In der Anbindung der Dritten Welt an die Satellitentechnologie, die als außerirdisches Netzwerk zum treibenden Moment für die Installierung computerisierten Informationsaustausches wird, lassen sich fünf Tendenzen analysieren: 1. die ökonomische und politische Außensteuerung der Dritten Welt erhöht sich um ein Vielfaches, 2. die Abhängigkeit vom Kapital erhöht sich, 3. das Grundbedürfnis nach dialogischer Kommunikation wird vernachlässigt, 4. die strukturelle Heterogenität innerhalb der Dritten Welt wird gefördert und 5. die Dritte Welt wird ihrer kulturellen Identität beraubt. Der Einsatz von Satelliten-technologie in der Dritten Welt erweist sich somit als exemplarisches Mittel, die gegenwärtige strukturelle Abhängigkeit zu intensivieren. Diese intensivierte abhängige Anbindung der Dritten Welt an den Weltmarkt erfährt eine pointierte Unterstützung durch die neue Reagan-Administration. Dennoch sind Widersprüche und Bruchstellen sichtbar, die diese Anbindung qua Satellitentechnologie zukünftig erschüttern könnten: 1. die Politik der Blockfreien Bewegung, 2. die Strategie der Multilateralisierung seitens der Dritten Welt in internationalen Organisationen, 3. die Herrschaftskonflikte zwischen transnationalen Unternehmen und staatlichen Akteuren, 4. die euro-amerikanische Konkurrenz, 5. die Fragilität der internationalen Kreditwirtschaft, 6. die Marginalisierung großer Teile der Dritten Welt und 7. die möglicherweise langfristig eintretende Steuerungsunfähigkeit von Großrechneranlagen.
I. Entwicklungsstrategien
Modernisierungstheorien Die entwicklungstheoretische Diskussion der letzten dreißig Jahre und mehr noch ihre praktische politische Umsetzung stützten sich im wesentlichen auf modernisierungstheoretische Überlegungen. Allen — an Max Weber anknüpfenden — Modernisierungstheorien ist ein dualistisches Weltbild gemeinsam, das sich in Begriffspaaren wie Tradition — Fortschritt, Unterentwicklung — Entwicklung oder Primitivität — Modernität spiegelt. Die in den Modernisierungstheorien verwendeten Dualismen beziehen sich nicht auf einzelne und ausgewählte Sektoren der gesellschaftlichen Realität, vielmehr sind sie fester Bestandteil eines makro-soziologischen Ansatzes. Im Rahmen der Nord-Süd-Debatten gehen die modernisierungstheoretischen Ansätze von einem unverbundenen Nebeneinander der beiden dualgesellschaftlichen Sektoren aus. Der Wandel vom „traditionalen" zum „modernen“ Sektor soll durch Diffusion (= Durchdringen) vor sich gehen. Der Diffusionsbegriff selbst orientiert sich zumeist an industriellem Wachstum und an der Erhöhung des Bruttosozialprodukts; implizit oder explizit wird dieses Konzept im Vergleich zu den Industrialisierungsprozessen in Europa und in den USA des 19. Jahrhunderts gesehen. Diffusion steht also für eine Vorstellung von sozialem Wandel, die davon ausgeht, daß die sogenannten Durchsickerungseffekte der Industrialisierung positive Rückwirkungen auf den „traditionalen“ Sektor und die gesamte Infrastruktur eines Staates haben. Es wird davon ausgegangen, daß sie die gesamte Gesellschaft — sowohl im innen-als auch im außen-politischen Kontext — ökonomisch, politisch, sozial und kulturell stabilisieren.
Gegen diesen (hier nur grobrastig wiedergegebenen) Modernisierungsansatz müssen die folgenden Kritikpunkte vorgetragen werden, wobei zu betonen ist, daß dieser Ansatz auf einer linear gedachten Stufenabfolge „Theoriebildung — politische Planung — politische Praxis — individuelle Psyche des Entwicklungshelfers“ zunehmende Bedeutung hat; die
Kritik an der Modernisierungstheorie läuft insofern höchstens auf theoretischer Basis „offene Türen“ ein, nicht jedoch auf der der politischen und individuellen Praxis der Entwicklungspolitik. a) Wie eine große Anzahl von komparatistischen Studien aus den Disziplinen der Kultur-anthropologie, der Ethnologie, der Literatur-wissenschaft und der Soziologie eindeutig nachweisen konnte, sind die Modernisierungstheorien ihrem Kern nach eurozentrisch. b) Aus ideologiekritischer Perspektive ist der normative Aspekt der Modernisierungstheorien ebenfalls eurozentrisch zu nennen. In der impliziten oder expliziten positiven Bewertung des eigenen, bekannten Denkens erfährt das andere und unbekannte Denken die dazu gehörige negative Charakterisierung. Objektiv erfüllen Modernisierungstheorien Rechtfertigungsfunktionen im Interesse ihrer politischen, ökonomischen und kulturellen Apologeten in den Industrieländern.
c) Für den Entwicklungsprozeß in den Ländern der Dritten Welt gehen die modernisierungstheoretischen Ansätze von einem Durchsickerungseffekt vom „modernen" zum „traditionalen" Sektor aus, vernachlässigen dabei jedoch eine Analyse des Zeitfaktors. Angesichts des gegenwärtigen anwachsenden materiellen Elends (Nahrung, Gesundheit, Wohnung, Arbeitsplatz, Kleidung) bei einem Großteil der Bevölkerung in der Dritten Welt stellt sich die moralisch-politische Frage, wie lange man noch auf diesen angeblichen Durchsickerungseffekt warten kann, ohne (auf moralischer Ebene) zynisch zu handeln und ohne (auf politischer Ebene) gewaltsames strukturelles Konfliktpotential zu unterstützen. d) Wie die meisten sozialwissenschaftlichen Integrationsmodelle (Akkulturationstheorien, Assimilierungskonzepte, „melting-pot" -Theorien), so verschleiern auch die Modernisierungstheorien das eigentliche politische Element sozialen Wandels, also unterschiedliche politische Macht-und Interessenskonflikte, in ihren Überlegungen. Tendenziell neigen moB dernisierungstheoretische Ansätze zu einer apolitischen Harmonisierung von Interessen-gegensätzen, entwerfen Partnerschaftsmodelle, ohne die strukturellen Fragen der Asymmetrie der am Konflikt beteiligten politischen Partner ernsthaft in Erwägung gezogen zu haben. e) Auch bei Analysen von sozialem Wandel in den Industrieländern selbst muß die Plausibilität von modernisierungstheoretischen Erklärungen in Frage gestellt werden. In den Industriegesellschaften mehren sich inzwischen die theoretisch und empirisch fundierten Zweifel daran, ob die der Modernisierung zugeschriebenen sogenannten negativen Nebeneffekte lediglich als (vermeidbare) Folgen und nicht vielmehr als deren unaufhebbarer und integraler Bestandteil angesehen werden müssen.
Die hier vorgetragenen Kritikpunkte an den modernisierungstheoretischen Ansätzen sind nicht nur theoretischer Natur, sondern ganz besonders auch das Ergebnis einer Reihe von empirischen Studien. Auf einen vereinfachten Nenner gebracht, kann man sagen, daß die empirische Entwicklung der Länder in der Dritten Welt meßbar anders gelaufen ist, als es die Modernisierungstheorie vorhergesagt hat. Zwar hat die Dynamik der „Modernisierung" mit allen ihren ideologischen Begleiterscheinungen stattgefunden; materiell hat davon jedoch nur eine kleine Schicht in den städtischen Zentren der Dritten Welt profitiert. Vergegenwärtigt man sich die typischen ökonomischen Muster der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, so ist eine solche Entwicklung nicht weiter verwunderlich: Die forcierte, auf die Erhöhung des Bruttosozialproduktes ausgerichtete Industrialisierung in der Dritten Welt führt zu einer Verschuldung bei den Industrieländern und diese wiederum verstärkt den Exportzwang von traditionellen Rohstoffen. Der Industrie-und Außenhandelssektor der Dritten Welt wird dadurch extern abhängig von Kapital, Technologie und den durch die Industrieländer bestimmten „terms of trade". Die Einpassung in den von außen diktierten Weltmarkt bewirkt im Innern eines Landes der Dritten Welt wirtschaftliche und politische Konzentrationstendenzen; sie benachteiligt in ansteigendem Maße den Großteil der nicht in den Zentren lebenden Menschen. Mit anderen Worten: Es kann als empirisch gesichert gelten, daß die am Konzept von Modernisierungstheorien ausgerichtete praktische Politik nicht nur die propagierten positiven Durchsickerungsprozesse verhindert, sondern vielmehr sogar zu der jährlich ansteigenden materiellen Verelendung des Großteils der Bevölkerung in der Dritten Welt ursächlich beiträgt. Schärfer formuliert: Das Auseinanderklaffen zwischen der angestrebten Modernisierungswirkung und dem tatsächlichen Verelendungseffekt ist keinesfalls zufällig, sondern tendenziell bereits in der von den Metropolen erarbeiteten „Theorie" enthalten. Die Modernisierungstheorie metropoler Prägung paßt zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung wie das Missionarswesen zur Kolonialzeit.
