I. Policy-Forschung: Worum geht es?
Die Fragestellung Wahrscheinlich ist die Behauptung nicht übertrieben, daß Policy-Forschung in den letzten Jahren unter unterschiedlichen Bezeichnungen wie Implementations-, Evaluations-, Programm-oder auch Politikfeldforschung zu einem der interessantesten und lebhaftesten Zweige der deutschen Politikwissenschaft geworden ist. Selbst in der Umgangssprache setzt sich der Terminus „Policy" langsam durch, z. B. wenn in einem Artikel der „Zeit“ der Bundesregierung vorgeworfen wird, sie betreibe „Politics without Policy" 1). Der folgende Beitrag möchte mit Fragestellungen und Ansätzen der Policy-Forschung bekannt machen und dabei vielleicht auch einige Vorbehalte gegen diese in letzter Zeit zugegebenermaßen als „Modeerscheinung" auftretende Ausrichtung der Politikwissenschaft abbauen helfen. Zur Verdeutlichung der speziellen Fragestellung der Policy-Forschung hat es sich als sinnvoll erwiesen, an der Mehrdeutigkeit des deutschen Begriffs „Politik" in der englischen Sprache anzuknüpfen
Es gibt bisher keine befriedigende Übersetzung des englischen Terminus „Policy“. Er bezeichnet die inhaltliche Dimension von Politik, d. h. die Art und Weise staatlicher Aktivitäten, die Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme und ihre Instrumente. Im Deutschen wird diese Bedeutung vor allem in zusammengesetzten Ausdrücken deutlich, etwa „Wohnungsbaupolitik" oder „Sozialpolitik". Im Zentrum des Interesses steht die Frage nach den Gegenständen und Aufgaben der Politik. Es geht um die Problemverarbeitung und Aufgabenerfüllung durch das politisch-administrative System und die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Politikinhalte erscheinen zunächst oft neutral, pragmatisch oder von „Sachzwängen" diktiert, und doch beinhalten sie immer bestimmte gesellschaftliche Werte und Ziele und berühren gesellschaftliche Interessen. Weil gesellschaftliche Werte und Ziele sowie die ihnen zugrunde liegenden Interessen nur selten übereinstimmen, sondern im Gegenteil in der Regel unterschiedlich, 'oft sogar widersprüchlich und gegensätzlich sind, sind staatliche Policies auch immer Ausdruck von Konflikten über Werte und Ziele
Es gibt zwar keine allgemein akzeptierte Definition von Policy, aber doch Einigkeit über zentrale Merkmale Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff die Ergebnisse der Politikformulierung, d. h. staatliche Programme, Gesetze usw.; im weiteren Sinne umfaßt er auch die Durchführung dieser Programme, d. h. nicht nur die intendierten Aktivitäten und Ziele, sondern auch die tatsächlichen Handlungen und deren nicht-intendierte Resultate. Wenn man von einem ganz einfachen Modell des politischen Systems, wie es z. B. von Easton oder Almond entworfen worden ist, ausgeht, in dem das politische System auf „Inputs" (z. B. Anforderungen und Unterstützung) reagiert und diese in „Outputs" (z. B. Entscheidungen oder Aktivitäten) verwandelt, bezeichnen Policies die Output-Seite dieses Systemmodells
Analytisch davon zu trennen ist die prozessuale Dimension von Politik, d. h. Politik als „Politics“ kennzeichnet demgegenüber den konfliktreichen, durch Interessenkonkurrenz geprägten Prozeß der Austragung von Konflikten, der Durchsetzung von Inhalten, Zielen und Interessen. Diese Dimension ist die sichtbarste und wird oft mit dem vieldeutigen Politikbegriff gleichgesetzt. Die klassischen Fragen der Politikwissenschaft (z. B. wer kann seine Interessen artikulieren und durchsetzen, welche Rolle spielen Institutionen, welche Mechanismen der Konfliktregelung gibt es?) wie auch zentrale Begriffe (z. B. Macht, Konsens, Legitimität) sind daher der Politics-Dimension zuzurechnen.
Die formale Dimension von Politik, d. h. Politik als „Polity" kennzeichnet schließlich die Ordnung des politischen Systems, das Normengefüge, die Institutionen und die Organisationsform. Es geht hier um die Verfahrens-regelungen, Institutionen und Normen, in denen Politik abläuft. Gesellschaftliche Normen und Institutionen (z. B Verfassungen, Gesetze, Vorschriften) sind dabei zugleich Ergebnis („geronnene Politik") wie auch Voraussetzung („Weichenstellung'') für zukünftige politische Prozesse (Politics) und Inhalte (Policies). Sehr grob vereinfacht kann man sagen, daß Politikwissenschaft sich ursprünglich vor allem mit der Polity-Dimension beschäftigt hat (Institutionenkunde), danach die Politics-Dimension entdeckte (politische Prozesse) und erst in letzter Zeit Policies in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sind. Im Rahmen von Untersuchungen des politischen Systems interessierten vor allem'die politischen Funktionen, z. B. Interessenartikulation und -aggregation, und die Institutionen, in denen dieses geschieht; diese wurden aber in der Regel nicht zu den jeweiligen Outputs des Systems, den Policies, in Beziehung gesetzt. Die Binnenstrukturen und Funktionen des politischen Systems, insbesondere des administrativen Teilsystems, wurden zwar von der Verwaltungswissenschaft und insbesondere von der Verwaltungssoziologie untersucht, aber hier wurden wiederum die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen weitgehend außer acht gelassen und auch hier interessierte der Output, d. h. die Qualität der jeweiligen Policies, nur am Rande.
Policy-Forschung beschäftigt sich also mit den Bedingungszusammenhängen zwischen Politik-Strukturen, Politik-Prozessen und Po litik-Inhalten Besonderheit der Policy-Orientierung ist dabei die Betonung der inhaltlichen Aspekte von Politik oder, anders ausgedrückt, die Auffassung des politischen Prozesses als Prozeß der Problemverarbeitung durch das politische oder, präziser, das politisch-administrative System; d. h., Politik wird in einem funktionalen Sinn als Policy-Making aufgefaßt.
Thomas R. Dye hat dieses Erkenntnisinteresse auf die Formel gebracht: „Policy analysis is finding out what governments do, why they do it, and what difference it makes".
