Auf den ersten Blick fällt die deutschlandpolitische Dimension der um die Themen Frieden und Sicherheit, Abrüstung und alternative Verteidigungsmöglichkeiten gelagerten Diskussion in der neuen Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland nicht so sehr ins Auge. Wenn man sich indes etwas eingehender mit einigen der aus den Reihen der Friedensbewegung vorgebrachten Argumente und Konzepte befaßt, tritt sie um so klarer hervor. Insbesondere aus der Sicht vieler Beobachter des westlichen Auslands haftet dieser deutschlandpolitischen Dimension etwas Beunruhigendes an; denn sie befürchten, daß es dieses Thema und nicht so sehr das Thema Frieden und Sicherheit sein wird, das in den nächsten Jahren innen-, aber auch bündnispolitische Bedeutung erlangen wird, wobei einige der Grundentscheidungen aus -der Vor-und Frühphase der Bundesrepublik Deutschland, wie z. B. die unmißverständliche Integration in das westliche Lager, ins Wanken geraten könnten. Mag auch diese Furcht ihren Anlaß weit übersteigen — es scheint doch nicht ganz nebensächlich zu sein, diese deutschlandpolitische Dimension der gegenwärtigen Friedensdebatte etwas auszuleuchten. Das Material, über das zu rapportieren ist, ist allerdings sehr verstreut und nicht leicht auffindbar, außerdem in seinem Umfang zu groß, als daß hier schon Vollständigkeit angestrebt werden könnte. Darüber hinaus kann man nur in den seltensten Fällen von ausgearbeiteten deutschlandpolitischen Konzepten aus der Friedensbewegung oder Gruppen, die sich in ihrer Nähe angesiedelt haben, ausgehen; meist handelt es sich nur um einzelne Argumentations-Meteorite, um einzelne topoi. Insgesamt wird man aber ein neu erwachtes Interesse an deutschlandpolitischen Fragestellungen in der Friedensbewegung nicht leugnen können.
Diese Situation macht eine seriöse politikwissenschaftliche Analyse und Beurteilung nicht gerade einfacher. Auf der anderen Seite gehört es zu den klassischen, wenn auch ungeliebten Aufgaben der Politikwissenschaft, auch die noch halb untergründig brodelnden Prozesse kollektiver politischer Willensbildung kühl in Augenschein zu nehmen, nicht so sehr, wie häufig von Randgruppen geargwöhnt wird, als „Frühwarnsystem der Herrschaftseliten", wozu die Politikwissenschaft in der Regel nicht taugt, sondern als Vehikel der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst. Die folgende Studie wird mit einem knappen Rückblick auf die fünfziger Jahre beginnen — nicht, weil diese Jahre gegenwärtig ein beliebter Gegenstand historisch-politischer Reminiszenz geworden sind, sondern weil sich zumindest die erste Hälfte dieses Jahrzehnts als eine Art Eldorado alternativer deutschlandpolitischer Konzepte darstellt. Und wenn man bekanntlich auch niemals die Chance hat (oder den Alptraum wahrmachen muß), zum zweiten Mal in denselben Fluß zu steigen, so ist doch die Vermutung stark, daß ein Teil der damaligen Konzepte heute in gleicher oder ähnlicher Form wieder auftaucht. Das Anschlußkapitel widmet sich dann der offiziellen Deutschlandpolitik, wie sie sich vor ungefähr zehn Jahren in einem großen, die Mehrheiten in allen im Bundestag vertretenen Parteien übergreifenden Konsens herausgebildet hat; und es wird gefragt, ob denn und, wenn ja, aus welchen Gründen ein Bedarf an einer erneuten deutschlandpolitischen Debatte in der Bundesrepublik bestehen könnte. Das längste Kapitel der Studie beschäftigt sich mit den Impulsen für die Diskussion alternativer deutschlandpolitischer Konzepte, die sich im Rahmen oder im Umfeld der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland seit ein paar Jahren zu entwickeln begonnen haben. So wie in den ersten Jahren der Bundesrepublik sich das Friedens-und Sicherheitsthema aus dem zunächst ganz im Vordergrund stehenden Wiedervereinigungsthema herausentwickelte und es bald ganz überschattete, so könnte sich — aber das ist keineswegs zwangsläufig so — gegenwärtig aus dem Friedens-und Sicherheitsthema das der Deutschlandpolitik herausentwickeln, ein merkwürdiger und aller Aufmerksamkeit werter Umkehrungsprozeß
I. Rückblick in die fünfziger Jahre
Es wird heute — in gewissem Sinne ist das verständlich — in den deutschlandpolitischen Debatten, die vom „großen Konsens" in der Deutschlandpolitik geprägt sind (also etwa den Debatten im Bundestag, trotz aller gelegentlichen Schärfen zwischen Regierung und Opposition), gemeinhin gerne übersehen, daß es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und noch mindestens bis zum Jahre 1955, das vom internationalen System her gesehen eine deutliche Zäsur markiert, in Deutschland und später in der Bundesrepublik eine Fülle von „abweichenden“ deutschlandpolitischen Konzepten gab, also solche, die weder mit der politischen Linie der Bundesregierung unter dem Kanzler Dr. Adenauer noch mit der politischen Hauptlinie der SPD-Opposition im Bundestag übereinstimmten. Oft wurden diese Konzepte nur von ganz kleinen Gruppen und Grüppchen vertreten, von denen sich einige allerdings in der Öffentlichkeit durch rege publizistische Tätigkeit durchaus Gehör zu verschaffen wußten.
Aus heutiger Sicht nehmen sich die meisten dieser Konzepte von damals ziemlich abstrus aus. Aber es ist natürlich nicht besonders fair, die Urteilskraft anderer Leute aus sicherem zeitlichen Abstand zu kritisieren. Um so erstaunlicher ist es jedoch, daß ein nicht unbeachtlicher Teil jener damals propagierten Außenseiter-Konzepte in oft nur leicht veränderter Form dreißig Jahre später wieder auftaucht. Ein Beweis ihrer verborgenen Kraft?
Oder ein Zeichen dafür, daß auch den Rand-gruppen außerhalb des „großen Konsenses" in der Deutschlandpolitik nichts Neues mehr einfällt? Die Antwort auf diese Fragen sollte man vielleicht noch etwas zurückstellen.
Die folgende Skizze soll nur in ganz groben Zügen einige Ausschnitte des Panoramas deutschlandpolitischer Alternativkonzepte nachzeichnen Dabei kommt es weniger darauf an, originelle Ideen von damals gebührend zu würdigen, als vielmehr darauf, bestimmte Argumentationszusammenhänge, topoi, hervortreten zu lassen, die auch heute wieder anzutreffen sind.
