I. Korea als Opfer der Imperialismen
Obwohl das Jahr 1983 unter anderem auch den hundersten Jahrestag der Aufnahme der Beziehungen zwischen dem Kaiserreich Deutschland und dem Königreich von Korea (1883) brachte, mag es dennoch an der europa-zentrischen Perspektivenverengung in der Geschichtsbetrachtung mancher westlicher Länder liegen, daß die Geschichte und Kultur dieses bedeutsamen Landes und Volkes bei uns weniger bekannt sind, als es ihrer wirklichen Bedeutsamkeit entspricht Mit schuld daran ist vielleicht die Tatsache, daß die koreanische Kultur trotz bedeutsamer bodenständiger Leistungen und ihrer zeitweilig auch nach außen ausgeübten Kulturträgerfunktion im Blickwinkel europäischer Betrachter zu sehr in den Schatten der benachbarten Giganten China und Japan geraten ist Das heute systemisch und regional geteilte Korea wurde bereits früh unter der Herrschaft des Königreiches Silla (668-935 n. Chr.) erstmals geeinigt. Eine damals beginnende Blütezeit des Mahayana-Buddhismus setzt sich zwar in der Herrschaftsära des nachfolgenden Königreiches Koryo (935-1392 n. Chr.) fort, doch intensivierten sich gleichzeitig die aus dem benachbarten China einströmenden Einflüsse des konfuzianischen Kulturkreises. Bereits in dieser Ära übernimmt Korea von China das konfuzianische Staatsprüfungssystem als Mittel zur Auswahl der staatstragenden Bürokratie. Mongoleninvasionen des 13. Jahrhunderts tragen zum Niedergang der Koryo-Dynastie bei. Ihr folgt die 518 Jahre lang das vereinte Korea regierende Yi-Dynastie, deren Ära 1392 beginnt und erst 1910 mit der Annektierung Koreas durch Japan endet. Die in dieser Zeit prädominant werdende Staats-und Gesellschaftsdoktrin ist der von China rezipierte Neo-Konfuzianismus in seiner vom chinesischen Philosophen Chu Hsi geprägten dogmatisch-scholastischen Form. Koreas damaliges Herrschaftssystem orientierte sich in vielfacher Hinsicht am Modell des konfuzianischen China. Anders als in China stand der Zugang zur staatstragenden Bürokratie fast nur Mitgliedern des landbesitzenden Adels (Yangban-Klasse) offen. In Abwesenheit einer positiven Rechtsordnung fungierten die Normen der neo-konfuzianischen Staatsphilosophie und Staatsethik ebenso wie auch die Traditionen des Gewohnheitsrechts als normatives Rahmengerüst des öffentlichen Lebens. Der Mangel an Rechtssicherheit wie auch der gleichsam „cäsaro-papistische" Anspruch der dynastischen Staatsführung, als oberste Quelle aller Souveränität, Macht und Ethik zu gelten, begünstigte immer wieder die Willkür dynastischer und staatsbürokratischer Machtträger. Deren Palastintrigen und meist erbarmungslos geführte Sippenfehden beherrschten weite Bereiche der koreanischen Innenpolitik Die koreanische Kultur entwickelte im 15. Jahrhundert nicht nur eine eigene, phonetische koreanische Schriftsprache (Hangul), sondern auch ein erstes Druckverfahren mit beweglichen Drucktypen. Im Bereich seiner Außenpolitik war Korea durch ein lockeres Tribut-verhältnis mit dem benachbarten Kaiserreich China verbunden.
Ähnlich wie China vor dem Opiumkrieg oder wie Japan vor der friedlichen Öffnung seines Landes in der Mitte des vorigen Jahrhunderts verschloß sich auch Korea im 19. Jahrhundert zunächst durch eine rigoros gehandhabte Isolationspolitik gegenüber allen Versuchen zu Kontaktnahmen seitens der Industriemächte. Erst 1876 konnte Japan als erste auswärtige Macht Korea zur Aufnahme von bilateralen Kontakten und zum Abschluß eines Vertrages veranlassen, in dem die Japaner Korea ausdrücklich als „unabhängigen" Staat mit „den gleichen souveränen Rechten wie Japan“ anerkannten. Mit dieser Formulierung wollte die japanische Diplomatie der latent vorhandenen Oberhoheit Chinas über Korea entgegenwirken. Zwischen 1882 und 1886 konnten dann auch die USA, Großbritannien, Deutschland, Rußland, Italien und Frankreich Verträge mit Korea schließen. Als Folge sich ver-mehrender Fremdkontakte kristallisierten sich im Zentrum der koreanischen Politik dieser Zeit zwei größere Gruppierungen heraus. Die eine erstrebte die Modernisierung des Landes nach japanischem Modell und befürwortete dementsprechend erweiterte Kontakte mit Japan, während die andere Partei als eher prochinesisch galt und den Modernisierungsversuchen ablehnend gegenüberstand. Japanische und chinesische Interventionen in Korea führten zu einem Spannungsverhältnis zwischen Tokio und Peking, das sich zum japanisch-chinesischen Krieg von 1894 bis 1895 hinaufeskalierte. In diesem Krieg um die Einflußsphären beider Mächte in Korea, der primär auf koreanischem Boden ausgetragen wurde, fügten die Japaner den Chinesen eine vernichtende Niederlage zu. Am Ende dieses Krieges stand der Vertrag von Shimonoseki (1895), in dem China zum Verzicht auf jegliche Form von Oberhoheit über Korea gezwungen wurde. Diesen Krieg zur Sicherung seines Einflusses in Korea hatte Japan jedoch auch unter dem Aspekt geführt, daß die Russen als Antwort auf die Eröffnung des Suez-Kanals mit dem Bau der sogenannten trans-sibirischen Eisenbahn begonnen hatten, die das europäische Rußland mit dessen 20 Jahre zuvor auf Kosten Chinas erworbenen Besitzungen am Pazifischen Ozean, insbesondere mit dem Kriegs-und Handelshafen Wladiwostok, verbinden sollte.
Auch dem russisch-japanischen Krieg 1904/05 waren unlösbare, schwere Differenzen hinsichtlich der Abgrenzung der Einflußsphären beider Länder in Korea vorangegangen. Geschützt durch seinen Sieg über Rußland und den Friedensvertrag von Portsmouth 1905, gedeckt durch sein Bündnis mit Großbritannien und abgesichert durch eine geheime Absprache mit den Vereinigten Staaten (Taft-Katsura-Abkommen vom Juli 1905) konnte die japanische Regierung nun daran gehen, die Annektierung Koreas systematisch vorzubereiten und im August 1910 zu vollziehen 35 Jahre lang, von 1910 bis 1945, fand sich Korea unter einer mit größter Härte praktizierten japanischen Kolonialherrschaft, die in den Sphären der Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft eine totale Japanisierung des koreanischen Lebensstils zu erzwingen suchte. Eine gewaltige, von Wilsons Ideen der nationalen Selbstbestimmung inspirierte anti-japanische Protestbewegung konnte 1919 von der japanischen Kolonialherrschaft unterdrückt werden. Koreanische Exilregierungen entstanden anschließend unter Dr. Syngman Rhee in den USA sowie unter Kim Koo in China. Es gelang ihnen jedoch selbst nach Ausbruch des Krieges mit Japan (1941-1945) nicht, von den führenden Mächten der Anti-Achsenkoalition diplomatisch anerkannt zu werden Im Norden operierten in den an Korea angrenzenden mandschurischen Gebieten national-kommunistische Partisanen-einheiten der Koreaner unter dem Kommando des späteren nordkoreanischen Staats-präsidenten Kim II Sung Als Folge dieser Situation verfügte die koreanische Nation über keine international anerkannte Vertretung, als Japan im August 1945 kapitulierte und damit auch die japanische Herrschaft in Korea zusammenbrach.
II. Entstehung und Zementierung einer „provisorischen“ Teilung
Auf der alliierten Gipfelkonferenz von Kairo vom November 1943 einigten sich Roosevelt, Churchill und Chiang Kai-chek darauf, daß Japan alle Gebiete verlieren solle, die es durch Aggression und Expansion an sich gebracht habe. Was Korea betrifft, so lautete der eine entscheidende Satz der Dreimächteerklärung von Kairo vom 1. Dezember 1943: „The aforesaid three great powers, mindful of the enslavement of the people of Korea, are determined that, in due course, Korea shall become free and independent. Diese Formulierung, daß Korea nur „innerhalb eines angemessenen Zeitraumes" frei und unabhängig werden solle, ging auf die Vorstellung des Präsidenten Roosevelt zurück, daß vormalige Kolonialstaaten wie Korea oder Indochina zunächst durch eine vorübergehende Treuhandschaftsregierung der alliierten Mächte in die
Lage versetzt werden müßten, sich anschließend selbst zu regieren. Roosevelt, der über keinerlei Kenntnisse der koreanischen oder vietnamesischen Geschichte verfügte, entwickelte diese merkwürdige Idee anhand des Modells der Beziehungen zwischen den USA und den Philippinen. Die Teilung Koreas in eine nördliche sowjetische und eine südliche amerikanische Besatzungszone mit dem 38. Breitengrad als Trennungslinie ging auf einen amerikanischen Plan zurück, an dessen Ausarbeitung der spätere US-Außenminister Dean Rusk beteiligt war. Er beruhte einerseits auf der Prämisse, daß es schwer sein würde, die Sowjets gänzlich aus Korea herauszuhalten, und andererseits darauf, daß die Wahl des 38. Breitengrades als Trennlinie zwischen den Besatzungszonen dafür sorgen würde, daß Koreas alte Hauptstadt Seoul im amerikanischen Zonenbereich liege
Roosevelts Nachfolger, Präsident Truman, übernahm zunächst die auf Roosevelt zurückgehende Treuhandschaftsidee. In einer Botschaft des Präsidenten vom 18. September 1945, die sich auf die Befreiung Koreas bezog, heißt es unter anderem: „Zur Zeit hat der Aufbau einer großen Nation mit der Hilfe der Vereinigten Staaten, Chinas, Großbritanniens und der Sowjetunion begonnen, die darin übereinstimmten, daß Korea frei und unabhängig werden soll. Die Übernahme der Verantwortung und der Funktionen einer freien und unabhängigen Nation und die Beseitigung aller Reste japanischer Kontrolle über das wirtschaftliche und politische Leben in Korea durch die Koreaner selbst wird notwendigerweise Zeit und Geduld erfordern. Das Ziel ist zwar in Sicht, aber seine rasche Verwirklichung wird gemeinsame Anstrengungen des koreanischen Volkes und der Alliierten erfordern."
