Nationale Eliten sind aufgrund ihrer herausragenden Machtpositionen von besonderer Bedeutung für zentrale politische Entscheidungsprozesse in einer Gesellschaft. Die Untersuchung der Rekrutierung, der politischen Einstellungen und der Struktur von Eliten kann daher wesentliche Einsichten in gesellschaftliche Konfliktstrukturen und deren Lösungsmöglichkeiten bieten. Die Eliteforschung in der Bundesrepublik verfügt durch mehrere große empirische Untersuchungen über eine besonders breite und einmalige Datenbasis. Die Analyse dieser Daten hat im wesentlichen die grundlegenden Ergebnisse bestätigt, die für nationale Eliten in hochindustrialisierten Gesellschaften gelten. Eliten weichen vor allem durch ihren hohen Ausbildungsstand vom Durchschnitt der Bevölkerung ab. Sie durchlaufen relativ spezialisierte Karrieren. Ihre politischen Einstellungen hängen nur wenig mit sozialstrukturellen Faktoren wie sozialer Herkunft und Alter, dagegen relativ stark mit ihrer Partei-präferenz und ihrer Position zusammen. Sie spiegeln jedoch ebenso die Besonderheiten des jeweiligen Parteiensystems wider. Neuere Entwicklungen der Eliteforschung betreffen besonders die Untersuchung der Struktur von Eliten durch Netzwerkanalysen der Kontakte zwischen den Mitgliedern nationaler Eliten. Diese haben für Industrienationen die Existenz eines zentralen Elitezirkels ergeben, der Mitglieder aller wichtigen Führungsgruppen und Parteien einschließt und in dem die politischen Eliten eine zentrale Rolle einnehmen.
I. Eliten als Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften
1. Fragestellungen der Eliteforschung Als Eliten werden im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch die Träger gesellschaftlicher Macht bezeichnet. Besonderes Interesse gilt dabei im allgemeinen den gesamtgesellschaftlichen Eliten, also denjenigen Personen, die nicht nur in einer einzelnen Organisation oder einer regionalen Einheit (z. B. kommunale Eliten) Macht ausüben, sondern die an den zentralen Entscheidungen für eine ganze Gesellschaft mitwirken. Ohne diese Definition zunächst zu problematisieren, läßt sich sagen, daß dies in erster Linie auf die Inhaber von herausgehobenen Führungspositionen in den wichtigsten Institutionen und Organisationen einer Gesellschaft zutrifft, d. h. in Parteien, Regierungen, Verwaltungen, Unternehmen, Verbänden, Massenmedien usw. Es liegt auf der Hand, daß die Erforschung eines solchen Personenkreises Aufschluß über Faktoren geben kann, die bei politischen Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel über den Einfluß verschiedener Organisationen oder über Ziel-konflikte zwischen verschiedenen einflußreichen Gruppen.
Die sozialwissenschaftliche Eliteforschung hat eine lange Tradition. Sie geht zurück auf die klassischen Vertreter der Elitetheorie Pareto, Mosca und Michels, die ihre Theorien als Gegentheorien zum Marxismus entwickelten. Diesen Theorien lag die Annahme zugrunde, daß die Herrschaft von Menschen über Menschen und insbesondere die Herrschaft von Minderheiten ein universelles Phänomen ist und es daher notwendigerweise in jeder Gesellschaft eine Elite bzw. eine „herrschende Klasse" gibt. Gleichzeitig betonten sie als Gegenthese zum ökonomischen Determinismus des Marxismus ein dezisionistisches Element als treibende Kraft der Geschichte („Männer machen Geschichte"). Sie nahmen also an, daß Eliten große Handlungsspielräume zur Beeinflussung der gesellschaftlichen Entwicklung besitzen.
Die erfahrungswissenschaftlich orientierte Eliteforschung, die von diesen eher sozialphilosophischen Theorien des Elitismus abzugrenzen ist, beschränkt sich demgegenüber auf empirisch untersuchbare Fragestellungen, auch wenn diese vielfach — wie übrigens auch andere sozialwissenschaftliche Fragestellungen — sozialphilosophische Wurzeln haben. Das Thema der Universalität von Herrschaft ist dabei abgelöst worden durch die Suche nach Variationen der Herrschaftsorganisation in verschiedenen Gesellschaften, d. h. nach dem Ausmaß der Konzentration von gesellschaftlicher Macht, ihrer Verteilung auf verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen und ihre Kontrolle.
Im Rahmen dieser globalen Fragestellung befaßt sich die empirische Eliteforschung in erster Linie mit Fragen nach der Elitestruktur, der Repräsentativität von und der Interessen-repräsentation (responsiveness) durch Eliten. Unter Elitestruktur wird dabei die Existenz formaler wie informeller Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Elite verstanden, wobei es sich um freundschaftliche, berufliche oder andere Beziehungen handeln kann. Die Repräsentativität von Eliten bezieht sich demgegenüber auf das Ausmaß, zu dem die soziale Komposition von Eliten alle gesellschaftlichen Gruppen widerspiegelt. Interessenrepräsentation schließlich bedeutet, daß Eliten die politischen, ökonomischen und sozialen Interessen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in ihrem Entscheidungsverhalten berücksichtigen.
Häufig lassen sich mit Hilfe systematisch gesammelten Materials über Eliten auf unsystematischen, subjektiven Beobachtungen beruhende Einschätzungen bestätigen, manchmal aber auch widerlegen. So wird es kaum jemanden verwundern, daß in der Bundesrepublik die meisten Mitglieder der Gewerkschaftsführungen der SPD zuneigen und die meisten Wirtschaftsführer der CDU/CSU oder FDP. Hingegen widerlegt der große Prozentsatz der Eliten, der sich prinzipiell zugunsten der Suche nach Kompromissen ausspricht, Dahrendorfs These von der fortbestehenden Aversion von Teilen der deutschen Elite gegenüber der liberalen Tradition Und schließlich ist auch nicht unmittelbar zu erwarten, daß von den Gewerkschaftsführern, denen zu über 90 % das Mitbestimmungsgesetz von 1976 unzureichend erscheint, nur 63, % eine vermehrte direkte Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene für wünschbar halten.
Die Aufschlüsselung der Ergebnisse nach Untergruppen bietet vielfältige Vergleichsmöglichkeiten. So können Journalisten in der Presse mit denen im Rundfunk verglichen werden oder Bankmanager mit Industrie-managern. Solche Vergleiche erlauben die Überprüfung von Annahmen über Ursachen und Konsequenzen von Unterschieden zwischen verschiedenen Elitegruppen. Zum Beispiel läßt sich der wesentlich höhere Anteil an Parteimitgliedern bei den führenden Rundfunkjournalisten im Vergleich zu den Pressejournalisten leicht aus der Stellenbesetzungspolitik der Rundfunkanstalten erklären 2).