Die meisten der alternativen Konzepte für die Zukunft eines wiedervereinigten Deutschland aus dem Jahrzehnt nach 1945 verknüpfen in irgendeiner Weise die Wiedervereinigung mit der Neutralisierung Deutschlands im Ost-West-Konflikt. Dieser „Ausstieg", nicht so sehr aus der Geschichte als vielmehr aus dem großen Strukturkonflikt der Nachkriegszeit, sollte gewissermaßen als „Preis" für die Wiedervereinigung dienen, ungeachtet der Tatsache, daß man natürlich weder aus der Geschichte noch aus der Gegenwart aussteigen kann, anders gesagt: daß dieser Preis den im Kalten Krieg verfeindeten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aus entgegengesetzten Gründen in keiner Weise zureichend erscheinen konnte
Die Konzepte der Wiedervereinigung durch Neutralisierung kann man in drei handliche Gruppen einteilen:
— die Brückenkonzepte — die pazifistischen Avantgardekonzepte — die Eigenständigkeitskonzepte. 1. Brückenkonzepte In der Literatur ist das Brückenkonzept, also die Vorstellung eines wiedervereinigten Deutschlands als Brücke und Mittler zwischen Ost und West, hauptsächlich mit dem Namen Jakob Kaiser verbunden. Er und mit ihm einige Repräsentanten einer nicht auf einen kompromißlosen Westkurs festgelegten CDU versuchten unmittelbar nach der Niederlage und Kapitualtion 1945, die Einheit Deutschlands durch diese „Funktionszuteilung" zu bewahren. Diese im Kern durchaus hochfahrende Vorstellung konnte sich in der partei-internen Auseinandersetzung mit der westdeutschen CDU und insbesondere mit Adenauer nicht durchsetzen
Aber auch andere Gruppierungen verfolgten ein Brückenkonzept, z. B. die „Heidelberger Aktionsgruppe zur Demokratie und zum freien Sozialismus", die Anfang 1947 von einer Reihe von Professoren ins Leben gerufen wurde, darunter Alfred Weber, Ludwig Bergstraesser und der junge Alexander Mitscherlich. Die Aktionsgruppe wollte mit den Traditionen preußisch-deutscher Machtentfaltung brechen und verkündete den „Verzicht auf jegliche Teilnahme an äußerer Machtpolitik". Gerade weil Deutschland kein „Machtfaktor" mehr sein wolle und sein werde, würde es die große Aufgabe erfüllen können, als Mittler durch eine aktive Politik des Ausgleichs und der Versöhnung den Frieden zwischen Ost und West voranzutreiben. Ein deutliches und irritierendes Merkmal dieser Vorstellung, das wir auch bei den anderen Alternativkonzepten häufig antreffen, ist die eigenartige Verknüpfung von politischem Kleinmut und nationalem Anspruch im Kleide der „Uneigennützigkeit". Dieses Phänomen hängt mit der verbreiteten Wahrnehmung der Zeit nach 1945 als einer Zeit des radikalen Neuanfangs, der Stunde Null, des Kahlschlags zusammen, einer Wahrnehmung, die damals besonders unter Intellektuellen kursierte und in zahlreichen Aufsätzen und Essays in der blühenden Zeitschriften-Kultur der Nachkriegszeit ihren Niederschlag gefunden hat.
Nachdem infolge der Veränderungen der internationalen Szene und in Westdeutschland infolge der Durchsetzung deutschlandpolitischer Vorstellungen Adenauers die frühen Brückenkonzepte Kaisers und Lemmers innerhalb der CDU ihren Platz verloren hatten, wanderte ein Teil ihrer eher auf der konservativ-großbürgerlichen Seite des politischen Spektrums beheimateten Anhänger in die „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands" ab, die ursprünglich von Rudolf Nadolny und Andreas Hermes gegründet wurde (Frühjahr 1949), sich indes zu keiner einheitlichen deutschlandpolitischen Konzeption durchringen konnte 2. Pazifistische Avantgardekonzepte Die Anhänger pazifistischer Avantgardekonzepte verfolgten zumeist die Grundidee, das wiedervereinigte Deutschland als eine vollkommen entmilitarisierte und international garantierte neutrale Zone zu konstituieren. Durch diesen Status sei Deutschland dann berufen, Politik auf eine moralisch höhere Stufe zu stellen. Auch hier also stößt man auf einen wenig gefilterten Missionsdrang, ja, wenn man bösartig formulieren wollte, könnte man von einem moralischen Chauvinismus sprechen. Am bekanntesten unter den diese Konzepte vertretenden Gruppen wurde der um die Person von Ulrich Noack zentrierte „Nauheimer Kreis". In einer ganz eigenartigen Mischung treffen in den Gedanken Noacks pragmatische wirtschaftspolitische Vorstellungen mit mehr oder weniger schwärmerischen Denkwallungen zusammen, z. B.der vom Bau einer neuen deutschen Hauptstadt am Hohen Meißner. Wenn man heute, teils überrascht, teils vorwurfsvoll, von einem Teil der jungen Generation der Westdeutschen meint, er habe sich einen völlig anderen Begriff von Politik gemacht, der von dem, was im politischen Gemeinwesen unter Politik verstanden wird, substantiell abweicht, so lehrt ein Rückblick wie dieser, daß — wie immer dieser Tatbestand zu bewerten ist — ein solcher Alternativbegriff von Politik, der stark durchmischt ist mit Ressentiments gegen „Macht" und sich zugleich zutiefst moralisch glaubt, nicht ohne Vorläufer ist.
3. Eigenständigkeitskonzepte Gegenüber den pazifistisch eingefärbten deutschlandpolitischen Konzepten zeichnen sich die verschiedenen Eigenständigkeitskonzepte durch einen gewissen Hang ins Martialische aus. So forderte Wolf Schenke in seiner Gruppe „Dritte Front" ein neutrales, aber starkes Gesamtdeutschland, das sogar als Kristallisationskern für ein selbständiges und unabhängiges Europa fungieren sollte. Für Schenke, dessen Biographie einige Siebenmeilensprünge zwischen der linken und der rechten Seite des politischen Spektrums aufweist, ging es um die Reinerhaltung des abendländischen, auch des deutschen Kulturgutes vor den verderblichen Einflüssen aus der UdSSR und aus den Vereinigten Staaten. In dem Aufruf Schenkes zur Gründung der „Dritten Front" vom 31. Oktober 1950 heißt es u. a.: „Die Werte, auf die wir uns wiederbesinnen und denen wir Geltung verschaffen müssen, sind europäische, in Griechenland und Rom gewachsene, mit Christentum und Germanentum verschmolzene, in Italien, Frankreich und Deutschland zur Blüte gebracht. Der Amerikanismus ist ihnen nicht weniger fremd als der russische Bolschewismus."