Eine Konferenz der Außenminister der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritanniens beschloß im Dezember 1945 die Bildung einer „Gemeinsamen Kommission" in Korea, die aus Vertretern der amerikanischen und der sowjetischen Besatzungsbehörde in Süd-und Nordkorea zusammengesetzt sein sollte. Ohne jede inhaltliche Begriffsbestimmung des auch damals bereits extrem unterschiedlich gedeuteten Begriffs der Demokratie heißt es im Beschluß der genannten Außenministerkonferenz, diese Gemeinsame Kommission solle mit „demokratischen Parteien und sozialen Organisationen“ in Korea Kontakte aufnehmen, um hierdurch die Bildung einer „provisorischen koreanischen Regierung" zu fördern. Die gemeinsame Kommission der Alliierten und die erwartete provisorische koreanische Regierung sollten dann gemeinsam Vorschläge für ein Viermächtetreuhandschaftssystem in Korea ausarbeiten, an dem auf Seiten der Alliierten nicht nur die USA und die UdSSR, sondern auch China und Großbritannien beteiligt sein sollten
Die Bekanntgabe des Beschlusses zu einer bevormundenden Treuhandschaftsregierung der Großmächte über das befreite Korea rief bei der Bevölkerung dieses alten Kulturvolkes einen Sturm der Entrüstung hervor. Doch verhinderten die sich zum Kalten Krieg hin entwickelnden spannungsreichen Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR die Entfaltung irgendeiner konstruktiven Tätigkeit seitens der „Gemeinsamen Kommission", so daß der gesamte Treuhandschaftsplan bereits in der allerfrühesten Phase versuchter Verwirklichung steckenblieb Jede der beiden Groß-mächte erstrebte die Förderung und Bildung einer ihr freundlich gegenüberstehenden gesamtkoreanischen Regierung, wobei beide Mächte am Widerstand der jeweils anderen Seite scheiterten. So entstand 1947 eine unlösbare Situation.
Der Antagonismus der Weltmächte verhinderte die politische Emanzipation einer befreiten Nation. Durch diese Lage frustriert, beschloß die amerikanische Regierung, das Koreaproblem im Herbst 1947 der Weltorganisation der Vereinten Nationen vorzulegen.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen billigte daraufhin am 14. November 1947 folgenden Antrag der USA:
Erstens: Die Bildung einer internationalen UNO-Kommission für Korea.
Zweitens: Die Abhaltung freier Wahlen für eine gesamtkoreanische Nationalversammlung unter der Aufsicht dieser Kommission in beiden Teilen Koreas.
Drittens: Eine Verteilung der Mandate entsprechend der wirklichen Bevölkerungszahl, so daß hierdurch die Vertreter des Südens (wo sich zwei Drittel der koreanischen Bevölkerung befinden) zwei Drittel der Mitglieder der verfassunggebenden Nationalversammlung gestellt hätten.
Viertens: Nach Durchführung dieser Wahlen (nicht später als 31. März 1948) sollte die neue gesamtkoreanische Nationalregierung mit den beiden Besatzungsmächten über den Rückzug ihrer Streitkräfte in einem Zeitraum von etwa 90 Tagen verhandeln
Zwar entstand die in der UNO-Resolution vorgesehene internationale UN-Kommission, doch wurde ihr von der sowjetischen Besatzungsmacht die Einreise nach Nordkorea und damit eine Tätigkeit im gesamtkoreanischen Sinne verweigert. Angesichts dieser neuerlichen Schwierigkeit nahm die Generalversammlung der UNO im Februar 1948 eine Resolution an, die die Abhaltung von Wahlen und die Bildung einer koreanischen Regierung zumindest in Südkorea verlangte. Aus den allgemeinen Wahlen vom Mai 1948 ging eine Nationalversammlung hervor, die im Juli des gleichen Jahres eine Verfassung verabschiedete. Im gleichen Monat wurde Syngman Rhee zum Präsidenten der Republik Korea gewählt Im August 1948 verkündete Nordkorea, es hätten in ganz Korea allgemeine Wahlen — in Südkorea jedoch nur geheime — stattgefunden, um 572 Abgeordnete für eine in Pyöngyang, der Hautstadt NordKoreas, zusammenzutretende Oberste Volksversammlung zu wählen Diese Volksversammlung verabschiedete am 3. September eine koreanische Verfassung und ernannte Kim II Sung als Ministerpräsident der so entstandenen neuen koreanischen Regierung in Nordkorea. Die Sowjetunion und andere Ostblockstaaten erteilten Pyöngyang und die Vereinigten Staaten und andere westliche Staaten Seoul die diplomatische Anerkennung. Die Teilung Koreas hatte somit auch instutionelle, diplomatische und völkerrechtliche Dimensionen von weitreichender Bedeutung angenommen.
Unter dem Schutz und mit der Förderung der sowjetischen Besatzungsmacht war in Nordkorea das erste volksdemokratische System Ostasiens entstanden. Dieses wurde macht-mäßig von einer Einheitsfront getragen, in der die aus mehreren Fraktionen bestehenden koreanischen Kommunisten die Führung innehatten. Diese Fraktionen schlossen sich am 24. Juni 1949 zur Koreanischen Arbeiterpartei (Choson Nodong Tang) zusammen. Der von den Sowjets favorisierte, damals jugendliche (Jahrgang 1912) Führer koreanischer Partisanenverbände in der Mandschurei, Kim II Sung (ursprünglich Kim Sung Chu), wurde nun auch Vorsitzender dieser neuen Partei. Das neue Regime verstaatlichte die Industrien, bewirkte eine umfassende Landumverteilung zugunsten der armen Bauern und betrieb einen von oben gelenkten Klassenkampf zur Bekämpfung aktueller und potentieller Regimegegner
In Südkorea war der Form nach ein parlamentarisch-demokratisches Regierungssystem entstanden. Doch der erste Präsident dieser südlichen Republik Korea, Dr. Syngman Rhee (Jahrgang 1875), der mehr als 25 Jahre lang in den USA eine offiziell nicht anerkannte koreanische Exilregierung geleitet hatte, benützte die Wirren und Nöte des Koreakrieges, um diesem Regime ein dann auch in Friedenszeiten erhalten gebliebenes autoritäres Gepräge zu geben
Nach der Entstehung zweier systemisch und ideologisch entgegengesetzter Herrschaftsordnungen in Nord-und Südkorea zogen sich Ende 1948 zunächst die sowjetischen Besatzungstruppen und dann Mitte 1949 die amerikanischen Streitkräfte aus Korea zurück. So standen sich die beiden Teilstaaten Koreas ohne Intervention seitens einer dritten Macht in einer Situation feindlicher Koexistenz direkt gegenüber.
III. Bürgerkrieg und Krieg in Korea
Um die koreanische Politik der Jahrzehnte seit 1950 zu verstehen, muß das gesamtnatio1) nale Trauma, das der Koreakrieg von 1950 bis 1953 für das geteilte Land mit sich brachte, mitbedacht werden. Dem Kriegsausbruch vorangegangen waren drei Ereignisse von weltpolitischer Tragweite:
Erstens: in China der Zusammenbruch der mit den USA befreundeten Nationalchinesi-* sehen Regierung, die militärische Machtergreifung der Maoisten und die Proklamation der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949; zweitens: die Entstehung des Bündnisvertrages zwischen Moskau und Peking (Stalin-Mao-Pakt) vom 14. Februar 1950;
drittens: die Proklamation einer neuen außen-politischen Doktrin der USA für Ostasien durch Außenminister Acheson im Januar 1950, die besagte, der Schutzbereich der USA im ostasiatisch-pazifischen Raum beschränke sich zukünftig auf eine Inselkette, die sich beginnend mit Japan, den Ryukyu Inseln und den Philippinen bis nach Australien und Neuseeland erstrecke. Westlich davon und insbesondere auf dem ostasiatischen Kontinent sei es den USA nicht möglich, Schutzgarantien zu übernehmen Dies bedeutete die Ausklammerung Koreas, Taiwans und Indochinas aus dem Schutzbereich der USA.
