Seit rund 40 Jahren befindet sich die indochinesische Halbinsel fast ununterbrochen im Kriegszustand. Sie zählt damit — neben dem Nahen Osten — zu einem quasi permanenten Konfliktherd dieses Jahrhunderts. Auf den 1. Indochina-Krieg zwischen Frankreich und den vietnamesischen Kommunisten folgte der 2. Indochina-Krieg, in dem die USA die Rolle Frankreichs übernahmen. Beide Kriege waren vor allem nationale Unabhängigkeitskämpfe gegen koloniale und neokoloniale Fremdherrschaft. Der 3. Indochina-Krieg (seit 1977) wird hingegen im wesentlichen zwischen kommunistischen Staaten ausgefochten, und aus dem langjährigen Opfer Vietnam ist ein Aggressor geworden, der seine beiden Nachbarn Kambodscha und Laos mehr oder weniger gewaltsam unterworfen hat. Vietnams Ziel ist die politische und wirtschaftliche Verschmelzung von Kambodscha und Laos in ein indochinesisches Großreich vietnamesischer Prägung. Dagegen möchten die Volksrepublik China, die ASEAN-Staaten und der Westen die vietnamesische Oberherrschaft über Kambodscha und Laos beseitigen und die Sowjetunion aus Südostasien zurückdrängen. Der eigentliche Gewinner des Kambodscha-Konflikts ist bisher die UdSSR: Der Sowjetunion gelang es nicht nur, in Vietnam, Laos und Kambodscha fest Fuß zu fassen und die drei Staaten an den Sowjetblock anzubinden, sondern auch, den früher starken Einfluß der USA und der VR China auf der indochinesischen Halbinsel vollständig auszuschalten. Darüber hinaus erhielt die sowjetische Flotte mit dem früheren US-Militärstützpunkt Cam Ranh erstmals einen ganzjährig eisfreien direkten Zugang zum Süd-und Ostchinesischen Meer und zum Pazifik. Neben der weiteren Zurückdrängung des chinesischen und amerikanischen Einflusses in Südostasien ist es das Ziel der Sowjetunion, die bereits errungenen bedeutenden globalstrategischen Zugewinne auf der indochinesischen Halbinsel zu festigen und auszubauen. Eindeutiger Verlierer des Konflikts ist bisher die kambodschanische Zivilbevölkerung, auf deren Rücken Vietnam und China ihre antagonistischen regionalen Ordnungsinteressen ausfechten. Keine der an dem Krieg um Kambodscha beteiligten Mächte dürfte freilich in der Lage sein, den Konflikt allein und auf Dauer in ihrem Sinne zu lösen. Selbst wenn es kurzfristig durchaus möglich erscheint, daß Vietnam seine Position in Kambodscha konsolidiert, ist es kaum vorstellbar, daß Vietnam langfristig in der Lage ist, mit China in einem kriegs-ähnlichen Zustand zu leben. Die VR China scheint nämlich fest entschlossen, den verdeckten Vierfrontenkrieg gegen Vietnam an der chinesisch-vietnamesischen Grenze, sowie in Kambodscha, Laos und Südvietnam solange fortzusetzen, bis Vietnam Kompromißbereitschaft in der Kambodscha-Frage zeigt. Deshalb erscheint eine wirklich dauerhafte Konfliktlösung nur möglich als Kompromiß, durch Zugeständnisse von allen Seiten. Bisher hat jedoch keiner der beiden Hauptbeteiligten, Vietnam und China, eine echte Kompromißbereitschaft erkennen lassen, so daß vieles auf eine langjährige Fortsetzung des Kriegszustands hindeutet.
I. Die Lage seit der vietnamesischen Besetzung von Kambodscha (Ende 1978/Anfang 1979 -August 1983)
Der Konflikt in und um Kambodscha wird auf der bevorstehenden 38. Vollversammlung der Vereinten Nationen zum fünften Mal in Folge auf der Tagesordnung stehen und einen der Hauptstreitpunkte zwischen Vietnam und dem Sowjetblock auf der einen und China und den kapitalistischen Staaten auf der anderen Seite bilden Wichtiger als die eigentliche Kambodscha-Debatte wird gleich zu Beginn des UN-Plenums die Abstimmung darüber sein, welche Regierung Kambodscha bei den Vereinten Nationen vertreten wird:
— die Koalitionsregierung des Demokratischen Kampuchea (DK) die seit dem letzten Jahr nominell von Prinz Norodom Sihanouk geführt wird, aber deren militärisch stärkste Fraktion nach wie vor die berüchtigten Roten Khmer 3) des ultralinken Massenmörders Pol Pot darstellen, oder — die im Januar 1979 von vietnamesischen Truppen an die Macht gebrachte Regierung der Volksrepublik Kampuchea (VRK) unter Heng Samrin, deren Mitglieder — Und dies wird heute nur allzu oft vergessen — in der Mehrzahl bis Mitte 1978 Waffengefährten von Pol Pot gewesen sind.
Bei dieser Abstimmung geht es offensichtlich nicht um die Frage der politischen Moral, sondern darum, ob die vietnamesische Besetzung von Kambodscha und die damit gewaltsam etablierte vietnamesische Oberherrschaft über die indochinesische Halbinsel im nachhinein international sanktioniert wird oder nicht.
Seit vietnamesische Truppen um die Jahres-wende 1978/1979 in Kambodscha einmarschierten, das Pol-Pot-Regime stürzten und eine provietnamesische Marionettenregierung unter Heng Samrin in Phnom Penh einsetzten, ist Kambodscha von rund 180 000 vietnamesischen Soldaten besetzt und in die totale Abhängigkeit von Vietnam geraten. Alle wichtigen innen-und außenpolitischen Entscheidungen der VRK werden entweder direkt in Hanoi oder von den vietnamesischen „Beratern" innerhalb des kambodscha-nischen Regierungsapparates gefällt. So treffen im kambodschanischen Außenministerium regelmäßig vietnamesische Direktiven ein, die unverzüglich an die vietnamesischen Chefberater weitergeleitet werden, die den 14 Abteilungen des Ministeriums vorstehen. Die Anweisungen kommen von der vietnamesischen Kommandozentrale für Kambodscha aus Hanoi. Ihr Chef ist der 73jährige Le Duc Tho, nach Parteichef Le Duan der de facto zweitmächtigste Mann Vietnams. In Hanoi wurden auch bisher alle Beschlüsse und Kommuniques der sogenannten indochinesischen Außenministerkonferenzen vorab ausgearbei-tet — die Außenminister von Laos und Kambodscha durften lediglich ihre Unterschrift unter die von Vietnam diktierten Konferenz-dokumente setzen.
Die „Indochinesische Gipfelkonferenz" vom Februar 1983 war ein weiterer Schritt zur Konsolidierung der Oberherrschaft Vietnams über seine beiden Nachbarstaaten: Die Partei-und Regierungschefs beschlossen den forcierten Ausbau der „langfristigen Kooperation und gegenseitigen Hilfe" zwischen den drei Staaten „auf allen Gebieten" sowie die Intensivierung der „besonderen Beziehungen" untereinander. Außerdem wurde in jedem der drei Länder ein „Komitee für die wirtschaftliche Kooperation zwischen Laos, Kambodscha und Vietnam“ eingesetzt, „um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern und die nationalen Pläne für die volkswirtschaftliche Entwicklung zu koordinieren". Schließlich wurden die laotischen und kambodschanischen Vertreter von Vietnam aufgefordert, die „traditionelle Freundschaft" mit Vietnam verstärkt gegen „engstirnigen Nationalismus" zu verteidigen.
