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Das außen-und sicherheitspolitische Entscheidungssystem der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 43/1983 | bpb.de

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APuZ 43/1983 Das außen-und sicherheitspolitische Entscheidungssystem der Bundesrepublik Deutschland Außen-und sicherheitspolitische Entscheidungen im Regierungssystem der Vereinigten Staaten Das außen-und sicherheitspolitische Entscheidungssystem der Sowjetunion

Das außen-und sicherheitspolitische Entscheidungssystem der Bundesrepublik Deutschland

Helga Haftendorn

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Zusammenfassung

Wie wird Außenpolitik gemacht? Wollten wir den Medien — von der Tagesschau über die BILD-Zeitung bis hin zum SPIEGEL — Glauben schenken, so sind es Bundesminister und Außenminister einerseits, Interessenverbände und Lobbyisten andererseits. Sicher, Regierungschef und Minister setzen Orientierungsmarken und fällen Krisenentscheidungen; eine derartige personalisierte Betrachtungsweise übersieht jedoch, daß in den modernen Demokratien ein weitgelächertes Instrumentarium organisatorischer Routine entstanden ist, mit dessen Hille 95 % aller außenpolitischen Entscheidungen heute auf der Arbeitsebene der zuständigen Ämter und Ausschüsse ablaufen. Die meisten Vorgänge gelangen gar nicht in die Kabinettsrunde oder auf den Schreibtisch des Regierungschefs. Ein Teil dieser Entscheidungen — man denke nur an die Agrarmarktordnungen der Europäischen Gemeinschaft oder Details von Rüstungskontrollverhandlungen — haben einen solchen speziellen Charakter, daß sie nur von Experten sachverständig getroffen werden können. Wieder andere Entscheidungen werden nicht mehr im nationalen Kontext, sondern in inter-oder supranationalen Organisationen getroffen. Dies hat folgenreiche Auswirkungen auf die parlamentarische Kontrolle außenpolitischer Sachverhalte und Entscheidungen, ebenso wie auf das Ausmaß an Unterstützung, das ihnen von den Bürgern entgegen gebracht wird. In dem Beitrag wird der Versuch unternommen, sowohl das formale, durch Grundgesetz und Verwaltungsordnung der Bundesrepublik festgelegte außenpolitische Entscheidungssystem als auch das neben diesem entstandene und dieses teilweise überlagernde funktionale und problemorientierte Entscheidungssystem darzustellen.

Wie wird Außenpolitik gemacht? Das Problem beginnt damit, daß Entscheidungsprozesse auf dem Gebiet der Außen-und Sicherheitspolitik nicht isoliert von ihrem Gegenstand betrachtet werden können. Je nach der spezifischen Ausprägung eines Problems, dem zur Verfügung stehenden politischen und wirtschaftlichen Instrumentarium sowie den internationalen und innenpolitischen Rahmenbedingungen bilden sich teils nationale, teils multinationale spezifische Willensbildungs-, Koordinierungs-und Entscheidungsprozesse heraus. Bei ihrer Beschreibung können Organisations-und Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Struktur der betreffenden internationalen Organisationen nur als ein erster Anhaltspunkt dienen, da die formalen, verfassungsrechtlichen Strukturen durch eine Fülle von funktionalen, problemorientierten Prozessen überlagert werden Die Komplexität dieses Systems wird vergrößert durch die Proliferation von Zuständigkeiten, durch bürokratische Prozesse, durch Parteiloyalitäten und nicht zuletzt durch persönliche Eigenheiten

I. Das nationale Planungs-und Entscheidungssystem

Im politischen System der Bundesrepublik hat der Bund gemäß Art. 73 GG die alleinige Zuständigkeit für alle Auswärtigen Angelegenheiten. Die Federführung für den gesamten zwischenstaatlichen und multilateralen Verkehr (mit Ausnahmen für die Außenwirtschaftspolitik, die Währungspolitik und teilweise die Entwicklungshilfe) obliegt nach Art. 11 GO Bundesregierung dem Auswärtigen Amt. Innerhalb des durch die Richtlinien-kompetenz des Bundeskanzlers und die Beschlüsse des Kabinetts abgesteckten Rahmens führt der Außenminister sein Ressort selbständig und in eigener Verantwortung. Hinzu kommen noch Absprachen zwischen den Parteien, seitdem es Mitte der sechziger Jahre Brauch wurde, dem kleineren Koalitionspartner das Außenministerium zu überlassen. In die außenpolitische Kompetenzverteilung ist daher ein doppeltes Spannungsverhältnis eingebaut: zum einen zwischen Bundeskanzler und Ressortminister und zum anderen zwischen den Koalitionsparteien.

Im Verhältnis zu Außenminister von Brentano machte Bundeskanzler Adenauer von seiner Richtlinienkompetenz uneingeschränkt Gebrauch, während die Kanzler Schmidt und Kohl, von einigen spezifischen, Primär sicherheitspolitischen Anstößen abge-

sehen, die Ressortzuständigkeit ihres Koalitionspartners, Außenminister Genscher, weitgehend respektierten. Seit den Zeiten von Außenminister Schröder in der Regierung Erhard hat ein Außenminister nicht mehr eine solch starke Position innegehabt, wie dies bei Außenminister und Vizekanzler Genscher der Fall ist. Seine Machtfülle stützte und stützt sich einmal auf die Bedeutung der FDP als Koalitionspartner, zum anderen auf die geschickte Verbindung von Planung, operativer Führung und praktischer Personalpolitik der Außenpolitik im Auswärtigen Amt. Auch wacht das Auswärtige Amt eifrig darüber, daß kein anderes Ministerium in seine Domäne einbricht. Dies zeigte sich in der Frühphase der Ostpolitik, als der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Egon Bahr, bei den Moskauer Verhandlungen weitgehende Verhandlungsergebnisse erzielt hatte und Außenminister Scheel demonstrativ nach Moskau reiste, um der Endphase der Verhandlungen noch eine eigene Prägung zu geben.

Seine zentrale Bedeutung für die Außen-und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik gewinnt das Auswärtige Amt auch dadurch, daß es sich einmal auf die Informationen aus den diplomatischen Vertretungen in den Hauptstädten der Welt stützen kann, zum anderen aufgrund der Tatsache, daß es die Federführung für alle internationalen Verhandlungen besitzt, wobei andere Ressorts beteiligt werden bzw. die Verhandlungskompetenz auch an sie abgetreten werden kann. So stellt das Auswärtige Amt den größten Anteil des Personals der Vertretungen bei der NATO und den Vereinten Nationen sowie in den verschiedenen internationalen Verhandlungsdelegationen; die anderen Häuser delegieren in der Regel Vertreter ihres Ressorts, die dann an die über das Auswärtige Amt erteilten Weisungen gebunden sind.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat versucht, in Fragen der Sicherheitspolitik die Dominanz des Auswärtigen Amtes in Frage zu stellen und über die Lieferung von militärischer Expertise hinaus eine eigene Verhandlungskompetenz — ähnlich der Rolle des ISA (International Security Affairs) im Pentagon — zu erlangen. Dieser Vorstoß wurde 1972/73 jedoch vom Auswärtigen Amt zurückgewiesen, ohne daß es zu einer grundsätzlichen Diskussion zwischen den Ressorts kam. Die Weisungen an die deutsche NATO-Vertretung und an internationale Verhandlungsdelegationen werden vom Auswärtigen Amt in enger Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium erteilt. Ähnlich verläuft die Berichterstattung.