Damit sind die zentralen Elemente der Policy Studien angesprochen:
— das „Was" staatlicher Policies, d. h.deren Inhalt („contents"), — das „Warum", die Frage nach den Gründen, Voraussetzungen und Einflußfaktoren auf staatliche Policies („causes", „determinants"), und — das „Wozu", die Frage nach den Folgen und Wirkungen von Policies („impacts", „consequences“). Es geht also um die Inhalte, Voraussetzungen und Folgen von Politik im Sinne von Policies; man könnte diesen Ansatz auch als Wissenschaft und Lehre von den staatlichen Interventionen bezeichnen.
Im Prinzip sind dies allerdings zwei unterschiedliche Fragestellungen. Die Inhalte staatlicher Politik, die Problembewältigung durch staatliche Policies stehen im Zentrum des Interesses; sie können daher zunächst als abhängige Variablen aufgefaßt werden. Sämtliche Einflußfaktoren auf diese Inhalte, also z. B. auch Faktoren der politischen Machtverteilung oder der politischen Institutionen, können danach als unabhängige Variablen betrachtet werden; sie interessieren nur insoweit, wie sie die Inhalte staatlicher Politik im Sinne von Policies beeinflussen. Gleichzeitig haben diese staatlichen Policies aber auch wiederum Folgen im gesamtgesellschaftlichen System, d. h. sie können im Rahmen einer weiteren Fragestellung als unabhängige Variablen betrachtet werden, und es kommt nun darauf an, die davon abhängigen Variablen und ihre Veränderungen zu identifizieren. Renate Mayntz hat darauf hingewiesen, daß die policy-orientierte Fragestellung natürlich nur eine unter vielen möglichen und sinnvollen Fragestellungen ist, und daß sie eben auch eine begrenzte Fragestellung ist; z. B. interessieren in diesem Zusammenhang die Machtverteilung zwischen Parlament und Regierung oder die Personalstruktur eines Ministeriums nicht an sich (d. h. als abhängige Variablen), sondern sind nur einige wenige unter vielen denkbaren Einflußfaktoren, die den Inhalt staatlicher Policies beeinflussen können (d. h. unabhängige Variablen):
„Man kann den politischen Prozeß als Problemverarbeitung analysieren, darf damit aber nicht zugleich behaupten, daß er nach Anlaß und Ergebnis und auch im Verständnis der beteiligten Akteure lediglich ein Problemverarbeitungsprozeß ist.“ 2. Dimensionen und Konzepte Die Vielfalt der unterschiedlichen Perspektiven, Fragestellungen und Erkenntnisinteressen, mit denen Ursachen, Inhalte und Folgen staatlicher Policies untersucht werden, lassen sich anhand von vier möglichen Dimensionen der Policy-Forschung veranschaulichen. Man kann Policy Studien danach unterscheiden:
— ob sie an bestimmten Poltikbereichen ansetzen, z. B. Arbeitsmarktpolitik, Wohnungsbaupolitik usw., — welche Faktoren in die Analyse einbezogen werden, ob sowohl ökonomische, soziale und politisch-administrative Voraussetzungen und Folgen einer bestimmten Policy untersucht werden, oder ob man sich auf einen bestimmten Ausschnitt, z. B. die politisch-administrativen Faktoren, beschränkt, — an welcher Phase des Prozesses der staatlichen Problemverarbeitung angesetzt wird, ob z. B. die Politikformulierung, die Politikdurchführung oder die Politikwirkung im Zentrum des Interesses steht, und schließlich — aus welcher Perspektive die Untersuchung unternommen wird, ob ex ante erklärt wird, wie Policies bzw.der Prozeß des Policy-Making aussehen sollte, oder ob ex post untersucht wird, aus welchen Gründen bestimmte Policies auf eine bestimmte Art und Weise formuliert oder durchgeführt werden bzw. gewirkt haben.
Von zentraler Bedeutung ist, daß diese verschiedenen Ansätze oder besser Dimensionen einander nicht ausschließen, sondern in jeglieher denkbarer Kombination vorkommen können, daß sie sogar einander bedingen und inspirieren und daß alle diese möglichen Ansätze und ihre Kombinationen als Policy-Studien bezeichnet werden können. Beispielsweise ist eine Untersuchung, die sich ex ante mit denjenigen politisch-administrativen Faktoren beschäftigt, die die Politikformulierung ganz allgemein für alle Politikfelder beeinflussen, genauso eine Policy-Studie wie die ex post Analyse externer Faktoren, die die Wirkung einer bestimmten Policy, z. B. im Bereich Wohnungsbau, beeinflußt haben.
Als nächstes stellt sich daher die Frage, wie das Verhältnis der Policy-Forschung zu den etablierten sozialwissenschaftlichen Disziplinen, z. B. Ökonomie, Soziologie und Politikwissenschaft, aber auch zu den übrigen im Rahmen des Policy-Making relevanten Disziplinen, z. B. Medizin oder Architektur, aussieht? Gesellschaftliche Probleme, die durch unterschiedliche Policies bearbeitet werden sollen, halten sich offensichtlich nicht an die bestehende wissenschaftliche Arbeitsteilung. Faktoren, die die Formulierung, Durchführung und die Wirkung von Policies beeinflussen können, sind höchstwahrscheinlich nicht allein auf irgendein „zuständiges“ materielles Fach begrenzt (z. B. technische oder ökonomische Faktoren), sondern liegen wahrscheinlich auch, aber eben nicht allein, in Strukturen und Prozessen des politisch-administrativen Systems (d. h. politisch-administrative Faktoren).
Die zu enge und restriktive Definition und Anwendung disziplinärer Grenzen erschwert oder verhindert daher relevante Erkenntnisse, weil wichtige erklärende Faktoren (Variablen) u. U. in den Bereich eines anderen Faches fallen und deswegen überhaupt nicht wahrgenommen oder bewußt ausgeschlossen werden. Policy-Studien müssen also, um relevant zu sein, notwendigerweise interdisziplinär sein. Insgesamt geht es im Rahmen der Policy-Studien um speziell sozial-und politik-wissenschaftliches Wissen über Inhalte, Voraussetzungen und Folgen von Politik im Sinne von Policies. Dabei interessiert sowohl Wissen über und für — spezielle Politikfelder (z. B. Wohnungsbaupolitik, Sozialpolitik), d. h. materielle oder substantielle Aspekte, als auch — generelles Wissen für alle oder eine Anzahl Politikfelder, d. h. über Strukturen und Prozesse des politisch-administrativen Sy-B stems (z. B. Gesetzgebung, Planung, Implementation usw.) und deren Folgen.