Auch für Theodor Köglers „Freiheitsbund" war klar, daß ein auf den Prinzipien der „aristokratischen Demokratie" aufgebautes Deutschland bei dem „Wagnis der Mitte" zwischen Ost und West die Führungsrolle zu übernehmen habe. Für eine bewaffnete Neutralität Deutschlands als des Kernlands eines künftigen unabhängigen Europas, einer der „Weltmächte von morgen", trat auch Otto Strasser mit seinem „Bund für Deutschlands Erneuerung" ein. All diesen verschiedenen Konzepten, so sehr sie sich auch im Detail unterscheiden, war gemeinsam, daß sie die Thematik der Wiedervereinigung Deutschlands mit der des Aussteigens aus dem Ost-West-Konflikt verbanden und daß sie in merkwürdiger Verkehrung der Erfahrungen, die zur politischen Hybris des Nationalsozialismus geführt hatten, für Deutschland einen „neuen" Sonderweg parat hielten, eine moralische Missionierungsaufgabe mit einem veränderten Politikbegriff. 4. Wiederbewaffnung und Deutschlandpolitik
Daß zwischen diesen beiden Politikbereichen ein unmittelbarer Sachzusammenhang bestand, konnte und wollte auch in den fünfziger Jahren, dem Jahrzehnt einer sich in bestimmten Zyklen intensivierenden sicherheitspolitischen Debatte in der Bundesrepublik Deutschland, niemand leugnen. All denjenigen, denen der Westintegrationskurs der Bundesregierung nicht richtig erschien (und das war eine sehr buntscheckige Gruppe von weit links bis weit rechts), mußten die Wiederbewaffnung und die Integration der Bundeswehr in westliche Verteidigungsbündnisse politisch besonders zuwider sein. So ist es kein Wunder, daß die meisten der sicherheitspolitischen Gegner der Bundesregierung immer wieder auf die aus ihrer Sicht negativen Folgen der Wiederbewaffnung für das Ziel der Wiedervereinigung hinwiesen, oftmals mit verzweifeltem Ernst. So lauten die Kernsätze aus dem „Deutschen Manifest“, das in der Versammlung in der Frankfurter Pauls-kirche am 29. Januar 1955 angenommen wurde: „Die Antwort auf die deutsche Schicksalsfrage der Gegenwart — ob unser Volk in Frieden und Freiheit wiedervereinigt werden kann oder ob es in dem unnatürlichen Zustand der staatlichen Aufspaltung und in einer fortschreitenden menschlichen Entfremdung leben muß — hängt heute in erster Linie von der Entscheidung über die Pariser Verträge ab. Die Aufstellung deutscher Streitkräfte in der Bundesrepublik und in der So-wjetzone muß die Chancen der Wiedervereinigung für unabsehbare Zeit auslöschen und die Spannung zwischen Ost und West vermehren ... Die Verständigung über eine Viermächtevereinbarung zur Wiedervereinigung muß vor der militärischen Blockbildung den Vorrang haben.“ Und eine charakteristische Passage aus dem Aufruf des Arbeitsausschusses „Kampf dem Atomtod“ vom 22. Februar 1958 lautet: „Das deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrnze ist im Falle eines Krieges zwischen Ost und West dem sicheren Atomtod ausgeliefert. Einen Schutz dagegen gibt es nicht. Beteiligung am atomaren Wettrüsten und die Bereitstellung deutschen Gebietes für Abschußbasen von Atomwaffen können diese Bedrohung nur erhöhen ... Wir fordern Bundestag und Bundesregierung auf, den Rüstungswettlauf mit atomaren Waffen nicht mitzumachen, sondern als Beitrag zur Entspannung alle Bemühungen um eine atomwaffenfreie Zone in Europa zu unterstützen. Wir rufen das gesamte deutsche Volk ... auf, sich einer lebensbedrohenden Rüstungspolitik zu widersetzen . ,." Es ist schon beklemmend zu sehen, daß diese Sätze unter Austausch weniger Vokabeln auch 1983 formuliert worden sein könnten. Ganz offensichtlich jedenfalls gewinnt der hinter diesen Formulierungen stehende Impetus gegenwärtig wieder neue Kraft, und zwar auf beiden Feldern, dem der Sicherheits-und dem der Deutschlandpolitik.
So gesehen, stellt sich die Frage, ob man nicht einen Satz von Alfred Grosser aus dem Jahre 1979 umdrehen muß: Er hat in dem von Walter Scheel herausgegebenen Sammelband „Nach dreißig Jahren", einer Art unprätentiöser Festschrift zum dreißigsten Geburtstag der Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland, geschrieben: „Die Haupterklärung des starken Sicherheitsbedürfnisses [der Bundesrepublik] liegt aber wahrscheinlich in der Identitätsproblematik der Bundesrepublik.“ Erscheint nicht plausibler, die Haupt-erklärung ihres Identitätsbedürfnisses in der Sicherheitsproblematik der Bundesrepublik zu sehen?
II. Der „große Konsens" in der Deutschlandpolitik
An dieser Stelle bietet sich an, eine im Alltagssprachgebrauch nicht immer ganz klare Unterscheidung einmal deutlich hervorzuheben, nämlich die zwischen Deutschland-und Ostpolitik.
L Der Unterschied zwischen Ost-und Deutschlandpolitik Deutschlandpolitik im Sinne der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist das Insgesamt von Zielen und Mitteln zur Lösung der deutschen Frage. In Aussageform steht diese deutsche Frage in der Präambel des Grundgesetzes: ..... in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Adressat dieser Politik sind in erster Linie die vier Siegermächte, und erst in nachgeordneter Linie ist es die Regierung der DDR. Deutschlandpolitik ist also ein Stück nationalstaatlich bestimmter Politik, die Absicht, unter bestimmten, allerdings sehr wichtigen Bedingungen die Teilung Deutschlands zu überwinden.
Demgegenüber wird die Ostpolitik der Bundesregierung (aller westlichen Staaten) nicht von nationalstaatlichen Zielen bestimmt, sondern von einer spezifischen Eigenschaft der Adressaten her. Ostpolitik richtet sich samt und sonders an Staaten, die sich als „sozialistisch“ und auf dem Wege zum Kommunismus begreifen und außerdem Verbündete der UdSSR sind. Das Wort Verbündete kann dabei auch als Euphemismus verstanden werden. Ob man die Politik gegenüber der VR China mit in das Bündel Ostpolitik einbringen kann, ist zweifelhaft: Seit dem Schisma zwischen Moskau und Peking fehlt jedenfalls ein entscheidendes Kriterium, das die anderen Adressaten der westdeutschen und der westlichen Ostpolitik kennzeichnet.
Die Ostpolitik ist, um einen anderen in Gebrauch befindlichen Ausdruck zu verwenden, intersystemare Politik. Die Schwierigkeit, mit der es die Politiker und die politischen Beobachter bei diesen Begriffen, und was damit gemeint ist, zu tun haben, besteht darin, daß die Deutschlandpolitik zwei Dimensionen hat, eine nationalstaatliche und eine intersystemare. Oder anders gesagt: Deutschlandpolitik ist immer auch Ostpolitik, aber immer auch etwas mehr als Ostpolitik. Dieser Zusammenhang ist nicht immer leicht deutlich zu machen und war und ist Anlaß für manches Mißverständnis im In-und Ausland. 2. Die „Deutschland-Doktrin" der Bundesrepublik seit 1973 Hinsichtlich theoretischer Alternativen in der deutschen Frage, meinte Hans-Peter Schwarz schon vor Jahren, gäbe es wenig Neues unter der Sonne; die alten und immer wieder neu vorgetragenen Alternativmodelle seien im Grunde nichts als der Stoff, aus dem die Träume sind. In der politischen Wirklichkeit habe sich nach einer Phase der deutschlandpolitischen Bewegung zwischen 1966 und 1973 ein großer Konsens unter den maßgebenden Gruppen des politischen Systems herausgebildet. Die fünf wesentlichen Elemente dieses „großen Konsens“, dieser konsensualen Deutschland-Doktrin, sind nach Schwarz
— Die gegenwärtige und künftige Deutschlandpolitik muß grundgesetz-konform im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 1973 zum Grundlagen-vertrag sein. Damit wird eine Reihe weitergehender Vorstellungen wie etwa die Aufgabe des Anspruchs auf die „deutsche" Staatsbürgerschaft auch für DDR-Bewohner praktisch ausgeschlossen.
