Zurück zu einem ausgewogenen Policy-mix. Strategien zur Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit
Manfred Piel /Diethard B. Simmert
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Zusammenfassung
Die Strategie der Finanzpolitik ist auf eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums ausgerichtet, so daß durch die Bereitstellung neuer Arbeitsplätze das große Maß an Unterbeschäftigung abgebaut werden kann. Die dazu eingeleiteten Maßnahmen weisen aufgrund der Entzugseffekte, die infolge der Finanzierung durch erhöhte Steuereinnahmen zustande kommen, allerdings einen weniger expansiven Charakter auf als bei einer Kredit-finanzierung. Letztere wird wegen der Konsolidierungsaufgabe nicht in Betracht gezogen. Die Einkommens-und Arbeitsmarktpolitik kann durch mäßigere Lohnsteigerungsraten und flankierende Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit beitragen. Während die Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung durchaus umstritten sind, wird niedrigeren Lohnsteigerungen oder längeren Tariflaufzeiten ein positiver Effekt auf die Arbeitsmarktlage zugebilligt, wobei darauf hingewiesen wird, daß es bei den Tariflohnerhöhungen um einen Balanceakt zwischen dem „Zuviel an Kosten" und dem „Zuwenig an Nachfrage“ geht Der Beitrag der Geldpolitik zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit besteht darin, durch Abbau der hohen Geldentwertungsraten die Wachstumsaussichten zu verbessern und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beizutragen. Mit Hilfe der Geldmengen-steuerung ist es gelungen, den Preisauftrieb zur Jahresmitte auf 2, 5 Prozent herabzudrükken. Schwierig erscheint heute die Sicherung eines dauerhaft niedrigen Zinsniveaus, um die Investitionstätigkeit zu fördern und die Relation zwischen Realkapitalrendite und Finanzkapitalrendite zu verbessern. Der beschäftigungspolitische Beitrag der Geldpolitik besteht daher darin, daß sie auf Verstetigung angelegt wird und eine Geldversorgung anzustreben ist, die eine Ausschöpfung der Produktionsmöglichkeiten unter Wahrung des stabilitätspolitischen Auftrages erlaubt. Es wird für einen vernünftigen, aufeinander abgestimmten Policy-mix, der den veränderten Rahmenbedingungen angepaßt ist, plädiert. Die notwendige Verbesserung der Angebotsbedingungen darf nicht dazu führen, die Nachfrageseite zu vernachlässigen. Die hohe Arbeitslosigkeit läßt sich um so schneller reduzieren, als das Wirtschaftswachstum wieder in Gang kommt. Dazu sind aber positive Gewinn-und Einkommenserwartungen ebenso nötig wie niedrige Zinsen und stabile Preise.
Unstrittig ist sicherlich die wirtschaftspolitische Hauptaufgabe der achtziger Jahre: Es gilt wieder zurückzufinden zu einem Wachstumspfad, der einerseits der bedrohlich zunehmenden Arbeitslosigkeit entgegenwirkt und der andererseits die Basis für eine marktwirtschaftlich funktionierende Wirtschaft — nämlich die Geldwertstabilität — nicht in Frage stellt. Das hier gestellte Problem ist nicht gering, gilt es doch einmal, die Fehlentwicklungen der Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit zu korrigieren; zum anderen wird aber auch das Problem verschärft durch den großen Kapitalbedarf der Zukunft. Zu dem privaten Bedarf an Kapital für die strukturelle Anpassung sowie die Erneuerung des Kapitalstocks kommt der enorme Bedarf an Kapital hinzu, der sich daraus ergibt, so viele neue Arbeitsplätze mit Kapitalgütern ausstatten zu müssen, daß wieder Vollbeschäftigung möglich wird. Nur für allenfalls ein Drittel der derzeit in der Bundesrepublik unbefriedigt bleibenden Beschäftigungswünsche gibt es Arbeitsplätze, die im Zuge einer zunehmenden Auslastung der gegebenen Produktionskapazitäten wieder besetzt werden können.
Nach einem traditionellen Rollenverständnis wird der Geldpolitik das wirtschaftspolitische Aktionsfeld der Inflationsbekämpfung und der Finanzpolitik das der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit zugewiesen. Die Ursachen der gegenwärtigen hohen Arbeitslosigkeit sind teils konjunktureller, teils struktureller, teils aber auch demographischer Natur. Für die Finanzpolitik ergibt sich damit die Schwierigkeit, daß mit dem keynesianischen Ansatz, also mit Hilfe antizyklischer Ausgaben-und Einnahmengestaltung das Wirtschaftswachstum zu fördern, dem Problem der hohen Arbeitslosigkeit nicht allein beizukommen ist. Vielmehr müßte die Finanzpolitik zur Bekämpfung der strukturellen Komponente der Arbeitslosigkeit das Konzept eines kom-Verschärft wird die Arbeitsmarktsituation dadurch, daß in diesen Jahren die geburtenstarken Jahrgänge (jährlich jeweils über 100 000 Personen) ins Erwerbsleben eintreten.
Selbst bei wieder kräftiger wirtschaftlicher Erholung wird das Beschäftigungsproblem nicht automatisch gelöst werden; die Arbeitslosigkeit wird noch auf Jahre hinaus das wirtschaftspolitische Kernproblem bleiben. Alle Lösungen dieses Problems müssen aber an der ökonomischen Grundgleichung ansetzen: Nur über mehr Investitionen werden neue Arbeitsplätze geschaffen und damit zusätzliches Einkommen, das wiederum Nachfrage schafft und diese wiederum Anreiz für mehr Investitionen! Ein investitionsgetragener Aufschwung ist aber nur dann zu erwarten, wenn die Voraussetzungen für neue Investitionen — Zinsen und Gewinn-bzw. Absatzerwartungen — günstig sind. Für die Einleitung eines aus beschäftigungspolitischen Gründen dringend notwendigen, lang anhaltenden Investitionsprozesses in der privaten Wirtschaft kommt es daher vor allem auf die richtige wirtschaftspolitische Weichenstellung an.