Dependenztheorien Die theoretischen, formalen und empirischen Mängel der Modernisierungstheorien wurden inzwischen durch verschiedene Ansätze der lateinamerikanischen Dependenztheoretiker aufgehoben. Die Dependenztheorien stellen das Problem der „Unterentwicklung" in einen internationalen Zusammenhang und versuchen, die Situation eines Landes durch Untersuchung der exogenen Faktoren zu erklären, die auf das jeweilige nationale System einwirken. Die ökonomische, politische, soziale und kulturelle Dependenz eines Landes ist als Folge asymmetrischer Interdependenzen zwischen mehreren nationalen und gesellschaftlichen Einheiten zu definieren. Mit Dieter Senghaas kann „Unterentwicklung" wie folgt definiert werden: „Unterentwicklung ist das historische Produkt einer ungleichen internationalen Arbeitsteilung, die zur Herausbildung deformierter Gesellschaftsstrukturen in Lateinamerika, Afrika und Asien führte. Die Folge dieser Deformationen ist die Verhinderung einer ausgeglichenen allseitigen Entwicklung der Produktivkräfte; sie drückt sich in strukturell defekten Wirtschaftskreisläufen aus. In der Regel besteht dieser strukturelle Defekt, auf einen einfachen Nenner gebracht, in der Nicht-Existenz einer ortsansässigen Grundstoff-, Investitions-und Produktionsgüterindustrie, welche sich mit einer Konsumgüterindustrie für die Produktion billiger und einfacher Waren für den Massenkonsum (und nicht für den gehobenen Konsum) kombinieren würde, wobei die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität eine Schlüsselfunktion in der Vermittlung einer auf die Landwirtschaft bezogenen Produktionsgüterindustrie und einer am Massenkonsum orientierten Konsumgüterindustrie zukäme." In einem solchen analytischen Rahmen ist es nicht länger zulässig, von „Ländern der Dritten Welt", von „Industrieländern" oder von „Nord-Süd-Konflikt" zu sprechen da sich die ökonomischen Dependenzen nicht ausschließlich länder-oder regionalspezifisch festmachen lassen, sich vielmehr am Grade und an der Intensität der Verfügungsgewalt über Kapital und Technologie orientieren. Das analytische Begriffspaar „Metropole-Peripherie" trägt dieser Betrachtungsweise insofern Rechnung, als Metropole die Verfügungsgewalt über Kapital und Technologie meint und Peripherie deren Nichtverfügung. Dieses Schema ist im Gegensatz zu modernisierungstheoretischen Ansätzen nicht dualistisch aufgebaut, da es außerdem die Peripherie in der Metropole kennt (Gastarbeiter, alte Menschen, soziale und ethnische Minderheiten), die Peripherie in der Peripherie (Landbevölkerung in der Dritten Welt, die Kaste der Unberührbaren in Indien, die indianische Urbevölkerung in Brasilien), die Metropole in der Peripherie (städtische Bevölkerung, Militär, Bürokratie) und die Metropolen in den Metropolen (Oligarchien und Kartelle der transnationalen Konzerne). Dualistisch ist die Dependenztheorie aber vor allem deswegen nicht, weil sie ja ein kausales Bedingungsgefüge im Verhältnis von Metropole zu Peripherie sieht.
Die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen Metropole und Peripherie sind folgendermaßen strukturiert: — Symmetrische und gleichberechtigte Beziehungen der Metropolen untereinander;
— Abwesenheit von oder Mangel an Beziehungen der Peripherien untereinander;
— asymmetrische und ungleiche Aktionen von den Metropolen in die Peripherien;
— Abwesenheit von oder Mangel an Aktionen von den Peripherien in die Metropolen. In der zitierten Definition von „Unterentwicklung" klingen bereits zwei wesentliche Ele-mente zur Überwindung der Dependenzstrukturen im Interesse der Peripherien an: „Strukturell defekte Wirtschaftskreisläufe" und „Massenkonsum“. Wie Dieter Senghaas weiter ausführt, muß es darum gehen, die verschiedenen Wirtschaftssektoren in den Peripherie-ländern so einander neu zuzuordnen, daß ihre Kombination einen relativ national-eigenständigen und vollständigen Wirtschaftskreislauf ergibt, der nicht mehr lediglich als Appendix externer Exportmuster fungiert.
Bei Dieter Senghaas ein wenig ausgeblendet, erhält dieses Modell einer autozentrierten Entwicklung in einer Arbeit von Roy Preis-werk wichtige Ergänzungen aus kulturanthropologischer und sozialpsychologischer Perspektive, indem die Entwicklungsstrategie des Autozentrismus mit den beiden Kategorien „kulturelle Identität" und „Self-Reliance"
verknüpft wird. Mit Roy Preiswerk kann man m. E. zusammenfassend von folgenden Bedingungen für eine erfolgversprechende Entwicklungsstrategie im Interesse der Peripherie ausgehen:
„Die Befriedigung der Grundbedürfnisse sollte in der heutigen Entwicklungspolitik erste Priorität haben, sie müssen aber im Rahmen bestimmter kultureller Zusammenhänge definiert sein und können am besten befriedigt werden, wenn die Menschen von ihren eigenen Fähigkeiten und Ressourcen Gebrauch machen. Dies ist nur möglich, wenn Loslösungsstrategien, wie die der Self-Reliance, von Gemeinschaften der Dritten Welt (lokal, regional, national) in ihren Beziehungen zu den Industrieländern praktiziert werden.
Welche Loslösungsstrategie im jeweiligen Fall am geeignetsten ist, muß in Übereinstimmung mit der Ressourcenausstattung, den ökologischen Bedingungen und der ökonomischen Situation der betreffenden Gemeinschaft bestimmt werden.... In Anbetracht der Mannigfaltigkeit dieser verschiedenen Situationen sollten wir uns davor hüten, eine neue Entwicklungsstrategie zu entwerfen. Die kulturelle Vielfalt und Verschiedenheit muß zum grundlegenden Aspekt jeder Entwicklungsdebatte werden.“ Schaubild 1 veranschaulicht die beiden grundsätzlich verschiedenen Entwicklungsmodelle: Eine Kombination beider Fälle ergibt sich im Grad und in der Selektivität gegenüber metropolitanen Einflußfaktoren, d. h. Abhängigkeiten vom Weltmarkt. Während die Ausprägung dieser Abhängigkeitsvariable von einer Reihe je spezifischer Bedingungen abhängig sein wird, kommt es für die Peripherie darauf an, daß das Modell des positiven Kreises dominant gegenüber dem negativen verwirklicht wird. Die Tragfähigkeit dieses analytischen Konzepts gilt es im folgenden hinsichtlich der Auswirkungen der Satelliten-technologie auf die Dritte Welt zu untersuchen.
II. Fernerkundungs-und Nachrichtensatelliten für die Dritte Welt
Nach einem Überblick im kürzlich erschienenen MacBride-Report über die gegenwärtigen Probleme der internationalen Kommunikation wurden zwischen dem Abschuß des „Sputnik“ 1957 und dem Ende der siebziger Jahre ungefähr 2 100 Satelliten gestartet Gegenwärtig übernehmen ungefähr 1 200 Satelliten ganz unterschiedliche Funktionen in den Bereichen Militär, Handel, Bank-und Versicherungswesen, Hörfunk-und Fernsehübertragung, Telefon-und Fernmeldeverbindungen, Schiffahrt, Meteorologie usw. Insgesamt sind zur Zeit circa 33 Kommunikationssatellitensysteme nationaler, regionaler oder internationaler Reichweite in Betrieb.
Je nach ihrer Funktion lassen sich im wesentlichen fünf verschiedene Typen von Satelliten unterscheiden:
Bei der Diskussion entwicklungspolitischer Aspekte von Satellitentechnologie sind von vorrangigem Interesse die Auswirkungen der Fernerkundungssatelliten auf die Dritte Welt und die Stellung der Dritten Welt im internationalen Geschäft der Nachrichtensatelliten. (Auf eine Diskussion der in verschieden weiten Planungsstadien befindlichen nationalen Satellitensysteme in einzelnen Ländern der Dritten Welt muß hier verzichtet werden, ebenso auf eine Auseinandersetzung mit regional geplanten Satellitensystemen.) Wenn auch bislang nur eine kleine Anzahl von Staaten in der Lage ist, Satelliten zu bauen und sie mit einer Trägerrakete in den Weltraum zu befördern, so sind es inzwischen doch mehr als 120 Staaten, die mit entsprechenden Bodenstationen ausgerüstet und somit an das Sende-und Empfangsnetz von Satelliten angeschlossen sind.
Im Bereich der Fernerkundungssatelliten ist die Dritte Welt ganz wesentlich über das seit 1972 von den USA angebotene System LANDSAT mit Satelliten verbunden. Mit Kameras für den sichtbaren und den infraroten Bereich des Spektrums ausgerüstet, hatten die ersten LANDSAT-Satelliten ein Auflösungsvermögen von 80 m; LANDSAT 3 verfügt inzwischen über ein Auflösungsvermögen von 40 m. Im Abstand von 18 Tagen überfliegt LANDSAT 3 jeden beliebigen Punkt der Erde. Die Bildinformationen von LANDSAT 3 dienen der Beobachtung unterschiedlicher Sachverhalte wie:
— Kartierungen, z. B. Abgrenzungen von Stadt und Land;
— Nutzung von Meeres-und Küstenressourcen; Beobachtung von Umweltverschmutzung; — Beobachtung von Packeisbildungen;
— Katastrophenwarnung, z. B. bei Wirbelstürmen oder Steppenbränden;
— Entdeckung verborgener Wasserstellen; — Entdeckung von Bodenschätzen.
