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Nichtstaatliche Entwicklungsträger auf dem Vormarsch? | APuZ 23/1983 | bpb.de

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APuZ 23/1983 Deutsche Entwicklungspolitik vor der Wende? Verschuldungskrise der Dritten Welt? Der Internationale Währungsfonds — Krisenmanager für die Dritte Welt? Funktionsweise, Machtverhältnisse und entwicklungspolitische Konsequenzen der IWF-Stabilisierungspolitik Nichtstaatliche Entwicklungsträger auf dem Vormarsch?

Nichtstaatliche Entwicklungsträger auf dem Vormarsch?

Joachim von Stockhausen

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In jüngerer Zeit hat das Interesse an der Arbeit der nichtstaatlichen Entwicklungsträger in den Ländern der Dritten Welt deutlich zugenommen. Der Beitrag belaßt sich mit der Frage, ob das mit entwicklungsstrategischen, finanziellen und politischen Überlegungen begründete Interesse die These bestätigt, daß die Zeit für die privaten Hilfswerke arbeitet. Die Tätigkeit der nichtstaatlichen Entwicklungsträger zeichnet sich dadurch aus, daß sie durch die Auswahl von geeigneten Partnern die Zielbevölkerung unmittelbar anszusprechen und durch das Prinzip der subsidiären Förderung ihre Selbstverantwortung und Selbstentscheidung zu stärken versucht. Das Betätigungsfeld der nichtstaatlichen Träger wird durch den polit-ökonomischen „Freiraum" begrenzt, den ihnen die jeweiligen Regierungen zubilligen. Damit von den Kleinprojekten der nichtstaatlichen Entwicklungsträger die gewünschten sozio-ökonomischen Demonstrationseffekte ausgehen, bedürfen sie in nicht wenigen Fällen der zielgruppenbezogenen Unterstützung durch die staatliche Entwicklungshilfe. Gleiches gilt häufig auch mit umgekehrten Vorzeichen, d. h. daß die staatliche Entwicklungshilfe aus der Unterstützung durch die nichtstaatlichen Träger erfolgserhöhende Vorteile zieht. Doch staatliche Zuwendungen an die nichtstaatlichen Entwicklungsträger finden dort ihre Grenze, wo sie dazu beitragen, den von privaten Spenden ausgehenden Legitimationsdruck auf die nichtstaatlichen Träger zu vermindern.

In letzter Zeit mehren sich Stimmen, die die Stunde der nichtstaatlichen Entwicklungsträger als gekommen sehen. Ihre bislang eher etwas spöttische Etikettierung als „Graswurzelzwerge" wandelt sich zu einer respektvollen Anerkennung ihrer Basisarbeit in den Ländern der Dritten Welt. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) stellt die Zusammenarbeit mit den nichtstaatlichen Trägern als ein wichtiges Element der Entwicklungspolitik der Bundesregierung heraus Mit Stolz weist das Ministerium darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland mit einem Förderungsanteil für nichtstaatliche Träger am Entwicklungshaushalt von etwa 6 Prozent an der Spitze der Industrieländer liegt

Zu den nichtstaatlichen Entwicklungsträgern, deren Arbeit von der Bundesregierung unterstützt wird, gehören die Kirchen, die politischen Stiftungen sowie sonstige fachlich, personell und finanziell leistungsfähige Träger, die langjährige Erfahrungen in der Kooperation mit den Ländern der Dritten Welt besitzen Von 1980 bis 1981 hat die Bundesregierung ihren Beitrag für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger von rund 328 auf 368 Millionen DM erhöht; zugleich stiegen die eigenen Leistungen der nichtstaatlichen Träger von 764 auf 839 Millionen DM.

