I. Landwirtschaft im Industriestaat
Trinkwasser gilt zweifellos als eines der wichtigsten Lebensmittel. Sein Schutz und seine Überwachung können auf eine lange Tradition zurückblicken. Trotzdem ist es nicht gelungen, Qualitätsbeeinträchtigungen zu verhindern. Fortschritte auf dem Gebiet der Analytischen Chemie lassen die zunehmende Verunreinigung des Trinkwassers erkennen. Einer der ursächlichen Umweltfaktoren stellt die extensiv betriebene Landwirtschaft dar.
Das Mißverhältnis der sozialen Aufgaben der Agrarwirtschaft wird immer deutlicher. Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage tritt gegenüber der Nahrungsmittelerzeugung und den betriebswirtschaftlichen Existenzgarantien zurück. Die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion an den Zielsetzungen der industriellen Wirtschaftsweise führte zwangsläufig zur Kollision mit den Natur-kreisläufen. Als besonders betroffen gilt der ökologisch empfindliche Wasserhaushalt, der infolge von Bewässerungsmaßnahmen nicht nur quantitativ, sondern durch den großflächigen Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln auch qualitativ in Mitleidenschaft gezogen wird. Diesen zum Teil irreversiblen Vorgängen gilt es durch legislativ-administrative Maßnahmen entgegenzuwirken. 1. Umweltpolitische Rahmenkonzeption Die ersten Ansätze der Umweltpolitik in der Bundesrepublik gehen auf die sechziger Jahre zurück. Die Umweltgesetzgebung dieses Jahrzehnts wird von der nur punktuellen Abwehr gegen unmittelbare Gefahren charakterisiert, wie z. B. das DDT-, das Detergentien-oder das Altölgesetz.
Erst das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 stellte einen Versuch dar, die Umweltzerstörung durch eine umfassendere Gesetzgebung anzugehen. Als Beispiele für die Tendenzwende der Umweltpolitik stehen das Abfallbeseitigungsgesetz (1972, Abfallbeseitigung nur in speziellen Anlagen), das Bundesimmissionsschutzgesetz (1974, Genehmigungspflicht von luftverunreinigenden Anlagen) und die Gründung des Umweltbundesamtes (1974).
Als wassergütepolitisches Instrument aus dieser Phase ist das Wasserhaushaltsgesetz als eine Art Grundgesetz für die Ordnung des Wasserkreislaufes zu nennen. Es stammt zwar aus dem Jahre 1957, die wichtigsten Änderungen und Ergänzungen hat jedoch die Novelle von 1976 gebracht. Die Novellierung ermöglichte die Verknüpfung des Wasserhaushalts-gesetzes als Ordnungsrecht mit dem Abwasserabgabengesetz als Abgabenrecht.
Auch für die landwirtschaftliche Verunreinigung des Grundwassers durch die Ausbringung von Pestiziden und Düngemitteln erscheint das Wasserhaushaltsgesetz von Bedeutung. Danach bedarf die Benutzung eines Gewässers einer behördlichen Erlaubnis. Als Benutzung gilt auch die Einleitung von Stoffen in das Grundwasser. In der Praxis wird dieses Gesetz jedoch nicht im größeren Rahmen auf die Landwirtschaft angewandt. Der Grund liegt wohl in der Auftrennung der Medialbereiche Boden und Wasser. Der Landwirt benutzt den Boden; daß er damit auch das Grundwasser verunreinigen kann, müßte ihm im Einzelfall nachgewiesen werden. Hier gilt es, mit Hilfe der wasserwirtschaftspolitischen Instrumente in den achtziger Jahren Abhilfe zu schaffen. 2. Die Novellierung der Trinkwasser-Verordnung Das Trinkwasser wird zu ca. 70 Prozent aus Grundwasser gewonnen und ist somit auch der landwirtschaftlichen Verschmutzung ausgesetzt. Der Charakter der Zwangsversorgung läßt legislative Maßnahmen notwendig erscheinen, um Verunreinigungen mit schädB liehen Stoffen so gering wie möglich zu halten.
