I. Das Diskussionsspektrum
„Ideologie und Geschäft ergeben immer eine gefährliche, manchmal eine üble Mischung." Bezog sich dieser Kommentar nach den aufsehenerregenden Offenbarungen in der Affäre „Neue Heimat" zunächst noch auf die Leitung und Geschäftspolitik des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzerns, so symbolisierte er dann zusehends das Verdikt einer empörten Öffentlichkeit über eine scheinbar entlarvte Gemeinwirtschaftsideologie. Selten genug wahrte publizistischer Eifer dabei die notwendigen Differenzierungen. Bei aller Kritikwürdigkeit der gemeinwirtschaftlichen Unternehmenskonzeption des DGB gerade am Beispiel „Neue Heimat" konnte einmal mehr der Eindruck erweckt werden, es handele sich hier um einen „Nebenkriegsschauplatz im Feldzug gegen die Gewerkschaften"
Auch die gewerkschaftsinterne Kritik an der „gemeinen Wirtschaft" offenbarte trotz starker Beteiligung aller Organisationsebenen einen erstaunlich geringen Kenntnisstand, der in diesem Zusammenhang die alleinige Schuldzuweisung an eine „Kumpanei der Mammonisten" fraglich erscheinen läßt.
Kurt Hirche, Gewerkschafter und ausgewiesener Kenner der Unternehmensgruppe des DGB, hatte schon vor über einem Jahrzehnt gemahnt, unzureichende Kontrollmechanismen zu ändern und auf eine breitere Grundlage zu stellen. Seine nunmehr um so eindringlicher wiederholte Forderung beleuchtet den eigentlichen Hintergrund.
Weitgehend abgekoppelt von binnengewerkschaftlichen Diskussions-und Entscheidungsstrukturen erreichten die Leitungen der gewerkschaftlichen Unternehmen — nicht zuletzt ihrer finanzpolitischen Erfolge wegen — einen vergleichsweise hohen Grad an Autonomie. So war es auch ihnen überlassen, jene Gemeinwirtschaftsprogrammatik zu entwikkeln, mit der man für den DGB insgesamt und scheinbar bruchlos sowohl an bedeutungsvolle Traditionen als auch an aktuelle Diskussionsstränge anknüpfen konnte. Die Protagonisten des zwar am stärksten zusammenhängenden, gleichwohl kleineren Teils des freigemeinwirtschaftlichen Unternehmenssektors entwickelten sich im Verlauf eines Ende der sechziger Jahre einsetzenden Publikationsbooms zu dessen maßgeblichen Theorieproduzenten Gleichzeitig versuchten sie, sich in einen Diskussionsbereich einzugliedern, der sein Hauptaugenmerk auf das Institut des öffentlichen Unternehmens richtet. Hier vollzog sich, nicht zuletzt durch historische und aktuelle Privatisierungsbestrebungen angeregt allmählich die Herausbildung einer eigenständigen Disziplin als Gegenstück zur Betriebswirtschaftslehre.
Weniger publizitätsträchtig, dafür im Zuge verwaltungswissenschaftlicher Ausbildung um so einflußreicher, erfolgte in diesem Zusammen-hang die Verbreitung gemeinwirtschaftlicher Theorie. Die häufig monierte Beschränktheit einer akademischen Erörterung der Grenzen und Möglichkeiten von Gemeinwirtschaft auf der Ebene betrieblicher „Einzelwirtschaftspolitik" sollte über die Diskussionstiefe und partielle Praxisrelevanz dieses Kerns der neueren Debatte nicht hinwegtäuschen. Speziell für die gewerkschaftlichen Unternehmen wird eine Neukonzeption unter stärkerem Bezug zu den gesellschaftspolitischen Zielen des DGB nicht mehr aufschiebbar sein. Ohne Anknüpfung an vorhandene Erfahrungswerte aber ließe sich Identitätsverlust und Desintegration noch schwerer begegnen. Schließlich deuten wachsende ökonomische und ökologische Probleme darauf hin, daß auch der Einsatz öffentlicher Unternehmen als wirtschaftspolitische Instrumente zunehmend Eingang in die politische Diskussion findet.
Bildet die Darstellung der gemeinwirtschaftlichen Unternehmenskonzeption des DGB nun den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen, so nicht ohne zwei notwendige Ergänzungen. Vorausgehen soll ihr ein kurzer Überblick des vielbeschworenen historischen Entwicklungsstrangs, der gerade Kritikern Anlaß zur Forderung nach einer „Renaissance der Gemeinwirtschaftstheorie" bietet. Verbunden mit dem abschließenden Hinweis auf weitere, zumindest implizit gemeinwirtschaftliche Strategien, die auch außerhalb der Bundesrepublik zunehmend an Bedeutung gewinnen, ergeben sich Rückschlüsse zur gesellschaftspolitischen Einordnung des Konzepts gemeinwirtschaftlicher Unternehmen. Darüber hinaus zeigen sich theoretische und praktische Ansatzpunkte einer Wiederbelebung der Gemeinwirtschafts-und im weiteren Sinne der Wirtschaftsreformproblematik.
II. Das ideengeschichtliche „Lagerhaus". Aspekte der Entwicklung gemeinwirtschaftlicher Theorie und Praxis
Heutige Verfechter einer mikroökonomisch orientierten Gemeinwirtschaftstheorie werden, ähnlich wie ein Teil ihrer Kritiker, der historischen Dimension ihres Gegenstandes selten gerecht. Zwar beruft man sich beiderseits gelegentlich auf dieselben Traditionsgrundlagen; unterschiedliche Intentionen und Ansatzebenen stehen aber der Möglichkeit fruchtbarer Rekonstruktion gleichermaßen im Wege. Das Zeichnen eines entwicklungsgeschichtlichen Pfades, der scheinbar zwangsläufig hin zur eigenen „pluralistischen" Position führt, wirkt dabei ebenso hemmend wie das Sammelsurium einer „integrativen Gemeinwirtschaft", die auf „eine pluralistische, dualistisch-gemischt-wirtschaftliche Strategie" setzt. Die Vieldeutigkeit des Begriffs „Gemeinwirtschaft" verliert ihre verwirrende Wirkung, indem man sich des terminologi-sehen Wandlungsprozesses vergewissert und ihn in den jeweiligen sozialhistorischen Kontext einbindet — ein Anspruch, der bislang an den Problemen interdisziplinärer Zusammenarbeit scheiterte.
Begrifflich umfaßte Gemeinwirtschaft zunächst sämtliche Antworten auf Struktur-und Funktionsdefizite, die sich mit der Entwicklung des privatwirtschaftlich-kapitalistischen Systems offenbarten. Ausgerichtet an unterschiedliche Gemeinschaften als Träger und Nutznießer wurde der Terminus als analytische und als normative Kategorie verwendet. Die qualitative Bedeutung als wirtschaftliches Ordnungsprinzip beinhaltete zunächst grundsätzliche, formelle Alternativen zum privaten Eigentum und Verfügungsrecht über Produktionsmittel. Sie verlagerte sich schließlich auf materielle Entwürfe, die quasi als Verstaatlichungsersatz Organisationsproblematik und Eigentumsstruktur weitgehend unangetastet ließen und auf gemeinwirtschaftliche Verhaltensweisen abzielten. Als Orientierungspunkt für das Verständnis der heutigen Diskussion und der Verschiebung der Bezugs-ebenen mag die Skizzierung der vorausgehenden fünf Etappen gemeinwirtschaftlicher Konzeptionen dienen.