— Die DDR wird als Staat und als Mitglied der Völkergemeinschaft anerkannt; davon unberührt bleibt die Auffassung, daß die deutsch-deutschen („innerdeutschen') Beziehungen solche besonderer Art und nicht-völkerrechtlicher Natur bleiben.
— Deutschlandpolitik bleibt der Westpolitik untergeordnet, wie das seit 1949 immer der Fall war. Eine Lockerung der Westbindung als Preis für Annäherungen der DDR steht außerhalb aller Diskussion.
— Aus der Erkenntnis, daß das Verhältnis zur DDR auf absehbare Zeit durch den Ost-West-Konflikt (System-Antagonismus) geprägt bleibt, sich dennoch ein geregeltes Nebeneinander auf längere Sicht aber entwikkeln läßt, ergibt sich der Wille, die Politik der Bundesrepublik gegenüber der DDR vor allem auf das Ziel der „menschlichen Erleichterungen" auszurichten. Denn so kann die soziale Basis für gegenwärtig noch nicht absehbare „günstigere Entwicklungsmöglichkeien" erhalten oder sogar verstärkt werden.
An dieser Stelle der „Deutschland-Doktrin“ gibt es eine wichtige Variationsmöglichkeit, nämlich bei der Güterabwägung zwischen dem Interesse an solchen „menschlichen Erleichterungen" (übrigens nicht gerade ein schöner Ausdruck für eine sehr wichtige Sache) und der Pflicht zu grundsätzlicher Kritik. Wie sich nach dem Regierungswechsel 1982 herausgestellt hat, lassen sich die beiden möglichen Akzentuierungen keineswegs eindeutig auf die Bundestagsparteien verteilen. — Auch nach dem Viermächteabkommen über Berlin ist es eine der Hauptaufgaben der Deutschlandpolitik der Bundesregierung, West-Berlin in optimaler Weise zu sichern. 3. Veränderte Umweltbedingungen Der „große Konsens" in der Deutschlandpolitik besteht inzwischen schon ein Jahrzehnt. Das spricht auf der einen Seite für ihn. In der Tat wird man dem an anderer Stelle von mir so bezeichneten . Abwarte-Konzept" weder die innen-und weltpolitische Nüchternheit absprechen können, noch seine Geschmeidigkeit für die Rhetorik in Wahlkampf-und Sonntagsreden. Es ist z. B. im Rückblick durchaus überraschend festzustellen, daß die oft genug mit ziemlicher verbaler Härte geführte deutschlandpolitische Auseinandersetzung zwischen der Bundesregierung und der Opposition in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre nur verdeckte, daß es zwischen den einen und den anderen nur ganz wenige konzeptionelle Differenzen gab und gibt
Auf der anderen Seite indes darf man nicht außer acht lassen, daß sich seit 1973 eine Menge politischer Daten geändert haben. In Osteuropa sind eine Reihe von dramatischen Krisenerscheinungen der politischen und wirtschaftlichen Systeme aufgetreten, die, selbst wenn sie oberflächlich bald wieder zum Verschwinden gebracht würden, die tiefe Verstörung der sozialen Zusammenhänge in diesen Ländern nicht aus der Welt schaffen können. Die westlichen Industriestaaten befinden sich inmitten wirtschaftlicher Schwierigkeiten von einem Ausmaß, das vor zehn Jahren kaum jemand für möglich und aushaltbar angesehen hat. Das Ost-West-Verhältnis hat sich spätestens sei 1979 drastisch verschlechtert, so daß heute kaum noch jemand ernsthaft von Entspannungspolitik reden mag Und schließlich, aber mit besonderer Sprengkraft in der bundesrepublikanischen Diskussion: Das auf Abschreckung basierende Sicherheitssystem ist durch das schub-artig beschleunigte Wettrüsten vor allem auf dem Gebiet der „eurostrategischen" Waffensysteme im Bewußtsein vieler Staatsbürger erheblich unsicherer geworden
Dies sind nur die wichtigsten Veränderungen, die sich seit 1973 ergeben haben und die mittelbar oder unmittelbar auch die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR berühren. Besonders die zuletzt genannte Veränderung ist dabei, deutschlandpolitische Relevanz zu gewinnen. Das kann auch nicht weiter verwundern, wenn man die kurze Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu Rate zieht: sicherheitspolitische Probleme und Ängste waren da immer mit deutschland-politischen Problemen und Hoffnungen verknüpft — wie sollte das jetzt anders sein? Nun kann man immer noch meinen, und viele Gründe sprechen tatsächlich dafür, daß der „große Konsens" über die „Deutschland-Doktrin" fortbestehen sollte, nicht zuletzt deshalb, weil er jetzt, mit den vertauschten Rollen von CDU/CSU und SPD sowie dem Kontinuitätsfaktor F. D. P., sogar noch leichthändiger praktiziert werden kann, wie die Geschichte des „Milliardenkredits" im Sommer 1983 zeigt. Aber auch, wenn man wie z. B. Hahs-Peter Schwarz dieser Meinung dezidiert anhängt, muß man mit um so gespannterer Aufmerksamkeit das Aufsprießen deutschlandpolitischer Alternativkonzepte an den Rändern des politischen Spektrums verfolgen. Denn selbst, wenn sie inhaltlich kaum Neues erbringen, so können sie vielleicht doch eine Brisanz entwickeln, welcher der „große Konsens" auf die Dauer nicht standhalten kann.
