Einleitung
Vor mehr als zwanzig Jahren schrieb der große schwedische Ökonom und Nobelpreisträger, Gunnar Myrdal, in einem Essay über Wohlfahrtsökonomie, daß die vorläufig größte Errungenschaft auf dem Wege zum Wohlfahrtsstaat die Sicherung der Vollbeschäftigung gewesen sei, und er fügte hinzu, daß die Völker der westlichen Industriestaaten nie wieder ein Aufleben hoher Arbeitslosigkeit zulassen würden Auch noch gegen Ende der sechziger Jahre beschäftigte sich in London eine große internationale Konferenz von Wirtschaftswissenschaftlern mit der Frage, ob die Konjunkturschwankungen eine Angelegenheit der Vergangenheit seien Wenige Jahre später waren diese Vorstellungen und Fragestellungen durch die Wirklichkeit überholt. Die Arbeitslosigkeit als drückendes soziales und ökonomisches Problem ist wieder allgegenwärtig und hat mit weit mehr als 30 Millionen Beschäftigungslosen in Westeuropa und Nordamerika ein Niveau erreicht, das man vor zehn Jahren noch für undenkbar gehalten hätte. „Was kann man gegen die Arbeitslosigkeit tun?“ ist daher wieder zu einer der dringlichsten Fragen geworden, mit denen sich Wirtschaftswissenschaftler konfrontiert sehen. Doch es scheint, daß sie darauf weder befriedigende noch einheitliche Antworten parat haben. Zwar gibt es immer wieder Vorschläge und Rezepte, aber sie bleiben umstritten oder erweisen sich als schwer durchführbar. Die Arbeitslosigkeit steigt indessen weiter bzw. verharrt auf hohem Niveau.
Woher rühren diese Schwierigkeiten? Ist die Wirtschaftswissenschaft unfähig, das Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, oder verhindern politische Bedingungen eine „Lösung“ des Problems? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen einer realistischen Beschäftigungspolitik?
I. Arbeitslosigkeit als Regel
Eine realistische Einschätzung der möglichen Therapien gegen Arbeitslosigkeit hängt vor allem davon ab, wie man die „Normalität" des Wirtschaftssystems sieht, das den Wirtschaftsablauf der westlichen Industriestaaten prägt. Dieses System, das man etwa als „entwickelte kapitalistische Marktwirtschaften" bezeichnen kann, ist aus historischer Sicht seit weit mehr als hundert Jahren immer wieder Störungen und Konjunkturschwankungen unterworfen gewesen, die stets mit Arbeitslosigkeit größeren Ausmaßes verbunden waren. Große Ökonomen wie Marx, Schumpeter, Keynes und diverse konjunkturtheoretische „Schulen" haben diese Störungsanfälligkeit des Systems in den Mittelpunkt ihrer Theorien gestellt.
Wenn man diese historische und theoretische Sichtweise anerkennt, muß man zunächst akzeptieren, daß die schwierige Situation von Stagnation und Arbeitslosigkeit, durch die wir derzeit hindurchgehen, keine Ausnahmesituation darstellt. Wiewohl die jüngere Generation zum ersten Mal mit dem Phänomen der Massenarbeitslosigkeit konfrontiert wird, handelt es sich doch eher um die Rückkehr zum „normalen" Rhythmus kapitalistischer Wirtschaften. Ausnahmezustände erleben wir nicht jetzt, sondern es waren eher die „goldenen" sechziger Jahre mit ihren historisch einmaligen Wachstums-und Beschäftigungsraten, die eine einzigartige Ausnahmesituation bildeten, ebenso übrigens wie die extrem tiefe Depression der dreißiger Jahre eine Sonderstellung einnahm und über die Schwankungen der „Normalität" hinausging. In beiden Fällen haben wir es mit einer zum Teil zufälligen Häufung von gleichgerichteten Einflußfaktoren zu tun — expansiv in dem einen Fall, depressiv im anderen —, die sich gegenseitig aufschaukelten und die Basis für eine ungewöhnlich lang anhaltende Periode extrem hoher bzw. extrem tiefer Konjunktur-lagen bildeten. 1. Rahmenbedingungen der Hoch-konjunktur Ohne detailliert auf die Geschichte der Hoch-konjunktur der sechziger Jahre eingehen zu wollen, ist es doch angezeigt, kurz die Einflüsse zu skizzieren, die zu diesem „Pfad" auf hohem Niveau beitrugen, weil damit die geänderten Rahmenbedingungen, unter denen Beschäftigungspolitik heute agieren muß, deutlicher sichtbar werden.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erforderte in den meisten Staaten enorme Umstellungs-und Aufbauleistungen. Viele Ökonomen hatten befürchtet, daß dies mit großen Störungen und hoher Arbeitslosigkeit verbunden sein würde. Tatsächlich gab es in vielen Ländern in den vierziger und fünfziger Jahren mehr oder weniger große Arbeitslosigkeit, aber sie lag weit unter dem Vorkriegsniveau und wurde in den folgenden Jahren rasch absorbiert. Dieser unerwartet rasche und gründliche Beschäftigungserfolg war das Resultat einer ganzen Reihe von kräftigen, expansionsfördernden Impulsen.