Die genannten Beispiele sollten zeigen, daß die empirische Eliteforschung eine Vielzahl verläßlicher Informationen liefern kann, die anderweitig nicht zu erhalten sind. Ihre Ergebnisse können dabei durchaus auch herrschaftskritisch interpretiert werden. Beispielsweise versuchen die Machtelitentheoretiker (u. a. Mills, Domhoff und Miliband) mit ihren Untersuchungen nachzuweisen, daß die Eliten moderner westlicher Gesellschaften trotz der Existenz demokratischer politischer Institutionen ihre privilegierte Stellung hauptsächlich dazu nutzen, ihre eigenen, von denen der Bevölkerungsmehrheit abweichenden Interessen zu verfolgen. Als Beweis dafür werden Daten über die fortdauernde Bedeutung der Oberschichtherkunft und des Besuchs von exklusiven Ausbildungsstätten für den Zugang zu Elitepositionen sowie über die Verflechtung von Elitepositionen herangezogen. Insofern ist der Vorwurf ungerechtfertigt, Eliteforschung setze notwendigerweise eine positive Einschätzung existierender Machtstrukturen voraus. 2. Elitebegriff und Auswahlverfahren der Eliteforschung Die Frage, wer denn nun zu den Mächtigen in einer Gesellschaft gehört, bewegt nicht nur Forscher, sondern ist ganz allgemein ein häufig diskutiertes Thema. Buchtitel wie „Who Rules America?", „Who’s Running America?“ oder Rüstows klassische Frage „Who’s Who, When, and How?" verweisen darauf, daß man sich bereits von der Bestimmung des Kreises der Mächtigen Aufschluß über wichtige Aspekte der Ausübung von Macht in einer Gesellschaft verspricht
Zur Identifizierung der Mitglieder einer Elite stehen drei verschiedene Methoden zur Verfügung. Dies sind der Reputations-, der Entscheidungs-und der Positionsansatz. Es hat lange Diskussionen darüber gegeben, welcher davon der „beste" in dem Sinne ist, daß er inhaltlich zutreffende und eindeutige Kriterien zur Auswahl und Abgrenzung der „Mächtigen“ in einer Gesellschaft festlegt
Beim Reputationsansatz werden Experten gebeten, die ihrer Kenntnis nach einflußreichsten Personen zu benennen. Seine Anwendbarkeit ist jedoch auf überschaubare Kontexte wie Gemeinden beschränkt. Bei der Bestimmung von gesamtgesellschaftlichen Eliten führt er dagegen wegen der Komplexität der Machtstruktur und der Schwierigkeit, auch nur Teile davon zu überblicken, nur in Verbindung mit dem Positionsansatz zu brauchbaren Ergebnissen.
Beim Entscheidungsansatz werden die Teilnehmer an politischen Entscheidungsprozessen auf der Basis von teilnehmender Beobachtung, Protokollanalysen u. ä. empirisch be-stimmt. Er setzt allerdings die Auswahl von für die gesamte Machtstruktur repräsentativen Entscheidungsprozessen sowie umfangreiche Vorstudien voraus, so daß die Bestimmung der Eliten eher Ergebnis denn Ausgangspunkt einer Untersuchung darstellt.
Bei nationalen Elitestudien wird normalerweise der Positionsansatz verwendet, der eine hohe Zuverlässigkeit bei der Bestimmung der Spitzenpositionen aufweist. Er geht von der Annahme aus, daß Macht zumindest in westlichen Industriegesellschaften im Normalfall an die Einnahme von Führungspositionen gebunden ist. Damit sieht er zunächst von Personen ab und erfordert statt dessen die Bestimmung der zentralen Organisationen und Führungspositionen in einer Gesellschaft. Da er jedoch wichtige Personen ohne formale Position systematisch verfehlt, ist seine Ergänzung durch den Reputationsansatz wünschenswert.
II. Eliteforschung in der Bundesrepublik
Abbildung 2
Tabelle 2: Sektorkomposition der Inhaber der ausgewählten Spitzenpositionen und des Netzwerks der durch persönliche Kontakte verbundenen Elitemitglieder Sektor Politik Verwaltung Wirtschaftsunternehmen Wirtschaftsverbände Gewerkschaften Massenmedien Wissenschaft Sonstige Insgesamt Ausgewählte Inhaber von Spitzen-positionen n 246 82 242 61 33 88 46 63 861 % 28, 7 9, 6 28, 3 7, 1 3, 9 10, 3 5, 4 6, 7 100, 0 Netzwerk der durch Kontakte verbundenen Personen n 273 99 140 55 55 80 52 45 799 % 34, 2 12, 4 1댐ٝ?
Tabelle 2: Sektorkomposition der Inhaber der ausgewählten Spitzenpositionen und des Netzwerks der durch persönliche Kontakte verbundenen Elitemitglieder Sektor Politik Verwaltung Wirtschaftsunternehmen Wirtschaftsverbände Gewerkschaften Massenmedien Wissenschaft Sonstige Insgesamt Ausgewählte Inhaber von Spitzen-positionen n 246 82 242 61 33 88 46 63 861 % 28, 7 9, 6 28, 3 7, 1 3, 9 10, 3 5, 4 6, 7 100, 0 Netzwerk der durch Kontakte verbundenen Personen n 273 99 140 55 55 80 52 45 799 % 34, 2 12, 4 1댐ٝ?
1. Die besondere Situation nach dem Zweiten Weltkrieg und die Entwicklung einer empirischen Forschungstradition Das Thema „Elite 1'war in der Anfangsphase der Bundesrepublik aus zwei Gründen negativ besetzt. Einmal wurden vielfach die Eliten für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gemacht. Zum anderen war der Begriff der „Elite" ebenso wie der Begriff der „politischen Führung“ durch den Führerkult des Dritten Reiches gründlich diskreditiert Kein Wunder also, daß die ersten Eliteuntersuchungen nicht von Deutschen selbst, sondern von Amerikanern durchgeführt wurden
Gerade die These vom „Versagen der Eliten“ in der Weimarer Republik hat aber umgekehrt die empirische Eliteforschung über die Bundesrepublik befruchtet, impliziert sie doch Handlungsspielräume, die für die Eliten bestanden und deren Untersuchung damit wünschenswert macht. Gleichzeitig hat sie den Fokus auf die Fähigkeit der deutschen Eliten zur Demokratie gelenkt.
Die ersten empirischen Studien von Lewis Edinger versuchten, diese letzte Frage mit Hilfe von Zirkulationsstudien zu beantworten. Dabei wurde die Ersetzung autoritärer bzw. nationalsozialistischer Eliten durch demokratische als eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung der jungen bundesrepublikanischen Demokratie betrachtet. Es zeigte sich jedoch, daß nach dem Zweiten Weltkrieg, abgesehen von den politischen Eliten im engeren Sinne, kein nennenswerter Austausch des Führungspersonals stattgefunden hat und daß sich die Eliten der fünfziger Jahre in ihren demographischen Merkmalen kaum von ihren Vorgängern unterschieden. Die gefundenen Änderungen reflektierten mehr die durch die fortschreitende Industrialisierung bedingten Veränderungen in der Sozialstruktur als einen Wandel in der Rekrutierungsbasis der Eliten
Während die zitierten Studien von Edinger auf Material beruhten, das Nachschlagewer-ken entnommen worden war, hat derselbe Autor einige Jahre später zusammen mit Karl Deutsch zwei Eliteumfragen durchgeführt, bei denen neben demographischen Merkmalen auch Einstellungsdaten erhoben wurden. Die Ergebnisse sind in zwei Büchern dokumentiert Untersuchungsziel beider Studien waren die Einstellungen der Eliten zu außenpolitischen Fragen, insbesondere zur militärischen, ökonomischen und politischen Westintegration der Bundesrepublik (NATO, EWG). Damit lag ihnen keine elitetheoretische Fragestellung zugrunde, sondern sie sollten in erster Linie Prognosen außenpolitischer Entscheidungen ermöglichen.