I. Der Beitrag der Finanzpolitik
pensatorischen Budgets verfolgen. Zur Erreichung der Vollbeschäftigung hätte die öffentliche Hand sich fortgesetzt zu verschulden, um die deflatorische Lücke zwischen privaten Ersparnissen und privaten Investitionen zu schließen.
Die skizzierte Kombination von antizyklischer und kompensatorischer Finanzpolitik zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit ist nicht unumstritten. H. Giersch hat wiederholt dargelegt, daß eine antizyklische oder sogar kompensatorische Finanzpolitik keinen Beitrag zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit leisten kann, weil die Ursachen dieser Arbeitslosigkeit überwiegend darauf beruhen, daß auf dem Arbeitsmarkt der Wettbewerb eingeschränkt und der Marktzugang erheb15 lieh erschwert ist. Für die Tarifpartner käme es dadurch zu falschen Signalsetzungen. Zu hohe Lohnabschlüsse in der Vergangenheit hätten nämlich ein Ausscheiden weniger produktiver Arbeitskräfte zur Folge gehabt und dadurch die Produktivität überdurchschnittlich gesteigert. Dies sei wiederum der Anlaß gewesen, weiterhin zu hohe Lohnabschlüsse durchzusetzen, wodurch ein Teufelskreis entstanden sei, der die heutige Arbeitslosigkeit mitbewirkt habe. Eine antizyklische oder kompensatorische Finanzpolitik müßte in einer solchen Situation im Sinne einer Vollbeschäftigungsgarantie wirken, so daß die augenblickliche hohe Arbeitslosigkeit nur verfestigt würde.
Betrachtet man die finanzpolitischen Aktivitäten seit 1973, als nach der ersten Ölpreiskrise die Ära der Vollbeschäftigung zu Ende ging, dann lassen sich zwei Zeitphasen mit unterschiedlicher finanzpolitischer Strategie unterscheiden. In der ersten Phase, die bis 1978/79 reichte, verfolgte die Finanzpolitik einen mehr oder minder ausgeprägt antizyklischen Kurs. Zwischen Februar 1974 und August 1978 wurden zehn Ausgabenprogramme und vier Steuerentlastungsprogramme beschlossen. Die Ausgabenprogramme hatten ein Volumen von 41, 4 Mrd. D-Mark. Bei den Steuerentlastungsprogrammen wurde der Effekt durch Steuererhöhungen — die Brand-wein-und Tabaksteuer wurden zum Januar 1976 und die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1978 erhöht — allerdings gemindert.
Der Erfolg dieser Politik ist an sinkenden Arbeitslosenzahlen bis Anfang 1980 abzulesen. Dabei war der Beschäftigungseffekt erheblich größer, als die verringerten Arbeitslosenzahlen andeuten. Aufgrund des demographischen Struktureffekts — die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre traten ab 1977/78 ins Erwerbsleben — erreichte die, durchschnittliche Arbeitslosenzahl 1979 ihren Tiefstand schon bei 876 000 (1975: 1, 07 Mill.). Von 1979 an verfolgte die Finanzpolitik mehr und mehr eine Konsolidierungsstrategie, denn unter dem Einfluß der zweiten Ölpreiskrise nahm die öffentliche Verschuldung zeitweise beängstigende Ausmaße an. Hatte der Bund zwischen 1975 und 1980 sich mit jährlich 26 Mrd. D-Mark netto neu verschuldet, so stieg dieser Betrag in den Folgejahren auf durchschnittlich 39 Mrd. D-Mark an. Auf den ersten Blick könnte diese Entwicklung so interpretiert werden, daß die Finanzpolitik trotz des verminderten Handlungsspielraums, der sich infolge der hohen Verschuldung ergab, die Strategie des kompensatorischen Budgets verfolgte. Bezieht man allerdings die Kürzungswirkungen der Haushaltsstrukturgesetze, die seit 1981 in Kraft gesetzt wurden, in die Betrachtung mit ein, dann zeigt sich, daß die Finanzpolitik spürbare Entzugswirkungen auf das Wirtschaftswachstum ausübte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, bezifferte die kontraktive Wirkung der Finanzpolitik in den Jahren 1980 und 1981 auf 8, 7 bzw. 13, 0 Mrd. D-Mark 1) Der Bundeshaushalt 1982 weist Kürzungen um 15 Mrd. DM auf, und vom Bundeshaushalt 1983 gehen ebenfalls Entzugseffekte in gleicher Größenordnung aus. Insofern spricht vieles dafür, daß von der Finanzpolitik eher ungünstige Einflüsse auf die Arbeitsmarktentwicklung ausgingen und die hohe Verschuldung letztlich eher eine Folge dieser finanzpolitischen Entzugseffekte war. Für diesen Zusammenhang spricht auch, daß 1981 und 1982 Nachtragshaushalte beim Bund erforderlich wurden, weil infolge der Wachstumsschwäche unvorhergesehene Steuerausfälle und Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit erforderlich wurden.
Die für den Haushalt 1984 beschlossenen Kürzungen des Bundes wirken sich bei den Gebietskörperschaften in einer Größenordnung von 11, 5 Mrd. D-Mark aus. Damit soll sichergestellt werden, daß die Nettokreditaufnahme bis 1987 auf 22, 3 Mrd. D-Mark zurückgeht. Im Bundeshaushalt 1983 beträgt die Nettokreditaufnahme 40, 9 Mrd. D-Mark. Trotz dieser hohen Neuverschuldung ist die Arbeitslosenzahl von durchschnittlich 1, 83 Millionen 1982 auf 2, 33 Millionen im 1. Halbjahr 1983 angestiegen.
Die finanzpolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit richten sich seit 1980 in erster Linie auf eine Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Das Endfe 1982 beschlossene Programm zur „Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung" besteht aus Steuerentlastungen bei der Gewerbesteuer, einer massiven Förderung des Wohnungsbaus sowie einer Insolvenzrücklage für gefährdete Betriebe. Die bereits im Frühjahr 1982 von der sozialliberalen Bundesregierung beschlossene Investitionszulage in Höhe von 10 Prozent für Mehrinvestitionen war zwar nicht Bestandteil dieses Programms gewesen, blieb aber gleichwohl auch nach dem Regierungswechsel in Kraft. Für 1984 sind weitere steuerliche Entlastungsmaßnahmen für den Unternehmensbereich beschlossen worden. So wird die Vermögensteuerlast gesenkt, und durch Abschreibungsverbesserungen und eine Ausweitung des Verlustertrags von 5 auf 10 Millionen D-Mark werden die Unternehmen auch bei den Ertragsteuern entlastet.
