USA zu einem riskanten Schritt: Um ihre Nahost-Politik notfalls auch gegen Vorbehalte Israels durchzusetzen, versuchten sie eine gemeinsame Supermachtstrategie mit der Sowjetunion. Nach längeren Geheimverhandlungen veröffentlichten beide Staaten am 1. Oktober eine Erklärung, in der es hieß: „Die sowjetische und amerikanische Seite sind der Meinung, daß im Rahmen einer umfassenden Regelung des Nahost-Problems alle konkreten Fragen gelöst werden müssen, darunter derartige Schlüsselfragen wie der Abzug der israelischen Truppen von den während des Konflikts von 1967 okkupierten Territorien, die Palästina-Frage einschließlich der Garantierung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes, die Beendigung des Kriegszustandes und die Herstellung normaler friedlicher Beziehungen auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung der Prinzipien der Souveränität, der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit" Die USA und die UdSSR bekräftigten in dieser Erklärung zusätzlich ihre Absicht, die Genfer Konferenz bis spätestens Dezember 1977 wieder einzuberufen.

Israel betrachtete diese gemeinsame Erklärung als Diktat der Supermächte und lehnte alle Punkte ab; denn die USA hatten im September 1975 den Israelis fest zugesagt, daß amerikanisch-sowjetische Abmachungen nur nach amerikanisch-israelischen Absprachen — wie die vom 20. Dezember 1972 — möglich sind. Nun wurde Israel jedoch durch die neue Initiative der Carter-Administration mit ei-

nem „unilateral change in the terms-of-refe-rence of the Geneva Conference by a direct arrangement with the Soviet Union" konfrontiert. Die Israelis waren gegen eine Wiedereinbeziehung der PLO und der Sowjetunion in den Friedensprozeß, wurden doch Fortschritte seit 1973 nur gegen den Willen der Sowjetunion erreicht, die die arabischen Staaten der Ablehnungsfront und vor allem die PLO unterstützte. Selten ist in der Geschichte der amerikanisch-israelischen Beziehungen mit so wenigen Worten eine amerikanische Nahost-Initiative vom Tisch gefegt worden. So gesehen, beendete die Erklärung die erste Phase der Carter’schen Nahost-Politik, bei der Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten in den Methoden und nur wenig Gespür für die israelische Interessenlage deutlich wurden. Auch die innenpolitische Unterstützung für eine neue Nahost-Politik mit der Sowjetunion blieb aus. Die amerikanische Öffentlichkeit verstand nicht, warum die Carter-Administration die Sowjetunion wieder am Friedensprozeß im Nahen Osten beteiligen wollte, nachdem Kissinger sie diplomatisch geschickt isoliert hatte und die Ägypter die Sowjets nach langem Bemühen aus dem Land getrieben hatten.

Die amerikanisch-sowjetische Erklärung vom 1. Oktober 1977 bildete daher den Tiefpunkt amerikanischen Einflusses im Nahen Osten. Sie bewirkte einen enormen Prestigeverlust. Die Administration, die die Politik von Henry Kissinger als marginal, peripher unzureichend und amoralisch kritisierte, mußte sehr schnell erfahren, daß der Wunsch nach raschem Wandel im Nahen Osten seine Grenzen im Zwangskorsett der widersprüchlichen politischen Realitäten fand.

Wie nach dem Rogers-Plan, so war auch in der Carter-Administration ab September 1977 Konfusion die unmittelbare Folge. Neue Initiativen von außen schienen vorerst zu Erfolglosigkeit verurteilt. Niemand erkannte dies deutlicher als der ägyptische Präsident Sadat, der nun den Wandel durch eine eigene kühne Initiative zu erzwingen suchte. Vielleicht ist es eine Ironie der Geschichte, daß das Scheitern der amerikanisch-sowjetischen Initiative den Friedensprozeß — wenn auch in eine andere Richtung, als ursprünglich be-absichtigt — beschleunigt hat. Präsident Sadat, verärgert und enttäuscht über die amerikanische Bereitschaft, der Sowjetunion, von der sich Ägypten gerade gelöst hatte, eine zentrale Rolle im Nahen Osten wieder zuzugestehen, entschloß sich zum direkten diplomatischen Vorstoß.

Es gibt nur wenige politische Gesten, die in den siebziger Jahren so überrascht und zugleich so viele Hoffnungen geweckt haben wie die Reise von Präsident Sadat nach Jerusalem. Mit dem Mut der Verzweiflung übernahm Sadat die Initiative. Ägypten wurde nun — auch zur Überraschung der USA — zum Zentrum der Verhandlungsinitiativen. Der amerikanische Versuch, mit einer Strategie der Verlockungen gegenüber der Sowjetunion, Syrien und der PLO doch noch alle Beteiligten gemeinsam an den Genfer Konferenz-tisch zu bringen, war vorerst irrelevant geworden. Camp David reflektiert beide verhandlungspolitischen Ansätze: Einerseits sind die Abkommen von Camp David Ausdruck eines umfassenden Friedenswillens, andererseits stehen sie — dem Zwang der Umstände entsprechend — in der Tradition der realistischen Schritt-für-Schritt-Diplomatie von Henry Kissinger

In der historischen Distanz wird trotz aller Unzulänglichkeiten Camp David als ein zentraler Markstein der Außenpolitik der Carter-Administration in Erinnerung bleiben.

Herausragender Aspekt der Friedensverhandlungen war der Charakter der Dreiervereinbarungen. Die Vereinigten Staaten wirkten im direkten Verhandlungsprozeß als Makler und Initiator mit. Die Carter-Administration verpflichtete die USA Ägypten und Israel politisch, ökonomisch und militärisch zu unterstützen, um die vollständige Verwirklichung des Vertragswerkes zu garantieren. Es deutete sich an, daß die Carter-Administration den Prozeß des weltpolitischen Disengagements der USA beenden wollte und gleichzeitig im Nahen Osten unter Einbeziehung der historisch bisher verfeindeten Mächte Ägypten und Israel nun gewillt war, den Friedensprozeß im Nahen Osten zu fördern und als Sicherung der eigenen Interessen zu verstehen.

In bezug auf die zweite Weltmacht, die Sowjetunion, stellt diese Dreiervereinbarung ebenfalls ein Novum dar: Die beiden bisherigen Hauptkontrahenten im Nahen Osten, Ägypten und Israel, verbinden sich nicht nur bilateral, sondern unter Einschluß der USA gegen einen potentiellen Einfluß der Sowjetunion im Nahen Osten.

Camp David markiert die Abkehr des amerikanischen Präsidenten von seinen ursprünglichen Friedensstrategien für den Nahen Osten, die er gemeinsam mit der Sowjetunion verfolgen wollte. Präsident Carter war in die Fußstapfen der Schritt-für-Schritt-Diplomatie Henry Kissingers getreten — wenn auch weniger aus Einsicht, als vielmehr unter dem Zwang der Situation. Zugleich konnten die vertraglichen Grundlagen der Nahost-Diplomatie erweitert und der Rahmen für einen umfassenden Frieden erstellt werden.

II. Die Nah-und Mittelost-Politik der Regierung Reagan

Nicht im Rückblick auf Camp David, sondern in Erinnerung an das Debakel der USA im Iran vollzog die Regierung Reagan einen Wandel in der Nah-und Mittelost-Politik. Hauptsäulen für das Konzept des strategischen Konsenses bilden die Staaten Israel, Ägypten und Saudi-Arabien, die als strategisches Bollwerk gegen den sowjetischen Einfluß im Nahen Osten dienen und die Interessen der USA garantieren sollen 1. Die Rolle Israels in der amerikanischen Nah-und Mittelost-Politik Die anfängliche pro-arabische Note im Konzept des strategischen Konsenses der Regierung Reagan und der Verkauf des AWACS-Systems an Saudi-Arabien hatten Israel politisch und militärisch verunsichert. Deshalb verlangte Premierminister Begin bei seinem Besuch in Washington im September 1981 als Ausgleich für das arabische AWACS-Geschäft verstärkte Militärhilfe und den Ausbau der Beziehungen zwischen beiden Staaten zu einer engeren bilateralen Allianz.

Am 30. November 1981 wurde schließlich zwischen den Verteidigungsministern Weinberger und Sharon ein strategischer Konsens in einem Abkommen fixiert, das dem neuen amerikanischen Konzept zu entsprechen schien, Beide Länder fürchteten den sowjetischen Einfluß. Israel sieht jedoch im Unterschied zu den USA die Bedrohung durch die Araber als vorrangige Gefahr und damit in der gemeinsamen Abmachung eine Möglichkeit, die amerikanische Strategie so eng an die eigene zu binden, daß den seit der Carter-Administration wachsenden Israel-kritischen Tendenzen in der amerikanischen Nahost-Politik entgegengewirkt werden kann. Da die Abmachungen nach Maßgabe des strategischen Konsenses mit den beiden führenden arabischen Staaten Ägypten und Saudi-Arabien die Dominanz und Exklusivität der amerikanisch-israelischen Beziehungen verringert hatten, bot sich nun eine willkommene Gelegenheit, diesen besonderen Charakter wiederherzustellen

Die amerikanisch-israelischen Beziehungen verschlechterten sich, als am 7. Juni 1981 das Atomzentrum bei Bagdad von der israelischen Luftwaffe zerstört wurde. Diese militärisch perfekt durchgeführte Operation erwies sich als schwerer außenpolitischer Rückschlag für die amerikanischen Interessen und für die Gesamtlage im Nahen Osten.