Zentral ist die Verschränkung von materiellen und strukturellen Aspekten, d. h. sowohl strukturelles Wissen für materielle Politikfelder als auch die materiellen Folgen von strukturellen Gegebenheiten werden thematisiert. Beide Fragestellungen sollten dabei nicht künstlich getrennt werden. Wer sich mit den Inhalten staatlicher Politik beschäftigt, sollte sich auch mit den Strukturen und Prozessen ihrer Entstehung, Durchführung und Wirkung abgeben und umgekehrt; aber genau dies ist offensichtlich in der Vergangenheit oft nicht der Fall gewesen. „Experten" haben Ratschläge über „sinnvolle“ staatliche Policies gegeben, ohne zu reflektieren, welche Probleme bei der Formulierung und Durchsetzung solcher Politiken auftreten würden.
Trotzdem ist unverkennbar, daß es zumindest analytisch zwei unterschiedliche Orientierungen von Policy-Studien gibt, und zwar eine eher weitere, sozialwissenschaftliche und eine eher engere, politik-und verwaltungswissenschaftliche: — Es gibt Policy-Studien im weiteren Sinne, die ganz allgemein die Nutzung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse für staatliche Policies zum Inhalt haben, d. h. (möglichst) sämtliche relevanten Faktoren werden in die Analyse der Gründe, Inhalte und Folgen von Policies einbezogen, und — es gibt Policy-Studien im engeren Sinne, denen es speziell um die Zusammenhänge zwischen Strukturen und Prozessen des politisch-administrativen Systems und den Inhalten staatlicher Politik geht, d. h. insbesondere die politisch-administrativen Faktoren werden in die Analyse einbezogen.
Die unterschiedlichen Konzeptionen der Policy-Forschung lassen sich auch anhand der amerikanischen Diskussion verdeutlichen, die ja die Entwicklung in der Bundesrepublik entscheidend beeinflußt hat Idealtypisch kann man auch dort wiederum zwei Ansätze unterscheiden, nämlich — eine eher ex ante, präskriptiv, normativ und auf Anwendung ausgerichtete Version, die den Aspekt des „Science for action“ betont, — und eine eher ex post, deskriptiv, empirisch und erklärend ausgerichtete Version, bei der der Aspekt der Vermehrung von Grundlagenwissen, d. h.des „Science for knowledge", betont wird.
Während der erste Ansatz, der oft als Policy Science bezeichnet wird, politischen und administrativen Entscheidungsträgern helfen will, die „beste“ Policy zu wählen, und dabei schon bei der Generierung unterschiedlicher Alternativen ansetzt, betont der zweite Ansatz, der oft unter der Bezeichnung Policy Studies läuft, die Suche nach den systematischen Zusammenhängen zwischen Voraussetzungen von Policies, deren Inhalten und Folgen. Dabei sind die engen Beziehungen zwischen beiden Auffassungen der Policy-Forschung offenkundig, denn jede Präskription enthält notwendigerweise deskriptive und theoretische Annahmen wie jede empirische Analyse, auch wenn sie nur das Bestehende beschreiben und erklären will, normative Implikationen hat.
Tatsächlich gehört der Bereich der Policy-Forschung in den USA inzwischen zum etablierten Kanon sozialwissenschaftlicher Ansätze. Es ist bemerkenswert, daß dieser Bereich einer derjenigen ist, der in den letzten Jahren am auffälligsten expandierte und auch noch heute, in Zeiten ernster ökonomischer Restriktionen und erheblicher Kürzungen im Bereich der Sozialwissenschaften, noch leichte Zuwachsraten zu verzeichnen hat. Policy-orientierte Forschungen treten in den USA unter einer beinahe unübersehbaren Vielzahl von Bezeichnungen auf, doch leider korrespondieren die verschiedenen Ansätze, Schwerpunkte und Erkenntnisinteressen in der Regel nicht mit einheitlichen Bezeichnungen. Zum weiteren Bereich der Public Policy Studies gehören dabei auch verwandte Ansätze wie Systems Analysis, Social Impact Assessment oder auch Technology Assessment. Anzeichen für die Etablierung von Policy-Forschung als zentralem Bereich angewandter Sozialwissenschaften sind vor allem die große Zahl der in den letzten Jahren entstandenen Zeitschriften, Publikationsreihen, wissenschaftlichen Vereinigungen, Lehrbücher und vor allem auch Ausbildungsgänge.
II. Ansätze in der Bundesrepublik Deutschland
1. überblick Auch in der Bundesrepublik werden seit einigen Jahren Fragen nach den Voraussetzungen und Folgen „besserer" Politik im Sinne von Policies verstärkt behandelt, d. h. auch bei uns gibt es offensichtlich einen Bedarf an Wissen über die „Output-Seite“ des politisch-administrativen Systems. Die verstärkten Bemühungen auf diesem Gebiet zeigen sich u. a. in folgenden Konzepten und Ansätzen
— Regierungslehre — Politische Planung — Programming-Planning-Budgeting-System (PPBS)
— Regierungs-und Verwaltungsreform — Aktive Politik — Ziel-und ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln — Wirkungsforschung, Evaluation — Implementationsforschung — Politikfeldforschung — Programmforschung — Gesetzgebungslehre — Rechtstatsachenforschung — öffentliche Aufgaben, Aufgabenkritik — Policy-Vergleich.
Diese Liste ist selbstverständlich nicht vollständig, aber sie zeigt deutlich, daß es auch in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Bemühungen der unterschiedlichsten Disziplinen gegeben hat und immer noch gibt, die sich mit den Voraussetzungen und Folgen staatlicher Policies beschäftigen. Die verschiedenen aufgeführten Ansätze haben dabei durchaus nicht den gleichen Status; es gibt ausgefeilte Konzepte und vage programmatische Entwürfe, gleichzeitig zeigen sich Wiederholungen und Überschneidungen, aber trotzdem wird das gemeinsame Anliegen all dieser Ansätze, nämlich die Erklärung und Verbesserung der staatlichen Problemverarbeitung, offenkundig.