Die LANDSAT-Daten können in den USA gekauft oder von eigenen Bodenstationen direkt empfangen werden. Solche Bodenstationen stehen in der Dritten Welt z. B. in Argentinien, Brasilien, Chile, Indien, Iran und Zaire. In diesen Ländern werden die anfallenden Daten direkt verarbeitet. Sie werden auf Magnetbändern gespeichert, in teil-oder vollautomatischen Datenverarbeitungsanlagen aufbereitet und dann in hardcopys ausgegeben. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Formen der Beobachtung, direkt oder per Flugzeug, bietet die Satellitenfernerkundung folgende Vorteile:
— gleichzeitiger Überblick über Räume großer Ausdehnung;
— Erkennung von Veränderungen der gleichen Stellen durch regelmäßig wiederholte Aufnahmen; — Informationssammlung über Sachverhalte, die aufgrund der Aufnahmetechnik in verschiedenen Spektralbereichen mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind.
Die Möglichkeiten der Tätigkeit von Wettersatelliten kann an einem Ereignis vom Oktober 1979 veranschaulicht werden. Kurz nach Einrichtung 'einer Empfangsstation für die Daten von US-amerikanischen, japanischen und sowjetischen Wettersatelliten in Dacca/Bangladesh mit Mitteln der NASA, der privatwirtschaftlichen Industrie und der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) zeichnete diese Station Informationen über einen Sturm in der Bucht von Bengalen auf, dessen Landeinfall abzusehen war. „Die Bevölkerung konnte ohne jeglichen Verlust von Menschenleben evakuiert werden, während solche Stürme bisher jeweils Tausende von Menschenleben gefordert hatten."
Als John F. Kennedy nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt 1961 erklärte: „Ich rufe noch einmal alle Nationen auf, sich im Interesse des Weltfriedens und der enger werdenden brüderlichen Zusammenarbeit zwischen allen Völkern dieser Erde an einem Kommunikationssatellitensystem zu beteiligen" nahm das Zeitalter der Nachrichtensatelliten in der Form der nationalen Organisation COMSAT 1963, die in Privat-und Regierungsbesitz ist und dann im folgenden Jahr die internationale Organisation INTELSAT ins Leben rief, auch äußere Gestalt an. INTELSAT hat gegenwärtig 105 Länder als Mitglieder;
insgesamt 14 Satelliten der Typen INTEL-SAT IV, IV-A und V versorgen in über 300 Bodenstationen mehr als 145 Länder mit einem Anschluß an den internationalen Informationsfluß. über INTELSAT wird gegenwärtig mehr als die Hälfte des gesamten transozeanischen Nachrichtenverkehrs der Welt abgewickelt. Die Einnahmen in Höhe von gut 200 Millionen Dollar kommen zum größten Teil aus dem Telefonverkehr; ein geringer Anteil kommt aus der Daten-und Fernsehübertragung. Die INTELSAT-Statuten regeln die Länderquoten, d. h. die Besitzanteile, die Kostenbeteiligung und die jeweilige Gewichtung bei Abstimmungen. COMSAT hält seit dieser Zeit 61 % der Quoten, gefolgt von Großbritannien mit 4 %, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland mit jeweils 6, 1 %; die restlichen Länder verfügen über die durchschnittliche Quote von 1, 02 % (und sind mit diesem niedrigen Anteil z. B. im INTEL-SAT-Komite nicht abstimmungsberechtigt). So läßt sich bereits an dieser Quotenaufteilung ablesen, daß die Dritte Welt nur über einen marginalen Einfluß bei INTELSAT verfügt 8).
Was Kennedy die „Zusammenarbeit zwischen allen Völkern" genannt hatte und was sodann auch 1962 im „Communication Satellite Act" festgeschrieben wurde, bedeutete von Anfang an die juristische Fixierung der US-amerikanischen Dominanz. Denn: Wie konnte eine partnerschaftliche Kooperation aller Beteiligten aussehen, bei der nur ein einziger Partner über die Technologie verfügte? Darüber hinaus weisen Kennedys Rede und der „Communication Satellite Act“ auf ein sehr spezifisches Moment solcher Technologien hin, die — wie die Satellitentechnologie — überhaupt nur dann Sinn haben, wenn sie grenzüberschreitend angewendet werden. Denn es ist ja gerade das Spezifische der internationalen Satellitenkommunikation, daß sie ohne Stützpunkte in fremden Staatsterritorien nicht funktionieren kann. Die ausländische INTEL-SAT-Beteiligung und die Bodenstationen in vielen Ländern stehen also nicht im Gegensatz zur Dominanz der USA, sondern sind vielmehr ihr notwendiger Bestandteil. Nur durch die juristische Integration des Auslandes in den Aufbau eines zukünftigen weltweiten Satellitennetzes konnten die USA ihre Dominanz sichern.
Wie sehr es bei der Gründung von INTELSAT um die für das ökonomische Wachstum der großen transnationalen Konzerne in den USA notwendige dependente Anbindung der Dritten Welt an die Metropolen ging, die durch eine Rhetorik von der „brüderlichen Zusammenarbeit zwischen allen Völkern" legitimiert werden mußte, kann inzwischen exemplarisch an einem Artikel von J. R. Alper, dem Vizepräsidenten von COMSAT, nachvollzogen werden. Dort heißt es u. a.:
„Das nordamerikanische Bankenwesen ist der Hauptbenutzer der internationalen Telekommunikation mit Südamerika. Die Produktivität dieser Industrie konnte in den letzten Jahren durch die Anwendung komplizierter neuer Dienste aus dem Bereich der Telematik erhöht werden. Dazu zählt vor allem die elektronische Geldüberweisung (Electronic Funds Transfer), die ohne verläßliche Telekommunikationsnetze nicht denkbar und machbar wäre. Die Erfahrungen großer Banken wie Citibank und Bank of America haben gezeigt, daß die Effektivität und Reichweite ihrer gegenwärtigen Unternehmungen in Südamerika ohne die Existenz von INTELSAT-Systems faktisch unmöglich wären."
Im wesentlichen gab es zwei Motive zur Gründung von INTELSAT: Zum einen galt es gegenüber der UdSSR mit einem weltweiten Nachrichtensatellitenmonopol schneller zu sein, zum anderen mußten die aufkommenden Märkte in der Dritten Welt gesichert werden. In der Hoffnung; durch eine Anknüpfung an das internationale Satellitensystem die Mängel der Infrastruktur schnell überspringen zu können, wurden eine Reihe von Dritt-Welt-Ländern freiwillig Mitglied von INTELSAT; andere periphere Länder wurden dadurch Mitglied, daß sie die teuren Sende-und Empfangsanlagen mit günstigen US-Krediten erhielten. Einige Bodenstationen blieben auch in Besitz der US-amerikanischen Erbauerfirmen International Telephone and Telegraph Corporation (ITT) und Radio Corporation of America (RCA).
Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten zeichnen sich für die Dritte Welt insbesondere in der Umstellung der Satellitentechnologie auf das „Direct Broadcasting by Satellite" (DBS) ab. Die gegenwärtigen Nachrichtensatelliten strahlen Signale ab, die ungefähr ein Drittel der Erdoberfläche erreichen. Da bei diesen Satelliten die Funkimpulse aufgrund der großen Streuung relativ schwach sind, müssen große und teure Bodenstationen gebaut werden? mit leistungsstärkeren Satelliten und Raketen, die schon in sehr naher Zukunft einsatzbereit sein werden, ist jedoch bald ein Empfang der durch einen Satelliten übermittelten Informationen mit Empfangs-antennen von weniger als einem Meter Durchmesser möglich. Gegenüber den Kosten für eine jetzige INTELSAT-Bodenstation mit zwischen 10 bis 20 Millionen Dollar wird eine derartige Direktantenne für DBS in der Preiskategorie von circa 500 Dollar angeboten. Sie ist also auch für den einzelnen Endverbraucher finanziell erschwinglich.
Intentional wurde DBS bereits im indischen Fernsehsatellitenexperiment SITE 1975/76 erprobt 9a), nicht-intentional funktioniert DBS bereits jetzt z. B. in der niederländischen Gemeinde Hellendoorn, wo mit den Gemeinschaftsantennen eines Kabelnetzes die Programme des sowjetischen Fernsehsatelliten „Horizont" empfangen werden. DBS ist als satellitentechnologischer Durchbruch im globalen Informationsfluß zu betrachten, in dem die zeitliche und räumliche Ungleichheit von Kommunikation tendenziell aufgehoben wird. Bislang konnten grenzüberschreitende Informationsflüsse noch national gestaltet werden, z. B. durch die Einkaufspolitik ausländischen Filmmaterials durch eine TV-Station, die Störung ausländischer Rundfunksender durch Störsender oder durch ein Importverbot von Zeitungen und Literatur. DBS dagegen wird jegliche nationale Gestaltung, Kontrolle, Zensur und/oder Unterdrückung unmöglich machen. Ohne Kontrolle zwischengeschalteter Bodenstationen (Filter im Hardware-Bereich) und ohne Tarif-und Zollschranken auf die Inhalte (Filter im Software-Bereich) ist in Zukunft mittels DBS von jedem Punkt der Erde aus der direkte informationelle Zugriff auf den einzelnen Menschen am Arbeitsplatz und in seiner Freizeitumgebung möglich.