Die Funktion des Bundeskanzleramtes beschränkt sich auf die Koordinierung der Ressorts und die Überwachung des von der Bundesregierung abgesteckten allgemeinen politischen Konzeptes. Für Außenpolitik ist die Abt. II zuständig, mit den Gruppen 21: Auswärtige Politik" (Ost-West-Beziehungen, bilaterale Beziehungen zu Osteuropa, zur UdSSR und zu Nordamerika, Dritte Welt), 22: „Innerdeutsche Beziehungen" und 23: „Sicherheitspolitik, Verteidigungsfragen, Abrüstung und Rüstungskontrolle", die auch als Sekretariat für den Bundessicherheitsrat fungiert Der Bundessicherheitsrat ist ein reiner Kabinettsausschuß ohne organisatorischen Unterbau, dessen Vorsitz der Bundeskanzler, in seinem Auftrag der Bundesminister der Verteidigung, innehat, und an den die Bundesregierung bestimmte Aufgaben delegiert hat (z. B. die Genehmigung von Rüstungsexporten), der aber im wesentlichen als sicherheitspolitische „Vorprüfstelle“ bei der Verabschiedung von verteidigungspolitischen Beschlüssen und Erklärungen dient. Operative Funktionen hat lediglich die Gruppe 22, die die Schaltstelle für die Beziehungen zur DDR ist

Das System der Entscheidungsvorbereitung und -abstimmung auf der Referenten-und Unterabteilungsleiterebene ist seit 1955 soweit ausdifferenziert und entwickelt worden, daß die politische Leitung zwar über die Mehrzahl der Vorgänge informiert ist bzw. informiert sein kann, aber bei Routineentscheidungen — und die für solche gehalten werden — selten tätig wird, es sei denn zur formalen Bestätigung einer bereits getroffenen Entscheidung. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der größeren Problemverarbeitungs-kapaziät und in dem ziemlich reibungslosen Funktionieren der Regierungsbürokratie; der Nachteil ist darin zu sehen, daß der politischen Führung in der Regel nur wenige Handlungsalternativen zur Verfügung stehen. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers beschränkt sich daher auf das Abstecken von allgemeinen sicherheitspolitischen Zielsetzungen, zu deren Verwirklichung das Bundeskanzleramt koordinierend tätig wird. Ausnahmen sind politische Grundsatzentscheidungen, wie z. B. Beitritt der Bundesrepublik zum Nichtverbreitungsvertrag, über den lange zwischen den Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD gerungen wurde und für den der Weg erst nach der Regierungsbildung durch die sozial-liberale Koalition frei war. Auch über die Vorgehensweise in der Ostvertragspolitik wurde intensiv im Kabinett beraten, und selbst die Formulierungen der einzelnen Vertragstexte und auszutauschenden Briefe und Erklärungen wurden auf höchster Ebene abgestimmt. Mit dem NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979, seiner Vorbereitung und der politischen Implementierung seiner beiden Teile haben sich Kabinett und Bundessicherheitsrat mehrfach befaßt. Zu denjenigen sicherheitspolitischen Entscheidungen, in die die höchste politische Ebene eingeschaltet wird, gehört in der Regel auch die Abstimmung von Verhandlungspositionen für bedeutende internationale Konferenzen. Andererseits reduziert sich die Mitwirkung des Kabinetts bei der Vorbereitung von NATO-Tagungen meist auf die Absegnung der von den Ressorts ausgearbeiteten Papiere. Im politischen Tagesgeschäft sind die Fälle, in denen sicherheitspolitische Detailentscheidungen vom Bundeskanzler, vom Kabinett, vom Bundessicherheitsrat oder in einem Chefgespräch getroffen werden, eher die Ausnahme als die Regel.

Die Arbeitsebene, die im Rahmen der von der politischen Leitung erlassenen Richtlinien und Weisungen tätig wird, wird in erster Linie durch die Fachreferenten gebildet. Im Auswärtigen Amt fallen z. B. Sicherheitsfragen in die Kompetenz folgender Referate: 201 -Atlantisches Bündnis und Verteidigung" (NATO-Fragen), 212 „Fragen der allgemeinen Ost-West-Beziehungen“ (KSZE), 220 „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ (weltweit, u. a. SALT), 221 „Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa" (u. a. MBFR), 222 -Abrüstung und Rüstungskontrolle“ (weltweit, ua. NV), 223 „Nukleare Rüstungskontrolle im Ost-West-Verhältnis“. Neben dem NATO-Referat kommt damit eine besondere Bedeutung der Abrüstungsunterabteilung zu, die 1965 mit dem Beschluß des Deutschen Bundestages zur Einsetzung eines Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung gebildet wurde

Grundsatzfragen der Ost-und Deutschland-politik ressortieren beim Referat 210 . Außen-politische Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes betreffen“; über dieses Referat läuft auch die Abstimmung mit den drei westlichen Verbündeten in der sogenannten Vierer-Gruppe, wenn diese wegen der Bedeutung der zur Diskussion stehenden Fragen nicht vom Abteilungs-oder Unterabteilungsleiter wahrgenommen wird. Die beiden für die Ost-politik wichtigsten Referate — hier aber mehr in dem Sinn der Zuarbeit als der Verhandlungsführung — waren das Referat 213 „Sowjetunion“ und das Referat 214 „Osteuropa". Für die Ostvertragspolitik wichtig war ferner das Referat 501 „Völkerrecht". Andere Arbeitseinheiten, wie das Referat 230 „Vereinte Nationen", bestimmte Länderreferate oder Referate der Abteilung für Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und Europäische Wirtschaftliche Integration, arbeiten eng mit den verantwortlichen Referaten zusammen; in einzelnen Fällen obliegt ihnen auch die Federführung, wie dem Referat 422 „Grundsatzfragen der Außenwirtschaftspolitik" für Fragen der Rüstungsexportkontrolle und dem Referat 413 „Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie“ für die Nuklearexportpolitik

Im Rahmen der vom Kabinett verabschiedeten „Verteidigungspolitischen Richtlinien"

und auf der Grundlage der Beschlüsse des Bündnisses obliegt dem Bundesministerium der Verteidigung die Entwicklung langfristiger Zielvorstellungen der militärischen Sicherheitspolitik, die Streitkräfte-und Rüstungsplanung sowie die Führung der Bundeswehr. Die für die Sicherheitspolitik wichtigsten Arbeitseinheiten sind einmal der der Leitungsebene zugeordnete Planungsstab (seit 1969), dessen Leiter in der Regel ein Zivilist ist, und zum anderen der dem Generalinspekteur unterstehende Führungsstab Streitkräfte. In diesem hat die Unterabteilung FüS III die Funktion einer Stabsabteilung für alle Fragen der Militärpolitik und Militärstrategie. Enge Arbeitskontakte bestehen zu der Stabsabteilung FüS II „Militärisches Nachrichtenwesen" und den Abteilungen III („Führung“) der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte sowie mit der Haushalts-und der Rüstungsabteilung. Für das Verteidigungsressort charakteristisch ist zum einen das latente Spannungsverhältnis zwischen politischer Führung und militärischer Expertise und zum anderen die sachlich bedingte enge Kooperation insbesondere seiner militärpolitischen Referate mit ihren Counterparts im Auswärtigen Amt, die vor allem bei den Verhandlungen über Rüstungsbeschränkung deutlich wurde

Natürlich sind auch noch verschiedene andere Bundesministerien mit außenpolitischen Fragen befaßt. Besonders zu nennen ist das Bundesministerium für Wirtschaft, z. B. diejenigen Referate der Zentralabteilung, die sich mit Verteidigungsfragen befassen (ZB 1 un ZB 2), sowie die Referate der Abteilung 1 „Außenwirtschaftspolitik und Entwicklung! hilfe“. In allen Fragen, in denen Mittel an dem Bundeshaushalt eine Rolle spielen, ha der Finanzminister ein wichtiges Wor mitzu reden. Für Fragen der Deutschlandpolitik wa und ist ferner das Bundesministerium für in nerdeutsche Beziehungen (bis 1969: Bundes ministerium für gesamtdeutsche Fragen) von gewissem Belang. Als „Ministerium für den kalten Krieg" (Nolte) gegründet, hatte diese jedoch nur eine marginale Bedeutung, da de Hauptakzent der Regierungstätigkeit auf de Bündnis-und Sicherheitspolitik lag. Als wäh rend der Großen Koalition die Deutschland politik einen höheren Stellenwert erhielt, wa es unter Leitung von Herbert Wehner akti an ihre Neuformulierung beteiligt und berei tete die Ostvertragspolitik durch eine umfas sende Bestandsaufnahme und die Erarbeitun neuer Konzepte vor. 1969 ging die Initiativ: dann wieder auf das Kanzleramt über, wem auch das Innerdeutsche Ministerium, insbe sondere seine Unterabteilung IIA („Politisch: Grundsatzfragen“), weiter am Entscheidung! prozeß beteiligt war und es in einer Füll: wichtiger Detailfragen dem Bundeskanzler amt zuarbeitete. Während der Verhandlun gen über den Grundlagenvertrag mit der DDI und nach dessen Abschluß verringerte siel seine Bedeutung, vor allem als Folge der Wei gerung der DDR, den Bundesminister für in nerdeutsche Beziehungen als zuständiger Gesprächspartner zu akzeptieren. Heute führt es eine Existenz mehr im verborgenen, di: höchstens in den jährlichen Berichten de: Bundeskanzlers zur Lage der Nation durch scheint, während die operative Leitung da Deutschlandpolitik an die Gruppe 22 „Inner deutsche Beziehungen" des Bundeskanzler amtes sowie an den Ständigen Vertreter dei Bundesrepublik in Ost-Berlin, der dem Kanz leramt unterstellt ist, übergegangen ist