Die Finanzierung dieser Konjunkturprogramme geschieht mit Hilfe der Investitionshilfe-abgabe für besser verdienende Einkommens-bezieher, die nicht nur 1983 und 1984, sondern auch 1985 erhoben wird und die erst 1990 bis 1993 zurückgezahlt werden soll. Des weiteren erfolgt die Finanzierung aus dem Aufkommen der Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt zum l. Juli 1983. Eine Kreditfinanzierung ist nicht vorgesehen; vielmehr sollen sich die expansiven Effekte auf das Wirtschaftswachstum trotz der finanzpolitischen Konsolidierungspolitik einstellen. Wenn die Finanzpolitik heute darauf setzt, daß durch Zwangsabgaben finanzierte investitionsfördernde Maßnahmen expansiver wirken sollen als kreditfinanzierte, dann steht dahinter die Vorstellung, daß wegen der ohnehin schon hohen Staatsverschuldung eine Kreditfinanzierung zu Irritationen auf den Geld-und Kapitalmärkten führen würde, die ihrerseits nachteilige Auswirkungen für das Wirtschaftswachstum mit sich bringen.
Gleichwohl ist nicht nur wegen der Finanzierungsart davon auszugehen, daß der expansive Nettoeffekt der finanzpolitischen Maßnahmen für das Wirtschaftswachstum gering sein dürfte. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt fällt auch die absolute Höhe der ergriffenen Ankurbelungsmaßnahmen erheblich geringer aus als im Zeitraum 1974 bis 1978. Für die Entwicklung am Arbeitsmarkt bedeutet dies, daß mit einer raschen Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit durch eine staatlich unterstützte Belebung der Wirtschaft nicht gerechnet werden kann.
Wenn aber das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik nicht in erster Lini durch staatliche Anstöße, sondern durch staatliche Weichenstellungen auf Touren kommen soll, und, da die Exportnachfrage vorerst ausfallen dürfte, auch hauptsächlich von der Binnennachfrage getragen werden müßte, erscheint ohne eine Ausweitung des privaten Verbrauchs eine rasche Ausweitung des Bruttosozialprodukts problematisch. Infolge der Größenverhältnisse — der private Verbrauch macht 56 Prozent, die Investitionstätigkeit aber nur 20 Prozent der Gesamtnachfrage aus — müßte, um die gleiche Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts zu erreichen, die Investitionstätigkeit dreimal so schnell ausgeweitet werden wie der private Verbrauch. Wenn die Kürzungsmaßnahmen der öffentlichen Hand — wie oben dargestellt — in erster Linie zu Lasten des Wachstums der verfügbaren Einkommen gehen, kann eine Verbrauchsbelebung nur durch eine Verringerung der Sparquote erfolgen. Dies ist in der bisherigen Phase der Konjunkturerholung geschehen. Die Sparquote in der Abgrenzung der Bundesbank ist von 13, 9 Prozent im vier-B ten Quartal 1982 auf 12, 9 Prozent im ersten Quartal 1983 gefallen.
Die Finanzpolitik hätte in Anbetracht der geldpolitischen Schwierigkeiten, ein niedrigeres Zinsniveau herbeizuführen, die Möglichkeit, durch eine Ausweitung der für die Bauwirtschaft getroffenen Regelungen eines Schuldzinsenabzugs von 10 000 D-Mark für drei Jahre beim Bau von Eigenheimen aufalle Güter des privaten Verbrauchs die Geldpolitik zu unterstützen und die konjunkturelle Erholung zu fördern. Mit Hilfe eines solchen allgemeinen Schuldzinsenabzugs, wie er in unbegrenzter Höhe bis 1976 gültig war, könnte das Wirtschaftswachstum stärker positiv beeinflußt werden und damit ein günstiger Effekt auf den Arbeitsmarkt ausgehen.
Die heute vorliegenden Perspektiven für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsmarkt-entwicklunglassen, auf einen kurzen Nenner gebracht, erwarten, daß vor 1985 nicht mit einem Absinken der Arbeitslosenzahl zu rechnen ist. Von der Stärke der gegenwärtig eingeleiteten Konjunkturerholung hängt es ab, ob 1984 das reale Wirtschaftswachstum 3 Prozent erreichen wird oder höher ausfällt. Nur bei einem Wachstum über 3 Prozent könnte jedoch die Arbeitslosenzahl 1985 erstmals spürbar zurückgehen. Bis allerdings ein Stadium erreicht ist, das auch nur annähernd das Prädikat „Vollbeschäftigung" verdient, muß die deutsche Wirtschaft wieder mehrere Jahre mit mindestens 4prozentigem Wirtschaftswachstum hinter sich bringen. Ein gewisser Trost ist allerdings darin zu sehen, daß ab 1987 der Druck der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge nachläßt; danach treten die Jahrgänge des „Pillenknicks" in das Erwerbsleben ein, die für allmähliche Entastung am Arbeitsmarkt sorgen.
II. Der Beitrag der Einkommens-und Arbeitsmarktpolitik
Abbildung 2
Tabelle 2 Quelle: Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ifd. Jg.
Tabelle 2 Quelle: Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ifd. Jg.
Auch die Einkommens-und Arbeitsmarktpolitik kann zu einem höheren Wirtschaftswachstum und damit zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze beitragen. Die Tarifpartner haben in den vergangenen drei Jahren durch die Vereinbarung niedrigerer Lohn-und Gehaltssteigerungsraten der erschwerten Arbeitsmarktlage Rechnung getragen. Waren die Tarifverdienste in der Gesamtwirtschaft 1980 noch um fast 7 Prozent gestiegen, so betrug der Anstieg 1981 5, 5 Prozent und 1982 4 Prozent. Gegenwärtig weisen die Tariflöhne und Gehälter in der Gesamtwirtschaft eine Steigerungsrate von weniger als 3, 5 Prozent auf.