Die Qualität des Trinkwassers wird zur Zeit durch eine Verordnung aus dem Jahre 1976 geregelt, nach der u. a. zwölf chemische Inhaltsstoffe in regelmäßigen Zeitabständen analysiert werden müssen. Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat 1980 eine Richtlinie verkündet, die mit über 60 zu überprüfenden Parametern eine erhebliche Erweiterung der bundesdeutschen Verordnung darstellt. Aus noch ungelösten Problemen bei der chemischen Analytik, aber auch durch z. T. enorme Grenzwertsenkungen, resultieren zusätzliche Schwierigkeiten bei der Übernahme.
Die EG-Trinkwasserrichtlinie hätte bereits 1982 in nationales Recht umgesetzt werden müssen Die mit der Novellierung verbundenen Anforderungen können jedoch nicht als Überraschungen abgetan werden, hat die Bundesrepublik doch selbst an der Erstellung der Richtlinie mitgewirkt. Die Verzögerung der Übernahme erhöht dagegen die Spannung, ob die damit verbundenen Probleme mit Übergangs-und Ausnahmeregelungen umgangen werden. 3. Landwirtschaftliche Düngung und Trinkwassergütestandards Für die Trinkwasserqualität existieren seit den siebziger Jahren Gütestandards. Ein Parameter dieser Standards stellt das Nitrat dar. Nitrat kann durch die landwirtschaftliche Stickstoffdüngung in Grund-und Trinkwasser gelangen. Die Gefahren, die von diesem Stoff für die menschliche Gesundheit ausgehen, bestehen zum einen in der Auslösung von Blau-sucht bei Säuglingen und zum anderen in der Weiterreaktion zu cancerogenen Substanzen
Der Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser unterlag im letzten Jahrzehnt einem Wandlungsprozeß, hinter dem sich der Pragmatismus der Gesundheitspolitik gegenüber einer industrialisierten Landwirtschaft verbirgt. Im Jahre 1970 setzte die Weltgesundheitsorganisation in ihren „European Standards for Drinking-Water" einen Grenzwertbereich von 50 bis 100 mg/1 fest. In einem Entwurf für die bundesdeutsche Trinkwasser-Verordnung strebte das Gesundheitsministerium anfänglich 50 mg/1 als Höchstwert an. Im Jahre 1976 trat diese Verordnung nach fast 15jähriger Verhandlung in Kraft; mit ihrem Höchstwert von 90 mg Nitrat/1 orientierte sie sich allerdings an dem oberen Grenzwert der Europäischen Standards der Weltgesundheitsorganisation. Bereits 1979 veröffentlichte die Trinkwasserkommission des Bundesgesundheitsamtes eine Empfehlung zur Herabsetzung des Grenzwertes auf 50 mg/1 die jedoch in der Änderung der Trinkwasser-Verordnung im Jahre 1980 nicht berücksichtigt wurde. Seit Mitte 1980 liegt die Trinkwasserrichtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vor, die ebenfalls 50 mg Nitrat/1 als zulässige Höchst-konzentration vorschreibt, darüber hinaus noch eine Richtzahl von 25 mg/1 als wünschenswert ansieht. Aufgrund der Harmonisierungsklausel des EWG-Vertrages ist die Bundesregierung gehalten, im Zuge einer Novellierung der Trinkwasser-Verordnung den Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser von 90 auf mindestens 50 mg/1 herabzusetzen. Auch bei der novellierten Verordnung wird sich die Bundesregierung wieder an der oberen Grenze des empfohlenen Standards orientieren. Dabei hat sie die gesundheitlichen Gefahren dieses Stoffes längst erkannt. Für handelsübliches Flaschenwasser zur Säuglingsernährung, einem Lebensmittel, in dem der Schadstoff ohne umweltpolitische Maßnahmen minimiert werden kann, ist der Grenzwert auf 10 mg Nitrat/1 herabgesetzt worden
Die Forderung zur Senkung des Höchstwertes ging einher mit der zunehmenden Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen landwirtschaftlicher Düngung und Trinkwasserverunreinigung belegten. Das Ergebnis stellt eine Verbesserung des Trinkwassergütestandards dar, die in ihrer Tendenz zwar zu begrüßen ist, die aber direkt keinerlei Rückwirkungen auf die Verursacher haben wird.