Die Zerstörungen und Versäumnisse der Kriegszeit und auch der vorangegangenen Depressionsjahre lösten nahezu unumgängliche Investitionsanstöße im privaten und öffentlichen Sektor aus, welche die Produktionsmöglichkeiten und die Infrastrukturleistungen wieder auf Touren bringen sollten. Diese Anstöße wurden verstärkt durch einen breiten ungesättigten Nachholbedarf der Konsumenten, der in mehreren Ländern auch durch aufgestaute Sparmittel kaufkraftmäßig gedeckt war. Weiterhin waren die Investitionen relativ wenig riskant, da die rasch wachsende Nachfrage sich zunächst sehr stark auf bestimmte essentielle Bedürfnisse konzentrierte, so daß der Bedarf ziemlich risikofrei vorausgesehen werden konnte. Zunächst gab es die Freßwelle, ihr folgte die Bekleidungswelle und schließlich wandte sich die Nachfrage dem Wohnungsbedarf zu. Die Anstöße zu einer anhaltend hohen Investitionstätigkeit kamen jedoch nicht nur von der rasch expandierenden und „sicheren“ Nachfrage, sondern wurden auch durch den reichen Fundus an nutzbaren, aber noch nicht genutzten technologischen Möglichkeiten angeheizt, die sich in den Depressions-und Kriegsjahren angesammelt hatten. Insbesondere die europäischen Industriestaaten und Japan konnten aus den amerikanischen Erfahrungen, die ungestörter verlaufen waren, erfolgversprechende Anregungen beziehen. Schließlich ermöglichte eine akkomodierende, leicht inflationistische Geldpolitik die Finanzierung dieser breiten Investitionswelle.
Diese vielseitigen Investitions-und Nachfrageanstöße verstärkten sich gegenseitig und schufen so ein Klima, das in den späteren fünziger und in den sechziger Jahren eine Stabilisierung auf hohem Produktions-und Beschäftigungsniveau begünstigte. Gefestigt wurde dieses Klima durch die Wiederbelebung und Ausdehnung des seit den frühen dreißiger Jahren eingeschränkten Welthandels und — nicht zuletzt — durch die hohe Priorität, die der Beschäftigung in der Wirtschaftspolitik der meisten Länder zugeteilt wurde. Nicht immer war es eine sehr effiziente Beschäftigungspolitik., und die Umstände erwiesen sich für eine große Anzahl Arbeitender sowieso als günstig. Trotzdem kann man der damaligen — mehr oder weniger „keynesianisch" inspirierten — Arbeitsmarktpolitik einen gewissen Beitrag zu den Erfolgen auf diesem Sektor nicht absprechen; auf jeden Fall kann man sagen, daß die Politik zumindest den Beschäftigungsaufschwung nicht behindert hat. 2. Veränderte Rahmenbedingungen seit den siebziger Jahren An der Wende zu den siebziger Jahren hatten sich die expansiven Wirkungen der einmalig günstigen Kombination von verschiedenen Auftriebskräften erschöpft: Es kam zu einer „Trendwende" und mit ihr die Rückkehr zur „Normalität". Die relativ leichte Rezession von 1967/68 stellte eine erste Warnung dar. Im Gegensatz zu früheren leichten Störungen wurden erstmals die meisten Staaten gleichzeitig von — wenn auch leichten — Rezessionserscheinungen betroffen, so daß ein Ausweichen in den Export keine generelle Lösung mehr bieten konnte. Dann kam es in rascher Folge zum Zusammenbruch des in Bretton Woods gezimmerten Währungssystems (1970— 1972), was zu einer Verunsicherung der Handels-und Zahlungsbeziehungen führte, zu allmählich steigender Arbeitslosigkeit, zum ersten großen ölpreisschock (1973) und schließlich zu dem scharfen Einbruch des Jahres 1975. Seither sind die Arbeitslosenzah-B len ständig gestiegen; eine andauernde Erholung der Wirtschaft konnte sich bis 1983 nicht einstellen.