1. In der Thematisierung wirtschaftlicher Sektoren als reformpolitische Instrumente wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gemeinwirtschaftsdebatte auf zwei Ebenen begründet: Zum einen innerhalb einzelner Schulen der deutschen Nationalökonomie in bewußter Absetzbewegung vom Manchester-Liberalismus als Entwürfe zur Beschränkung der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung. Dem mangelhaften privatwirtschaftlichen Sektor wurde hier der gemeinwirtschaftliche in der Funktion eines „Lückenbüßers“ gegenübergestellt, vor allem, um die mannigfaltigen sozialen Probleme zu bekämpfen. Strukturelemente bildeten dabei ein im wesentlichen sozial-karitativ bestimmtes Wirtschaftsziel, staatliche Formen des Gemeineigentums und eine spezifische Lenkungslogik, die rein kostenorientierte Bedarfsdeckung zum Inhalt hatte. Albert Schäffle und Adolph Wagner, beide Mitglieder im Verein für Socialpolitik, versuchten mit ihren Arbeiten, die Richtung der seit ca. 1870 wiederbelebten staatlichen und vor allem kommunalen Wirtschaftstätigkeit fortzuschreiben.
Im Grenzbereich bewegten sich die bereits damals sehr umstrittenen Typen der „delegierten“ bzw. „staatlich regulierten Unternehmungen", eine besonders im Zusammenhang staatlicher Infrastrukturleistungen erörterte Alternative Der Aufbau des Eisenbahnwesens hatte jedoch die Unzweckmäßigkeit reiner Kontrolle des Staates aufgezeigt, so daß durch die schließliche Nationalisierung auch solche Konzepte ins Abseits gerieten. Die Unterscheidung der „klassischen“ Theorie zwischen Zwangs-und freier Gemeinwirtschaft verwies auf den zweiten Ursprungs-bereich. Neben einem stark theoretisch besetzten, staatlichen Fürsorgeprinzip nahmen sich die praktischen Formen solidarischer Selbsthilfe anfänglich sehr schlicht aus. Unter dem Einfluß Vorbilder trat innerhalb der Arbeiterbewegung der Genossenschaftssektor als Korrektivsystem hervor. Damit fanden letztlich auch „kooperatistische“ (genossenschaftliche) Gemeinwirtschaftsstrategien zunehmend Beachtung bei politischen Organisationen, vor allem aber bei den Gewerkschaften Auch die vielfältigen und langandauernden ideologischen Vorbehalte, wie sie von staatssozialistischer bzw. marxistischer Seite formuliert wurden, konnten dies nicht verhindern. Das zunächst favorisierte Konzept der Produktivgenossenschaften scheiterte letztlich durch Mißerfolg oder durch Rückkehr zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Die schnelle Ausbreitung der Konsumgenossenschaften dagegen ließ bald sozialistisch motivierte Gemeinwirtschaftsstrategien entstehen, die auf dem Genossenschaftssektor basierten, ihn aber bis zur Jahrhundertwende selten als alleinige ökonomische Grundstruktur propagierten.
1913 waren bereits zwei Millionen Mitglieder, vornehmlich Arbeiterhaushalte, dem Zentral-verband deutscher Konsumvereine angeschlossen, der im gleichen Jahr ein Umsatzvolumen von 600 Millionen Reichsmark erzielte. Neben einer schon recht früh gegründeten Großeinkaufsgesellschaft weitete sich auch schnell die Zahl der Eigenbetriebe aus, die für den Bedarf der Konsumgenossenschaften produzierten. Die Trennung der Arbeiterkonsumvereine von dem mittelständischen Flügel der Genossenschaftsbewegung (SchulzeDelitzsch, Raiffeisen) steigerte darüber hinaus die Bedeutung dieses Sektors für SPD und freie Gewerkschaften. Hier verringerten sich zusehends die Vorbehalte gegenüber dem „Kassenkampf" und wichen weitaus positiveren Bewertungen. Eduard Bernstein entwikkelte dabei die wohl einflußreichste Einordnung des Genossenschaftssektors in die Strategie der Arbeiterbewegung
2. Mit den politischen Entwicklungen gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurde Gemein-wirtschaft zur Zielkategorie einer mittelfristig durchzuführenden Umwandlung des gesamten Wirtschaftssystems Am Rande des wirtschaftspolitischen Diskussionszusammenhangs, der hauptsächlich von sozialdemokratischen Autoren geprägt wurde, standen die Konzepte kriegswirtschaftlicher Orientierung. Sie beeinflußten nicht nur die Arbeit zweier Sozialisierungskommissionen und des Reichswirtschaftsamtes, sondern auch die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung in erheblichem Maß. Das grundlegende Konzept Walter Rathenaus, das der Sozialdemokrat und zeitweilige Reichs-wirtschaftsminister Rudolf Wissell in der leicht abgewandelten Form seiner „gebundenen Planwirtschaft" zu realisieren -suchte, hatte jedoch nur geringe praktische Ansätze zur Folge. Mit der Schaffung der Kohle-bzw. Kalisyndikate wurden konkrete Sozialisierungsmaßnahmen allerdings generell beendet.
Die innerhalb des sozialistischen Lagers kursierenden Pläne eines schrittweise zu errichtenden, gemeinwirtschaftlichen Systems waren aufgrund der traditionell vernachlässigten Übergangsproblematik und des nunmehr vorhandenen Bewältigungsdrucks z. T. stark an obigen Vorstellungen angelehnt. Dies galt vor allem für die verschiedenen, mit der Räte-frage verknüpften Entwürfe des Ausbaus wirtschaftlicher Selbstverwaltung zu einem Geflecht föderativer ökonomischer Organisationsstrukturen mit möglichst dezentralen Entscheidungsebenen
Der restliche Teil der Beiträge orientierte sich jedoch an den genossenschaftlichen Varianten, wobei die nur scheinbare Offenheit der politischen Situation utopische Phantasie-gebilde geradezu provozierte. Der Vorschlag Otto Neuraths, über sofortige Vollsozialisierung kurzfristig eine markt-und geldlose Naturalwirtschaft zu errichten, ist dafür beredtes Beispiel.
3. Der Zeit der „großen" Gemeinwirtschaftsbestrebungen folgte einerseits die Wiederanknüpfung an die wirtschaftspolitische Instrumentalisierung des staatlichen Sektors, andererseits der Versuch einer Synthese gemeinwirtschaftlicher Organisationsformen und zumindest partiell marktwirtschaftlicher Lenkungslogik. Nach dem schnellen Scheitern der Rätebewegung und dem nachfolgenden Sozialisierungsdebakel konzentrierte sich die nunmehr auf den Bereich der Fachökonomie verengte Debatte auf das Problem der Rationalität gemeinwirtschaftlicher Steuerung Die „Staatswirtschaftslehre" begrenzte den Staats-sektor im Sinne der Lückenbüßertheorie auf die wenig reformrelevante Verfahrenskontrolle des Marktes. Der staatliche Wirtschaftssektor wies zwar eine völlig andersartige Struktur (Staatseigentum, zweckgebundene Planrationalität nach dem Prinzip der Bedarfsdeckung) als der privatwirtschaftliche auf. Seine Funktion innerhalb der propagierten dualistischen Wirtschaftsordnung wurde jedoch auf eher planlose Unterstützung des anderen Teils bzw. die Abwicklung seiner Mängel beschränkt
Die Varianten des „Marktsozialismus" dagegen versuchten in der Berücksichtigung von Marktbeziehungen und damit der „Einfügung der Wertrechnung in eine sozialistische Organisation ... das ökonomische Problem der Sozialisierung” zu lösen.
