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Kommentar und Replik | APuZ 31/1983 | bpb.de

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APuZ 31/1983 Vom Staat ist keine Abhilfe zu erwarten. Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit Zurück zu einem ausgewogenen Policy-mix. Strategien zur Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit Vollbeschäftigung — eine Ausnahmesituation? Kommentar und Replik

Kommentar und Replik

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INF-Verhandlungen Zum Beitrag von Eckhard Lübkemeier, Zwischenbilanz der INF-Verhandlungen, B 28— 29/83, S. 15— 31

Der genannte Beitrag von Eckhard Lübkemeier zum Stand der INF-Verhandlungen wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich ein besonderes Interesse hervorrufen. Um so notwendiger erscheint es mir, für die kommende Diskussion um Verlauf und Ergebnisse der Gespräche einige Anmerkungen anzufügen, die mir für die Frage, welche der beiden Seiten sich während der Gespräche „beweglicher" gezeigt hat, von Bedeutung zu sein scheinen: 1. Paul Nitze und Julij Kwizinskij haben ihre Waldspaziergangsüberlegungen weder „auf eigene Faust“ angestellt noch als eine Kompromißeinigung aufgefaßt. Vielmehr handelten beide im Einverständnis mit maßgeblichen Persönlichkeiten ihrer Regierungen, die ihnen „grünes Licht“ für das Bemühen um ein unverbindlich-versuchsweises INF-Einvernehmen gegeben hatten. Kwizinskij hat seinem Gesprächspartner ausdrücklich erklärt, er sei zu der Suche nach einem möglichen Kompromiß autorisiert, und hinzugefügt, daß er nicht gesonnen sei, seine Laufbahn durch Eigenmächtigkeiten aufs Spiel zu setzen. Dieser Vorgang ist von John Barry in allen Einzelheiten an die Öffentlichkeit gebracht worden (J. Barry, ls there a way out of zero-zero?, in: The Times vom 1. 6. 1983). 2. Am Ende ihres Waldspazierganges verständigten sich Nitze und Kwizinskij darauf, daß Nitze auf ein — positives oder negatives — Signal aus Moskau warten solle, bevor er in Washington auf eine Entscheidung dringe. Es verstand sich freilich von selbst, daß Nitze von dem Kompromißentwurf, den er zusammen mit Kwizinskij formuliert hatte, seiner Regierung sofort berichtete. Verständlicherweise stieß das Papier — wie jeder Kompromiß, der ja mit der Preisgabe auch eigener Standpunkte verbunden ist — bei den damit befaßten Stellen nicht auf ungeteilte Zustimmung, aber Nitze war sich hinreichend sicher, daß er, sobald ein positives Votum aus Moskau vorliege, die gemäßigt ausgefallene Kritik einiger Personen überwinden und insbesondere den Präsidenten zur Billigung veranlassen könne. Auf sowjetischer Seite jedoch war mittlerweile ein Kurswechsel eingetreten, dessen Hintergründe sich nur vermuten lassen. Außeminister Gromyko, der Kwizinskij zum Waldspaziergang ausdrücklich ermutigt hatte, zeigte sich nunmehr total ablehnend. Die Kritik richtete sich dabei nicht so sehr gegen Einzel-punkte des Kompromißentwurfs als vielmehr gegen den Abschluß eines Kompromisses zu diesem Zeitpunkt überhaupt. Vermutlich lag dies darin begründet, daß Breshnew, der noch im Juni 1982 an einen INF-Friedensgipfel mit Präsident Reagan gedacht zu haben scheint, im Verlauf des Sommers die physische Kraft zu einem derartigen Vorhaben einbüßte. Dementsprechend erhielt Nitze im August 1982 ein negatives Signal aus Moskau. Daraufhin war es für ihn sinnlos geworden, sich für den ohnehin aussichtslos gewordenen Kompromißentwurf in Washington zu engagieren. Mit dem Argument, man könne das, was als Kompromiß entstanden sei, nicht als amerikanischen Vorschlag (von dem dann Abstriche zu sowjetischen Gunsten gemacht werden müßten) beibehalten, wurde das Nitze-Kwizinskij-Papier daraufhin auch in Washington fallengelassen (J. Barry, New men take over in Moscow, in: The Times vom 2. 6.