Geht man von der Verteilungsformel aus, wie sie von den Gewerkschaften, aber auch vom Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung herangezogen wird, dann bestimmen Produktivitätszuwachs, terms-of-trade-Veränderung, Preisanstieg und Umverteilungskomponente den ausgehandelten Prozentsatz der Lohn-und Gehaltserhöhung. Zieht man diese Beurteilungskriterien für die Tarifabschlüsse der letzten drei Jahre heran, so fällt ins Auge, daß 1981 und 1982 der Anstieg des Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte mit + 5, 9 Prozent bzw. + 5, 3 Prozent bereits höher war als die Tariflohn-und -gehaltssteigerungen in der Gesamtwirtschaft. Die in der Lohnrunde 1983 ausgehandelten Tarifsteigerungen liegen erstmals seit drei Jahren wieder über dem entsprechenden Preisanstieg, der für das erste Halbjahr 1983 3, 3 Prozent beträgt. Seit 1982 enthalten die Tariflohn-und -gehaltssteigerungen keine Umverteilungskomponente zugunsten der Arbeitnehmer mehr; vielmehr weisen sie seitdem eine deutliche Umverteilungskomponente zugunsten der Arbeitgeber auf. Allerdings ist es bisher noch nicht zur Schaffung neuer, zusätzlicher Arbeitsplätze gekommen. Möglicherweise tritt dieser Effekt dann auf, wenn sich ein Konjunkturaufschwung deutlicher abzeichnet und 1984 Lohn-und Gehaltssteigerungen vereinbart werden, die ebenfalls wieder eine Umverteilungskomponente zugunsten der Arbeitgeber beinhalten.
Die Tariflohn-und -gehaltssteigerungen machen aber nicht die Gesamtarbeitskosten aus. Nach Erhebungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft weisen die Personalnebenkosten einen Anteil von mehr als 76 Prozent der Direktentgelte auf Zu diesen Nebenkosten, die gleichwohl für die Unternehmen als Arbeitskosten in Erscheinung treten, gehören die gesetzlichen Personalzusatzkosten und die tariflich und betrieblich vereinbarten Personalzusatzkosten. Die ersteren setzen sich aus den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitgeber, den Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall, den Kosten für bezahlte Feiertage und sonstige Ausfallzeiten sowie den sonstigen gesetzlichen Personalzusatzkosten zusammen, worunter Versicherungsbeiträge und Mutterschutzzahlungen zu rechnen sind. Die tariflichen und betrieblichen Personalzusatzkosten umfassen die Kosten für Urlaub, Sonderzahlungen, Vermögensbildung und betriebliche Altersversorgung.
Die Arbeitskosten der deutschen Industrie betrugen 1982 pro Stunde 26, 08 D-Mark und lagen damit in der Europäischen Gemeinschaft an der Spitze. Dabei machten die Direktentgelte 14, 76 D-Mark und die Personalzusatzkösten 11, 32 D-Mark aus. Die USA, Norwegen, die Schweiz und Kanada hatten 1982 höhere Arbeitskosten als die deutsche Wirtschaft. Während die USA und Kanada 1982 deutlich höhere Arbeitslosenquoten aufwiesen als die Bundesrepublik Deutschland, befanden sich die Schweiz und Norwegen praktisch im Stadium der Vollbeschäftigung.
Die tarifpolitischen Weichenstellungen zu Beginn der Tarifrunde 1983 wiesen vor allem für den Bereich des öffentlichen Dienstes in Richtung auf eine „Nullrunde". Auch für 1984 streben die öffentlichen Arbeitgeber eine Verlängerung der Tariflaufzeit oder zumindest eine deutlich unterdurchschnittliche Tarifsteigerungsrate an. Die Gewerkschaftsseite reagierte auf die Bestrebungen zur Verlängerung der Tariflaufzeiten mit geringeren Steigerungsraten für die zwölfmonatige Laufzeit. Gleichzeitig wurden aber auch im öffentlichen Dienst längere Laufzeiten mit gestaffel19 ten Erhöhungen vereinbart. Während die erste Strategie im Rahmen einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik nur dann zu positiven Arbeitsmarkteffekten führt, wenn sie auf mehrere Jahre hin angelegt ist und von Jahr zu Jahr — entsprechend der Stabilitätsfortschritte — niedrigere Steigerungsraten mit sich bringt, kommt der zweiten Strategie auch bei einer keynesianisch orientierten Wirtschaftspolitik ein positiver Arbeitsmarkteffekt zu. Tarifverträge über mehrere Jahre, wie sie z. B. in den USA durchaus an der Tagesordnung sind, erhöhen die Kalkulationssicherheit der Unternehmen und verhindern, daß eine Verbesserung der Wirtschaftslage sofort steigende Lohnforderungen nach sich zieht. Die Ertragslage der Unternehmen hält somit einen gewissen Vorlauf vor den Kostensteigerungen, so daß ein frühzeitiges Aufbrechen von Inflationsgefahren vermieden werden kann.
Ähnlich wie die Finanzpolitik, deren Konsolidierungsbemühen nicht zur Deflationspolitik werden dürfen, befindet sich die Einkommenspolitik in einem Dilemma: Trotz notwendiger „Kostenentschlackung" dürfen die Nachfrageeffekte nicht außer acht gelassen werden. Es geht bei den Tariflohnerhöhungen also um einen Balanceakt zwischen dem „Zuviel an Kosten“ und dem „Zuwenig an Nachfrage“, wobei die konkrete Entscheidung in der jeweiligen konjunkturellen Situation immer wieder neu ausgelotet werden muß.