Wenn wir die Welt nach der „Trendwende“ betrachten, müssen wir feststellen, daß fast alle Faktoren, welche die „Blütezeit“ der sechziger Jahre begünstigt hatten, weggefallen sind oder sich in ihr Gegenteil verkehrt haben. Die Investitionszwänge aus Wiederaufbau und Modernisierungsrückstand sind längst verflogen. Neue und nicht unwichtige technologische Entwicklungen rücken zwar nach, doch nicht in der Fülle und Breite wie in den Jahren nach 1945. Außerdem können manche Entwicklungen — wie etwa die Mikroelektronik — ebenso arbeitssparender Rationalisierung wie beschäftigungsfördernden Erweiterungen dienen. Auf der Nachfrage-seite sind aus Bedarfs-und Kaufkraftgründen die starken Impulse weggefallen. Mit wachsendem Wohlstand muß zusätzliche Nachfrage zum Teil erst geschaffen werden, und sie ist ständig modischen und zufälligen Einflüssen unterworfen, was das Risiko der Investitionen erhöht.
Im internationalen Bereich ist das Risiko infolge der Währungsunordnung ebenfalls gestiegen, die Auftriebstendenzen aus der Liberalisierung und dem Wiederaufbau des Welthandels haben sich erschöpft und haben neuen Problemen Platz gemacht, insbesondere dem Vorstoß der „neuen" Industriestaaten, wie Japan, Taiwan, Hongkong, Singapur etc„ und der wachsenden Verlagerung von Produktionstätigkeiten in diese (und andere) Regionen durch multinationale Unternehmungen. Das schafft schwierige Strukturprobleme und führt — in Verbindung mit der Arbeitslosigkeit — zu restriktiv-protektionistischen Tendenzen, welche die Erwartungen über Absatzmöglichkeiten verunsichern. Verschärft wird diese Kumulation negativer Einflüsse noch dadurch, daß infolge der weltwirtschaftlichen Integration die Konjunkturschwankungen der wichtigsten Industrieländer seit Ende der sechziger Jahre — wie in den Vorkriegsjahren — weitgehend synchron verlaufen, so daß der Ausweg in den Export keine einfache Lösung für nationale Beschäftigungsschwierigkeiten ermöglicht und für eine generelle Linderung der weltweiten Rezession nicht in Frage kommt.
Die heutigen Rahmenbedingungen und ihre Kontrastierung mit den weitgehend anders gelagerten Sonderzuständen der fünfziger und sechziger Jahre wurden etwas breiter ausgeführt, um zu unterstreichen, daß aus dieser Sicht die Schaffung und Erhaltung eines hohen Beschäftigungsstandes in der heutigen Situation objektiv bedeutend schwieriger geworden ist, und zwar unabhängig von dem derzeit hinzukommenden (aber nur vorübergehenden) Problem des größeren Andrangs am Arbeitsmarkt als Folge des Babybooms der fünfziger und frühen sechziger Jahre.