Dennoch ist die zweite dieser Studien auch unter elitetheoretischem Aspekt interessant, da sie die erste international vergleichende empirische Elitenumfrage war. Ihr verdankt die empirische Eliteforschung gleichsam als Nebenprodukt eines ihrer bahnbrechenden Ergebnisse, nämlich die Erkenntnis, daß die demographischen Merkmale (social background) von Elitemitgliedern nur wenig zur Erklärung ihrer politischen Einstellungen und damit ihres Verhaltens beitragen
1965 erschien die erste umfassende Untersuchung über Wandlungsprozesse in der deutschen Elite zwischen 1919 und 1961 von Wolfgang Zapf, deren Ergebnisse auch die Basis für Dahrendorfs polemische Bemerkungen über die mangelnde Bereitschaft deutscher Eliten zur Liberalität bildeten Beide Arbeiten sind wichtige Beiträge zur Eliteforschung in der Bundesrepublik. Während Zapf in erster Linie langfristigen historischen Veränderungsprozessen und den Zusammenhängen zwischen Wandlungen von Sozialstruktur, Regierungssystem und sozialer Komposition der Eliten nachging, entwickelte Dahrendorf ein Modell, das die soziale Gestalt einer Elite mit deren politischer Haltung, speziell ihrer Haltung zu einem liberalen Gemeinwesen, verbindet Die verwendeten demographischen Daten, für Zapfs Analyseziel angemes-sen, reichten allerdings zur Überprüfung der Dahrendorfschen Thesen nicht aus: Neuere Daten über die Einstellungen von Eliten in der Bundesrepublik erwiesen, daß er mit seinen weitreichenden Annahmen übers Ziel hinausgeschossen war und die Koinzidenz der Existenz eines sozial homogenen „Establishments" mit einer liberalen Gesellschaftsverfassung in den angelsächsischen Ländern fälschlicherweise als Kausalzusammenhang interpretiert hatte. Nach neueren Ergebnissen der Eliteforschung hat die soziale Homogenität von Eliten weder Einfluß auf ihre politischen Einstellungen noch auf ihre tatsächliche Kooperationsfähigkeit 2. Die drei Mannheimer Elitestudien 1968, 1972 und 1981 Seit 1968 wurden unter der Leitung von Rudolf Wildenmann (Universität Mannheim) drei größere Eliteumfragen in der Bundesrepublik durchgeführt. Während die erste dieser Studien 1968 noch auf 808 Befragte beschränkt war, umfaßten die beiden neueren 1825 bzw. 1744 Interviews. Damit steht für die Bundesrepublik ein in der ganzen Welt einmaliges Datenmaterial über nationale Eliten zur Verfügung, das sowohl Querschnitts-als auch Längsschnittanalysen ermöglicht In allen drei Studien wurden die Zielpersonen nach dem Positionsansatz ausgewählt und Eliten aller wichtigen gesellschaftlichen Sektoren einbezogen. Ziel war eine Vollerhebung der Inhaber von Führungspositionen in den wichtigsten Organisationen der Bundesrepublik. Die folgende Kurzbeschreibung der in die Studie von 1981 einbezogenen Positionen muß notwendigerweise summarisch und unvollständig sein, kann aber wenigstens einen ungefähren Eindruck von der Breite des gewählten Ansatzes vermitteln:
Sektor Politik: Mitglieder von Bundes-und Landesregierungen; Mitglieder der Bundes-und Landesvorstände der CDU/CSU, SPD und FDP; Inhaber der Führungspositionen in Bundestags-und Landtagsfraktionen sowie Bundestagsausschüssen. Sektor Verwaltung: Staatssekretäre in Bundes-und Landesministerien Abteilungsleiter, teilweise Unterabteilungsleiter in Bundesministerien; Leiter von wichtigen Bundes-und Landesbehörden.
Sektor Wirtschaftsunternehmen: führende Vorstands-und Aufsichtsratsmitglieder der größten Industrie-, Handels-, Dienstleistungsund Finanzunternehmen.
Sektor Wirtschaftsverbände: Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von BDI, BDA DIHT sowie der wichtigsten Handwerks-und Landwirtschaftsverbände.
Sektor Gewerkschaften: Vorstandsmitglieder, teilweise auch Bezirksleiter der DGB-Gewerkschaften sowie der DAG.
Sektor Massenmedien: Herausgeber, Chefredakteure sowie Leiter der politischen Redaktionen der nach Auflage größten Tages-und Wochenzeitungen und Zeitschriften. Intendanten, Programmdirektoren und Leiter der wichtigsten politischen und wirtschaftspolitischen Programmbereiche in den Rundfunkanstalten.
Sektor Wissenschaft: Rektoren der Universitäten, führende Positionsinhaber in den größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in den Forschungsabteilungen von Großunternehmen sowie der Forschungsförderung. Sektor Militär: Generale und Admirale der Bundeswehr.
Sektor Kultur: Leiter der Ressorts Kultur (Feuilleton) und Unterhaltung in Rundfunk-anstalten und den wichtigsten Presseorganen; Spitzenpositionsinhaber in den größten Verlagen mit politischem Buchprogramm sowie in den großen Medienkonzernen.
Zusätzlich wurden noch Vertreter der kleineren Sektoren Justiz, Kirchen, Berufsverbände sowie Repräsentanten der Kommunen in die Studie einbezogen
In allen drei Mannheimer Studien wurden Informationen über demographische Merkmale wie Alter, soziale Herkunft und Ausbildung, über wichtige Stationen der beruflichen Laufbahn, weitere Positionen (Ämterkumulation), Mitgliedschaften in Vereinigungen und Kontakte sowie über politische Werthaltungen und Einstellungen zu aktuellen politischen Fragen erhoben, deren Hauptergebnisse im folgenden kurz umrissen werden sollen. Die Verfügbarkeit von Daten aus inzwischen drei Studien ermöglicht es, Veränderungen innerhalb einzelner Sektoren sowie für die Elite insgesamt seit 1968 zu studieren. Es sei schon vorweg gesagt, daß der Zeitvergleich eine bemerkenswerte Konstanz in der sozialen Zusammensetzung der Elitegruppen ergeben hat. Auch bei den politischen Einstellungen hat sich bei allem Wechsel der Tagesprobleme eine Dauerhaftigkeit der grundlegenden Konfliktmuster gezeigt. Die Hauptspannungslinien verlaufen zwischen den beiden stabilen Koalitionen der SPD-Politiker mit den Gewerkschaftsführungen einerseits und der CDU/CSU-Politiker mit den wirtschaftlichen Eliten andererseits.
III. Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse
Es kann im folgenden nicht darum gehen, detailliert über Einzelergebnisse zu berichten, sondern einen Überblick über die verschiedenen Themen zu geben, zu denen Informationen erhoben wurden, und die Hauptergebnisse kurz zu umreißen. Ausführlichere Darstellungen der Ergebnisse über soziale Herkunft, Berufslaufbahn, Einstellungen und Ak-tivitäten nationaler Eliten in der Bundesrepublik finden sich bei Zapf, Enke, Roth, Neu-* mann, Wildemann, Hoffmann-Lange et al. Die für die Bundesrepublik gefundenen Ergebnisse stehen dabei nicht für sich, sondern bestätigen und ergänzen Befunde aus anderen Industrienationen. Bei aller Ähnlichkeit der Grundmuster haben jedoch internationale Vergleiche auch Unterschiede zutage gefördert, die auf Besonderheiten der einzelnen Regierungssysteme sowie auf unterschiedliche nationale Traditionen zurückzuführen sind. 1. Soziale und berufliche Rekrutierung der Eliten • Die Rekrutierung von Eliten gibt wichtige Auskünfte über die Zugangschancen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu den Machtpositionen in einer Gesellschaft sowie über die dafür erforderlichen Qualifikationen. In sozial geschlossenen Gesellschaften ist der Zugang zu den Eliten weitgehend auf Angehörige der privilegierten Schichten und Gruppen beschränkt, während in offenen Gesellschaften in der Regel zwar keine formalen, wohl aber faktische Barrieren die Aufstiegs-möglichkeiten von Personen aus unterprivilegierten Schichten behindern. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß auch in Gesellschaften mit relativ hoher sozialer Mobilität die Bildungschancen stark durch die soziale Herkunft bestimmt sind. Zudem hat sich immer wieder herausgestellt, daß eine privilegierte Herkunft nicht nur bessere Zugangs-möglichkeiten zu höheren Ausbildungsgängen eröffnet, sondern auch die Chancen erhöht, dort besser abzuschneiden. Dies ist dadurch bedingt, daß in solchen Elternhäusern mehr als in anderen wichtige Voraussetzungen für gute Schulleistungen wie verbale Fähigkeiten, Arbeitsdisziplin usw. vermittelt werden.