III. Alternative deutschlandpolitische Ansätze in der gegenwärtigen Friedens-Diskussion
Eine angemessene Beschreibung und Beurteilung der Lage der „deutschen Frage" ist im Augenblick schwieriger denn je, weil eine große Zahl von Entwicklungen auf unterschiedlichen Feldern der Politik und des gesellschaftlichen Lebens sich inzwischen nachhaltiger gegenseitig beeinflussen, als das früher der Fall gewesen ist. Die knappen Ausführungen zu den Gefährdungen des „großen Konsenses" in der Deutschlandpolitik sollten dies deutlich gemacht haben. Nur auf den ersten Blick nämlich hat die etwas emphatisch so genannte Wiederentdeckung der deutschen Geschichte oder die von Verlegern und Buchhändlern nicht ungern gesehene Begeisterung für dickleibige Werke über „Die Deutschen und ihre Nation" und für Biographien von Staatsmännern der Vergangenheit mit Deutschlandpolitik wenig zu tun. Und dieser erste Blick muß schon ganz besonders flüchtig sein, wenn er übersieht, daß die um Begriffe wie „Nation" oder „Identität" kreisende Selbstverständnisdebatte der politisch interessierten Öffentlichkeit in der Bundesrepublik nicht auch erhebliche deutschlandpolitische Aspekte besitzt. Und schließlich kommen aus der Ökologiebewegung oder aus der sich gegen das atomare Wettrüsten wendenden Friedensbewegung ebenfalls deutschlandpolitisch relevante Anstöße — ein Phänomen, das die westdeutsche Ökologiebewegung und die westdeutsche Friedensbewegung nachhaltig von entsprechenden sozialen Bewegungen in anderen westlichen Industrienationen unterscheidet
Uns Deutsche haben mit besonderem Nachdruck in erster Linie französische Beobachter der deutschen politischen Szene auf die deutschlandpolitischen Komponenten der Sicherheits-und Friedensdiskussion aufmerksam gemacht, übrigens oft auch mit spezifischen Verzerrungen in ihrer Wahrnehmung Deswegen soll am Anfang dieses Kapitels auch paradigmatisch eine französische Perzeption der „Wiederbelebung der deutschen Frage durch die Friedensbewegung und alternative Gruppe(n)" vorgestellt werden. Danach wird es um die Erhellung einiger der am häufigsten und resonanzreichsten durch die Friedensbewegung in die öffentliche Debatte gebrachten Argumentationsfiguren (topoi) mit deutschlandpolitischem Aspekt sowie drittens um eine merkwürdige Wahlverwandtschaft zwischen diesen topoi und randständigen Konzeptansätzen zur Deutschlandpolitik von weit links und von weit rechts gehen. 1. Eine französische Perzeption „Das deutsche Problem ist wieder da." So lautet der dramaturgisch außerordentlich geschickt ausgewählte Einleitungssatz eines Aufsatzes von Pierre Hässner, der im Herbst 1982 zugleich in Frankreich, den USA und in der Bundesrepublik veröffentlicht worden ist. Hässner konstatiert darin, in der Bundesrepublik sei es zu einer Verbindung von Pazifismus, Neutralismus und Nationalismus gekommen, zwar noch nicht im Kernbereich des politischen Systems, aber an seinen Rändern; dieses Amalgam scheine tendenziell zu wachsen. Gerade weil man aus jeder einzelnen der von diesen drei Schlagwörtern grob gekennzeichneten Perspektive zu ähnlichen Lösungsvorschlägen für die Sicherheitsproblematik, die von der Friedensbewegung als existentiell definiert wird zu kommen scheint, springen deutschlandpolitische Funken aus den Diskussionen der Friedensbewegung. Hässner schreibt dazu: „Die ketzerische oder utopische Position [hinsichtlich eines neuen Nationalgefühls] verlangt, daß die beiden deutschen Staaten ihren Besatzungsstatus und ihre Mitgliedschaft in den beiden Bündnissen ablegen, um zuerst (vielleicht) eine Konföderation, aber danach (mit Sicherheit) einen vereinten, neutralen deutschen Staat zu bilden. Diese Position findet man an beiden entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums, unter Grünen und Alternativen und unter NPD-Anhängern; sie wird jedoch auch immer mehr von ernst zu nehmenden Intellektuellen aus der Mitte des politischen Spektrums vertreten, die bereit sind, sich in dieser Frage mit den politischen Extremen zu verbünden." Um jene „ernst zu nehmenden Intellektuellen aus der Mitte" namhaft zu machen, verweist Hässner auf ein von Wolfgang Venohr herausgegebenes Buch das in der Tat eigenwillige Thesen vorbringt, von dessen Beiträgen man jedoch schwerlich behaupten kann, sie repräsentierten intellektuelle Ernsthaftigkeit mittlerer Positionen.
Für noch wichtiger als die „ketzerische" und die „utopische" Position hält Hässner allerdings zwei andere, nämlich erstens diejenige einer Reihe von Sozialdemokraten wie Egon Bahr und Günter Gaus oder von Publizisten wie Peter Bender die in einer eher national oder eher europäisch eingefärbten Version die Friedens-und Nuklearfrage aufgreifen, um über kernwaffenfreie Zonen und eine . Sicherheitspartnerschaft'mit der UdSSR das Anliegen der engeren Verkoppelung beider deutscher Staaten voranzutreiben versuchen, und zweitens die jugendliche Abwendungsund Aussteigerbewegung mit ihren , no-future’-Gefühlen und dem Angst-Kult. Diese Position ist, wie Hässner mit Recht anmerkt, noch ganz diffus und läßt keine klare Prognose zu. „Bedeutet sie einen völligen Bruch mit der deutschen Vergangenheit oder ihr Wiederaufleben, eine Vertiefung der Schuld-gefühle oder eine Befreiung von ihnen?"
Hässners behutsames Auseinanderlegen unterschiedlicher Triebe des neu-deutschen Nationalfühlens unterscheidet sich wohltuend von mancherlei dramatisch aufgeputzten Berichten im Ausland, insbesondere in Frankreich. Man muß allerdings auch gleich hinzufügen, daß ein Gutteil unserer eigenen Medien, z. B. die Illustrierte „stern“ oder „Der Spiegel“ das Ihre dazugetan haben, um solche dramatischen Berichte herauszufordern
Wie immer — man kann aus Hässners Aufsatz ganz deutlich die tiefe Beunruhigung herauslesen, die bestimmte Aspekte der Friedensdebatte in der Bundesrepublik im westlichen Ausland auch unter Kennern und Freunden der Bundesrepublik hervorgerufen haben. 2. Deutschlandpolitisch relevante Argumentationsfiguren in der Friedensdebatte Im folgenden sollen einige der am weitesten verbreiteten Argumente zur Sicherheitspolitik und zur Friedensfrage aufgegriffen werden, denen, ob gewollt oder nicht, sei dahingestellt, deutschlandpolitische Relevanz zukommt. a) Der wohl am weitesten verbreitete topos mit deutschlandpolitischer Nebenwirkung ist das Argument von der „besonderen Gefährdung der Deutschen" in einem Krieg zwischen Ost und West in Europa, wobei es zweitrangig sei, ob dieser Krieg mit konventionellen oder nuklearen Waffensystemen geführt wird: „Den Untergang vor Augen, sprechen die Deutschen in West und Ost von allem möglichen und unmöglichen, aber niemals von dem Land, in dem sie alle wohnen und welches das Zielgebiet der Generalstabspläne beider Militärblöcke ist: DEUTSCHLAND, dieses Territorium des zukünftigen Super-Holocaust." Diese kokett überspitzte Klage zielt schon länger nicht mehr ins Leere. Denn zumindest in der westdeutschen Friedensbewegung sprechen viele diesen topos nach. So meinte z. B. anläßlich einer der Jubiläumsfeiern des „Hambacher Festes" 1982 Rudolf Bahro: „Diese Blockgrenze und die beiderseits konzentrierten Vernichtungspotentiale — das ist es, was unser Land vor allen anderen europäischen Ländern für den Ernstfall zum Schießplatz der beiden Großen bestimmt... Darin besteht die Gefahrengemeinschaft der Bevölkerung in beiden deutschen Staaten.“
Inzwischen findet sich dieses Argument fast in jedem zweiten der in die Tausende gehenden Aufrufe von örtlichen und regionalen Friedensgruppen — die besondere Bedrohung der Deutschen in Bundesrepublik und DDR als ihre . Auszeichnung". Unterstützung erhält dieser Gedanke zusätzlich von Veröffentlichungen, die in das literarische Genre des „Polit-Thrillers" gehören und den Leser mit der Schilderung künftiger Spannungen oder von Kriegsgrauen unterhalten wollen. Daß zu den Autoren solcher Bücher nicht selten pensionierte Offiziere gehören, ist eine besonders makabre Note.