Die Regierung Reagan verurteilte den Angriff und stoppte vorübergehend die Lieferung von i vier F-16-Flugzeugen. Aber innerhalb der Reagan-Administration gingen die Meinungen über den einzuschlagenden Weg auseinander: Einerseits wurde die Ansicht vertreten, daß die USA den arabischen Staaten die Ausgewogenheit ihrer Nahost-Politik beweisen und folglich Isreal bestrafen müßten, andererseits fand der kühne militärische Schlag gegen den mit der Sowjetunion befreundeten Irak versteckte Zustimmung. Außerdem war unter dem anti-sowjetischen und israel-freundlichen Primat des strategischen Konsenses, wie er gerade von Außenminister Haig entwickelt wurde, die Zerstörung eines Nuklearreaktors auf dem Territorium eines mit der Sowjetunion formal verbündeten Staates keine Tragödie, sondern bewies, daß Israel zu empfindlichen Schlägen gegen einen sowjetfreundlichen Staat bereit war

Entscheidend war jedoch, daß die USA durch gemeinsame amerikanisch-israelische Bemühungen um strategischen Konsens und durch Duldung israelischer Aggressivität im arabischen Lager ihr überparteiliches Maklerprofil verloren. Die Libanon-Mission des amerikanischen Sonderbotschafters Habib wurde durch diese Aktion ebenfalls erschwert.

Nach dem Angriff auf den irakischen Reaktor im Sommer 1981 hätte die Regierung Reagan das offizielle Konzept des strategischen Konsenses gegenüber Israel neu überdenken müssen. Nicht Vertiefung der strategischen Beziehungen durch Abkommen, sondern Distanz und kritisches Einwirken auf den neuen aggressiven Kurs der israelischen Regierung wären notwendig gewesen.

Nach der Annexion Jerusalems am 30. September 1980, nach den Angriffen auf den Süd-Libanon und auf den irakischen Kernreaktor bedeutete nun die Annexion der Golan-Höhen einen weiteren schweren Schlag gegen den Camp-David-Friedensprozeß.

Die amerikanische Verurteilung war einhellig: Verteidigungsminister Weinberger erklärte, das Gesetz sei sehr provokativ, wirke destabilisierend auf die labile Lage im Nahen Osten und sei eine klare Verletzung der UNO-Resolutionen und des Abkommens von Camp David. Ähnlich äußerten sich der frühere israelische Ministerpräsident Rabin und der Oppositionsführer Peres. Beide warfen Begin vor, die Demokratie in Israel aufs Spiel zu setzen und das Ende des Camp-David-Friedensprozesses zu provozieren

Israels Annexion stand auch im Gegensatz zum syrisch-israelischen Entflechtungsabkommen vom 31. Mai 1974. Durch diese Maßnahme blockierte Israel den Friedensprozeß politisch und psychologisch. Dahinter stand die Absicht, die arabische Ablehnungsfront unter Führung Syriens zu stärken und die PLO zu radikalisieren. Verschärfte Militanz und Unnachgiebigkeit der Palästinenser würde Israels Intransigenz rechtfertigen. So tat die Regierung Begin alles, um ein radikales und verhandlungsunwilliges Feindbild der Palästinenser und Araber mit aufzubauen.

Mit der Annexion negierte Israel das zwei Wochen zuvor unterzeichnete Abkommen zur strategischen Kooperation mit den USA; denn dies verpflichtete die Unterzeichner zur Rücksichtnahme auf die politischen Interessen des Verhandlungspartners.

Zwar zeigte der Rücktritt der USA von der gemeinsamen amerikanisch-israelischen Vereinbarung zunächst kaum konkrete Auswirkungen, aber der Schritt besaß symbolische Bedeutung. Die USA hatten noch nie derart kritisch auf Aktionen Israels reagiert. Außenminister Haig erklärte, die israelische Führung müsse endlich begreifen, daß amerikanische Hilfe und Freundschaft nicht als Blankoscheck genommen werden dürfen Selbst langjährige Verteidiger israelischer Interessen im Senat, wie der Mehrheitsführer der Republikanischen Partei, Howard Baker, oder der Demokrat Alan Cranston, Cal., unterstützten die Suspendierung des Memonrandums und die von Präsident Reagan vertretene Auffassung, daß Premierminister Begin den Bogen überspannt habe

Die israelische Reaktion auf amerikanische Sanktionen war heftig. Die USA behandelten Israel „wie eine Bananenrepublik und die Israelis wie 14 Jahre alte Kinder". Israel sei „kein Vasall und werde seine legitimen Interessen wahrnehmen' Israel verwahrte sich maliziös gegen jegliche Art von Bestrafung: „Wir haben die Geschichte des vietnamesischen Krieges gelesen, die USA haben kein moralisches Recht, uns zu belehren."

Nach der Annexion der Golan-Höhen und der israelischen Kündigung des gemeinsamen Abkommens zur strategischen Kooperation waren die Beziehungen an einem neuen Tief-punkt angelangt, der dem Camp-David-Friedensprozeß abträglich war und die amerikanische Position im Nahen Osten schwächte.

Frieden ohne Golan-Höhen oder Golan-Höhen ohne Frieden, das schien bis zum Dezember 1981 die klare Alternative für Israel. Mit der Entscheidung zur Annexion versuchte Premierminister Begin, diese Quadratur des Kreises zu überwinden: Frieden und Annexion der Golan-Höhen. Damit hatte er aber die Eskalationsspirale im arabisch-israelischen Konflikt erneut in Bewegung gesetzt. 2. Der Krieg im Libanon Der Sonderbeauftragte Habib konnte im Juli 1981 nur eine labilen Waffenstillstand im Libanon aushandeln. In der ersten Jahreshälfte 1982 drängten Präsident Reagan und Kräfte im Kongreß die israelische Regierung mehrfach nachdrücklich zur Einhaltung des Waffenstillstandes und warnten vor einer Eskalation des Konflikts Beim Besuch des israelischen Verteidigungsministers Sharon in Washington Ende Mai 1982 wurde aber deutlich, daß Israel militärische Aktionen im Libanon planen würde, die allerdings nur einen gezielten Angriff gegen die PLO beinhalten sollten. Erneut wurde die klassische Ambivalenz der Haltung der Regierung Reagan erkennbar: gefühlsmäßige Abneigung gegenüber der PLO und Sympathie für die Israelis standen im Widerspruch zu der vernünftigen Überlegung, daß durch einen Angriff der Israelis auf die PLO im Libanon der geplante umfassende Friedensprozeß geschwächt werden könnte. „Friede für Galiläa" lautet das offizielle israelische und zunächst begrenzte Kriegsziel, das angesichts der jahrelangen Übergriffe der PLO auf Nord-Israel verteidigungspolitisch motiviert schien

Als die Israelis am 6. Juni 1982 im Libanon einmarschierten, überrannten sie auch syrische Truppen und zerstörten am 9. Juni die syrischen Luftabwehrraketen im Bekaa-Tal, um sich die Lufthoheit für Luftwaffenangriffe auf Beirut zu sichern, die am 10. Juni begannen. Zwar erreichte der amerikanische Unterhändler Habib einen israelisch-syrischen Waffenstillstand, aber die geforderte Waffenruhe zwischen Israel und der PLO wurde mehrfach gebrochen; am 13. Juni erreichten die Israelis West-Beirut und die PLO wurde eingeschlossen. Während Israel durch Bombardierung und militärischen Druck die PLO zur Kapitulation zu drängen versuchte, bemühte sich diese'um physisches, militärisches und politisches überleben. Isreal wurde von den USA vor einem Sturm auf Beirut, der einen erbitterten Straßenkampf und hohe is-raelische Verluste mit sich gebracht hätte, nur mit Mühe zurückgehalten. Dank der diplomatischen Intervention von Habib kam es schließlich am August zu einem Waffenstillstand und zu einem Plan für den Abzug der PLO, der von einer multinationalen Streit-macht, bestehend aus je 800 Soldaten aus den USA und Frankreich sowie 400 Italienern überwacht wurde und am 1. September abgeschlossen werden konnte. Mehr als 11 000 Palästinenser wurden in acht verschiedene arabische Staaten evakuiert 20).

Zu diesem Zeitpunkt schien das amerikanische Krisenmanagement erfolgreich; denn dank amerikanischer Vermittlung war am 20. August die Grundlage geschaffen worden, «die notwendig ist, um die volle Souveränität, Einheit und territoriale Integrität Libanons wiederherzustellen, den raschen Abzug aller fremden Truppen ... zu erreichen und zur Gewährleistung der Sicherheit des nördlichen Israel beizutragen" -

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung Reagan gegenüber den isrealischen Aktionen eine überwiegend abwartende Position bezogen. Punktuelle Kritik am militärischen Vorgehen der Israelis kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die amerikanische Regierung stillschweigend einige zentrale politische Vorstellungen der Israelis teilte

Durch die militärischen Aktionen wurden der Süd-Libanon und Beirut von der PLO befreit;

damit wurde Nord-Israel vor PLO-Übergriffen sicher. Die PLO sollte auch als politischer Faktor im Nahost-Friedensprozeß entscheidend geschwächt werden. Die politische Konstellation im Libanon würde nach der Niederlage der PLO neue Einflußmöglichkeiten bringen. Die bevorstehende Präsidentenwahl im Libanon bot die Chance, mit Bechir Gemayel einen Friedensvertrag abzuschließen und Israels Einfluß im Libanon zu verstärken.