Bei den Diskussionen um das lohnpolitische Konzept der letzten Tarifrunden sind auch die Einkommenssubstitute wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt. Hierunter sind zusätzlich vereinbarte Urlaubstage, Verkürzungen der tariflichen Wochenarbeitszeit, vermögenswirksame Leistungen und Rationalisie- rungsschutzbestimmungen zu verstehen. Da auch Einkommenssubstitute für die Unternehmen Kostensteigerungen bedeuten, sind sie aus der Sicht des Unternehmens nur dann günstiger, wenn die anderenfalls zu vereinbarenden Einkommenssteigerungen kostenaufwendiger wären. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Arbeitszeitverkürzungsdiskussion gewinnen solche Einkommenssubstitute allerdings auch unmittelbarere Relevanz für die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. So wird von den Gewerkschaften behauptet, daß eine Verlängerung des Jahresurlaubs bzw. eine Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden zu einer erheblichen Entlastung der prekären Arbeitsmarktlage führen würde. Arbeitszeitverkürzung entlastet den Arbeitsmarkt durch Verteilung des Mangels an Arbeit. Eine solche Strategie hat deshalb gegenüber der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Wirtschaftswachstum defensiven Charakter und kann allenfalls flankierend eingesetzt werden. Für die Arbeitszeitverkürzung gibt es drei Ansatzpunkte:
— die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, — die Verkürzung der Wochenarbeitszeit und — die Ausweitung der Teilzeitarbeit.
Ohne auf die konkreten Ausformungen der bislang entwickelten Modelle zur Arbeitszeit-verkürzung (Vorruhestandsregelung, Herabsetzung der Altersgrenze, 35-Stunden-Woche, Job-Sharing, Rückwanderungshilfen für ausländische Arbeitnehmer etc.) eingehen zu wollen, sind zwei grundsätzliche Einwände festzuhalten: Zum einen wird der tatsächliche Entlastungseffekt für den Arbeitsmarkt geringer ausfallen als der rein rechnerisch mögliche. Zum anderen wirken die Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung nur dann in Richtung auf einen Abbau der hohen Arbeitslosigkeit, wenn auf einen Lohnausgleich verzichtet wird. Das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung in Nürnberg hat durch eine repräsentative Umfrage jedoch ermittelt, daß nur jeder achte Arbeitnehmer bei entsprechender Kürzung seines Einkommens bereit wäre, weniger als bisher zu arbeiten Mit welchen Lohnausfällen die Betroffenen zu rechnen haben, hat kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Ge-samtmetall, Dieter Kirchner, umrissen, indem er darauf hinwies, daß z. B. eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden zu einer Erhöhung der Lohnkosten um 14, 3 Prozent oder 2, 8 Prozent je Arbeitsstunde führen würde. Hinzu kämen weitere Folgekosten von 0, 7 Prozent je Stunde. Wenn die Arbeitszeit-verkürzung kostenneutral sein solle, müßten die Löhne um 15 Prozent sinken
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft ist in einem Gutachten zur Arbeitsmarktpolitik unter den veränderten Bedingungen der achtziger Jahre unter dem Titel „Vermindert Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslosigkeit?" zu der Ansicht gelangt, daß alle Formen der Arbeitszeitverkürzung kein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit darstellen Die Kernthese des Beirates lautet: „Eine Arbeitszeitverkürzung korrigiert weder Fehlentwicklungen des Reallohns noch Verzerrungen der Lohn-Zins-Relation; auch verbessert sie nicht die Erwartungen der Unternehmen hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung." Da alle Formen der Arbeitszeitverkürzung notwendigerweise mit Kostensteigerungen verbunden seien, reagierten die Unternehmen mit weiteren Rationalisierungsmaßnahmen. Dies wirke sich zu Lasten der Beschäftigung aus.
Bei der Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung wird allerdings gern übersehen, daß im längerfristigen Vergleich die Arbeitszeit schon immer mit einer jährlichen Rate von 1 Prozent pro Jahr verkürzt worden ist. In letzter Zeit hat sich das Tempo jedoch deutlich verlangsamt Eine erneute Beschleunigung dieses Trends wird heute dadurch versucht, daß Maßnahmen zur Flexibilisierung der betrieblichen Arbeitszeit ins Auge gefaßt werden. Im Rahmen einer vertraglich festgelegten Jahresarbeitszeit wird dabei die Arbeitsleistung der Produktion, dem Konjunkturverlauf oder saisonalen Sonderbelastungen angepaßt. Eine solche flexible Gestaltung der Arbeitszeit, die sich an den produktionstechnischen Bedürfnissen einerseits und den individuellen Wünschen nach kürzerer Arbeitszeit andererseits orientiert, stößt bei den deutschen Arbeitgebern eher auf Unterstützung als die Arbeitszeitverkürzungspläne der Gewerkschaften. Bei den diskutierten Modellen zur Arbeitszeitverkürzung dürfen die längerfristigen Fernwirkungen allerdings nicht außer acht bleiben. Schwierigkeiten für die Sozialversicherung versprechen vor allem die Pläne einer Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze. Wenn sich in den neunziger Jahren der Altersaufbau der deutschen Erwerbsbevölkerung zu Lasten der Erwerbstätigen ändert, dann muß die relativ geringere Anzahl von Erwerbstätigen eine relativ größere Anzahl von Rentnern mittragen Längerfristig ungünstige Auswirkungen für den technischen Fortschritt wären auch zu erwarten, wenn zur künstlichen Absenkung des Produktivitätsfortschritts bewußt auf arbeitsintensive Produktionsverfahren zurückgegriffen würde. Schließlich sollte auch nicht durch eine forcierte Rückwanderung ausländischer Arbeitnehmer die zu erwartende Verknappung des Arbeitskräfteangebots Ende der achtziger Jahre noch verschärft werden.
Die Bundesanstalt für Arbeit versucht mit Hilfe der im Arbeitsförderungsgesetz genannten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der hohen Arbeitslosigkeit ebenfalls beizukommen. Dazu gehören neben der Arbeitsvermittlung die Berufsberatung, die berufliche Weiterbildung und Umschulung sowie der Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wenn auch diesen Maßnahmen ein positiver Effekt auf die Arbeitsmarktlage nicht abgesprochen werden kann — nach Untersuchungen von A. Hellmich konnte die registrierte Arbeitslosigkeit durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Geltungsbereich des arbeitsmarktpolitischen Programms im Monatsdurchschnitt um 2, 2 Prozent gesenkt werden —, sind diese Maßnahmen allein vom kurz-und mittelfristig realisierbaren Umfang her begrenzt. So fanden sich Ende Juni 1983 202 283 Teilnehmer in beruflichen Förderungsmaßnahmen, von denen vorher 88 252 arbeitslos waren. Im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren 50 071 beschäftigt.