In der letzten Zeit mehren sich die Hinweise auf vietnamesische Siedlungsaktionen in den beiden Nachbarstaaten Kambodscha und Laos. In 13 der 19 kambodschanischen Provinzen sollen seit 1979 mindestens 300 000 vietnamesische Bauern, Arbeiter, Handwerker und Plantagenarbeiter angesiedelt worden sein. Bei den vietnamesischen Siedlern handelt es sich nicht nur um Rückkehrer, die früher bereits in Kambodscha ansässig und zwischen 1970 und 1976 vertrieben worden waren, sondern auch zu einem beträchtlichen Teil um Neusiedler. Dies geht eindeutig aus zwei Verordnungen der herrschenden Revolutionären Volkspartei von Kampuchea (RVPK) und des Ministerrates der VRK aus dem Jahre 1982 hervor. In den Dokumenten wird eine weitere Neuansiedlung der — wie es wörtlich heißt — „vietnamesischen Brüder und Schwestern" ausdrücklich erlaubt: Die in Kambodscha lebenden Vietnamesen dürfen „vertraute Freunde und enge Verwandte" ins Land der Khmer nachkommen lassen — „zu ihrer Hilfe und Unterstützung"...
Besonders intensiv ist die vietnamesische Besiedlung in der kambodschanischen Provinz
Svay Rieng, deren Reisfelder als sogenannter Papageienschnabel tief nach Südvietnam hineinragen. Auch in der angrenzenden Provinz Prey Veng soll es bereits eine Reihe von größeren Ortschaften geben, die fest in den Händen der vietnamesischen Siedler sind (z. B. Neak Luong). Anscheinend planen die vietnamesischen Besatzer, sogenannte Entwicklungsdörfer (phum vivoat) mit einem vietnamesischen Bevölkerungsanteil von 20% in ganz Kambodscha zu etablieren. Dörfer dieser Art sind bereits in den kambodschanisch-vietnamesischen Grenzprovinzen sowie entlang der Nationalstraße 5 und 6 in den beiden westlichen Provinzen Batfambang und Siem Reap errichtet worden. Sie haben z. T.den Charakter von Wehrdörfern gegen den antivietnamesischen Widerstand, der vor allem im Westen Kambodschas recht aktiv ist. Auf rund 100 000 soll sich die Zahl der vietnamesischen Siedler im Nachbarland Laos belaufen. Dort sind außerdem noch rund 40 000 vietnamesische Soldaten stationiert. Bereits im August 1979 hatte einer der führenden vietnamesischen Wirtschaftsplaner, Che Viet Tan, die Umsiedlung von mehreren Millionen Vietnamesen u. a. in die „Grenzregionen“ und in die „westlich von den annamitischen Kordillereprovinzen liegenden Gebiete“ (d. h. Südost-Laos und Nordost-Kambodscha) angekündigt. Ermöglicht wurde und wird die zumindest hegemonistische Politik Vietnams gegenüber Kambodscha und Laos durch enorme militärische und wirtschaftliche Hilfsleistungen von Seiten der Sowjetunion und anderer Ostblockstaaten. So wendet der Sowjet-Block pro Tag schätzungsweise umgerechnet rund 6 Millionen US-Dollar für Vietnam auf — hiervon muß allein ein Drittel für die vietnamesische Besetzung von Kambodscha abgezweigt werden. Zur militärischen Absicherung seiner Vorherrschaft über die indochinesische Halbinsel unterhält Vietnam mit rund 1 Million aktiven Soldaten heute die zahlenmäßig fünftgrößte Armee der Erde. Auf 56 vietnamesische Zivilisten kommt ein Soldat — nur Nordkorea weist einen höheren Grad der Militarisierung auf (26 : 1).
Trotz seiner militärisch übermächtigen Stellung ist es Vietnam bisher nicht gelungen, die antivietnamesischen Widerstandskräfte in Kambodscha entscheidend zu schwächen. In Gegenteil: Fast fünf Jahre nach dem vietnamesischen Einmarsch scheint der kambodschanische Widerstand gegen die vietnamesische Besetzung stärker als jemals zuvor: — Nach wie vor führen schätzungsweise 30 000 Partisanen des gestürzten Pol-Pot-Re-gimes einen zermürbenden Guerillakrieg gegen die vietnamesische Besatzungsmacht. Hierbei werden sie militärisch und politisch von der Volksrepublik China (VRCh) unterstützt, während Thailand die Hilfstransporte für die Roten Khmer über sein Territorium zuläßt Die Truppen der im Dezember 1981 formell aufgelösten Kommunistischen Partei Kampucheas (KPK) verfügen über die beste Organisation und Ausrüstung der drei Widerstandsgruppen. Sie sind nicht nur zahlenmäßig am stärksten, sondern verfügen offenbar auch über die beste Kampfmoral und Disziplin.
— Daneben kämpfen rund 10 000 Soldaten der bürgerlichen Nationalen Front zur Befreiung des Khmer-Volkes (FNLPK) unter dem früheren Ministerpräsidenten Son Sann gegen die vietnamesische Oberherrschaft über Kambodscha. Sie werden materiell von einigen ASEAN-und EG-Staaten, den USA sowie der Volksrepublik China unterstützt. Ausbildung, Organisation und Ausrüstung der Truppen Son Sanns konnten 1982 erheblich verbessert werden. Insgesamt ist die gesamte internationale Hilfe für die FNLPK jedoch nach wie vor geringer als die Unterstützung für die Roten Khmer von Seiten der Volksrepublik China.
— Schließlich beteiligen sich 5 500 Bewaffnete auf der Seite des früheren Staatsoberhauptes Prinz Norodom Sihanouk und seiner FUNCINPEC am nationalen Unabhängigkeitskampf der Khmer. Die Ende 1981 ins Leben gerufene „Arme Nationaliste Sihanoukiste" (ANS) setzt sich hauptsächlich aus drei militärischen Gruppierungen zusammen: der MOULINAKA dem Khleang Moeung-Flügel und der Oddar Tus-Truppe. Die Sihanoukisten erhalten erst seit Frühjahr 1982 Hilfsleistungen von Seiten der Volksrepublik China, Nordkoreas und einiger westlicher Staaten. Der sihanoukistische Widerstand ist von allen drei Gruppen am schlechtesten organisiert und ausgerüstet, obwohl seine Rekrutierungsmöglichkeiten unter der Bevölkerung am größten sein dürften. Die Sihanoukisten leiden nach wie vor an den Nachwirkungen des feindseligen Verhaltens des thailändischen Militärs bis in das Jahr 1981 hinein und an fehlender materieller Unterstützung von außen.
Am 22. Juni 1982 einigten sich die Roten Khmer, Son Sann und Norodom Sihanouk auf die Bildung einer gemeinsamen Koalitionsregierung des Demokratischen Kampuchea (DK), um den Sitz des DK bei der UNO zu retten und die internationale Anerkennung des provietnamesischen Heng Samrin-Regimes zu verhindern. Mehr als zwei Jahre dauerten die Bemühungen der ASEAN-Staaten und der Volksrepublik China, die drei ungleichen Gruppen zu diesem Zweckbündnis zu bewegen. Norodom Sihanouk und Son Sann hatten es nämlich bis zuletzt hartnäckig abgelehnt, mit jenen kambodschanischen Kommunisten zu kooperieren, die für den Tod von zwischen 0, 5 und 1 Millionen Menschen in den Jahren von 1975 bis 1978 verantwortlich sind. Letztlich blieb den beiden nichtkommunistischen Gruppen im eigenen Interesse und im Interesse des kambodschanischen Unabhängigkeitskampfes nichts anderes übrig, als der Koalition zuzustimmen: Erstens war Vietnam auch 1982 zu keinem Kompromiß in der Kambodscha-Frage bereit, und zweitens machten der Westen und die Volksrepublik China jegliche Hilfsleistungen für Sihanouk und Son Sann von deren Bereitschaft abhängig, mit den Roten Khmer ein Bündnis einzugehen.