Umstritten ist die Rolle der Planungsstäbe in den verschiedenen Ressorts. Abgesehen von einer kurzen Periode in der Regierung Brandt/Scheel, in der Kanzleramtsministe Ehmke den Planungsstab als politisches Steuerungsinstrument benutzen wollte, be treibt die Planungsabteilung des Kanzleramtes keine konzeptionelle Planung auf dem Gebiet der Außen-und Sicherheitspolitik; ihre Aufgabe besteht im wesentlichen in der Ablaufplanung der Regierungsarbeit Der Planungsstab im Verteidigungsministerium hatte für einige Jahre (1970-1974) eine beträchtliche Bedeutung für die Entwicklung und Formulierung der Sicherheitspolitik. Vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt geschaffen und personell besetzt, um ihm politisch direkt zuzuarbeiten und ein Gegengewicht zu dem weitgehend in militärischen Kategorien denkenden Apparat des Ministeriums zu bilden, war dieser Stab unter seinem Leiter, Hans Georg Wieck, direkt in die westdeutsche Sicherheits-und Entspannungspolitik eingeschaltet, und zwar einmal über das Instrument der Mitzeichnung und zum anderen über eigene inneradministrative Initiativen und öffentliche Äußerungen. Daraus ergaben sich Konkurrenzverhältnisse innerhalb des Verteidigungsministeriums und zu den Abteilungen des Auswärtigen Amtes.

Zu dieser Zeit beschäftigte sich der Planungsstab des Auswärtigen Amtes nicht mit sicherheitspolitischen Fragen. „Denkfabrik", beauftragt mit der Entwicklung langfristiger politischer Optionen und Alternativen, war der Planungsstab des AA nur in der Zeit unter Egon Bahr, der für Willy Brandt einen deutschlandpolitischen Nachdenkprozeß initiierte, der dann in die Ostvertragspolitik einmündete. Als 1973 die Frage der Delegationsleitung für Helsinki akut wurde und als durch persönliche Entscheidung von Außenminister Scheel Guido Brunner mit dieser Aufgabe betraut werden sollte, mußte für ihn ein entsprechendes Botschafteramt gefunden werden. Aus personalpolitischen Gründen sprach einiges dafür, ihn zum Nachfolger des gerade zur Disposition stehenden Leiters des Planungsstabes zu machen und ihn nicht zum Botschafter z. b. V. zu ernennen. Im wesentlichen hat der Planungsstab im Auswärtigen Amt die Funktion eines Arbeitsstabes oder Kabinetts für den Minister und arbeitet ihm direkt zu. Seine sechs bis acht Mitarbeiter des höheren Dienstes schreiben Reden, weisen kurzfristig auf wichtige referatsübergreifende rpbleme hin und versuchen, mittelfristige “ enpolitische Optionen zu erarbeiten

Als wissenschaftliche Beraterstäbe auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik stehen der Bundesregierung das Forschungsinstitut der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München, das beim Bundeskanzleramt ressortiert, und das Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr in Bensberg zur Verfügung. Im Rahmen eines vom Auswärtigen Amt skizzierten Arbeitsprogramms und aufgrund eigener Einschätzung werden in Ebenhausen zu einer Vielzahl von außen-und sicherheitspolitischen Problemen Analysen angefertigt, die den operativen Referaten als Hintergrundinformation dienen, doch wirken seine Mitarbeiter nur am Rande an der konzeptionellen Planung der Regierungspolitik mit. Noch geringer ist der Einfluß des Amtes für Studien und Übungen der Bundeswehr in Bensberg auf die Sicherheitspolitik. Bei Operations Research-Studien kann es sich dabei auf die Zentrale Operation Research-Steile in Trier und auf die Forschungsabteilungen großer Industrieunternehmen stützen. Eine größere Wirkung auf den internen Willensbildungsprozeß als umfangreiche Expertenstudien haben gelegentlich wohlinformierte Zeitungsartikel von Journalisten wie Lothar Ruehl, Theo Sommer, Robert Held u. a., in denen Veränderungen der internationalen Situation signalisiert oder alternative Optionen diskutiert werden.

Die Proliferation von Zuständigkeiten im Bereich der Sicherheitspolitik weist dem Problem der interministeriellen Koordinierung besondere Bedeutung zu. Dafür stehen auf der Arbeitsebene drei Instrumente zur Verfügung: das Telefon, das Recht zur Mitzeichnung und die Möglichkeit, interministerielle Arbeitsgruppen einzurichten. Am wirkungsvollsten erweist sich das Telefon sowie der persönliche Kontakt zwischen den mit einem Problem befaßten Referenten und Hilfsreferenten. Auch von dem Recht zur Mitzeichnung wird regelmäßig Gebrauch gemacht. In- terministerielle Arbeitsgruppen (IMAG) bestehen bzw. bestanden sowohl für die Ostvertragspolitik als auch für die MBFR-Vorbereitung und die KSZE-Verhandlungen. Einige dieser IMAG's koordinieren nur die Arbeit von zwei oder drei Ressorts, anderen gehörten bis zu 15 Ressorts und noch eine größere Zahl von Arbeitseinheiten — bis zu 50 Personen — an. Ihr Erfolg hängt zum großen Teil davon ab, ob das federführende Referat die IMAG’s geschickt als interministerielles Koordinierungsinstrument einzusetzen versteht.

Dennoch sind ressortübergreifende Entscheidungsinstrumentarien eher die Ausnahme als die Regel. Ressortprinzip sowie die hierarchische Struktur der einzelnen Ministerien mit einem hohen Grad an Autonomie der verschiedenen Referate führen zu Zufälligkeiten bei der Ausübung von Zuständigkeiten, Konipetenzgerangel und isolierten Entscheidungen. Dabei macht sich dann bemerkbar, daß es der Bundesregierung an konzeptionell und koordinierend tätigen Planungskapazitäten auf Kabinettsebene fehlt.

II. Internationale Mitwirkungs-und Entscheidungsstrukturen

Angesichts des hohen Grades an internationaler Verflechtung der Bundesrepublik sind die Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse, die für diese von Belang sind, nicht auf diejenigen beschränkt, die innerhalb ihres politischen Systems ablaufen. Eine Reihe wichtiger sicherheitspolitischer Entscheidungen fallen in den Organen von NATO, EG, EPZ oder anderen internationalen Gremien; andere werden bilateral getroffen, z. B. bei Treffen der Regierungschefs (wie auf den „Wirtschaftsgipfeln" oder bei regelmäßigen Regierungskonsultationen), in gemeinsamen Kommissionen (z. B.deutsch-amerikanischen oder deutsch-französischen Kommissionen) oder in direkten Kontakten auf der Arbeitsebene zwischen den zuständigen Abteilungen und Referaten (so z. B. bei Treffen des Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung mit seinen Kollegen in anderen NATO-Ländern). Ebenfalls bestehen zwischen den Parlamentariern der westlichen Industriestaaten enge und regelmäßige Verbindungen (z. B. über die Atlantische Versammlung oder das Europäische Schließlich dürfen Parlament). die vielen informellen Kontaktmöglichkeiten zwischen den Eliten der verschiedenen Länder (z. B. im Rahmen des International Institute for Strategie Studies, auf den Tagungen der Atlantik-Brücke oder im Rahmen der Deutsch-Englischen Gesellschaft) sowie die Internationalisierung von Meinungsbildungsprozessen durch die Staatsgrenzen übergreifende Reichweite der Medien nicht übersehen werden. Das Ergebnis sind komplexe transnationale Mitwirkungs-und Entscheidungsstrukturen, die weit über die vertraglichen Bindungen hinausreichen. 1. Die NATO Ein gutes Beispiel dafür ist die Mitwirkung der Bundesrepublik im Nordatlantischen Bündnis. Diese läßt sich anhand des NATO-Vertrages von 1949 nur unvollkommen ermitteln, denn danach ist die NATO primär ein Bündnis souveräner Staaten. Erst der Aufbau einer integrierten Verteidigungsorganisation (1951) und der Beschluß, die in Europa stationierten Streitkräfte grundsätzlich dem NATO-Oberbefehl zu unterstellen (1954), erforderten auch die Entwicklung gemeinsamer beschlußfassender Institutionen.