Hinsichtlich der Entstehung des Koreakrieges gibt es äußerst unterschiedliche Interpretationen. Nordkorea stellt den Krieg als Ergebnis eines geheimen Komplotts dar, demzufolge die US-Regierung das südkoreanische Syngman Rhee-Regime dazu veranlaßt habe, Nordkorea trotz dessen militärischer Überlegenheit anzugreifen, um den USA damit einen Vorwand zu einer neuen expansiven Ostasienpolitik zu liefern Die amerikanische Regierung, die Vereinten Nationen und eine Mehrheit westlicher Historiker sahen den Kriegsbeginn im Lichte einer geglückten nordkoreanischen Überraschungsoffensive. Die damalige amerikanische Regierung vermutete hinter dieser Offensive eine konzertierte Expansionspolitik des sowjetisch-chinesischen Paktsystems. Dem amerikanischen Eingreifen lag die Ansicht zugrunde, man müsse diesem Expansionsfall exemplarisch entgegentreten, da es sonst künftig zu einer Häufung von Expansionsfällen ähnlicher Art kommen werde (Domino-Theorie)
Eine andere Version bieten die Chruschtschow-Memoiren. Hier heißt es, Kim II Sung habe Stalin kurz nach Maos Sieg über Chiang . Kai-chek Ende 1949 dargelegt, daß Nordkorea zum Zweck der Wiedervereini -gung des geteilten Landes eine Offensive ge-gen Südkorea plane. Habe diese begonnen, so werde es in ganz Südkorea zu massiven Aufständen koreanischer Kommunisten und ihrer Sympathisanten kommen. Trotz anfänglicher Bedenken wegen möglicher amerikanischer Reaktionen habe zuerst Stalin und dann auch Mao dem Plan Kim II Sungs zugestimmt. Alle seien schließlich von der Annahme ausgegangen, die Amerikaner (die ja in China auch nicht zur Rettung Chiang Kai-cheks eingegriffen hatten), würden nicht intervenieren, wenn es in Korea zu einem innerkoreanischen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd um die Wiedervereinigung des Landes komme. So habe Nordkorea, wie geplant, mit der Offensive begonnen. Jedoch, so schildert Chruschtschow weiter, seien zwei Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen. Die von Pyöngyang erwarteten massiven Aufstände kommunistischer Partisanen in Südkorea hätten nicht stattgefunden und die Amerikaner hätten wider Erwarten in den Krieg eingegriffen
Der Krieg begann in den Morgenstunden des 25. Juni 1950. Die von den USA weder mit Panzerwagen noch mit Kampfflugzeugen, panzerbrechenden Waffen oder hinreichender Artillerie ausgerüsteten südkoreanischen Streitkräfte wurden ab Beginn der Kampfhandlungen von den mit bestem sowjetischen Waffenmaterial ausgerüsteten nordkoreanischen Einheiten vernichtend geschlagen. Bereits vier Tage nach Kriegsbeginn eroberten die Nordkoreaner die südkoreanische Hauptstadt Seoul. Einen Tag zuvor hatte US-Präsident Harry S. Truman angesichts des Krieges und der Lagebeurteilung seiner Regierung die nur sechs Monate zuvor verkündete Acheson-Doktrin durch drei Beschlüsse von weltgeschichtlicher Tragweite über den Haufen geworfen: erstens durch den Beschluß zum militärischen Eingreifen in Südkorea; zweitens durch die militärische Abschirmung Taiwans gegenüber Peking mit Hilfe der 7. US-Flotte; drittens durch die Unterstützung des französischen Krieges gegen die nationalkommunistischen Viet Minh in Indochina Am 15. August 1950 verlegten die Nordkoreaner Hauptstadt ins südkoreanische Seoul (jahrhundertelang die Hauptstadt ganz Koreas), während ihre Streitkräfte die äußerste Südspitze Koreas erreichten, wo den Südkoreanern und Amerikanern auf koreanischem Boden nur noch ein kleiner Brückenkopf rund um die Hafenstadt von Pusan verblieben war. * Eine erste Wende im Krieg brachte die mit der Landung in Inchon am 15. September 1950 beginnende Gegenoffensive der Amerikaner. Nach vergeblich gebliebenen Aufforderungen zum Waffenstillstand und zur Wiederherstellung des Status quo ante hatte der UN-Sicherheitsrat am 27. Juni die Mitglieder der Welt-organisation zum Widerstand gegen den nordkoreanischen Angriff aufgefordert und den amerikanischen Oberbefehlshaber im Fernen Osten, General MacArthur, zum Oberkommandierenden der UNO-Streitkräfte in Korea ernannt. Bereits am 26. November vermochten die Amerikaner und Südkoreaner Seoul zurückzuerobern. Am 7. Oktober 1950 forderte die UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit die Wiederherstellung von Stabilität in ganz Korea. Somit machte auch die UNO die Wiedervereinigung Koreas zum Ziel ihrer militärischen Operationen. Am 19. Oktober 1950 eroberten UN-Streitkräfte Nordkoreas Hauptstadt Pyöngyang. Einen Monat danach befand sich fast ganz Nordkorea in den Händen der Amerikaner und der anderen UN-Verbände. Damit waren die Grenzen Chinas am Yalu-Fluß erreicht. Nach vergeblich gebliebenen Warnungen, sich nicht den Grenzen Chinas zu nähern, eröffneten „Freiwilligenarmeen" der Volksrepublik China Ende November 1950 eine gewaltige Offensive, die am 4. Dezember zur Rückeroberung von Pyöngyang und am 4. Januar 1951 zur dritten Eroberung von Seoul führte. Mit großer Mühe gelang den UN-Verbänden im März 1951 eine vierte Eroberung von Seoul. Unter dem mehrfach hin. und herwogenden Kampf hatte vor allem auch die Bevölkerung Koreas enorm zu leiden
Nach langen und schwierigen Präliminarien begannen in Korea schließlich am 10. Juli 1951 Waffenstillstandsverhandlungen, die, von Kämpfen begleitet, drei Jahre lang dauerten und zu einem am 27. Juli 1953 unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen führten, das den Status quo im wesentlichen entlang des 38. Breitengrades wiederherstellte, einen Gefangenenaustausch bewirkte und bis heute die rechtliche Basis für die Erhaltung des Friedens in Korea darstellt Insgesamt verloren bis zu 3 Millionen Menschen ihr Leben. Viele Städte in Korea — insbesondere die von den Amerikanern in Nordkorea bombardierten Städte und Industriegebiete — waren auf das schwerste zerstört.
IV. Probleme des Aufbaus und der Demokratie
Die folgenden beiden Jahrzehnte bis hin zum Beginn der siebziger Jahre waren auf beiden Seiten des geteilten Korea dem Wiederaufbau von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gewidmet. Insbesondere in der Anfangsphase wurden beide koreanischen Systeme nachhaltig von ihren jeweiligen Verbündeten unterstützt. So sah ein amerikanisch-südkoreanisches Abkommen vom 17. November 1954 allein für das Fiskaljahr 1955 amerikanische Wirtschaftshilfe in Höhe von 700 Millionen US-Dollar vor. Im Zeitraum zwischen 1957 und 1972 erhielt Südkorea Auslandshilfe im Gesamtwert von 2, 56 Milliarden US-Dollar. Die Jahresbeträge gingen dabei von einem Spitzenbetrag von 382, 9 Millionen US-Dollar 1957 bis 1969 auf einen durchschnittlichen Jahresbetrag von etwa 100 Millionen US-Dollar zurück. Im Zeitraum zwischen 1962 und 1966 fungierte die Bundesrepublik Deutschland nach den USA und vor Japan an zweiter Stelle unter den westlichen Ländern, die Südkorea Kapitalhilfe gewährten. Dies änderte sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aus zwei Gründen. Einerseits kam es nicht zuletzt auch aufgrund amerikanischen Drängens 1965 zu einem Normalisierungsvertrag zwischen Japan und Südkorea, der unter an-derem auch den Beginn ständig wachsender japanisch-südkoreanischer Wirtschaftsbeziehungen bewirkte. Andererseits führten politische Spannungen zwischen Bonn und Seoul zu einer politisch bedingten Reduzierung der deutsch-südkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen, die erst ab 1971 wieder normalisiert werden konnten Im Falle Nordkoreas stand die Sowjetunion an erster, die Volksre-publik China an zweiter und die DDR an dritter Stelle der Staaten des Rates für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Nordkorea im Zeitraum zwischen 1945 und 1970 unentgeltliche Wirtschaftshilfe in einem Gesamtwert von 1, 5 Milliarden US-Dollar gewährten.
Die DDR übernahm zum Beispiel die Aufgabe, mit Nordkorea gemeinsam die vom Krieg zerstörte größte Industriestadt des Landes, Hamhung, wiederaufzubauen
Die größte Last und Leistung beim Wiederaufbau lag in beiden koreanischen Landesteilen auf den Schultern der Bevölkerung, wenngleich auch im Rahmen fast diametral entgegengesetzt konzipierter Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen. In Südkorea wurde der immer autoritärer herrschende Präsident Syngman Rhee durch eine blutige Studenten-revolte im April 1960 gestürzt, der weite Teile der koreanischen Streitkräfte und auch die US-Regierung nicht ohne ein gewisses Wohl-wollen gegenüberstanden. Nach Rhees Sturz folgte im Juni 1960 eine Verfassungsreform, die die bisherige starke Position des Präsidenten erheblich schwächte und zu einer ganz beträchtlichen Stärkung der Rolle des Parlaments im politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß führte. Jedoch der wohlmeinende, wenn auch weiche neue Ministerpräsident John M. Chang, der weder über Charisma noch über praktische Führungsqualitäten verfügte, und das in viele Gruppen zersplitterte Parlament vermochten nicht ein wirklich effektives und von der Öffentlichkeit positiv beurteiltes Regierungssystem zuwege zu bringen.