III. Entwicklungspolitische Konsequenzen für die Dritte Welt
Bei einer Diskussion der entwicklungspolitischen Konsequenzen von Satellitentechnologie für die Dritte Welt ist nicht nur ihr Stellenwert für verschiedenartige Entwicklungsmodelle zu analysieren. Zusätzlich müßten auch die Erfahrungen bedacht werden, die die Menschen der Industriegesellschaften inzwischen mit Technologien gemacht haben. In diesem Zusammenhang sind m. E. zwei Momente von entscheidender Bedeutung.
Erstens: Wann immer im Laufe der Geschichte der Industrialisierung neue technische Erfindungen zur Anwendung kamen, versprach man sich ein Mehr an Wohlstand, Reichtum, Gleichheit, Glück, Kooperation oder Völkerverständigung — so zumindest zu allen Zeiten aus der Perspektive der jeweiligen Protagonisten. 25 Jahre nach dem „Sputnik" konfrontiert unsere, zunächst einmal vor-wissenschaftliche, Alltagserfahrung ganz naiv die anwachsende Armut in der Dritten Welt mit technologischen Großprojekten in Milliardenhöhe und stellt Brüche, Widersprüche, Unvereinbarkeiten und ideologisches Legitimationsbemühen fest.
Zweitens^ Ganz ohne Zweifel ordnen sich die Satellitentechnologie und die der Mikroprozessoren im Weltmarkt den Verwertungszwängen der Metropolen unter (wie noch im einzelnen zu zeigen ist). Andererseits — und diesen Gedanken verdrängen diejenigen gerne, die lediglich die sogenannten negativen Folgen solcher Technologien abschaffen wollen — ist den hier zur Debatte stehenden Informationstechnologien außerdem ein Moment von Herrschaft und gesellschaftlichem Wandel eigen, das von deren Nutzung unberührt bleibt. Die Verschärfung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Pro-21 duktionsverhältnissen, also der Prozeß der Verdinglichung, äußert sich in der Informationstechnologie als quasi eigene Dynamik, die ständig eine Formalisierung, Quantifizierung, Mediatisierung und Finalisierung menschlicher Kommunikation als wesenhaften Ausdruck sozialen Wandels erzwingt. Und sie „tut" das eigengesetzlich, ohne sich um die gesellschaftliche Organisation in der Verfügung über die Technologie „zu kümmern". Technologische Skepsis und die dem informationstechnologischen Wandel innewohnenden Momente von Herrschaftwären demnach als zwei zusätzliche Argumentationsmuster zu berücksichtigen, wenn es gilt, die entwicklungspolitischen Konsequenzen der Satellitentechnologie für die peripheren Länder an den fünf Kategorien zu diskutieren, die Roy Preiswerk als grundlegend für die Analyse von Entwicklungsmodellen betrachtet.
Penetration versus Loslösung von auswärtiger Durchdringung Wie Herbert I. Schiller bereits 1971 analysierte lag den Gründungen von COMSAT und INTELSAT in den entsprechenden Hearings im US-amerikanischen Kongreß von Anfang an die Vorstellung daß internationale die Satellitenkommunikation privatwirtschaftlich organisiert werden müsse, um schnell, effektiv, global und innovativ funktionieren zu können. Indem sich so unterschiedliche INTELSAT-Mitgliedsländer wie Algerien und Südafrika, Syrien und der Vatikan, die USA und Liechtenstein, Jugoslawien und Taiwan auf die Bedingungen des freien Marktes einigen konnten (oder politisch dazu gezwungen wurden), rangierten die Prinzipien von Effektivität und Funktionalität von Anfang an vor den Prinzipien einer politischen und sozialen Verantwortung.
Dabei muß man sich darüber im klaren sein, daß die ökonomischen Aspekte bei der Satellitentechnologie keinesfalls auf die Vermarktungsmöglichkeiten des eigentlichen Satelliten beschränkt bleiben. Dieses sogenannte Raumsegment bildet nur den relativ unbedeutenden Teil einer komplizierten und langen Technologiekette. So errechnete z. B.der seiner Raumfahrtkonzern Dornier in Planungsstudie eines Südamerika-Satelliten für das Bundesministerium für Forschung und Technologie daß das Raumsegment weniger als ein Drittel der gesamten Investitionskosten ausmacht. Satellitensysteme ermöglichen also in allererster Linie eine ökonomische Penetration, d. h.fremdbestimmte Durchdringung der Dritten Welt in den soge-nannten Folgegeschäften: Bodenstationen, Antennen, Signal-und Verstärkerumsetzungssysteme, terrestrische Kabelnetze, Apparate (TV-Gerät, Telefon, Fernschreiber, usw.), Fahrzeuge, Ersatzteile, Gebäude, Treibstoff für die in vielen ländlichen Gebieten der Dritten Welt notwendigen Dieselaggregate. Während dieses Folgegeschäft eigentlich das Hauptgeschäft darstellt, erzwingt die Übernahme eines reinen Informationsnetzwerkes natürlich auch die Übernahme der dazugehörigen Software, also der Filme, Curricula, Programmiersprachen, da diese in den peripheren Ländern mangels Know-How und/oder Kapital nicht billiger hergestellt werden können als in den Metropolen. Auch die Aus-und Weiterbildung von Ingenieuren, Programmmachern, Lehrern und Sozialwissenschaftlern geschieht aus den gleichen Gründen im metropolitanen Kontext.
erwähnte Diesen Zusammenhang sieht die Studie von Dornier auch; manchmal vorsichtig verklausulierend, manchmal sehr offen: „Für die Produktion von Fernsehempfängern sind bereits zahlreiche Betriebe (in Südamerika) vorhanden, die sich jedoch bislang weitgehend auf die Montage aus gelieferten Einzelteilen beschränken. (...) Allerdings sollte werden, immer noch ein nicht verkannt daß Teil der technischen Hardware importiert werden müßte. (...) Zusammenfassend erscheint ein (Satelliten) Testprogramm (...) nützlich, (weil es den) Einfluß der deutschen bzw. europäischen Technik in Südamerika (...) verstärkt.“
Während die hier beschriebenen Mechanismen in erster Linie für Nachrichtensatellitensysteme gültig sind, ergeben sich andere, gleichwohl ähnliche Mechanismen für Wetter-und Fernerkundungssatelliten. Die diese Satellitensysteme erst sinnvoll machenden Datenverarbeitungsanlagen können die in sie gesteckten Erwartungen nur dann erfüllen, wenn sie zusätzlich zu den LANDSAT-Daten mit einer enormen Menge weiterer Daten versorgt werden. Gerade weil in der Dritten Welt relativ wenig statistische Daten vorliegen, diese kaum langjährigen Zeitreihencharakter aufweisen, die Erhebungsmethoden oft nicht valide sind oder die vorhandenen Daten neuen Fragestellungen der Planung nicht entsprechen — aus all diesen Gründen benötigen gerade Fernerkundungssatelliten in der Dritten Welt den Aufbau komplizierter Großrechenanlagen. Sie tragen nicht unwesentlich dazu bei, daß die Dritte Welt für die führenden Computerhersteller der Metropolen zu einem immer wichtiger werdenden Absatzmarkt geworden ist. So stieg allein zwischen 1972 und 1975 der Import von Computern nach Afrika um 44%, nach Lateinamerika um 38% und nach Asien um 14%
Für die Satelliten-und Computertechnologie übernehmen die peripheren Länder nicht nur die Funktion des notwendigen Absatzmarktes für solche Produkt-und Dienstleistungsangebote, für deren Vermarktung die metropolitanen Märkte, gemessen an den enormen Investitionskosten, zu klein sind. Die Märkte der Dritten Welt sind außerdem zu einem Objekt rivalisierender nationaler Kapitale in den USA und Westeuropa — und den davon ableitbaren politischen Interessen — geworden Exemplarisch ließe sich diese euro-amerikanische Rivalität an der Geschichte der westeuropäischen Ariane-Rakete zeigen über die kürzlich erfolgte Gründung des Raumfahrtkonzerns „Arianespace" — im Besitz von 36 Konzernen und 13 Banken — will sich Westeuropa circa ein Drittel des Weltraumgeschäfts sichern, d. h.den Bau und die Vermarktung von ungefähr 70 Wetter-und Fernerkundungssatelliten bis 1990.
Vor dem Hintergrund dieser euro-amerikanischen Konkurrenz um die peripheren Märkte relativieren sich auch die gegenwärtig in Westeuropa diskutierten Erfahrungen und Pläne mit europäischen Satelliten: Symphonie (frz. -dt. Satellitenprojekt zu Anfang der siebziger Jahre), OTS (Europäisches Kommunikationssatellitensystem) oder das am 29. April 1980 unterzeichnete deutsch-französische Satellitenprojekt sind ganz wesentlich als Vorführprojekte für die Dritte Welt zu begreifen. Mit öffentlichen Mitteln der Forschungsförderung, der Entwicklungshilfe oder der Europäischen Kommission finanziert soll der europäischen Raumfahrtindustrie bei der Eroberung der Dritte-Welt-Märkte ein Startvorteil gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz geschaffen werden.