Die wichtigsten Gremien auf der politischen Ebene sind der NATO-Rat, der zweimal jährlich auf der Ebene der Minister, wöchentlich oder sogar mehrmals in der Woche auf der Ebene der Ständigen Vertreter tagt. Nach dem Ausscheiden Frankreichs aus der NATO-Integration wurden Beschlüsse über militärische Fragen einem Parallelorgan, dem Ausschuß für Verteidigungsplanung (DPC), übertragen. Dem Rat unterstehen eine Reihe von ständigen Ausschüssen und Unterausschüssen, die sich u. a. mit politischen Angelegenheiten Wirtschaftsfragen (SPC), (EC nuklearer Verteidigung (NDAC und NPGJ Verteidigungsplanung (DRC) etc. befassen. In diesen Ausschüssen sind die Mitgliedstaaten durch Beamte oder Offiziere der ständigen NATO-Vertretungen in Brüssel oder Abgesandte der nationalen Außen-und Verteid gungsminsterien vertreten; ihre Arbeit wird vorbereitet und unterstützt durch den NATO Generalsekretär und seinen internationalen Stab. Ähnlich ist es auf der militärischen Ebene Hier geschieht die Abstimmung innerhalb der vom NATO-Rat/DPC festgelegten Richtlinie» im Militärausschuß (MC), der entweder 4 der Ebene der nationalen Generalstabschefs Generalinspekteure oder auf derjenigen ihre Ständigen Vertreter in Brüssel tagt. Teils im Rahmen dieser formalen Organisationsstruktur, teils diese überlagernd hat sich ein funktionales System herausgebildet, das der Lösung bestimmter politischer Probleme dienen soll. Ein Beispiel dafür ist die Nukleare Planungsgruppe (NPG), ein Unterausschuß des Komitees für Nukleare Angelegenheiten (NDAC), die Mitte der sechziger Jahre eingerichtet wurde, um den nichtnuklearen Mitgliedern der Allianz größere Mitsprachemöglichkeiten in nuklearen Fragen zu geben — und damit einen Ersatz für eigene Nuklearstreitkräfte oder einen nuklearen Mitbesitz im Rahmen multilateraler Streitkräfte (MLF) zu bieten. Die EURO-Group ist eine informelle Zusammenkunft der Verteidigungsminister (oder ihrer Vertreter) von zehn europäischen Staaten zur Stärkung des europäischen Parts innerhalb des Atlantischen Bündnisses. Auch zur Führung der MBFR-Verhandlungen wurden mit der MBFR-Working Group und der Ad-hoc-Group spezielle funktionale Koordinierungsgremien geschaffen. Dasselbe war der Fall bei der Vorbereitung des NATO-Doppelbeschlusses vom Dezember 1979 und seiner Implementierung, die im Rahmen einer High Level Group (HLG) und eines Special Consultative Group (SCG) erfolgt. Darüber hinaus bietet der NATO-Rahmen informelle Abstimmungsmöglichkeiten der sechzehn (bzw. vierzehn am integrierten Verteidigungsprogramm beteiligten) Staaten für internationale Konferenzen (z. B. bei der KSZE) und bei auftretenden Problemen (z. B. beim Nahost-Konflikt)

Die Westeuropäische Union (WEU) ist dagegen nie über den Charakter einer „Behelfsorganisation" hinausgewachsen: um eine Kontrolle über das deutsche militärische Potential zu ermöglichen bzw. um Großbritannien nach dem Scheitern der Beitrittverhandlungen zur EWG 1963 enger an die Sechs zu binden. Dies reichte jedoch nicht aus, um, wenn die jeweiligen historischen Zwecke erfüllt waren, die WEU zu einem bedeutsamen si-cherheitspolitischen Abstimmungsorgan werden zu lassen! 2. Die Europäische Gemeinschaft Für die Europäische Gemeinschaft charakteristisch ist ein Nebeneinander von Gemeinschaftsorganen, die die Gesamtinteressen der Gemeinschaft repräsentieren, und multilateralen Entscheidungsprozessen, in die die Vertreter der Mitgliedstaaten ihre nationalen Interessen einbringen. Die entsprechenden Institutionen sind zum einen die EG-Kommission und zum anderen der EG-Ministerrat; dem seit 1979 direkt gewählten Europäischen Parlament fehlt es vorerst noch an Kompetenzen, um eine eigenständige Rolle in der Gemeinschaftspolitik zu spielen. Da die Zuständigkeit der EG auf Fragen der Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik — allerdings weit interpretiert — begrenzt ist, hat sich neben der EG ein System funktionaler politischer Zusammenarbeit herausgebildet: der Europäische Rat (ER), der dreimal im Jahr in Brüssel und am Ort der halbjährlich wechselnden Präsidentschaft auf der Ebene der Staats-und Regierungschefs (unter Hinzuziehung des Präsidenten der EG-Kommission) tagt, und die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), eine regelmäßige intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Außenministerien der Gemeinschaftsstaaten. Als Politisches Komitee spielt sich diese auf der Ebene der Politischen Direktoren, in von diesen eingesetzten Arbeitsgruppen nationaler Experten oder in Kontakten zwischen den Botschaftern der Zehn ab und verfolgt den Zweck, die nationalen politischen Standpunkte möglichst eng aufeinander abzustimmen. Rein militärische Fragen wurden bisher — vor allem auf französisches Insistieren — aus dem ER und der EPZ ausgespart Auf dem Gebiet der (nichtmilitärischen) Sicherheitspolitik werden sich die Abstimmungsprozesse dann im EG-Rahmen vollziehen, wenn es primär um wirtschaftliche Fragen geht, so z. B. um Probleme des Osthandels oder der wirtschaftlichen Kooperation mit den osteuropäischen Staaten; in allen anderen, primär politischen Fragen wird die EPZ tätig, die auf diese Weise eine zunehmende politische Bedeutung erlangt hat Allerdings läßt sich die Trennung von EG und EPZ nicht strikt aufrechterhalten, so daß es auch zu Mischformen kommt und z. B. Vertreter der EG-Kommission bei der Entscheidungsfindung im Rahmen der EPZ mitherangezogen werden 3. Die Vierer-Gruppe Während der Verhandlungen über die Ost-verträge, insbesondere bei der Vorbereitung des Berlin-Abkommens, aber auch bei der KSZE-Abstimmung, erwies sich die Nützlichkeit eines weiteren, in keinem Organogramm vorgesehenen multilateralen Gremiums: der Vierergruppe in Bonn, in der die Botschafter der drei für Deutschland als Ganzes und Berlin verantwortlichen Mächte zusammen mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes — bzw.deren Vertreter — ihre Haltung in allen Fragen von deutschlandpolitischer Bedeutung abstimmten. Diese Gruppe existiert als sogenannte „Bonn-Group " seit der Berlin-Krise 1959 (damals tagte sie auf der Ebene der Botschaftsräte und stimmte vor allem Einzelheiten der westlichen Berlin-Politik, insbesondere Fragen des Zugangs von und nach Berlin, mit der Bundesregierung ab); sie hatte ein Gegenstück in der sogenannten Berlin Contigency Group in Washington, in der seit dem Chruschtschow-Ultimatum von den Drei Mächten unter Hinzuziehung des deutschen Botschafters die gemeinsame Berlin-Politik abgestimmt wurde. Ihre Vorläufer reichen in die Zeit der Berliner Blockade von 1948 zurück, in der die drei Westalliierten in Washington über Maßnahmen zur Begegnung und Überwindung der Krise berieten, oder in die Zeit der Genfer Gipfelkonferenzen von 1955, in der die Westmächte den damaligen Ministerialdirigenten im Auswärtigen Amt Wilhelm Grewe, als Vertreter der Bundesregierung konsultierten. Ihre Legitimation leitete die Vierer-Gruppe aus den Bestimmungen der Pariser Verträge ab, in denen sich die drei Westmächte in Art. 6 und 7 verpflichtet haben, die Bundesrepublik in allen Berlin und Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen zu konsultieren. Während dieses Gremium in den sechziger Jahren vor allem ein flexibles Instrument gemeinsamen Krisenmanagements war, wurde es in den siebziger Jahren zu einem wichtigen Scharnier zwischen der Ostpolitik der Bundesrepublik und der Detente-Politik ihrer westlichen Verbündeten 4. Bilaterale Koordinationsprozesse Stellt man sich die internationale Verflechtung der Bundesrepublik als ein Netz von bilateralen und multilateralen Beziehungen vor, so gibt es im Bereich der zehn EG-Staaten eine deutliche Verdichtung dieses Beziehungsflechtes. Heute wird kaum noch eine politische oder wirtschaftspolitische Entscheidung von Rang getroffen, ohne daß nicht vorher oder nachher Konsultationen mit den Partnern stattfinden — teils informell im telefonischen Kontakt zwischen den Regierungschefs oder den zuständigen Ministern, teils in den verschiedenen Institutionen und Gremien. Ein weiterer Verdichtungsknoten verbindet Westeuropa mit den Vereinigten Staaten, und ein dritter die westlichen Industriestaaten unter Einschluß Japans untereinander. Besonders eng sind die Konsultationen mit den USA, wo sie sich primär aus den engen sicherheitspolitischen, aber auch währungspolitischen Beziehungen ergeben, und mit Frankreich, wo sie im Deutsch-Französischen Vertrag von 1963 vereinbart wurden. Dementsprechend sind die deutsch-amerikanischen Kontakte mehr funktionaler Art und werden häufig vor der Öffentlichkeit abgeschirmt, während die verschiedenen deutsch-französischen Kommissionen eher demonstrativen Charakter haben und das Maß der Zusammenarbeit davon abhängt, wie eng der Rapport zwischen Bonn und Paris ist Geographisch wie historisch bedingt und durch die Ostpolitik gefördert, bestehen vielfältige Beziehungen zur DDR, zur Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Staaten. Ein weiteres Netz wird durch die Beziehungen zu denjenigen Ländern der Dritten Welt gebildet, mit denen die Bundesrepublik enge wirtschaftliche Beziehungen als Rohstoffimporteur oder Exporteur von Industrie-produkten unterhält.