II. Immissions-und Emissionskonzept
Die Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen landwirtschaftlicher Düngung und gesundheitlichen Gefahren von Nitrat im Trinkwasser nachzuweisen, ist zwar gelungen. In umgekehrter Richtung jedoch aufgrund der Wirkung beim Verursacher anzusetzen, scheint ein politisches Problem darzustellen.
Zwei sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehende umweltpolitische Konzepte sind die Gründe für den fehlenden Handlungsspielraum: das Immissionsprinzip und das Emissionsprinzip.
Emissionsbezogene Maßnahmen setzen direkt beim Verursacher an, mit dem Ziel der Minimierung des Schadstoffausstoßes. Die Verringerung der Emissionen stellt die unmittelbare und wirkungsvollste Anwendung des Verursacherprinzips als tragenden Gedanken der bundesdeutschen Umweltpolitik dar. Solche praxisnahen Regelungen rücken die . social costs'in den Mittelpunkt der volkswirtschaftlichen Bilanzierung von Umwelt-schäden. Da präventive Maßnahmen aber mit Auflagen für den Verursacher als „sensiblen“ Förderer des Wirtschaftswachstums verbunden sind, gilt die Anwendung des Emissionsprinzips als politisch schwer durchsetzbar.
Ist ein Schadstoff erst einmal in die Umwelt gelangt, sind Maßnahmen zu treffen, um die Aufnahme durch den Menschen zu minimieren. Diese immissionsbezogenen Regelungen sollten sich nur an der gesundheitlichen Bewertung eines Stoffes orientieren und pragmatische Aspekte außer acht lassen. Die Erstellung von Grenzwerten, die auf dem Immissionsprinzip beruhen, basiert auf medizinisch-naturwissenschaftlicher Forschung und ist mit weniger Widerstand zu realisieren als emissionsbezogene Werte, die stärker in den wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozeß einbezogen sind.
Das Beispiel Nitrat steht stellvertretend für diese Problematik. Die gestiegenen Konzen -trationen in Grund-und Trinkwasser und die ursächlichen Beziehungen zur Landwirtschaft sind erkannt worden. Verursacherorientierte Maßnahmen unter dem Vorzeichen des Umweltschutzes wurden dagegen nicht ergriffen.
Jedoch sind gesundheitspolitische Maßnahmen in Form eines nutzungsbezogenen Gewässergütestandards erlassen worden; allerdings ist auch hierbei die Zurückhaltung des Gesetzgebers zu bemängeln: die Grenzwert-senkung kommt viel zu spät, sie erfolgt nur auf Verlangen der Europäischen Gemeinschaft und orientiert sich wiederum an dem vorgeschriebenen Maximalwert.
Der neue Grenzwert für Nitrat wird von ca. 5 bis 10% der bundesdeutschen Trinkwässer überschritten Zur Lösung dieses Problems werden wieder immissionsbegrenzende Maßnahmen diskutiert. Fachkreise empfehlen das Mischen von nitratreichem mit nitratarmem Trinkwasser, den Anschluß an Fernwasserleitungen und die Trinkwasseraufbereitung Verursacherorientierte Ansätze werden tunlichst ausgeklammert.
Zum langfristigen Schutz des Verbrauchers gilt es jedoch, die beiden umweltpolitischen Konzepte des Emissions-und Immissionsprinzips zu vereinen. Zur Einhaltung von immissionsbezogenen Gütestandards sind emissionsbezogene Maßnahmen über das Verursacherprinzip vorzunehmen. Für das Nitratproblem bedeutet dies, daß zur Verhinderung von Überschreitungen des Trinkwassergrenzwertes landwirtschaftsorientierte Regelungen angegangen werden müssen. Allein die drastische Reduktion der Nitratemission führt auf Dauer zur Sanierung des belasteten Grundwassers und damit zur Einhaltung des Immissionsstandards. Zur Verfolgung dieses Zieles sind wiederum nur ressortübergreifende Lösungsansätze geeignet, die die z. T. unterschiedlichen Interessen von Umweltschutz, Gesundheitsschutz und Landwirtschaft in Einklang bringen.