Das internationale Prestige des Prinzen Sihanouk rettete 1982 dem antivietnamesischen Widerstand nicht nur Sitz und Stimme bei den Vereinten Nationen, sondern brachte auch das bisher beste Abstimmungsergebnis für die Gegner der vietnamesischen Okkupation Kambodschas. Die 37. UN-Vollversammlung bestätigte im Oktober 1982 mit 90 zu 29 Stimmen bei 26 Enthaltungen den Sitz des DK bei der UNO. Für den vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen aus Kambodscha sprachen sich — bei nur 23 Gegenstimmen und 20 Enthaltungen — sogar 105 UNO-Mitgliedsstaaten aus (siehe auch die Tabellen 1 und 2).
In der Trockenzeit von Dezember 1982 bis April 1983 konnten die vietnamesischen Truppen zwar größere militärische Erfolge gegen alle drei Widerstandsgruppen erzielen, doch haben diese heute wieder die Positionen eingenommen, die sie Ende der letzten Regenzeit besetzt hielten. Die FNLPK-Truppen Son Sanns konnten sogar größere Geländegewinne verbuchen. Obwohl die vietnamesischen Besatzungstruppen über 90% der kambodschanischen Bevölkerung und mit Ausnahme der kaum bevölkerten Bergregionen und der grenznahen Gebiete zu Thailand das gesamte Land mehr oder weniger unter Kontrolle haben, dürfte Vietnam nicht in der Lage sein, den Konflikt in und um Kambodscha allein und dauerhaft in seinem Sinne zu lösen. Gleiches gilt auch für alle anderen Konfliktparteien. Deshalb erscheint eine dauerhafte Konfliktlösung nur möglich als Kompromiß durch Zugeständnisse von allen Seiten. Bisher hat jedoch keiner der beiden Hauptbeteiligten, Vietnam und China, eine echte Kompromißbereitschaft erkennen lassen.
Ist angesichts derart düsterer Perspektiven ein Kompromiß überhaupt möglich? Und wenn ja, welcher? Um diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, die Entstehungsgeschichte dieses Konfliktes zu erhellen, die Ziele der Konfliktparteien zu analysieren und das bisherige Konfliktverhalten der Beteiligten in Rechnung zu stellen. Vor diesem Hintergrund'kann dann der Versuch unternommen werden, Bedingungen und Perspektiven für eine dauerhafte Konfliktlösung aufzuzeigen.
II. Die Genesis des Kambodscha-Konflikts
Abbildung 2
Tabelle 1:
Tabelle 1:
1. Vietnams Suche nach einer gesicherten Ernährungsbasis und die Annexion von Kampuchea Krom (17. — 19. Jahrhundert)
Die Wurzeln des gegenwärtigen Konflikts in und um Kambodscha liegen in der mehr als tausendjährigen Expansion Vietnams nach Süden, von der Kambodscha seit dem 17. Jahrhundert betroffen ist. Die Annexion von Kampuchea Krom, der späteren französischen Kolonie Cochinchina (heutiges Südvietnam), durch Vietnam im 17. und 18. Jahrhundert bildete den Ausgangspunkt des kambodschanisch-vietnamesischen Konfliktes. Vor dem Hintergrund einer rasch wachsenden vietnamesischen Bevölkerung bei begrenzt vorhandenen landwirtschaftlichen Anbauflächen bil, die großen potentiellen Reisanbaugebiete im überaus fruchtbaren, dünnbesiedelten kambodschanischen Mekong-Delta den Hauptgrund für die vietnamesische Expansion in den Südzipfel der indochinesischen Halbinsel. Wie bedeutsam das Mekong-Delta für die Ernährung der vietnamesischen Bevölkerung war und ist, geht daraus hervor, daß heute 43% der vietnamesischen Reisanbauflächen (auf 52% steigerungsfähig) im früheren Kampuchea Krom liegen.
Die Suche nach Reis bzw. Reisanbauflächen dürfte auch einen der Hauptgründe für die vietnamesische Expansion gegenüber Kambodscha im 19. und 20. Jahrhundert dargestellt haben. Kambodscha verfügt nämlich selbst nach dem Verlust des Mekong-Deltas pro Kopf seiner Bevölkerung über rund dreimal soviel an Reisanbaufläche wie Vietnam. Die Reiskammer Kambodscha zählt darüber hinaus mit dem riesigen, überaus fischreichen Tonle Sap („Süßwasser-See") zu den bedeutendsten Protein-Produzenten Südostasiens.
Die kambodschanische Bevölkerung reagierte gegen die in Kampuchea Krom im 18. Jahrhundert etablierte vietnamesische Fremdherrschaft mit zahlreichen Erhebungen. Nach einer Rebellion der Khmer Krom im Jahre 1831 marschierten vietnamesische Truppen in Kambodscha ein und besetzten den weitaus größten Teil des Landes. Nachdem Vietnam und Thailand bereits seit 1706 mit wechseln-37 dem Erfolg um die Oberherrschaft über Kambodscha gekämpft hatten, versuchte das vietnamesische Kaiserhaus nun, die Annexion Kambodschas mit Hilfe einer umfassenden Vietnamisierung der Khmer-Gesellschaft endgültig abzusichern. Die vietnamesischen Besatzer führten Vietnamesisch als Verwaltungssprache ein und stellten den Khmer-Gouverneuren einen vietnamesischen Aufpasser zur Seite, der de facto die Administration in den Händen hatte. Auch änderten die Vietnamesen — wie schon zuvor in Kampuchea Krom — die kambodschanischen Orts-namen in vietnamesische um: Phnom Penh wurde z. B. zu Nam Vang Ein Volksaufstand der Khmer und eine bewaffnete Intervention Thailands im Jahre 1845 ließen die vietnamesischen Großmachtträume jedoch platzen. Die Tatsache, daß die Vietnamesen in Kampuchea Krom und in Kambodscha alles unternommen hatten, um die Khmer ihrer administrativen Tradition, ihrer Gebräuche, ihrer Sprache und ihres Glaubens zu berauben, erzeugte einen kollektiven Haß der Khmer gegen alles Vietnamesische, der teilweise bis in die heutigen Tage andauert. 2. Die Verschärfung des kambodschanischvietnamesischen Konfliktpotentials durch die französische Kolonialpolitik (1863— 1953)
Mit dem Eindringen des französischen Kolonialismus in die indochinesische Halbinsel in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der vietnamesischen Expansion und der thailändisch-vietnamesischen Dominierung Kambodschas ein vorläufiges Ende gesetzt. Kambodscha wurde 1863 französisches Protektorat und 1887 zusammen mit den französischen Protektoraten Tongking, Annam und Laos sowie der französischen Kolonie Cochinchina in der „Union Indochinoise", einem künstlich geschaffenen Kolonienverbund, zusammengeschlossen. Obwohl die französischen Kolonialherren damit Kambodscha vor dem Zugriff durch Vietnam und Thailand retteten, führten mindestens zwei ihrer Maßnahmen dazu, daß sich das im Verlauf der Annexion von Kampuchea Krom entstandene Konfliktpotential zwischen Vietnam und Kambodscha noch erheblich verschärfte:
— Die französischen Kolonialherren förderten die Ansiedlung von vietnamesischen Bauern, Fischern, Handwerkern, Arbeitern, Kaufleuten und Verwaltungsangestellten in Kambodscha und eröffneten den Vietnamesen den Zugang zu gesellschaftlich höher bewerteten Berufen. Diese Maßnahmen waren zumindest objektiv dazu angetan, die Antagonismen zwischen Kambodschanern und Vietnamesen zu verstärken, indem dadurch das Superioritätsgefühl der Vietnamesen gegenüber den Kambodschanern verstärkt und der Inferioritätskomplex der Khmer und ihr Haß auf die Vietnamesen vergrößert wurden.