Die Dichte der internationalen Verflechtungsmuster hat zum einen zur Folge, daß die für die Nachkriegsperiode typische Hierarchisierung der außenpolitischen Problembereiche sich abgeschwächt hat oder teilweise ganz weggefallen ist. Die unter den Bedingungen des Kalten Krieges entstandene Sicherheitsorientierung der westdeutschen Politik wurde relativiert bzw. überlagert durch die Dringlichkeit anderer Fragen, wie z. B. die Entspannungspolitik oder die Weltwirtschaftspolitik. Zum anderen ist eine sektorale Unterscheidung der einzelnen Problem-komplexe nicht mehr immer möglich. Auf der internationalen Bühne können Fragen der Sicherheitspolitik nicht unabhängig von solchen der Außenwirtschaftspolitik behandelt werden; eine . Abschottung“ des einen Bereichs vom anderen ist in der Regel dysfunktional. Andererseits ist die Interdependenz der Problembereiche aber nicht soweit gediehen, daß in jedem Fall die Ausbalancierung von Asymmetrien in dem einen Bereich durch solche in einem anderen möglich wäre.

Da das politische System der Bundesrepublik sich an die internationale Verflechtung der Willensbildungs-und Entscheidungsstrukturen weitgehend angepaßt hat, kommt es hier nur selten zu einem Spannungsverhältnis zwischen nationalen und supranationalen Prozessen. Verfassungsrechtlich durch Art. 24 GG abgesichert, hat die konkrete Situation der Nachkriegszeit sicher dazu beigetragen, daß die Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Eliten die internationalen Bindungen der Bundesrepublik voll akzeptiert und zu ihrem Vorteil zu nutzen weiß. Auf dem Gebiet der Außenpolitik entspricht „die verfassungsmäßige Struktur der Bundesrepublik nicht mehr voll derjenigen, die im Grundgesetz vorgezeichnet ist" 14).

III. Entscheidung und Kontrolle: Probleme der Legitimation von Außenpolitik

Demokratische Außenpolitik bedarf einer doppelten Legitimation: zum einen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den normativen Zielen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, zum anderen hinsichtlich der Mitwirkung und Kontrolle durch seine gewählten Vertreter in den dafür zuständigen Verfassungsorganen. Als außenpolitische Grundwerte nennt das Grundgesetz in seiner Präambel die Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit, die Vereinigung Europas und den Dienst am Frieden der Welt. Diese Postulate sind Zielvorgaben für die Außenpolitik der Bundesrepublik, wobei ihre Interpretation einem historischen Wandel unterworfen war und über ihre Realisierung in der politischen Praxis immer wieder erbittert gerungen wurde: 1950 über die Frage der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ei den ersten Schritten zur europäischen Inegration (Beitritt zum Europa-Rat und Hinnahme des Ruhrstatuts), 1952 über die Prioriatenfrage zwischen Westintegration und

Wiedervereinigung (anläßlich der sowjetischen Noten), 1954— 1957 über die Bewaffnung der Bundesrepublik (EVG-bzw. NATO-Beitritt und Atombewaffnung der Bundeswehr), 1963 über den Vorrang der Beziehungen zu Paris bzw. zu Washington (Deutsch-Französischer Vertrag), 1970— 1972 über die Hinnahme des Status quo in Europa (Debatte über die Ostverträge), 1979— 1983 über das Verhältnis von militärischer Rüstung und politischer Entspannung (NATO-Doppelbeschluß). Mitwirkung und Kontrolle der Außenpolitik fallen im politischen System der Bundesrepublik nach Art. 59, 2 GG und Art. 73, 1 sowie 73, 5 GG in die Zuständigkeit des Bundes und hier des Bundestages; der Bundesrat wirkt in der Regel nur dann mit, wenn Angelegenheiten betroffen sind, die in die Zuständigkeit der Länder fallen, er gemäß Art. 73, 3 GG von seinem Einspruchsrecht Gebrauch macht oder eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist. In der politischen Praxis konzentriert sich die Mitwirkung des Bundestages am außenpolitischen Entscheidungsprozeß auf drei Gebiete: die Richtungskontrolle, die Ratifizierung von völkerrechtlichen Verträgen und die Bewilligung von Haushaltsmitteln

Die Richtungskontrolle dient dem Ziel, den von der Regierung (in den meisten Fällen auch von der jeweiligen Parlamentsmehrheit) verfolgten außenpolitischen Kurs transparent zu machen, eine Kurskorrektur herbeizuführen bzw. eine Berücksichtigung abweichender oder zusätzlicher Gesichtspunkte zu erreichen. Mit Hilfe von Großen und Kleinen Anfragen oder Aktuellen Stunden soll im Parlament eine Grundsatzdebatte, zumindest aber eine öffentliche Aussprache herbeigeführt werden, in der die Opposition ihre Kritik artikulieren und ihre abweichende Meinung formulieren kann. Wenn sich die Regierungskoalition des Instruments der Großen Anfrage bedient, so will sie in der Parlamentsdebatte ihre politische Position darlegen und für diese durch die von einer solchen Debatte ausgehende Öffentlichkeitswirkung um Zustimmung werben. Auch bei einer von der Opposition beantragten Debatte versäumt sie es daher selten, über die Antwort auf die Anfrage hinaus ihre Position in einer vom Bundeskanzler vorgetragenen Regierungserklärung oder in einer ausführlichen Stellungnahme des zuständigen Ressortministers zu begründen. In der Geschichte des Deutschen Bundestages bilden die großen Debatten über Fragen der Sicherheitspolitik in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ebenso wie diejeni-gen über die Ostpolitik in der ersten Hälfte der siebziger Jahre Höhepunkte der parkmentarischen Auseinandersetzung.