Faßt man die ökonomischen Konsequenzen des Technologietransfers von Nord nach Süd in den Bereichen Satelliten-und Computer-technologie zusammen, so ergibt unter sich der Fragestellung „Penetration versus Loslösung von auswärtiger Durchdringung" folgendes Bild:
Da der Technologietransfer in diesem Bereich weder den einheimischen Markt des Massengüterkonsums stärkt, noch die Binnenumstrukturierung einer exportorientierten Land-Wirtschaft fördert, trägt diese Technologie er-lieblich zur abhängigen Anbindung an die globalen Strukturen des Kapitalismus bei. Diese Anbindung vermindert den nationalen ökonomischen und politischen Spielraum des einzelnen Landes aus der Dritten Welt. Daß die ökonomischen Abhängigkeiten auch politische Konsequenzen haben, versteht sich von selbst und läßt sich an folgendem Beispiel demonstrieren. Während der iranisch-amerikanischen Krise 1979— 1981 war in einer Studie der Regierung der USA auch eine Unterbrechung des iranischen INTELSAT-Anschlusses als eine von mehreren Eskalationsstufen vorgesehen. Das hätte das Telephon-und Fernsehsystem innerhalb des Iran, die dortigen elektronischen Geldüberweisungen und Flugreservierungen unmöglich gemacht, hätte für den Außenbereich sämtliche Telekommunikationsverbindungen um 70% reduziert Gebrauchswert versus Tauschwert Die durch die Satellitentechnologie in der Dritten Welt bewirkten gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich nur unzureichend als fremd-und außenbestimmt charakterisieren. Der metropolitane Einfluß auf die Peripherien berührt gleichzeitig auch grundsätzliche ökonomische Probleme, vor allem das Verhältnis von Gebrauchs-zu Tauschwert Generell läßt sich sagen, daß im Informationszeitalter die weltweite Kapitalisierung des Informationswesens überall dem Tauschwert zu einem Sieg über den Gebrauchswert verhilft. In diesem Prozeß haben die Satelliten-und Computertechnologie kaum etwas mit der Verwendbarkeit in den eigenen Nationalökonomien der Dritten Welt zu tun, wohl aber mit dem Verkehrswert, den die Produkte dieser Technologien für die Metropolen erzielen. Ein wenig verallgemeinernd kann man sagen, daß die Satellitentechnologie einen historisch neuartigen Ansturm der Metropolen auf die Peripherien bildet: Der strukturellen Gewalt auf menschlicher Ebene (Sklavenhandel, brain-drain), materieller Ebene (Rohstoffe, Energieressourcen) und der der Vermarktung (Absatzmärkte, Importsubstitution) folgt mittels dieser Technologie ein Wissensentzug der Dritten Welt über sich selbst. Man kann das an folgendem Beispiel verdeutlichen. Gegenwärtig existieren nur für etwa 30% der 12
Erdoberfläche Landkarten im Maßstab von 1: 50 000, und diese genaue kartographische Erfassung betrifft ganz wesentlich nur die Industrieländer. Für einen großen Teil der Dritten Welt existieren gar keine Landkarten oder nur solche, die als Grundlage für Planungswissen ungeeignet sind. Die durch Fernerkundungssatelliten heutzutage laufende Kartierung der Dritten Welt ist als ganz wesentliche Voraussetzung und Grundlage einer Erfassung all dessen zu sehen, was sich bislang dem Tauschwertprinzip noch ganz oder nur teilweise entziehen konnte. Ob Bevölkerungszählung, Industrialisierungsprojekte, Staudammplanung, Rohstofferschließung oder Waldrodung: alle Projekte, die einen funktionalen Planungszugriff mit Arbeitsteilungsprozessen, Spezialisierung, Professionalisierung in hohem Grade und der damit parallel laufenden Kapitalisierung notwendig machen, werden durch die neue Satelliten-technologie nicht nur optimiert, sondern qualitativ andersartig. Die Fernerkundungssatelliten sind insgesamt als der bei weitem effektivste Bestandteil einer neuen und sehr offensiven intellektuellen Penetration der Dritten Welt durch die Metropolen anzusehen, die es sich nicht mehr leisten können, ihren Zugriff auf einem Mangel an Wissen, falschen oder schlechten Informationen oder auf Vorurteilen basieren zu lassen, überspitzt gesagt: Die Satelliten sind die modernen Linguisten, Anthropologen und Missionare, die immer schon das detaillierteste Wissen über die Mikrostrukturen in der Dritten Welt hatten.
Wie gering die Gebrauchswertfunktion der Bildaufnahmen der Fernerkundungssatelliten für die Ökonomien der Dritten Welt ist, läßt sich im Rückgriff auf die vorstehend erwähnten Beispiele „Sturmwarnung in Bangladesh“ und „Getreidebeobachtung“ demonstrieren. Denn daß durch die frühzeitige Erkennung eines Zyklons über der Bucht von Bengalen das Leben von Tausenden von Menschen gerettet werden konnte, stimmt nur oberflächlich. Bangladesh gehört zu den 25 ärmsten Ländern der Erde: Auf einem Quadratmeter wohnen 500 Menschen; das Pro-Kopf-Einkommen der zu 90% aus Bauern bestehenden Bevölkerung besteht aus 80$pro Jahr; 10% der Bevölkerung besitzen 40% des gesamten Bodens. Man schätzt, daß 80% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum leben, d. h. ihr Einkommen reicht nicht für die minimalsten Bedürfnisse an Nahrung, Obdach, Kleidern, Schulung und Gesundheitsfürsorge. Wenn aber in nur ungefähr 100 städtischen und halbstädtischen Ortschaften Bangladeshs angemessene Unterkunft, Leitungswasser, Gesundheits-und Gemeindedienste verfügbar sind, dann wirft die Rettung von Menschenleben als Folge einer erfolgreichen Warnung vor einem Zyklon besondere Probleme auf. Mit von Weizsäckers Formulierung, daß in bestimmten Situationen die (über-) Lebenden die Toten beneiden könnten, wäre eine zynische Perspektive der Situation möglich, denn der Gebrauchswert dieser Satellitenfrühwarnung war für die Masse der Bangladeshi ausgesprochen ambivalenter Natur: Zwar ermöglichte die Warnung zunächst das nackte physische Überleben, stürzte die Menschen aber dann in einen Verelendungsprozeß, der in seiner Intensität kaum noch zu überbieten war, da ja schon die Ausgangsbasis einer menschenunwürdigen Verelendung entsprach. Zynisch könnte aber auch die Maxime sein, die den Wert menschlichen Lebens an der Verwirklichung ganz spezifischer Lebensumstände bemißt. Es könnte gerade dies die typische Perspektive des europäischen intellektuellen Kritikers sein, der sich menschenwürdiges Leben nur in der Einbettung in materiellen Wohlstand und materielle Behaglichkeit vorstellen kann. Der Teufelskreis beider Zynismen verweist in aller Eindringlichkeit auf die ethische Schwierigkeit bei der Bewertung des Gebrauchswerts solcher Wetterwarnungen, berührt aber noch nicht eine Einschätzung des ökonomischen und politischen Gebrauchswertes. Dieser Gebrauchs-wert ist deshalb so gering zu veranschlagen, weil die Kosten für die Technologie in keinem vernünftigen Verhältnis zu einer wirksamen Hilfe von Dauer stehen, weil diese Technologie ja keine Überschwemmungskatastrophen verhindert (das könnte z. B. ein ökologisch sinnvoller Deichbau) und insofern keine Bedingungen schaffen hilft, die ein überleben garantieren würden, das mehr als ein physisches überleben ist.