— Zwischen 1869 und 1942 trennten die Franzosen große Gebiete von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung von Kambodscha ab und übereigneten sie ihrer Kolonie Cochinchina bzw.dem französischen Protektorat Annam. Hierbei handelte es sich durchgehend um Regionen, die mehrheitlich von Khmer bewohnt und bewirtschaftet wurden. Nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina wurden diese Gebiete jedoch nicht wieder an Kambodscha zurückgegeben, sondern gingen in vietnamesisches Territorium über. Die auf der Genfer Indochina-Konferenz im Jahre 1954 besiegelte Entkolonisierung Indochinas hatte Kambodscha zwar die Unabhängigkeit gebracht, die für Kambodscha ungünstige koloniale Grenzziehung jedoch nicht aufgehoben. Die kolonialen Grenzen waren zudem kartographisch schlecht definiert und an der Grenze ungenügend markiert worden, so daß allein darin künftige Grenzzwischenfälle angelegt waren. So ereigneten sich seit 1954 regelmäßig bewaffnete Grenzauseinandersetzungen zwischen Südvietnam und Kambodscha. Nach dem Sieg der Roten Khmer und der Eroberung Südvietnams durch die vietnamesischen Kommunisten im April 1975 setzten sich die Grenzzwischenfälle zwischen Kambodscha und Vietnam in erheblich verstärktem Maße fort. Ein wichtiger Grund hierfür waren vietnamesische Gebietsansprüche auf kambodschanisches Territorium, das noch 1970 von den vietnamesischen Kommunisten ausdrücklich als solches anerkannt worden war. Hauptsächlich aufgrund dieser vietnamesischen Territorialforderungen scheiterten alle folgenden Grenzverhandlungen zwischen dem Demokratischen Kampuchea und Vietnam. 3. Die Fortführung des traditionellen vietnamesischen Expansionsstrebens auf der indochinesischen Halbinsel durch die vietnamesischen Kommunisten (1930— 1978)
Die dritte grundlegende Ursache des Konfliktes zwischen dem Demokratischen Kampuchea und der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) stellte — neben vietnamesiB sehen Gebietsansprüchen auf kambodschanisches Territorium — die Forderung der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) dar, mit der Kommunistischen Partei Kampucheas und dem von ihr geführten Demokratischen Kampuchea in „besondere Beziehungen" zu treten.
Konkreter Ausdruck der von Vietnam gewünschten „besonderen Beziehungen" ist der von Hanoi und dem pro-vietnamesischen Heng-Samrin-Regime am 18. Februar 1979 unterzeichnete kambodschanisch-vietnamesische „Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit". Dieser für die Dauer von 25 Jahren gültige Vertrag sieht „immerwährende gemeinsame Verteidigungs-und Aufbauaktivitäten''vor und legitimiert im nachhinein die Anwesenheit vietnamesischer Truppen in Kambodscha. Ziel des Vertrags-werkes ist es, „die militante Solidarität und brüderliche Freundschaft zwischen dem kambodschanischen, dem laotischen und dem vietnamesischen Volk zu stärken und die Beziehungen mit den sozialistischen Ländern auszubauen''. Nachdem die Sozialistische Republik Vietnam bereits am 18. Juli 1977 mit Laos einen ähnlichen Vertrag abgeschlossen hatte, war mit der Unterzeichnung des kambodschanisch-vietnamesischen Freundschaftsvertrages das alte Ziel der Kommunistischen Partei Indochinas faktisch erreicht: die Schaffung einer von Vietnam dominierten „Indochinesischen Föderation".
Die vietnamesischen Kommunisten begründen die „besonderen Beziehungen" zu Laos und Kambodscha, die die Führungsrolle Vietnams in Indochina implizieren, u. a. mit angeblichen „historischen und geographischen Bindungen" zwischen den drei Völkern. 1980 wurde von vietnamesischer Seite die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verteidigung gegen die „chinesische Bedrohung" als weitere Begründung für das — wie es nun schon heißt — „Sonderbündnis" zwischen Vietnam, Laos und Kambodscha genannt. Nach Ansicht der Vietnamesen besteht das „besondere Verhältnis zwischen Vietnam und Kambodscha" bereits „seit unvordenklichen Zeiten", und die „besonderen Beziehungen mit der Kommunistischen Partei und dem Volk von Kambodscha" werden von der KPV seit ihrer Gründung im Jahre 1930 als „eine geheiligte Sache" ungesehen.
In der Tat haben zwischen den vietnamesischen und kambodschanischen Kommunisten eine sehr lange Zeit hindurch „besondere Beziehungen" bestanden, insofern die kommunistische Bewegung Kambodschas nicht in Kambodscha geboren, sondern von vietnamesischen Kommunisten in das Land getragen wurde. Die 1951 gegründete kommunistische Revolutionäre Volkspartei von Kampuchea rekrutierte sich in den ersten Jahren ihrer Existenz fast ausschließlich aus in Kambodscha lebenden Vietnamesen und war bis Anfang der sechziger Jahre völlig von der vietnamesischen Mutterpartei abhängig.
Vor 1951 hatte es auf der indochinesischen Halbinsel an kommunistischen Parteiorganisationen lediglich die Kommunistische Partei Indochinas gegeben, die im Oktober 1930 aus der Kommunistischen Partei Vietnams hervorgegangen war. Nach dem Willen der Kommunistischen Internationale sollte die Kommunistische Partei Indochinas „die einzige kommunistische Organisation in Indochina sein". Obwohl der Kommunistischen Partei Indochinas auch lange Zeit nach ihrer Gründung keine Laoten und Kambodschaner angehörten, bezeichnete es die Partei in den folgenden Jahren als ihr Ziel, einen kommunistischen Staatenbund Indochina zu errichten. Das Ziel der vietnamesischen Kommunisten, nämlich die Etablierung einer Indochinesischen Föderation, blieb auch nach der Auflösung der KP Indochinas und der Gründung von drei nationalen kommunistischen Parteien in Vietnam, Laos und Kambodscha im Jahre 1951 bestehen. So sah das im Februar 1951 angenommene Programm der Partei der Werktätigen Vietnams (PWV) vor, „eine unabhängige, freie, starke und blühende Föderation der Staaten Vietnam, Laos und Kambodscha" zu schaffen. Nur einen Monat später verkündete Ho Chi Minh als PWV-Vorsitzender: „Wir werden bald die große Union von Vietnam-Laos-Kambodscha verwirklichen.“ Und im Oktober 1951 setzte das Zentralkomitee der PWV ein parteiinternes Dokument in Umlauf, in dem es u. a. hieß: „Später, wenn die Umstände es erlauben, werden die drei revolutionären Parteien von Vietnam, Kambodscha und Laos zu einer einzigen Partei wiedervereinigt." 1 Nach dem Scheitern ihrer Einigungsvorstellungen für Indochina auf der Genfer Konferenz von 1954 konzentrierten sich die vietnamesischen Kommunisten zunächst auf die Wiedervereinigung Vietnams. Doch nach der am 2. Juli 1976 erfolgten Wiedervereinigung setzten die vietnamesischen Kommunisten auf ihrem IV. Parteitag im Dezember 1976 ihr Einigungskonzept für Indochina wieder auf die politische Tagesordnung: Der Parteitag beschloß, „die besonderen Beziehungen zwischen dem vietnamesischen Volk und den Völkern von Laos und Kampuchea zu wahren und weiterzuentwickeln''. In der Folge forderte Vietnam das Demokratische Kampuchea mehrfach auf, die „besonderen Beziehungen" mit der Sozialistischen Republik Vietnam zu „wahren", zu „verteidigen" und „weiterzuentwickeln", was von der Kommunistischen Partei Kampucheas unter Pol Pot strikt abgelehnt wurde. Um Grenz-bzw. Territorialfragen scheint es daher in der Auseinandersetzung zwischen Vietnam und Kambodscha ab 1977 nur noch am Rande gegangen zu sein. Nach dem IV. Parteitag der KPV war der Hauptstreitpunkt zwischen Vietnam und Kambodscha offenbar der, daß Vietnam „besondere Beziehungen“ zu Kambodscha etablieren wollte, während das Demokratische Kampuchea dies strikt zurückwies.