Die wichtigste Folgerung, die sich aus dieser Sicht ergibt, scheint die zu sein, daß mit der Trendwende von 1970 die Notwendigkeit einer überwiegend beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik außerordentlich gewachsen ist. 3. Aktuelle Philosophien Die Frage, welche Bedeutung man dieser These beimißt, ja, ob und in welchem Ausmaß man Beschäftigungspolitik überhaupt für vorrangig erachtet, stellt die erste und wichtigste Scheidewand zwischen zwei verschiedenen Strategie-„Philosophien" dar, wenn es zur Problematik der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kommt. Im Gegensatz zu den oben dargelegten Gedankengängen wird heute unter Wirtschaftswissenschaftlern und in der Politik auch eine ganz andere Richtung vertreten, die auf traditionelle Ideen der ökonomischen Gleichgewichtstheorie zurückgreift und daher als „neo-klassisch“ bezeichnet wird. Einige gegenwärtig viel diskutierte „Modeströmungen" wie Monetarismus, „Supply-side economics“ oder die Theorie der rationalen Erwartungen fallen weitgehend in diese Kategorie. Die Grundgedanken dieser Richtung gründen auf die Annahme, daß „freie" Märkte mit voll flexiblen Preisen und Löhnen einen leistungsfähigen Mechanismus für einen weitgehend reibungslosen Wirtschaftsablauf darstellen, bei dem sich alle Märkte — auch der Arbeitsmarkt — normalerweise im Gleichgewicht befinden würden. Wenn es zu Störungen kommt, sei dies nicht eine Folge der Störungsanfälligkeit des Marktsystems, sondern darauf zurückzuführen, daß man das Marktsystem nicht ungestört funktionieren lasse. Monopole und Gewerkschaften seien schuld daran, daß Preise und Löhne zu wenig flexibel sind, so daß Anpassungen unterbunden werden. Der Staat und das Bankensystem seien ebenfalls Störelemente, die durch unpassende Eingriffe den Marktablauf und die Investitionstätigkeit unterbinden. Die wachsenden Störungen seit 1970 werden überwiegend als abnormale Entwicklung, bewirkt durch die obigen Elemente, angesehen, wobei insbesondere auf die im Laufe der sechziger Jahre angewachsenen Inflationstendenzen hingewiesen wird. Obwohl diese erst durch den Vietnamkrieg entscheidend verschärft wurden, wird vor allem ihr — sicherlich auch bestehender — Zusammenhang mit der Vollbeschäftigungspolitik hervorgekehrt. Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik wird aus dieser Sicht die Inflationsbekämpfung, die höchste Priorität erhält. Beschäftigungspolitik wird als zweitrangig eingestuft oder als unnötig erachtet, da sich mit der „Ordnung“ der Märkte das Beschäftigungsproblem von selbst lösen sollte. Diese Ideen, die nun schon seit ungefähr zehn Jahren die Wirtschaftspolitik konservativ regierter Staaten beeinflussen, haben die geschilderten objektiven Rezessionstendezen außerordentlich verschärft und damit zu der heutigen extremen Höhe und Hartnäckigkeit der Arbeitslosenzahlen beigetragen.
II. Beschäftigungspolitische Notwendigkeiten
1. Primat der Beschäftigungspolitik Erste Voraussetzung einer effektiven Strategie gegen die Arbeitslosigkeit ist somit die Kenntnisnahme der prinzipiell veränderten und störungsanfälligen Situation, in der wir uns heute befinden, die ebensowenig wie in vergangenen Jahrzehnten rasche und befriedigende Lösungen durch die Marktautomatik erhoffen läßt. Eine Beschäftigungspolitik mit höchster Priorität tut daher mehr not denn je. Aber mit dieser Erkenntnis allein ist es noch nicht getan. Denn die heutigen Verhältnisse, die sich in vieler Beziehung von früheren Rezessionen und Depressionen unterscheiden, lassen es nicht zu, einfache keynesianische Rezepte aus früheren Zeiten unkritisch zu übernehmen. Die Hoffnung, man könne mit beliebigen globalen Staatsausgabensteigerungen die Arbeitslosigkeit einschränken und dann durch „fine tuning", durch anpassende Budgetvariationen, die Konjunkturbewegung in engen Grenzen halten, kann gegenwärtig nicht als ausreichend angesehen werden. Trotz der Regularität des Konjunkturzyklus als solchem hat jede einzelne Konjunktur-welle ihre eigene Individualität Vor allem die gegenwärtige Situation enthält viele neue Elemente, welche beim Einsatz von beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu berücksichtigen sind.