4. Mit dem Vorhaben, die Ausbreitung einzelner gemeinwirtschaftlicher Elemente intensiv zu fördern und auf ein Ziel hin abzustimmen, machte die Grundlegung des reformpolitischen Gradualismus als „Theorie sich auf, um den generationenweiten Vorsprung der Praxis einzuholen" Als letzte strategische Initiative vor Weltwirtschaftskrise, Faschismus und Krieg entwickelten die in den „Brennpunkt der proletarischen Klassenbestrebungen" gerückten Gewerkschaften das Konzept der Wirtschaftsdemokratie 'Deutlich beeindruckt von den Fehlschlägen der vorangegangenen Phasen wollte man sich nicht mehr mit der Beschreibung jenes Fern-ziels von Gemeinwirtschaft begnügen. Wichtiger erschien der schon beschrittene Weg hin zur „vollendeten Wirtschaftsdemokratie 1'. Gestützt auf die Tendenzen der „Durchorganisierung des Kapitalismus" und auf ein demokratisches politisches System, bedeutete die Demokratisierung der Wirtschaft wachsende Partizipation der Arbeiter an Leitungsfunktionen sowie die Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen insgesamt und des Bildungswesens. Vorhandene „Keimzellen" fanden sich in dem rudimentären Bereich der „demokratischen Teilnahme", vor allem aber in drei gemeinwirtschaftlichen Betriebsformen, die sich offenbar ausdehnten. Während sich die Qualität der öffentlichen Unternehmen allein aus politischen Machtverhältnissen ableitete, galten die freigemeinwirtschaftlichen Unternehmen, Konsumgenossenschaften und gewerkschaftliche Eigenbetriebe, als „Oasen", „als die Ansatzpunkte, von denen die Eroberung der kapitalistischen Wüste ausgehen wird"
Die Konsumvereine hatten nun in der Tat noch einmal einen gewaltigen Aufschwung genommen. Bis zum Beginn der dreißiger Jahre hatte sich ihre Mitgliederzahl fast verdoppelt und ihr Umsatz nahezu verdreifacht. Ebenso beindruckend verlief die Entwicklung der gewerkschaftlichen Eigenbetriebe. Von dem Bereich, der ausschließlich organisatorischen Zwecken diente, einmal abgesehen, erreichten einzelne Unternehmen in kurzer Zeit durchaus ansehnliche Größenordnungen. Allen voran die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten und das Versicherungsunternehmen Volksfürsorge. Die sozialen Bau-betriebe wuchsen innerhalb von weniger als zehn Jahren zum größten Inlandsbaubetrieb heran und bewältigten mit durchschnittlich etwa 20 000 Beschäftigten zeitweise über vier Prozent des gesamten Bauvolumens. Erwähnt sei letztlich noch das Lindcar-Fahrradwerk, das als einziger Betrieb im Bereich der industriellen Produktion für die Arbeiterbewegung von besonderer Bedeutung war. Sein Name wurde schnell zum Synonym für „proletarische Leistungskraft"
Oasen waren diese Betriebe — ohne die punktuelle Besserstellung der Belegschaften unterschätzen zu wollen — gleichwohl nicht. Genausowenig besaßen sie eine quasi naturgegebene antikapitalistische Stoßrichtung. Sie erfüllten zeitweise wichtige Funktionen einer Verbraucherschutzpolitik, vor allem im Einzelhandel oder im Banken-und Versicherungswesen. Wie auch die Baubetriebe stießen sie dabei in „Marktlücken", die ihnen langfristig und bei wachsendem Konkurrenzdruck Überlebenschancen nur durch ein — im ökonomischen Sinn — konformes Verhalten sicherten. Ideologisches oder gar materielles Engagement in politischen Aktivitäten der Arbeiterbewegung war damit sehr begrenzt. übrig blieb allein die bisweilen übertrieben betonte wirtschaftliche bzw. wirtschaftsführende Qualifizierung der Arbeiterschaft 5. Im Mittelpunkt der vergleichsweise geringen Gemeinwirtschaftsbestrebungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand die Schaffung selbstverwalteter, auf Gemeineigentum beruhender Industriebereiche. Die Forderung nach der Sozialisierung solcher „Schlüsselindustrien“ wurde mit ihren monopolähnlichen Marktpositionen und ihrer strategischen Bedeutung für die staatliche Wirtschaftsplanung begründet
Diese Entwürfe berührten genausowenig wie die sporadischen Rückgriffe auf das Konzept der Wirtschaftsdemokratie innerhalb der Gewerkschaften die sich schnell abzeichnende „Wirklichkeit eines sozialpolitisch temperierten, kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Faktorenzusammenhanges" Losgelöst von einer sich zu dieser Zeit entzündenden und Fragen der Eigentumsstruktur weitgehend ignorierenden Globalsteuerungsdebatte entwickelten sich die randstän-digen Versuche der Ergänzung des Interventionismus: die Konzepte zur wirtschaftspolitischen Instrumentalisierung der auf Gemein-eigentum basierenden Unternehmen.
III. Die Konzeption der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen -wirtschaftspolitische Alternative oder Rechtfertigungsideologie?
Das politische und sozialökonomische Klima der deutschen Nachkriegsentwicklung bot der Entfaltung gemeinwirtschaftlicher Theorie und Praxis wenig Raum. Der undifferenzierte, anfänglich noch weit verbreitete Konsens über die Notwendigkeit einer industriellen Neuordnung verblaßte zusehends unter den Tagesproblemen des Wiederaufbaus. Die hervorragende Rolle, die die Gewerkschaftsbewegung in diesem Zusammenhang übernahm, machte sie auch zum zunächst wichtigsten Träger gemeinwirtschaftlicher Reform-bestrebungen. Anfängliche Erfolge, die sich in einzelnen Länderverfassungen widerspiegelten, ließen weitere Fortschritte möglich erscheinen, zumal der politische Einfluß der SPD zusehends wuchs.
Diesen Hoffnungen setzte allerdings nicht nur die restriktive Politik der Besatzungsmächte ein schnelles Ende. Der Vorrang des organisatorischen Aufbaus der Einheitsgewerkschaft forderte immense Anstrengungen angesichts vielzähliger Widerstände und reduzierte in gleichem Maße die Potentiale struktureller Reformpolitik. Wenn schließlich die politische Verantwortung an eine ebenso erfolglose SPD delegiert wurde, so war dies nur klägliche Reaktion auf das Erkennen der Defensive, in die man — für lange Zeit — geraten war.
Mit steigender Attraktivität des westdeutschen Modells sozialer Marktwirtschaft verkümmerte gemeinwirtschaftliche Theorie und Praxis innerhalb der Organisationen der Arbeiterbewegung zu programmatischen Traditionsresten, derer man sich auch deklamatorisch kaum mehr erinnerte. So war es auch nicht verwunderlich, daß selbst der Abbau von Ansätzen zur Modifizierung der Eigentumsstruktur nur noch wenig Beachtung fand. Mit der Verschärfung des „Kalten Krieges" steigerten Vorbehalte gegenüber zentralistischen, bürokratischen Organisationsvorstellungen, die man mit Gemeinwirtschaft verband, das Risiko des Ideologieverdachts allein schon durch die Begriffsverwendung 1. Zur Definition der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen Die grundlegenden Anstöße zu einer Theorie der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen erfolgten somit unter einer Vielzahl von Restriktionen. Die spezifisch wirtschaftswissenschaftliche Diskussion konzentrierte sich unter dem bestimmenden Einfluß des sogenannten Ordoliberalismus auf das Problem monopolistischer Marktmacht und ihrer Einschränkung. Insoweit, als man sich innerhalb der SPD auf diesen thematischen Zusammenhang beschränkte, wurde die Kontinuität von Gemeinwirtschaftstheorie nur in dem Werke weniger Autoren gewährleistet.
Die einzelwirtschaftliche Gemeinwirtschaftsbegründung Gerhard Weissers trat im Sinne eines zwar geringen, jedoch politisch bedeutsamen Einwirkens in zweierlei Hinsicht hervor: Seine maßgebliche Teilhabe an der Formulierung des Godesberger Programms verhinderte, daß in der SPD die Erfahrungswerte von Auseinandersetzungen um gesellschaftlichen Produktionsmittelbesitz zugunsten der verschiedenen Konzepte der Kontrolle wirtschaftlicher Macht völlig ausge-blendet wurden. Darüber hinaus bot er gerade den freigemeinwirtschaftlichen Unternehmen eine Theorie, welche die praktische Geschäftspolitik in den Zusammenhang der gesellschaftspolitischen Programmatik der Trägerorganisation einzuordnen wußte.