Aufstieg über die gesamte Hierarchieskala von ganz unten nach ganz oben ist daher schon aus dem Grunde eine rare Ausnahme, als Elitepositionen die Spitzenpositionen verschiedener beruflicher Hierarchien darstellen, die in der Regel an hohe Ausbildungsvoraussetzungen geknüpft sind und ein schnelles Durchlaufen der verschiedenen Karrierestufen erfordern. Damit ändert auch eine strikte Anwendung des Leistungsprinzips, das ja gemeinhin als Voraussetzung für Chancen-gleichheit betrachtet wird, nicht viel an der faktischen Ungleichverteilung von durch das Elternhaus vermittelten Lebenschancen In den Eliten der Bundesrepublik sind daher nur wenige Personen aus den Unterschichten und ohne formal hohe Berufsausbildung zu finden. Nur ein Zehntel der 1981 befragten Eliten stammt aus der Arbeiterschicht, 85, 1% von ihnen haben das Abitur gemacht und 68, 5% sogar eine Studium abgeschlossen. Die Eliten stellen daher von ihrer sozialen Herkunft und Ausbildung her kein Spiegelbild der gesellschaftlichen Vielfalt dar, sie sind nicht „repräsentativ". Dies gilt für alle untersuchten Elitegruppen in der Bundesrepublik, mit Ausnahme der Gewerkschaftsführer und der SPD-Politiker. Diese beiden Sektoren bieten als einzige in nennenswertem Ausmaß Aufstiegsmöglichkeiten für Personen aus den unteren Schichten und ohne hohe formale Ausbildung.
Der Aufstieg in die Eliten erfolgt normalerweise über eine längere berufliche Laufbahn. Zum Zeitpunkt der Befragung konnten die Befragten 1981 durchschnittlich auf fast 28 Jahre hauptberuflicher Tätigkeit zurückblicken. Fast 84% der Laufbahn wurden zudem im gegenwärtigen Sektor absolviert Selbst im Verbandsbereich, also in Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, die ja keine durchgängigen Karrieren anbieten, sondern in denen der hauptberufliche Einstieg meist erst nach längerer ehrenamtlicher Tätigkeit möglich ist, liegen die Werte nur geringfügig niedriger. Lediglich der Sektor Politik macht hier eine Ausnahme. Die befragten Politiker waren im Durchschnitt erst zwölf Jahre Berufspolitiker und hatten fast 50% ihrer beruflichen Laufbahn in anderen Sektoren verbracht.
Weit überdurchschnittlich sind die Aktivitäten der Eliten in politischen Parteien, Verbänden und sozialen Vereinigungen. 43% der nichtpolitischen Eliten, d. h. aller Eliten mit Ausnahme der Politiker, sind Mitglied einer politischen Partei, 20, 6% sind Mitglieder in Gewerkschaften, 30, 2% in Berufsverbänden und jeweils zwischen 10 und 20 % in religiösen Laienorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und gesellschaftlichen Vereinigungen (z. B. Rotarier, Lions Club, Freimaurer). Diese Anteilswerte liegen mit Ausnahme der Gewerkschaftsmitgliedschaften weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung. Die Zahlen erlauben jedoch keinen Schluß darauf, ob solche Mitgliedschaften Ursache oder Konsequenz einer Eliteposition sind. Beides ist denkbar: Vielfältige soziale und politische Aktivitäten können der beruflichen Karriere förderlich sein, aber umgekehrt werden sie ab einer bestimmten Karrierestufe auch erwartet.
Andererseits ermöglicht die Einnahme einer Führungsposition normalerweise kein zeitaufwendiges Engagement, wie es die Übernahme ehrenamtlicher Positionen in den entsprechenden Verbänden erfordert. Zusätzliche Positionen der Eliten sind in der Regel eng mit ihrer Hauptposition verbunden und damit auf den eigenen Sektor beschränkt. So werden Positionen in politischen Parteien und gesetzgebenden Körperschaften fast nur von Politikern eingenommen, Positioneh in Wirtschaftsverbänden fast nur von Wirtschaftsmanagern. Selbst Mitgliedschaften in Rundfunkräten oder Beratergremien bei Bundesministerien, die ja in erster Linie Angehörigen anderer Sektoren offenstehen, sind recht selten; nur 5, 3% bzw. 9, 9% der Befragten sind Mitglied eines solchen Gremiums.
Damit weist die Führungsschicht zumindest von ihrem beruflichen Spektrum her eine nach Sektoren differenzierte Vielfalt auf.
Gleichzeitig kann man ihr auch keine Interessenidentität aufgrund sozialer Homogenität unterstellen. Zwar stammen nur wenige Inhaber von'Führungspositionen aus Unterschichtfamilien, aber ebenso selten ist umgekehrt eine Herkunft aus der Oberschicht. 2 Partei-und Koalitionspräferenzen nicht-politischer Eliten In parlamentarischen Regierungssystemen sind die politischen Parteien die Hauptträger politischer Programmatik. Zugleich stellen sie das politische Führungspersonal. Auch wenn über die Regierungsbildung in erster Linie in allgemeinen Wahlen entschieden wird und damit auf den ersten Blick die Partei-und Koalitionspräferenzen der nicht-politischen Eliten als einer verschwindenden Minderheit der Gesamtbevölkerung von geringer Relevanz erscheinen mögen, stellen diese dennoch in zweierlei Hinsicht eine wichtige Bezugsgruppe für die politischen Eliten dar. Das Meinungsklima innerhalb der Eliten ist nämlich sowohl für die direkte Kooperation bei politischen Entscheidungsprozessen von Bedeutung als auch indirekt durch die Rolle, die nicht-politische Eliten bei der Entwicklung der öffentlichen Meinung spielen
Die in Tabelle 1 dargestellten Verteilungen der Parteipräferenzen der Eliten verschiedener Sektoren können auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein: eine wahrgenommene Interessenidentität zwischen den Organisationsinteressen eines Sektors mit einer bestimmten Partei, parteipolitische Einflußnahme auf die Personalpolitik eines Sektors oder aber die individuelle Meinungsbildung der Eliten.
Die über Zeit stabilen großen Majoritäten der Wirtschafts-und Militäreliten für die CDU/CSU und der Gewerkschaftseliten für die SPD weisen darauf hin, daß hier eine weitgehende Interessenidentität empfunden wird. Parteipolitische Einflüsse bei der Stellenbesetzungspolitik spielen dagegen in der Ministerialbürokratie und im Rundfunk bekanntermaßen eine gewichtige Rolle. Dies läßt sich vor allem für die politischen Beamten (Staatssekretäre in Bund und Ländern, Abteilungsleiter in Bundesministerien) zeigen, die nicht nur in ihrer überwältigenden Mehrheit eine Präferenz für die jeweilige (n) Regierungspartei (en) äußerten, sondern zu einem großen Prozentsatz (fast 65% im Bund und sogar fast 85% in den Bundesländern) Parteimitglieder sind. Während dies jedoch bei den politischen Beamten wegen ihrer unmittelbar politischen Funktion zwar manchmal beklagt, aber doch überwiegend als notwendig anerkannt wird, ist die parteipolitisch dominierte Personalpolitik in den Rundfunkanstalten sehr viel um-strittener. Der Trend ist hier allerdings nicht so einheitlich, da wegen des Ausgewogenheitsgebots ein gewisser parteipolitischer Proporz verfolgt wird. Die politische Einflußnahme zeigt sich hier vor allem an einem relativ hohen Anteil von fast 54% Parteimitgliedern bei den Inhabern von Führungspositionen. Ein Vergleich der Entwicklung der Anteile für die einzelnen Parteien in den verschiedenen Elitesektoren mit der in der Bevölkerung seit 1968 kann Aufschluß darüber geben, in welchen Sektoren die individuelle Meinungsbildung mehr als sektorspezifische Gegebenheiten eine Rolle spielt. Eine Parallelität in der Entwicklung der Parteianteile läßt darauf schließen, daß die Parteipräferenz sich aufgrund derselben tagespolitischen Gegebenheiten verändert hat. Dies ist in erster Linie bei den Medien-und Wissenschaftseliten der Fall. Bei diesen Gruppen nahm ebenso wie in der Bevölkerung die SPD zwischen 1968 und 1972 deutlich zu, während sie zwischen 1972 und 1981 einen Rückgang auf Werte zu verzeichnen hatte, die unter denen von 1968 liegen Insgesamt zeigen die Zahlen, daß die SPD in den Eliten deutlich unterrepräsentiert ist, die CDU/CSU und die FDP dagegen überrepräsentiert sind. Dies liegt in erster Linie an der Abneigung der Wirtschaftseliten und in schwächerer Form auch der übrigen „bürgerlichen" Eliten gegenüber den Sozialdemokraten. Damit besteht eine Asymmetrie zugunsten von Wirtschaftsinteressen in den Eliten, die nur teilweise durch die Koalition zwischen SPD und Gewerkschaften wettgemacht wird. Diese Asymmetrie hängt allerdings nur schwach mit dem durchschnittlich höheren Herkunfts-und Ausbildungsstatus der Eliten, dagegen in weit stärkerem Maße mit ihrer Position (Sektorzugehörigkeit) sowie ihren persönlichen Werthaltungen zusammen, die sich in der Zugehörigkeit zu Verbänden, sonstigen Vereinigungen sowie in den religiösen Einstellungen dokumentieren.