Das neue Regime wurde bereits im Mai 1961 durch einen Militärputsch gestürzt. Zur führenden Persönlichkeit aus der Reihe der für den Putsch verantwortlichen Militärpolitiker kristallisierte sich General Park Chung Hee heraus. Park vertrat die Ansicht, für Entwicklungsländer vom Typ Koreas eigne sich die volle Übernahme westlicher Demokratiemodelle nicht. Von den USA jedoch politisch unter Druck gesetzt, sah sich die Militärregierung bald zu einer partiellen Rückkehr zu demokratischen Verfahrensformen genötigt. Es gelang Park, sich im Oktober 1963 mit knapper Stimmenmehrheit zum Präsidenten der „Dritten Republik Korea" wählen zu lassen Eine von seiner Regierung insgeheim ausgearbeitete neue Verfassung wurde in einem Referendum vom 17. Oktober 1969 mit 65, 1 Prozent der abgegebenen und gültigen Stimmen angenommen. Trotz des autoritätsorientierten Charakters des neuen Regierungssystems gelang es dem später international bekannt gewordenen Oppositionspolltiker Kim Dae Chung, bei den Präsidenten-wahlen vom April 1971 46 Prozent der Stimmen zu erhalten, während die Oppositionspartei der Neuen Demokraten 44 Prozent der Stimmen und mehr als ein Drittel der Mandate der Nationalversammlung erhielt. Nachdem Park Chung Hee am 16. Oktober 1972 in Südkorea das Kriegsrecht proklamiert und die Nationalversammlung aufgelöst hatte, legte er der Bevölkerung im November 1972 wiederum eine neue Verfassung, die soge-nannte Yushin-Verfassung („Verfassung der Sozio-Politischen Erneuerung"), vor, die durch ein Referendum angenommen wurde. Park Chung Hee rechtfertigte die dadurch bewirkte neue Machterweiterung der Exekutive mit dem Hinweis, daß die sich wandelnden Machtkonstellationen in Ostasien die Lage Südkoreas gefahrvoller gemacht und eine stärkere Konzentration der Staatsgewalt gefordert hätten. Die sich abzeichnende Niederlage der USA in Vietnam, die angekündigte Reduzierung der Militärpräsenz der USA in Korea, die Annäherung zwischen Washington und Peking sowie die Aufnahme des Pialogs zwischen den beiden koreanischen Teilstaaten im Jahr 1972 waren Faktoren, die in diesem Kalkül Park Chung Hees ebenso eine Rolle spielten wie auch die erwähnte Demonstration relativer Stärke seitens der Oppositionsparteien im Vorjahr
V. Nordkoreas Kommunismus-Variante
Trotz der während des Koreakrieges aus der Sowjetunion und aus der VR China benötigten Unterstützung zur Verteidigung und Unterhaltung seines Regimes vermochte es Kim II Sung, den Koreakrieg innenpolitisch zur Reduzierung des Einflusses der pro-sowjetischen, der pro-chinesischen und der aus Südkorea hervorgegangenen Fraktionen seiner Partei und damit zur Stärkung seiner eigenen Position und Fraktion auszunutzen. Ein Versuch von Resten dieser Fraktionen, auch nach der Entfernung ihrer maßgeblichen Führer die Destalinisierungs-Kampagne Chruschtschows vom Jahre 1956 zu einer politischen Revolte gegen Kim II Sung zu benützen, scheiterte, obwohl Moskau durch den sowjetischen Vizepremier Mikojan und Peking durch Marschall Peng Te-huai in Pyönjyang auf Kim II Sung Druck auszuüben versuchten. Es gelang Kim II Sung, aus diesem sogenannten August-Zwischenfall als eindeutiger Sieger hervorzugehen. Seit dieser Zeit ist es ihm und seiner nationalkommunistischen Kapsan-Gruppe vormaliger Partisanen im mandschurisch-koreanischen Grenzgebiet gelungen, die Führung des Partei-und Staatsapparates vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen und bis zur Gegenwart ohne wirklich nennenswerte Herausforderungen zu behalten. Erst 1958 zogen sich die letzten chinesischen Freiwilligenverbände aus Korea zurück.
Als kleiner kommunistischer Staat, mit dem sich verschärfenden Konflikt der beiden kommunistischen Großmächte Rußland und China an seinen Grenzen konfrontiert, bemühte sich Nordkorea mit großem Erfolg um eine flexible Gleichgewichtspolitik zwischen Moskau und Peking. Diese fand einen Höhepunkt, als es Kim II Sung im Juli 1961 gelang, sowohl mit der Sowjetunion am 6. Juli 1961 als auch mit der Volksrepublik China am 11. Juli 1961 Freundschafts-, Kooperationsund Beistandsverträge zu schließen, die beide starke Beistandsverpflichtungen im Falle eines bewaffneten Angriffs von außen enthalten Der Sinn dieser überaus erfolgreichen nordkofeanischen Balancepolitik bestand in der Erhaltung der staatlichen und parteilichen Autonomie gegenüber den miteinander rivalisierenden kommunistischen Großmächten an den Nordgrenzen des eigenen Landes. Nach der erwähnten Liquidierung der nach Moskau oder Peking hin tendierenden Fraktionen innerhalb der eigenen Partei erreichte Kim II Sung als Chef des Staats-und Parteiapparates sowie als Oberkommandierender der gesamten bewaffneten Macht Nordkoreas eine reale Machtfülle, die in der Geschichte nur mit derjenigen Stalins nach den dreißiger Jahren vergleichbar ist.
Zur ideologischen Untermauerung seiner national-kommunistischen Politik der Unabhängigkeit auch gegenüber Peking und Moskau schuf Kim II Sung in Gestalt seiner sogenannten Dschutsche-Ideologie eine interessante und im Westen nur wenig bekannte koreanische Variante des Marxismus-Leninismus Kim II Sung, der nach dem Tod von Tito zum Senior unter den amtierenden kommunistischen Staats-und Parteichefs geworden ist baute seine Ideologie auf dem Begriff von „Dschutsche" auf, was soviel bedeutet wie „sozio-politische Autonomie auf der Basis eigenständiger Errungenschaften". In diesem Sinne wird die Selbstbestimmung zum zentralen Angelpunkt dieser Ideologie. Selbst im Vergleich zum Leninismus weist die Dschutsche-Ideologie eine noch verstärkte Tendenz in Richtung auf anthropozentrischen Voluntarismus auf. Im Mittelpunkt des sozio-historischen Geschehens steht der Mensch, der letztlich im Sinne seines von Ideologie und Erziehung geprägten Willens alles entscheidet. Im Bereich der Außenpolitik wenden sich die Vertreter der Dschutsche-Ideologie gegen Moskaus Modell einer hierarchischen, von der Sowjetunion notwendigerweise geführten Gruppierung kommunistischer Staaten und Parteien zugunsten einer egalitären Version des proletarischen Internationalismus, die von der prinzipiellen Gleichberechtigung aller Parteien, gleichgültig, ob sie nun jung oder alt, stark oder schwach, an der Regierung oder in der Opposition seien, ausgeht.
Kim Dschong II, der Sohn und bereits auserkorene Nachfolger Kim II Sungs, schrieb 1982: „Die Dschutsche-Ideologie definierte eigen-schöpferisch die These, daß der Mensch, das höchste Produkt der entwickelten Materie, über die Welt herrscht, sie umgestaltet und entwickelt... Die Geschichte weist Weltanschauungen verschiedener Kategorien auf, aber mit keiner von ihnen war es möglich, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen ... Von der Dschutsche-Ideologie aus gesehen ist der Mensch nicht einfach ein Teil der Welt, sondern Herr über die Welt, und sie schuf somit eine neue Weltanschauung, die — zum Unterschied vom bisherigen Herangehen — den Menschen in den Mittelpunkt stellt... Die revolutionäre Weltanschauung der Arbeiterklasse wurde erstmalig vom Marxismus herausgebildet, die sich nun durch die Dschutsche-Ideologie auf einer weiteren Stufe weiterentwickelt und vollendet hat. In jedem Land wird die kommunistische Bewe-gung von der revolutionären Partei und vom Volk selbständig geführt,... folglich darf es in der kommunistischen Bewegung keine Beziehungen wie zwischen Herren und Untergebenen und auch keine Beziehungen der Unterwerfung geben."
VI. Koreas Nord-Süd-Dialog
Das sich ab Mitte 1971 abzeichnende und im Februar 1972 zunächst mit Nixons Besuch in China kulminierende Rapprochment zwischen den USA und der VR China bedeutete aus analogen Gründen einen Schock für die Regierungen der beiden koreanischen Teilstaaten. Für beide war es die unerwartete Annäherung eines Hauptverbündeten an einen Hauptgegner. Die Beiderseitigkeit des Schocks über diese massive Veränderung ihrer internationalen Umweltsituation und die historische Erinnerung an verhängnisvolle Großmachtabsprachen über Korea, jedoch ohne Korea, schien sowohl in Südkorea wie auch in Nordkorea den gleichzeitigen Wunsch nach intensiven Direktkontakten ausgelöst zu haben. Nach Präliminarien auf der Ebene von Verhandlungen der Rotkreuzgesellschaften des Nordens und des Südens sowie nach einem Besuch des südkoreanischen Geheimdienstchefs Lee Hu Rak bei Kim II Sung, veröffentlichten die Regierungen in Seoul und Pyöngyang gleichzeitig ein vom 4. Juli 1972 datiertes gemeinsames Kommunique, das bis heute von beiden koreanischen Regierungen immer noch als „magna Charta" des gesamtkoreanischen Wiedervereinigungswillens betrachtet wird. Die wichtigsten Punkte dieses Abkommens lauten:
1 . Die beiden Seiten haben sich auf folgende Grundsätze für die Einigung des Vaterlandes geeinigt:
Erstens: Die Einigung soll durch unabhängige koreanische Bemühungen erreicht werden und keiner ausländischen Auflage oder Einmischung unterliegen.