Stufenplan Das notwendige wirtschaftspolitische Instrumentarium zur Lösung der anstehenden Probleme ist vorhanden und auf anderen Gebieten bereits erprobt worden. Ein Stufenplan kann sich als ein wirkungsvoller Ansatz erweisen, da er die jeweilige Reaktion der Land-Wirtschaft auf eine Maßnahme vor der Ergreifung der nachfolgenden berücksichtigt.
Ein solcher umweltpolitischer Katalog könnte sich wie folgt gliedern: a) Beeinflussung der Zielsetzung derprivaten landwirtschaftlichen Produktion (moral suasion)
Durch Informationen und Appelle werden die landwirtschaftlichen Betriebe angehalten, die gesellschaftlichen Folgekosten bei ihrem einzelwirtschaftlichen Verhalten zu berücksichtigen Eine entwickeltere Form dieser Maßnahme bestünde in dem Einsatz von Umweltschutzbeauftragten in größeren Betrieben.
Parallel dazu stehen Verhandlungen zwischen Landwirtschafts-und Umweltschutz-verbänden einerseits und Landwirtschafts-, Umweltschutz-und Gesundheitsministerien andererseits
Der Erfolg dieses Instruments kann wegen der Dominanz einzelwirtschaftlicher Entscheidungen gegenüber gesamtgesellschaftlichen Bezügen nur begrenzt sein. Dieser erste Schritt stellt jedoch die Grundlage für weiterreichendere Maßnahmen dar. b) Subventionierung bestimmter Produkte Landwirtschaftspolitik gilt als Subventionspolitik. Es liegt daher nahe, auch diese Maßnahme zur Erreichung von umweltpolitischen Zielsetzungen in der Landwirtschaft einzusetzen. Die Subventionierung bestimmter Nahrungsmittel, die mit düngereinsparenden Produktionstechnologien und -arten (z. B. alternative Landbaumethoden) hergestellt werden, hat eine Umstrukturierung der Nachfrage zugunsten dieser umweltfreundlich produzierten Güter zur Folge.
Subventionen verstehen sich jedoch nur als Übergangsmaßnahmen, bis die Marktmechanismen aus sich heraus das erklärte Ziel verfolgen, oder bis der nächste Schritt des Stufenplans notwendig wird. c) Erhebung von Steuern Eine Besteuerung von Düngemitteln würde sich je nach Höhe dieser Abgabe mehr oder weniger auf die Einsatzmengen auswirken. Dies gilt jedoch nur für die . normal'produzierende Landwirtschaft. Beim Anbau von Intensivkulturen nehmen die Kosten für Düngemittel prozentual gesehen nur einen geringen Anteil in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation ein. Gerade hier ist jedoch aus gewässergütepolitischer Sicht eine Minimierung des Düngereinsatzes notwendig. d) öffentliche fnvestitionen und Düngemengenauflagen
Unter öffentlichen Investitionen darf hierbei nicht die immissionsbezogene Beseitigung des Schadstoffes aus dem Grund-und Trinkwasser verstanden werden. Forschungsaktivitäten sollen vielmehr eine Überwachung von Emissionen gewährleisten; das hieße z. B. die Errichtung eines Grundwassermeßnetzes in der Bundesrepublik dessen Planung sich auch an den landwirtschaftlichen Verursachern orientiert.
Eine solche Kontrollinstanz stellt die Voraussetzung für die letzte und wirkungsvollste Maßnahme zur Verminderung der Düngerauswaschung dar: Auflagen auf dem Gebiet der Düngemittelausbringung. Eine Limitierung der Höchstmenge und eine jahreszeitliche Begrenzung in Verbindung mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten stellen langfristig den sichersten Weg dar, die Nitratauswaschung in das Grundwasser zu verhindern. Ein solcher Stufenplan trifft in einigen Punkten sicherlich auf harten Widerstand von landwirtschaftlichen Interessenverbänden. Dem ist zum einen entgegenzuhalten, daß das Konzept im wesentlichen von der Einsicht und Mitarbeit der landwirtschaftlichen Betriebe mitbestimmt werden kann. Zum andern liegt diesem Plan das Verursacherprinzip zugrunde, das durchaus auch mit weiterreichen-deren Forderungen vereinbar ist, wie etwa der Angebotsbegrenzung von Umweltnutzungsmöglichkeiten.