Auf die vietnamesischen Dominierungswünsche reagierten die Roten Khmer in den seit Frühjahr 1977 eskalierenden Grenzauseinandersetzungen z. T. mit jener Brutalität, die sie auch gegenüber dem innenpolitischen Gegner anwandten. Diese Grenzzwischenfälle konnten jedoch keine Bedrohung der Sicherheit Vietnams darstellen, zumal die kambodschanische Armee weder über eine Panzertruppe noch über eine Luftwaffe verfügte und zahlenmäßig nur etwas mehr als 10% der vietnamesischen Streitkräfte ausmachte.
Als die vietnamesischen Kommunisten erkannten, daß die KPK zu „besonderen Beziehungen" mit Vietnam und damit zu einer Beendigung ihrer engen Bindungen an die Volksrepublik China nicht bereit war, unternahmen sie alles, um eine Konsolidierung der Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha zu verhindern. Die KPV befürchtete offenbar, daß die promaoistische Ausrichtung der KPK-Führung und ihre zunehmende Abhängigkeit von der Volksrepublik China das Demokratische Kampuchea zu einem festen chinesischen Bündnispartner machen würde, wodurch nicht nur der vietnamesische Plan einer Dominierung Indochinas durchkreuzt, sondern auch die Gefahr einer Einkreisung Vietnams durch China bzw. prochinesische Staaten erheblich vergrößert worden wäre. Die prochinesische Ausrichtung der KPK beeinträchtigte die Sicherheit Vietnams jedoch nur insofern, als Vietnam seine Hegemonie-bestrebungen gegenüber Kambodscha nicht auf friedlichem Wege (wie in Laos) und nur gegen den entschiedensten Widerstand der Volksrepublik China durchsetzen konnte.
Tatsächlich wurde Vietnams Sicherheit von Seiten Chinas erst nach der vietnamesischen Invasion Kambodschas bedroht und nicht vorher. Vietnam brachte sich durch die Besetzung von Kambodscha also selbst in die heutige Lage seiner Bedrohung durch China. Nachdem es den vietnamesischen Kommunisten nicht gelungen war, durch Unterstützung von Putschversuchen pro-vietnamesischer Kräfte und durch die Teilbesetzung Kambodschas um die Jahreswende 1977/78 das Pol-Pot-Regime zu stürzen, faßten sie im Frühjahr 1978 den Entschluß, Kambodscha vollständig zu erobern und die DK-Führung durch eine pro-vietnamesische Regierung zu ersetzen. Am 25. Dezember 1978 marschierten rund 120000 vietnamesische Soldaten in Kambodscha ein. Am 7. Januar 1979 eroberten sie die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh, stürzten das Pol-Pot-Regime und setzten am 8. Januar eine pro-vietnamesische Regierung unter Heng Samrin ein. 4. Die Internationalisierung des Kambodscha-Konflikts (1978— 1983)
War der Konflikt zwischen dem DK und der Sozialistischen Republik Vietnam in den Jahren von 1975 bis 1977 zunächst noch eine bilaterale Angelegenheit, so wurde er ab 1978 zunehmend internationalisiert. Den Wendepunkt stellte im Frühjahr 1978 die vietnamesische Entscheidung dar, direkt in Kambodscha zu intervenieren und das Pol-Pot-Regime durch eine pro-vietnamesische Regierung zu ersetzen. Vietnam konnte dieses strategische Ziel nur mit Hilfe massiver materieller und politischer Unterstützung von Seiten der Sowjetunion erreichen — kein anderer Staat wäre hierzu bereit gewesen. Im Gegenteil: Nachdem die Volksrepublik China erkannt hatte, daß Vietnam bereit war, die Dominierung Kambodschas notfalls auch mit militärischen Mitteln zu erreichen, verschlechterten sich die chinesisch-vietnamesischen Beziehungen im Verlauf des Jahres 1978 dramatisch. Während die Volksrepublik China mit umfangreicher Militärhilfe die Verteidigungsbereitschaft Kambodschas zu erhöhen versuchte, schloß sich Vietnam immer mehr dem Ostblock an und trat Ende Juni 1978 dem COMECON bei. Nachdem Vietnam am 3. November 1978 mit der UdSSR einen „Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit" geschlossen und zwei Monate später Kambodscha erobert hatte, erreichte der sino-vietnamesische Konflikt einen vorläufigen Höhepunkt: Vom 17. Februar bis 19. März 1979 unternahmen rund 150000 chinesische Soldaten einen „Straffeldzug" gegen Vietnam, um dem südlichen Nachbarn wegen der Verletzung fundamentaler chinesischer Ordnungsinteressen in Südostasien „eine Lehre zu erteilen".
Die Eroberung Kambodschas durch Vietnam und die strategische Allianz der Sozialistischen Republik Vietnam mit der UdSSR führten nicht nur zu einer Verschärfung des sinovietnamesischen Konflikts, sondern zunächst auch zu einer weiteren Verschlechterung der sino-sowjetischen Beziehungen, da sich die Volksrepublik China nun auch im Süden von einem antichinesischen Bündnis sowjetischer Prägung bedroht fühlte. Darüber hinaus wurde durch den Wegfall Kambodschas als unabhängiger Pufferstaat zwischen Thailand und Vietnam der traditionelle thailändischvietnamesische Konflikt um Kambodscha wieder neu belebt. Außerdem führte die zunehmende sowjetische Präsenz in Vietnam, Laos und Kambodscha dazu, daß die Mehrheit der ASEAN-Staaten nun nicht mehr China, sondern das sowjetisch-vietnamesische Bündnis als kurz-und mittelfristige Hauptbedrohung für Südostasien einschätzte. Schließlich belastete der Kambodscha-Konflikt das Ost-West-Verhältnis, da erstens die Sowjetunion in das von den USA auf der indochinesischen Halbinsel hinterlassene Machtvakuum hineinstieß und da zweitens das de facto zum westlichen Bündnissystem gehörende Thailand nun zu einem Frontstaat gegenüber einem von Vietnam beherrschten kommunistischen Indochina geworden war.
III. Ziele und Konfliktverhalten der Beteiligten
Abbildung 3
Tabelle 2:
Tabelle 2:
Vietnams außenpolitisches Hauptziel ist die Konsolidierung seiner Kontrolle von Laos und Kambodscha und die schrittweise politische und wirtschaftliche Verschmelzung mit diesen beiden Staaten. Mit der Errichtung eines unter vietnamesischer Führung stehenden Staatenbundes Indochina bezwecken die vietnamesischen Kommunisten vor allem folgende drei Ziele:
1. Die Ausschaltung der chinesischen und aller als feindlich eingeschätzten Einflüsse auf Laos und Kambodscha und der Ausbau der beiden Nachbarstaaten als militärstrategischer und politischer Sicherheitsgürtel für das Kernland Vietnam.
2. Sicherung der Ernährung der vietnamesischen Bevölkerung durch Anbindung der Reis-und Proteinkammer Kambodscha.
3. Schaffung von zusätzlichem Lebensraum für das im Vergleich zu Laos und Kambodscha übervölkerte Vietnam.
Vietnam wird zunächst alles versuchen, um diese Ziele zu erreichen. Das bisherige Konfliktverhalten Vietnams hat gezeigt, daß es zur Verwirklichung seiner Ziele zu größten Opfern bereit und fähig ist. Selbst wenn Vietnam erkennen sollte, daß es diese Maximal-ziele nicht realisieren kann, dürfte es einer Konfliktlösung überhaupt nur dann zustimmen, wenn die strikte Neutralität Kambodschas von allen Konfliktparteien garantiert wird und die Volksrepublik China ihre antivietnamesische Politik aufgibt. Außerdem ist kaum vorstellbar, daß Vietnam eine kambodschanische Regierung unter Mitbeteiligung der gegenwärtigen Führung der Roten Khmer (vor allem Pol Pot, leng Sary, Ieng Thirith und Chhit Choeun alias Ta Mo) akzeptieren würde.