Zweitens: Die Einigung soll mit friedlichen Mitteln erreicht werden und nicht durch die Anwendung von Gewalt gegeneinander. Drittens: Als homogenes Volk soll eine große nationale Einheit über allem angestrebt werden, die über die Unterschiede der Ideen, Ideologien und Systeme hinübergreift.
2. Um die Spannungen zu mildern und eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Norden und dem Süden zu begünstigen, sind die beiden Seiten übereingekom-men, einander nicht zu schmähen oder zu dif-famieren, keine bewaffneten Provokationen — weder große noch kleine — zu unternehmen und positive Maßnahmen zu ergreifen, um unbeabsichtigte militärische Zwischenfälle zu verhüten.
3. Um die gelösten nationalen Bande wiederherzustellen, gegenseitiges Verständnis zu fördern und eine friedliche Einigung und Unabhängigkeit zu fördern, sind die beiden Seiten übereingekommen, diverse Austauschprogramme auf vielen Gebieten durchzuführen."
Das Kommunique sah weiterhin die Gründung eines „Süd-Nord-Koordinierungsausschusses" zur Weiterführung der Verhandlungen auf Regierungsebene sowie auch die Fortsetzung der Rotkreuzgespräche zum Zweck menschlicher Erleichterungen und die Installierung eines „heißen Drahtes“ zwischen Seoul und Pyöngyang zum Zweck der Verhinderung oder Beseitigung ungewollter militärischer Zwischenfälle vor In ihrer Anfangsphase leiteten auf nordkoreanischer Seite der Vize-premier Park Sung Choi (1976 Ministerpräsident) und auf südkoreanischer Seite der machtvolle Geheimdienstchef Lee Hu Rak die miteinander verhandelnden Delegationen. Zum ersten Mal seit den vierziger Jahren kam es zu Süd-Nord-bzw. Nord-Süd-Besuchen zwischen Spitzenpersönlichkeiten. Die Verhandlungen fanden teils in Seoul, teils in Pyöngyang und teils am 38. Breitengrad in Panmunjom statt.
Im Rückblick auf das seit Verhandlungsbeginn 1972 vergangene Jahrzehnt muß festgestellt werden, daß, abgesehen von dem hoch-bedeutsamen Nord-Süd-Kommunique vom 4. Juli 1972 und von der Tatsache von Verhandlungen und Kontakten, keine konkreten Ergebnisse erzielt werden konnten. Die bereits 1975 und 1976 nahe an den Rand des Abbruchs geratenen Verhandlungen, die dann 1980 immerhin noch zu Vorbereitungsgesprächen über ein Treffen der Ministerprä-sidenten beider Seiten führten, wurden von Nordkorea 1981 mit der Begründung unterbrochen, daß es nicht mehr bereit sei, mit der Regierung des neuen südkoreanischen Präsidenten Chun Doo Hwan zu verhandeln.
Dem Verfasser wurde 1981 in Nordkorea mitgeteilt, diesem Beschluß hätten zwei Motive zugrunde gelegen: Erstens, nach den schweren und blutig niedergeschlagenen Unruhen in Südkorea im Jahre 1980 erwarte man einen baldigen Sturz des neuen Regimes von Präsident Chun Doo Hwan; zweitens glaube man, daß die nordkoreanische Regierung in den Augen der südkoreanischen Dissidenten und Oppositionskräfte an Glaubwürdigkeit verlieren könne, wenn sie sich mit Vertretern Chun Doo Hwans Regierung an einen Verhandlungstisch setze. Chun Doo Hwans Vorschlag, die ins Stocken geratenen Nord-Süd-Verhandlungen durch eine Gipfelkonferenz zwischen ihm selbst und Kim II Sung wieder in Gang zu bringen und auf eine neue Stufe zu heben, wurden folglich von Nordkorea abgelehnt. Die von Kim II Sung formulierten Wiedervereinigungsvorschläge forderten die sofortige Errichtung einer „Koryo" genannten Konföderation der beiden koreanischen Teilstaaten, die von paritätisch besetzten Gremien zu regieren, im Inneren schrittweise zu einem Einheitsstaat zu entwickeln und außenpolitisch nach Entfernung der amerikanischen Besatzung im Süden zu einem neutralen Staat zu machen sei
Der neueste von der Regierung des südkorea-nischen Präsidenten Chun Doo Hwan am 22. Januar 1982 vorgelegte Wiedervereinigungsvorschlag sieht — nach deutschem Muster — den Abschluß eines Nord-Süd-Grundlagenvertrages vor. Er soll den Modus der Nord-Süd-Beziehungen bis zur politischen und staatsrechtlichen Reintegration der beiden Hälften Koreas festlegen. Für diese Übergangszeit soll ein Gewaltverzichtsabkommen, ein gegenseitiger Interventionsverzicht, die Eröffnung des Post-und Güterverkehrs, der Beginn von Kulturkontakten und technischer Zusammenarbeit sowie die vorläufige Respektierung bestehender Verträge beider Staaten mit dritten Staaten gelten. Eine in dieser Übergangsphase zusammentretende Nationale Konsultativkonferenz für Wiedervereinigung solle gesamtkoreanische Verfassungsentwürfe des Südens und des Nordens studieren, um daraus auf der Basis eines Kompromisses eine gesamtkoreanische Verfassung zu erarbeiten. Diese Verfassung sei dann der koreanischen Nation in ihrer Gesamtheit zum Zweck eines Referendums vorzulegen. Werde diese Verfassung angenommen, so werde sie als die staatsrechtliche Basis eines wiedervereinigten Korea fungieren können -
Kurz darauf legte der südkoreanische Wiedervereinigungsminister Sohn Jae Shik einen umfassenden Vorschlag für 20 Kontaktprojekte vor, die sogleich vereinbart werden könnten. Diese Vorschläge betreffen z. B. die Eröffnung einer Straßenverbindung zwischen Seoul und Pyöngyang, die Aufnahme von Postverkehr zwischen Nord und Süd, der Austausch von Radioprogrammen, die Beteiligung Nordkoreas an den in Südkorea stattfindenden Asiatischen Spielen 1986 sowie an der Sommer-Olympiade 1988, gemeinsame Forschungen in Fragen der nationalen Geschichte etc.
Westliche Leser sollten an dieser Stelle daran erinnert werden, daß es zwischen Nord-und Südkorea seit der zweiten Hälfte der vierziger Jahre und abgesehen von den zuvor genannten offiziellen Wiedervereinigungsverhandlungen keinerlei Post-, Personen-oder Güterverkehr irgendwelcher Art gegeben hat. Somit besteht seit etwa 35 Jahren eine Situation totaler Isolation der beiden Bevölkerungsteile voneinander.
VII. Zum Dreieck Washington-Seoul-Pyöngyang
Beide Staaten verfügen zwar über ein weltweit gespanntes Netz diplomatischer Beziehungen und Vertretungen; aber es gibt wichtige Ausnahmen: Südkorea hat keinerlei diplomatische Kontakte zu den kommunistisch regierten Staaten Osteuropas und Ostasiens, während Nordkorea über fast keinerlei diplomatische Beziehungen zu den Staaten des Nordatlantik-Paktes oder zu Japan verfügt. In einer immer größer werdenden Reihe dritter Staaten sind beide koreanischen Teilstaaten diplomatisch nebeneinander vertreten. Eine Anomalität der gegenwärtigen Situation besteht auch darin, daß keine der vier für Korea bedeutsamen Großmächte (USA, UdSSR, VR China und Japan) diplomatische Beziehungen zu beiden koreanischen Teilstaaten unterhält und umgekehrt. Um dem abzuhelfen, schlug der damalige Außenminister der USA, Henry E. Kissinger, 1975 die Kompromißformel der sogenannten „cross recognition" vor. Im Sinne dieser Formel sollte Nordkorea diplomatische Beziehungen zu Japan und den USA unterhalten und Südkorea — gleichsam im Austausch dafür — zu Moskau und Peking. Diesem auch von Südkorea unterstützten Plan hat sich jedoch Nordkorea erfolgreich mit dem Argument widersetzt, dies würde nur die Teilung Koreas vertiefen. Angesichts des nordkoreanischen Verlangens, der 1953 unterzeichnete und seither geltende Waffenstillstandsvertrag für Korea solle in einen Friedensvertrag zwischen Nordkorea und den USA umgewandelt werden, schlug US-Außenminister Kissinger im Herbst 1975 eine Viererkonferenz der am Koreakrieg hauptsächlich beteiligten Staaten (Nord-und Südkorea sowie China und den USA) vor Diese Konferenz sollte Maßnahmen zur Förderung der innerkoreanischen Beziehungen wie auch der internationalen Sicherheit in und um Korea behandeln. Nordkorea lehnte jedoch gemäß seinem Prinzip, ausländische Staaten dürften nicht an innerkoreanischen Regelungen beteiligt werden, ab.