Daß es sich bei der Getreide-und Erntebeobachtung in der Dritten Welt per Satellit kaum um das Interesse der peripheren Nationalökonomien handelt, kann an folgenden Zusammenhängen verdeutlicht werden. Paradigmatisch läßt sich die globale Satellitenbeobachtung der Weizenbestände im Interesse der US-amerikanischen Farmer und der Verbesserung der US-amerikanischen Außenhandelsbilanz an der Geschichte und Funktion von LACIE ablesen, dem „Large Area Crop Inventory Experiment". Von der NASA und dem Nationalen Amt für Fragen der Ozeane und der Atmosphäre (NOAA) 1975 gegründet, wurden per Satellit zunächst die Weizenbestände in den USA, dann die der Konkurrentenländer Kanada, UdSSR, Australien, China, Indien, Brasilien und Argentinien erkundet und erfaßt und sodann mit Datenverarbeitungsanlagen zu Ernteprognosen umgerechnet
Mit Hilfe der so gewonnenen Kenntnis der Weizensituation in anderen Ländern konnte die US-amerikanische Landwirtschaft den Weltmarktpreis für Weizen beeinflussen, Börsenspekulation betreiben, Vorratshaltung effektiver gestalten, Termingeschäfte optimieren usw., kurz: Der Weizenkauf und -verkauf wurde mittels Satellitentechnologie zu einem höchst verläßlichen politischen und ökonomischen Instrument. Es steht zu vermuten, daß die Ergebnisse von LACIE nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß sich der Export von landwirtschaftlichen Produkten aus den USA zwischen 1970 und 1980 ungefähr um das Siebenfache steigern ließ. Über privatwirtschaftliche Firmen in den USA wie die Remote Sensing Engineering Ltd., gelangen die Erkenntnisse dieses Programms auch in die Dritte Welt zurück. Dieses Unternehmen hat sich u. a. darauf spezialisiert, prognostische Analysen über die Ertragslage und -fähigkeit verschiedenartiger Getreidekulturen in der ganzen Welt zu erstellen. Solche Analysen können sowohl für bestimmte Regionen als auch für ganze Länder erarbeitet werden; oft stehen sie den Kunden dieses Unternehmens bereits lange vor der Ernte zur Verfügung. Die Analysen enthalten detaillierte Angaben über die zeitgünstigste Bestellung der Felder, sie können den Einsatz von Pflanzenschutz-und Düngemitteln optimieren, liefern Aufschluß über zu stark oder zu wenig abgegrastes bzw. unzureichend bewässertes Weideland, geben Anhaltspunkte über Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten oder ermitteln Daten über die Nährstoffversorgung, die Feuchtigkeit, die Versalzung oder Erosion der Böden -
In den neun lateinamerikanischen Ländern, in denen die Dienste dieses Konzerns benutzt werden, können sich nur transnationale Nahrungsmittelkonzerne oder große Plantagenbesitzer einen solchen Informationsdienst lei-sten. Sie erhöhen damit auf einer weiteren Ebene ihren strukturellen Vorsprung gegenüber der Masse der einheimischen Klein-und Mittelbauern.
Grundbedürfnisse versus induzierte Bedürfnisse Die Satellitentechnologie wird „bei der schwierigen Aufgabe der Anpassung der menschlichen Bedürfnisse an die begrenzten Möglichkeiten unseres Erdballs in steigendem Maße dringend benötigt" Diese Formulierung eines an den zahlreichen LAND-SAT-Programmen beteiligten Wissenschaftlers ist programmatisch für das Verständnis vieler Ingenieurwissenschaftler im Bereich der Satellitentechnologie, wie eine detaillierte Analyse der umfangreichen Kongreßmaterialien der vierzehnten Konferenz der Internationalen Gesellschaft für Photogrammetrie 1980 in Hamburg leicht demonstrieren könnte. Sicherlich gibt es ein sehr komplexes Wechselverhältnis zwischen menschlichen Bedürfnissen und den begrenzten Ressourcen der Erde, und sicherlich mag es Situationen geben, in denen sich menschliche Bedürfnisse an technischen Möglichkeiten orientieren müssen. Im Bereich der Hochtechnologie, und darum geht es bei Satelliten, ist dieses Wechselverhältnis, das keine Prioritäten kennt, nicht mehr so ohne weiteres einsichtig. So handelt es sich weniger um eine Fehlleistung im Freudschen Sinne, als vielmehr um die ungewollt zutreffende Einordnung im Verhältnis zwischen Mensch und Hochtechnologie. Es liegt in der Natur und Eigendynamik solcher Technologien begründet, daß sie — ihrem ökonomischen Verwertungsprinzip gehorchend — neuartige Bedürfnisse erschaffen müssen, denen sich der Nutzer erst später anpaßt, nachdem er eine entsprechende Konditionierung erfahren hat. In den westlichen Industrieländern hat die Konsumgüterindustrie — besonders in den Bereichen der elektrischen und elektronischen Industrie — in den letzten Jahren genügend Beispiele für diesen Mechanismus geliefert. Die Satelliten-technologie an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren, also die Umkehr des technokratischen Prinzips zu fordern, wäre der erste Schritt auf eine bedürfnisorientierte Entwicklungsstrategie. Ihre notwendige Voraussetzung wäre jedoch die aktive und partizipative Einbeziehung der durch diese Technologie Betroffenen und damit eine Stärkung des Gebrauchswertes und eine Reduzierung von Außeneinflüssen.
Geht man für die Dritte Welt zusätzlich von der vorrangigen Befriedigung der Grundbedürfnisse aus, wie sie beispielsweise in der Cocoyoc-Deklaration 22a) festgehalten wurden, geht es also in erster Linie um die Deckung des Mindestbedarfs einer Familie für ihren persönlichen Verbrauch an Nahrung, Unterkunft und Kleidung, um den zufriedenstellenden Zugang zu Wasser, Gesundheitseinrichtungen, Verkehrsmitteln und Schulen und um einen bezahlten Arbeitsplatz für jeden, dann ist die Satellitentechnologie für eine derartige Grundbedürfnisstrategie nicht geeignet. Schlimmer noch: Die gegenwärtigen Zugänge zu und die Verfügungsmittel über diese Technologie verfestigen und verstärken die anwachsende Kluft zwischen Nord und Süd, zwischen der einheimischen städtischen Staatsklasse und der Masse der bäuerlichen Bevölkerung. Nun ist allerdings mit Joseph Ki-Zerbo aus Obervolta zu betonen daß die Grundbedürfnisse nicht auf das zum materiellen Überleben notwendige Existenzminimum reduziert werden können. Gerade ein solcher Ansatz wäre ein typisch abendländisch-westliches Konstrukt; insbesondere für die Dritte Welt muß es von ihrem eigenen Verständnis her ein zu befriedigendes Grundbedürfnis nach Identität, Spiritualität, Religiosität und Kommunikation geben. Versteht man den Gedanken der Informationsfreiheit nicht als ein hierarchisches Filterprinzip, nach dem eine Gruppe von wenigen dem Großteil der Bevölkerung Informationen von oben nach unten gibt, sondern als einen Teil des Rechts auf Kommunikation, so wird dieses Recht als Teil des Grundbedürfniskataloges verständlich. „Die Kommunikation wird damit als ein Prozeß in zwei Richtungen gesehen, in welchem die Partner — Einzelpersonen und Kollektive — einen demokratischen und ausgewogenen Dialog führen. Das Konzept des Dialogs statt des Monologs steht im Mittelpunkt der gegenwärtigen Überlegungen, die zur Entwicklung einer neuen Generation von Menschenrechten führen sollen“, führt der MacBride-Report in diesem Zusammenhang aus
Konzentration versus Verteilung von Ressourcen Sowohl im internen als auch im außenpolitischen Bereich muß die Frage danach, wie die Verteilung der vorhandenen Ressourcen vorgenommen wird, als wesentlich dafür angesehen werden, wie hoch oder niedrig das demokratische Potential in einem spezifischen Bereich aussieht; das gilt sowohl für den Produktionsbereich der entsprechenden Ressource als auch für die Zugangsregelungen zu deren Nutzung. Es dürfte zu einem der hartnäckigsten Mythen gehören, daß die zukünftigen Formen von Telekommunikation und Informationstechnologie gesamtgesellschaftliche Dezentralisierungsprozesse ermöglichen — also der Teilhabe Vieler Vorschub leisten —> wenn schon nicht bei der Produktion der Technologie, dann zumindest in ihrer dezentralen Anwendung.
Dem muß zunächst verallgemeinernd entgegengehalten werden, daß die historisch zu-nehmende Technisierung sämtlicher Lebensbereiche eine derartige Komplexität und Verflechtung von Wirkungsketten hervorgerufen hat, die eine Zentralisierung von Macht, Entscheidungen und Kontrollen in der Wirtschaft ebenso wie in privaten und öffentlichen Institutionen begünstigen Diese historische Tendenz trifft ganz besonders für den Bereich der Informationstechnologie zu. Was die Verteilung zur Teilhabe an der Produktion der neuen Ressource Informationstechnologie angeht, so resultiert aus der dafür notwendig immens hohen Kapitalmenge, die beispielsweise für Satellitentechnologie oder eine flächendeckende Glasfaserverkabelung nur in Milliardenbeträgen angegeben werden kann, von Anfang an eine Einschränkung auf transnationale Konzerne und/oder Staatsapparate. Die nach demokratischem Selbstverständnis notwendige Teilhabe vieler gesellschaftlich konkurrierender Gruppierungen im Produktionsbereich ist bei solchen ökonomischen Vorbedingungen für einige von ihnen (z. B. Mittelstand) von vornherein ausgeschlossen. Im steil anwachsenden Industrie-zweig der Informationstechnologie verstärkt sich der politisch und ökonomisch bereits vorgegebene Machtvorsprung der transnationalen Konzerne und Staatsapparate vor anderen gesellschaftlichen Gruppierungen um ein Vielfaches.
Diese enorme Machtkonzentration zeigt sich in noch weitaus schärferer Ausprägung im Verhältnis der Industrie-zu den Entwicklungsländern, wie an dem folgenden Beispiel demonstriert werden soll. Als INTELSAT den afrikanischen Staaten Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre den Anschluß an dieses internationale Satellitensystem nahelegte, versprach man eine Anbindung der abgelegenen Regionen an die Zentren und einen verstärkten Austausch innerafrikanischer Art.