Aber nicht nur die Bundesregierung widmet den nichtstaatlichen Entwicklungsträgern eine erhöhte Aufmerksamkeit Nach eigenem Bekunden reichen inzwischen die finanziellen Angebote von der Kreditanstalt für Wiederaufbau über die EG bis zur Weltbank

Worauf ist dieses jüngst erwachte Interesse an den nichtstaatlichen Entwicklungsträgern zurückzuführen? Im wesentlichen handelt es sich um drei Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang genannt werden

— Die nichtstaatlichen Träger sollen bei der Umsetzung des Konzeptes der Befriedigung von Grundbedürfnissen über komparative Vorteile verfügen (entwicklungsstrategische Begründung);

— Großprojekte wie Flughäfen, Staudämme, Fabriken etc. hätten nicht nur die Unterentwicklung nicht beseitigt, ihr hoher Kapitalbedarf, gepaart mit hohen Folgekosten, würde darüber hinaus die knappen, zur Verfügung stehenden Entwicklungshilfemittel auf Jahrzehnte binden (finanzielle Begründung); — nichtstaatliche Entwicklungsträger könnten auch zugunsten von solchen besonders benachteiligten Bevölkerungsschichten tätig werden, die normalerweise für staatliche Entwicklungsinstitutionen nur schwer erreichbar sind (politische Begründung).

Kann mit diesen drei Begründungen die These bestätigt werden, daß die Zeit für die privaten Hilfswerke arbeitet, eine These, wie sie vor nicht allzulanger Zeit von einem Mitarbeiter des bischöflichen Hilfswerkes Miserior formuliert worden ist?

I. Entwicklungsstrategische Begründung

Im Gegensatz zur staatlichen Entwicklungshilfe werden die Maßnahmen der nichtstaatlichen Träger in der Regel nicht über die Regierungen der Entwicklungsländer geleitet Die nichtstaatlichen Träger bemühen sich vielmehr, Partner in den Entwicklungsländern zu finden, die frei und unabhängig vom Staat sind und die sich um die Verbesserung der Lebenslage der notleidenden Bevölkerungsgruppen bemühen. Die Palette der möglichen Partner ist breit So kann es sich um kirchliche Stellen, Gewerkschaften, Genossenschaftsverbände, Selbsthilfebewegungen der verschiedensten Art, private Stiftungen, private Schulträger etc. sowie in Ausnahmefällen um staatliche oder halbstaatliche Organisationen handeln. Diese partnerspezifische Ausrichtung versetzt die nichtstaatlichen Träger in die Lage, ihre Hilfe unmittelbar bei der Zielbevölkerung einzusetzen.

Die unmittelbare Ansprache der Zielbevölkerung stellt aber nur einen Baustein des Strategiekonzeptes dar. Der zweite, gleichbedeutsame Baustein ist das Prinzip der subsidiären Förderung Diesem Prinzip zufolge soll der einheimische Partner eines Entwicklungsprojektes dieses schon in der Startphase weitgehend selbst konzipieren, planen, rechtlich und organisatorisch verantworten sowie in personeller und finanzieller Hinsicht durchführen. Durch diesen Ansatz sollen selbstformulierte Bedürfnisse mit solchen Techniken, Methoden und Maßnahmen befriedigt werden, die den lokalen Bedingungen so weit wie möglich und sinnvoll angepaßt sind In völliger Übereinstimmung mit diesem Ansatz betrachtet das BMZ die Schaffung von Organisationen, die eine aktive Beteiligung der armen Bevölkerung am Entwicklungsprozeß ermöglichen, als ein wesentliches Element der Grundbedürfnisstrategie in den Entwicklungsländern, wobei der Aufbau von solchen Organisationen insbesondere als eine Aufgabe der nicht-staatlichen Entwicklungsträger angesehen wird

Ein solcher, von der Bevölkerung selbstbestimmter und von außen subsidiär geförderter Projektansatz birgt aber auch Gefahrenmomente in sich, die man als „Lattenzaun-Effekte" etikettieren könnte. In nahezu allen Entwicklungsländern ist eine deutliche Zunahme von staatlichen Aktivitäten und Interventionen festzustellen die in ihrer Ausrichtung häufig nur sehr bedingt mit den Bedürfnissen und Interessen der Zielgruppen von nicht-staatlichen Entwicklungsträgern im Einklang stehen. Um sich einerseits deren entwicklungsretardierenden Auswirkungen zu entziehen, andererseits mit ihrer Projektarbeit keinen politischen Staub aufzuwirbeln, versuchen die nichtstaatlichen Entwicklungsträger und ihre Partner in nicht wenigen Fällen, eigene, die Projektumwelt bewußt oder unbewußt negierende und abschottende Methoden, Mechanismen und Formen der Entwicklung zu realisieren, wobei sie in Kauf nehmen oder sogar darauf abstellen, die wirtschaftlich-politischen Gegebenheiten in den Entwicklungsländern im wesentlichen unangetastet zu lassen