Wie schon der Yom-Kippur-Krieg 1973, so erschien auch die Libanon-Krise als Schmelztie-gel, um den Friedensprozeß neu zu formen.

Seit Monaten war der Druck in der öffentlichen Meinung — nicht nur in den USA — gewachsen, die amerikanische Regierung müsse endlich im Nahen Osten diplomatische Initiativen ergreifen. Nachdem Israel an seiner Nordgrenze keine unmittelbare Gefahr mehr von palästinensischen Angriffen drohte, hofften die USA daß sich nun eine Gelegenheit bieten würde, Israel zu Verhandlungen im Rahmen von Camp David zu drängen Aber weil sich Ende August 1982 heraus-schälte, daß Israel seine Kriegsziele ausdehnen, seine militärische Präsenz festigen und seinen politischen Einfluß im Libanon permanent gestalten wollte, war die umfassende amerikanische Friedensinitiative vom 1. September 1982 nicht nur Ausdruck einer Chance, sondern ließ Eile erkennen, nachdem man in Washington zu lange Israels Aggressivität im Nahen Osten toleriert hatte.

In einem umfassenden Zusammenhang symbolisierte die politische und militärische Ausdehnung der israelischen Kriegsziele, daß nun auch das letzte Kettenglied des amerikanisch-israelischen strategischen Konsenses zersprungen war.

Vermutlich wünschte die Regierung Reagan keine Invasion des Libanon. Hatte sie aber nicht den Weg für die neue Logik der Regierung durch ihren neuen Primat der militärischen Stärke geebnet, der als Ultima ratio der Außenpolitik betont wurde? Hatte Verteidigungsminister Sharon nicht lediglich das ausgeführt, was er bei den neuen konservativen Kräften in Washington hörte: Eliminierung der PLO. Eine Kettenreaktion war die Folge: Begin hielt sich an die palästinenser-feindliche Rhetorik der Regierung Reagan, Sharon hielt sich an Haigs Zustimmung und setzte Begins säkularisierten Zionismus in Eroberungspolitik um. So konnten amerikanische Zweideutigkeiten gegenüber Israel von Begin und Sharon als Zustimmung interpretiert werden, bevor die USA Israel vor einer Invasion zurückhalten konnten. Der Fahd-Plan vom August 1981 und der arabische Gipfel in Fes im November 1982 begannen Wirkung zu zeigen wie auch die neuen diplomatischen Bewegungen innerhalb der PLO. Dem galt es aus israelischer Sicht zuvorzukommen: Bevor die PLO neue diplomatische Realitäten schaffen konnte, bevor Reagan Israel substantiell in eine Lösung des Nahost-Konflikts einbinden konnte, wollte Israel selbst neue militärische Fakten schaffen.

Gleichzeitig sollte dann durch Verschleppungstaktik in der Libanon-Frage der Friedensprozeß im Zentrum Westbank und Gaza auf Eis gelegt werden. Den Palästinensern und Arabern sollte signalisiert werden, daß Israel weder durch Krieg noch durch Verhandlungen seine Ziele aufgeben, sondern den arabischen Widerstandswillen auf der Westbank endgültig brechen werde.

Während die USA hofften, daß ihr grünes Licht für Israel im Libanon israelische Konzessionsbereitschaft in der Autonomiefrage in den besetzten Gebieten fördern könnte, waren Begin und besonders Verteidigungsminister Sharon daran nicht interessiert, überspitzt formuliert: Während die Regierung Reagan vielleicht eine Chance sah, daß durch die israelischen Aktionen die PLO an den Verhandlungstisch „gebombt werden könnte", setzte die Regierung Begin auf militärische und politische Vernichtung der PLO einschließlich ihrer wissenschaftlichen Intelligenz, deren Institutionen sich in Beirut konzentrierten, sowie auf eine Radikalisierung der Rest-PLO unter syrischer Schirmherrschaft, um damit die eigene Politik in den besetzten Gebieten um so nachhaltiger begründen zu können.

Aber nach dem von Botschafter Habib ausgehandelten Waffenstillstand und Abzugsplan für die PLO vom 20. August 1982 entwickelte sich die Lage im und um den Libanon nicht im Sinne der amerikanischen Vorstellungen. Der am 23. August zum libanesischen Präsidenten gewählte Bechir Gemayel fiel am 14. September, einen Tag nach dem Abzug der multinationalen Friedenstruppe, einem Bombenanschlag zum Opfer. Um weitere Unruhen zu verhindern — so das israelische Argument —, rückten am 15. September 1982 unter Bruch des Waffenstillstands israelische Truppen wieder in West-Beirut ein. Nachdem die muslemischen und linken libanesischen Milizen erfolgreich bekämpft worden waren, strebten die Israelis eine Säuberung der Palästinenser-Lager an. Die christlichen und falangistischen Milizen sollten im Auftrag der Israelis die Lager nach verbliebenen Palästinenser-Kämpfern „durchkämmen". Dabei ließen es die Israelis zu, daß zum Teil vor ihren Augen die christlichen Milizen in den Lagern Sabra und Chatila 36 Stunden lang, vom 16. bis 18. September, ein grauenvolles Massaker an 900 Palästinensern — auch an Frauen, Kindern und Schwerverletzten in Hospitälern — begingen

Im Libanon-Krieg von 1982 entwickelte sich der David Israel zum neuen Goliath des Nahen Ostens, der ein kleines Land besetzte und dessen Hauptstadt zerstörte, ohne daß Israels tatsächliche Existenz bedroht gewesen wäre. Mit einer Strategie der Täuschung strebte Israel nicht nur nach Zerstörung der PLO und der Sicherung seiner Nordprovinzen, wie offiziell erklärt wurde, sondern die Regierung Begin besetzte fremdes Territorium und suchte andauernden politischen Einfluß, auch um den Preis der territorialen und politischen Zerstückelung oder Auflösung des kleinen Landes. Erstmals führte Israel keinen Verteidigungs-, sondern einen Angriffskrieg und schreckte nicht davor zurück, die amerikanischen Friedenstruppen wie auch die amerikanische Diplomatie zu provozieren.

Am 16. Mai 1983 wurde unter Vermittlung des US-Sonderbotschafters Habib ein israelisch-libanesisches Abkommen unterzeichnet, das den Rückzug ausländischer Truppen aus dem Libanon regeln soll. Folgende Punkte sollten hierdurch geregelt werden: .

Beendigung des Kriegszustandes nach Abzug der israelischen Truppen, Verzicht auf feindselige Aktionen und Propaganda, die gegen die andere Seite gerichtet sind, Bekräftigung Libanons, sein Territorium von keinem Staat und keiner Gruppe als Basis für gegen Israel gerichtete Aktionen benutzen zu lassen, Errichtung eines gemeinsamen Ausschusses zur Überwachung des Waffenstillstands unter Beteiligung der USA als dritter Partei, eventuelle Ergänzung oder Ersetzung des Abkommens durch ein anderes

Auch hier stellt sich die Frage, ob die USA — ähnlich wie beim Camp-David-Abkommen — es unterließen, entscheidende Beteiligte zu wenig oder gar nicht berücksichtigt zu haben. Wie Jordanien, Saudi-Arabien und Syrien beim Camp-David-Abkommen unerwähnt blieben und in der Folge dagegen opponierten, so wurde nun Syrien nicht beteiligt und folglich zum Hauptakteur, der dieses Abkommen bekämpft

Nach dem Teilrückzug der israelischen Streitkräfte aus der Umgebung Beiruts und den Schuf-Bergen, in denen sich libanesische Drusen und Christen bekämpfen, erhärtet sich die Vermutung, daß Israel sich auf Präsenz im Süd-Libanon einstellt. Die Rückführung israelischer Truppen an den Awali-Fluß bedeutet vielleicht auf lange Sicht die Festschreibung der de-facto-Teilung des Libanon. Zu den umstrittenen besetzten Gebieten der Westbank und den Golanhöhen könnte nun noch eine „Nordbank" im Libanon hinzukommen. Ein weiteres Element von strategischem Dissens mit den USA, aber taktischem Konsens mit Syrien könnte dabei deutlich werden: Während die USA im Libanon Frieden und Ausgleich sowie staatliche Souveränität und Stärkung der Regierung Gemayel wünschen, tritt Israel in eine taktische Allianz mit Syrien, denn es wünscht ebenso wie Syrien eine begrenzte Anarchie im Libanon. Nur wenn deutlich wird, daß durch die israelische Armee Ruhe und Ordnung hergestellt werden kann, kann Israel im Süden, wie Syrien auch im Nordosten, seine Präsenz „legitimieren“. 3. Die Friedensinitiative Reagans vom September 1982 a) Hintergrund Den Hintergrund für die Initiative bildete das Scheitern des Konzepts vom strategischen Konsens mit Israel, das sich in der rücksichtslosen Wahrnehmung israelischer Interessen über die bisher besetzten Gebiete hinaus im Libanon manifestiert.