Sicherlich ist aus dem keynesianischen „Werkzeugkasten" auch derzeit das Instrument hoher Staatsausgaben nicht entbehrlich, um die aus verschiedensten Gründen geschwächte private Investitionstätigkeit zu ergänzen und kumulative Nachfrageausfälle mit ihren depressiven Folgen zu verhindern. Aber im Gegensatz zu den dreißiger Jahren kann es sich nicht um eine undifferenzierte Forderung nach höheren Staatsausgaben (oder Steuersenkungen) handeln. Damals gab es — in einem allgemein deflationistischen Klima — Massenarbeitslosigkeit in nahezu allen Branchen und Berufen. Es war daher ziemlich unerheblich, wo eine zusätzliche Nachfrage anfiel. Man konnte auf jeden Fall mit einer Produktions-und Beschäftigungsausweitung rechnen, die dann auf andere Wirtschaftszweige übergreifen würde.
Heute ist die Lage weit differenzierter. Erstens ist trotz hoher genereller Arbeitslosigkeit die Verteilung der Arbeitslosigkeit nach Branchen, Regionen, Qualifikationen und Personengruppen (Jugendliche, Frauen, Behinderte etc.) sehr unterschiedlich. Und zweitens ist nach Jahren inflationistischer Entwicklung und eines sich über Preis-Lohn-Kämpfe abwickelnden Verteilungskonflikts die Gefahr, daß zusätzliche Nachfrage in Preis-statt Produktionssteigerungen verpufft, weit größer als in den dreißiger Jahren. Globale Nachfragestimulierung ist daher nicht angebracht. Vielmehr ist eine gezielte Steuer-und Ausgabenpolitik notwendig, die ein Anheizen der Nachfrage in Engpaßbereichen (mit nachfolgenden Preisauftriebstendenzen) möglichst vermeidet. Sie muß vor allem in jenen Bereichen ansetzen, wo freie Kapazitäten und Arbeitslosigkeit stark ausgeprägt sind, und sie sollte Konkurrenzmechanismen stärken, die für eine inflationsschwache Produktionsausweitung sorgen. Eine Politik dieser Art muß nicht nur auf zusätzlichen öffentlichen oder steuerlich geförderten privaten Ausgabenerhöhungen beruhen, sie kann auch durch gezielte Umschichtungen bisheriger Ausgaben und Maßnahmen gefördert werden. 2. Öffentliche Nachfrageförderung und differenzierte Arbeitsmarktpolitik Eine Stärkung der effektiven Nachfrage durch öffentliche Maßnahmen (Fiskal-und Geldpolitik) scheint in der gegenwärtigen Periode eine unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg jeder wie auch immer gearteten beschäftigungsorientierten Politik. Angesichts der generell rezessiven Einflüsse besteht ohne Schaffung eines stabileren Absatz-klimas wenig Hoffnung auf dauerhafte und selbsttragende Aufschwungtendenzen. Aber eine traditionell-keynesianische Beschäftigungspolitik — auch in differenzierter Form — ist für sich allein nicht genug. Die Arbeitslosigkeit hat verschiedene Wurzeln und benötigt dementsprechend auch verschiedene Therapien. Eine an aktueller Arbeitslosigkeit und Unterauslastung orientierte Nachfrage-stützung läuft Gefahr, unter Umständen falsche Strukturen zu konservieren und damit gegenwärtige und künftige strukturelle Arbeitslosigkeit zu erhalten bzw. zu erzeugen, also Qualifikationen zu begünstigen, die nicht mehr oder nur wenig benötigt werden.
Die differenzierte Nachfrageförderung muß daher durch eine ebenso differenzierte aktive Arbeitsmarktpolitik unterstützt werden. Soweit es gegenwärtig bereits Engpässe bei der Arbeitskräftebeschaffung gibt, kann die aktive Arbeitsmarktpolitik durch Umschulung und/oder Ubersiedlungsbeihilfen unmittelbar zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen. Ebenso wichtig ist auch die Schulung von Arbeitslosen und insbesondere arbeitslosen Jugendlichen für Qualifikationen, die bei einem kommenden Aufschwung und im längerfristigen Wachstumsprozeß besonders gefragt sein werden. Dies würde die Chancen für eine raschere und dauerhaftere Senkung künftiger Arbeitslosenzahlen verbessern.