1983). 3. Der Andropow-Vorschlag vom 21. Dezember 1982 zielt — wie alle sowjetischen Vorschläge über die Begrenzung der in Europa stationierten Mittelstreckenwaffen seit 1979 — darauf ab, die amerikanischen Systeme mittlerer Reichweite in diesem Raum auf ca. null zu halten (bei den Raketen) bzw. zu bringen (bei der Gesamtheit von nuklearen Raketen und Flugzeugen), ohne daß die UdSSR ihre modernen, heute noch relevanten Systeme (SS-20 und Backfire) verschrotten muß. Dementsprechend hat der KPdSU-Generalsekretär nicht, wie E. Lübkemeier meint, den Abbau von „mindestens 81 SS-20“ angeboten. Statt dessen hat er — augenscheinlich ganz bewußt — doppelsinnig in Aussicht gestellt, daß die SS-20 in dem genannten Umfang „abgezogen“ bzw. „vermindert“ werden könne. Das läßt, da nach sowjetischer Auffassung nur über die im europäischen Bereich stationierten Systeme eine Übereinkunft abgeschlossen werden kann, die Möglichkeit offen, daß die „abzuziehenden“, „zu vermindernden“ Systeme weiter östlich wieder aufgestellt, d. h. nur verlegt werden. Als SPD-Kanzlerkandidat Vogel während der Unterredung mit Generalsekretär Andropow am 12. Januar 1983 nachfragte, ob die ihm am Vortage gegebene Auskunft, ein Teil der sowjetischen Raketen würde vernichtet und ein anderer nach Osten verschoben werden, bedeute, es „würden auch SS-2O vernichtet werden oder nur SS-4/5“, erhielt er eine ausweichende, völlig nichtssagende Antwort, wie in dem Cesprächsprotokoll von Botschafter Meyer-Landrut nachzulesen ist Das kann (Quick vom 27. 1. 1983).