Die Analyse „einzelwirtschaftlicher Strukturen“ führte Weisser zu der Einsicht in die Vielfalt empirisch feststellbarer Unternehmenstypen, die die vorherrschenden privatwirtschaftlichen um verschiedene gemeinwirtschaftliche ergänzte. Die Unterscheidungskriterien bildeten neben der Trägerschaft vor allem der „Sinn" als Zielsystem: „Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind Einzelwirtschaften, deren Ergebnis und gegebenenfalls auch einzelne Leistungen nach dem gemeinten Sinn des Gebildes unmittelbar dem Wohl einer übergeordneten Gesamtheit oder der Verwirklichung einer von ihr für objektiv verbindlich gehaltenen Idee gewidmet sind, und die eine der Absicht nach dieser Widmung entsprechende institutioneile Form haben.“
Solchermaßen erschienen sie als Instrumente aktiver Wirtschaftspolitik in der Lage, zahlreiche Funktionen im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Zielepluralität auszufüllen. Konkret wurden — wie auch heute noch — zu dieser Form von Gemeinwirtschaft öffentliche Unternehmen (z. B. Bahn, Post, kommunale Versorgungsunternehmen), öffentlich-gebundene, d. h. durch gesetzliche Sondervorschriften oder durch die Beteiligung der öffentlichen Hand eingeschränkte Unternehmen wie etwa im Energiesektor und frei-gemeinwirtschaftliche Unternehmen gerechnet. Letztere Kategorie meinte zunächst nur Genossenschaften.
In seinen Betrachtungen dieser Typen unterschied Weisser den „institutionell gemeinten Sinn“ als die Gemeinwohlorientierung des jeweiligen Trägers vom „subjektiv gemeinten", der sich im unternehmensinternen Entscheidungsprozeß herausbildet. Da beide bei einzelnen Unternehmensformen nicht immer sehr nahe beieinander liegen, warnte er recht deutlich vor allzu großer Vernachlässigung der binnenbetrieblichen Organisation.
Davon unbeeindruckt unterstellen die neueren Konzeptionen für die meisten der Unternehmenstypen grundsätzlich gleichartige Wirkungsweisen An theoretischen Belegen dafür mangelt es nicht. Ihr gemeinsamer institutioneller Sinn liegt in der Widmung „öffentlicher Aufgaben“ und tritt in ihren geschäftspolitischen Verhaltensweisen zu Tage. Die Trägerschaft dient dabei allenfalls als zusätzlicher Hinweis auf Gemeinwirtschaftlichkeit. Als sogenannte mikroökonomische Feinsteuerungsinstrumente decken sie mehrere, verschieden gewichtete Funktionsbereiche ab. Im Vordergrund stehen idealtypisch dabei die Leistungsziele, wie beispielsweise die Versorgung mit „öffentlichen Gütern" (im Verkehrs-, Gesundheits-oder Bildungswesen usw.). Darüber hinaus dienen sie allgemeinen Regulierungsaufgaben etwa in Bereichen der Raumordnungs-, Struktur-, Konjunkturpolitik und ähnlichen mehr. Dies gilt weniger stark betont auch für gesellschaftspolitische Zielsetzungen. Finanzielle Ziele dagegen werden als nachrangig erachtet. Wenn derartiges für öffentliche Unternehmen teilweise zutreffen mag, so sind weder gemischtwirtschaftliche noch freigemeinwirtschaftliche Unternehmen zu wirtschaftspolitisch bestimmtem Gewinn-verzicht bereit und selten überhaupt in der Lage. Im Lichte der jeweiligen Geschäftspolitik wirkt es wenig glaubhaft, wenn dennoch für beide geltend gemacht wird, sie unterschieden sich von der Privatwirtschaft durch ihre spezifische Art der Gewinnverwendung. Das Beispiel der gewerkschaftlichen Unternehmen läßt, wie noch zu zeigen sein wird, davon wenig erkennen.
Schließlich wird man nach der in der Vielfalt der Unternehmenstypen vermuteten gemeinwirtschaftlichen Einheit vergeblich suchen. 2. Zur freigemeinwirtschaftlichen Unternehmenspraxis . Aber immerhin ist es doch eine organisationstheoretisch interessante Erscheinung, daß bestimmte Unternehmen mit dem An-Spruch an die Öffentlichkeit treten, im öffentlichen Interesse zu disponieren und damit die Prüfung dieses Anspruchs nicht etwa nur durch den Träger, sondern durch die Öffentlichkeit geradezu provozieren."
Obwohl dieser Anspruch implizit für eine Reihe weiterer empirisch nicht erfaßter Wirtschaftsformen (z. B. genossenschaftsähnliche Unternehmen von Verbänden, Kirchen usw.) erhoben wird, bezieht er sich im wesentlichen auf seinen Ursprungsbereich: die mit der Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung entstandenen Unternehmen Ein etwas ausführlicheres Eingehen gerade auf diese Betriebe fördert neben den neuerlich genährten Zweifeln an ihrem Anspruch gleichermaßen die oft mit ihnen verbundenen wirtschaftsreformpolitischen Illusionen.
Mit dem Ende der Konsumvereine als wirtschaftliches Organisationsmodell traten die Genossenschaften weitgehend in den Hintergrund. Sie besaßen 1961 bei 2, 6 Millionen Mitgliedern zwar immer noch einen Marktanteil von 11 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel, büßten jedoch durch einen seit den fünfziger Jahren in diesem Sektor einsetzenden Konzentrationsprozeß sowie durch gesetzliche bzw. fiskalische Maßnahmen — unter anderen ein sehr ungünstiges Rabattgesetz — einerseits traditionelle Kostenvorteile ein und durchliefen andererseits bewußt eine Form des Anpassungsprozesses, die das Ende der ursprünglichen Organisation nach sich ziehen mußte. Zur Umstellung auf die neuen, großen und vor allem kapitalintensiven Vertriebsmodelle (Selbstbedienungsläden, Supermärkte) reichte das notwendige Eigenkapital kaum mehr aus. Bedeutende Rückvergütungen bzw. Rabatte, früher die größten Anreize, konnten nicht mehr gewährt werden, so daß die Zahl der Genossen und damit die Einlagen langfristig abnahmen. Letztlich deutet die widerspruchslose Umwandlung der Konsumgenossenschaften in Aktiengesellschaften, die 1967 begann und 1974 abgeschlossen wurde, darauf hin, daß auch traditionelle ideologische Motive gänzlich verschwunden waren. Die finanziellen Vorteile aus Aktienbesitz wogen sichtlich stärker als Partizipationsrechte an demokratisch verwalteten Wirtschaftsformen. Unabhängig von dem quantitativen Bedeutungsverlust war die genossenschaftliche Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Ziele bisweilen sehr umstritten. Für die positive Wirkung der Konsumgenossenschaften wurden vor allem wirtschaftshistorische Argumente geltend gemacht. Als Form anonymen Sozialkapitals läßt sich ihre sozialpolitische Funktion, die sie für lange Zeit ausübte, nicht abstreiten. über die oft herausgestellte Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse speziell für den Konsumenten hinaus, beließ sie auch den Produktionsbereich nicht unberührt. Die Arbeitsbedingungen innerhalb der genossenschaftlichen Eigenbetriebe übertrafen gelegentlich sogar gewerkschaftliche Ansprüche und galten weithin als vorbildlich. Für die Entwicklung der Arbeiterbewegung insgesamt fanden die pädagogischen Einwirkungsmomente der Konsumvereine eine besondere Würdigung und begründeten deren Ruf einer Schule des „praktischen Sozialismus“. Wichtiger als das demokratische Prinzip der Wirtschaftszielbestimmung durch die Versammlung der Genossen erschien die Aneignung von Qualifikationen der Wirtschaftsführung, die die Berechtigung allgemeiner Partizipationsforderungen unterstreichen sollten. Heute erfährt das Instrument der Genossenschaften zwar eine gewisse Reaktualisierung auf dem Hintergrund entwicklungspolitischer Strategien oder im Zusammenhang des Ausbaus einer „alternativen Ökonomie"; die wirtschaftspolitische Problematik westlicher Industriegesellschaften begrenzt es allerdings auf ein bloßes Nischendasein. Schließlich sind auch hier die Aussichten für die verschiedenen Genossenschaften, berufsständische oder solche im kommunalen Wohnungssektor beispielsweise, nicht sehr ermutigend.