Wie meist bei derart breit wirkenden Argumenten lassen sich die Vorstellungen von der besonderen Gefährdung beider Teile Deutschlands durch einen Ost-West-Krieg nicht widerlegen; nur muß man auf die Ungenauigkeit aufmerksam machen und auf die Implikationen, über die sich viele derjenigen, die mit diesem topos umgehen, nicht klar zu sein scheinen. Ein Krieg zwischen Ost und West, also einer, in dem sich die antagonistischen Militärbündnisse unter Führung der USA und der UdSSR direkt gegenüberstehen, würde sich, obwohl man es nach seinem Ausbruch natürlich mit aller Kraft versuchen müßte, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht „begrenzen“ lassen. Mit diesem Verb ist die Fähigkeit der Kriegführenden gemeint, die ausgebrochene Kriegstätigkeit bewußt und dem Gegner verständlich regional einzugrenzen oder den Waffengebrauch zu de-eskalieren und mit dem Gegner in Verhandlungen zu treten. Aber selbst wenn eine solche Begrenzung erreichbar wäre, spielen dabei die Territorien der beiden deutschen Staaten nur eine untergeordnete Rolle. Die „Gefahrengemeinschaft" umfaßt in einer Situation gegenseitiger Abschreckung grundsätzlich alle Beteiligten. Die Deutschen in Ost und West sind der Kriegsgefahr vielleicht graduell etwas mehr oder, je nach Art des Kriegsbeginns, etwas eher ausgesetzt, aber keineswegs grundsätzlich anders als die übrigen Mitgliedstaaten von NATO und Warschauer Pakt in Mitteleuropa. Der topos von der besonderen Gefährdung der Deutschen ist ein merkwürdiger Anachronismus, weil innerhalb der modernen Nuklearstrategie und gerade auch wegen der rapide zunehmenden Treffergenauigkeit von Fern-und Mittelstreckenraketen die Idee von Frontterritorien ebenso absurd ist wie die von national definierten Bedrohungsgraden
b) Ein zweiter, durchaus Respekt erheischender topos der Friedensdebatte mit deutsch-landpolitischer Nebenbedeutung spricht von der „gesamtdeutschen Verantwortung für den Frieden", die sich aus der historischen Schuld der Deutschen an den beiden Weltkriegen und ihren Folgen ergäbe So ruft z. B. General a. D. Bastian in einem sehr subjektiv gehaltenen Text dazu auf, die Menschen gegen die Bedrohung der Menschheit durch den Atomkrieg zu mobilisieren. Der letzte Satz dieses Aufrufs lautet: „Vor allem in Deutschland, wo historische Schuld es mehr als andernorts zur Pflicht macht, sich der Mitwirkung am erneuten — und zugleich letzten — Völkermord zu versagen." Auch dieser topos hat weite Verbreitung gefunden. In abgemilderter Form ist er auch in die Reden höchster Politiker beider deutscher Staaten eingegangen, die darin übereinstimmen, daß „von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen soll".
Von der politischen Selbstverpflichtung, alles zur Friedenserhaltung zu tun, bis zur Konstatierung einer spezifischen, auf der Grundlage von Schuld in der Vergangenheit erwachsenden Verantwortung für den Frieden, ist nur scheinbar ein kleiner Schritt. In Wirklichkeit sind damit Nebenbedeutungen ins Spiel gebracht worden, die von großem Gewicht sind, zum Beispiel die Wiederanknüpfung an die Tradition des unmittelbar nach 1945 in spezifischer Weise verstandenen Antifaschismus und Antimilitarismus oder die Wiederbelebung eines auf opalisierende Weise Politik mit Moral verquickenden Politikbegriffs.
Das Problematische an diesem topos liegt, wenn man sich die Diskussionen der fünfziger Jahre vor Augen führt, vor allem darin, daß sich aus der Stigmatisierung der Deutschen durch eine historische Schuld in einem rasch vollziehbaren Umwertungsverfahren wiederum eine deutsche Sondermission, eine globale . Erziehungsfunktion ergeben kann, eine, gelinde gesagt: leicht mißverstehbare moralische Führungsaufgabe für die Deutschen. Die Vorstellung, die Deutschen müßten oder könnten auch nur in ihren jeweiligen Bündnissen erfolgreich auf eine „pax germanica als dritten Weg" hinwirken, verkennt die politischen Realitäten nachhaltig und kann nur Verwirrung stiften, bei uns und bei den Nachbarn. Und dies gleich auf zwei Ebenen:
— Die Deutschen können ihr gemeinsames Interesse an wirtschaftlicher Kooperation und an einem gewissen Maß an Ost-West-Entspannung wegen ihrer Einbindung in die antagonistischen Bündnisse nur mit der allergrößten Behutsamkeit voranzubringen versuchen; — die Einführung nicht nur restriktiver, sondern sogar gestalterischer moralischer Gebote in die Politik bedeutet, wenn sie ernst gemeint ist und nicht ein „realpolitischer Kniff', nichts als eine einseitige Regelveränderung in der internationalen Politik, stiftet also entweder nur Irritationen oder führt schlimmstenfalls in die Isolation
c) Eine dritte deutschlandpolitisch relevante Argumentationsfigur der Friedensdebatte wird in der Regel mit einiger Aggressivität vorgetragen, nämlich der topos von Deutschland als einem besetzten Land, dem von den jeweiligen „Besatzungsmächten" Konflikte und Waffensysteme aufgenötigt werden. „Wir sind doch, wenn wir genau hinsehen, ein besetztes Land in beiden deutschen Staaten", hat Heinrich Albertz auf dem Hamburger Kirchentag 1981 in einer Podiumsdiskussion mit Helmut Schmidt gesagt und es später mehrere Male wiederholt und zu begründen versucht. Und von Helmut Gollwitzer stammt der in einem vielzitierten Leserbrief an den „Spiegel" zuerst verwendete Satz über die Stationierung der Pershing-II-Raketen auf dem Territorium der Bundesrepublik: „Kein Deutscher kann diese bedingungslose Unterwerfung der Interessen unseres Volkes unter fremde Interessen, diese Auslieferung der Verfügung über die Existenz unseres Volkes an eine fremde Regierung hinnehmen."