doch nur heißen, daß die sowjetische Führung jene Zusage, die E, Lübkemeier als gegeben annimmt, unbedingt vermeiden wollte. Am 2. April 1983 erklärte Außenminister Gromyko — nach einer vorangegangenen Auslassung des für Westeuropa zuständigen Ersten stellvertretenden Leiters der Abteilung Internationale Beziehungen beim ZK der KPdSU, Vadim Sagladin, in gleichem Sinne — auf einer Pressekonferenz in Moskau, daß niemand der UdSSR das Recht bestreiten könne, Raketen, die sie aufgrund einer künftigen Vereinbarung aus Europa abzuziehen habe, nach Asien zu verlegen. Für die NATO-Staaten ist dies aus mehreren Gründen unannehmbar: — Von der „Swingzone“ des westlichen bis mittleren Sibirien, die von der sowjetischerseits vorgeschlagenen Demarkation beim 50. Längengrad (Semipalatinsk westlich des SS-2Ö-Stationierungsgebiets bei Novosibirsk) nicht berührt wird, läßt sich sowohl Westeuropa als auch Ostasien erreichen. — Die SS-20-Startgeräte sind transportfähig und lassen sich mit der Eisenbahn in ein bis zwei Wochen und mit dem Flugzeug in noch kürzerer Zeit von Sibirien in die europäische Sowjetunion verbringen. Sobald die UdSSR über die derzeit in Entwicklung begriffenen Kapazitäten verfügt, die SS20-Startgeräte unzerlegt durch die Luft zu verfrachten, wird die erforderliche Zeit auf ein bis zwei Tage schrumpfen. — Eine Rüstungsbegrenzung in Europa zu Lasten anderer Staaten — vor allem Japans und Chinas — würde den guten Sitten in der internationalen Politik widersprechen und die Beziehungen der NATO zu den fernöstlichen Ländern belasten. Das gilt um so mehr, als die Sowjetunion mit ihren auf asiatischem Boden stationierten SS-20 bereits ein Mehrfaches an Sprengköpfen besitzt wie die einzige asiatische Nuklearmacht China. 4. Die Zahlenangabe von 243 SS-20-Startgeräten (mit jeweils 3 MIRV-Sprengköpfen pro Rakete und einer unbekannten Zahl von Nachladeraketen pro Startgerät) stammt nicht, wie E. Lübkemeier meint, allein aus westlichen Quellen. Sie ist seit dem Spätherbst 1981 immer wieder auch von sowjetischer Seite genannt worden — so auf der Genfer Pugwash-Tagung am 11 , /12. Dezember 1981 durch Vadim Sagladin. 5. Generalsekretär Andropow hat sich, wie E. Lübkemeier hervorhebt, am 3. Mai 1983 dazu bereit erklärt, nicht nur Startgeräte (Systeme), sondern auch Sprengköpfe zu zählen. Diese öffentliche Stellungnahme dient offenkundig dem Zweck, dem westlichen Einwand, die UdSSR suche sich einer Berücksichtigung ihres durch die unabhängig steuerbaren Mehrfachsprengköpfe (MIRV) der SS-20 gegebenen größeren Potentials zu entziehen, in der öffentlichen Diskussion die Überzeugungskraft zu nehmen. Ein entsprechendes diplomatisches Angebot ist bisher nicht gefolgt. Zudem macht die sowjetische Führung für die britischen und französischen Raketenstartgeräte, die gegen die SS-20-Startgeräte aufgerechnet werden sollen, so stark überhöhte Sprengkopfzahlen geltend, daß sich auf dieser Basis so gut wie nichts an der Startgeräterelation von eins zu eins zu ändern bräuchte. Gegenüber dem SPD-Kanzler-kandidaten Vogel hieß es während der Unterredung vom 12. Januar 1983, daß die Briten und Franzosen auf ihren 162 Startgeräten insgesamt 464 Sprengköpfe hätten — was für die UdSSR die Zulässigkeit eines Gegengewichts von 155 SS-20Startgeräten bedeuten würde. Die sowjetische Rechnung kommt — bis auf 78 französische „boden-und luftgestützte Sprengköpfe“, deren Zuordnung unklar ist — dadurch zustande, daß britische und französische MRV-Streusprengköpfe, die nur gegen jeweils ein Ziel gelenkt werden können und nach den zwischen den USA und der UdSSR vereinbarten SALT-Kriterien als Einfachsprengköpfe anzusehen sind, als MIRV-Mehrfachsprengköpfe gezählt werden. Inzwischen haben andere sowjetische Repräsentanten — etwa aus der Bonner Botschaft — anderslautende Rechnungen für die britischen und französischen Sprengköpfe aufgemacht, die dann freilich zum gleichen Endergebnis kommen. Eine weitere Prämisse, welche die sowjetische Seite willkürlich einführt, ist die Einbeziehung der seegestützten Raketensysteme Großbritanniens und Frankreichs, die aufgrund ihrer waffentechnischen Merkmale (Raketen auf U-Booten mit Nuklearantrieb) nach den vereinbarten SALT-Kriterien als interkontinental-strategische Systeme zu gelten haben. Landgestützte Mittelstreckensysteme sind derzeit auf westeuropäischem Boden nur in der Gestalt von 18 französischen S 3 (mit einem Sprengkopf und ohne Nachladekapazitäten) vorhanden. Generalsekretär Andropow hat die Entschlossenheit, sich über die Zählung von Sprengköpfen nichts abhandeln zu lassen, in seinen Antworten auf die Fragen von Vertretern finnischer gesellschaftlicher Organisa-tionen unmißverständlich klargemacht: „Im Ergebnis der Reduzierung“, so erklärte er, werde die UdSSR ebenso viele Systeme in Europa wie Großbritannien und Frankreich behalten — nämlich „ 162 Raketen“ und „ 138 Einheiten“ bei den Nuklearflugzeugen. Nach seiner Darstellung würde dies die Basis sein, auf der man sich über die „Gleichheit der Kernwaffenpotentiale in Europa, sowohl was die Träger als auch die Sprengköpfe betrifft“, einigen könnte (Radio. Moskau, 10. 5. 1983, in russischer Sprache). Demnach gilt im Kreml das Prinzip: Wie die Rechnung frisiert wird, bleibt gleichgültig, die Hauptsache ist, daß unter dem Strich das richtige Resultat — ein Kräfteverhältnis, bei dem auf dem europäischen Schauplatz allein die derzeit vorhandenen britischen und französischen Kernwaffen den nur durch relativ wenige Ostverlegungen verminderten sowjetischen SS-20 und Backfire gegenüberstehen — herauskommt.