Ein solcher sich vor der Umwelt verschließender Projektansatz der nichtstaatlichen Entwicklungsträger kann zu einer förderungswirtschaftlichen Abhängigkeit und ausgeprägten Empfängermentalität der heimischen Partner führen. Auf diese Gefahr weist auch der von der ORK-Abteilung für Weltmission in Auftrag gegebene „Newby-Report" hin, demzufolge das Projektsystem zu sehr aus isolierten Einzelaktionen und Programmausschnitten bestehe und sich oftmals nicht in ein sinnvolles Ganzes, etwa in einen regionalen Entwicklungsplan, einordnen lasse; die mit freiwilligen Spenden geleistete Projektarbeit für sich allein stelle noch keine ausreichende Antwort auf die Armut der Dritten Welt dar

Die nichtstaatlichen Entwicklungsträger sind sich der durch ihr Projektsystem gesetzten Grenzen bewußt und wissen, „daß viele Probleme in den Entwicklungsländern nur durch politische Maßnahmen in den Ländern selbst oder auf Weltebene gelöst werden können In der praktischen Projektarbeit kommt dem politisch tolerierten Bewegungsspielraum insbesondere dann eine Bedeutung zu, wenn mit zunehmender Projektgröße die Merklichkeitsschwelle der staatlichen Administration erreicht und überschritten wird, mit anderen Worten, wenn die Maßnahmen der nicht-staatlichen Träger an die Grenzen der ihnen zugebilligten entwicklungspolitischen „Freiräume" stoßen. Diesen Aspekt im Auge, weist das BMZ darauf hin, daß die Programmstruktur der kirchlichen Entwicklungshilfe in einem erheblichen Ausmaße davon bestimmt wird, „welcher . Freiraum'der entwicklungsbzw. gesellschaftspolitischen Betätigung dem jeweiligen Träger vom Staat zugebilligt wird" Für einen strukturwirksamen Projektansatz ist es unumgänglich, daß die polit-ökonomische Projektumwelt den projekt-bezogenen Entwicklungsüberlegungen und -bemühungen der nichtstaatlichen Träger aufgeschlossen oder zumindest nicht ablehnend gegenübersteht „Entwicklungshilfe von unten", wie sie in der partnerschaftlichen Kooperation der nichtstaatlichen Träger praktiziert oder zumindest angestrebt wird, bedarf nach Ansicht des BMZ der Unterstützung durch eine „Politik von oben“

Was besagt aber entwicklungsstrategisch eine solche unterstützende „Politik von oben“? Auch wenn sich die offiziellen Dokumente zu dieser Frage weitgehend ausschweigen, so kann dennoch kein Zweifel darüber bestehen, daß hier Maßnahmen politischer und institutioneller Art angesprochen werden, die die Möglichkeiten von nichtstaatlichen Entwicklungsträgern einschließlich ihrer Partner in den Entwicklungsländern übersteigen.

II. Finanzielle Begründung

Das finanzielle Argument hat zwei Komponenten. Die eine Komponente bezieht sich auf die Informationsarbeit in den Entwicklungshilfegeberländern. Den nichtstaatlichen Entwicklungsträgern wird vom BMZ besondere Anerkennung auf dem Gebiet der entwicklungspolitischen Bildungs-und Öffentlichkeitsarbeit gezollt: Anhand anschaulicher Beispiele vermitteln die nichtstaatlichen Träger Verständnis für die Probleme in den Entwicklungsländern sowie Einblicke in die sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Entwicklungsprozesses. Sie stärken die gesellschaftliche Verantwortung in der Bun-« desrepublik Deutschland für eine Verbesserung der Verhältnisse in den Entwicklungsländern Hinter dieser Wertung steht u. a. die Erwartung, daß die nichtstaatlichen Träger die Einstellung der Bevölkerung auch zur staatlichen Entwicklungshilfe positiv beeinflussen sowie die Bereitschaft zu ergänzenden Privatspenden mobilisieren