Mit Blick auf die Beschäftigungsprobleme der nächsten Jahre läßt sich festhalten, daß ohne mehr Wachstum (und damit die Schaffung neuer rentabler Arbeitsplätze) das Arbeitslosenproblem überhaupt nicht sinnvoll lösbar ist und jeder Prozentpunkt inflationsfreien Wachstums uns der Lösung dieser schwierigen Aufgabe näherbringt. Gleichwohl deuten aber alle seriösen Wachstumsprognosen — insbesondere hinsichtlich ihrer Beschäftigungskonsequenzen — darauf hin, daß Arbeitszeitverkürzung als flankierende Maßnahme zur Lösung des Beschäftigungsproblems in Betracht gezogen werden müssen. Die „Arbeitszeitverkürzungsdiskussion" wird wohl bis auf weiteres nicht mehr „vom Tisch" kommen. Man muß sich jedoch hüten, den möglichen Beitrag von Arbeitszeitverkürzungen zur Beseitigung von Erwerbslosigkeit zu überschätzen. Grundsätzlich ist jedoch wichtig, daß vernünftige, d. h. tragbare Regelungen auf diesem Gebiet in jedem Fall drei Grund-voraussetzungen zu erfüllen haben: Sie müssen kostenneutral sein, auf Freiwilligkeit der Betroffenen beruhen, und sie müssen — wenn sich die Situation am Arbeitsmarkt gegen Ende dieses Jahrzehnts aller Wahrscheinlichkeit nach vom Arbeitskräfteangebot her wieder „drehen" wird — reversibel sein. In diesem Rahmen gibt es mit Sicherheit kein Patentrezept, aber es gibt verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, die ernsthaft diskutiert werden müssen und dann auch genutzt werden sollten.
III. Der Beitrag der Geldpolitik
Zweifellos war in den siebziger Jahren das wirtschaftspolitische Hauptproblem die Bekämpfung der scheinbar nicht mehr zu bändigenden Inflation. In dieser Situation wäre es am besten gewesen, Inflationsbekämpfung mit einer Kombination aus Fiskal-, Einkommens-und Geldpolitik zu betreiben. Statt dessen wurde die ganze Last der Inflationsbekämpfung der Notenbank übertragen. Dies geschah mit dem gängigen Vorwand, daß eine geldpolitische Restriktion technisch ausreiche, eine Inflation zu verhindern oder zu senken, vorausgesetzt, man sei bereit, die Nebenwirkungen in Form von Wachstumseinbußen und eine etwas erhöhte Arbeitslosigkeit zu akzeptieren. Jedenfalls nahm man, gestützt auf eine recht einseitige wissenschaftliche Schule, den Monetarismus, an, daß die Geldpolitik allein mit den Inflationsproblemen fertig werden könnte.
Was die Auswirkungen auf die Wirtschaft angeht, gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen Geld-und Fiskalpolitik. Etwas vereinfacht kann man sagen, daß die Geldpolitik hauptsächlich die Investitionen beeinflußt, die Fiskalpolitik dagegen in erster Linie den Konsum. Die Instrumente der Geldpolitik sind hauptsächlich die Zinssätze. Diese haben Wirkungen auf die Unternehmensinvestitionen, den privaten Wohnungsbau und auf einige andere dauerhafte Konsumgüter. Die Instrumente der Fiskalpolitik sind die Steuerpolitik und die Staatsausgaben für Löhne, Gehälter und soziale Ausgaben. Diese fiskalpolitischen Instrumente wirken hauptsächlich auf den Konsumbereich, da der Großteil des Einkommens konsumiert statt gespart wird und weil die Steuerreduzierungen in der Vergangenheit sich hauptsächlich auf private Einkommen und nicht auf Unternehmenseinkommen bezogen.
Wenn man daher die Aufgabe der Inflationsbekämpfung allein der Geldpolitik überläßt und damit die Fiskalpolitik aus ihrer Verantwortung entläßt, trifft man indirekt die Entscheidung, die Kosten der Inflationsbekämpfung durch relativ weniger Investitionen statt durch relativ weniger Konsum zu bezahlen. Die verhängnisvollen Konsequenzen solcher einseitigen Rollenverteilungen in der Wirtschaftspolitik werden heute allseits beklagt: Kapitalmangel, Arbeitsplatzdefizit und geringere zukünftige Wachstumsaussichten.