Gerhard Wettig (Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien)

Gerhard Wettigs Kritik bezieht sich im wesentlichen auf meine Darstellung des von den beiden Chefunterhändlern Nitze und Kwitzinskij auf einem Waldspaziergang am 16. Juli 1982 entworfenen Kompromisses und meine Bewertung des Andropow-Vorschlags vom 21. Dezember 1982. 1. Zum Waldspaziergang Gerhard Wettig stützt sich auf zwei Artikel von John Barry in The Times vom 1. 6. 1983 bzw. 2. 6. 1983, ich berufe mich auf Berichte der amerikanischen Journalisten Leslie Gelb, der in der Carter-Administration einen hochrangigen Posten im Rüstungskontrollbereich innehatte, und Strobe Talbott, einem in diesen Fragen publizistisch ausgewiesenen Reporter des Nachrichtenmagazins Time. Beiden werden ausgezeichnete Verbindungen zur amerikanischen Regierung nachgesagt. Ihre Berichte und die eines weiteren amerikanischen Journalisten (vgl. B. Gwertzman in: International Herald Tribune (IHT) vom 13. 1. und 17. 1.

1983) bestätigen meine Version in den von Wettig kritisierten zwei Punkten: a) Es sei dahingestellt, ob Nitze überhaupt zu informellen Sondierungen nach der Art des Wald-spaziergangs ermächtigt war. In der Sache scheint er aber doch „auf eigene Faust“ gehandelt zu haben. Gelb berichtet (IHT vom 20. 1. 1983), Nitze haben im Juli 1982 das Kompromiß-Modell „offenbar ohne Ermächtigung“ („apparently without authorization“) unterbreitet, und Talbott schreibt (Time vom 31. 1. 1983, S. 13), daß Nitze es schließlich im letzten Sommer selbst übernommen habe, die Trägheit des amerikanischen politischen Prozesses zu überwinden („Finally, last summer, Nitze took it upon himself to overcome the inertia of the American policymaking process“; vgl. auch B. Gwertzman, in: IHT vom 13. 1.

1983).

Auch im Zusammenhang mit dem Anfang dieses Jahres erzwungenen Rücktritt des damaligen Leiters der amerikanischen Abrüstungs-und Rüstungskontrollbehörde, Eugene Rostow, gab es gleichlautende Meldungen. Rostow soll Nitze während eines Genf-Aufenthalts am 11. und 12. Juli 1982 zu dem Vorstoß ermuntert haben, den Nitze am 16. Juli 1982 auf dem Waldspaziergang dann unternahm (vgl. IHT vom 13. 1. 1983). Dies soll ihm von William Clark, dem nationalen Sicherheitsberater von Präsident Reagan, den Vorwurf des Überschreitens seiner Kompetenzen eingetragen und zu seiner Entlassung beigetragen haben (vgl. IHT vom 17. 1. 1983 und Süddeutsche Zeitung vom 18. 1. 1983).