Die zweite, in diesem Zusammenhang besonders zu erörternde Komponente ist die zuweilen vertretene These, derzufolge für nicht-staatliche Entwicklungsträger die Erkenntnis spricht, daß Projekte mit bescheidener Mittel-ausstattung effizienter sind als solche mit hoher Mittelausstattung. Dabei ist es beliebt, sich auf Elmar Pieroth zu beziehen: Dieser vertritt die Auffassung, daß es in den Armuts-Zentren nicht auf Millionenprojekte, sondern auf Millionen von Projekten ankommt, da nur so kleine Wirtschaftskreisläufe mit vielen sicheren Arbeitsplätzen und eine den Menschen und ihrer Tradition gerechte Technologie entstehen könnten

Auch wenn die Sinnhaftigkeit von vielen Kleinprojekten in bestimmten Bereichen keineswegs geleugnet werden soll, so ist doch ein Gesichtspunkt nicht aus dem Auge zu verlieren: Um der erwähnten „Lattenzaun-Gefahr“ vorzubeugen, bedürfen Kleinprojekte eines merkbaren Demonstrationseffektes für die staatlichen Entscheidungsträger in den Entwicklungsländern, wenn von ihnen ein das einzelne Projekt übergreifender Anstoß zu Veränderungen ausgehen soll. Eine solche merkbare Signalwirkung erfordert u. a. bestimmte projektspezifische Vermaschungseffekte, die für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger um so leichter herzustellen sind, je zielgerichteter sie von der staatlichen Entwicklungshilfe unterstützt werden. Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus dem Kreditbereich:

Ein strukturwirksamer Projektansatz zur engeren Verknüpfung der Zielgruppe von nicht-staatlichen Entwicklungsträgern mit dem nationalen Bankensystem stellt der Aufbau von Kreditgarantiegemeinschaften durch die Ziel-bevölkerung mit Unterstützung der einheimischen Projektpartner dar Partnerspezifi-sehe Ausrichtung und subsidiäre Förderung kommen hier in erfolgsnotwendiger Weise besonders zum Tragen. Ein solcher Ansatz ist darauf ausgerichtet, das von vielen nationalen Banken beklagte Problem der unzureichenden Sicherheiten von Kleinkreditnehmern durch Eigenhilfe zu überwinden. Die nicht-staatlichen Entwicklungsträger wären aber überfordert, wenn sie auch das von den Banken herausgestellte zweite Problem der Mittelknappheit beheben wollten. Hier ist die finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsbanken im Rahmen der staatlichen Entwicklungshilfe gefordert

Nach den Orientierungslinien des BMZ vom Jahre 1980 für diese Form der Zusammenarbeit gilt ein Unternehmen als klein oder mittelgroß, „wenn es z. B. aufgrund seiner Mitarbeiterzahl, seines Jahresumsatzes oder seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche in den unteren zwei Dritteln einer entsprechenden landesweiten Gesamtstatistik liegt oder liegen würde“ Schon diese sehr weite Definition, aber auch die praktische Projektarbeit zeigen, daß die Auffassungen von nichtstaatlichen und staatlichen Entwicklungsträgern über die kleinunternehmerische Zielgruppe keineswegs deckungsgleich sind. Die Orientierungslinien bieten auch keine Handhabe dafür, dem häufig nur deklaratorischen Interesse von nationalen Banken an finanziellen Basisprojekten, wie etwa an der Zusammenarbeit mit Kreditgarantiegemeinschaften, Nachdruck für ein praktisches Engagement zu verleihen. Kreditwirtschaftliche Basisarbeit von nichtstaatlichen Entwicklungsträgern — ein gewichtiger Bereich ihrer Aktivitäten — und die staatliche finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsbanken wirken kaum komplementär. Um eine strukturwirksame kredit-wirtschaftliche Basisarbeit aber leisten zu können, sind die nichtstaatlichen Entwicklungsträger in nicht wenigen Fällen auf die staatliche Entwicklungsbankenfinanzierung angewiesen. Ist letztere nicht in der erforderlichen zielgruppenbezogenen Art gegeben, so wird die nichtstaatliche Entwicklungshilfe in den substitutiven „Lattenzaun-Ansatz" hineingezogen bzw. hineingezwungen.