Der Zeitraum zwischen 1968 und 1981/82 ist wegen der zweimaligen Änderung des Koalitionsverhaltens der FDP im Bund von besonderem Interesse. Die Daten ermöglichen die Analyse der Entwicklung der Koalitionspräferenzen der FDP-Politiker und der FDP-Anhänger in Eliten und Bevölkerung und damit die Identifizierung derjenigen Gruppen, die bei der jeweiligen Koalitionsumorientierung Vorreiter und Nachzügler waren.
Bereits 1968 gab eine große Mehrheit von 61, 1% der FDP-Politiker einer sozialliberalen Koalition den Vorrang im Vergleich zu 33% für eine christlich-liberale Koalition. Für die FDP-Anhänger in der Bevölkerung liegen Daten nur für 1969 vor, als der Umschwung bereits beschlossene Sache war. Fast die Hälfte von ihnen sprach'sich damals für die neue Koalition aus. Bei den FDP-Anhängern in den nicht-politischen Eliten war die Anhängerschaft für die neue Koalition dagegen 1968 mit knapp 40 % etwas geringer, allerdings bevorzugten auch nur 32% eine christlich-liberale Koalition.
1972 hatte sich die neue Koalition dann in den Augen von FDP-Politikern und FDP-Anhängern gleichermaßen fest etabliert: Dies dokumentiert sich in sehr hohen Befürwortungsraten für die sozialliberale Koalition.
1981/82 hingegen zeigt sich die paradoxe Situation, daß FDP-Politiker und FDP-Anhänger in der Bevölkerung mit einer überwiegenden Mehrheit von fast 80% die Fortführung der sozialliberalen Koalition befürworteten, während bei den FDP-Anhängern in den nicht-politischen Eliten die Anhänger einer christlich-liberalen Koalition bereits überwogen.
Dies gilt besonders für die FDP-Anhänger in den Wirtschaftseliten, bei denen sich auch 1972 nur knapp die Hälfte für die sozialliberale Koalition ausgesprochen hatte und die nun bereits zu 64, 3% für die neue Koalition votierten.
Bei aller gebotenen Vorsicht läßt sich aus den Daten schließen, daß die Hinwendung zur sozialliberalen Koalition 1968/69 hauptsächlich von den FDP-Politikern vorbereitet wurde, denen die FDP-Anhänger in Eliten und Bevölkerung später folgten, während die Wende 1981/82 in erster Linie auf das Mißvergnügen der FDP-Anhänger in den Eliten — und vor allem in den für die FDP besonders wichtigen Wirtschaftseliten — an der bestehenden Koalition zurückzuführen war, denen sich zunächst nur eine Minderheit der FDP-Politiker anschloß. 3. Politische Ziele und Einstellungen zu aktuellen politischen Fragen Die Erfassung politischer Einstellungen von Eliten und Bevölkerung zu politischen Einzelfragen ist unter mehreren Aspekten interessant. Zunächst hat die Verteilung der Einstellungen zu aktuellen Fragen und insbesondere zu neuen Themen wie beispielsweise der Kernenergie einen unmittelbaren Informationswert. Da die Eliten direkt an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen, kann man von der Verteilung ihrer Einstellungen zudem auf die Durchsetzungschancen verschiedener politischer Positionen für künftige Entscheidungen schließen, d. h. sie haben prognostischen Wert.
Weiter läßt sich untersuchen, mit welchen Faktoren die gefundenen Einstellungen am engsten Zusammenhängen: mit Beruf bzw. Sektor, mit der Parteipräferenz oder mit anderen Faktoren wie sozialer Herkunft, Religion usw. Die hierzu durchgeführten Analysen haben ergeben, daß die Parteineigung bzw. die Wahlabsicht relativ eng mit den politischen Einzeleinstellungen Zusammenhängen. Die übrigen erwähnten Faktoren üben dagegen einen eher indirekten Einfluß insofern aus, als sie wiederum die Parteineigung beeinflussen. Die Einstellungsdifferenzen zwischen den Politikern verschiedener Parteien lassen Rückschlüsse auf die Konfliktlinien zwischen den Parteien zu. Uber die Zeit betrachtet, kann man aus ihnen ablesen, wie stabil die zugrundeliegende Konfliktstruktur ist und in welcher Weise neue Themen in diese eingebaut werden bzw. sie verändern. Die Ergebnisse zeigen die grundlegende Bedeutung, die der ökonomische Interessenkonflikt für die Strukturierung des Parteiensystems spielt und die sich in deutlichen Einstellungsdifferenzen zwischen SPD-Politikern und Unionspolitikern in wirtschaftspolitischen Fragen niederschlägt, z. B. in den Einstellungen zur Mitbestimmung und zur Marktwirtschaft. Dieser Konflikt ist über die Zeit überaus stabil und dokumentiert sich auch in den bereits erwähnten dauerhaften Koalitionen zwischen SPD und Gewerkschaftseliten einerseits und der CDU/CSU und den Wirtschaftseliten andererseits. Die relativ neue Streitfrage der Staatsverschuldung fügt sich nahtlos in diese Konfliktlinie ein.
Die Einstellungsdifferenzen zwischen SPD und CDU/CSU gehen jedoch über den wirtschaftlichen Bereich hinaus und erstrecken sich auch auf außenpolitische und gesellschaftspolitische Fragen wie z. B. die Entspannungspolitik und die Bildungspolitik (Gesamtschule). Die FDP nimmt eine Zwischenposition zwischen diesen beiden Blöcken ein. In wirtschaftspolitischen Fragen steht sie den Unionsparteien näher, in gesellschafts-und außenpolitischen eher der SPD. Je nach Veränderung der aktuellen Prioritäten und Konflikte liegt es für sie daher nahe, eine Koalition mit der einen oder der anderen Seite einzugehen. Während die FDP-Politiker beispielsweise in der Umfrage 1972 mehrheitlich für eine Erweiterung der Mitbestimmung plädierten, wandten sie sich 1981 ebenso eindeutig gegen eine Veränderung des Mitbestimmungsgesetzes von 1976. In der neuen Umfrage weisen die FDP-Politiker auch in anderen wirtschaftspolitischen Fragen ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der CDU/CSU auf, was sich z. B. in deutlich von den SPD-Politikern abweichenden Prioritäten für Vollbeschäftigung und die Verminderung der Staatsverschuldung äußert.