In dieser Richtung könnte noch manches getan werden, obwohl die Schwierigkeiten nicht übersehen werden sollten. Erstens ist eine solche Politik kostspielig, wobei allerdings der große Nutzen, der aus der Erhaltung und Förderung von Qualifikationsniveaus und der Vermeidung psychologischer Schäden und sozialer Spannungen erwächst, kaum hoch genug angesetzt werden kann. Und zweitens wird es bei anhaltender Rezession immer schwieriger, die strukturellen Bedingungen und Erfordernisse in einer kommenden Aufschwungphase klar vorherzusehen. Trotzdem könnte einiges erreicht werden, insbesondere wenn es gelänge, durch Koordinationsmaßnahmen und -gespräche gewisse längerfristige Investitions-, Ausbau-und Schulungsprogramme aufeinander abzustimmen. Außerdem: Je mehr es gelingt, durch allgemeine Beschäftigungspolitik die Arbeitslosigkeit zu senken und die Produktionskapazitäten besser auszunutzen, um so klarer werden die strukturellen Elemente sichtbar werden und um so leichter wird es fallen, „richtige“ Entscheidungen zu treffen. 3. Barrieren einer beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik Das bisher skizzierte Konzept einer überwiegend beschäftigungsorientierten, nachfrage-und beschäftigungsexpansiven Wirtschaftspolitik kann auf drei Barrieren stoßen, die in der öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle spielen: das Problem der Staatsverschuldung, das Inflationsproblem und — falls es um die Beschäftigungspolitik einzelner Staaten geht — das Zahlungsbilanzproblem. a) Staatsverschuldung Das Problem hoher und wachsender Staatsschulden spielt eine besondere Rolle. Obwohl mit der Staatsschuld auch echte ökonqmische Probleme verbunden sind, handelt es sich hier vor allem um eine Barriere, die durch obstruse Vorstellungen und politische Auseinandersetzungen eine besonders einschneidende Bedeutung erlangt hat. Wenn durch öffentliche Politik in rezessiven Perioden dem kumulativen Nachfrageverfall Einhalt geboten werden soll, dann ist es unvermeidlich, daß der Staat angesichts der allgemeinen realen Ausgabenstagnation bzw. Ausgaben-schrumpfung gegensteuert, d. h. seine Ausgaben nicht in gleichem Maße bremst. Das heißt, der Staat soll und muß sich verschulden. Tut er das nicht und versucht er, die Ausgaben den stagnierenden Einnahmen anzupassen, so verschärft er die Rezession. Dauert eine Rezession längere Zeit an, so besteht — bei beschäftigungsorientierter Politik — auch längere Zeit die Notwendigkeit für staatliche Defizite, und der Schuldenstandwird notwendigerweise ansteigen.
Wachsende öffentliche Schuldenstände in Rezessionsperioden sind somit eine notwendige und wünschenswerte Begleiterscheinung einer beschäftigungsorientierten Politik. Selbst wenn die Politik nicht beschäftigungsorientiert ist, aber die ärgsten Einbrüche verhindern will, wird sie Defizite und Schulden hinnehmen müssen, wie das auch in sämtlichen Industriestaaten in den letzten zehn Jahren geschehen ist. Diese Konstellation erhält ihren Sinn und ihre Rechtfertigung aus der Sonderstellung des Staates, der mit seinen Einnahmen und Ausgaben gesamtwirtschaftlich stabilisierende Aufgaben zu erfüllen hat.