1980 stellt der Raumfahrtkonzern Dornier aber fest: „Diese Stationen haben jedoch kaum zur Verbesserung des innerafrikanischen Telekommunikationswesens beigetragen, da durch sie im wesentlichen die alten Hochfrequenz-Verbindungen zu den ehemaligen Mutterländern ersetzt wurden.“ Mit ande-ren Worten: Die Satellitentechnologie hat lediglich die vorgegebene Machtzentrierung bei der einheimischen Staatsklasse und den mit ihr kooperierenden ausländischen Metropolen effektiviert. Diese allgemeine Schlußfolgerung läßt sich inzwischen an einer Vielzahl empirischer Studien belegen.
Selbst wenn auf Seiten der Apologeten der neuen Informationstechnologien die Zentralisierung, die Machtzusammenballung und Informationskontrolle der Produktionsseite zugestanden werden sollte, so wird als Gegenargument zumeist die dezentralisierte Nutzung angeführt, also etwa das Bild des sich individuell nach seinen Bedürfnissen orientierenden Nutzers oder das Bild der Dritten Welt, die sich im dezentralen Zugang zu den Daten-bänken der Industrieländer qua Satellitenübertragung jegliche für sich nützliche Information abrufen könne. Auch hierbei handelt es sich um einen Mythos. Zwar sind die Zugänge zu den großen Informationssystemen dezentral möglich, doch sind sie abhängig von den Filter-, Selektions-, Entscheidungs-und Kontrollmechanismen einer einzigen Steuer-zentrale. Nicht die dezentralen Zugangsmöglichkeiten zum Gesamtsystem sind die entscheidenden Systemcharakteristika, sondern der umgekehrte Schuh erst macht Sinn: Die Zentrale versichert sich ihrer Zugriffsmöglichkeit auf die Peripherie. Nach Wilhelm Steinmüller erlaubt die Informationstechnologie „erstmals in der Weltgeschichte die (fast) vollständige Zentralisierung der Macht bei (fast) vollständiger Dezentralisierung und Verteilung der Organisation und Information, bis an die Schwelle der Unsichtbarkeit"
Ist also auch die Anwendung dieser Technologien nur scheinbar dezentral, so ergibt ein weiterer Mechanismus in Nutzung und Rezeption einen Macht-, Informations-und Wissensaneignungsvorsprung. Die Fähigkeit, die verfügbaren Daten in Entscheidungswissen umzusetzen und aus diesem Wissen Handlungsvorteile abzuleiten, kommt wiederum nur sehr wenigen Akteuren zu. In der Dritten Welt profitieren nur drei Gruppen von diesem Wissen und den daraus folgenden Handlungsmöglichkeiten: 1. die transnationalen Konzerne, die die Technologieprodukte liefern, 2. die transnationalen Banken, die den Import und die Installierung dieser Technologien finanzieren, und 3. die neue Staatsklasse in den Zentren der Dritten Welt Läßt sich bei dem ansteigenden Angebot massenmedialer Information inzwischen ein „increasing knowledge gap“ beobachten, nach dem die bereits Wissenden das vermehrte Angebot besser nutzen, während die in Un-wissen gehaltenen in ihrem Informationsstand weiter abfallen, eröffnet sich in der Informationstechnologie ein anwachsender „data gap". Die Kluft zwischen Informationshabenden und Informationshabenichtsen wird größer; die Zentralisierungstendenzen im Metropol-Peripherie-Modell nehmen zu.
Identität: Bewahrung versus Verlust In seinem Essay „Zivilisation und Modernismus" beschreibt der iranische Soziologe Ali Schariati, wie die psychische Kolonisation von außen in Selbstkolonisation umschlägt und wie dieser Prozeß als Folge der ökonomischen Penetration der Dritten Welt durch die Metropolen zu begreifen ist Es ist keinesfalls zufällig, daß Schariati den Prozeß der Entfremdung von sich selbst zunächst am Beispiel von Charlie Chaplins Film „Moderne Zeiten" illustriert, also das Beispiel der Entfremdung in industrialisierten Arbeitsprozessen benutzt. Diesem Entfremdungsprozeß stellt Schariati den der kulturellen Entfremdung gegenüber, die er noch schwerwiegender empfindet, da sie die Summe aller geistigen, künstlerischen, geschichtlichen, literarischen, religiösen und gefühlsmäßigen Erscheinungsformen, die sich im Laufe der Geschichte eines Volkes entwickelt haben, zu zerstören droht, während sich der Arbeiter in Chaplins Film zumindest noch bei Verwandten und Freunden der eindimensionalen mechanischen Ordnung entziehen kann.
Die Satellitentechnologie bildet sozusagen den Höhepunkt, die technologische Speer-spitze bei der soziopsychischen Penetration der Kulturen der Dritten Welt — und das in mehrfacher Hinsicht; als Bestandteil einer umfangreichen Technologiekette trägt dieser Teil der elektronischen Industrie, der ausgesprochen starke Wachstumskurven aufweist, zur Herausbildung gesellschaftlicher Differenzierung, und d. h. interner Entfremdung, bei. Hochgradige Formen von Arbeitsteilung, Spezialisierung, Professionalisierung, Ausbil-düng und Training werden die diesen Technologieschub notwendigerweise begleitenden Folgen sein. Gleichzeitig werden die mit dieser Technologiekette importierten oder auf Importsubstitutionsbasis hergestellten Waren für Produktion und Konsum den Selbstkolonisierungsprozeß fördern. Wichtiger aber noch sind m. E. die beiden Mechanismen, die man als Auslaugen und als Homogenisierung der Kulturen der Dritten Welt bezeichnen kann. Wenn sich das Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus u. a. auch durch die Bereicherung der Metropolen mit materiellen Kulturgütern charakterisieren läßt, also mit der Verschleppung von Kultgegenständen, Kunstwerken und alltäglichen Gebrauchsgütern in europäische Museen, so entwenden die Fernerkundungssatelliten der Dritten Welt immaterielle Güter, nämlich Wissen und Informationen über sich selbst. Es sind dieses Wissensbestände, die das Sosein der Dritten Welt selbst ausmachen, für die sie jedoch keine analytisch-systematische Zugangsmöglichkeit haben kann oder auch nicht haben will. Das systematische Wissen über die Dritte Welt wird auf diese Weise außerhalb der Dritten Welt immer fundierter und intensiver. Die dadurch geschaffenen vielfältigen Möglichkeiten der Außensteuerung werden die Kulturen der Dritten Welt zu einer funktionalisierbaren Variablen in technologischen Planungsprozessen zusammenschmelzen. Das jeweils menschlich unterschiedliche, bereichernde und vielfältige Element in verschiedenartigen Kulturen wird aufgesogen und ausgelaugt werden.
Parallel zu dieser Aushöhlung des kulturell jeweils Eigenen tragen die internationalen Nachrichtensatelliten, besonders das zukünftige DBS, zum umgekehrten Mechanismus bei, nämlich dem der kulturellen Überfremdung von außen. Schon jetzt ist die Dritte Welt über die traditionellen Medien wie Buch, Presse, Fernsehen und z. T. auch Rundfunk einem außerordentlich starken und einseitigen Informationsüberfluß durch die Metropolen ausgesetzt. Bereits jetzt haben die Inhalte der westlichen Massenmedien Kulturbrüche und Identitätskonflikte in der Dritten Welt begünstigt (auch wenn über den konkreten Aneignungsprozeß dieser Botschaften empirisch wenig bekannt ist). Die nun über die Nachrichtensatelliten mögliche globale Vernetzung sämtlicher Unterhaltungsmedien und ihrer Software wird die Kulturen der Dritten Welt einem noch ungleich schwereren Kulturdruck aussetzen.
Das Auslaugen von Wissen aus der Dritten Welt zusammen mit dem überschwemmen von westlichen Werten und Normen in der Dritten Welt — diese beiden Möglichkeiten der Satellitentechnologie werden die kulturellen Identitätsverluste in den Entwicklungsländern in erheblichem Maße beschleunigen und verstärken.
IV. Gegenkräfte
Es wäre illusorisch zu hoffen, daß sich an den hier beschriebenen Mechanismen der intensivierten Anbindung der Peripherien an die Metropolen qua Informationstechnblogie kurzfristig etwas ändern würde, da die Strukturgesetze der Internationalisierung des Kapitals und die Eigendynamik der technologischen Innovation dem entgegenstehen. Zeigte in den USA die Carter-Administration auf diplomatischer und verbaler Ebene gegenüber der Dritten Welt zumindest Ansätze zu einer Kompromißbereitschaft, ohne jemals grundlegende Zugeständnisse machen zu können, ist die neue Administration unter Reagan auch äußerlich auf ein scharfes Kontra gegenüber allen Forderungen nach Veränderung, nach Anfängen zur Realisierung einer Neuen Internationalen Informationsordnung, zurückgefallen. Das läßt sich beispielsweise daran ablesen, daß auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1981 lediglich die USA und Israel — gegen alle anderen Nationen — die Übernahme einer UNESCO-Resolution zur Medienpolitik ablehnten, es zeigt sich ferner in der Schärfe der Beiträge vor dem außenpolitischen Ausschuß des Repräsentantenhauses über die Medienpolitik der UNESCO oder im Verhalten der nordamerikanischen Delegation beim Treffen des Zwischenstaatlichen Rates des Internationalen Programms für die Entwicklung der Kommunikation (IPDC) in Acapulco im Januar 1982; dies alles mit der Folge, daß sich die USA zusammen mit Japan und der Bundesrepublik Deutschland bislang jeglicher direkten finanziellen Beteiligung an diesem speziellen UNESCO-Programm enthielten.