Mit Hilfe von Vergleichen zwischen verschiedenen Befragtengruppen kann man schließlich feststellen, inwieweit die politischen und nicht-politischen Eliten die Einstellungen der Bevölkerung repräsentieren. In der Bundesrepublik wie auch in anderen Ländern spiegeln sich die Grundkonflikte zwischen den Partei-politikern in den Einstellungen der Anhänger der verschiedenen Parteien wider, wenn auch meist nur in abeschwächter Form. Daneben gibt es jedoch Fragen, bei denen der Bevölkerungsdurchschnitt insgesamt von dem der Parteipolitiker abweicht. Diese betreffen einmal Fragen der ökonomischen Lebenssicherung wie Preisstabilität, Sicherung der Renten und Förderung des Mietwohnungsbaus, denen von der Bevölkerung durchgehend eine höhere Priorität eingeräumt wird. Dasselbe gilt für den Schutz der unmittelbaren Lebens-umwelt (Umweltschutz, Verbesserung des städtischen Lebensraums), zu dem man möglicherweise auch noch die eher skeptische Haltung der Bevölkerung zur Kernenergie zählen kann. Ein dritter Bereich bezieht sich auf die Kontrolle staatlicher und wirtschaftlicher Macht (Kontrolle der multinationalen Konzerne, Datenschutz), die den Eliten weniger wichtig ist.
Der inneren Sicherheit wird von der Bevölkerung ebenfalls ein höherer Stellenwert beigemessen als von den Politikern. Dies kann einmal ebenfalls als Schutzbedürfnis interpretiert werden, zum andern ist es aber auch als Teil des bekannten Syndroms anzusehen, daß die Eliten „liberalere" Einstellungen zu Fragen von „law and Order“ aufweisen. Dies gilt z. B. für die Eihstellungen zur Todesstrafe, Bekämpfung des Terrorismus, Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen sowie zur Integration ausländischer Arbeitnehmer. • Generell gilt, daß die Einstellungen der nicht-politischen Eliten denen der Politiker ähnlicher sind als denen der Bevölkerung. Zwar lassen die verfügbaren Querschnittdaten nur bedingt Aussagen über die Dynamik von Meinungsbildungsprozessen zu, die Ergebnisse legen jedoch den Schluß nahe, daß die Definition von konkreten politischen Alternativen auf der Ebene der Eliten erfolgt und erst später von den Parteianhängern in der Bevölkerung übernommen wird. Dieser „Definitionsmacht" der Eliten sind jedoch durch ökonomische und Sicherheitsinteressen der Bevölkerung Grenzen gesetzt, über die sich die politischen Eliten nicht einfach hinwegsetzen können. Die Einstellungen verschiedener Elite-und Bevölkerungsgruppen zur Kernenergie sind ein interessantes Beispiel für eine politische Streitfrage, die sich offensichtlich nur schwer in die bestehende Konfliktstruktur zwischen den Parteien integrieren läßt. Zwar zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Politikern der verschiedenen Parteien, jedoch stehen die Politiker und noch mehr die nicht-politischen Eliten der Kernenergie durchweg positiver gegenüber als die Bevölkerung Während die CDU/CSU-Politiker sich in dieser Frage mehr im Einklang mit ihren zu über 90% für den systematischen Ausbau der Kernenergie votierenden Anhängern in den Eliten befinden, stehen die SPD-Politiker (24% für Ausbau, 75% für weitere Nutzung) hierbei ihren Wählern und dem Bevölkerungsdurchschnitt (34% für Ausbau, 54% für weitere Nutzung) näher als ihren Anhängern in den Eliten (49% für Ausbau, 50% für weitere Nutzung). 4. Die Struktur von Eliten Während die Analyse demographischer Merkmale und der Einstellungen von Eliten Aussagen über ihre Repräsentativität, ihre Absichten und über Konfliktlinien zwischen verschiedenen Elitegruppen ermöglicht, verspricht man sich von der Erforschung der Elitestruktur Aufschlüsse über die Form der Ausübung von Macht in einer Gesellschaft. Macht ist auch innerhalb der Eliten ungleich verteilt. Erst Daten über den tatsächlichen Zugang zu Entscheidungsprozessen und die Breite des Einflußspektrums einzelner Personen erlauben daher die Feststellung der Durchsetzungschancen bestimmter Positionen. Im Rahmen der Mannheimer Elitestudie 1981 wurden solche Daten über politische Arbeitsteilung und persönliche Kontakte innerhalb der Eliten erhoben, ihre detaillierte Analyse steht allerdings noch aus.
Erste Auswertungen über die Beschäftigung der befragten Eliten mit verschiedenen Politikfeldern zeigen, daß diese in der Regel mit mehreren Feldern zu tun haben. Jedoch sind sowohl der Inhalt als auch die Breite des Aktivitätsspektrums begrenzt und durch die Position vorstrukturiert. Bei Verwaltungs-, Militär-, Wissenschafts-, Kultur-und Wirtschaftseliten liegt sie niedriger, bei Politikern, Gewerkschaftern und Medieneliten höher. Die wichtigste Determinante für die Breite des Aktivitätsspektrums ist die Sektorzugehörigkeit. Die Höhe der Position, das Studienfach, die soziale Herkunft und andere Einflußfaktoren spielen dagegen eine nur untergeordnete Rolle.
Verlagert man das Augenmerk von der individuellen Ebene auf die Sektorebene, so zeigt sich, daß das Aktivitätsspektrum der Sektoren ebenfalls variiert Lediglich die Sektoren Politik, Verwaltung und Massenmedien befassen sich mit allen Themen, bei den anderen Sektoren sind dagegen deutlich Schwerpunkte zu erkennen, z. B. Arbeitsmarktpolitik bei den Gewerkschaften, Wirtschaftspolitik bei den Wirtschaftseliten und Sicherheitspolitik bei den militärischen Eliten.
Inhaltlich stimmt die Häufigkeit, mit der die einzelnen Politikfelder genannt wurden, recht gut mit den politischen Prioritäten der Eliten überein. Wirtschafts-und Energiepolitik spielen eine dominante Rolle, während beispielsweise das Post-und Fernmeldewesen trotz seiner überragenden Bedeutung für die künftigen Kommunikationsstrukturen von nur wenigen Personen genannt wurde.
Die Kontakte der Eliten untereinander geben Aufschluß über die Elitestruktur. Hierbei sind in erster Linie zwei Fragen von Interesse. Einmal, inwieweit formale und informelle Einflußkanäle voneinander abweichen, und zum andern, ob die in einem Netzwerk von Kontakten zwischen Eliten besonders zentralen und damit einflußreichen Personen sich systematisch von der Gesamtgruppe der Befragten unterscheiden, z. B. im Hinblick auf ihre Parteineigung, soziale Herkunft oder Sektor-zugehörigkeit. Zugleich ermöglicht die Frage nach Kontaktpersonen die Überprüfung der Gültigkeit des Positionsansatzes, da hier auch Personen genannt werden konnten, die nicht in der ursprünglichen Positionenauswahl enthalten waren.