Weil die Regierung Reagan die israelischen Sicherheitsbedürfnisse im Konzept des strategischen Konsenses nicht mit dem vorrangig politischen Problem der Autonomiefrage auf der Westbank und im Gaza koppelte, stellte sie — gewollt oder ungewollt — der israelischen Regierung einen Blankoscheck aus. Sie Versäumte, die Ratio des arabisch-israelischen Friedensprozesses — Land gegen Sicherheit und Anerkennung — zur Grundlage des gemeinsamen strategischen Konzepts zu ma-eben, statt dessen stellte sie die Ratio des Abkommens vorrangig auf die wenig wahrscheinliche anti-sowjetische Gemeinsamkeit ab. Nicht allein der militärisch-strategische Primat der USA gibt Anlaß zur Kritik, sondern daß die Natur der militärisch-strategischen Bedrohung auf irrealen Prämissen beruht. Es war ja den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahrzehnt aufgrund diplomatischer Überlegungen gelungen, sowohl eine militärische Bedrohung der Sowjetunion als auch deren diplomatischen Einfluß im Nahen Osten auszuschließen.

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Nahost-Politik der Regierung Reagan in ihrer ersten Phase all das vernachlässigte, was Klugheit und Geschicklichkeit der amerikanischen Nahost-Politik der siebziger Jahre ausgemacht hatte: Es fehlte das Element der Verknüpfung der Probleme, um somit wechselseitige Anreize für den Friedensprozeß zu bieten.

Statt dessen wurde mit dem Konzept des strategischen Konsenses die Interessenvielfalt der Staaten im Nahen und Mittleren Osten in ein Korsett geschnürt, das die arabischen Staaten zähneknirschend anzogen. Israel hingegen weigerte sich und stülpte statt dessen den USA selbst ein strategisches Korsett über, das nun die USA einschnürt.

Während es Nixon, Ford und Carter verstanden, Eindämmung primär als politisches Konzept im Nahen Osten durchzusetzen, die Konfliktherde in der Region zu begrenzen und die USA an einer regionalen Friedensstruktur Schritt für Schritt mit umfassender Perspektive zu beteiligen, behandelte die Reagan-Administration in ihrer ersten Phase sowohl den Camp-David-Friedensprozeß als auch arabische Friedensinitiativen wie den Fahd-Plan mit grober Nachlässigkeit. Statt dessen bemühte sich die Regierung Reagan um einen strategischen Konsens, der alle brisanten Konfliktformationen im Nahen Osten und der Golfregion einebnete und auf Supermachtebene transformierte. Das komplizierte innerarabische Machtbalancesystem und der arabisch-israelische Konflikt wurden dabei vernachlässigt. Der substantielle Grundgedanke des Konzepts des strategischen Konsenses war schlüssig, aber die Art und Weise seiner Implementierung war bisweilen grobschlächtig. Eine weitere Gefahr im Konzept des strategischen Konsenses bestand darin, daß die Bindungen der arabischen Ablehnungsfront an die Sowjetunion noch intensiver geknüpft würden. Ungewollt könnte dadurch eine amerikanisch-sowjetische Polarisierung, eine innerarabische Polarisierung und zugleich verstärkter Druck auf die gemäßigten Staaten Libanon, Jordanien und Saudi-Arabien entstehen, die im Polarisationsfeld der beiden Supermächte und durch innenpolitische Unruhen neuen Zerreißproben ausgesetzt werden könnten. Eine verstärkte Anti-Israel-Haltung, wachsender Anti-Amerikanismus, islamischer Fundamentalismus und Nationalismus könnten eine Symbiose mit sowjetisch-arabischprogressistischen Strömungen eingehen. Nicht die Sowjetunion wurde abgeschreckt, sondern vielmehr die arabischen Staaten, deren politische Zustimmung es aus amerikanischer Sicht zu gewinnen gilt.

Allerdings darf nicht übersehen werden, daß das Konzept des strategischen Konsenses auch positive Elemente beinhaltete: Araber, aber auch Westeuropäer neigten zu der Annahme, daß mit einer Regelung der Palästinenser-Frage automatisch alle anderen Probleme in der Region gelöst werden könnten. Die Entwicklungen in Iran, Afghanistan, im Libanon, sowie der irakisch-iranische Krieg haben deutlich gemacht, daß es in der Region auch andere Gefahrenherde gibt. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß im Rahmen des strategischen Konsenses bedeutende Militär-und Wirtschaftshilfe von den USA geleistet worden ist. Auch der potentielle Abschreckungseffekt, der dem Konzept des strategischen Konsenses innewohnt, darf nicht unterschätzt werden. Im übrigen bestand die Nahost-Politik der Regierung Reagan nicht nur aus öffentlicher Rhetorik und verteidigungspolitischen Maßnahmen, sondern auch aus einer Fülle von bilateralen Geheimkontakten und Verhandlungen mit den verschiedenen Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten. Die Krise im Libanon und die Krise im syrisch-israelischen Verhältnis sind nicht zuletzt durch den amerikanischen Sonderbotschafter Habib beigelegt worden, wie auch letzte Meinungsverschiedenheiten zwischen Ägyptern und Israelis vor der Rückgabe des Sinai von Unterstaatssekretär Stoessel beseitigt werden konnten.

Sowohl im Libanon-Konflikt als auch im iranisch-irakischen Krieg schwand der Einfluß der Sowjetunion weiter, so daß eine völlig paradoxe Situation entstand: die USA entwikkelten ein anti-sowjetisches Konzept des strategischen Konsenses bei schwindender Bedrohung durch die Sowjetunion. b) Inhalt und Wirkung aulIsrael Mit seiner Initiative vom 1. September 1982 machte Präsident Reagan deutlich, daß die USA die Politik im Nahen Osten aktiv in die Hand nehmen wollten Die Grundlage wurde durch den rechtlichen Rahmen und durch die politischen Perspektiven des Camp-David-Abkommens festgelegt. Es enthielt genügend Spielraum für alle Parteien, um in Verhandlungen einzutreten. Reagans Vorschläge waren deshalb auf einen Kompromiß zugeschnitten, Maximalpositionen sollten von allen Seiten aufgegeben werden:

— Die Palästinenser sollten die Existenz Israels, aber auch die Tatsache anerkennen, daß für einen eigenen souveränen Palästinenser-Staat kein Raum vorhanden ist. Statt dessen plädierte Reagan für die sogenannte Jordanische Option: Der endgültige Status der von Israel besetzten Gebiete müsse in Verhandlungen festgelegt werden, aber es sei die feste Absicht der USÄ, daß die Selbstregierung der Palästinenser auf der Westbank und im Gaza in Assoziation mit dem Königreich Jordanien die besten Aussichten für ein dauerhaftes Ergebnis biete.

— Die Israelis müßten vorab ihre Siedlungspolitik revidieren. Diese stelle das Haupthindernis bei der Suche nach einem Frieden dar. Ebenso wurden die Israelis aufgefordert, politische Autonomie zu gewähren.

So bildeten die Kontrolle Israels über die besetzten Gebiete einerseits und die arabischen Forderungen nach einem souveränen Palästinenser-Staat andererseits Scylla und Charybdis im Nahen Osten, die Präsident Reagan mit seinem Vorschlag zu umschiffen suchte. Versuchte Präsident Reagan unter Berufung auf Camp David, Israel zu Verhandlungen zu bewegen, so erklärte die Regierung Begin un-j ter Berufung auf Camp David, die USA hätten mit diesem Vorschlag vom 1. September die Grundlagen von Camp David verlassen.

Die Crux von Camp David besteht demnach darin, daß beide Seiten völlig konträre Auffas ! sungen über Inhalt und Interpretation der Vereinbarungen haben. Analog zum Berlin-; Abkommen vom September 1971, das aller-; dings weniger Dissens beinhaltet, könnte man von Positionen sprechen, nach denen die USA eine . volle Anwendung', Israel dagegen eine . strikte Einhaltung'von Camp David fordern Präsident Reagans Vorschlag, den arabischen Einwohnern im Gaza und auf der Westbank die Verantwortung für die innere Sicherheit aufzuerlegen, steht im Gegensatz zur israelischen Position, aber im Einklang mit dem Rahmenabkommen von Camp David, in dem die Aufstellung einer starken örtlichen Polizeitruppe gefordert wird.

Reagan versuchte, mit seiner Initiative sowohl der inneren als auch der äußeren Seite des Sicherheitsproblems die Verhandlungsschärfe zu nehmen, indem er mit Rücksicht auf israelische Interessen die Errichtung eines unabhängigen Palästinenser-Staates ebenso ausschloß wie mit Rücksichtnahme auf arabische Interessen die mögliche Annexion oder permanente Kontrolle durch Israel.