Die in dem Beispiel angesprochene Unterstützung von nichtstaatlicher durch staatliche Entwicklungshilfe hat in anderen Bereichen eine umgekehrte Ausrichtung, indem die nichtstaatliche die staatliche Entwicklungshilfe erfolgserhöhend unterstützen kann. Ein Beispiel hierfür ist die Bewässerungslandwirtschaft. Trotz der hinlänglich bekannten Probleme von insbesondere großen Bewässe-/rungsvorhaben kommt wohl niemand auf die Idee, sie durch Millionen von Kleinprojekten ersetzen zu wollen. Worum es bei diesen Projekten geht, hat Lampe in dem folgenden Satz zusammengefaßt: „Solange der Einflußfaktor Mensch hinter den Abflußdaten in m 3/sec zur magischen Größe degradiert wird, ist kaum eine Änderung der Gesamtsituation zu erwarten.“ Die nichtstaatlichen Entwicklungsträger können auf zahlreiche Beispiele verweisen, wo sie durch ihre Interventionen schädlichen sozialen Auswirkungen vorgebeugt und entgegengewirkt haben

III. Politische Begründung

Das von der Bundesregierung vorgebrachte zentrale politische Argument für nichtstaatliche Entwicklungsträger lautet: „Ihre gemeinsamen Programme spjelen vielfach eine komplementäre Rolle zur staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Dies gilt beispielsweise in bezug auf Zielgruppen, die für staat-liehe Maßnahmen nicht erreichbar sind.“ Durch die Tätigkeit der nichtstaatlichen Entwicklungsträger sieht sich die Bundesregierung in die Lage versetzt, „in jenen Fällen entwicklungspolitische Maßnahmen zu unterstützen, in denen aus außenpolitischen Gründen eine unmittelbare Hilfe von Regierung zu Regierung nicht möglich oder bewußt nicht gewollt war" Nichtstaatliche Entwicklungshilfe um außenpolitischer Überlegungen willen?

* Daß es sich bei einer solchen Überlegung leicht um eine Sackgasse handeln kann, macht das BMZ selbst deutlich, wenn es auf die politische Unterstützung der nichtstaatlichen Träger durch das Auswärtige Amt und durch die deutschen Auslandsvertretungen zu sprechen kommt: „Einerseits gilt es, die auswärtigen Beziehungen zu möglichst zahlreichen Staaten aufrechtzuerhalten bzw.freundschaftlich zu gestalten; auf der anderen Seite steht das Bemühen, eine von der Bundesregierung als richtig und notwendig erkannte sozial-orientierte Entwicklungspolitik zu unterstützen.

Wenn es bislang nach Ansicht des BMZ auch in schwierigen Fällen durchweg gelungen sei, tragbare Kompromisse zur Lösung dieses Dilemmas zu erarbeiten, so muß doch die Frage gestellt werden, wie es um das Kompromißpotential für den Fall bestellt sein würde, daß die Bundesregierung eine merkbare Mittel-umschichtung von den staatlichen auf die nichtstaatlichen Entwicklungsträger vornehmen würde. Eine solche Mittelumschichtung, gepaart mit einer allerhöchsten zu erwartenden Konstanz der entwicklungs-und gesellschaftspolitischen Betätigungs-„Freiräume“ für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger, beschwört die Gefahr herauf, daß die nicht-staatlichen Träger ihre „außenpolitische Unschuld" verlieren. In dem Umfange, wie sie diese einbüßen, nehmen nahezu zwangsläufig auch diejenigen Merkmale ihrer Entwicklungsarbeit ab, die im Augenblick als „Qualitätszeichen deutscher Entwicklungshilfe“ hervorgehoben werden.