Das gemeinsame Anliegen dieser Ansätze ist, „praxisrelevant" zu sein, d. h. die politische Praxis zu verändern, indem zur Erklärung und Verbesserung der staatlichen Problemverarbeitung beigetragen wird. Carl Bohret hat dieses Erkenntnisinteresse unter der klassischen Formulierung „Entscheidungshilfen für die Regierung" zusammengefaßt, und auch wenn diese Bezeichnung vielleicht zu „etatistisch" oder „staatsfixiert" erscheinen mag, geht es doch im Prinzip um nichts anderes. Zumindest Entscheidungshilfen für das politische System sind intendiert. Offensichtlich nehmen Policy-Studien ihren Ausgangspunkt in der Problemverarbeitung durch das politisch-administrative System, und die meisten wollen auch zu dessen Verbesserung beitragen, wobei die Richtung dieser Verbesserung natürlich kontrovers ist. Allerdings muß dies nicht unbedingt bedeuten, daß auch die Perspektiven und die Rationalitätskriterien des Systems übernommen werden. Ganz im Gegenteil kann gerade auch dieser Untersuchungsansatz zu einer Ablehnung staatlicher Interventionen oder zu Alternativen gesellschaftlicher Problemverarbeitung führen. Der Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen (nämlich staatliche Intervention) darf nicht mit der normativen Perspektive verwechselt werden. 2. Materielle Politikberatung Policy-Forschung hat in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Dazu zählen im Prinzip sämtliche Bemühungen um wissenschaftliche Beratung des politisch-administrativen Systems, die ja schon seit vielen Jahren ausführlich unter dem Schlagwort der Politikberatung in der Literatur diskutiert worden sind Die damit verbundenen ethischen und praktischen Probleme sollen hier nicht mehr thematisiert werden, sondern es geht nur um einen kurzen Überblick, um einen Eindruck vom Umfang dieser ja eindeutig policy-orientierten Aktivitäten zu erhalten. Es handelt sich dabei also um die speziell auf bestimmte Politikbereiche ausgerichteten Varianten der Policy-Forschung.
Die Entwicklung hängt eng zusammen mit der in den letzten Jahrzehnten konstatierten „Verwissenschaftlichung" von Politik:
„Vor allem die Frage der Adäquanz und Akzeptanz von sozial-und wirtschaftspolitischen Interventionsmaßnahmen des Staates läßt sich aufgrund der zunehmenden intersektoralen Problemverflechtung mit dem in der Administration vorhandenen Wissens-und Erfahrungsschatz nicht mehr hinreichend beurteilen. Dies hat zur Folge, daß die Integration von z. B. sozialwissenschaftlichen Informationen in den administrativen Wissens-und Problemlösungskontext für den Staat zur Aufrechterhaltung und Regelung, vor allem des sozialen Systembestandes, immer notwendiger wird.“ Verwissenschaftlichung der Politik zeigt sich dabei auf verschiedenen Ebenen
— das politisch-administrative System ist zunehmend auf wissenschaftlich ausgebildetes Personal angewiesen, — es bedient sich wissenschaftlich-technischer Methoden — und es stützt seine Entscheidungsprozesse auf wissenschaftliche Beratung.
Alle drei Entwicklungen führen dazu, so kann man zumindest vermuten, daß policy-bezogenes Wissen verstärkt nachgefragt wird.
Die typische Form der externen Politikberatung ist die Erstellung von Gutachten und die Beteiligung in Beiräten, Kommissionen u. ä. Diese ressortorientierte, meistens materielle oder substantielle Beratung gehört zu den klassischen Informationsbeschaffungsinstrumenten der Bürokratie. Der Bereich ist allerdings vollkommen unübersichtlich. Es gibt z. B. auf Bundesebene eine unübersehbare Anzahl von Beratungsgremien, die manchmal schon seit Jahren nicht mehr getagt haben, und deren Anzahl schon 1969 bei ca. 270 lag und Mitte der siebziger Jahre auf ca. 350 mit mehr als 4 000 Mitgliedern geschätzt wurde Dabei ist natürlich zu beachten, daß diese Gremien oft nicht allein mit Wissenschaftlern besetzt sind, sondern auch mit Interessenvertretern, wobei der Unterschied zwischen beiden Kategorien nicht immer sehr deutlich ist. Gleichzeitig ist offenkundig, daß Politikberatung generell nicht nur die Funktion der Informationsbeschaffung hat, sondern vielfältige andere Aufgaben erfüllt, z. B. Unterstützung und Absicherung von politischen Positionen, Alibi-, Feigenblatt-, Rechtfertigungsfunktion, Beschaffung von Konsens, Steigerung des eigenen Prestiges usw. Eine weitere klassische Form der materiellen Politikberatung findet in der Form der Vergabe von Gutachten im Rahmen der Ressort-forschung statt. Auch diese materiellen oder substantiellen Policy-Studien haben eine lange Tradition; inzwischen gibt es wohl kaum noch politische Initiativen, die nicht durch Gutachten von Experten vorbereitet werden. Gutachten werden sowohl zu sehr detaillierten, technischen Problemen bei der Formulierung zukünftiger Policies vergeben, als auch zur Beschaffung von umfangreichem Grundlagenwissen. Im Prinzip geht es aber immer um Wissen über materielle Politikfelder. Einen kleinen Eindruck von der auch hier kaum zu übersehenden Menge an policyorientierten Studien liefern die verschiedenen Schriftenreihen der Bundesministerien, in denen u. a. solche Gutachten veröffentlicht werden, obwohl davon auszugehen ist, daß längst nicht alle Arbeiten auch tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Daneben gibt es aber auch, z. T. schon seit Jahren, verschiedene Forschungseinrichtungen der einzelnen Ressorts. Der „Faktenbericht 1981 zum Bundesbericht Forschung" führt allein 42 Einrichtungen der Ressortforschung des Bundes auf.
Dazu gehören z. B. das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, das Bundesgesundheitsamt in Berlin oder die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raum-ordnung in Bonn. Natürlich nehmen diese Forschungseinrichtungen auch andere Aufgaben als die der Politikberatung wahr (z. B. Grundlagenforschung, Information und Dokumentation, z. T. Prüfung und Genehmigung von privaten Aktivitäten usw.), aber zu ihren zentralen Aufgaben gehört jeweils die Mitwirkung bei Entwürfen von Gesetzen und anderen Vorschriften auf ihrem jeweiligen Gebiet; sie sollen die Bundesregierung über wichtige Vorgänge und Forschungsergebnisse in ihrem Bereich unterrichten und in Einzelfragen beraten. Damit sind diese Institutionen der materiellen oder substantiellen Policy-Forschung zuzuordnen.