Angesichts ausufernder Staatsverschuldung und einer sich immer heftiger drehenden Inflationsspirale sah sich die Geldpolitik in den siebziger Jahren in ihrem zinspolitischen Handlungsspielraum mehr und mehr beengt Man mußte feststellen, daß die Einflußmöglichkeiten der Notenbank auf das Zinsniveau in einem sich aufheizenden Inflationsklima abnahmen. Der — zwar nicht immer kurzfristig, aber zumindest langfristig gegebene — Zusammenhang zwischen Geldmengenentwicklung und Inflation wurde erkannt, wenn auch die Ursachen über den Wirkungszusammenhang bis heute nicht eindeutig geklärt sind. Konsequenterweise verfolgte die Deutsche Bundesbank — wie übrigens auch die Notenbank in einer Reihe anderer Industrieländer — seit Mitte der siebziger Jahre eine Politik der monetären Zielvorgabe, eine Vorankündigung also darüber, welche Zuwachsrate der Geldmenge sie für das kommende Jahr anstrebt. Damit war die Absicht verbunden, den Kurs der Geldpolitik selbst zu verstetigen und vorhersehbar zu machen, um dadurch auch tendenziell den Wirtschaftsablauf stetiger zu gestalten. Mit der monetären Zielvorgabe war jeweils auch eine deutliche Information darüber verbunden, welche Inflationsrate die Bundesbank im Zielzeitraum gerade noch zu tolerieren gedenke. Dies gab den übrigen am Wirtschaftsablauf Beteiligten (Tarif-vertragsparteien, Unternehmen, Staat) eine unverzichtbare Orientierung für die eigenen Entscheidungen und Erwartungen. Wenngleich die bisherigen Erfahrungen mit der Geldmengenpolitik durchaus Schwierigkeiten (z. B. bei der Wahl der „richtigen" Geldmengengröße) und auch Enttäuschungen mit sich brachten, kann festgestellt werden, daß es ohne Geldmengensteuerung wohl kaum möglich gewesen wäre, die anbrandende Inflationswelle zu brechen. Gerade wenn man die verheerenden Folgen inflatorischer Prozesse in Form von Wachstumsschwäche und zunehmender Arbeitslosigkeit denkt, kann man die Stabilitätserfolge einer flexibel gehandhabten Geldmengensteuerung gar nicht hoch genug veranschlagen. Dies schließt nicht aus, daß angesichts eines Millionenheers von Arbeitslosen immer wieder Zweifel an der Zweckmäßigkeit einer konsequenten Bekämpfung der Inflation aufkommen. Deren Nachteile und Kosten sind besonders heute für jedermann sichtbar, die Vorteile dagegen weit weniger. Im Gegenteil, eine leicht inflationäre Geldpolitik, die die Wirtschaft vorübergehend beleben könnte, hätte zweifellos ihre Annehmlichkeiten. Dies gilt aber nur in einer kurzfristigen Betrachtung, denn — dies muß nach den siebziger Jahren als gesicherte Erkenntnis gelten — die negativen Folgen in Form von Wachstumseinbußen und erhöhter Arbeitslosigkeit werden sich früher oder später einstellen. Es wäre deshalb verantwortungslos, wollte man um eines beschäftigungspolitischen Strohfeuers willen über eine geldpolitische Lockerung eine neue Drehung der Inflationsspirale in Kauf nehmen.
Aber „die Grenzen einer unmittelbar beschäftigungspolitisch orientierten Geldpolitik zu erkennen, heißt nicht, ihre Bedeutung für das Beschäftigungsziel überhaupt zu bestreiten" Ganz im Gegenteil, wie auch der Wissen- schaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium meint, kann und muß die Geldpolitik einen wichtigen beschäftigungspolitischen Beitrag leisten. Dieser besteht darin, daß die Geldpolitik auf Verstetigung angelegt wird und eine Geldversorgung anstrebt, die eine Ausschöpfung der Produktionsmöglichkeiten unter Wahrung des stabilitätspolitischen Auftrages erlaubt Eine solche mittelfristig orientierte Geldpolitik stützt die Beschäftigung bei schwacher Konjunktur dadurch, daß die Ausweitung der Geldmenge im Abschwung, verglichen mit dem Finanzierungsbedarf, relativ reichlich ausfällt. Nur dann können im übrigen auch die Zinsen entsprechend sinken.
Dauerhaft niedrige Zinsen sind nun einmal eine wichtige Voraussetzung für eine stärkere Investitionstätigkeit. Noch entscheidender für das Ingangbringen dieses Prozesses ist allerdings eine Verbesserung der Relation Realkapitalrendite zu Finanzkapitalrendite und eine gleichzeitige Reduzierung der Investitionsrisiken. Seit Jahren kann man mit einer Anlage am Kapitalmarkt ein Mehrfaches an Rendite erhalten als für risikoreiche, arbeitsplatzschaffende Realkapitalanlagen. Diese Scherenentwicklung zwischen Kapitalmarktzins und Kapitalrentabilität war der wichtigste Grund für die Investitionsschwäche der vergangenen Jahre. Der Weg zurück zu dem beschäftigungspolitisch gebotenen möglichst hohen Wachstumspfad erfordert entsprechend also wieder eine steigende Kapitalrentabilität bei gleichzeitig möglichst weiter sinkendem Kapitalmarktzins. Nun wirken bekanntlich auf die Kapitalrentabilität viele Faktoren ein, z. B. die steuerlichen Rahmenbedingungen, die Lohnkosten, die Markt-lage, die Geldentwertung, das Zinsniveau, um nur die wichtigsten zu nennen. Obendrein Stehen viele dieser Faktoren in gegenseitiger Abhängigkeit und lassen sich nicht par ordre du mufti dirigieren. Hierbei ist vielmehr ein umfassender, alle wirtschaftlichen Bereiche in die Verantwortung nehmender Ansatz erforderlich. Der Staat kann und muß hierbei beispielhaft durch — den Abbau von leistungshemmenden Vorschriften und Gesetzen einerseits, die Schaffung von Leistungsanreizen, insbesondere in der Steuerpolitik, andererseits, — die Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte von konsumtiven zu investiven, Wachstums-und beschäftigungspolitisch effizienten Verwendungen vorangehen.
Hilfreich dafür, daß die Bereitschaft zur Anlage in Sachkapitalinvestitionen in Zukunft wieder wächst, wäre sicherlich auch ein weiteres Sinken der Rendite für Anlagen in Finanzkapital (Kapitalmarktzins). Auf diesem Weg sind wir schon ein gutes Stück vorangekommen: Verglichen mit dem Renditenniveau vom Sommer 1981, als z. B. für Anleihen der öffentlichen Hand zeitweilig Sätze von über 11 Prozent geboten wurden, ist ein Zinsniveau von gut 8 Prozent, wie es sich uns derzeit darbietet, durchaus niedrig zu nennen. Aber angesichts der immer noch nicht überwundenen Investitionsschwäche ist es wohl noch nicht niedrig genug, um so viele Investitionen rentabel werden zu lassen, daß man jetzt schon auf einen kumulativen Investitionsaufschwungseffekt hoffen könnte. Dabei haben sich die „hausgemachten" Rahmenbedingungen in den letzten Monaten früher und mehr als erwartet verbessert:
— Die Inflationsrate ist zur Mitte des Jahres auf unter 2, 5 Prozent gesunken und in gesamten zweiten Halbjahr 1983 wird — trotz der Mehrwertsteuererhöhung — die Zwei vor dem Komma stehen; auch 1984 wird die Geldentwertung auf relativ niedrigem Niveau bleiben;
— die Leistungsbilanz wird 1983 und 1984 mit deutlichen Überschüssen abschließen; die Beschlüsse zum Bundeshaushalt 1984 bestätigen den Konsolidierungskurs bei den öffentlichen Haushalten;
— die Konjunkturerholung fällt in diesem Jahr noch relativ schwach aus, gewinnt aber 1984 etwas an Fahrt.