Ein Ausweg aus dieser scheinbaren Sackgasse besteht darin, daß die Bundesregierung die außen-und entwicklungspolitische Dimension ihrer Entwicklungshilfe nicht als ein Dilemma, d. h. als konkurrierende, sondern als komplementäre Interessen begreift Eine Entwicklungshilfe, die beherrschend durch das außenpolitische Motiv geprägt ist, politische Freunde zu gewinnen, trägt bei reformunwilligen Regierungen kaum dazu bei, die Spannungen zwischen den Herrschenden und der Masse der politisch Machtlosen in den Entwicklungsländern abzubauen. Sie birgt die Gefahr in sich, daß die politische Minorität versuchen wird, die Unzufriedenheit der Volksmassen nach außen hin abzulenken Sehr dezidiert hat sich Pieroth zu diesem Aspekt geäußert, wenn er die offizielle Entwicklungshilfe als zu einseitig auf den Staat als Partner ausgerichtet kritisiert; es werde nicht geprüft, ob sie die Bevölkerung erreicht oder nur eine dünne Schicht der regierenden Elite und ihre Klientel Was das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anbetrifft, so gelte für ihn noch immer, was schon seit 1975 in der entwicklungspolitischen Konzeption steht, daß nämlich jede Form der Entwicklungshilfe — gewollt oder ungewollt — eine Einwirkung auf die inneren Verhältnisse des jeweiligen Entwicklungslandes darstelle. Die Umsetzung der politischen Forderung nach Eigenanstrengungen und Sozialreformen als erfolgsnotwendige Voraussetzung einer armutsorientierten Entwicklungspolitik stellt stärker denn je die politische „Gretchenfrage“ sowohl für die nichtstaatlichen als auch für die staatlichen Entwicklungsträger dar

IV. Staatliche und private Träger sind aufeinander angewiesen

Wie steht es nun um die eingangs genannte These, daß die Zeit für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger arbeitet? Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die nicht-staatliche Entwicklungshilfe eine Fülle von richtungsweisenden Projektansätzen durchgeführt hat. Der Umstand, daß diese Ansätze heute mehr denn je als richtig und notwendig anerkannt werden, zeugt dafür, daß die Zeit für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger gearbeitet hat. Sollte und kann aber aus die-sen unbestrittenen Leistungen die Überlegung abgeleitet werden, daß den nichtstaatlichen Entwicklungsträgern im Vergleich zu den staatlichen ein erhöhtes Gewicht zugemessen werden sollte?

Nichtstaatliche und staatliche Entwicklungshilfe sind nur in einem äußerst begrenzten Bereich als substitutive Ansätze anzusehen. Der zur Bekämpfung der Armut in den Ländern der Dritten Welt erforderliche Zangen-ansatz „von unten“ und „von oben" macht ihr komplementäres Verhältnis deutlich. Die nichtstaatliche Entwicklungshilfe büßt an Breitenwirksamkeit ein, wenn sie von der staatlichen nicht ergänzt und unterstützt wird. Gleiches gilt auch umgekehrt.

Aus ihrem im wünschenswertesten Falle symbiotischen Verhältnis kann wohl die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Zeit in dem Umfange für die nichtstaatlichen Entwicklungsträger arbeitet, wie die entwicklungspolitischen und -strategischen Ansätze der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungshilfe stärker aufeinander abgestimmt und einem gemeinsamen entwicklungspolitischen Anliegen angenähert werden. Diesem Gesichtspunkt Rechnung tragend ist das BMZ bemüht, einmal den Dialog mit den nicht-staatlichen Entwicklungsträgern mehr und mehr auf die Ausarbeitung von gemeinsamen inhalt-fachlichen Grundlagen für eine weitere Qualifizierung ihrer Programme auszurichten, zum anderen bei Kleinprojekten ein vereinfachtes Antrags-und Verwendungsnachweisverfahren anzuwenden

Die Zeit würde gegen die nichtstaatlichen Entwicklungsträger arbeiten, wenn sich die staatliche Aufmerksamkeit lediglich auf eine Erhöhung des Förderungsanteiles konzentrieren würde. Denn in einer solchen Situation ist nicht auszuschließen, daß sich die nichtstaatlichen Entwicklungsträger nicht nur auf die Bedingungen ihrer Kapitalgeber einlassen müssen sondern daß sie auch in den Entwicklungsländern auf engere Grenzen ihrer gewohnten Projektansätze stoßen werden Die Stärkung der Originalität und Wirksamkeit der nichtstaatlichen Träger sowie eine gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit mit dem Staat werden wesentlich durch die Möglichkeit bestimmt, die finanzielle und organisatorische Eigenständigkeit der freien Träger nicht nur zu erhalten, sondern merklich auszubauen Staatliche Zuwendungen finden dort ihre Grenze, wo sie dazu beitragen, den von privaten Spenden ausgehenden Legitimationsdruck auf die nichtstaatlichen Entwicklungsträger zu verringern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. BMZ, Journalisten-Handbüch Entwicklungspolitik 1982. Bonn 1982, S. 169.