Gegenwärtig laufen die vietnamesischen Bedingungen für eine Beilegung des Kambodscha-Konflikts jedoch nach wie vor auf eine Anerkennung der vietnamesischen Oberherrr schäft über Kambodscha durch die anderen Konfliktparteien hinaus:
— Beibehaltung der engen, einseitigen Bindungen von Kambodscha an Vietnam innerhalb des indochinesischen „Sonderbündnisses",
— Beibehaltung des bestehenden sozialistischen Gesellschaftssystems in Kambodscha und — Beibehaltung der gegenwärtigen kambodschanischen Regierung unter Heng Samrin
Erst wenn diese drei Bedingungen Vietnams von den ASEAN-Staaten und China anerkannt und respektiert werden, ist Vietnam erklärtermaßen zu einem vollständigen Truppenrückzug aus Kambodscha bereit. Da sich die vietnamesische Führung darüber im klaren ist, daß China diese Bedingungen sehr wahrscheinlich niemals akzeptieren wird, laufen die drei vietnamesischen Conditio sine qua non de facto auf eine dauerhafte militärische Besetzung Kambodschas durch Vietnam hinaus. Sie bedeuten jedoch auch einen permanenten Konflikt mit China. In Hanoi ist man allerdings der Ansicht, daß diese Auseinandersetzung mit Hilfe des Sowjetblocks durchgestanden werden kann. Außerdem rechnet die vietnamesische Führung anscheinend längerfristig mit einer internationalen Isolierung Chinas in der Kambodscha-Frage. Vietnam spekuliert nämlich darauf, daß die ASEAN auf Dauer ihren harten Kurs gegenüber Vietnam nicht durchhalten wird und daß in der Folge die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten die von Vietnam in Kambodscha geschaffenen „Realitäten" anerkennen wird. Unter Hinweis auf die langfristige Bedrohung Südostasiens durch China versucht Vietnam seit längerem, einen Keil zwischen die ASEAN-Staaten zu treiben. Außerdem werben die Vietnamesen bei ihren nichtkommunistischen Nachbarn um die Anerkennung der drei Staaten Indochinas als Regional-bündnis und fordern die ASEAN hartnäckig zur „friedlichen Koexistenz" mit dem von Vietnam beherrschten Indochina-Block auf — eine Formel, die ebenfalls auf die Akzeptierung der von Vietnam in Kambodscha geschaffenen Verhältnisse hinausläuft.
Die Volksrepublik China verfolgt das Ziel, die vietnamesische Oberherrschaft über Kambodscha und Laos zu beseitigen und die Sowjetunion aus der Region zurückzudrängen. Die bisherige Politik Chinas im Kambodscha-Konflikt lief darauf hinaus, die Roten Khmer in Phnom Penh wieder an die Macht zu bringen. Auch die riesigen Gebietsansprüche der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer, die bis rund 100 km vor die malayische Küste reichen (vom chinesischen Festland jedoch 1 840 km Luftlinie entfernt sind!), weisen darauf hin, daß China langfristig beabsichtigt, Südostasien als chinesisches Einflußgebiet zu restituieren.
Ebenso wie Vietnam sucht China im Kambodscha-Konflikt die Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Hinsichtlich seiner Kompromißlosigkeit und Ausdauer weist es ein nahezu identisches Konfliktverhalten wie Vietnam auf. Der vollständige Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha ist die grundlegende Bedingung der Volksrepublik China für eine Beilegung des Konflikts. China dürfte jeder Konfliktlösung seine Zustimmung verweigern, die die Aufrechterhaltung einer irgendwie gearteten vietnamesischen Kontrolle von Kambodscha beinhaltet.
Die UdSSR, deren Interessen in Südostasien mehr von globalen Gesichtspunkten bestimmt werden, ist bisher der eigentliche Gewinner des Kambodscha-Konflikts. Für ihre Unterstützung Vietnams erhielt die Sowjetunion u. a. die Möglichkeit, den von den USA während des Vietnamkriegs angelegten Flottenstützpunkt und Militärflughafen Cam Ranh als Auftank-und Reparaturbasis für die sowjetische Pazifik-Flotte zu benutzen. Damit hat die sowjetische Flotte zum ersten Mal einen ganzjährig eisfreien Zugang zum Pazifik und zum Süd-und Ostchinesischen Meer. Außerdem ist die sowjetische Pazifik-Flotte dadurch in die Lage versetzt worden, ohne größere logistische Probleme den Indischen Ozean zu erreichen und die Meeresengen von Malakka, Sunda und Lombok zu überwachen, durch die rund 50 % des Erdöls und 80 % der strategisch wichtigen Rohstoffe für die kapitalistischen Staaten transportiert werden. Neben der weiteren Zurückdrängung des chinesischen und amerikanischen Einflusses im südostasiatischen Raum ist es daher das Ziel der Sowjetunion, diese bedeutenden global-strategischen Zugewinne zu festigen und auszubauen. Um hierbei nicht nur von den auf ihrer Unabhängigkeit bestehenden Vietnamesen abhängig zu sein, versucht die UdSSR, ihre Beziehungen vor allem mit Kambodscha zu intensivieren, um dort die Häfen von Kompong Som und Ream auch für ihre eigenen militärischen Zwecke auszubauen. Bei den Bemühungen um eine Konfliktlösung dürfte sich die UdSSR eng an die vietnamesische Position halten, um die eigenwilligen Vietnamesen nicht zu provozieren und die militärischen Nutzungsrechte für Cam Ranh nicht zu gefährden. An einer Konfliktlösung, die die einseitige Abhängigkeit Vietnams von der Sowjetunion aufheben würde, kann die UdSSR jedoch nicht interessiert sein, denn es ist die Abhängigkeit Vietnams von der UdSSR, die Vietnam zwingt, der Sowjetunion Nutzungsrechte für militärstrategisch nutzbare Einrichtungen einzuräumen. Auch deshalb wird die Sowjetunion versuchen, eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Vietnam und den USA sowie zwischen Vietnam und China zu verhindern. Da zumindest letzteres nur bei einem vietnamesischen Rückzug aus Kambodscha möglich wäre, dürfte die Sowjetunion sehr daran interessiert sein, daß vietnamesische Truppen auch in Zukunft Kambodscha besetzt halten. Die UdSSR profitiert nämlich wie kein anderes Land vom gegenwärtigen Status quo des Kambodscha-Konflikts, und selbst der erhebliche finanzielle Aufwand für die sowjetische Vietnam-Hilfe dürfte durch die dadurch erzielten globalstrategischen Zugewinne mehr als ausgeglichen werden.
Das Ziel der ASEAN-Staaten besteht in dem Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha und in der Wiederherstellung Kambodschas als neutraler Pufferstaat zwischen Thailand und Vietnam. Im Gegensatz zu China und Vietnam streben die ASEAN-Staaten einen politischen Kompromiß zur Lösung des Kambodscha-Konflikts an (vgl. hierzu den folgenden Abschnitt „Bisherige Lösungsvorschläge"). Im Falle eines Abzugs der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha und einer Aufkündigung des vietnamesischsowjetischen Bündnisses durch Vietnam wären die ASEAN-Staaten bereit, eng mit Vietnam, Laos und Kambodscha zusammenzuarbeiten, um die Region gegen Interventionen der Großmächte zu verteidigen, d. h. auch gegen China.