Das klassische Recht parlamentarischer Mitwirkung in der Außenpolitik ist die Zustimmung zu internationalen Verträgen. Allerdings findet nur ein Teil außenpolitischer Aktivitäten ihren Niederschlag in vertraglicher Form; quantitativ überwiegen nicht ratifizierungsbedürftige Verwaltungsabkommen, einseitige Bindungen oder Verpflichtungen, die im Rahmen bestehender Verträge oder in supranationalen Gremien eingegangen werden. Hinzu kommt, daß im deutschen Verfassungsrecht das Parlament nicht die Möglichkeit hat, Änderungen oder Zusätze zu den Verträgen anzubringen, und in der Regel eine Desavouierung der Regierung durch Verwerfung eines vorgelegten Vertrages zu vermeiden gesucht wird. Im Rahmen des Ratifikationsprozesses kommt dem Auswärtigen Ausschuß eine wichtige Rolle zu. An ihn wird das Ratifizierungsgesetz nach der ersten Lesung im Plenum verwiesen; hier wird die Begründung erarbeitet, wobei gelegentlich Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit abweichende Begründungen vorlegen (so z. B. beim Moskauer und Warschauer Vertrag), ehe dann in der Zweiten, abschließenden Lesung die Abstimmung im Plenum stattfindet. Der Bundesrat kann, aber muß sich nicht mit einem zur Ratifizierung anstehenden Vertrag befassen, es sei denn, aus dem Inhalt des Vertrages ergibt sich eine materielle Zustimmungsbedürftigkeit. Wenn dies nicht der Fall ist, hat er lediglich das Recht zum Einspruch, der von einer qualifizierten Mehrheit des Bundestages überstimmt werden kann. Diese Regeln sind dann besonders bedeutsam, wenn, wie bei den Ostverträgen, die Regierungskoalition im Bundestag nur über eine ganz knappe Mehrheit verfügt und die Opposition den Bundesrat beherrscht.

Bei den Ostverträgen (Moskauer Vertrag, Warschauer Vertrag, Grundlagenvertrag mit der DDR) war ebenso wie bei den Westverträgen (EVG-bzw. NATO-Vertrag) neben ihren materiellen Inhalten auch die Frage umstritten, ob diese Verträge im Einklang mit dem Grundgesetz ständen oder verfassungswidrig wären bzw. eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzten. Bei den Westverträgen ging es um die Interpretation des Art. 24 GG, wonach sich die Bundesrepublik zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen könne, und die Frage, ob damit auch das Recht zur Aufstellung von Streitkräften impliziert sei, während bei den Ostverträgen die Wahrung des Einheitsgebots umstritten war und Verstöße gegen die Fürsorgepflicht der Bundesregierung für alle Deutschen befürchtet wurden.

Während bei den Westverträgen die Bundesregierung sich mit einer extensiven Auslegung des Art 24 durchsetzte, den militärischen Beitrag der Bundesrepublik jedoch durch entsprechende Änderungen des Grundgesetzes absicherte, bejahte im Fall der Ostverträge die Bundestags-Mehrheit ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die im palamentarischen Verfahren unterlegene Minderheit kann in solchen Fällen das Bundesverfassungsgericht anrufen. Beim Grundlagenvertrag mit der DDR machte die Bayerische Staatsregierung von diesem Recht — in der Sache erfolglos — Gebrauch, wobei das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrages bestätigte, jedoch dem Einheitsgebot des Grundgesetzes eine eigenwillige Interpretation gab

Das Budgetrecht gibt dem Bundestag ebenfalls verschiedene Möglichkeiten der Mitwirkung. Er kann seinen Einfluß einmal bei der Beratung im Haushaltsausschuß über die Einzelpläne der verschiedenen Ressorts geltend machen. Da Art. 87 a GG ausdrücklich vorschreibt, daß die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Bundeswehr aus dem Haushaltsplan hervorgehen müssen, hat der Bundestag eine Mitsprachemöglichkeit hinsichtlich der Streitkräfteziele, der Beschaffungsvorhaben und der Grundlagen der Militärstrategie.

Ebenfalls kann der Bundestag Einfluß nehmen auf die Kreditvergabe, wenn die Regierung Bürgschaften übernimmt oder die von den Banken eingeräumten Kreditkonditionen mit Beträgen aus dem Bundeshaushalt subventioniert, wie dies z. B. bei dem Milliarden-kredit an Polen im August 1975 oder bei den Finanzierungsmodalitäten für das deutsch-so-wjetische Erdgas-Röhren-Geschäft vom Sommer 1981 der Fall war. Außerdem kann der Bundestag Entscheidungsvorbehalte oder Sperrvermerke in das Haushaltsgesetz schreiben. Schließlich kann die Abstimmung über den Bundeshaushalt zur Artikulation von Zustimmung oder Ablehnung der Regierungspolitik benutzt werden. So hat es Haushaltsdebatten gegeben, bei denen die CDU/CSU-Opposition zwar den Bundeshaushalt insgesamt abgelehnt, dem Einzelplan des Bundesverteidigungsministeriums aber zugestimmt hat, und andere Fälle, in denen einzelne Abgeordnete der SPD sich bei diesem Titel der Stimme enthielten oder dagegen stimmten, um ein politisches Signal — in diesem Fall für den Vorrang der Entspannungspolitik vor verstärkten Rüstungsleistungen — zu setzen.

Für die Mitwirkung und Kontrolle auf dem Gebiet der Sicherheits-und Entspannungspolitik kommt daher dem Auswärtigen Ausschuß, dem Verteidigungsausschuß, dem Rechtsausschuß, dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Innerdeutsche Beziehungen eine besondere Rolle zu. Die Bedeutung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und des Ausschusses für Verteidigung wird vom Grundgesetz durch die Bestimmung hervorgehoben, daß beide Ständige Ausschüsse sind, die auch zwischen zwei Wahlperioden tätig werden. Der Verteidigungsausschuß hat darüber hinaus die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Für den Auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß, ebenso wie für ihren Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle gilt, daß eine ihrer Hauptaufgaben darin besteht, Informationen über aktuelle außenpolitische Fragen zu sammeln, z. B. durch „briefings" durch Vertreter der Ressorts, gelegentlich durch den Minister selbst oder durch eigene Informationsreisen. Diese werden dann an die Fraktionen bzw. die Arbeitskreise weitergegeben (soweit es sich nicht um vertrauliche Informationen handelt), ebenso wie in den Ausschußsitzungen die Abgeordneten die in Fraktion und Partei vorherrschenden Auffassungen an die Regierung übermitteln. Die Ausschüsse haben damit heute stärker eine „Scharnierfunktion" als daß sie noch echte Kontrollorgane sind bzw. es wegen des Informationsvorsprunges der Regierung und der Ministerialbürokratie sein können.

Innerhalb der politischen Parteien vollzieht sich die außenpolitische Meinungs-und Wil13 lensbildung auf zwei Gleisen: zum einen in der Partei und ihren Gremien, zum anderen in der Fraktion und ihren Arbeitskreisen. Für die Parlamentsarbeit sind die Arbeitskreise der Fraktionen, bei der SPD der Arbeitskreis I . Außen-und Sicherheitspolitik, Innerdeutsche Beziehungen, Europa-und Entwicklungspolitik", bei der CDU/CSU der Arbeitskreis V Auswärtige, Innerdeutsche, Verteidigungs-und Entwicklungspolitik", die wichtigsten Beratungsgremien. In ihnen und den von ihnen eingesetzten Arbeitsgruppen werden die Plenar-oder Ausschußsitzungen vorbereitet, während im Fraktionsvorstand eher die politische Taktik abgestimmt wird, z. B. darüber entschieden wird, ob zu einem bestimmten Problem eine Große Anfrage eingebracht werden soll. Bei Problemen von grundsätzlicher Bedeutung oder bei Fragen, die auch innerhalb umstritten der sind, muß eine einheitliche Marschroute in der Gesamt-fraktion werden. In diesen Fällen wird es auch zur mit Abstimmung dem Parteivorstand bzw. Parteipräsidium kommen. Die in diesem dualen System angelegte Konkurrenz zwischen Partei und Fraktion — wenn eine Partei sich in der Regierungsverantwortung befindet, dritter kommt als Faktor noch die Rücksichtsnahme auf den Koalitionspartner hinzu — äußert sich häufig in abweichenden politischen Stellungnahmen, in Reden und Interviews, deutlichsten aber am auf den Parteitagen, auf denen die politische Programmatik festgeschrieben wird.