  2. BMZ, a. a. O. (Anm. 1), S. 169.

  3. Vgl. BMZ, Entwicklungszusammenarbeit zwischen Staat und privaten Organisationen. Entwicklungspolitik-Materialien Nr. 63, Bonn 1979; BMZ, Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen autonomen nicht-staatlichen Organisationen und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Bericht 1982, in: BMZ-aktuell, Mai 1982.

  4. Vgl. I. Krugmann-Randolf, Die Stunde der NROs. Von Füchsen und Hasen, in: Entwicklung und Zusammenarbeit Jg-23 (1982), Nr. 7, S. 4.

  5. BMZ, Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den christlichen Kirchen. Entwicklungspolitik-Materialien Nr. 62, Bonn 1979, S. 6; I. Krugmann-Randolf, a. a. O. (Anm. 4), S. 4; M. Martinek, Die Verwaltung der deutschen Entwicklungshilfe und ihr Integrationsdefizit, Bad Honnef 1981, S. 179 ff.

  6. H. P. Gohla, Die Stunde der Graswurzelzwerge, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 8. 1982.

  7. BMZ, Entwicklungszusammenarbeit..., a. a. O. (Anm. 5), S. 11.

  8. Der Gesichtspunkt der vollen Selbstverantwortung und Selbstentscheidung der einheimischen Partner wird insbesondere von Greinacher herausgestellt: „Entschieden abzulehnen ist jeglicher direkter oder indirekter Versuch der Kirchen in der Bundesrepublik, im Rahmen der kirchlichen Werke oder auch unabhängig davon auf die dortigen Kirchen in neokolonialistischer Weise Einfluß zu nehmen oder gar finanzielle Hilfe von solchen Einflußmöglichkeiten abhängig zu machen." Vgl. N. Greinacher, Die Kirche der Armen. Zur Theologie der Befreiung, München 1980, S. 143.

  9. BMZ, Grundbedürfniskonzept, in: BMZ-aktuell vom 8. 11. 1978, S. 7.

  10. Vgl. H. Elsenhans, Abhängiger Kapitalismus oder bürokratische Entwicklungsgesellschaft. Versuch über den Staat in der Dritten Welt, Frankfurt-New York 1981.

  11. H. Klippert, Politisch-ökonomische Grundlagen und Perspektiven kirchlicher Entwicklungspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34/82, S. 26.

  12. H. Klippert, a. a. O. (Anm. 11), S. 26.

  13. U. Koch, Die Rolle nichtstaatlicher Organisationen der Entwicklungshilfe, in: BMZ, Welternährung. Entwicklungspolitik-Materialien Nr. 69, Bonn 1981, S. 122.

  14. BMZ, Entwicklungszusammenarbeit, a. a. O. (Anm. 5), S. 12.

  15. Ebd., S. 12.

  16. BMZ, Journalisten-Handbuch.... a. a. O. (Anm. 1), S. 170.

  17. Der letztgenannte Gesichtspunkt wurde jüngst in einem Interview von Entwicklungshilfeminister Dr. Warnke besonders herausgestellt: Zahlen wir zuviel Entwicklungshilfe?, in: Bild vom 2. 12. 1982.

  18. Statt Millionenprojekte Millionen von Projekten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. 2. 1981.

  19. J. von Stockhausen, Bürgschaftsfonds und Kapitalversorgung im Selbsthilfebereich, in: entwicklung und ländlicher raum, Jg. 13 (1979), H. 3, S. 3— 5.

  20. Vgl. J. von Stockhausen, Entwicklungsbanken als Träger der Kleinbetriebsförderung in Entwicklungsländern, in: Ifo-Forschungsberichte der Afrika-Studienstelle Nr. 57, München 1977.

  21. BMZ, Orientierungslinien für die bilaterale Zusammenarbeit mit Entwicklungsbanken, Bonn 1980, S. 3.

  22. K. J. Lampe, Glanz und Elend der Bewässerungslandwirtschaft, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 23 (1982), Nr. 8/9, S. 27.