Auch Kwitzinskij scheint auf dem Waldspaziergang seinen Verhandlungsspielraum überschätzt zu haben. In erster Linie dürfte es das Außerachtlassen der britischen und französischen Waffen gewesen sein, das zum Veto Moskaus geführt hat (so L. Gelb, in: IHT vom 22. /Z 3. 1. 1983; vgl. auch IHT vom 20. 7. 1983). Wenig plausibel erscheint dagegen Wettigs „Vermutung“, die negative Antwort Moskaus auf die Nitze-Kwitzinskij-Verständigung sei auf den Verfall von Breshnews physischen Kräften zurückzuführen gewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die sowjetische Führung ihre Haltung in einer derart wichtigen Frage vom Gesundheitszustand des Generalsekretärs der KPdSU abhängig macht. Selbst wenn Breshnew zu einem „INF-Friedensgipfel“ physisch nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte, hätte die UdSSR, falls sie wirklich an einem Abkommen auf der Grundlage der Nitze-Kwitzinskij-Formel interessiert war. in der Sache positiv reagieren können. Wer dann wann eine solche Einigung auf höchster Ebene unterzeichnet, ist demgegenüber eine zweitrangige Frage. b) Wettigs Schilderung der Aufnahme der Nitze-Kwitzinskij-Absprache in Washington stimmt mit den von mir ausgewerteten Quellen nicht überein. Danach ist die Kritik keineswegs — wie Wettig behauptet — „gemäßigt“ ausgefallen, sondern mündete letztlich in einer glatten Ablehnung durch Präsident Reagan (vgl. S. Talbott, in: Time vom 18. 4. 1983, S. 14). Eine entscheidende Rolle scheint dabei der von Nitze in Aussicht gestellte Verzicht auf die Pershing II gespielt zu haben. Vor allem im Pentagon war man offenbar nicht bereit, dieses Waffensystem aufzugeben (vgl. S. Talbott, in: Time vom 31. 1. 1983, S. 15), nach Gelb soll jedoch auch der Chef des für die Pershing II zuständigen amerikanischen Heeres „erhebliche Vorbehalte“ („strong reservation") gehabt haben (vgl. IHT vom 22. /23. 1. 1983). Hinzu kam, daß sich insbesondere das Pentagon daran gestoßen haben soll, daß die Null-Lösung ohne vorherigen Beschluß in Washington auf dem Waldspaziergang von Nitze fallengelasser wurde („They [other officials; E. L. ] said that, in particular, the Pentagon was extremely irritated that there had been any movement away from the zero Option without a decision in Washington ahead of time“; Gwertzman, in: IHT vom 13. 1. 1983). Die insbesondere aus dem Pentagon vorgebrachten Einwände sollen den Präsidenten schließlich bewogen haben, den Nitze-Kwitzinskij-Kompromiß zurückzuweisen und an der Null-Lösung festzuhalten (vgl. jetzt auch IHT vom 20. 7. 1983).

Weiterhin spricht für eine Ablehnung durch die US-Regierung, daß sie die erwähnten Presseberichte über die negative Reaktion Washingtons nicht offiziell dementiert hat. Wenn Washington im Sommer letzten Jahres wirklich der Auffassung war, mit der Substanz der Nitze-Kwitzinskij-Absprache leben zu können, bleibt zu fragen, warum man dies nicht öffentlich erklärt hat. Auf diese Weise wäre die Schuldfrage für das Scheitern dieser Verständigung zugunsten der amerikanischen Regierung geklärt worden, was sicherlich jenen insbesondere europäischen Kritikern, die die Kompromißbereitschaft der USA bei den Genfer Verhandlungen bezweifeln, Wind aus den Segeln genommen hätte. 2. Zum Andropow-Vorschlag Wettig unterstellt, ich nähme eine sowjetische „Zusage als gegeben an“, daß die UdSSR bereit sei. bei einer Verringerung ihres gegen Westeuropa gerichteten SS-20-Potentials auf die Anzahl der britischen und französischen Systeme die überzähligen SS-2O-Einheiten zu vernichten. Eine solche Schlußfolgerung gibt jedoch die von Wettig angesprochene Passage (s. S. 23) nicht her. Abbau kann Verlegung oder Vernichtung bedeuten, wobei ich mich allerdings gegen eine Verlegung gewandt habe (s. S. 26).