Informelle Beziehungen zwischen Eliten haben von jeher Laien wie Wissenschaftler gleichermaßen fasziniert, da vielfach davon ausgegangen wird, daß hinter den Kulissen offizieller Zuständigkeiten informelle Macht-prozesse eine wichtige Rolle spielen und politische Entscheidungen nicht unerheblich beeinflussen. Die Vorstellung von Cliquen, „Seilschaften" und geschlossenen Elitezirkeln wird durch eine große Flut von „Enthüllungs" literatur über Lobbyismus und über die Geschichte von einzelnen Entscheidungen genährt. Politische Prozesse lösen sich in solchen Publikationen meist in ein Konglomerat von informellen Absprachen und Durchsetzungsstrategien auf, die die schließlich getroffenen Entscheidungen je nach Standpunkt des Betrachters entweder als reine Zufallsprodukte oder als logische Konsequenz einer bestimmten personellen Konstellation erscheinen lassen. gie aus. Bei den nicht-politischen Eliten waren es 75 %, jedoch bei den SPD-Anhängern mit 49 % und bei den Gewerkschaftseliten mit 56, 5 % etwas weniger. In einer Bevölkerungsumfrage erbrachte dieselbe Frage Anfang 1982 nur 34 % Zustimmung. Fraglos kommt den Sozialwissenschaften bei diesem Thema eine wichtige Aufklärungsfunktion zu, und die Eliteforschung soll und kann einen wichtigen Beitrag zu dessen empirischer Erforschung leisten. Dabei ist jedoch zunächst die Bedeutung informeller Beziehungen von den Zwecken analytisch zu trennen, zu denen diese eingesetzt werden. Meist wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, daß informelle Kontakte in erster Linie zur Verfolgung individueller Vorteile eingesetzt werden, also im Rahmen dessen, was Domhoff den „special interest process" genannt hat Bei diesem geht es meist um die Lenkung staatlicher Gelder in eine bestimmte Richtung, also um die Verteilung von Subventionen, Forschungsmitteln oder öffentlichen Investitionen. Zweifellos spielen bei derartigen Entscheidungsprozessen informelle Beziehungen eine oftmals ausschlaggebende Rolle. Man sollte dabei jedoch nicht aus dem Auge verlieren, daß solche Entscheidungen nur einen möglicherweise sogar relativ kleinen Teil politischer Entscheidungen ausmachen. Zudem sind persönliche Vorteile nur ein Motiv für die Verfolgung politischer Ziele — wenn auch zweifellos ein recht wichtiges. Von daher wäre also zunächst zu bestimmen, welcher Stellenwert dem „special interest process" im Gesamtrahmen politischer Entscheidungsprozesse zukommt. Das von den Befragten genannte Spektrum der Themen, mit denen sie sich zum Zeitpunkt der Befragung hauptsächlich beschäftigten, legt eher die Vermutung nahe, daß ihre Hauptaktivitäten sich auf die Beeinflussung „großer“ Fragen und nicht auf die Verfolgung von spezifischen Interessen konzentrieren. Das schließt natürlich nicht aus, daß persönliche Vorteile verfolgt und auch erzielt werden, relativiert aber deren Bedeutung.
Weiterhin ist bei der Untersuchung informeller Beziehungen zwischen Eliten die Frage wichtig, worauf diese sich hauptsächlich gründen. Die Vorstellung von informellen Zirkeln ist oft mit der Annahme verbunden, daß diese in erster Linie auf familiären Banden oder auf während der Ausbildung geschlossenen Freundschaften beruhen. Häufig wird auch noch auf die Zugehörigkeit zu exklusiven Vereinigungen wie z. B. Rotariern Bezug genommen. Wiederum unterliegt es keinem Zweifel, daß derartige Beziehungen bei der Verfolgung politischer Ziele eingesetzt werden, nur ist erneut nach ihrem Stellenwert zu fragen. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß die angenommene Relevanz aller erwähnten Zugehörigkeiten sich auf die geringe Größe und die darauf gegründete persönliche Intimität der entsprechenden Gruppen gründet. Es bedarf daher eines gehörigen Maßes von Glauben an die Konspirationsfähigkeit solcher Gruppen, um annehmen zu wollen, daß diese das gesamte Spektrum wichtiger politischer Entscheidungen in einer komplexen Industriegesellschaft dominieren können. Auch hier kann man also nicht von der Tatsache der Existenz solcher Zirkel auf ihre Bedeutung schließen. Vor allem ist zu berücksichtigen, daß diese letztlich nicht unerheblich von den formalen Kompetenzen ihrer Mitglieder abhängt. Die Nützlichkeit informeller Kanäle beruht ja in allererster Linie darauf, daß sie zu Personen bestehen, die über formale Entscheidungsbefugnisse verfügen. Die Tatsache, daß Führungspositionen normalerweise sehr begehrt und umkämpft sind, zeigt, welch große Bedeutung formalen Kompetenzen von den an der Besetzung dieser Positionen beteiligten Personen zugeschrieben wird.
Die Existenz eines Netzwerks informeller Kontakte von Eliten ist jedoch nicht nur unter dem Aspekt der Konspiration und der Durchsetzung von Spezialinteressen zu sehen. Sie erleichtert auch den Informations-und Meinungsaustausch und damit die Entscheidungsfindung innerhalb einer Elite. Von daher kann die Untersuchung informeller Elite-zirkel Aufschluß darüber geben, welche Personen in diesem Prozeß mehr oder weniger zentral sind und worauf sich diese Zentralität gründet: auf Herkunft, Freundschaftsbande, frühere Berufskontakte oder aber auf das durch eine Position formal vorgegebene Kontaktspektrum. Die Analyse der persönlichen Kontakte der befragten Eliten wurde zunächst auf ein Drittel der Befragten in den wichtigsten Spitzen-positionen (492 Befragte) beschränkt, um Vergleiche mit zwei ausländischen Studien vornehmen zu können, deren Befragungsgruppe kleiner war. Dies sind Umfragen, die 1971 in den USA (545 Befragte) und 1975 in Australien (370 Befragte) durchgeführt wurden. In beiden Ländern hat die Analyse neben vielen kleinen auch einen größeren Elitezirkel zutage gefördert, der von den Forschern „zentraler Zirkel“ genannt wurde. Zu diesem Zirkel gehörten in Australien 418 und in den USA 227 Personen. Er umfaßte in beiden Ländern Vertreter aller Sektoren und Parteien, die im Rahmen eines breiten Spektrums von Themen genannt worden waren Die Sektor-komposition des entsprechenden Zirkels, dem in der Bundesrepublik 340 Personen angehören, im Vergleich zu der der Ausgangspopulation ist in Tabelle 2 dargestellt
Obwohl eine eingehende Analyse der Ergebnisse noch aussteht, läßt sich den Zahlen bereits eine Verschiebung der Sektorkomposition des Zirkels gegenüber der Ausgangspopulation zugunsten der Sektoren Politik und Gewerkschaften entnehmen. Die Tatsache, daß über 45% der Nennungen auf die 861 ausgewählten Spitzenpositionsinhaber entfielen und daß 275 der 340 (80, 9%) der Mitglieder des zentralen Zirkels zu dieser Gruppe gehören, kann als Bestätigung des Positionsansatzes angesehen werden. Sie zeigt aber zugleich seine Ergänzungsbedürftigkeit durch Netzwerkdaten, die es erlauben, die Bedeutung von Personen empirisch zu messen.
Man sollte sich allerdings davor hüten, die 340 Mitglieder des zentralen Zirkels als „die Elite" zu bezeichnen. Sie stellen zwar zweifellos die Gruppe der bei der Diskussion wichtiger Entscheidungen zentralsten Personen dar; Einflußnahme auf diese Entscheidungen ist jedoch nicht auf sie beschränkt. Das Netzwerk der durch mindestens zwei Kontakte verbundenen Personen ist mit 799 Mitgliedern über doppelt so groß, und insgesamt wurden immerhin 1 960 Personen zumindest von einem Befragten als wichtige Kontakt-partner genannt.