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten war die Bundesbank in der Vergangenheit bereit, den Spielraum der sich aus der günstigeren außenwirtschaftlichen und stabilitätspolitischen Entwicklung ergab, zu nutzen und den Zinssenkungsprozeß in der Bundesrepublik aktiv zu unterstützen. In den letzten Wochen stieß aber die Geldpolitik der Bundesbank an Grenzen, die uns von der amerikanischen Wirtschaftspolitik oktroyiert wurden. Das ungelöste Budgetproblem der US-Finanzpolitik lastet als schwere Hypothek auf der Weltwirtschaft, weil’es zu Recht oder zu Unrecht die Inflationsfurcht wachhält und dadurch zu einem investitionshemmenden hohen Real-zinsniveau in den USA und über den internationalen Zinszusammenhang auch in anderen Industrieländern beiträgt. Insbesondere leiden auch die hochverschuldeten Schwellenländer immer mehr unter den hohen Dollar-zinsen. Das amerikanische Zinsproblem ist in dem bislang unbereinigten Konflikt begründet, der seit gut zweieinhalb Jahren zwischen der expansiv ausgerichteten Finanzpolitik und der — an den Ansprüchen der öffentlichen Haushalte gemessen — kontraktiv wirkenden Geldmengenpolitik schwelt. Der Hintergrund ist einfach darzustellen: Die zusätzlichen Ansprüche der öffentlichen Haushalte in den USA übersteigen das Liquiditätsangebot von Wirtschaft und Notenbank. Dies führt über Anspannungen auf den Finanzmärkten zu steigenden Zinsen. Da in den meisten Industrieländern die wirtschaftliche Entwicklung gedämpft ist und attraktive finanzielle Anlagemöglichkeiten fehlen, ziehen die hohen US-Zinsen Liquidität aus diesen Ländern, wodurch der Dollar noch fester geworden ist. Damit wird auch der Versuch der Bundesrepublik vereitelt, sich über das Herbeiführen von — aufgrund der ökonomischen Grunddaten durchaus berechtigten — Aufwertungserwartungen die D-Mark aus dem Schlepptau der hohen amerikanischen Zinsen zu lösen.
Die Chancen in der Bundesrepublik, wieder zu niedrigeren Zinsen zu kommen, wie sie auch von der wirtschaftlichen Entwicklung und der relativen Stabilität her gerechtfertigt wären, sind solange als gering einzuschätzen, wie die Zinsen in den USA hoch sind. Es gibt inzwischen aktuelle Hinweise (wie z. B. die jüngste Revision der Geldmengenpolitik), daß die amerikanischen Zinsen in absehbarer Zeit doch leicht zurückgehen werden. Dies würde den Liquiditätsstrom in den USA verringern, da ungesicherte Anlagen im Dollarraum zunehmend riskanter würden. Die D-Mark könnte sich dann erholen und der fundamental begründete Zinssenkungstrend in der Bundesrepublik könnte sich dann wieder durchsetzen und damit die Basis für den beschäftigungspolitisch notwendigen dauerhaften, investitionstragenden Aufschwung festigen.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Überlegungen lassen sich nun wie folgt kurz zusammenfassen: 1. Wir brauchen wieder einen vernünftigen, aufeinander abgestimmten, allerdings den veränderten Rahmenbedingungen angepaßten Policy-mix. Finanz-, Einkommens-und Geldpolitik müssen an einem Strang ziehen. Weder bei der Inflationsbekämpfung noch bei den Bemühungen um eine durchgreifende Besserung der Beschäftigungssituation darf es für einzelne Politikbereiche eine Solistenrolle geben. Es muß vielmehr wieder im „Konzert“ gespielt werden.
2. Die Verbesserung der . Angebotsbedingungen“ der Wirtschaft darf nicht dazu führen, die Nachfrageseite zu vernachlässigen. Angebot und Nachfrage sind Siamesische Zwillinge. Daher ist die Meinung Samuelsons zu beherzigen: „The Lord gave us two eyes to watch both demand and supply.“ Wo immer man wirtschaftspolitisch auch ansetzt, es kommt in jedem Fall darauf an, daß die Investoren und Konsumenten wieder bereit sind, heute Ausgaben in Vorgriff auf zukünftige Einkommen vorzunehmen, mit anderen Worten, sich zu verschulden. Nur bei wieder zunehmender Verschuldungsbereitschaft und -fähigkeit ist der Prozeß der Kontraktion von Einkommen, Angebot und Nachfrage zu beeenden. Für günstige Bedingungen dafür zu sorgen, ist die eigentliche zentrale wirtschaftpolitische Aufgabe. Zu diesen günstigen Bedingungen zählen neben stabilen Preisen die Zinsen auf der einen Seite, positive Gewinn-oder Einkommenserwartungen auf der anderen Seite. Je besser beide Bedingungen erfüllt sind, desto besser werden auch die wirtschaftspolitischen und insbesondere die beschäftigungspolitischen Ergebnisse sein.
Manfred Piel, Dipl. -Volkswirt, geb. 1945; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Saarbrücken und Freiburg i. Br.; Mitarbeiter in einem Spitzenverband der Kreditwirtschaft, Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen zu konjunktur-, Wachstums-und finanzpolitischen Themen. Diethard B. Simmert, Dr. rer. pol., geb. 1945; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Münster; Mitarbeiter in einem Spitzenverband der Kreditwirtschaft, Bonn; Schriftleiter der Zeitschrift " KREDIT und KAPITAL“, Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen zu geld-und wirtschaftspolitischen Themen.
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