Allerdings gibt es sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen ASEAN-Mitgliedsländer durchaus unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich einer Beilegung des Kambodscha-Konflikts. Während Thailand als Front-staat den härtesten Standpunkt gegenüber Vietnam einnimmt, ist das gegenüber China zutiefst mißtrauische Indonesien am ehesten zu Zugeständnissen an Vietnam bereit. Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß Thailand im Vietnamesisch-sowjetischen Bündnis die Hauptbedrohung für Südostasien sieht, während Indonesien die Volksrepublik China als Hauptgefahr für die Region perzipiert. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik der nichtkommunistischen Staaten Südostasiens im Rahmen der ASEAN dürfte jedoch auch in Zukunft Indonesien daran hindern, in der Kambodscha-Frage eigene Wege zu gehen.
Eine besondere Zielsetzung der USA im Kambodscha-Konflikt scheint es nicht zu geben. Die amerikanische Indochinapolitik ist bisher nämlich weitgehend der amerikanischen Chinapolitik untergeordnet worden, d. h., die USA haben alles unterlassen, was die ohnehin gespannten sino-amerikanischen Beziehungen noch weiter belasten könnte. Im Rahmen ihrer globalen Zielsetzung dürften die USA vor allem an einer Zurückdrängung der sowjetischen Präsenz auf dem südostasiatischen Festland interessiert sein. Die USA wären wahrscheinlich sogar in der Lage, die engen Beziehungen zwischen Vietnam und der UdSSR aufzulockern, wenn sie die vietnamesische Oberherrschaft über Kambodscha und Laos anerkennen würden und sich zur Vergabe der ursprünglich zugesagten großzügigen Hilfe für Vietnam bereiterklärten. Dies widerspräche jedoch der Interessenlage der Volksrepublik China und damit auch der gegenwärtigen amerikanischen Chinapolitik. In der letzten Zeit haben sich die USA zumindest verbal wieder stärker hinter den Standpunkt der ASEAN in der Kambodscha-Frage gestellt und begonnen, die nichtkommunistischen Widerstandskräfte unter Son Sann materiell zu unterstützen.
Die kambodschanischen Konfliktparteien werden hier an letzter Stelle genannt, weil ihre Bedeutung für eine Konfliktlösung vergleichsweise gering sein dürfte. Mittlerweile ist der ursprünglich hausgemachte kambodschanisch-vietnamesische Konflikt nämlich zu einer Auseinandersetzung geworden, die weitgehend von den vorgenannten ausländischen Konfliktparteien bestimmt wird. Mit Ausnahme von Vietnam sind die äußeren Konfliktparteien nicht direkt an den Auseinandersetzungen in Kambodscha beteiligt, sondern sie unterstützen jene kambodschanischen Gruppen, die ihren Interessen am nächsten kommen. So stehen die kambodschanischen Konfliktparteien — mit Ausnahme von Norodom Sihanouk — auch (aber nicht nur) für die Ziele der sie unterstützenden ausländischen Konfliktparteien: die RVPK von Heng Samrin für Vietnam und die UdSSR, die Roten Khmer für die Volksrepublik China und die FNLPK von Son Sann für die ASEAN-Staaten und den Westen. Wie Vietnam bzw. China suchen sowohl die Gruppe von Heng Samrin als auch die Roten Khmer eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld, während Son Sann und Norodom Sihanouk die Notwendigkeit eines politischen Kompromisses mit Vietnam betonen, um den Krieg in Kambodscha und die Leiden der Bevölkerung endlich zu beenden. Die von allen Konfliktparteien propagandistisch beschworenen, aber de facto kaum berücksichtigten Interessen des kambodschanischen Volkes dürften vor allem in den Forderungen nach Frieden, persönlicher Freiheit bzw. Schutz vor den Roten Khmer und nach nationaler Unabhängig, keit zum Ausdruck kommen. Bei der großen Mehrheit des Volkes scheint die Angst vor den Roten Khmer nach wie vor größer als die Unzufriedenheit über die vietnamesische Besatzung.
IV. Bisherige Lösungsvorschläge
Abbildung 4
Schaubild: Die Internationalisierung des Kambodscha-Konflikts
Schaubild: Die Internationalisierung des Kambodscha-Konflikts
Weder Vietnam noch die Volksrepublik China haben bisher kompromißfähige Vorschläge zur Lösung des Kambodscha-Konflikts vorgelegt. Während die vietnamesischen Initiativen allesamt auf die Konsolidierung der Regierung Heng Samrin und die vietnamesische Dominierung Kambodschas hinausliefen, zielten die chinesischen Vorschläge letztlich darauf ab, die Roten Khmer wieder an die Macht zu bringen.
Der — zumindest theoretisch — kompromißfähigste Lösungsvorschlag wurde von den ASEAN-Staaten auf ihrer Außenministertagung in Manila vom 17. bis 18. Juni 1981 ausgearbeitet. Unter anderem sah er folgende sechs zentrale Punkte vor:
1. Abzug aller ausländischen Truppen aus Kambodscha unter der Aufsicht der UNO.
2. Entsendung einer UNO-Friedenstruppe nach Kambodscha zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung.
3. Entwaffnung aller Khmer-Gruppierungen sofort nach Abzug aller ausländischen Truppen.
4. Bildung einer kambodschanischen Interimsregierung bis zur Inkraftsetzung des Ergebnisses freier Wahlen in Kambodscha.
5. Abhaltung freier, geheimer Wahlen (unter Beteiligung aller politischen Gruppierungen) zu einer kambodschanischen Nationalversammlung unter Aufsicht der UNO.
6. Garantien der direkten und indirekten Konfliktparteien, daß Kambodscha in Zukunft keine feindliche Politik gegenüber seinen Nachbarn verfolgen wird.
Dieser Lösungsvorschlag der ASEAN-Staaten, der in seinem Kerngehalt identisch war mit der von Prinz Norodom Sihanouk seit Mitte 1979 geforderten Neutralisierung Kambodschas, sah praktisch das militärische und politische Ende der Roten Khmer vor, denn die entwaffneten Guerillas Pol Pots hätten bei wirklich freien Wahlen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Spur einer Chance auf einen Wahlerfolg. Mit dem Ende der Roten Khmer wäre die grundlegende Bedingung für einen Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha erfüllt, wenn die Interessen Vietnams in Kambodscha tatsächlich — wie es vorgibt — rein defensiver Natur (Verteidigung gegen „die chinesische Bedrohung") sind. Darüber hinaus wurden die nationalen Sicherheitsinteressen Vietnams in Punkt sechs der ASEAN-Initiative berücksichtigt.
Die ASEAN-Staaten legten diesen Lösungsvorschlag auf der Internationalen Kambodscha-Konferenz der UNO vor, die vom 13. bis 17. Juli 1981 in New York stattfand. Vietnam und die es unterstützenden Ostblockstaaten verweigerten jedoch ihre Teilnahme, weil sie die Konferenz als eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kampucheas“ (d. h.der VRK) ablehnten. Daraufhin zeigte sich auch die Volksrepublik China wenig kompromißbereit und lehnte auf der Konferenz die Entwaffnung der Roten Khmer, die Bildung einer kambodschanischen Interimsregierung und die Stationierung einer UNO-Friedenstruppe in Kambodscha als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Demokratischen Kampuchea“ (d. h.der Roten Khmer) ab. Da sich die USA überraschenderweise auf die Seite der Volksrepublik China stellten, gelang es den ASEAN-Staaten nicht, ihren von der EG unterstützten 6-Punkte-Vorschlag durchzusetzen. Als Kompromiß einigten sich die Teilnehmer der Kambodscha-Konferenz auf eine Abschlußerklärung, in der zu Verhandlungen über eine „umfassende politische Lösung des Kambodscha-Problems aufgerufen wurde. Den Hauptverhandlungsgegenstand sollten folgende vier Punkte darstellen: 1. Waffenstillstand zwischen allen Konfliktparteien in Kambodscha und Abzug aller ausländischen Truppen aus Kambodscha unter Aufsicht der UNO. 2. . Angemessene Vorkehrungen", die gewährleisten sollen, daß die verschiedenen bewaffneten Gruppierungen in Kambodscha — den Ablauf freier Wahlen nicht be-oder sogar verhindern können, _ während des Wahlvorgangs das Volk weder einschüchtern noch bedrohen können und — das Ergebnis freier Wahlen anerkennen. 3. . Angemessene Maßnahmen", die nach dem Abzug der ausländischen Truppen aus Kambodscha, während der freien Wahlen und bis zur Etablierung einer neuer Regierung die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in Kambodscha gewährleisten. 4. Abhaltung von freien Wahlen unter Aufsicht der UNO, an denen alle Kambodschaner teilnehmen können.