IV. Ausblick
Zum Abschluß sollen noch zwei miteinander verbundene Probleme kurz angesprochen werden, die sich bei Eliteumfragen in besonderer Weise stellen. Dies ist einmal die Frage, inwieweit Eliten in einer Umfrage bereit sind, ihre wirkliche Meinung preiszugeben und nicht lediglich Lippenbekenntnisse abzulegen. Während die Verzerrung von Interview-antworten durch den Rückgriff auf gängige Formeln und vermeintlich sozial erwünschte Antworten ein generelles Problem der Umfrageforschung ist, dem man bei der Interpretation der Ergebnisse Rechnung tragen muß, würde eine Beschränkung der Antworten auf offizielle Stellungnahmen den Nutzen von Eliteumfragen substantiell einschränken. Eine Reihe von Argumenten spricht jedoch dagegen, daß Eliten im Interview bewußt irreführende Antworten geben. Hier ist zunächst die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer solchen Erhebung zu nennen. Ein Positionsinhaber, dem ihr Nutzen zweifelhaft erscheint und der keine Lust zur Beantwortung der gestellten Fragen hat, kann die Teilnahme verweigern, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Während ein lästiges Medien-interview ihm aus persönlichem oder aus Organisationsinteresse heraus unvermeidlich erscheinen mag, ist die Teilnahme an einer Eliteumfrage in dieser Hinsicht völlig unerheblich, da sie anonym erfolgt und die Einzel-meinungen nur in Durchschnittsberechnungen eingehen. Die Entscheidung für eine Teilnahme am Interview dürfte daher in erster Linie von einer positiven Einschätzung solcher Untersuchungen bestimmt sein, die in den Augen der Teilnehmer durch eine den Untersuchungszweck in Frage stellende Beantwortung der Fragen gemindert würde.
Dies schließt natürlich nicht aus, daß bei als brisant empfundenen Fragen „geschönte" Antworten gegeben werden. Man darf dabei aber nicht vergessen, daß die Zielpersonen einer solchen Umfrage normalerweise über ein beträchtliches Selbstbewußtsein verfügen und Fragen weit seltener als brisant wahrnehmen, als dies bei Bevölkerungsumfragen der Fall ist. Die Verweigerungsrate bei Einzelfragen ist bei Elitebefragungen außerordentlich gering. Das große Interesse der Befragten an den Ergebnissen solcher Studien zeigt zudem, daß sie sich selbst Aufschlüsse aus den Daten erhoffen. Schließlich kann man auch davon ausgehen, daß bei den meisten Positionsinhabern überhaupt keine Diskrepanz zwischen dem Organisationsstandpunkt und der eigenen Meinung besteht, die ja für sie persönlich mit beträchtlichen psychischen Kosten verbunden wäre.
Sicherlich ist dennoch eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Ergebnisse zu einzelnen Fragen angebracht. Demographische Fragen werden mit größerer Wahrscheinlichkeit korrekt beantwortet als solche nach der Parteipräferenz oder nach Mitgliedschaften in informellen Gremien. Die Tatsache, daß immerhin 6% der befragten Parteimitglieder eine von ihrer Mitgliedschaft abweichende Wahlabsicht bekannten, zeigt aber, daß zumindest bei dieser nicht unwichtigen Frage offen geantwortet wurde. Die relativ geringe Ausschöpfungsrate von 55% stellt daher für Eliteumfragen sicher ein größeres Problem dar als unzutreffende Antworten.
Diese optimistische Einschätzung setzt allerdings voraus, daß die Befragten Zutrauen in die vertrauliche Behandlung ihrer Daten haben. Auch wenn die Umfragedaten getrennt von den Namen und Adressen der Befragten gespeichert werden, ist es bei führenden Positionsinhabern eher als bei den Befragten einer allgemeinen Bevölkerungsumfrage möglich, durch eine Kombination von Merkmalen wie beispielsweise Alter, Religion, Partei und Sektor auf Einzelpersonen zu schließen. Von daher verbietet es sich, solche Daten in Datenarchiven öffentlich zugänglich zu machen. Der Zugang wird immer auf einen Kreis von Personen beschränkt werden müssen, die sich verpflichten, die Ergebnisse nur in anonymisierter Form zu publizieren, die keine Identifikation von Einzelpersonen erlauben. Als Faustregel gilt dabei, daß keine Analysegruppe weniger als fünfzehn Fälle umfassen darf. Auf der Basis von drei großen nationalen Eliteumfragen in der Bundesrepublik lassen sich nunmehr auch Fragen nach dem allgemeinen Erkenntniswert solcher Studien sowie nach Fragestellungen, denen in Zukunft verstärkt nachgegangen werden sollte, beantworten. Der wichtigste Nutzen der Studien besteht zweifellos darin, daß die erhobenen Daten wesentliche soziale Indikatoren über die Führungsschicht in der Bundesrepublik darstellen, auf die für eine Vielzahl von politikwissenschaftlichen Fragestellungen zurückgegriffen werden kann. Sie sind darin anderen Statistiken und regelmäßig durchgeführten themenbezogenen Umfragen (z. B. Wahlumfragen) vergleichbar. Von daher sind sie für jeden Forscher von Wert, der über die soziale und politische Entwicklung in der Bundesrepublik arbeitet und empirische Daten benötigt. Dabei ist die Vergleichbarkeit von Einzelfragen mit Bevölkerungsumfragen von lange unterschätzter Bedeutung. Häufig wurde argumentiert, man könne bei Eliten nicht dieselben einfachen und nur standardisierte Antwortmöglichkeiten zulassende Einstellungsfragen verwenden. Zwar kann es in Einzelfällen durchaus vorkommen, daß Eliten vorgegebene Antworten als nicht differenziert genug ablehnen, im Normalfall haben sich standardisierte Fragebogen aber dmchaus bewährt. Sie ermöglichen eine zügige Bearbeitung der angesprochenen Themen, und die Befragten haben durchaus Verständnis für den Wunsch, daß mit Bevölkerungsumfragen vergleichbare Daten erhoben werden sollen, solange genügend offene Fragen im Interview ihnen zusätzlich eine differenzierte Darstellung ihres eigenen Standpunktes erlauben.
Breit angelegte Studien über nationale Eliten erlauben in erster Linie Analysen der Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Sektoren und können die zur Beantwortung spezifischer Fragestellungen notwendigen Detailinformationen nicht liefern. Ergänzende Untersuchungen über einzelne Eliten, z. B. Politiker, Wirtschafts-oder Gewerkschaftsführer, oder zu einzelnen Themenbereichen wie der Sicherheitspolitik sind daher wünschenswert.
Umfassende Elitestudien benötigen in besonderem Maße internationale Vergleichsmöglichkeiten. Erst die vergleichende Forschung kann die Voraussetzungen und Konsequenzen verschiedener Elitestrukturen angemessen analysieren. Dies erfordert jedoch nicht nur internationale Kooperation, sondern auch langfristige kontinuierliche Beschäftigung mit diesem Thema, da vergleichende Analysen eine voraufgegangene gründliche Analyse der einzelnen nationalen Datensätze voraussetzen. Wegen der im Vergleich zu allgemeinen Bevölkerungsumfragen hohen Kosten von Elitestudien sind bislang noch nicht sehr viele Vergleichsstudien mit einer relativ breiten Themenstellung und hinreichend großen Fallzahlen durchgeführt worden. Die bereits erwähnten Eliteumfragen in den USA und Australien sind jedoch in vielen Fragestellungen mit der Mannheimer Studie von 1981 vergleichbar, und es besteht eine enge Kooperation mit diesen Projekten mit dem Ziel einer vergleichenden Publikation.
Die Überprüfung vieler elitetheoretischer Fragestellungen erfordert schließlich die Verbindung von Umfragedaten über Eliten und Bevölkerung mit solchen über politische Outputs, d. h. die systematische Einbeziehung von Informationen über tatsächlich getroffene Entscheidungen und ihre Ergebnisse. Obwohl ihre Notwendigkeit von vielen gesehen wird steht die Forschung hier erst am Anfang. Ansätze dazu wurden jedoch für die kommunale Ebene von Laumann/Marsden gemacht und werden gegenwärtig von Lau-mann mit einer Entscheidungsstudie in ausgewählten Politikfeldern auch für die nationale Ebene fortentwickelt.
Ursula Hoffmann-Lange, Dr. phil., geb. 1943; Wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft der Universität Mannheim; seit 1980 Projektleiterin der Studie „Führungsschicht in der Bundesrepublik Deutschland 1981“. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit H. Neumann und B. Steinkemper) Konsens und Konflikt zwischen Führungsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1980; verschiedene Publikationen über Eliten.
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