Im Vordergrund der Diskussion um freigemeinwirtschaftliche Instrumentarien befinden sich nunmehr diejenigen Unternehmens-formen, die sich am weitesten der ökonomischen Entwicklung angepaßt haben; einerseits mit dem Nachteil einer oberflächlich betrachtet scheinbar vollständigen Konvergenz, andererseits um den Gewinn größter Flexibilität und gemeinwirtschaftlicher Wirksamkeit — wie aus den Unternehmen selbst und seitens des Trägers versichert wird.
Die direkte gewerkschaftliche Wirtschaftstätigkeit erstreckt sich auf drei Ebenen, und nur für eine wird der Anspruch der Vertretung des „öffentlichen Interesses" uneingeschränkt erhoben. Neben den genossenschaftsähnlichen Unternehmen, etwa dem „Auto Club Europa“ oder der „Büchergilde Gutenberg", erfüllen „Bund Verlag“, Druckereibeteiligungen, eine Werbeagentur und die diversen Bildungseinrichtungen in der Form der Eigen-betriebe gewerkschaftliche Funktionsbedürfnisse „organisatorischer, bildungspolitischer und kulturpolitischer Art“ Innerhalb der großen — gemeinwirtschaftlichen Unternehmen — „Bank für Gemeinwirtschaft" (BfG), „Volksfürsorge", „Neue Heimat" und „co op“ — nimmt die direkte Tätigkeit im gewerkschaftlichen Eigeninteresse nur einen sehr geringen Teil aller Geschäftsaktivitäten ein. Beispielsweise liegt der Anteil des Hausbankengeschäfts der BfG mit dem DGB und den Einzelgewerkschaften unter 10 Prozent gegenüber noch 25 Prozent im Gründungsjahr 1958. Mit einer Konzernbilanzsumme von ca. 60, 5 Milliarden DM gilt sie als viertgrößte überregionale Universalbank und ist mit diesem Status, den sie durch rapiden Ausbau ihres Allgemeingeschäfts bewußt verfolgte, „am ehesten mit Instituten wie der Deutschen Bank, der Dresdner Bank oder der Commerzbank vergleichbar" Die in fünf Sachbereiche untergliederte Volksfürsorge-Gruppe rangiert an dritter Stelle aller Versicherungsgesellschaften, beschäftigt allein etwa 7 400 Mitarbeiter und erreichte in der Sparte Lebensversicherungen — hier als zweitgrößtes Unternehmen — immerhin einen Marktanteil von 7, 2 Prozent. Mit dem Bereich, der dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz unterliegt, ist die Neue Heimat das größte derartige Wohnungsunternehmen in der Bundesrepublik überhaupt. Einschließlich der NH-Städtebau ist die Marktposition des Konzerns bei einem Umsatz von ca. 3, 5 Milliarden DM und rund 3 000 Beschäftigten jedoch relativ unbedeutend. Für die co op AG liegt dagegen der Marktanteil im Einzelhandelsbereich mit einem Umsatz von 6, 7 Mrd. DM (1981) bei etwa 7 Prozent. Darüber hinaus trägt gerade co op mit 38 000 Beschäftigten zu einem verhältnismäßig imposanten Erscheinungsbild der gewerkschaftlichen Unternehmensgruppe insgesamt bei. Sie ist nämlich bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 64 000 einer der größten Arbeitgeber im gewerblichen Sektor Allerdings muß man sich vor Augen halten, daß einzelne Industrieunternehmen das doppelte oder gar dreifache Volumen erreichen.
Seit der Rückübertragung des Gewerkschaftsvermögens, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Einzelfäll bis in die sechziger Jahre andauerte, vollzog sich in und mit den großen Unternehmen ein Funktionswandel, der Erscheinungsbild und Entwicklung dieser Betriebe den privatwirtschaftlichen völlig anglich. Zwei in der Öffentlichkeit wenig beachtete Vorgänge der jüngeren Zeit mögen dies verdeutlichen. Die mit beträchtlichen Mitteln der Gewerkschaften unterstützte Sanierung und Reorganisation der Konsumgenossenschaften führte 1974 zur Gründung der privatrechtlich organisierten co op Zentrale AG Frankfurt. Mit diesem gewerkschaftlich kontrollierten Unternehmen gliederte man sich zwar in vorhandene Tendenzen ein, leistete aber selbst „einen nicht unerheblichen Beitrag zur Konzentration im Einzelhandel"
Vorläufig formaler Schlußpunkt dieses bewußt mitgetragenen Anpassungsprozesses war die im gleichen Jahr erfolgte Gründung der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft (BG AG), mit der sich faktisch ein einheitlicher Konzern gewerkschaftlicher Unternehmen konstituierte. Hier wurden die Besitzanteile des DGB und der Einzelgewerkschaften an den jeweiligen Unternehmen zusammengeführt. Nur die Neue Heimat blieb aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus bis auf Teile der NH-Städtebau ausgeschlossen. Außer den organisations-und vor allem steuertechnischen Vorteilen einer Holding-Gesellschaft sollte die BG AG eine verstärkte Koordinierung der einzelnen Geschäftspolitiken sowie größere Transparenz des Unternehmensbereiches erbringen.
Letzteres Argument aber berührt wohl das seit langem vorhandene Dilemma, das sich der Gewerkschaftsorganisation trotz vieler Warnungen erst in Form eines Skandals of-fenbarte. Durchschaubar waren der gesamte Konzern und einzelne Bereiche allenfalls für die Unternehmensexperten. Zwar ist das Postulat einer zurückhaltenden Informationspolitik innerhalb marktwirtschaftlicher Konkurrenzbedingungen zunächst durchaus einsichtig. Daß aber vergleichsweise hoch rangierenden Gewerkschaftsfunktionären gegenüber grundlegende Informationen mit dem Hinweis auf „recht delikate (steuerliche; Ch. H.) Zusammenhänge" verweigert werden, steht dagegen in der gleichen negativen Tradition wie die Tatsache, daß der letztjährige DGB-Bundeskongreß zum ersten Mal über die Gewerkschaftsunternehmen diskutierte. Die Häufung der Aufsichtsratsmandate — wider einschlägige Beschlüsse — rundet dabei das Bild nur noch ab. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Verfügungs-und Kontrollrecht einer demokratischen Massenorganisation und den Autonomie fordernden Anpassungszwängen bewußt privatwirtschaftlich organisierter Unternehmen wurde zugunsten faktischer Selbstbeaufsichtigung letzterer entschieden. Die betriebliche Aufgabenstellung definierten denn auch die Unternehmensvorstände relativ eigenständig. Der propagandistische Aufwand, mit dem der Nachweis der Gemeinwirtschaftlichkeit erbracht werden sollte, stand und steht in umgekehrtem Verhältnis zu dem Grad der Verbreitung konkreter Informationen innerhalb der gewerkschaftlichen Trägerorganisation.
Hinweise auf den Rechtfertigungscharakter der freigemeinwirtschaftlichen Unternehmenskonzeption ergeben sich schon bei recht oberflächlicher Überprüfung des theoretischen Anspruchs. Bis 1972, lange nach dem Entstehen der „pluralistischen Gemeinwirtschaftstheorie" Walter Hesselbachs, die neben der gesamtwirtschaftlichen Formenvielfalt den — nie vorhandenen — Typenreichtum gemeinwirtschaftlicher Unternehmen und besonders deren freiwillige „Gemeinwohlverpflichtung" betonte, existierten seitens des DGB und der Einzelgewerkschaften keine konkreten Aufgabendefinitionen. Die im gleichen Jahr vom DGB-Bundesvorstand gemeinsam mit den Unternehmensleitungen dekretierten Bestimmungen über die Ziele und Funktionen gewerkschaftlicher Wirt
Schaftstätigkeit übernahmen weitgehend die vorhandenen Darlegungen. Beispielsweise steht auch hier an erster Stelle des gemeinwirtschaftlichen Aufgabenkataloges die Förderung des Leistungswettbewerbes — weit vor gesellschaftspolitischen Funktionen bzw.der exemplarischen Verwirklichung zentraler gewerkschaftlicher Forderungen Eine 1979 erfolgte Überarbeitung blieb ebenso diesem Rahmen verhaftet, klärte allenfalls Illusionen über die Möglichkeiten unternehmerischer Privilegierung von Gewerkschaftsmitgliedern. Zusammengenommen sind das jedenfalls Indizien genug für die Behauptung, „daß pragmatisches Handeln und nicht die Theorie-Diskussion in den Vordergrund gerückt" war.