Schließlich gibt es eine sehr erhebliche materielle Politikfeldforschung, jeweils bezogen auf bestimmte Politikbereiche und Ressorts, außerhalb des engeren staatlichen Bereichs, d. h. in eigenständigen Forschungsinstitutionen. Zum Teil werden diese Institutionen vollständig staatlich finanziert (z. B. im Rahmen der sogenannten „Blauen Liste" von Bund und Ländern gemeinsam), z. T. sind sie auf Aufträge aus den Bundesministerien angewiesen, z. T. sind es auch universitäre Einrichtungen, die sich auf materielle Politikfeldforschung spezialisiert haben. Es handelt sich z. B. um staatlich geförderte Institutionen wie die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute (IFO München, DIW Berlin, HWWA Hamburg, RWI Essen und IW Kiel) oder das Wissenschaftszentrum Berlin, um private, auf staatliche Aufträge angewiesene Institute wie etwa PROGNOS Basel, INFRATEST München oder BATTELLE Frankfurt, oder um universitäre Forschungseinrichtungen mit dem Schwerpunkt auf Politikberatung und Policy-Forschung Inzwischen gibt es auch Forschungsinstitute, die wissenschaftliche Poli-tikberatung nicht für staatliche oder öffentliche Stellen, sondern für Betroffene bzw.deren gesellschaftliche Zusammenschlüsse, z. B. Bürgerinitiativen, betreiben wollen, z. B. das Freiburger Öko-Institut
Zu fragen ist allerdings, ob es sich bei diesen kurz aufgelisteten verschiedenen Formen wissenschaftlicher Politikberatung überhaupt um Policy-Forschung handelt. Im weitesten Sinne ist dies zu bejahen, denn es handelt sich um die Bereitstellung von Wissen über die Inhalte und Folgen staatlicher Interventionen in den verschiedensten Politikbereichen. Wenn man allerdings den Begriff der Policy-Forschung, um der Gefahr seiner Entleerung durch beinahe unbeschränkten Gebrauch zu entgehen, denjenigen Ansätzen vorbehält, die explizit die politischen und administrativen Voraussetzungen und Folgen staatlicher Aktivitäten in ihre Fragestellung einbeziehen, ist nicht zu verkennen, daß ein Großteil der bisher unternommenen Politikberatung nicht als Policy-Forschung zu bezeichnen ist. 3. Entwicklungsphasen Bei einiger Vereinfachung kann man die Entwicklung der Policy-Forschung in der Bundesrepublik in verschiedenen Phasen unterteilen Wenn man als erste Phase die der „klassischen Politikberatung“ annimmt, die etwa bis zur Großen Koalition gedauert hat, ist diese Phase dadurch gekennzeichnet, daß Experten, die in der Regel anerkannten Professionen angehörten (z. B. Ingenieure, Natur-wissenschaftler, Ärzte, z. T. auch Ökonomen) dem politisch-administrativen System ihr „technisches Fachwissen" zur Verfügung stellten. Dabei entwickelten sich oft sehr enge Beziehungen zwischen bestimmten Professionen und Wissenschaftlern und bestimmten Problemen und Ressorts. Policy-Forschung ist in diesem Zeitraum in erster Linie ex ante und präskriptiv ausgerichtete materielle Politikfeldforschung, die dem Bereich der Politikformulierung zuarbeitet, d. h. Aussagen über erwünschte und/oder mögliche Wirkungen und Folgen von Policies macht sowie Wissen über die Bedingungen staatlicher Inventionen bereitstellt Der Prozeß der Formulierung und Durchführung von Politikinhalten wird dabei weitgehend ignoriert. Die politischen und administrativen Voraussetzungen und Folgen staatlicher Aktivitäten werden nicht in die jeweilige Fragestellung einbezogen.
Die zweite Phase, die mit dem Schlagwort „Reformphase" charakterisiert werden kann, ist durch eine Hinwendung zu mehr strukturellen Fragen der Politikformulierung und damit durch eine Umorientierung der Policy-Forschung gekennzeichnet. Die Zeit der viel-beredten „inneren Reformen" kann als Aufbauphase und gleichzeitig erste „Blüte" der Policy-Forschung bezeichnet werden.
Die Sozialwissenschaften begannen, sich verstärkt mit den Problemen und Möglichkeiten reformorientierter Politik bzw.der aktiven Gestaltung gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse zu beschäftigen. Insbesondere Politikwissenschaft und Ökonomie bemühten sich — nicht zuletzt inspiriert durch amerikanische Ansätze — um die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen „besserer" Politik. In diesem Zusammenhang wurde eine Reihe von Konzepten entwickelt, mit denen jeweils zentrale Aspekte und Richtungen möglicher Reformen skizziert wurden. Zu nennen sind u. a. Schlagworte wie Regierungslehre, Entscheidungshilfen, politische Planung usw., in denen z. T. versucht wurde, amerikanische Erfahrungen und Konzepte (insbesondere Programming-Planning-Budgeting-System [PPBS]) auf bundesrepublikanische Bedingungen zu übertragen
Grundlegende Überzeugung dieser Ansätze war, daß die Anwendung wissenschaftlicher Verfahren und Erkenntnisse im und auf den Prozeß politischer Entscheidungen diesen Prozeß und vor allem seine Ergebnisse, d. h. die staatlichen Policies, entscheidend verbessern würde. Diese policy-orientierte sozialwissenschaftliche Forschung und Politikberatung stand in engem Zusammenhang mit Reformvorhaben und insbesondere Reformkommissionen der damaligen Regierung. Insbesondere drei große „Reformkommissionen“
sind in diesem Zusammenhang zu nennen:
— die Projektgruppe Regierungs-und Verwaltungsreform, — die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts und — die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel.
Im Rahmen dieser Kommissionen sind wichtige und bis heute zentrale policy-orientierte Arbeiten entstanden, und im Zusammenhang mit der „Projektgruppe Regierungs-und Verwaltungsreform" wurde das vielleicht einflußreichste Konzept dieser Zeit, das der „aktiven Politik", formuliert
Zur gleichen Zeit entwickelten sich Ansätze einer „experimentellen Politik". Reformvorhaben wurden eingeführt mit der ausdrücklichen Vorgabe, durch wissenschaftliche Begleitforschung überprüft und eventuell verbessert zu werden
Ausgehend von dem erhöhten Wissens-und nicht zuletzt Legitimationsbedarf von Reform-politik gab es daher in dieser Phase eine Hin-wendung der Sozialwissenschaftler zu und gleichzeitig eine Einbeziehung in praktische Politik. Policy-Forschung ist während dieser Zeit dadurch gekennzeichnet, daß ex ante und präskriptiv ausgerichtete Ansätze noch immer im Vordergrund stehen, aber vor allem die strukturellen Bedingungen von Policies und weniger die substantiellen Inhalte problematisiert werden. Die Forschung konzentriert sich auf politisch-administrative Faktoren, d. h. im Sinne von Dror auf „meta-policymaking", und in diesem Zusammenhang vor allem auf die Politikformulierung, während Fragen der Durchführung und Wirkung von Politik weitgehend ausgeklammert werden.