Wird die parlamentarische Mitwirkung und Kontrolle schon durch die zunehmende Komplexität der sicherheitspolitischen Problematik erschwert, so wird diese dann nahezu unmöglich, wenn die Entscheidungen nicht mehr national getroffen werden, sondern sich in bilateralen Absprachen oder in supranationalen Gremien vollziehen. Parlamentarier der Bundesrepublik wirken zwar im direkt gewählten Europäischen Parlament, in der Beratenden Versammlung des Europarats und in der Atlantischen Versammlung mit, doch haben diese Gremien nur geringe Entscheidungskompetenzen. Am weitestgehenden sind noch die Rechte des Europäischen Parlaments, das ein — eingeschränktes — Budget-recht hat und das durch Anfragen an die Kommission und durch die Arbeit seiner Ausschüsse eine gewisse Kontrollfunktion ausüben kann; die anderen Versammlungen bieten dagegen lediglich die Möglichkeit zur Information und zur Interessenartikulation. Ein weiteres Problem besteht in der Koordinierung der Arbeit der verschiedenen parlamen-tarischen Gremien; aufgrund der damit verbundenen Arbeitsbelastung erwies es sich als nicht möglich, eine Verklammerung durch Doppelmandate zu gewährleisten. Während die formalen Einwirkungsmöglichkeiten eines Abgeordneten am Zustandekommen von internationalen Entscheidungen sehr begrenzt sind, ergeben sich innerhalb und außerhalb der verschiedenen Versammlungen doch eine Fülle von Kontaktmöglichkeiten, die zur Konsultation und zur Abstimmung genutzt werden

So sind es drei Probleme, die dem Bürger eine Identifikation mit der Außen-und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik erschweren und zu ihrem (vom Bürger empfundenen) demokratischen Legitimationsdefizit beitragen: Die mangelnde Transparenz außenpolitischer Entscheidungen als Folge staatlicher Geheim-haltungsvorschriften und exekutiver Prärogativen ihnen Nachvollziehbarkeit nimmt die und damit auch die Einsichtigkeit. Eine zweite in ihrer zunehmenden besteht inhaltlichen Komplexität, die ein Verständnis erschwert. Dies wird besonders deutlich am Beispiel des militärischen Kräfte-vergleichs. Wenn unter Experten kein Konsens über das Verhältnis der Streitkräfte und Rüstungen in Ost und West besteht, gibt es für den Bürger keine Bewertungsmaßstäbe mehr und er fühlt sich zum Manipulationsob-jekt degradiert. Und schließlich entzieht die internationale Verflechtung der Bundesrepublik eine Fülle von Entscheidungen der nationalen Kompetenz und entrückt sie parlamentarischer Kontrolle.

Das hohe Maß an Unverständnis für die politischen Zusammenhänge und das Gefühl von Ohnmacht, daß gerade junge, engagierte Menschen in Fragen der Sicherheitspolitik an den Tag legen, ist eine Reaktion auf die „Un-durchschaubarkeit" der von den etablierten Eliten getroffenen Entscheidungen. Hinzu kommt ein hohes Maß an Frustration über eine nicht nachvollziehbare Rationalität der sicherheitspolitischen Logik: Das Kalkül der Abschreckung, daß die eigene Vernichtung dadurch verhindert wird, daß sie quasi einkalkuliert wird, oder auch, daß der Status quo langfristig nur durch seine Anerkennung überwunden werden würde — diese Axiome können höchstens einem dialektisch denkenden Menschen einleuchten. Diese Schwierigkeiten mit der Außenpolitik schaffen ein Bedürfnis nach „einfachen" Lösungen, das die Po-litik nicht befriedigen kann — und verstärken damit den Entfremdungsprozeß und das Legitimationsdefizit —, wobei freilich übersehen wird, daß unter komplexen Bedingungen Prozesse und Lösungsversuche sehr komplex sein werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. H. Haftendorn, West Germany and the Management of Security Relations: Security Policy under the Conditions of International Interdependence, in: E. Krippendorff /V. Rittberger (Hrsg.), The Foreign Policy of West Germany. Formation and Contents, London and Beverly Hills 1980 (German Political Studies, Bd. 4); diess. /W. -D. Karl /J. Krause /L. Wilker (Hrsg.), Verwaltete Außenpolitik. Sicherheits-und entspannungspolitische Entscheidungsprozesse in Bonn, Köln 1978.

  2. Zu den außenpolitischen Entscheidungsprozessen in der Sicherheits-und Entspannungspolitik vgl. H. Haftendorn u. a., Verwaltete Außenpolitik, a. a. O. (Anm. 1); dies., Management der Sicherheitspolitik. Ein Beitrag zum Entscheidungsprozeß der Bundesrepublik Deutschland, in: K. -D. Schwarz, Sicherheitspolitik. Analysen zur politischen und militärischen Sicherheit, Bad Honnef 19783. Eine systematische Untersuchung über den außenpolitischen Entscheidungsprozeß in der Bundesrepublik gibt es bisher nicht, über die Institutionen und Prozesse des politischen Systems geben einen fundierten Überblick: Th. Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 19774, R. Mayntz /F. W. Scharpf, Policy-Making in the German Federal Bureaucracy, Amsterdam 1975; G. Schmid /H. Treiber, Bürokratie und Politik. Zur Struktur und Funktion der Ministerialbürokratie in der Bundesrepublik Deutschland, München 1975; für das Auswärtige Amt wichtig ist die — leider nicht veröffentlichte — Dissertation von W. -D. Eberwein, Auswärtigs Amt und Strukturwandel der Außenpolitik 1956— 1973, Bielefeld 1975; ferner ders., Außenpolitik und Verwaltung, Umweltveränderung, organisatorische Anpassung und Funktionswandel des Auswärtigen Amtes, in: Die Verwaltung, (1978) 4, S. 439- 470. Hilfreich ferner: H. -P. Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, München 1975.

  3. Zur Struktur und Funktion des Bundeskanzleramtes gibt es so gut wie keine Literatur, eine der seltenen und nicht besonders hilfreichen Darstellungen ist G. Bachmann, Das Bundeskanzleramt, in: Die Staatskanzlei. Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Berlin 1966 (Schriften der Hochschule Speyer, Bd. 34). Für seine Arbeitsweise aufschlußreicher sind z. B. di Erinnerungen Konrad Adenauers, Stuttgart 1960 der Briefwechsel zwischen Adenauer und seine» Außenminister von Brentano; vgl. A Baring, Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Heinrich von Brentano im Briefwechsel mit Konrad Adenauer 1949-1964, Hamburg 1974; die Memoiren W. G. Grewes, Rückblenden. Aufzeichnungen eines Augenzeugen deutscher Außenpolitik von Adenauer bis Schmidt a. O. u. J. (1979), oder die Reportage von N. Grunenberg, Vier Tage mit Bundeskanzler Helm Schmidt, in: Die ZEIT vom 17. 10. 1975, 24. 10. 19021 31. 10. 1975 u. 7. 11. 1975. Sehr materialreich ist weiter die Fallstudie von G. Schmid, Entscheidung i Bonn. Die Entstehung der Ost-und Deutschlandpo litik 1969/70, Köln 1979.

  4. Die Ernennung eines Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung und der Ausbau des institutionellen Apparates innerhalb der Bundesregierung ging auf eine gemeinsame Initiative der drei Bundestagsparteien zurück. Aus der Sicht der CDU/CSU sollten dadurch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß deutsche Gesichtspunkte in der internationalen Abrüstungsdiskussion verstärkt zu Gehör gebracht werden könnten; aus der Sicht der SPD-Opposition sollte die Abrüstungspolitik aus ihrer Unterordnung unter andere politische Ziele befreit und einer aktiveren Haltung der Bundesrepublik auf diesem Gebiet der Weg bereitet werden. Eine detaillierte Analyse findet sich in: H. Haftendorn, Abrüstungs-und Entspannungspolitik zwischen Sicherheitsbefriedigung und Friedenssicherung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1973, Düsseldorf 1974; dies., Der Abrüstungsbeauftragte. Zur Organisation der Abrüstungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: PVS, (1972) 1, S. 2-38. Ende der siebziger Jahre wurde von Teilen der SPD ein eigenes Abrüstungsamt bzw. eine „Erhöhung des Innovationspotentials des rüstungskontroll-und abrüstungspolitischen Entscheidungsprozesses in der Bundesrepublik" (Hans Günther Brauch) gefordert — zum Teil allerdings mit den Argumenten der sechziger Jahre. Einen Überblick über diese Diskussion bietet V. Rittberger (Hrsg.), Abrüstungsplanung in der Bundesrepublik. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Baden-Baden 1979.