In Übereinstimmung mit Camp David forderte der amerikanische Präsident die friedliche und geordnete Übertragung der inneren Verwaltung auf die palästinensischen Einwohner in der zweiten Phase von Camp David. Israels Befürchtungen, daß dabei dem palästinensischen Terrorismus Tür und Tor geöffnet werde, wurde in Reagans Überlegungen voll Rechnung getragen, denn Zweck der fünfjährigen Übergangsperiode, die nach freien Wahlen zu einer palästinensischen Selbstverwaltung einsetzt, ist es, „den Palästinensern zu beweisen, daß sie sich um ihre Angelegenheiten selbst kümmern können, und zu beweisen, daß eine solche palästinensische Autonomie keine Bedrohung der Sicherheit Israels darstellt“

Deshalb versucht Israel, Verhandlungen über den endgültigen Status zu vermeiden, während Reagan, ganz im Einklang mit Camp David, nach . voller Anwendung'der Vertrags-grundlage drängt, weil nur so die Forderungen schrittweise in den einzelnen Phasen von allen angesprochenen Parteien verhandlungspolitisch in Einklang gebracht werden können. Mit dieser Position der . strikten Einhaltung'von Camp David versucht Israel, den gegenwärtigen Status quo territorial und politisch einzufrieren.

Mit der strikten Ablehnung eines souveränen Palästinenser-Staates wird gleichzeitig Jordaniens Interessen Rechnung getragen. Die offizielle Unterstützung der USA für Jordaniens historische Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit soll sowohl der Zielsetzung der

PLO als auch einer eventuellen Annexion der Westbank durch Israel vorbeugen. Gerade unter diesem Aspekt steht die Initiative von Präsident Reagan in der Tradition von Henry Kissinger und Jimmy Carter. 4. Die Auswirkungen auf die arabischen Staaten und die PLO Auf dem 12. arabischen Gipfel in Fes am 9. September 1982 wurde erkennbar, daß die arabischen Staaten auf die diplomatische Initiative von Präsident Reagan diplomatisch reagierten: Man erkannte Reagans Verhandlungswillen an, ging jedoch nicht offiziell auf die jordanische Option ein, sondern forderte einen unabhängigen Palästinenser-Staat. Der Verhandlungsauftrag für die PLO wurde bestätigt

Die Reaktion der Regierung Reagan auf den Gipfel von Fes war vorsichtig; sie interpretierte die Resolution und die Erklärungen von König Hassan auf dem Gipfel als indirekte Anerkennung Israels Es war aber unübersehbar, daß die beiden zentralen Modifikationen, Rolle der PLO und die Forderung nach einem souveränen Palästinenser-Staat, mit dem Plan von Präsident Reagan unvereinbar waren. Aber im Vergleich zur Zurückweisung der Camp-David-Abkommen durch die Arabische Liga schien nun eine Annäherung zwischen den USA und der arabischen Welt möglich. Der Fahd-Plan, die Reagan-Initiative und der arabische Friedenplan von Fes dokumentieren diese Entwicklung. 5. Die Hussein-Arafat-Gespräche Die jordanische Option repräsentiert die unerfüllte Grundidee vom Camp David. Sie ist zugleich Verbindungsstück zwischen Kissingers Schritt-für-Schritt-Diplomatie und Präsident Carters Camp-David-Konzept Sie wird damit zum herausragenden Kontinuitätsmerkmal der Nahost-Politik von Präsident Reagan, läßt jedoch die Frage nach dem endgültigen politischen Status offen. Seine Initiative ist elastisch geblieben, konzentriert sich aber auf eine herausragende Rolle von König Hussein. Premierminister Begin hingegen wandte sich gegen die jordanische Option, weil durch eine mögliche jordanisch-palästinensische Föderation ein völlig unkontrollierbares palästinensisches Terroristenlager voller Sowjetwaffen im Westjordan und Gaza entstehen könne

Als Reaktion auf Reagans Initiative kündigte König Hussein seine Bereitschaft an, mit der PLO über eine Konföderation zwischen Jordanien und einem zu bildenden Palästina zu verhandeln.

Hussein suchte zunächst den Kompromiß mit der PLO, denn solange sich Israel in Zukunft weiter konzessionslos verhält, würde für die PLO ein mit Jordanien verbundener autonomer Staat eine günstigere Lösung darstellen als ein für Israel völlig indiskutabler autonomer Palästinenser-Staat auf der Westbank. Als zweite Stufe, nach erfolgreichen Gesprächen zwischen Hussein und Arafat, sollte auf der Basis eines gemeinsamen Aktionsplanes ein Dialog mit den USA geführt werden, um langfristig zu einer Föderation zu gelangen. Dabei befürchtete aber die PLO, daß dieser Plan auf eine Rückkehr der seit 1967 besetzten Westbank unter jordanische Herrschaft hinauslaufen könnte, die der Forderung nach einem unabhängigen Palästinenser-Staat widerspräche

Husseins Gespräche mit Arafat, seinem einstmaligen Todfeind, drehten sich um die Frage des Mandats für derartige Gespräche und um die politische Rolle des Königs.

So bestand das Hauptinteresse von König Hussein bei den Gesprächen mit Arafat darin, bei Vorverhandlungen mit den USA nicht im Alleingang wie 1972, sondern mit arabischer und vor allem palästinensischer Rückendekkung zu handeln. Hussein wird aber nur dann arabische Unterstützung erhalten, wenn er die USA dazu bewegen kann, auf Israels Politik einzuwirken. Wenn den USA in Israel kein Stopp der Siedlungspolitik, kein Rückzug der Israelis aus dem Libanon gelingen sollte, müßte Hussein aus innerarabischen Rücksichten seinen diplomatischen Vorstoß ebenso wie PLO-Chef Arafat zurückziehen. Sonst droht beiden Isolierung oder Niederlage

Die jordanisch-palästinensischen Gespräche brachen ein Jahr nach ihrem Beginn im September 1983 zusammen, weil die PLO dem mit Arafat erzielten vorläufigen Verhandlungsergebnis insgesamt nicht zustimmen konnte. Vor allem Syrien drängte die radikaleren Palästinenser-Gruppierungen, keine Gespräche mit König Hussein über eine Konföderation zu führen, weil es befürchtete, nach der Schaffung einer Konföderation seinen zentralen Einfluß auf die PLO zu verlieren. Als am 14. Februar 1983 in Algier der Palästinensische Nationalrat zum ersten Mal seit der Evakuierung der PLO aus dem Libanon zusammentrat, um eine gemeinsame Linie festzulegen, dominierten die kompromißlosen PLO-Führer wie George Habbash (PFLP), Nayif Hawatmah (DFLP) und Ahmad Jibril (PFLP-GC), während gemäßigte PLO-Führer in der Defensive blieben. Issam Sartwai kam erst gar nicht zu Wort, und den Palästinensern aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen war es kaum möglich, an der Tagung teilzunehmen. Dies schwächte den gemäßigten Flügel der PLO entscheidend

Weil aber der Nationalrat die Initiative von Präsident Reagan nicht ausdrücklich abgelehnt hatte, hoffte Arafat auf Zustimmung und Konsens für die Gespräche mit König Hussein, die zunächst fortgesetzt wurden. Als aber Arafat den anderen PLO-Führern Anfang April in Kuwait erklärte, daß er zustimme, daß König Hussein Gespräche mit den USA und Israel mit dem Ziel einer palästinensischen Autonomie im Westjordanland aufnehmen solle, entzogen diese ihm ihre Unterstützung. So mußte König Hussein am 10. April 1983 die Gespräche für gescheitert erklären: „Mit Blick auf die Resultate der Bemühungen, die wir mit der PLO unternommen haben, und in Übereinstimmung mit den Resolutionen der Gipfelkonferenz von 1974 in Rabat und unter der strikten Achtung vor der Unabhängigkeit der palästinensischen Entscheidung, respektieren wir die Entscheidung der PLO, die einzige und legitime Repräsentantin des palästinensischen Volkes zu sein ... Demzufolge überlassen wir es der PLO und dem palästinensischen Volk, die Wege und Möglichkeiten für ihre Rettung und die ihres Landes und diejenige Art und Weise zu wählen, die ihnen gerecht erscheint, die Realisierung ihrer erklärten Ziele zu erreichen." Aber schon im April 1983 waren die Verhandlungen ins Stocken geraten, weil Arafat darauf bestand, vor einer jordanisch-palästinensischen Konföderation einen Palästinenser-Staat gründen zu können. Dies, wie auch die Forderung der PLO, nach der Gründung der Union die Positionen in Regierung und Verwaltung im Proporz von 3: 1 zugunsten der PLO zu verteilen, wurde von König Hussein zurückgewiesen. Hinzu kam, daß der Verlust Süd-Libanons die Auseinandersetzungen innerhalb der PLO polarisiert hatte. Während PLO-Führer Yassir Arafat mit Unterstützung großer Teile der al-Fatah nach Verlust der militärischen Optionen für ein diplomatisches Eingehen auf die amerikanische Initiative plädierte, warnten die Führer der PFLP und DPFLP, George Habbash und Nayif Hawatimah, vor der Jordanien-Option. Zusätzlich griff Syriens Präsident Assad in die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen ein und unterstützte den radikalen Kurs. Dies führte zu so schweren gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der PLO, daß PLO-Führer Arafat alle Kräfte aufbieten mußte, um die Einheit der Organisation zu bewahren.

Der weitere Verlauf der Ereignisse seit dem Sommer 1983 zeigte, daß Arafat zwar weiterhin ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit besitzt, aber kaum mehr einen politischen Kurs einschlagen kann, wie er ihn ursprünglich mit König Hussein gemeinsam ins Auge gefaßt hatte.