Die dritte Phase der Policy-Forschung kann schließlich mit dem Schlagwort „Desillusionierung" gekennzeichnet werden.
Bekanntlich war die Reformbegeisterung nur von kurzer Dauer, und auch im Bereich der Policy-Forschung ist der Übergang von optimistischen Vorstellungen von der Machbarkeit sozialer Reformen zu mehr realistischen Einschätzungen der wirtschaftlichen, admi-nistrativen und politischen Restriktionen deutlich erkennbar. Mit der Ernüchterung der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten seit Mitte der siebziger Jahre (Stichwort Energiekrise) kommen verstärkt Probleme der Durchführung und Wirkung von Reform-Politiken ins Blickfeld von Praktikern und Sozialwissenschaftlern. Die Perspektive wechselt von einer präskriptiven ex ante Sicht der Politikformulierung zu einer eher deskriptiven ex post Einschätzung und Erklärung der Probleme von Durchführung und Wirkung. Policy-Forschung entwickelt sich in Richtung auf Implementations-und Wirkungsforschung
Exemplarisch für diese veränderte Orientierung der Policy-Forschung sind die zum größten Teil durch staatliche Forschungsförderung angeregten Untersuchungen zu Bereichen wie Politikverflechtung, Umweltschutz, Sozialpolitik sowie Stadterneuerung und Wohnungsbau, die gleichzeitig zur Etablierung spezialisierter Forschungsgruppen führte. Aus diesen und ähnlichen Schwerpunkt-setzungen geht hervor, daß sich die Policy-Forschung zunehmend den „technischen" und instrumenteilen Problemen spezifischer Politikbereiche zuwendet. Es geht nicht mehr um die Voraussetzungen „guter“ Politik, sondern um die Bedingungen ihrer Durchführung und Wirkung. Damit eng verbunden ist allerdings eine erneute Spezialisierung und Fragmentierung der Policy-Forschung. Sozialwissenschaftler entwickeln sich zunehmend zu Spezialisten für bestimmte Politikbereiche. Einen Eindruck vom Umfang und der z. T. fortgeschrittenen Spezialisierung und Professionalisierung in einzelnen Politikbereichen vermitteln die verschiedenen Sonderhefte der Politischen Vierteljahresschrift, da sich insbesondere die Politikwissenschaft unter dem Etikett der Politikfeldforschung in den letzten Jahren verstärkt der Bearbeitung von Policy-Problemen gewidmet hat
Die Bundesregierung förderte aber nicht nur einzelne Projekte, sondern auch größere Projektverbunde, in denen neue Formen der Zusammenarbeit im Rahmen größerer Forschungsgruppen und zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angeregt und ermöglicht werden sollten. Von besonderer Bedeutung war der Forschungsverbund „Implementationsforschung“ In diesem Verbund wurde zum ersten Mal der Versuch unternommen, Fallstudien aus den verschiedensten Politikbereichen gemeinsam zu diskutieren, um so evtl, zu allgemeinen theoretisch relevanten Aussagen zu gelangen, d. h., es werden Ansätze entwickelt, die versuchen, die verschiedenen Dimensionen der Policy-Forschung zu kombinieren und zur Klärung der Voraussetzungen „effektiver" staatlicher Interventionen beizutragen (vgl. z. B. die Bemühungen in den Bereichen Gesetzgebungslehre, Rechtstatsachenforschung oder auch die Beschäftigung mit alternativen Möglichkeiten der Erfüllung öffentlicher Aufgaben). Besonders hervorzuheben ist der Ansatz der Programmforschung. Im Prinzip ist das Konzept der Programmforschung nichts anderes als der Versuch der Etablierung von Policy-Forschung ) im deutschen Wissenschaftssystem unter einem eingängigeren Namen, wobei auch eine Integration von strukturell („Meta-Policy") und substantiell („Politikbereiche") ausgerichteter Forschung angestrebt wird Unterschiede zu den im Rahmen der Politikwissenschaft unter der Bezeichnung „Politikfeldforschung" laufenden Ansätzen sind allerdings kaum zu erkennen;
In eine etwas andere Richtung entwickelt sich die eher theoretisch ausgerichtete vergleichende Policy-Forschung, der es in erster Linie um die Erklärung der zwischen verschiedenen Ländern zu beobachtenden deutlichen Unterschiede zwischen staatlichen Leistungen, d. h. Policies, und staatlichen Erfolgen geht. Gefragt wird z. B., ob die politische Zusammensetzung der Regierung oder eventuell andere Faktoren die zu beobachtenden wirtschafts-und sozialpolitischen Differenzen zwischen den westlichen Demokratien erklären können. In der Analyse werden als unabhängige, d. h. erklärende Variablen dabei so-wohl politisch-administrative (z. B. Ideologie der Regierungspartei, korporatistische Interessenberücksichtigung) als auch externe Faktoren (z. B. ökonomische Situation) einbezogen, und auch als abhängige Variablen werden sowohl Policy-Variablen (z. B. Budgetgrößen) wie Outcome-Variablen (z. B. Arbeitslosigkeit) verwendet. Dieser Bereich der Policy-Forschung, der sich aus der amerikanischen vergleichenden Output-Forschung entwickelt hat, befindet sich zur Zeit in einer schnellen Entwicklung, wobei durchaus umstritten ist, inwieweit die empirische Vorgehensweise sich mehr exakten, quantitativen statistischen Methoden oder mehr qualitativen Vergleichen, z. B. in der Form vergleichender Fallstudien, bedienen soll
Insgesamt gesehen wendet sich Policy-Forschung in dieser Phase verstärkt den Problemen der Durchführung und Wirkung staatlicher Politiken zu. Die Studien sind dabei weniger präskriptiv und ex ante orientiert, sondern zunehmend deskriptiv und ex post angelegt. Gleichzeitig wird versucht, alle relevanten Faktoren in die Untersuchung einzubeziehen und sich nicht allein auf die politisch-administrativen Aspekte zu konzentrieren. Es stehen nicht mehr allein die strukturellen Voraussetzungen „guter“ Politik im Zentrum der Aufmerksamkeit sondern deren materielle und substantielle Inhalte. Erkauft wird diese Hinwendung zu materiellen Fragen der Politik allerdings durch eine zunehmende Fragmentierung und Spezialisierung der Policy-Forschung, so daß seit neuestem wiederum eine Umorientierung zu Fragen der strukturellen Gestaltung der Politikformulierung zu erkennen ist
III. Chancen
Policy-Forschung, ursprünglich im deutschen Sprachraum eher als abwertender Begriff verwendet, ist heute ein zentrales Tätigkeitsfeld der Sozialwissenschaften, insbesondere der Politikwissenschaft, wie vor allem auch die wissenschaftlichen Kongresse dieser Disziplin in den letzten Jahren zeigen. Insgesamt gibt es ein sehr großes Angebot an spezialisierten Instituten, in denen Untersuchungen für bestimmte Politikbereiche durchgeführt werden, und es ist zu vermuten, daß dieser Sektor der angewandten Sozialwissenschaft in den nächsten Jahren noch weiter ausgebaut wird -Gleichzeitig ist zu erwarten, daß auch die Nachfrage nach wissenschaftlichen Informationen über Ursachen, Inhalte und Folgen staatlicher Policies zunehmen wird. Die Entwicklung einer zunehmenden „Verwissenschaftlichung von Politik" scheint noch längst nicht abgeschlossen, denn gerade in Zeiten verstärkter ökonomischer Restriktionen, in denen staatliche Interventionen in Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend infrage gestellt werden, besteht eine erhebliche Nachfrage nach gesicherterem Wissen über Voraussetzungen und Wirkungsweisen staatlicher Aktivitäten.