Entsprechend einem Wahlkampfversprechen, das dem Vietnam-Trauma der amerikanischen Wähler entgegenkommen sollte, hatte US-Präsident Jimmy Carter am 9. März 1977 seinen Beschluß bekanntgegeben, die in Südkorea stationierten amerikanischen Boden-truppen in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren vollständig zurückzuziehen. Nur die etwa 700— 800 Mann starken Luftwaffeneinheiten sollten vorläufig noch dort belassen werden. Die scharfe Kritik dieses Beschlusses durch Generalmajor John Singlaub, dem Staabschef der in Korea stationierten amerikanischen Streitkräfte, beantwortete der Präsident mit der Strafversetzung des Generals. Zuvor war bereits im Zeitraum zwischen 1969 und 1972 die US-Präsenz in Südkorea um 20 000 Mann verringert worden. Jedoch von wachsender Kritik sowie auch von Legislativ-maßnahmen des US-Kongresses und von Militärkreisen unter Druck gesetzt, gab Präsident Carter in einer aufsehenerregenden Erklärung vom 21. Juli 1979 bekannt, daß er be-schlossen habe, den geplanten Rückzug der US-Landstreitkräfte vorläufig auszusetzen Als Begründung gab der Präsident an, amerikanische Geheimdienstuntersuchungen der letzten Zeit hätten erwiesen, daß die Stärke, die Feuerkraft und die Beweglichkeit der nordkoreanischen Landstreitkräfte weitaus größer sei, als man bisher angenommen habe
Rückblickend scheint es so, als hätte Nordkorea hier eine historische Chance verpaßt. Denn hätte es nach Carters Bekanntgabe des Beschlusses zur Zurückziehung der amerikanischen Bodentruppen mit Südkorea auf breiter Ebene konstruktive Verhandlungen aller Art fortgesetzt, so wäre Präsident Carter vermutlich in der Lage gewesen, sich seinen Kritikern gegenüber durchzusetzen. Das bleibt freilich Spekulation. Während seines Staatsbesuches in Südkorea im Juli 1979 schlug Präsident Carter zwar direkte Dreiecksverhandlungen zwischen Seoul, Pyöngyang und Washington vor. Doch wurde dieser Vorschlag von nordkoreanischer Seite abgelehnt Die USA wiederum lehnten die von Nordkorea geforderte Ersetzung des Waffenstillstands-abkommens durch einen Friedensvertrag zwischen Washington und Pyöngyang ab. Angesichts dieser Sachlage fragte der Verfasser den nordkoreanischen Vize-Außenminister Ri Dschong Mok während eines Interviewgesprächs in Pyöngyang, ob seine Regierung als Alternative an ein Normalisierungsabkommen denken könnte. Ein solches war zwischen Washington und Peking geschlossen worden, obwohl beide Staaten in Korea und wegen Korea miteinander Krieg geführt hatten. Diese Idee fand jedoch nicht die Zustimmung der nordkoreanischen Seite Das zentrale gemeinsame Hauptanliegen der nordkoreanischen Außen-, Sicherheits-und Wiedervereinigungspolitik besteht gegenwärtig nach wie vor in einer Entfernung der US-Militärpräsenz aus Südkorea. Südkorea aber, das sich in den Bereichen der Luft-und Pan-zerwaffe sowie in der Kapazität der eigenen Rüstungsproduktion Nordkorea zur Zeit noch unterlegen fühlt, und das auf die Entdeckung mehrerer unter der Grenzlinie des Breitengrades hindurchgegrabener unterirdischer Tunnel hinwies, sieht im vorläufigen Verbleiben der US-Militärpräsenz in Südkorea den Hauptgaranten seiner staatlichen Sicherheit. Würden nämlich tatsächlich die amerikanischen Streitkräfte aus Südkorea abgezogen und müßten sie im Ernstfall einer Krise von Japan aus nach Südkorea zurücktransportiert werden, so unterläge dieser Einsatz der in Japan stationierten amerikanischen Streitkräfte gegen ein Drittland einem Vetorecht der japanischen Regierung (der sogenannten Konsultationsklausel im Sinne der neuen Version des amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrages von 1960).
Obwohl die neue amerikanische Regierung des Präsidenten Ronald Reagan der südkorea-nischen Regierung toleranter und verständnisvoller gegenübersteht als die des Präsidenten Carter, bestehen Anzeichen dafür, daß auch die Reagan-Administration unterhalb der Ebene offizieller Anerkennung bessere Kontakte zu Nordkorea anstrebt. Ein von Kim II Sung stammender und durch den ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak übermittelter privater Vorschlag zur Aufnahme amerikanisch-nordkoreanischer Direktgespräche mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen wurde von Washington mit dem Hinweis beantwortet, daß nach wie vor offizielle Kontakte zwischen Washington und Pyöngyang ohne eine Beteiligung des Verbündeten Südkorea ablehnt werden müßten. Andererseits verfügte US-Außenminister George Shultz eine Reihe von Maßnahmen, die amerikanischen Diplomaten private Begegnungen mit nordkoreanischen Berufskollegen möglich machen und die Erteilung amerikanischer Visa für nordkoreanische Staatsbürger erleichtern sollten. Wie inoffiziell verlautbart wurde, waren diese Maßnahmen nicht nur vom Wunsch nach einer Ausweitung von Kontakten mit Nordkorea bestimmt, sondern auch von der Hoff, nung, daß eine lockere Haltung der USA Nordkorea gegenüber es der VR China erleichtern würde, ähnliche inoffizielle Kontakte mit Südkorea auszuweiten 38).
Um eine Verunsicherung des südkoreanischen Verbündeten zu vermeiden, richtete US-Präsident Ronald Reagan im Mai 1983 ein Schreiben an den südkoreanischen Präsidenten Chun Doo Hwan, in dem er Südkorea erneut amerikanischer Hilfe für den Fall einer Aggression aus dem Norden versicherte Diesbezüglich hatte es bereits in einem gemeinsamen Kommunique der Verteidigungsminister der USA und Südkoreas vom April 1983 geheißen: „Indem er die Sicherheitsrolle der USA als einer pazifischen Macht erneut hervorhob, wiederholte Verteidigungsminister Weinberger die feste Verpflichtung der USA, im Einklang mit dem amerikanisch-koreanischen Verteidigungsvertrag von 1953 schnelle und wirksame Hilfe zu leisten, um jeglichen bewaffneten Angriff gegen die Republik Korea (Südkorea) zurück-zuschlagen. Der Verteidigungsminister bestätigte erneut, daß der Nuklearschirm der USA der Republik Korea auch weiterhin zusätzliche Sicherheit gewähren werde."
In einem vielbeachteten Vortrag vom 28. September 1982 hatte der US-Botschafter in Seoul, Richard L. Walker, hervorgehoben, daß sich Südkorea in den Jahrzehnten seiner Beziehungen zu den USA zu dem neuntgrößten Handelspartner der USA und zum viertgrößten Abnehmer amerikanischer Agrarprodukte entwickelt habe -Wie kürzlich erneut bestätigt wurde, wird Präsident Reagan den im Februar 1981 stattgefundenen Besuch des südkoreanischen Präsidenten Chun Doo Hwan in Washington im November 1983 mit einem Gegenbesuch in Seoul erwidern
VIII. Zum Viereck Peking-Pyöngyang-Moskau-Seoul
Die Volksrepublik China bildet als größter geographischer Grenznachbar Koreas als Mitunterzeichner des Waffenstillstandsabkommens von 1953 sowie als Verbündeter Nordkoreas einen ebenfalls hochbedeutenden Faktor für die Außen-und Sicherheitspolitik der beiden koreanischen Teilstaaten Die Jahre 1982 und 1983 brachten in mancherlei Hinsicht neue Aspekte für das Beziehungsdrei-eck Peking-Pyöngyang-Seoul. Seit seiner Nord-Süd-Umklammerung durch das Bündnis zwischen der Sowjetunion und Vietnam von 1978 hat Nordkorea als einziger formaler Bündnispartner der VR China für diese an Gewicht gewonnen. Gleichzeitig aber gab es unterhalb der Ebene offizieller Anerkennung auch eine Reihe von Kontakten zwischen der Volksrepublik China und Südkorea, die Nordkorea irritierten.
Wie erst später bekannt wurde, hatten der chinesische Vize-Premier, Deng Xiaoping, und der Generalsekretär der KP Chinas, Hu Yaobang, im April 1982, in dem Kim II Sungs 70. Geburtstag mit großer Pracht gefeiert worden war, Nordkorea einen heimlichen Besuch abgestattet Moskau war bei diesen Geburtstagsfeiern durch keinen prominenten Sonderbesucher vertreten. Vom 15. bis 26. September 1982 stattete Kim II Sung als erster ausländischer Staatsmann dem neuen chinesischen Regime einen offiziellen Staatsbesuch ab Bei diesen beiden chinesischnordkoreanischen Gipfeltreffen wurden ohne Zweifel die sowjetisch-chinesischen Annäherungsversuche ebenso wie auch Chinas Verhältnis zu Südkorea (z. B. die Frage der chinesischen Beteiligung an den in Seoul im Jahre 1988 stattfindenden Olympischen Spielen und den für 1986 geplanten Asiatischen Spielen) ebenso zur Sprache gebracht wie Nordkoreas Bedarf an Lieferungen von Waffen und Erdöl. Möglicherweise war auch die Nachfolge Kim II Sungs durch seinen Sohn Kim Dschong II Gegenstand von Verhandlungen. Internationales Aufsehen erregte die Tatsache, daß China im Jahr 1982 Nordkorea mehr als 20 Kampfflugzeuge vom Typ A-5 (einer verbesserten chinesischen Variante des MIG-21) zur Verfügung stellte, da Chinas eigene Produktionskapazität für diesen Flugzeugtyp auf nur 40 Stück pro Jahr geschätzt wurde
Im Oktober 1982 kursierten in der internationalen Presse unbestätigte Berichte, denen zufolge nordkoreanische Generäle einen mißglückten Versuch zum Widerstand gegen die Führungsnachfolge von Kim Dschong II un-ternommen hätten und daß einige von ihnen anschließend auf chinesisches Gebiet geflohen seien Diese Nachfolgefrage mag eine Zeitlang ein Grund für Spannungen zwischen Pyongyang und Peking gewesen sein. Denn während die neue Führung in Peking in sorgfältig dosierten und gezielten Formen den Personenkult und die faktische Alleinherrschaft Mao Tse-tungs angriffen, verstärkten sich in Nordkorea Bestrebungen, die Position Kim Dschong Ils als designiertem Nachfolger Kim II Sungs zu institutionalisieren.