Nach dem Verlust der militärischen Option nach dem Libanon-Feldzug der Israelis, nach der Aufgabe der politischen Option infolge der Beendigung des Dialogs zwischen Arafat und Hussein und nach dem Sieg der pro-syrischen PLO-Kräfte über Arafat steht die PLO unter der Kontrolle Syriens. Unter Syriens . Schutz" ist sie vorerst zum regionalen Vorposten syrischer Interessen degeneriert.

Nach der monatelangen systematischen Demontage der PLO und Yassir Arafats droht der PLO Zersplitterung und Machtlosigkeit:

1. Die vorerst dominante Gruppe um die Rebellen Abu Musa und Nimr Saleh besitzt in Damaskus keinen bzw. nur sehr geringen Handlungsspielraum. Sie wird aufgrund der Natur der Probleme bald in Konflikt mit syrischen Interessen geraten.

2. In der Tradition von Arafat wird eine zweite. gemäßigte Gruppe auf der Westbank versuchen, mit vorrangig diplomatischen Mitteln die Interessen der dortigen Palästinenser weiter wahrzunehmen. 3. In den PLO-Zentren in Marokko, Tunesien, Ägypten und am Golf wird von Arafat selbst oder von Arafat-treuen PLO-Führern Kontinuität der gemäßigten Politik gesucht werden. Ob und wie sich langfristig das interne PLO-Kräftefeld gestalten wird, ist derzeit völlig ungewiß. Nach wie vor personifiziert Arafat eine moderate und begrenzte kompromißbereite Politik sowie den Wunsch nach palästinensischer Selbstbestimmung. Es gibt außer ihm derzeit keine Persönlichkeit, die Triumph und Tragik des palästinensischen Schicksals so anschaulich verkörpert und gleichzeitig eine politische Perspektive offenhält. Das weiß vor allem Präsident Assad. 6. Die Rolle Syriens in der amerikanischen Nahost-Politik Assad hatte die Arafat-Hussein-Gespräche von Anfang an mit Mißtrauen verfolgt; denn die neue politische Pespektive palästinensischer Autonomie in Verbindung mit Jordanien hätte nicht nur den arabisch-israelischen Konflikt entschärft, sondern ebenso Syriens Einfluß drastisch verringert Syrien möchte im Sinne der eigenen Interessenvertretung den Libanon-Konflikt kontrolliert weiterkochen lassen. Gleichzeitig unterstützt es die linksgerichteten und moslemischen Kräfte, um sie noch stärker von Syrien direkt abhängig zu machen, nachdem die PLO als eigenständiger Machtfaktor ausgefallen ist. Auf dem Hintergrund des neuen Einflusses Israels bemüht sich Syrien um ein entsprechendes Gegengewicht im Libanon. Konnten Drusen und Moslems sich damals noch auf die PLO stützen, so müssen sie heute die direkte Nähe Syriens suchen, zumal Assad die Aktionen der PLO im Libanon bestimmt. Das Hauptinteresse Assads liegt derzeit vermutlich darin, mittels seiner palästinensischen und libanesischen Stellvertreter die Regierung Gemayel weiter zu erschüttern und Israel durch eine Politik der feinen Nadelstiche zu schädigen sowie das Prestige der USA im Nahen Osten weiter zu untergraben. Dabei muß Assad allerdings darauf achten, daß er seine Politik der taktischen Allianz mit Israel mit der Politik der Nadelstiche in Balance hält, Israel also keinen Anlaß zu einem militärischen Schlag gegen Syrien gibt.

Auf dem Hintergrund der Selbstzerfleischung der PLO wirkt der Machtgewinn Assads im Nahen Osten um so deutlicher. Er ist aus dem jahrelangen Schatten, in den ihn Sadats Frie15 densinitiative, der Camp-David-Vertrag, die Libanon-Invasion und die amerikanische Friedensinitiative vom September 1982 gedrängt hatten, herausgetreten. Verbunden mit der Sowjetunion und mit der iranischen Mullah-Theokratie besitzt Assad nun eine überragende Position. Wie auch Israel, so wünscht Assad keinen unabhängigen Palästinenser-Staat. Seine heutigen Verbündeten in der PLO, Abu Musa und Nimr Saleh, haben morgen in Assad vermutlich einen Gegner, wenn sie den unabhängigen Palästinenser-Staat durch Kampf erzwingen wollen. Assad wird keine PLO auf seinem Territorium dulden, die ihn in einen Konflikt mit Israel hineinziehen könnte. Der nächste „Schwarze Monat" für die radikale Rest-PLO in Damaskus scheint damit schon vorprogrammiert.

So wird eine doppelte Ironie erkennbar: 1. Was den Israelis in West-Beirut nicht gelang, die Zerschlagung der PLO und Arafats, wird nun durch die PLO selbst und Syrien besorgt. Der Schwarze November von 1983 signalisiert vermutlich auch das Ende der PLO als ernst zu nehmende politische Kraft im Nahen Osten. 2. Die Radikalisierung der PLO wird vielleicht in Zukunft dazu führen, daß die politischen und militärischen Mittel zur Durchsetzung eines unabhängigen Palästinenser-Staates den radikalen PLO-Führern von Assad aus der Hand geschlagen werden. Das Katz-und-Maus-Spiel Assads mit der PLO wird deshalb weitergehen.

III. Bilanz und Ausblick

Nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in den USA selbst sind derzeit die Aussichten für eine Friedensregelung schlecht. Es kann gar nicht deutlich genug gemacht werden, daß das Ausbleiben weiterer Fortschritte im Nahen Osten zentral mit den innenpolitischen Besonderheiten der USA zusammenhängt. Abgesehen von der engen Symbiose fundamentaler Interessenperzeptionen in den USA und in Israel gilt jedoch ein zweites: Das amerikanische Regierungssystem der Checks und Balances erlaubt auf dem oben geschilderten Hintergrund keine grundsätzlichen Veränderungen gegenüber Israel. Hinzu kommt die unbefriedigende Tatsache, daß außenpolitische Kontinuität gerade mit Blick auf die Nahost-Politik schwer realisierbar erscheint: Jeder Präsident benötigt ein Jahr zur Einarbeitung, im zweiten Jahr hindern ihn die Kongreßwahlen an einer Initiative, die von Israel Konzessionen verlangen könnte. Im dritten Jahr beginnen die eigenen innenpolitischen Wahlkampfüberlegungen, die Nahostpolitik zu beeinflussen, so daß im vierten Jahr Initiativen weitgehend ausgeschlossen werden können. Erst im fünften Jahr, also zu Beginn einer zweiten Amtsperiode, kann sich ein amerikanischer Präsident in der Regel genügend Freiraum für ein ausgewogenes Nah-ost-Konzept verschaffen.

In Anbetracht der Tatsache, daß jeder arabische oder israelische Politiker, der heute in verantwortlicher Position steht, in der Regel bisher mit vier verschiedenen amerikanischen Präsidenten, sechs verschiedenen Außenministern, ca. zehn Unterstaatssekretären und noch mehr Nahost-Sonderbeauftragten der USA verhandelt hat, ist der folgende Befund überspitzt, aber treffend: „Unstable, unpredictable, and contradictory, run by men with an average of less than two years experience and a future of not more than four years, crowded by self-serving individuals with Information or influence for sale, the presidency in Washington is no easier to understand than the Byzantine emperor in Constantinople.“

Trotz der Brüche und Widersprüchlichkeiten im Entscheidungsprozeß zeichnet sich die Substanz der amerikanischen Nahost-Politik durch bemerkenswerte Kontinuität aus.

Der Grundsockel amerikanischer wirtschaftsund energiepolitischer Interessen blieb in den vergangenen Jahrzehnten unbeschädigt. Er konnte in Krisen und Turbulenzen gewahrt werden, wie auch sowjetischer Einfluß eingedämmt werden konnte. Aber der Preis für die diplomatische Exklusivität der USA im Nahen Osten ist Stillstand bei den arabisch-israelischen Friedensbemühungen. Mit Beginn der Regierung Reagan wurde nicht mit der vergangenen Nahost-Politik gebrochen, lediglich die Prioritäten wurden verändert Wie der erste falsche Schritt beim Aufstehen Unglück für den Tag bringen kann, so brachte das Konzept des strategischen Konsenses der Regierung Reagan Mißerfolge; Logik und Prämissen für die weiteren Schritte waren auf Fehlleistung programmiert, wie die Entwicklung von 1980 bis 1982 gezeigt hat. Israel konnte konsequent seine regional-imperialen Ziele erfolgreicher anvisieren, zumal die sträfliche Vernachlässigung der Autonomie-verhandlungen im Rahmen von Camp David von der Regierung Reagan vorexerziert wurde.

Nach der israelischen Eskalationsspirale, die im Einmarsch in den Libanon im Sommer 1982 ihren Höhepunkt erreichte, eilte Reagan mit seiner Initiative vom September 1982 zu spät ans Rednerpult. Sie entpuppte sich außerdem als rhetorisches Feuerwerk ohne konzeptionellen und verhandlungspolitischen Willen.