Das von Weisser beschriebene Verhältnis der Sinnbestimmung hatte sich offensichtlich in der Praxis gerade umgekehrt. Der „subjektiv gemeinte Sinn“ prägte den „institutionell festgelegten". Aufgrund des Expertentums der gemeinwirtschaftlichen Führungspersönlichkeiten und ihrer Allgegenwart auf gewerkschaftlicher Spitzenebene, etwa bei den Beratungen des Bundesvorstands, aber auch anderer Gremien, konnte dies weder verwundern, noch erregte es dauerhaft Anstoß. Bei allem Respekt vor den vielbeschworenen Führungsqualitäten der Unternehmensvorstände im einzelnen war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die großzügigen Freiräume zu anderen als gemeinwirtschaftlichen Zielsetzungen genutzt wurden. Der Angleichung an privatwirtschaftliche Unternehmen in Organisations-und Rechtsform entsprach auch die Einschätzung des Managements. Eine spezifische „Dienstgesinnung", zentrale Kategorie früherer Diskussionen und von Weisser noch vehement gefordert, scheint für eine moderne Betriebsführung obsolet. Ähnliche Behandlung erfährt die einstige Kardinalfrage von Gemeinwirtschaftlichkeit. War früher sozialpolitisch motivierter Gewinnverzicht das entscheidende Kriterium, ist es heute der „operative Einsatz der Gewinne mit gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung" Die Gewinnmaximierung genießt damit, wie die Finanzziele generell, absoluten Vorrang. Gemeinwirtschaftlichkeit reduziert sich auf die Art der Gewinnverwendung. Die prägnanteste Charakterisierung eines solchen Merkmals lieferte Diether H. Hoffmanri, seit jüngster Zeit Vorstandsvorsitzender der Neuen Heimat. „Wenn das (die Art der Gewinnverwendung; Chr. H.) ausreichen würde, dann wäre Krupp ein gemeinwirtschaftliches Unternehmen — wenn wir einmal von der Apanage für den Herrn von Bohlen absehen —, weil die Gewinne in die Stiftung hineinfließen und in sehr großem Umfang für wissenschaftliche und ähnliche Zwecke verwendet werden." Dies war nun keinesfalls als Beleg gedacht für die oft lancierte Behauptung, es seien gerade die privatwirtschaftlichen Unternehmen, die sich in ihren Verhaltensweisen den gemeinwirtschaftlichen, insbesondere den gewerkschaftlichen, annäherten
Schließlich mag man es der „Ironie der Geschichte" zuschreiben, daß es nicht der gewerkschaftlichen, sondern tatsächlich der „Kontrolle durch die öffentliche Meinung" überlassen war, Vorgänge wie die „Vermögensbildung in Vorstandshand" oder die Bilanzkosmetik zwischen den gemeinnützigen und anderen Teilen der Neuen Heimat zu beurteilen. Der Unmut weiter Kreise innerhalb der Gewerkschaften, die all dies sowie die Notwendigkeit umfassender finanzieller Stützungsmaßnahmen für di NH-Städtebau einer nicht immer objektiven Presseberichterstattung entnehmen mußten, läßt auf Klärung hoffen. Ansatzpunkte für eine weniger legitimatorisch befrachtete, gemeinwirtschaftliche Unternehmenskonzeption im Zusammenhang zentraler gewerkschaftlicher Programmforderungen sind durchaus vorhanden.
Im Zentrum einer abschließenden Betrachtung einzelner und unvollständiger Aspekte der — hypothetisch für alle drei (öffentliche, öffentlich gebundene und freigemeinwirtschaftliche) Unternehmensbereiche geltenden — Ziele und Funktionen stehen wiederum die freigemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Sie beanspruchen am stärksten die augenfällige Einlösung der Aufgaben gemeinwirtschaftlicher Einzelwirtschaftspolitik in der Praxis — allerdings am wenigsten in bezug auf die gesellschaftspolitischen Ziele, deren Priorität sowohl die Tradition der gewerkschaftlichen Betriebe als auch das programmatische Selbstverständnis der Trägerorganisation erwarten ließe.
Die angesprochenen Kataloge der in Raumordnungs-, Struktur-und Konjunkturpolitik zusammengefaßten Leistungs-und Regulierungsaufgaben gemeinwirtschaftlicher Instrumentarien richten sich primär an die öffentlichen Unternehmen. Ihr Wirkungsfeld läßt sich im einzelnen nur schwer differenzieren, zumal sie recht häufig mit zahlreichen anderen Formen der wirtschaftspolitischen Intervention auftreten. Ihre Leistungs-bzw. Versorgungsfunktion ist traditionell ausgewiesen. Der Durchsetzung politischer Optionen zu rein bedarfsdeckender Bereitstellung „kollektiver Güter" sind kaum andere Mittel gegeben. Dies rechtfertigt auch den Monopolcharakter der meisten, solchen Zwecken dienenden Unternehmen. Konjunkturpolitischen Verwendungsmöglichkeiten, sie zu pro-bzw. antizyklischer Investitionspolitik zu veranlassen, widersprechen außer dem Prinzip weitestgehender Eigenwirtschaftlichkeit auch eine Reihe rechtlicher Überlegungen. Faktisch erübrigte die vorhandene Mittelvielfalt diesbezügliche Instrumentierungsversuche der öffentlichen Unternehmen.
Ähnliches gilt für die Überlegung, sie als Korrektiv bzw. Initiator zur Wettbewerbsförderung einzusetzen. Hierbei wird zusätzlich die Erfahrung einer eher gegenläufigen Praxis entsprechender Ansätze geltend gemacht In diesem Wettbewerbsziel sehen allerdings die gewerkschaftlichen Unternehmenstheoretiker den Kern der Regulierungsfunktion der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen Als Ordnungsfaktor innerhalb verschiedener Marktsegmente agieren die freigemeinwirtschaftlichen Unternehmen vor allem auf atomistischen und oligopolistischen Märkten. Gemessen an historischen Erfahrungen kam diese Rolle einzelnen Betrieben wohl zu. Das Versicherungsunternehmen Volksfürsorge oder die verschiedenen Wohnungsbauunternehmen trugen sowohl zur Mißbrauchsbe-kämpfung als auch zur Abmilderung von Wettbewerbsverzerrungen eindrucksvoll bei. Heute jedoch scheint es kaum glaubhaft, daß die Unternehmen, zumal in stark konzentrierten ökonomischen Sektoren, auch nur Impulse zur Intensivierung des Wettbewerbs vermitteln können. Das interessanteste Beispiel jüngerer Zeit war das gewerkschaftliche Unternehmen Touristik (gut). Trotz angeblicher Förderung des Wettbewerbs gelang es nicht, in der Touristik-Branche Fuß zu fassen. Der Verkauf des verlustreichen Unternehmens an einen der Marktführer 1977 trug letztendlich wohl eher zur Verschlechterung der Wettbewerbssituation in diesem Bereich bei.