Mit dem Schicksal des Werkes und des Rufes von Stalin und von Mao Tse-tung vor Augen, mußte sich Kim II Sung, der subjektiv und objektiv mit dem Aufbau und dem Schicksal des kommunistischen Regimes in Nordkorea aufs engste verbunden ist, die Frage nach dem Schicksal seines Werkes in der Zukunft stellen. Seine Antwort bestand in der Nominierung seines Sohnes Kim Dschong II als seinem Nachfolger in der Staats-und Parteiführung Nordkoreas. Anläßlich seines 40. Geburtstages wurde diesem vom Zentralen Volkskomitee der Demokratischen Volksrepublik Korea am 15. Februar 1982 der Titel „Held der Demokratischen Volksrepublik Korea" verliehen. Zu dieser Zeit war Kim Dschong II bereits Mitglied des Politbüropräsidiums und Sekretär des Zentralkomitees der Koreanischen Arbeiterpartei Zuvor war die nordkoreanische Dschutsche-Ideologie um einen Aspekt erweitert worden. Es hieß, die schöpferische Aktion der Massen bedürfe zu ihrem Erfolg stets eines Führers, und dieser Führer bedürfe eines das Werk fortführenden Nachfolgers.
In einer nordkoreanischen Zeitschrift hieß es diesbezüglich: „Der Führer hat eine absolute Position inne und spielt eine entscheidende Rolle im revolutionären Kampf der Arbeiterklasse. So wie der Führer hält auch der Nachfolger eines Führers eine absolute Position inne und spielt eine entscheidende Rolle, wie sonst nur der Führer; er ist ein kommender Führer, der der Führergeneration nachfolgt und das Werk des Führers vollenden wird."
Angesichts der zuvor durch negatives Schweigen ausgedrückten Haltung Pekings und Moskaus dieser Nachfolgefrage wie auch der Dschutsche-Ideologie gegenüber war es von größter Bedeutung, daß Kim Dschong II im Juni 1983 der VR China einen anfangs geheimgehaltenen Besuch abstattete. Die Tatsache dieses Besuches wurde erst in einer Erklärung des Generalsekretärs der KP China, Hu Yaobang, vom 7. Juli 1983 bekannt gemacht Damit war Peking Moskau bei der Erfüllung eines für Kim II Sung existentiell bedeutsamen Wunsches zuvorgekommen.
Es gab aber auch zwischen Seoul und Peking Bereiche der Lockerung und der Annäherung. So wurde im März 1983 bekannt gegeben, daß Seoul der chinesischen Zivilluftfahrt durch ein Abkommen im Rahmen der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt eine Verkürzung der Flugroute Shanghai-Tokio mit partieller Durchfliegung des südkoreanischen Luftraumes gestatten würde. Die neue Flugroute ist 171 englische Meilen kürzer als die gegenwärtige und würde den chinesischen und japanischen Fluggesellschaften, die diese Route benützen, pro Jahr insgesamt 35 000 Tonnen Treibstoff ersparen Die Entführung eines Linienflugzeuges der Volksrepublik China nach Südkorea Anfang Mai 1983 erzwang administrative Kontakte zwischen Beamten aus Seoul und aus Peking. Seoul überschüttete die Gäste aus der Volksrepublik China mit Gastfreundschaft und erwirkte ein gemeinsames Memorandum, das auf koreanischer Seite von einem Vize-Außenminister und auf chinesischer Seite vom Generaldirektor der Pekinger Fluglinie CAA unterzeichnet wurde Dieses Ereignis wie auch der Beschluß zum Austausch von Fernsehnachrichtenprogrammen zwischen China und Südkorea im Rahmen einer internationalen Organisation (Asia Broadcasting Union ABU) Anfang 1983 erhöhten Seouls Hoffnungen auf eine weitere Intensivierung diverser Kontakte mit der Volksrepublik China.
Ein Schreiben des Pekinger Außenministeriums an die nordkoreanische Botschaft in Peking vom 15. Mai 1983 machte jedoch klar, daß die Kontakte zwischen Seoul und Peking anläßlich der Flugzeugentführung nur punktuellen Charakter hätten. Alle darüber hinausgehenden koreanischen Darstellungen beruhten auf „Wunschdenken“ Peking unterstrich diese seine Haltung durch die Verweigerung von Visa für südkoreanische Beamte, die an diversen Arbeitskonferenzen, die unter den Auspizien der Vereinten Nationen in China abgehalten werden sollten, teilnehmen wollten. Proteste aus Pyöngyang hatten auh dafür gesorgt, daß der geheime Handel zwi.sehen China und Südkorea, der im Jahre 1981 ein Volumen von 136, 8 Millionen US-Dollar erreicht hatte, praktisch zum Stillstand kam
Auch das Beziehungsdreieck Moskau-Pyöng. yang-Seoul geriet zwischen 1982 und 1983 in eine gewisse Bewegung. So besuchten im Oktober 1982 drei Vertreter der offiziellen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS und ein anderer sowjetischer Beamter Südkorea. Es wurde vermutet, daß ihre Reise der Vorbereitung der sowjetischen Teilnahme an der Internationalen Parlamentarierunion im September 1983 wie auch der Beteiligung an der Sommer-Olympiade 1988 in Seoul galt Mit diesem Besuch war aber auch eine Warnung an Nordkorea beabsichtigt, die Annäherung an Moskaus -Konkurrenten Peking nicht allzu weit zu treiben. Die in Tokio erscheinende nordkoreanische Zeitschrift The People's Korea griff daraufhin dieses sowjetische Verhalten mit präzedenzloser Schärfe an. Es hießt, dort: „Es ist sicherlich merkwürdig, daß ... ein sozialistisches Land und ein Verbündeter unserer Republik eine offizielle Delegation in eine Kolonie der amerikanischen Imperialisten wie Südkorea entsendet, wo Antikommunismus und Antisowjetismus glorifiziert werden. Ist es richtig, daß man annehmen muß, daß diejenigen, die unsere Republik als befreundete Nation bezeichneten, nun eine totale Wende vollzogen haben, um in ihrem Feind einen Verbündeten zu finden? Selbst wenn das nicht so sein sollte, so verbergen die südkoreanischen Marionetten dennoch nicht ihre Freude und bezeichnen diese letzte Entwicklung als Beweis für eine Wende der russischen Politik gegenüber Südkorea.“
Eine Zeitschrift des sowjetischen Fernost-Instituts der Akademie der Wissenschaften zahlte mit ähnlicher Münze zurück, als sie in einem Ende 1982 publizierten Artikel darauf hinwies, daß die mit sowjetischer Hilfe errichteten Industrieanlagen in Nordkorea für 60 Prozent der Elektrizitätserzeugung, 45 Prozent der Olproduktion, 40 Prozent der Eisenerzproduktion, 34 Prozent der Produktion von Rollstahl etc. verantwortlich seien. Ohne die sowjetische Hilfe wäre es in den letzten zehn Jahren nicht möglich gewesen, die Produktion von Stahl und Kohle jeweils um 30 Prozent, die der Elektrizität um 40 Prozent und die von Kunstdünger um 25 Prozent zu stei-gern Kim II Sung, der persönlich dem Begräbnis von Tito beigewohnt hatte, blieb dem Begräbnis von Breschnew fern und entsandte statt dessen Vize-Präsident Pak Sung Chui.
Trotz derartiger Irritationen und ‘entsprechender Signale aus beiden Staaten blieb die Interessengemeinschaft zwischen Moskau und Pyöngyang grundsätzlich unerschüttert.