Die amerikanische Nahost-Politik der ausgehenden sechziger Jahre bis Ende der siebziger Jahre stellte eine große Leistung dar, weil überparteiliche Überlegungen dominierten. Alle Präsidenten, auch in ihrem Scheitern, bemühten sich, Entspannungsansätze mit der Sowjetunion auf globaler Ebene auf den Nahen Osten zu übertragen. Sie scheiterten an Israels Starrheit, an der innenpolitischen pro-jüdischen Lobby in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch an der Radikalität der PLO. So gesehen besteht seit 1948 ein unerfüllter amerikanisch-sowjetischer Wunsch nach Interessenverknüpfung im Bemühen, Israel, die arabischen Staaten und die PLO zu einer gegenseitigen Anerkennung der Realitäten zu bewegen. Die Regierung Reagan zog die paradoxe Konsequenz, daß nach dem amerikanischen Versagen im Iran negative Schlußfolgerungen für die amerikanische Politik im Zentrum des Nahost-Konflikts gezogen werden müßten: Nicht mehr der Primat der Diplomatie von Camp David, sondern neue militärisch-strategische Prioritäten schienen zu dominieren.

So stehen heute der amerikanischen NahostPolitik weniger Optionen zur Verfügung.

Vielmehr ist sie mit Dilemmata konfrontiert, die sich durch dilettantische Politik der Regierung Reagan verstärkt haben.

Beim Friedensprozeß bewegt sich diplomatisch nichts mehr. Israel praktiziert eine Verhandlungsstrategie der „strikten Einhaltung" von Camp David, was auf der Westbank nichts anderes bedeutet als arabische Autonomie für die Müllabfuhr. Die Folgen sind Resignation und ein wachsender politischer Gärungsprozeß unter den Palästinensern in den besetzten Gebieten. Hier wächst revolutionäre Glut, die eines Tages den Sprengsatz für palästinensischen Nationalismus entfachen könnte, wie ihn der Nahe Osten bisher nicht erlebt hat. Wer das tief verankerte Bewußtsein für Stolz und Prestige der Araber kennt und um die erniedrigenden Praktiken der Israelis in den besetzten Gebieten weiß, dem wird deutlich, daß diese Diskrepanz im Stil — abgesehen von der Substanz des Konflikts — in den kommenden Monaten und Jahren zu Entwicklungen führen kann, die nicht nur Israels Herrschaft über die besetzten Gebiete, sondern die Fundamente von Staat und Gesellschaft in Israel selbst ins Wanken bringen können. Israel ruht auf Demokratie, Legalität und Pluralität, nicht aber auf Totalitarismus. Darin liegen demokratische Hoffnungen und realpolitische Risiken für die Regierung Shamir, wenn sie den expansiven Kurs der Regierung Begin halten will.

Derzeit scheint es, als ob die Regierung Reagan allen Einfluß auf die Regierung in Israel verloren hat. Die Versäumnisse der Jahre 1981 bis 1983 sind nicht wieder aufzuholen bzw. gutzumachen.

Weiterhin zeichnet sich die amerikanische Nahost-Politik dadurch aus, daß sie nach Schaffung vollendeter Tatsachen durch Israel im Libanon nun eine Politik der Schadensbegrenzung versucht, nachdem sie zu lange eine stillschweigende taktische Allianz mit Israel eingegangen war. Heute ist aber ein strategischer Dissens zwischen den USA und Israel zu konstatieren, sowie andererseits eine taktische Allianz zwischen Syrien und Israel, die den Interessen der USA widerspricht. Israel und Syrien haben aus vordergründigen Überlegungen zunächst ein Interesse an begrenzter Schwäche der libanesischen Zentralregierung, um ihre eigenen Interessen im Libanon weiter verfolgen zu können. Die Interessen-verknüpfung der USA mit dem schwächsten Akteur im Libanon, der Regierung Gemayel, hat die USA in eine Sackgasse geführt. Amerikas Truppen im Libanon stehen vor dem Dilemma, daß sie beim gegenwärtigen Stand keine Stabilisierung der Regierung bewirken können, daß aber eine Verstärkung der Truppen bei Andauer und Ausdehnung der Kämpfe notwendig werden könnte, die Grenzen für amerikanische Truppenpräsenz aber durch den Kongreß und die öffentliche Mei17 nung eng gehalten werden. Die Terroranschläge auf die amerikanische Botschaft im April 1983 und auf das Hauptquartier der amerikanischen und französischen Friedens-truppen im Oktober 1983 in Beirut, bei denen insgesamt über 300 Menschen starben, verweisen auf die schwierige Position der USA im Libanon-Konflikt.

An den Peripherien des Nahen und Mittleren Ostens sind beunruhigende Veränderungen festzustellen, die die amerikanische Machtlosigkeit bei innerarabischen Konflikten bloßlegen. Die Eierschalen regionaler Konflikte blieben im Kalten Krieg verschlossen oder konnten durch Eingreifen der Supermächte, wie in der Suez-Krise 1956, vor einem Aufplatzen bewahrt bleiben. Dies scheint heute nicht mehr zu gelten. Die Struktur des Nahen Ostens, insbesondere die der arabischen Welt, hat sich als Interessenfeld der USA verändert. Seit der innerarabischen Polarisierung zwischen Ägypten und der Ablehnungsfront gibt es keine herausragende arabische Führungsmacht mehr, die heute, wie zu Nassers Zeiten, in der arabischen Welt einen unbestrittenen Vorrang einnimmt. In der Folge haben sich mehrere Machtzentren und Koalitionen herausgebildet, wobei Ägypten und Saudi-Arabien mit dem Golf-Rat eine, Syrien und die PLO sowie der Iran die zweite und Jordanien und der Irak die dritte Machtkoalition bilden. Im übrigen haben die USA ihre eigene Stärke im Nahen und Mittleren Osten minimalisiert und die der Sowjetunion nicht selten überhöht. Das Messen von Stärke mit militärischen Daten übersieht jedoch die relativ starke diplomatische, politische und ökonomische Macht der USA in der Region, die dank einer brillanten Nahost-Politik der siebziger Jahre von Nixon, Kissinger, Ford und Carter aufgebaut werden konnte. Nur geographisch und militärisch hat die Sowjetunion Vorteile. Trotz dieser beiden Nachteile haben die USA eine gute Ausgangsposition in einer Region, in der die Doktrin des Marxismus-Leninismus geringe Attraktivität besitzt, wenn die USA sich diplomatisch und ökonomisch um eine Maklerrolle glaubwürdig bemühen, eine Politik der Abschreckung und Eindämmung nicht lautstark verkünden, sondern gelassen und flexibel anwenden.

Vielleicht war es ein Fehler von historischer Tragweite, als auf dem arabischen Gipfel in Rabat im Oktober 1974 die arabischen Staaten nicht mehr Jordanien, sondern nun die PLO zum legitimen und alleinigen Repräsentanten der palästinensischen Interessen erklärten.

Die Haltung wäre nur vertretbar gewesen, wenn die arabischen Staaten in der Folge die Interessen der PLO geteilt und nachhaltig unterstützt hätten. Der Krieg im Libanon hat auch dies widerlegt: Syrien schloß unabhängig von der PLO mit Israel einen separaten Waffenstillstand und ließ der PLO keinerlei Hilfe mehr zukommen. Die anderen arabischen Staaten ließen die Hilferufe der PLO unbeantwortet. Im schwarzen November 1983 hat Syrien die PLO als eigenständigen politischen und militärischen Machtfaktor vorerst vernichtet.

Nach der Niederlage Arafats müssen die USA weiter diejenigen arabischen Kräfte stärken, die eine jordanische Option für die Westbank ins Auge fassen. Hätten die USA in ihrem Nahost-Konzept der PLO eine Rolle als Verhandlungspartner angeboten, so wäre für das Prinzip Hoffnung in künftigen Fragen eine Vorleistung erbracht worden, die allen Erfahrungen mit der PLO bisher substantiell widerspricht. Die PLO, nun radikales Anhängsel syrischer Politik, würde eine Veto-Funktion erhalten, die die weitere Verhandlungsphase vollends blockieren könnte. Diese Überlegung stellt ein zentrales Kontinuitätsmuster der amerikanischen Nahost-Politik dar; denn mit der jordanischen Option sollen zwei Dilemmata umschifft werden:

1. Mit aller Wahrscheinlichkeit würde die innere Struktur eines autonomen Palästinenser-Staates nicht den demokratischen Prinzipien entsprechen, wie sie in Israel oder den westlichen Demokratien herrschen. Damit würde ein weiterer Instabilitätsfaktor im Nahen Osten auftauchen. Zusätzlich könnte aufgrund der langen und engen Verbindung und Unterstützung durch die Sowjetunion ein weiteres Glied in der Kette des Ost-West-Konflikts geschmiedet werden. Die schwer kalkulierbare innerarabische Staatenwelt würde durch einen neuen souveränen Palästinenser-Staat vor zusätzliche Probleme gestellt werden.

2. Aber auch die kaum wahrscheinliche Perspektive eines demokratischen Palästinenser-Staates würde, so paradox es klingen mag, die arabische Welt auf eine Zerreißprobe stellen. Zwar würden bei dieser Perspektive gute Beziehungen zum Westen und zu Israel vielleicht möglich, wie auch Distanz zur Sowjetunion, 'aber ein demokratisches Staatenmodell in der arabischen Welt könnte aufgrund seiner Attraktivität bei den anderen autoritär regierten arabischen Staaten auf Distanz und Mißtrauen stoßen. Eine anti-demokratische Allianz wäre deshalb schon im Status nascendi des Palästinenser-Staates wahrscheinlich, um den traditionell oder revolutionärautoritären Grundcharakter der arabischen Staatenwelt nicht zu gefährden. So wünschenswert ein demokratischer Palästinenser-Staat für die Palästinenser selbst wäre, so fragwürdig wäre seine Realisierung aufgrund der Spannungen mit den autoritären arabischen Nachbarstaaten.