Das Auftreten auf oligopolistischen Märkten als „Hecht im Karpfenteich" erfordert gewichtige Marktanteile, die die gewerkschaftlichen Unternehmen nicht besitzen. Entsprechende Versuche und Aktivitäten konnten durchaus einzelne Erfolge verbuchen, der Sichtweise von solchen Unternehmen als wettbewerbspolitische Ordnungsfaktoren können detaillierte Untersuchungen nicht folgen, „denn die Verwirklichung eines solchen Konzepts ist kaum zu belegen" Die starke Expansion der Unternehmen in den siebziger Jahren rührte zwar zum Teil auch von Wettbewerbsvorteilen her, die sich aus dem Trägerstatus der Gewerkschaften ergeben, waren aber kaum Grundlage einer dezidierten Wettbewerbspolitik. An erster und oft auch an einziger Stelle stand der Primat der Eigenwirtschaftlichkeit und damit die unternehmens-bezogenen Finanzziele. So ergibt sich heute die Schlußfolgerung, „daß die Gewerkschaften •die Unternehmenskonzentration weder besonders vorangetrieben noch ihr, was ihre wirtschaftlichen Aktivitäten angeht, entgegengewirkt haben. Ihr Verhalten ist vielmehr mit dem privater Kapitalgeber vergleichbar, d. h., sie haben im großen und ganzen erfolgreich versucht, durch internes und externes Wachstum konkurrenzfähig zu bleiben"
Obwohl das Ziel eines „marktwirtschaftlichen Regulativs" die objektiven Möglichkeiten der Unternehmen sichtlich überfordert, blieben zugunsten seiner Propagierung andere Per-spektiven immer stärker ausgespart. Die für die Unternehmen auch von Hesselbach noch angedeuteten gesellschaftspolitischen bzw. Alternativfunktionen fielen z. T. jedoch einem Selbstbeschränkungsakt zum Opfer, der den existentiellen und selten angezweifelten Vorrang erwerbswirtschaftlicher Erfolgskriterien übersteigt. Neuauflagen einer Insel-oder Keimzellentheorie, die die Unternehmen zum Kern einer großangelegten Systemüberwindungsstrategie erklären werden zwar mit Berechtigung in das Reich der Utopie verwiesen. Die vorhandenen „alternativen" Leistungen nehmen sich jedoch recht dürftig aus. Sicherlich anerkennenswert sind gewisse Vorteile für die Kunden, etwa im Bereich des Kleinkreditgeschäfts der BfG, die hier als „Privileg" für Gewerkschaftsmitglieder verminderte Kontoführungsgebühren berechnet. Auch für die anderen Unternehmen findet sich punktuell Gleichartiges. Im Branchenvergleich schneiden sie gleichwohl nicht immer sehr gut ab.
Von besonderem Interesse ist jedoch die Situation der Beschäftigten in gewerkschaftlichen Betrieben. Die tariflich vereinbarten Löhne und Gehälter für BfG und Volksfürsorge beispielsweise liegen deutlich über denen privater Unternehmen, allerdings ohne Berücksichtigung der betrieblichen Vereinbarungen, die dort im einzelnen abgeschlossen wurden. Bezüglich der betrieblichen Altersversorgung ist der Trend eher negativ. Einzelne Übereinkünfte, die auch für die Neue Heimat gelten wie sechs Wochen Urlaub für alle, Urlaubsgeld, 14 Monatsgehälter, Eigentumsförderung über die normalen Vermögensbildungsformen hinaus, Bildungsurlaub, erweiterter Kündigungsschutz, die nahezu alle tarifvertraglich abgesichert sind, verdienen sicherlich Beachtung. Schließlich realisierten die gewerkschaftlichen Unternehmen in der Vergangenheit auch tatsächlich einzelne Neuerungen, die, von den Gewerkschaften heftig gefordert, allgemein noch keine Gültigkeit besaßen. So geschehen 1969 mit der Vierzig-Stunden-Woche, die zu dieser Zeit den Status gesetzlicher „Normalarbeitszeit" noch nicht hatte und erst allmählich zur Regel der Unternehmenspraxis wurde. Soziale Leistungen und Arbeitsbedingungen liegen also „mit Sicherheit einen Hauch" über den üblichen sie schöpfen die Möglichkeiten gemeinwirtschaftlicher Verhaltensweisen genuin gewerkschaftlicher Prägung aber nicht aus.
Markantes Beispiel ist die Behandlung der Mitbestimmungsfrage auf betrieblicher Ebene. Ab 1969 wurde in den großen Unternehmen, die in Besitz oder weitgehender Kontrolle der Gewerkschaften sind, die paritätische Mitbestimmung nach dem Montan-Modell eingeführt. Diese Maßnahme wurde explizit in den Zusammenhang der gewerkschaftlichen Forderung nach genereller Übernahme dieses Modells gestellt und sollte als gesellschaftspolitisches Beispiel dienen Bis 1978 wurde die Regelung zurückgenommen und dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 angepaßt, wenngleich letzteres genausowenig wie das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1978 eindeutige Obergrenzen für den Anteil der Arbeitnehmervertreter festlegte Angesichts der gewerkschaftsinternen Betroffenheit über diesen Rückschritt und der Umsetzungsschwierigkeiten innerhalb der einzelnen Unternehmen, wie sie etwa für co op beklagt wurden ist das ein schwer verständliches Vorgehen. Der Hinweis, daß die Einklagbarkeit der Gesetzesbestimmungen durch leitende Angestellte „so selbstverständlich die Rücknahme der alten Bestimmungen und die Einführung des neuen Gesetzes (erzwangen), daß die Möglichkeit, trotz des neuen Gesetzes die alten Regelungen aufrechtzuerhalten, nie ernsthaft diskutiert worden ist" birgt m. E. wenig Stichhaltiges — wenn man die gängige Rekrutierungspraxis des Unternehmensmänagements mit in Betracht zieht. Daß die Auf-rechterhaltung jedoch weder erwogen noch auf breiterer Ebene diskutiert wurde, zeigt recht deutlich das mangelnde Gespür für gesellschaftspolitisch motivierte Beweise von Gemeinwirtschaftlichkeit. Den oft geforderten Status einer Gegenmacht können gewerkschaftliche Unternehmen im Sinne ökonomischer Marktmacht nicht erreichen. Die Rückkoppelung der Unternehmenspolitik an Ziele der Trägerorganisation allerdings böte Möglichkeiten, aus der BG AG tatsächlich einen gemeinwirtschaftlichen Konzern zu formen, der ohne Existenzrisiken sozialpolitisches Vorbild abgibt.
Das Problem der Mitbestimmungsfrage ist das einzige, das sich konkreter Unternehmenspolitik bislang überhaupt stellte. Welche Perspektiven aber könnten sich den „Gewerkschaften in der Krise" eröffnen, wenn sie die Bewältigung zentraler wirtschaftspolitischer Aufgaben nicht nur halbherzig proklamierten, sondern in ihren Unternehmen zielstrebig aufnähmen und in ihre Gesamtaktivitäten einordneten? All die hehren Ziele des neuen Grundsatzprogramms des DGB bleiben nach wie vor mit dem Beigeschmack der Unverbindlichkeit behaftet, wenn sie nicht soweit wie möglich in dem eigenen Wirtschaftsbereich angestrebt werden. Daß sich damit letztendlich auch Teilantworten auf ein solches Phänomen wie die Massenarbeitslosigkeit ergeben, steht heute scheinbar noch außerhalb des Denkhorizontes einer höchst defensiven und dabei hilflosen Organisation. Humanisierung der Arbeit als traditioneller gewerkschaftlicher Aufgabenbereich erhält mit dem jetzigen Ausmaß der Arbeitslosigkeit eine ganz neue Qualität.
Die gesamte Bandbreite der mittlerweile vorhandenen Vorschläge zur Arbeitszeitverkürzung trifft auf vielfältige Widerstände, die wenig Hoffnung auf schnelle Realisierung erwecken. Besonders für die quantitativ wichtigste Maßnahme, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, finden sich nicht nur außerhalb der Gewerkschaften starke Vorbehalte. Selbst die IG Metall rechnet kaum mehr damit, den schon lange geforderten Einstieg in die Fünfunddreißig-Stunden-Woche in naher Zukunft zu erreichen. Welch gewichtigeres Argument aber könnte es geben, als den Verweis auf einzelne Unternehmen, die sich der differenzierten Strategien der Arbeitszeitverkürzung und -Flexibilisierung bedienten und ihre Umsetzbarkeit unter Beweis stellten? Die gewerkschaftlichen Unternehmen, deren Personalzuwachsrate bis Anfang der achziger Jahre weit über dem allgemeinen Niveau lag, können natürlich quantitativ keinen erheblichen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten. Wege können sie sehr wohl aufzeigen und zugleich mit all den Möglichkeiten zur Verkürzung der Lebens-, Jahres-bzw. Wochenarbeitszeit, zur Flexibilisierung (Teilzeitarbeit, job-sharing, usw.) und entsprechenden Modellen der Einkommens-regelung im Sinne solidarischer Lohnpolitik zentralen gewerkschaftlichen Anliegen ein Stück näher kommen.