IX. Japans doppelseitige Annäherungspolitik
Auch in den Beziehungen der vierten für Korea bedeutsamen Großmacht zu Seoul wie auch zu Pyöngyang waren in der letzten Zeit Elemente neuer Dynamik zu entdecken. Anläßlich des Staatsbesuches des neuen japanischen Ministerpräsidenten Nakasone in Südkorea konnte nach Jahren erbitterter Verhandlungen, in denen Südkorea zuvor vergeblich Kredite im Gesamtwert von 6 Milliarden US-Dollar verlangt hatte, eine Übereinkunft erreicht werden, in deren Rahmen Japan Südkorea in einer Periode von sieben Jahren insgesamt 4 Milliarden US-Dollar an Wirtschaftshilfe gewähren wird. Von diesem Gesamtbetrag werden 2, 15 Milliarden Dollar Kredite der japanischen Export-Import-Bank mit einem Zinssatz von 6 Prozent sein, während es sich bei den restlichen 1, 85 Milliarden um Entwicklungskredite der japanischen Regierung mit einem niedrigen Zinssatz und einer längeren Laufzeit handelt Ein ausführliches gemeinsames Kommunique zwischen Ministerpräsident Nakasone und Präsident Chun versprach weitere Verhandlungen und konstruktive Zusammenarbeit in einer Reihe schwebender Fragen. Hierzu gehörte u. a. auch die explosive Frage des Status von ca. 600 000 koreanischen Gastarbeitern in Japan. Nach Japan zurückgekehrt, erklärte der japanische Ministerpräsident angesichts der kürzlich feststellbaren Verstärkung der sowjetischen Präsenz an den Nordgrenzen Japans, er lege auf enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wie aber auch zu Südkorea größten Wert
Mit dem Rückenwind der so erreichten Verbesserung der Beziehungen zu Südkorea unternahmen die Japaner einen Vorstoß zur Verbesserung ihrer inoffiziellen Beziehungen zu Nordkorea. Chuji Kuno, ein Senior unter den Parlamentariern der in Japan regierenden Liberal-Demokratischen Partei und gleichzeitig Präsident der Japanischen-Nord-koreanischen Freundschaftsgesellschaft, stattete Nordkorea im Juli 1983 einen Besuch ab. Wie später bekannt und von einem Beamten des japanischen Außenministeriums auch zugegeben wurde, hatte Kuno in Nordkorea mit der Zustimmung des japanischen Außenministeriums Verhandlungen über den Austausch von Handelsbüros und von Journalisten geführt und dabei auch bessere Möglichkeiten für die Visaerteilung an nach Japan reisen wollende nordkoreanische Beamte angedeutet Trotz der japanischen Zusicherung, daß es sich hier um einen Gedankenaustausch auf „privater Ebene" gehandelt habe, zeigte sich Südkorea tief besorgt. Dem japanischen Botschafter in Seoul wurden die „schweren Bedenken" der südkoreanischen Regierung wegen dieser Kontakte zwischen Tokio und Pyöngyang vorgetragen. Seoul zeigte sich besonders provoziert, als bekannt wurde, daß Kunos Reise und Aktivitäten mit der stillschweigenden Zustimmung des japanischen Außenministeriums stattgefunden hatten
X. DieFortdauer des Spannungszustandes
Es ist eine von Beobachtern verschiedenster politischer Orientierungen geteilte Meinung, daß zwischen den vier Korea geostrategisch umlagernden Großmächten — ungeachtet aller Lippenbekenntnisse bezüglich der Wünschbarkeit der koreanischen Wiedervereinigung — ein stillschweigender Konsens darüber besteht, daß dem internationalen Frieden und der Sicherheit in Ostasien vor-läufig zumindest durch die Aufrechterhaltung des seit 1953 gegebenen Status quo in Korea am besten gedient sei. Keine dieser Groß-mächte hat seither von sich aus irgendeinen maßgeblichen Versuch zur Änderung dieses Status quo unternommen. Unter diesen Umständen ist eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes nur in zweierlei Weise denkbar: Entweder durch eine friedliche Übereinkunft der beiden koreanischen Teilstaaten, die der koreanischen Nation irgendeine neue Struk- tur oder Verhaltensorientierung verleiht, oder durch den inneren Zusammenbruch eines der beiden Systeme.
Im Falle Südkoreas gab es in den Jahren 1979/80 kurze Momente, in denen die Stabilität des Systems am Rande einer ernsten Erschütterung zu stehen schien. Den ersten Höhepunkt dieser Stabilitätskrise brachte die sensationelle Ermordung des südkoreanischen Staatspräsidenten Park Chung Hee, der am 26. Oktober 1979 während eines Essens zusammen mit fünf seiner Leibwächter von seinem eigenen Geheimdienstchef Kim Jae Kyu und dessen Leibgardisten erschossen wurde. Der Mord bildete den Kulminationspunkt einer Palastintrige innerhalb der herrschenden Machtelite, wobei allerdings eine scharfe Kontroverse über alternative Verhaltensweisen der inneren Sicherheitspolitik (konkret die Reaktion auf schwere Studentenunruhen) eine gravierende Rolle spielten -
Optimisten hofften damals, der Fall des allmächtigen Präsidenten könne die Tür zu einer Ära neuer Demokratie öffnen. Anfangs schien es auch so. Der Interimspräsident Choy Kyu Ha amnestierte zahlreiche politische Gefangene, darunter auch den einflußreichen Oppositionsführer Kim Dae Jung, und schlug zahlreiche vielversprechend klingende Liberalisierungsmaßnahmen vor. Ein paritätisch aus Abgeordneten der Regierungspartei und der Opposition zusammengesetztes Parlamentskomitee begann mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Jedoch die Tatsache, daß das Referendum über die neue Verfassung erst im Oktober 1980 und die nächsten allgemeinen Wahlen erst im Juni 1981 stattfinden sollten, lösten schwere Unruhen aus. Diesen begegnete die Regierung mit der Verhängung des Kriegsrechts und der Verhaftung von Oppositionspolitikern — unter ihnen Kim Dae Jung —, die entgegen noch geltenden Vorschriften Massenversammlungen veranstaltet hatten. Daraufhin kam es im südlichen Teil der Heimatprovinz Kim Dae Jungs, Cholla, und insbesondere in den Städten Kwangju und Mokpo zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Erst das Eingreifen regulärer Streitkräfte in Divisionsstärke konnte die teilweise bewaffneten Dissidenten blutig niederwerfen Kim Dae Jung und an-dere Oppositionelle wurden zum Tode verur teilt.
Nach dem Rücktritt des Interimspräsidenten Choy Kyu Ha wurde am 27. August General Chun Doo Han, der zuvor im April zum neuen Geheimdienstchef ernannt worden war, zum neuen Präsidenten Südkoreas gewählt. Zum Zweck weiterer Systemstabilisierung eröffnete Präsident Chun eine Säuberungskam. pagne gegen Korruption, der Hunderte von führenden Politikern, Beamten und Militärs zum Opfer fielen. 1981 wurden Kim Dae Jung und später auch 5 000 weitere Häftlinge amnestiert Eine neue, demokratischer klingende Verfassung begrenzt die Amtszeit des Staatspräsidenten auf eine einmalige siebenjährige Amtsperiode. Zur Restabilisierung des erschütterten Regimes trug auch der trotz konjunkturbedingter Schwächen fortgesetzte wirtschaftliche Erfolg Südkoreas bei, der dieses vormalige Agrargebiet fast zur Industrie-macht machte und in manchen Bereichen — so dem Stahlexport oder dem Schiffsbau — zu einem beachtlichen Konkurrenten des Industriegiganten Japan werden ließ.
Während der Krisenmonate von 1979/80 gab es manche Beobachter, die an Kim II Sungs 1975 in Peking geäußerten Worte dachten: „Wenn in Südkorea eine Revolution stattfindet, werden wir als Teil der gleichen Nation nicht mit verschränkten Armen zuschauen, sondern das Volk in Südkorea machtvoll unterstützen. Wenn der Feind rücksichtslos einen Krieg herbeiführt, werden wir mit Krieg antworten und die Aggressoren vollständig zerstören. In einem solchen Krieg haben wir nur die Demarkationslinie zu verlieren und werden dafür die Wiedervereinigung des Landes gewinnen können." Nordkorea griff jedoch nicht ein und Südkorea erholte sich. Unter Verwendung des deutschen Wortes erklärte Südkoreas neuer Außenminister Lee Bum Suk im Juni 1983, sein Land wolle eine neue „Nordpolitik" betreiben. Diese erstrebe freundliche Beziehungen mit der VR China und der Sowjetunion, den Verbündeten Nordkoreas, die zudem Vetomächte des UN-Sicherheitsrates seien. Die Nordpolitik diene der Friedenserhaltung auf der koreanischen Halbinsel. Es sei abnormal, daß Südkorea mit seiner Bevölkerung von 40 Millionen und seinem derzeitigen Handelsvolu- men von 50 Milliarden US Dollar nicht in den Vereinten Nationen vertreten sei
Die Regierung in Seoul hofft, daß die Gastgeberrolle Südkoreas bei der Tagung der Interparlamentarischen Union (Herbst 1983) sowie bei den Asiatischen Spielen (1986) und bei den Olympischen Spielen (1988) nicht nur den genannten Zielen der neuen „Nordpolitik“ dienstbar gemacht werden kann, sondern Nordkorea auch vor die Alternative stellt, entweder in Südkorea vertreten zu sein oder sich in die internationale Isolation abdrängen zu lassen. Nordkoreas Gegenstrategie führte bereits zu einer erfolgreichen Annäherung an die VR China sowie zu Versuchen einer Verbesserung seiner Beziehungen mit den USA und Japan. Die Diplomatie der koreanischen Teilstaaten befindet sich in vielen Regionen der Dritten Welt in einem intensiven Konkurrenzkampf. So bleibt auch zu Beginn der achtziger Jahre das Hauptproblem des geteilten Korea ungelöst. Die tiefreichende Verunsicherung beider koreanischer Systeme ist noch immer mitge-prägt vom Trauma des Koreakrieges mit seinen beiden jeweils nur fast gelungenen Versuchen zur bewaffneten Wiedervereinigung, seinen 3 Millionen Toten und seinem Resultat einer Rückkehr zum Status quo. Nördlich und südlich des 38. Breitengrades stehen sich heute 1, 4 Millionen bewaffneter Soldaten kampf-und alarmbereit gegenüber. Bewaffnete Zwischenfälle zur See, in der Luft und zu Lande und der nicht überwundene Abbruch des Nord-Süd-Dialogs erhalten einen Zustand fast permanenter Spannung. Die politisch-systemische und sozio-ökonomische Auseinanderentwicklung schreitet fort. Ansätze zu der aus Fremdkulturen importierten Demokratie sind nicht nur mit Unsicherheit und Spannung konfrontiert, sondern auch mit der Last jahrtausendealter konträrer Traditionen, die den für demokratische Praxis unerläßlichen Begriff der „loyalen Opposition" absurd klingen lassen und persönliche Loyalitätsbezüge höher bewerten als Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Beide, Regierung und Opposition, tun sich schwer einander, sich als konkurrierende Partner anzuerkennen und zu behandeln. Hinsichtlich der Teilung hat Korea Deutschland zwar eines voraus: Beide Systeme bekennen sich zum Prinzip der Einheit der Nation. Doch jenseits dieses Prinzips liegt die Praxis der rigorosesten Teilung eines Landes und einer Nation in der modernen Geschichte.