  23. Und es bewegt sich doch, in: Wirtschaftswoche vom 10. 7. 1981.

  24. Vierter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode, Drucksache 8/3582, Bonn 1980, S. 35.

  25. BMZ, Entwicklungszusammenarbeit ..., a. a. O. (Anm. 5), S. 6.

  26. Ebd., S. 12.

  27. Hilfe zur Selbsthilfe das Ziel. Der Beitrag nicht-staatlicher Organisationen zur Entwicklungshilfe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 6. 1982.

  28. Vgl. hierzu J. von Stockhausen, Wie glaubwürdig ist ungebundene Entwicklungshilfe?, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 23 (1982), Nr. 12, S. 11— 13. . . ,

  29. Vgl. W. Küng, Wege und Irrwege in die Zukunft. Möglichkeiten und Grenzen der politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsfreiheit, Stuttgart 1979, S. 26 ff.

  30. E. Pieroth, Jeder Arme ist unser Freund. Entwicklungshilfe als Investition in eine bessere Zukunft, in: Die Zeit vom 3. 4. 1981. In vergleichbarer Form hat Tuengerthal das gegenwärtige Verfahren der staatlichen Entwicklungshilfe mit dem Hinweis kritisiert, daß es die Unternehmen weitgehend unberücksichtigt läßt und einer direkten Zusammenarbeit von privaten Unternehmen in den Entwicklungsländern und in der Bundesrepublik vielfach diametral gegenübersteht; vgl. H. Tuengerthal, Entwicklungshilfe muß die Unternehmen einbeziehen. Privatwirtschaftliche Hilfe kann sehr sinnvoll sein, in: Blick durch die Wirtschaft vom 26. 11. 1982.

  31. J. von Stockhausen, Entwicklungshilfe im Zeichen von Geldknappheit und Pessimismus, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 23 (1982), Nr. 4,

  32. BMZ, Die entwicklungspolitische... a. a. O. (Anm. 5), S. 8; 14-Punkte-Programm als Schlüssel für die Entwicklungspolitik der 80er Jahre, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg. 23 (1982), Nr. 6,

  33. Vgl. I. Krugmann-Randolf, a. a. O. (Anm. 4), S. 4; D. K. von Bismarck, Ansprache zur Veranstaltung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die Dritte Welt geht alle an. 20 Jahre gemeinsame Entwicklungsarbeit von Staat und Gesellschaft für eine gerechte Welt, Bonn 1982, S. 5 (unveröffentlicht). Wohl nicht ganz ohne Grund hat sich jüngst der Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Hilfswerkes Miserior, Herkenrath, in einer öffentlichen Erklärung dagegen ausgesprochen, daß angesichts zusätzlicher staatlicher Gelder für die Entwicklungsarbeit die kirchliche Unabhängigkeit gefährdet würde. In der Entwicklungsarbeit sind die Kirchen unabhängig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. 12. 1982.

  34. Diese Gefahr hatte wohl der frühere Entwicklungshilfeminister Offergeld u. a. im Auge, als er die Frage aufwarf, ob die so oft gelobte „Graswurzel-Arbeit“ nach wie vor gegeben sei oder ob die nichtstaatlichen Träger nicht schon manchmal mit den Etablierten in den Entwicklungsländern zusammenarbeiten. Vgl. Begrüßungsansprache von Bundesminister R. Offergeld bei der Veranstaltung „ 20 Jahre gemeinsame Entwicklungsarbeit von Staat und gesellschaftlichen Gruppen", Bonn 1982 (unveröffentlicht).

  35. Th. Hanf, Freigesellschaftliche Träger und Staat in kooperativer Entwicklungshilfe. Ansprache zur Veranstaltung.. „ a. a. O. (Anm. 34), S. 8.

Weitere Inhalte

Joachim von Stockhausen, Dr. sc. agr., geb. 1939; Privatdozent für Agrarökonomie an der Universität Göttingen und freier Gutachter im Bereich der bilateralen Entwicklungshilfe. Veröffentlichungen u. a.: Entwicklungsbanken als Träger der Kleinbetriebsförderung in Entwicklungsländern, München 1977; Staatliche Agrarkreditpolitik und ländliche Finanzmärkte in den Ländern der Dritten Welt, Habil. Schrift, Göttingen 1982.