Auf diesem Hintergrund erscheint das Kontinuitätsmerkmal „Jordanische Option" in der amerikanischen Nahost-Politik von Nixon bis Reagan realistisch und sinnvoll. Es ist außerdem zum überparteilichen Grundgedanken amerikanischer Nahost-Politik geworden, um bei Wahrnehmung eigener Interessen das Spannungsdreieck Arabische Staaten -Palästinenser -Israel zum Ausgleich zu bewegen. Derzeit scheint dies unter friedlichem Vorzeichen die einzige Möglichkeit für eine Lösung darzustellen, bei de. alle drei Beteiligten allerdings eine politische Kompromißfähigkeit zeigen müssen, die derzeit nicht in Sicht ist. Im Schnittpunkt dieser Interessengegensätze bietet die jordanische Option eine realistische Perspektive wie auch mit Blick auf die innenpolitischen Bedingungen der USA: Das zweite zentrale Kontinuitätsmuster amerikanischer Nahost-Politik ist die jahrzehntelange umfassende innenpolitische Verankerung der israelischen Interessen in der amerikanischen Politik, in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Präsident, Kongreß und öffentliche Meinung werden auf lange Sicht nur eine Politik im Nahen Osten formulieren können, die von Verständnis sowie materieller und politischer Unterstützung für Israel gekennzeichnet sein wird. Solange sich Israel aus dem Libanon nicht zurückzieht, solange die Siedlerkreuzzüge auf der Westbank dank staatlicher Vergünstigungen und großer Werbekampagnen vorangetrieben werden, solange weiterhin in den besetzten Gebieten fieberhaft und massiv gebaut wird, wird unter diesen Fundamenten vielleicht amerikanische Nahost-Politik begraben. Die Frage ist, ob die Möglichkeit besteht, daß es bald einen innenpolitischen Zustand in Israel geben könnte, in dem keine israelische Partei mehr in Friedensverhandlungen den Arabern Territorien zurückgeben wird.

Wenn die Reagan-Administration die Wege der Geheimdiplomatie, die Weisheit einer zurückhaltenden Militärpräsenz und eine Beschränkung der Waffenlieferungen verfolgt, sich zugleich um ein überparteiliches politisches Maklerprofil bemüht, dann wird die Nahost-Politik der USA wieder an Schwungkraft gewinnen. Die USA müssen auch im Nahen Osten wieder lernen, nicht als militärischer Gigant, sondern als politische Großmacht aufzutreten und zu handeln. So könnten arabischer Radikalismus und sowjetische Einflußnahme eingedämmt, aber auch die Festungsmentalität der Israelis aufgebrochen werden. Die Realität der vergangenen Jahrzehnte läßt jedoch Zweifel auftauchen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Public Papers of the Presidents of the United Sta-558 Lyndon B. Johnson, Containing the Public Mes228S, Speeches, and Statements of the President tau Book II: July 1st, 1968 to January 20th, 1909, Washington (D. C.) 1970, S. 948.

  2. Vgl. hierzu: Präsident Nixon, Pressekonferenz, 1. 7. 1979, in: Department of State Bulletin (DOB), 27. 7. 1970, S. 112; R. Nixon, Memoirs, New York 1978, S. 483.

  3. Vgl. Ch. Hacke, Die Ära Nixon/Kissinger 1969 bis 1974. Konservative Reform der Weltpolitik, Stuttgart 1983, S. 225 f.

  4. Vgl. auch Sh. Chubin, The United States and the Third World: Motives, Objectives, Policies, in: The International Institute for Strategie Studies (Ed, Third World Conflict and International Security Part II, Adelphi Papers Nr. 167, London 1981. S. 211.

  5. Z. Brzezinski/F. Duchne/K. Saeki, Peace in an international Framework, in: Foreign Policy (FP), (975) 19. S. 3-17.

  6. Zit. nach: Europa-Archiv (EA), 33 (1978) 4, Dx 97.

  7. Vgl. R. Cohen, Israel and the Soviet-American Statement of October Ist, 1977: The Limits of Patron-Client Influence, in: Orbis, (1978) 3, S. 627.

  8. Vgl. Ch. Hacke, Die Suche nach Frieden im Nahen Osten, in: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.), Internationale Politik 1977/78, München 1982, S. 89 f.

  9. Vgl. hierzu: Ch. Hacke, Die Außenpolitik der Re-

  10. Text des amerikanisch-israelischen Abkom-mens über strategischen Konsens vom 30. 11. 1981, Journal of South Asian and Middle Eastern Mudies, (1982) 4, S. 74— 76.

  11. Israel’s desire for a Strategie relationship with b is taken more seriously than ever, International «erald Tribune (IHT) vom 2. 10. 1981.

  12. Verunsicherte Haltung der USA gegenüber Israel, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 12. 6. 1981.

  13. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 17. 12. 1981.

  14. Vgl. NZZ vom 24. 12. 1981.

  15. Ebd.

  16. Premierminister Begin, zit. nach: Frankfurter Rundschau (FR) vom 21. 12. 1981.

  17. FR vom 21. 12. 1981.

  18. US warns Begin against S. Lebanon Invasion, Arab News vom 21. 3. 1982.

  19. Vgl. hierzu: Kommunique über die Sitzung des israelischen Kabinetts am 6. 6. 1982, in: EA, 37 (1982) 21, D 545.

  20. Plan für den Abzug der palästinensischen Führung, Dienststellen und Kombattanten aus Libanon, 20. 8. 1982, in: EA, 37 (1982) 21, D 554— 557.

  21. Präsident Reagan am 20. 8. 1982, zit. nach EA 37 1982) 21, D 554.

  22. Its passions led the administration in the direction of Israel. But the cold logic of interest, the presumed weight of the business man's sensibility that came with Reagan and his California entourage, led a wing of Reagan officials to take a sympathetic i Eiew of the Arab States“.

  23. „Israel fought to destroy the PLO's military power, but the ultimate audience for that object lesson is not in the Lebanon at all; it is the Palestinians of the West Bank and Gaza, who were promised , ful autonomy, but are threatened with absorption of dispersal", in: New York Times vom 24. 6. 1982.

  24. Noch im August erklärte der israelische Außenminister Yitzhak Schamir: „Israel did everything in its power to prevent civilian casualities, even at the price of exposing its soldiers to danger. Israel knows from bitter experience that even one innocent casualty is won to many." Y. Schamir, Israeli objectives: Pullout from Beyrout, Peace with Neighbours, in: IHT vom 28. /29. 8. 1982.

  25. Zum Wortlaut des Abkommens vgl.: EA, 38 (1983) 12. Z 108.

  26. Assad: Lebanon not a Morsel for Israel to Swalin: The Los Angeles Times, hier zit. nach: Arab •ewS vom 20. 8. 1983.

  27. Text der Rede von Präsident Reagan, in: EA, 3 (1982) 21, D 557— 562.

  28. Ebd., D 561.

  29. Zum Text des Fahd-Plans siehe: EA, 37 (1982) 26, D 521— 523.

  30. Zum Kommunique des arabischen Gipfels in Fes vom 9. 9. 1982 siehe: EA, 37 (1982) 21, D 566 bis D 568.

  31. Vgl. H. Kissinger, Memoiren. 1973/74, München 1982, S. 1329.

  32. Israels Opposition gegen Reagans Nahost-Initiative, in: NZZ vom 19. 10. 1982.

  33. W. Kordt, Hussein schlägt Föderation vor, in: FAZ vom 27. 9. 1982.

  34. König Husseins nahöstlicher Balanceakt, in: NZZ vom 16. /17. 1. 1983.

  35. Israel hatte erklärt, daß es Teilnehmern der Konferenz die Wiedereinreise verweigern werde.

  36. Zum vollständigen Text der Erklärung von König Hussein siehe: Jordan Times vom 11. 4. 1983.

  37. C. Wright, Shadow on Sand: Strategy and Deception, Reagans Policy towards the Arabs, in: Journal of Palestine Studies, (1982) April/Juni, S. 6.

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Christian Hacke, Dr. phil., geb. 1943; seit 1980 Professor für Politikwissenschaft/Internationale Politik an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg; 1973— 1975 außenpolitischer Mitarbeiter von W. Leisler Kiep; 1975— 1977 wissenschaftlicher Referent bei der Konrad-Adenauer-Stiftung; 1977— 1979 Habilitationsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG); 1979— 1980 wissenschaftlicher Referent im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Veröffentlichungen u. a.: Die Ost-und Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Wege und Irrwege der Opposition seit 1969, Köln 1975; (Hrsg.), J. B. Gradl, Stets auf der Suche. Reden, Äußerungen und Aufsätze zur Deutschlandpolitik, Köln 1979; Die Ära Nixon/Kissinger 1969— 1974. Konservative Reform der Weltpolitik, Stuttgart 1983.