Neben den Fragen der Mitbestimmung und der Arbeitszeitregelung bietet der Bereich Humanisierung der Arbeit eine Fülle von Aspekten, die ohne Vernachlässigung der Eigenwirtschaftlichkeit der Unternehmen relativ leicht zu realisieren wären. So wie im Bereich der beruflichen Bildung innerbetrieblich bereits ein Anfang gemacht wurde, ließe sich auch der Einstieg in fortschrittliche Modelle der Arbeitsplatzgestaltung finden, die letztlich auch einem Problem Rechnung trügen, das sich am auffälligsten, aber nicht nur dem gewerkschaftlichen Einzelhandelsunternehmen stellt: die berufliche Gleichstellung der Frau. Wenn man —vielleicht mit einer gewissen Naivität — weiter davon ausgeht, daß Gewerkschaften zugunsten gesellschaftspolitischer Zielsetzungen auch zu kalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken bereit sein sollten, erschließt sich auch das Blickfeld auf weitreichendere wirtschaftspolitische Alternativen. Als Form branchenspezifischer Strukturpolitik — auch in den gemeinwirtschaftlichen Aufgabenkatalogen deutlich enthalten — wäre ein direktes Engagement im Bereich industrieller Produktion durchaus denkbar, das sich nicht nur dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherung widmete. Angesichts der Situation in der deutschen Rüstungsindustrie geht es für die betroffene IG Metall heute kaum mehr um die Alternative Arbeitsplatzverlust oder Waffenproduktion. Vielmehr haben gerade innerhalb dieser Einzelgewerkschaft die Anstöße und Erfahrungen, die man in England mit dem Unternehmen Lukas Aerospace bei vergleichbarer Problematik mit der Umstellung auf die Fertigung ziviler Produkte machte nicht nur den früheren Zwiespalt beseitigt, sondern vor allem Hoffnungen geweckt. Die Mobilisierung des gewerkschaftlichen Unternehmenssektors für eine solche Aufgabe liegt jedoch von der Realität noch allzu weit entfernt. Seit der kurzen, im Sinne der Arbeitsplatzsicherung erfolgreichen Beteiligung der BfG an der Sanierung des Stinnes-Konzerns im Jahre 1963 wurden direkte wirtschaftliche Aktivitäten im Industriesektor gänzlich tabuisiert.
Um mehr als Beispiele zu setzen, kann es für die gemeinwirtschaftlichen, insbesondere die gewerkschaftlichen Unternehmen im Rahmen eines wirtschaftspolitischen Einsatzes nicht gehen. Die vorhandenen Spielräume wurden bisher kaum berührt, geschweige denn bis an ihre Grenzbereiche hin ausgenutzt. Abgesehen von unscheinbaren Tendenzen dienten sie als legitimatorisches Beiwerk. Nicht zuletzt diese Tatsache stand bislang dem „Einsatz gemeinwirtschaftlicher Unternehmen als Instrumente einer sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik" entgegen.
IV. Renaissance der Gemeinwirtschaft? Ein Ausblick
Theorie und Praxis von Gemeinwirtschaft befinden sich gegenwärtig am Rande der wirtschaftlichen Diskussion. Aktuelle Schlaglichter werden dies zunächst nicht ändern, sondern eher verfestigen. Der oftmals beklagte Grad der „Verbetriebswirtschaftlichung" unternehmensbezogener Gemeinwirtschaftstheorie sollte dabei weniger als Vorwurf denn als Zeichen dafür gewertet werden, wie sehr die Debatte der Wirtschaftsreform generell ins Abseits geraten ist.
Es mangelt nicht an Versuchen, Gemeinwirtschaftskonzeptionen als Ansatzpunkt der Überwindung des reformpolitischen Dilemmas neu zu beleben. Starker transformatorischer Impetus allein bietet noch keine Garantie für eine Gemeinwirtschaftstheorie, die Mängel und Grenzen einer pragmatisch gewachsenen Betriebskonzeption aufheben kann. Der Rückgriff auf die „historische Tragweite" von Gemeinwirtschaft läuft, bei aller Berechtigung, die gesellschaftspolitischen Komponenten herauszustellen, am ehesten Gefahr, den Realitätsbezug zu verlieren. Sehr deutlich spiegelt sich dies in folgendem Zitat wider: „Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind noch keine . sozialistischen Inseln'im Meer des Kapitalismus. Die Erfahrungen mit den bestehenden gemeinnützigen Unternehmen müssen intensiver ausgewertet werden — und zwar im Rahmen einer zu rekonstruierenden Politischen Ökonomie wirtschaftsdemokratischer Prägung." Die sich hier offenbarenden Illusionen müßten bei dem heutigen Stand der Diskussion eigentlich als ausgeräumt gelten.
Ähnlich desorientierend wirkt der Reiz mystifizierter historischer Vorbilder auch in anderen Zusammenhängen. Die Bemühungen innerhalb der Alternativbewegung zur Schaffung eigener ökonomischer Sektoren beschreiten oft genug mit dem Weg in den vermeintlichen „Postmaterialismus" die Pfade der Resignation. Die Begeisterung für das Konzept der Produktivgenossenschaft übersieht allzu leicht die meist darin angelegten Konstruktionsmängel; unzureichende Kapitalausstattung etwa oder die Abschottungs-und Umwandlungstendenzen im Erfolgsfall. Trotz durchaus vorhandener positiver Ansätze wird die „Alternative Ökonomie" ein Phantom bleiben solange sie die Voraussetzungen ihrer Nischen-Existenz und die faktisch gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten überschätzt. Die Ergebnisse der traditionellen Diskussion um gemeinwirtschaftliche Unternehmensformen könnte manche Erfahrungskosten sparen helfen, ohne daß man zwangsläufig in die hier gegebene Unterschätzung zurückfällt. In beiden Bereichen jedenfalls sind die wenigen praktischen und theoretischen Gemeinwirtschaftsbestrebungen zu finden. Voraussetzungen zur gesellschaftspolitischen Beispielsetzung bieten beide, wobei die Alternativprojekte viel eher das Risiko eingehen, zu ungeeigneten reformerischen Exerzierfeldern zu verkommen.
Es mag leicht der Eindruck des Utopischen entstehen, wenn man angesichts gängiger Praxis solche Exempelfunktion für den gemeinwirtschaftlichen, vor allem gewerkschaftlichen Unternehmenssektor versucht zu konkretisieren.
Daß sich die Gemeinwirtschaftstheorie, vor allem aber die Praxis auf Unternehmens-ebene, solchen Tendenzen öffnen wird, scheint momentan noch ausgeschlossen, kann langfristig aber nur um den Preis weiterer Verkümmerung verhindert werden.
Gemeinwirtschaftsstrategien größerer wirtschaftsreformpolitischer Reichweite zeichnen sich hierzulande nicht ab. Die spezifische Programmdiskussion der SPD wird allerdings vom schwedischen Beispiel nicht unbeeindruckt bleiben. Mit der sozialdemokratischen Regierungsübernahme im Oktober 1982 deuteten sich hier die ersten Realisierungsversuche eines umfangreichen Gemeinwirtschaftsplans an. Die partielle Abschöpfung von Unternehmensgewinnen und der Aufbau gewerkschaftlich kontrollierter Arbeitnehmer-Investivfonds geben Hinweise auf Struktur-reformvorhaben, deren Dimensionen den Rahmen der gegenwärtigen Gemeinwirtschaftsdiskussion in der Bundesrepublik bei weitem übersteigen.