Wie die Erfahrungen in den USA zeigen, führt eine Umorientierung des politischen Klimas zu einer eher konservativen Haltung nicht unbedingt dazu, daß policy-relevante Forschung vermindert wird. Eher ist zu erwarten, daß diese Art von Forschung zur Legitimation des Rückzuges des Staates aus gesellschaftlichen Verantwortungen herangezogen wird Dies ist allerdings keine notwendige Folge der Policy-Forschung. Deren Ergebnisse können sowohl Anstoß für Reformen („try harder“) wie für politische Rückschritte („give up") sein.
Insgesamt ist zu vermuten, daß gerade in Zeiten verstärkter ökonomischer Probleme, bei Gefahr von „government overload", „Unregierbarkeit“ oder wie immer diese Schlagworte heißen mögen, Wissen über Ursachen, Inhalte und Folgen staatlicher Politiken im Sinne von Policies verstärkt nachgefragt wird. Insbesondere gelangen verstärkt die Folgen politisch-administrativen Handelns in das Zentrum der Aufmerksamkeit. So gibt es in der Bundesre-publik inzwischen über 80 Berichtspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag, d. h. die Bundesregierung wird in neueren Gesetzen bzw. Gesetzesänderungen verpflichtet, über die Wirkungen des jeweiligen Gesetzes in bestimmten Zeitabständen zu berichten. Daß die Mängel der bisherigen Praxis auch im Bereich der Gesetzgebung reflektiert werden, zeigt sich z. B. an dem wachsenden Bemühen, Gesetze zu „testen", bevor man sie endgültig verabschiedet Auch und gerade die „Verabschiedung" von Gesetzen wird zunehmend fraglich, denn Gesetze kommen immer schneller zum Gesetzgeber zurück, um revidiert, z. B. an veränderte Rahmenbedingungen angepaßt oder generell wirksamer gestaltet zu werden. Von den insgesamt 20 Gesetzen, die der Landtag von Nordrhein-Westfalen 1978 verabschiedet hat, waren so im Herbst 1981 nur noch drei unverändert in Kraft Die Steuerungsschwäche des politisch-administrativen Systems wird damit zu einem zentralen Problem der administrativen Praxis. Gleichzeitig wird deutlich, daß der Bedarf an Informationen, die zur Überwindung dieser Steuerungsschwäche beitragen können, steigt.
An dieser Stelle kann nicht auf die vielfältigen Probleme eingegangen werden, die einer Nutzung der Policy-Forschung entgegenstehen. Zu denken wäre u. a. an Unzulänglichkeiten auf der Angebotsseite, d. h. im Wissenschaftssystem (unzureichende empirische und theoretische Fundierung der Aussagen), Probleme bei der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis (Fachjargon usw.) und charakteristische Defizite auf der Nachfrage-seite, d. h. im politisch-administrativen System (z. B. juristische Orientierung der öffentlichen Verwaltung, „Organisationsklima" und „Verwaltungskultur")
Wenn man unter Nutzung nicht die konkrete Anwendung bei einzelnen Entscheidungen versteht, sondern umfassender die Beeinflussung der Perzeption sozialer Phänomene und ihrer Lösung, spricht allerdings einiges dafür, daß sozialwissenschaftliche Policy-Forschung schon jetzt in der Praxis genutzt wird. „Wissenschaftliche Erkenntnisse", z. B. über die Wirkung einer bestimmten Intervention und ihre Bedingungen, werden nicht einfach in das politisch-administrative System übernommen, indem z. B. Thesen oder Ergebnisse von Untersuchungen einfach gelesen und dann angewendet werden (auch und gerade nicht bei bestellten Gutachten). Die Bedeutung der Wissenschaft für die Praxis scheint eine andere zu sein. Ihre praktische Relevanz liegt in der Bereitstellung von Konzepten und Denkschemata, mit denen die Realität geordnet wird.
Praktiker übernehmen in der Regel keine fertigen Lösungen oder abstrakte Theorien, sondern werden langfristig durch Konzepte, Sichtweisen und Begriffe der Wissenschaft beeinflußt. Carol Weiss nennt dies „the diffuse process of enlightenment“, d. h. die Bedeutung der Sozialwissenschaften liegt in erster Linie in einem längerfristigen Prozeß der „Aufklärung"
Tatsächlich ist diese Funktion der sozialwissenschaftlichen Policy-Forschung auch schon in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar. Aus der bisher unternommenen Policy-Forschung sind Begriffe wie Politikverflechtung, Vollzugsdefizit, Implementation, Mitnahmeeffekt, Bürgernähe u. ä. in die praktische Diskussion eingedrungen.