Wettig scheint davon auszugehen, daß die Sowjetunion nie an eine Zerstörung von SS-20-Systemen, sondern immer nur an ihre Verlegung aus dem europäischen in den asiatischen Teil der UdSSR gedacht habe. Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Vogel erklärte jedoch in zwei Interviews nach seiner Moskau-Reise Anfang Januar 1983, Gromyko habe ihm gegenüber „später in Bonn“ versichert, „das Hauptverfahren ist Verschrottung. Dann habe ich gefragt: Welche Systeme? Darauf hat Gromyko klipp und klar gesagt: Das ist Gegenstand der Verhandlungen, auch die SS-20“ (Dit ZEIT vom 18. 2. 1983; vgl. auch Süddeutsche Zeitung vom 26. 1. 1983). Das kann keinesfalls als eine „ausweichende, völlig nichtssagende Antwort“ bezeichnet werden, die Vogel nach dem von Wettig in Anspruch genommenen Gesprächsprotokoll in seiner Unterredung mit Andropow am 12. 1. 1983 erhalten haben soll. Richtig und von mir beschrieben (vgl. S. 25) ist allerdings, daß die UdSSR inzwischen nur noch von Verlegung spricht. Der Sowjetunion-Experte der ZEIT, Christian Schmidt-Häuer, vermutet (siehe DIE ZEH vom 15. 4. 1983), dieser Rückzieher könnte eine Konzession Gromykos an sowjetische Militärkreise sein, die damit zusammenhängt, „daß die Rüstungsprogramme des Pentagon, die Stationierungspläne und der antikommunistische Kreuzzug des altersstarren Ronald Reagan für eine immer engere Koalition zwischen den sowjetischen Generälen und den Zivilisten in der Kreml-Führung sorgen." Wenn diese Einschätzung zutrifft, müßte es durch eine flexiblere und pragmatischere Haltung der USA möglich sein, das Bestehen der UdSSR auf Verlegung statt Verschrottung erneut aufzulockern.

Wettig begründet seine Ablehnung einer Verlegungsmöglichkeit von SS-20-Systemen u. a. mit der Transportfähigkeit dieser Waffe. Wer das tut, müßte dann eigentlich auch einen Kompromiß auf der Linie des Waldspaziergangs zurückweisen, wenn er zugleich auf dem von den USA vertretenen Prinzip einer gleichen globalen Obergrenze beharrt. Die Nitze-Kwitzinskij-Formel sah vor, daß der UdSSR insgesamt 165 SS-20 (75 in ihrem europäischen, 90 in ihrem asiatischen Teil) mit zusammen 495 Sprengköpfen verblieben, während die NATO mit nur 75 GLCM-Abschußgeräten (= 300 Marschflugkörper) mit 300 Sprengköpfen in Westeuropa nachgerüstet hätte. Eine solche Vereinbarung erfüllt nicht das Prinzip gleicher Begrenzungen, es sei denn, die asiatischen SS-20 bleiben außerhalb eines europabezogenen INF-Abkommens (dann stehen 75 GLCM-Einheiten 75 SS-20-Systeme gegenüber). Warum der UdSSR trotz der Mobilität der SS-20 ein asiatisches Kontingent zugestanden werden kann, habe ich in meinem Text zu begründen versucht (s. S. 26). Wettigs Bemerkungen zur Frage der Behandlung der britischen und französischen Waffen betrachte ich nicht als Einwände gegen meine Argumentation. Ich bin wie er der Meinung, daß die NATO zu Recht die sowjetische Forderung nach Aufrechnung dieser Waffen gegen die sowjetischen INF-Raketen ablehnt (s. S. 25 und 26).

Eckhard Lübkemeier (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Fussnoten

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