Aus dieser Grundstimmung, aus der überlieferte national-protestantische Denkmuster herauszulesen sind, lassen sich ganz unterschiedliche Konzepte ableiten, etwa das Konzept der Aquidistanz zu den Supermächten, aber auch, und zwar geschieht das bezeichnenderweise auf dem ganz linken wie auf dem ganz rechten Extrem des politischen Spektrums, das Konzept des Widerstands gegen den „US-Imperialismus"
Diesen auf Anti-Internationalität zielenden Aspekt meint Wolfgang Pohrt in seiner scharfen Kritik an der Friedensbewegung, die er eine „deutschnationale Erweckungsbewegung" nennt, wobei er dabei gewiß über das Ziel hinausschießt Der übrigens keinesfalls in sich stimmige Anti-Amerikanismus eines Teils der Friedensbewegung ist jedoch wegen seiner Konsequenzen deutschlandpolitisch durchaus von Belang. Seine Protagonisten verfolgen unterschiedliche Ziele, . Abkoppelung" Westeuropas von den USA oder der Bundesrepublik von ihren westlichen Verbündeten die einen, die Entwicklung eines die deutsch-deutsche Grenze überschreitenden Nationalbewußtseins die anderen
Beide Zielvorstellungen wirken auf die Bündnisse und ihre Führungsmächte zurück und beeinflussen ihre Perzeption Mitteleuropas. Der westlichen Angst vor einem „neuen Rapallo" oder gar der „Selbstfinnlandisierung", mag auch beides ganz unfundiert sein, entspricht die Hoffnung der Kreml-Führung, daß eine starke westdeutsche Friedensbewegung ihrer eigenen Westeuropapolitik dienlich sein könnte. Gegenüber solchen Ängsten im Westen und Hoffnungen im Osten haben die Regierungen Schmidt und Kohl immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, daß eine Lockerung der Westintegration der Bundesrepublik ihren politischen Spielraum nicht vergrößern, sondern nur einengen würde. 3. Ansätze zur Neubelebung alter deutschlandpolitischer Alternativkonzepte Aus der sicherheitspolitischen Debatte in der Friedensbewegung sind inzwischen die An-sätze zur Neubelebung früher schon formulierter deutschlandpolitischer Alternativkonzepte herausgewachsen. Nur mittelbare deutschlandpolitische Konsequenzen hat dabei die Gesamtheit der Vorschläge über „andere Formen" der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, weil (welchen Vorschlag man auch immer aufgreift) bündnisinterne Probleme auftauchen, die ihrerseits dann wieder auf die Deutschlandpolitik zurückwirken. Viele der militärisch diskutablen Vorschläge für eine „andere Verteidigung“ übersehen, was der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Alois Mertes, kürzlich das „uralte Thema" genannt hat, „das unser Land seit dem Beginn seiner Existenz begleitet", nämlich das Verhältnis von Deutschlandfrage und Sicherheit
Die Wiederbelebung der Vorstellung einer atomwaffenfreien Zone in Europa hat innerhalb der Friedensbewegung beredte Anhänger gefunden Auch dieser Vorschlag, der 1982 vor allem deshalb prominent geworden ist, weil er im von einer international zusammengesetzten Kommission von Wissenschaftlern und Politikern erarbeiteten „Palme-Bericht" auftaucht, scheint zunächst mit der Deutschlandpolitik wenig zu tun zu haben. Da aber eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa vor allem die Bundesrepublik und die DDR betreffen würde, hätte ihre Verwirklichung, so unvorstellbar sie auch ist, sogleich beachtliche Auswirkungen auf die Position beider Staaten in ihren jeweiligen Bündnissen. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß die Vorstellungen zur atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa auch innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und (mit großen Abstrichen) auch bei den Freien Demokraten in der Bundesrepublik diskutiert werden.
Der dritte deutschlandpolitische Ansatz geht am weitesten und schließt die beiden vorgenannten im Grundsatz mit ein — das Konzept eines neutralisierten, neutralen Gesamt-deutschland, so wie es in der Überschrift einer Broschüre von einer Arbeitsgemeinschaft der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz in Berlin 1981 zu lesen ist: „Paktfreiheit für beide deutschen Staaten, atomwaffenfreies Europa vom Atlantik zum Ural, Einheit für Deutschland". Dies klingt so, als ob ein paar Surrealisten Politik mit der Methode der freien Assoziation treiben wollen. Tatsächlich jedoch scheint in Kreisen „undogmatischer Linker“ die Resonanz von Gedanken eines „linken gesamtdeutschen Autonomismus" zu wachsen. „Wenn in der bürgerlichen Medienöffentlichkeit in der letzten Zeit vermehrt die Gefahr eines . neuen Nationalismus'im Zusammenhang mit der Friedensbewegung heraufbeschworen wird, so muß diese Reaktion ... als Bestätigung der objektiv engen Verknüpfung von nationaler und Friedensfrage interpretiert werden", heißt es bei Peter Brandt und Günter Minnerup Dies ist, wie auch die anderen Alternativkonzepte, auch auf der Linken nicht unbestritten geblieben: „Wir müssen vielmehr deutlich machen", heißt es z. B. in einer Polemik gegen Brandt und Minnerup, „daß die Friedensfrage und nationale Frage überhaupt nichts miteinander zu tun haben." Entschieden ist über diesen Zusammenhang noch nicht, aber es hat den Anschein, als würde von den meisten Grün-Alternativen ebenso wie von einigen gewichtigen Gruppen innerhalb der SPD dieser Zusammenhang intensiv reflektiert.
IV. Die Berührung der Extreme
„Retten Linke die Nation?" heißt ein nicht ohne Süffisance formulierter Aufsatz in einem neo-konservativem Gedankengut verpflichteten Sammelband aus der Feder von Uwe Sauermann Zwar gibt sich der Autor bei der Antwort auf diese Frage eher skep-tisch, aber er drückt sein Verständnis darüber aus, daß aus der politischen Mitte heraus Beunruhigung über den Neo-Nationalismus von Linken geäußert wird: „Es geht den Kritikern von öko-, Friedens-und anderen Bewegungen nicht darum, daß die ehemaligen Verkünder des Nationalismus den Bewegten deren völkisches und nationalrevolutionäres Vokabular aus dem Munde nehmen und damit Unheil anrichten könnten. Sie befürchten vielmehr, daß die Umwelt-und Friedensfreunde sich so lange in ihr Anliegen verbeißen werden, bis ihnen der revolutionäre Nationalismus als der naheliegende Ausweg aus der Gefahr der imperialistischen Kriegstreiberei und der Alleinherrschaft des Kapitals erscheint. Dann allerdings wäre es [für diese Kritiker aus der politischen Mitte] an der Zeit, sich Flugtickets zu besorgen. Denn ein neuer deutscher Nationalismus, durchtränkt mit linker Gefühlsseligkeit, befreit von der abwägenden Bürgerlichkeit der Rechten und vorgetragen mit dem Elan der . Chaoten'von Berlin und Frankfurt, würde über kurz oder lang die Nachkriegsordnung in Stücke hauen."