Das Ausmaß und die möglichst reibungslose Organisation einer solchen Verschuldungsperiode ist nicht problemlos und erfordert Überlegung und Geschick. Aber der Weg zu einer (vom beschäftigungspolitischen Standpunkt) möglichst optimalen Defizit-und Schuldenpolitik ist häufig politisch und psychologisch versperrt, weil in der öffentlichen Debatte staatliche schuldenfinanzierte Beschäftigungspolitik einer privaten Verschwendungssucht gleichgesetzt wird und dadurch völlig falsche Vorstellungen entstehen. Dies gilt zum Beispiel für die These, daß durch die Schulden künftige Generationen belastet werden. Zwar ist sie bei Auslandsschulden zutreffend, nicht aber bei Inlandsschulden, wo ja die zusätzlichen, schuldenfinanzierten Ausgaben heutige zusätzliche Produktion bewirken, die ansonsten infolge von Unterbeschäftigung überhaupt nicht zustandegekommen wäre. Die Verschuldungsproblematik, die in mancher Hinsicht sicherlich existiert, kann hier nicht weiter behandelt werden. Das Hauptproblem besteht aber darin, daß infolge der aufgehäuften Vorurteile und politisch-taktisch gebrauchten Argumente eine sachliche Auseinandersetzung über das Pro und Kontra einer ausgewogenen und effizienten Verschuldungsstrategie (bzw. Schuldenrückzahlung in Zeiten guter Konjunktur) sehr erschwert worden ist. b) Inflation Das Inflationsproblem stellt jede Beschäftigungspolitik vor sehr schwierige Aufgaben. Die oligopolistische und monopolistische Struktur der Wirtschaft und die Lohnpolitik der Gewerkschaften können dazu führen, daß wachsende Nachfrage noch lange vor Erreichung der Vollbeschäftigung in höhere Preis-und Lohnforderungen umgesetzt wird. Kapituliert man vor diesem Problem im Zeichen eines mit höchster Priorität ausgestatteten Preisstabilisierungsziels, so bleibt die Beschäftigung auf der Strecke und man erhält ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht oder — noch schlimmer — Stagflation. Die Herausforderung besteht darin, Beschäftigungspolitik mit anderen Maßnahmen so zu koppeln, daß sich die Auftriebstendenzen überwiegend im Beschäftigungsbereich niederschlagen und die Inflation sich in Grenzen hält. Dazu gehört — trotz aller Schwierigkei-ten, die man damit erlebt hat — eine Bereitschaft, Einkommenspolitik zu betreiben, d. h.der Versuch, den Verteilungskonflikt durch Absprachen, Verhandlungen, Mitspracherechte etc. in Bahnen zu lenken, die einen Preis-Lohn-Wettlauf, wenn schon nicht unnötig machen, so doch bremsen. Die Koppelung einer Einkommenspolitik mit einer glaubhaften und engagierten Beschäftigungspolitik sollte die Erzielung von Konsens und Abmachungen erleichtern. c) Zahlüngsbilanzprobleme Lassen viele Staaten der Rezession freien Lauf, so werden beschäftigungsorientierte Staaten auf Zahlungsbilanzschwierigkeiten stoßen. Mit wachsender wirtschaftlicher Aktivität werden ihre Importe steigen, während die Exporte von der Absatzschwäche im Ausland weiterhin betroffen sind. Nationaler Beschäftigungspolitik sind daher durch die Integration in eine rezessionsbeladene Umwelt relativ enge Schranken gesetzt. Im Prinzip können diese Schranken durch flexible Wechselkurse umgangen werden, da dann keine Devisenprobleme entstehen können. Aber isolierte Beschäftigungspolitik würde einen ständigen Abwertungsdruck bewirken, der die Bekämpfung der Inflation erschweren würde. Es muß daher darauf hingearbeitet werden, daß die Spielregeln des Welthandels, die mit ihrem Freihandelsdogma auf eine vollbeschäftigte Weltwirtschaft zugeschnitten sind, so modifiziert werden, daß beschäftigungsfördernde Maßnahmen eines Landes, die schließlich auch anderen Staaten zugute-kommen, durch gemeinsame und vereinbarte Schritte außenwirtschaftlich abgedeckt werden können, ohne daß es zu einer Schrumpfung des Welthandels kommt. Geschieht dies nicht und läßt man ein Ausufern der rezessiven Tendenzen zu, dann ist die Ausbreitung eines heimlichen und gegenseitig schädigenden Protektionismus zu befürchten. Zum Teil hat dieser Prozeß schon begonnen. 4. Die aktuelle Diskussion:
Arbeitszeitverkürzung Zur Frage der Arbeitszeitverkürzung ist zu sagen, daß diese ganz unabhängig von der Beschäftigungsfrage stets ein erstrebenswertes Ziel war und ist. Freizeit zur Verrichtung selbstgesteuerter Aktivitäten und für Muße ist ein wesentlicher Bestandteil eines höhe-B ren Lebensstandards und einer höheren Lebensqualität. Aus dieser Sicht sind weitere Arbeitszeitverkürzungen auf jeden Fall erstrebenswert. Sie könnten in der gegenwärtigen Periode im Rahmen einer allgemeinen Beschäftigungspolitik sicher auch einen gewissen Beitrag zur Entschärfung des Arbeitslosigkeitsproblems leisten. Man wird aber von mäßigen Arbeitszeitverkürzungen keine sehr tiefgreifenden Einschnitte im Hinblick auf eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation erwarten können. Sollte man jedoch zu dem Schluß kommen, daß eine wirtschaftliche Expansion, die den oben diskutierten Beschäftigungsstrategien zugrunde liegt, aus verschiedenen Gründen entweder nicht realisierbar oder nicht wünschenswert ist, müßte man radikale Formen der Wochen-und Lebensarbeitszeitverkürzung oder die Entwicklung von alternativen Produktionsorganisationen zur Diskussion stellen, wenn sich das Arbeitslosigkeitsproblem bei ständig steigender Arbeitsproduktivität nicht enorm verschärfen soll.
III. Schlußbetrachtung
Die für die Weltwirtschaft entscheidenden kapitalistischen Industriestaaten befinden sich derzeit in einer mehr oder weniger „normalen" rezessiven Periode, in der Arbeitslosigkeit systembedingt anfällt. Ihre völlige Beseitigung ist unter diesen Umständen kaum möglich, und selbst eine Reduzierung ist schwierig und erfordert engagierten Einsatz. Patentrezepte für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt es in dieser Situation nicht, vor allem auch deshalb nicht, weil als Folge der raschen und dramatischen Änderungen, die sich seit 1945 in der Weltwirtschaft auf verschiedensten Ebenen vollzogen haben (Weltwährungssystem, multinationale Unternehmungen, neue Industriestaaten, Automation und Mikroelektronik, Inflation und Zinssätze etc.), das Investitionsverhalten der Unternehmen und das Konsumverhalten der Haushalte schwankender und unberechenbarer geworden sind. Der Grad der Änderungen und der Unsicherheit ist seit der Trendwende noch gewachsen und erschwert den Einsatz einer effizienten und richtig dosierten Wirtschaftspolitik. Erfahrungen aus der Vergangenheit und theoretische Einsichten sind zwar nicht wertlos, müssen aber in einem ständigen Lernprozeß an Hand laufender Geschehnisse korrigiert und erweitert werden.
In einer solchen Situation muß eine Beschäftigungspolitik, die es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ernst meint, ganz abgesehen davon, welche konkrete Maßnahmen gewählt werden, gewisse Grundsätze beachten. Am wichtigsten ist, daß der beschäftigungspolitische Gesichtspunkt die gesamte Wirtschaftspolitik begleitet, da die meisten gesamtwirtschaftlich wirksamen Maßnahmen auch Auswirkungen am Arbeitsmarkt haben (können). Die Unsicherheit, mit der wir es heute zu tun haben, macht es auch ratsam, eine nach allen Seiten offene, experimentell orientierte und flexible Politik zu betreiben, um Lernprozesse anzuregen und zu erleichtern. Das bedeutet in der Praxis die Verwendung einer multidimensionalen Strategie, d. h. die Verwendung verschiedener beschäftigungsfördernder Maßnahmen in wechselnden Proportionen und die Vermeidung einer engen theoretischen Dogmatik. Als Endergebnis erhalten wir somit nicht ein feststehendes Rezept, das eine Beschäftigungspolitik „aus einem Guß" liefert und bloß zur Anwendung gebracht werden muß, sondern den Ausblick auf reale Fortschritte durch eine mit hohem Beschäftigungsengagement betriebene, pragmatisch orientierte Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Vergangenes versteht und für Künftiges offen ist.