Gleichzeitig ist zu beobachten, daß gerade in den Bereichen, die zur Zeit politisch besonders brisant und lösungsbedürftig sind, verstärkt Forschungskapazitäten aufgebaut werden. Dies wird ganz deutlich, wenn man diejenigen Politikbereiche betrachtet, in denen in den letzten Jahren Ressortforschung sowohl durch eigene Institute als auch durch Auftragsforschung ausgebaut wurde. Hervorzuheben sind Bereiche wie Arbeitsmarktpolitik (u. a. IAB Nürnberg, WZB Berlin), Umweltschutzpolitik (UBA Berlin), Sozialpolitik (Uni Bielefeld, ISG Köln) sowie Städte-und Wohnungsbaupolitik (u. a. difu Berlin, IWU Darmstadt, GEWOS Hamburg, PROGNOS Basel, IfS Berlin), die sich u. a. auch dadurch auszeichnen, daß versucht wird, die materiellen und strukturellen Aspekte der jeweiligen Politikbereiche gemeinsam zu untersuchen. Im Prinzip wird hier nur die oben erwähnte Erkenntnis in die Praxis umgesetzt, daß relevante Politikfeldforschung und Politikberatung notwendigerweise interdisziplinär sein muß. Dies bedeutet nicht, daß die verschiedenen Fachdisziplinen, die im Bereich der Politikberatung engagiert sind und deren Expertise ja unverzichtbar ist, von einer alles verschlingenden, fachübergreifenden Disziplin Policy-Studien vereinnahmt werden sollen. Worauf es ankommt, ist folgendes: Es fehlt weitgehend das Verständnis für die allgemeinen Probleme der Formulierung, Durchführung und Wirkung von Politik im Sinne von Policies; d. h. diejenigen Faktoren, die wahrscheinlich allen oder zumindest vielen Politikbereichen gemeinsam sind, werden durch unsere Form der Politikberatung und der wissenschaftlichen Organisation der Forschung für diesen Bereich bisher systematisch vernachlässigt. Dies führt dazu, daß materiell ausgerichtete Studien oft unzulänglich sind, weil sie strukturelle und prozessuale Faktoren vernachlässigen, strukturelle Studien aber den Anforderungen materieller Politik-beratung nicht genügen. Gleichzeitig wird der Wissenstransfer zwischen diesen beiden Aspekten der Policy-Forschung vernachlässigt. Beide Seiten lernen zu wenig voneinander. In diesem Zusammenhang ist es wenig hilfreich, bestimmte Ansätze als sinnvoll, andere als außerhalb der Kompetenz der Politik-und Verwaltungswissenschaft zu bezeichnen, denn die Analyse von Prozessen und Inhalten staatlicher Policies hält sich prinzipiell nicht an fachwissenschaftliche Zuständigkeits-und Kompetenzgrenzen. Es gibt nur wichtige und unwichtige Faktoren, die in die Untersuchung staatlicher Policies einbezogen werden können, nicht zulässige und unzulässige.
So geht die Kritik an der „Aufbröselung der Disziplin in diverse Policy-Bereiche", die dazu führen soll, daß „je nach (partei-) politischem Interesse der beteiligten Wissenschaftler, entweder mehr oder weniger gutwillig dilettiert oder vom Ansatz her (...) ideologisiert, sprich . kapitalistisch'entlarvt wird, oder beides zugleich geschieht" einmal abgesehen von der polemischen Akzentuierung, in die falsche Richtung.
Es ist sogar für die Analyse von Prozessen der Formulierung, Durchführung und Wirkung von Politik unabdingbar, daß politikbereichs-spezifischeUntersuchungen durchgeführt werden, denn nur so läßt sich Wissen gewinnen, das dann verallgemeinerungsfähig ist. Allerdings muß diese Verallgemeinerung auch geleistet werden. Policy-Forschung darf sich nicht darauf beschränken, das, was bisher in anderen Disziplinen (z. B.der Architektur, Geographie, Ökonomie) geleistet wurde, einfach nachzuvollziehen. Ihre Aufgabe ist es, bisher vernachlässigte Faktoren in die Analyse einzubeziehen und in Kooperation mit den etablierten Disziplinen darauf zu achten, „not to reinvent the wheel".
Es besteht die Gefahr, daß Spezialisierung die Policy-Forschung prägt, noch bevor die gemeinsamen Grundlagen entwickelt worden sind, und es kommt daher darauf an, den Policy-Ansatz als interdisziplinären Ansatz, als „Wissenschaft und Lehre von den staatlichen Interventionen" zu etablieren.
Der Politikwissenschaft kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn in der Bundesrepublik hat sich vor allem diese Disziplin um Policy-Studies verdient gemacht, und es ist verschiedentlich bemerkt worden, daß Politologen in diesem Bereich gegenüber anderen Sozialwissenschaftlern (z. B. Ökonomen oder Soziologen) komparative Vorteile haben. Da die Politikwissenschaft über kein dominierendes Forschungsparadigma verfügt, sind Politologen vielleicht offener gegenüber konkurrierenden Ansätzen, Methoden und Disziplinen der Sozialwissenschaft. Außerdem sind sie natürlich vor allem für die Policy-Forschung im engeren Sinne, d. h. für die besondere Untersuchung politisch-administrativer Ursachen, Inhalte und Folgen von Policies geeignet: sie wären der Garant, daß die Aspekte der Macht-und Interessendurchsetzung und der institutionellen Bedingungen von Policies, d. h. die Politics und Polity-Dimensionen, nicht in Vergessenheit geraten So gesehen ist durch die Betonung der Policy-Fragestellung nicht eine , Aufbröselung" der Disziplin zu befürchten, sondern im Gegenteil eine erneute Hinwendung zu den grundlegenden Fragen zu erkennen. Es geht darum, herauszufinden, welche Institutionen, Personen und Verfahren „gute" Politik im Sinne von materiellen Policies möglich machen, wobei die Definition guter Policies selbstverständlich ohne normative Setzung nicht denkbar ist, gleichwohl aber rationale und empirisch informierte Diskussion über diese Fragen sinnvoll und möglich ist.
Aber die Policy-Orientierung, d. h. die Analyse politischer Strukturen und Prozesse, ausgehend von den durch sie geförderten oder auch verhinderten Politikinhalten, scheint nicht nur für die Forschung relevant zu sein. Gerade auch in der politischen Bildung bietet der Policy-Ansatz die Möglichkeit, bei der Analyse der politischen Wirklichkeit analytisch notwendigerweise auseinandergehaltene Aspekte wieder zusammenzufügen. Es ist sehr sinnvoll, bei der Beschäftigung mit unserem politischen System die unterschiedlichen Akteure und Institutionen, z. B. Parlamente, Parteien, Interessengruppen, Verwaltungen, betroffene Bürger, Unternehmen usw., analytisch zu trennen, aber es kann auch sehr sinnvoll sein, diese Trennung gelegentlich aufzuheben. Die Beschäftigung mit spezifischen Politikfeldern (z. B. Sozialpolitik, Umweltpolitik, Wohnungsbaupolitik) ist manchmal vielleicht ein realistischerer Weg zum Verständnis unseres politischen Systems und der Rolle, die verschiedene Akteure darin spielen, als die losgelöste Beschäftigung mit den Aufgaben einzelner Akteure und Institutionen.