Die Nachkriegsordnung in Stücke hauen — genau dies ist das deutschlandpolitische Programm von ganz weit rechts, wie es etwa in dem intellektuellen Amoklauf von Hans-Dietrich Sander „Der nationale Imperativ“ im Kern enthalten ist. Die meisten topoi aus der linken deutschlandpolitischen Debatte sind hier ebenso aufgeführt wie nur wenig verklausulierte Lobsprüche über die unbegriffenen Verdienste der Studentenrevolte. „Die westliche Besetzung Deutschlands ist weniger spürbar, doch nicht weniger wirksam als die östliche.“ Aus dieser anti-amerikanischen Gefühlslage heraus lassen sich leicht Visionen wie die folgende ausmalen: „Die Restituierung Deutschlands als Subjekt der Weltpolitik bedeutet, von fundamentalen Entscheidungen und Vorstellungen der Nachkriegszeit Abschied zu nehmen — vom Gewaltverzicht, von der Demokratisierung, vom Pluralismus, von der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, von europäischen Garantien und anderen schönen Redensarten mehr.“
Während Sander in der Pose des unerschrokkenen Post-Faschisten sein Programm doch in erster Linie für Intellektuelle auf der dogmatischen Rechten formuliert hat, versucht der Stuttgarter Privatdozent Henning Eichberg in seinen bizarren Schriften zur nationalen Frage, das herkömmliche Rechts-links-Schema zu überwinden. Schon die Zwischenüberschriften in seinem Aufsatz „Balkanisierung für jedermann?“ von 1980 signalisieren eine eher auf der Linken geläufige Terminologie: „Vom revolutionären Ursprung der nationalen Frage“, „Nationalismus und Sinnlichkeit", „Brüderlichkeit", „Faschismus als Entfremdung", „Nationalismus als praktischer Antifaschismus". Er beruft sich auf Rudi Dutschke, diffamiert die Entspannungspolitik zwischen Ost und West als eine Strategie der multinationalen Konzerne und verbindet auf überraschende Weise die Perspektive eines allgemeinen und sich rasch ausbreitenden Separatismus mit dem Gedanken der Wiedervereinigung. „Es geht ... um einen deutschen, einen gesamtdeutschen Separatismus, der die von Supermächten besetzten Teile des deutschen Volkes aus den entfremdeten Multisystemen herausbricht und die kleinere Einheit schafft, die Demokratie erst möglich macht: Deutschland. Die deutsche Nation zu schaffen, das heißt Dezentralisierung, weg von den Hauptquartieren der Wodka-Cola, Abfall von den Metropolen. Deutscher Nationalismus heißt: erkennen, daß wir selbst eine Minderheit sind, die mit dem inneren Kolonialismus, mit der Entfremdung in den eigenen Gehirnen zu kämpfen hat ebenso wie Basken und Indianer. Entkolonisierung also, Abkoppelung. Nicht mehr der , BRD-Bürger'sein mit amerikanisierter Sprache und ITT-Bewußtsein .. ,“
Liest man diese Passage nüchtern, dann erscheint sie als schillerndes Hirngespinst. In dem bengalischen Licht gegenwärtiger Alternativ-und Heimatkulte und vor den Schatten, welche die Schwierigkeiten von Weltwirtschaft und Weltpolitik in den kommenden Jahren vorauswerfen, gewinnt diese Passage sogleich eine verführerische Sogwirkung, insbesondere für diejenigen, die für ihre ndentität, Krefeld 1982, das folgende Zitat dort auf unvermeidbaren Enttäuschungen als Konsequenz ihres Engagements in der Friedensbe-wegung eine andere Rationalisierungsstrategie brauchen.
V. Zusammenfassung
Auf der Ebene der Regierungspolitik besteht gegenwärtig kein Bedarf an einer substantiellen Erneuerung deutschlandpolitischer Konzeptionen. Statt dessen scheint hier der „große Konsens" in der Deutschlandpolitik, wie er sich nach 1973 herausgebildet hat, nach wie vor die sinnfälligste Orientierung zu bieten, abgesehen von einigen kleineren Modifikationen. Komplizierter sieht die Lage aus, wenn man die im Bundestag vertretenen Parteien untersucht. Hier sind es vor allem die „regierungsbezogene" CDU und die gesamte F. D. P., welche es bei der Fortführung der Deutschland-politik ohne sichtliche Veränderungen bewenden lassen wollen. Aus der CSU gibt es immerhin auf rhetorischer Ebene einige Versuche, solche Modifikationen vorzunehmen, die aber im Verlauf der Debatte über den „Milliardenkredit" an die DDR von der Parteiführung zum Verstummen gebracht wurden, jedenfalls an der Oberfläche. Bei der SPD gibt es die wachsende Neigung, an langjährige und während der Regierungszeit der Partei an die Seite geschobene Traditionen deutschlandpolitischer Konzeptdiskussion wieder anzuknüpfen. Antriebe dazu stammen vor allem auch aus dem Themenbereich der Sicherheitspolitik. Ein Teil der Partei ist bereits in solche Diskussionen verstrickt. Was schließlich die Partei der Grünen betrifft, so „arbeiten sie an ihrem eigenen Bild von der Deutschland-Politik“ bei dem, was immer dabei herauskommen wird, ganz gewiß auch die nationale und die Sicherheitsfrage eng miteinander verknüpft sein werden.
Aus der Friedensbewegung heraus, die ihrerseits ein äußerst bunt gemischtes Konglomerat von Gruppen darstellt, sind einige der schon in den fünfziger Jahren diskutierten Alternativvorstellungen zur Sicherheitspolitik lanciert worden, die wie das Neutralismuskonzept oder die Idee einer atomwaffen-freien Zone in Mitteleuropa erhebliche bündnispolitische und damit auch deutschlandpolitische Konsequenzen haben (hätten).
Die Haltung der auf die Führung der UdSSR orientierten Gruppen innerhalb der Friedensbewegung zur Neuauflage der nationalen Frage ist sehr zurückhaltend. Sie profitieren einerseits von dem anti-amerikanischen Drall vieler Äußerungen, sind andererseits jedoch äußerst geniert über das Auftreten einer oppositionellen Friedensbewegung in der DDR. Es sind vor allem diejenigen Wortführer der Friedensbewegung, die wie Rudolf Bahro die DDR von innen her kennen, welche bei der Diskussion . strategischer'Fragen die DKP-nahen Gruppen immer wieder nachhaltig attackieren ohne daß von dort deutlich geantwortet würde.
Imagebestimmend in der Friedensbewegung sind indes kaum jene als Profis erkennbaren Politiker, sondern die Masse der links-emotional, religiös bis sektiererisch inspirierten jungen Leute, die eine allgemeine und tiefreichende Kritik nicht nur an der laufenden Politik vortragen, sondern an „Politik" schlechthin. Eine fruchtbare Diskussion mit ihnen über kompliziertere politische Sachverhalte, zu denen das deutsch-deutsche Verhältnis zweifellos zählt, ist zwar notwendig, oft aber fast nicht möglich.
Beunruhigt über das eigenartige „deutsche Erwachen" zeigen sich vor allem viele Beobachter aus den verbündeten Ländern im Westen, weil sie, zuweilen in national verzerrter Wahrnehmung, oft aber auch ziemlich klarsichtig, den Druck „von unten" auf die Bundesregierung fürchten, der diese dazu bringen könnte, die eindeutige Westorientierung der Bundesrepublik zu lockern. Für diese Befürchtung gibt es aber im politischen System der Bundesrepublik keinen Anhalt.
Allerdings muß es nachdenklich stimmen, ja fast schon alarmieren, daß es bei den Marginaldebatten über deutschlandpolitische Konzepte zu einem regen Austausch von Argumentationsfiguren zwischen den Extremrändern des politischen Spektrums kommt.
Auf keinen Fall darf das Thema den randständigen Gruppen überlassen bleiben. Gerade die wieder deutlich gewordene Verknüpfung von Sicherheitspolitik und Deutschlandpolitik gibt der politischen Mitte die Chance, die von ihr gewählten Optionen auf beiden Feldern öffentlich verständlich darzustellen und nachvollziehbar zu machen.