  5. Vgl. dazu vor allem H. Haftendorn, Abrüstungsund Entspannungspolitik, a. a. O. (Anm. 4), S. 285 ff.; J. Krause/L. Wilker, Bürokratie und Außenpolitik, in: H. Haftendorn u. a„ Verwaltete Außenpolitik, a. a. O. (Anm. 1), S. 39-53; G. Schmid, Entscheidung in Bonn, a. a. O. (Anm. 3); L. Wilker, Impulse für die Abrüstungspolitik durch organisatorische Innovationen? in: V. Rittberger, Abrüstungsplanung, a. a. O. (Anm. 4), S. 35-47.

  6. Zur Entwicklung des Bundesministeriums der Verteidigung und der sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse vgl. Verteidigung im Bündnis. Planung, Aufbau und Bewährung der Bundeswehr 1950— 1972, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München 1975, S. 128 ff. u. 202 ff.; sowie die seit 1970 regelmäßig veröffentlichten Weißbücher der Bundesregierung, Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr, Bonn 1970 ff.

  7. Vgl. G. Schmid, Entscheidung in Bonn, a. a. 0 (Anm. 3), S. 193 ff.; G. Rüß, Anatomie einer politischen Verwaltung. Das Bundesministerium für 86 samtdeutsche Fragen — innerdeutsche Beziehun gen 1949-1970, München 1973; A. Adam, Das Bun desministerium für innerdeutsche Beziehung» Bonn 1971; sowie die Jahresberichte des Bundes nisteriums für innerdeutsche Beziehungen, 1970

  8. Zur Rolle von Planungsstäben vgl. G. Brunner, Akusenpeoilniteink, a(u 19ß 7e 2n) po 7, litischen Planungsstab?, in: S. 546-551; S. Schnippen-SCet r'Planung in der Außenpolitik, in: Aus der 5 der Diplomatie. Festschrift für Peter Pfeifer, 7 Düsseldorf 1965, S. 161-173; A Theis, Reorganisation im Regierungsbereich, in: Außenpolitik, (1971) 3., S. 171-182; ders., Führungsinstrumentarium und politische Planung, in: Außenpolitik, (1969) 12, S. 735-745; K. König, Planung und Koordination im Regierungssystem, in: Verwaltungs-Archiv, (1971) 1, S. 1-15; H. Bebermeyer, Das politische Planungssystem der Bundesregierung. Entwicklung und Stand der institutioneilen Voraussetzungen und Instrumentarien, in: R. Jochimsen/U. E. Simonis (Hrsg.), Theorie und Praxis der Infrastrukturpolitik, Berlin 1970 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, N. F., Bd. 54); ders., Regieren ohne Management? Planung als Führungsinstrument moderner Regierungsarbeit, Bonn 1974.

  9. Zur NATO-Organisation vgl. NATO-Facts and ngures, Brüssel 1976, S. 204 ff.; W. Hoffmann, Die eteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den. Entscheidungsprozessen in der NATO, in: Regionale Verflechtung der Bundesrepublik neutschland, hrsg. vom Forschungsinstitut der MGAP, München-Wien 1973, S. 143— 165; J. Alt-NAPPen, Das MBFR-Entscheidungssystem der A — Organisatorische Strukturen und Verfah-Ton einer integrierten Bürokratie, in: H. Haften-sornu a" Verwaltete Außenpolitik, a. a. O. (Anm. 1),

  10. Vgl. Th. Jansen, Die Institutionen, in: K. Carstens/D. Mahncke (Hrsg.), Westeuropäische Verteidigungskooperation, München und Wien 1972, S. 214-217.

  11. Vgl. U. Everling, Europäische Gemeinschaften und Bundesrepublik Deutschland — Zur Verflechtung der nationalen und der gemeinschaftlichen Politik, in: Regionale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O. (Anm. 9), S. 38-91; E. U. Junker, Der Entscheidungsprozeß im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften, ebenda,. S. 167 bis 184; R. Lohrmann, Entscheidungsprozesse in der Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, ebenda, S. 193-212; Chr. Sasse, Regierungen, Parlamente, Ministerrat. Entscheidungsprozesse in der Europäischen Gemeinschaft, Bonn 1975; R. Rummel/W. Wessels, Die Europäische Politische Zusammenarbeit. Leistungsvermögen und Struktur der EPZ, Bonn 1978; H. Wallace/W. Wallace/C. Webb (Hrsg.), Policy-Making in the European Communities, Chichester u. New York 1977; W. Feld (Hrsg.), Western Europe's Global Reach. Regional Cooperation and Worldwide Aspirations, New York 1979.

  12. Vgl. H. -J. Küsters, Die außenpolitische Zusammenarbeit der Neun und die USZE, in: H. Haften-dorn u. a., Verwaltete Außenpolitik, a. a. O. (Anm. 1), S. 85 ff; H. -A Jacobsen/W. Mallmann/Chr. Meier (Hrsg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Analyse und Dokumentation, Bd. 2, Köln 1978.

  13. Vgl. H. M. Catudal, Jr, The Diplomacy of the Quadripartite Agreement on Berlin. A New Era in East-West Politics, Berlin 1978, S. 89-91; H. AsKe singer, White House Years, Boston 1979,, S 931 H. Grewe, Rückblenden, a. a. O. (Anm. 3). S-G. Schmid, Entscheidung in Bonn, a. a. O. (Anm-" insbes. Anm. 476 u. 478, S. 429 f.

  14. Vgl. dazu und zum folgenden W. -D. Karl/J. Krause, Außenpolitischer Strukturwandel und parlamentarischer Entscheidungsprozeß, a. a. O. (Anm. 5), S. 55-82; W. Link, Die außenpolitische Rolle des Parlaments und das Konzept der kombinierten Auswärtigen Gewalt, in: Probleme der Demokratie heute, Sonderheft 2/1970 der PVS; G. Patz, Parlamentarische Kontrolle der Außenpolitik. Fallstudien zur politischen Bedeutung des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Meisenheim am Glan 1976.

  15. Die Mitwirkung von Parlament und Parteien osim Zustandekommen und der Ratifizierung der Ostverträge untersuchen u. a. G. Schmid, Entscheidung in Bonn, a. a. O. (Anm. 3); Chr. Hacke, Die Ost-und Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Wege und pWege der Opposition seit 1969, Köln 1975; K. Roth, Außenpolitische Innovation und politische Terrschaftssicherung. Eine Analyse von Struktur und Systemfunktion des außenpolitischen EntScheidungsprozesses am Beispiel der SozialliberanKoalition 1969 bis 1973, Meisenheim am Glan 19f 6.

  16. Vgl. Chr. Sasse, Regierungen, Parlamente, Ministerrat, a. a. O. (Anm. 11); Das Europa der Siebzehn. Bilanz und Perspektiven von 25 Jahren Europarat, Bonn 1974; M. -E. Klee, Das Verhältnis der Europäischen Parlamentarierversammlungen zum Bundes tag, in: Regionale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O. (Anm. 9), S. 231-246.

Weitere Inhalte

Helga Haftendorn, Dr. phil., geb. 1933; Professor für Politikwissenschaft, insbes. Theorie, Empirie und Geschichte der Außenpolitik, an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955— 1982, Baden-Baden 1983; Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Ein Studienbuch, Berlin 1982 (zus. m. L. Wilker und C. Wörmann); Management der Sicherheitspolitik. Ein Beitrag zum Entscheidungsprozeß in der Bundesrepublik Deutschland, in: K. -D. Schwarz, Sicherheitspolitik. Analysen zur politischen und militärischen Sicherheit, Bad Honnef 19783; Verwaltete Außenpolitik. Sicherheits-und entspannungspolitische Entscheidungen in Bonn, Köln 1978 (zus. m. W. -D. Karl, J. Krause und L. Wilker).