Obwohl die Abschlußerklärung der Internationalen Kambodscha-Konferenz der UNO hinter dem 6-Punkte-Vorschlag der ASEAN zurückblieb, bot sie Vietnam nicht nur genügend Verhandlungsspielraum (. Angemessene Maßnahmen"), sondern berücksichtigte auch die nationalen Sicherheitsinteressen Vietnams, da sie zusätzlich die Neutralisierung Kambodschas mit Hilfe internationaler Garantieerklärungen vorsah. Die Sozialistische Republik Vietnam lehnte das UNO-Verhandlungsangebot jedoch ebenso ab wie alle bisherigen Kambodscha-Resolutionen der UN-Vollversammlung. Rigoros abgelehnt wurde von Vietnam auch der Vorschlag des rumänischen Staatspräsidenten Ceaucescu vom Herbst 1982, eine Koalitionsregierung der nationalen Aussöhnung zwischen allen politischen Gruppierungen Kambodschas zu bilden. Auch die Roten Khmer wiesen den Vorschlag einer Viererkoalition unter Einschluß der Gruppe um Heng Samrin zurück — ein Indiz für ihren nach wie vor bestehenden absoluten Herrschaftsanspruch.
V. Bedingungen und Perspektiven für eine dauerhafte Konfliktlösung
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts ist es immer dann zu schweren Konflikten in und um Kambodscha gekommen, wenn die politische Führung des Landes ein einseitiges außenpolitisches Bündnis einging oder wenn die kambodschanische Elite in antagonistische Fraktionen zerfiel, die ihre Rivalität um die politische Macht mit Hilfe ausländischer Mächte ausfochten. Eine dauerhafte Lösung des Konflikts kann daher nur durch eine strikte Neutralisierung des Landes mit internationalen Garantien und durch eine Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite erreicht werden.
Abgesehen davon, daß eine Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite aufgrund der Greueltaten der Roten Khmer kaum denkbar erscheint (es sei denn, die Roten Khmer entledigen sich — wie die KP Chinas im Oktober 1976 — in einer Art Selbstreinigungsprozeß ihrer ärgsten Führer), lehnen die vietnamesischen Kommunisten eine Neutralisierung Kambodschas strikt ab 12), weil sie vom letztendlichen Erfolg ihrer Kambodscha-Politik überzeugt sind. Doch selbst wenn es kurzfristig durchaus möglich erscheint, daß Vietnam seine Position in Kambodscha konsolidiert, ist es kaum vorstellbar, daß Vietnam langfristig in der Lage ist, mit China und Thailand in einem kriegs-ähnlichen Zustand zu leben. Zumindest China scheint fest entschlossen, den verdeckten Vierfrontenkrieg gegen Vietnam an der chinesisch-vietnamesischen Grenze sowie in Kambodscha, Laos und in Südvietnam solange fortzusetzen, bis Vietnam Kompromißbereitschaft in der Kambodscha-Frage zeigt. Dies kann Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern, denn die Volksrepublik China dürfte sich niemals mit einer wie auch immer gearteten vietnamesischen Kontrolle von Kambodscha abfinden.
Angesichts der durchaus realen Aussicht eines permanenten Konflikts in und um Kambodscha erscheint eine dauerhafte Konfliktlösung nur möglich als Kompromiß durch Zugeständnisse von allen Seiten. Hierfür müßten sowohl Vietnam als auch die Volksrepublik China von ihren Maximalzielen abgehen. Anhand der Minimalziele der Konfliktparteien lassen sich drei grundlegende Bedingungen für eine Kompromißlösung herausarbeiten: 1. Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha (vietnamesisches Zugeständnis). 2. Neutralisierung Kambodschas mit entsprechenden Garantieerklärungen aller unmittelbar und mittelbar an dem Kambodscha-Konflikt beteiligten Parteien (chinesisches und vietnamesisches Zugeständnis).
3. Ergreifung von Maßnahmen, die eine erneute Machtergreifung der Roten Khmer verhindern (chinesisches Zugeständnis). Gegenwärtig lehnt Vietnam sowohl einen Truppenabzug als auch eine Neutralisierung von Kambodscha ab. Während die Volksrepublik China einer Neutralisierung zustimmen würde, weist sie ein Fallenlassen der Roten Khmer strikt zurück. Einer Neutralisierung Kambodschas und dem politischen Ende der Roten Khmer würden jedoch die ASEAN-Staaten und viele andere westliche Länder zustimmen, wenn Vietnam seinerseits bereit wäre, seine Truppen aus Kambodscha abzuziehen. Bei allen denkbaren Kompromißmöglichkeiten zur Lösung des Kambodscha-Konflikts ist die vietnamesische Haltung der Dreh-und Angelpunkt. Wenn Vietnam erkennt, daß es seine Maximalziele nicht erreichen kann, und als Folge dieser Erkenntnis zu einem Kompromiß bereit sein sollte, muß es als Verursacher des gegenwärtigen Konflikts mit Zugeständnissen den Anfang machen. Ob die gegenwärtige vietnamesische Führung hierzu in der Lage ist, muß ernsthaft in Zweifel gezogen werden: Erstens ist sie sieggewohnt und deshalb vom letztendlichen Erfolg ihrer Kambodscha-Politik überzeugt, zweitens denkt und handelt sie vornehmlich militärisch, und drittens muß sie bei einem Abzug aus Kambodscha die Kritik jener internen Kräfte fürchten, die die Besetzung Kambodschas von Beginn an für einen Fehler gehalten haben.
So stehen die Chancen für eine dauerhafte Lösung des Kambodscha-Konflikts nach wie vor ausgesprochen schlecht. Nichtsdestotrotz könnten die ASEAN-Staaten ihren auf der Manila-Konferenz im Juni 1981 erarbeiteten Lösungsvorschlag wiederbeleben und erneut als Gegenstand von Verhandlungen in die Kambodscha-Debatte einbringen. Dieser Vorschlag stellt in der Tat „eine ausgezeichnete Grundlage" für eine umfassende politische Lösung des Konflikts in und um Kambodscha dar, da er u. a. auch die nationalen Sicherheitsinteressen Vietnams voll berücksichtigt. Seine Revitalisierung würde sowohl Vietnam als auch China in Zugzwang setzen und zumindest erneut deutlich machen, wer die Permanenz des Kambodscha-Konflikts zu verantworten hat.
Peter Schier, geb. 1950; seit 1977 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde Hamburg mit den Forschungsschwerpunkten Kambodscha und Innenpolitik der VR China; Studium der Sinologie, Publizistik, Soziologie und Philosophie in Münster, Berlin und Peking. Veröffentlichungen: (zusammen mit M. Schier-Oum) Prince Sihanouk on Cambodia, Hamburg 1980; (zusammen mit W. Draguhn u. a.) Indochina: Der permanente Konflikt?, Hamburg 1981; daneben weitere Veröffentlichungen über die innenpolitische Entwicklung Chinas sowie über die Gegenwartsgeschichte Kambodschas.
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