Die neue Reagan-Administration hat die anwachsende Bedeutung der peripheren Märkte für die eigene Raumfahrt-und Telekommunikationsindustrie, aber auch die wachsende Konkurrenz der Europäer deutlich erkannt. So erhielt z. B. kürzlich die US Agency for International Development den Betrag von 25 Millionen Dollar zum Aufbau von ländlichen Satellitenprogrammen in der Dritten Welt zugewiesen — ein Programm, das der Öffentlichkeit gegenüber zur Hebung des Lebensstandards in ländlichen Gebieten der Dritten Welt vorgestellt wird das in Wirklichkeit jedoch Test-und Markterschließungsfunktionen erfüllen soll Dieses ländliche Satellitenprogramm wird mit INTELSAT eng zusammenarbeiten. Die Reagan-Administration wird INTELSAT stärker noch als bisher unterstützen, da nur eine starke, zentralistisch operierende Satellitenorganisation wie INTELSAT die Gewähr dafür bieten könne, daß sich der politische Druck aus der Dritten Welt auf eine Neuverteilung von Frequenzen und Orbitpositionen nicht multipliziert
Auf ideologischer Ebene tritt die neue Administration nicht nur in verstärktem Maße für die Aufrechterhaltung des Prinzips vom „free flow of information" ein, sondern propagiert jetzt auch zusätzlich das Recht der Industrieländer auf einen ungehinderten und freien Zugriff auf die telekommunikative Infrastruktur innerhalb der Dritten Welt. Immanent gesehen, ist das nur mehr als logisch, da es bei der Informationstechnologie im wesentlichen um den ökonomischen Zugriff auf die soge-nannten Folgetechnologien geht. Auch technologisch argumentiert, ist ein derartiger Ausbau der „free flow of information'-Doktrin naheliegend. Da die zunehmende Vernetzung zwischen Tele-und Computerkommunikation eine eindeutige Trennung zwischen Informations-Input, der nach herrschender Lehre dem internationalen Rechtsprinzip des „free flow of information“ unterliegt, und der Informationsverarbeitung und dem Informations-Output, die nach herrschender Lehre dem jeweiligen nationalen Rechtssystem eines staatlichen Souveräns unterliegen, obsolet geworden sind, muß aus der Sicht der Metropolen auch der ungehinderte Zugang auf die informationeile Infrastruktur der Peripherieländer politisch und rechtlich gewährleistet sein. Nicht anders kann die folgende Empfehlung aus einem Bericht des Washingtoner Außenministeriums vom August 1981 verstanden werden: Es wird empfohlen, „das Prinzip des freien internationalen Flusses von Informationen und Ideen stärker zur Anwendung zu bringen. Das schließt die Anwendbarkeit dieses Prinzips auf die neu entstehenden Kommunikations-und Informationstechnologien ein."
Trotz dieses neuerlichen Druckes gibt es verschiedenartige Schwachstellen und Brüche in der Kette dieser Abhängigkeiten, gibt es politische Kräfte, die den hier beschriebenen Tendenzen entgegenwirken können, und die unter anderen, veränderten historischen Bedingungen zum Tragen kommen können.
1. Seitens der Dritten Welt muß als stärkste Gegenkraft auf diesem Gebiet die Politik der Blockfreien Bewegung angesehen werden, auf deren Gipfeltreffen die Themen Massenmedien und Informationstechnologie seit Anfang der siebziger Jahre eine kontinuierlich wichtiger werdende Rolle spielen. Wie heterogen auch immer diese Bewegung aussieht, so eint sie auf diesem Gebiet die Forderung nach einer Entkolonialisierung der Massenmedien und Informationstechnologie; da durch die zukünftige Satellitentechnologie die Anbindung der Peripherien an die Metropolen eher ansteigen als fallen wird, ist das gemeinsame Abwehrinteresse der Blockfreien Länder noch für lange Zeit homogen genug, um als politische Waffe wirksam sein zu können. Einzelne Länder der Dritten Welt haben es inzwischen vermocht, in Teilbereichen der Informationstechnologie eine relative Dissoziation vom Weltmarkt durchzuführen. So hat beispielsweise Algerien ein Verbot des grenzüberschreitenden Datenaustau-sches von Computer zu Computer erlassen, da es keinerlei Möglichkeit der Regulierung und Kontrolle sieht. Und in der indischen Satellitentechnologie existiert inzwischen eine relative Autonomie. Als eine der sieben Weltraumnationen kann Indien die Bodenstationen völlig selbständig bauen, die Satelliten zu 40 % und die Trägerraketen zu 70 %. Diesen relativen Dissoziationen fehlen zwar die innenpolitisch notwendigen Parallelmaßnahmen, doch ist mit der nationalen Dissoziation der erste notwendige Schritt einer Widerstandsstrategie geleistet.
2. Weiteren Einfluß können die Länder der Dritten Welt über die Strategie der Multilateralisierung in den UN-Gremien aufbauen. Auch diese Strategie wurde in den letzten Jahren relativ erfolgreich angewendet. Auf politischer Ebene muß die Dritte Welt weiterhin gegen die Doktrin des „free flow of information“ vorgehen, da dieses Prinzip die gegenwärtige Struktur der Metropol-Peripherie-Beziehungen legitimiert. Auf technologischer Ebene gilt es bei der Aufteilung von Radiofrequenzen die bei der International Telecommunication Union gültige Doktrin des „first come, first served" zu Fall zu bringen, da dieses Prinzip grundsätzlich die Interessen des technologisch fortschrittlichsten Landes begünstigt. Und auf völkerrechtlicher Ebene muß die Dritte Welt auf ihrem Rechtsanspruch des „prior consent“ beharren, also der vorherigen Zustimmung eines betroffenen Landes bei Satellitenfernerkundung oder dem Ausstrahlen von Satellitenprogrammen. Gerade die völkerrechtliche Seite für Satellitenfernerkundung oder DBS ist keinesfalls und ohne weiteres dem uneingeschränkten Prinzip des „free flow of information" zu unterwerfen, wie es die herrschende Meinung des Völkerrechts in der Bundesrepublik tut. Ansätze für ein differenzierteres Völkerrecht liegen im Internationalen Rundfunkvertrag des Völkerbundes von 1936, im Gemeinwohlaspekt des Weltraumvertrages von 1961 (und dem daraus ableitbaren Verbot einer Monopolisierung von Vorteilen aus Weltraumtätigkeiten), in der Resolution 428A der International Telecommunication Union von 1977 (Satelliten-spill-over ist nur nach vorheriger Vereinbarung mit den betroffenen Ländern zulässig) und in den Grundsätzen des internationalen Nachbarrechts.
3. Schließlich liegen weitere politische Konfliktfelder im Verhalten der EG-Staaten auf diesem Gebiet. Denn längst wurde in diesen Ländern aus ökonomischem Konkurrenzdenken gegenüber den USA erkannt, daß die ungehinderte Satelliten-und Informationstechnologie die westeuropäischen Länder in zahlreiche Abhängigkeiten von den USA treibt. Mögliche Akteure westeuropäischer Widerstandsstrategien sind die staatlichen PTTS’s, der Europarat und einzelne Nationalregierungen, die sich wie die französische oder die schwedische, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ihrer außenpolitischen Abhängigkeit immer mehr bewußt werden.
4. Die zunehmende Informatisierung der internationalen Beziehungen wird zudem den Strukturkonflikt zwischen transnationalen Unternehmen und nationalen Akteuren verschärfen. Schon jetzt sehen sich viele staatliche Akteure der Industrieländer in der mißlichen Situation, daß transnationale Konzerne über eine Qualität an Entscheidungswissen verfügen, die die der staatlichen Akteure bei weitem übersteigt. Dieser Konflikt könnte durch eine historisch ganz anders zu erklärende Tendenz verstärkt werden, nämlich durch das Anwachsen an Nationalbewußtsein in der Dritten Welt. 5. Im monetären Bereich wird die zunehmende Informatisierung der internationalen Beziehungen gegenwärtig nachhaltig durch die Rezession, die Verschuldung der Staatshaushalte sowie das im Bereich des Möglichen liegende Zusammenbrechen der internationalen Kreditwirtschaft gebremst. 6. Auch technologische und infrastrukturelle Bedingungen bremsen die totale Informatisierung nach wie vor. Eine der wesentlichen Voraussetzungen zur Penetration der Dritten Welt mittels Informationstechnologie ist bislang in vielen Fällen nur ansatzweise vorhanden, nämlich eine bereits erschlossene Infrastruktur. Ohne elektrische Versorgung, ein schwankungssicheres elektrisches Netz, ohne jederzeit funktionierende Telefonnetze — um nur einige der bekannten Alltagsrealitäten aus der Dritten Welt zu nennen —, ohne diese Infrastruktur sind informationstechnologische Systeme nur ansatzweise implementierbar. Infrastrukturell in wohl noch keiner Gesellschaft der peripheren Länder machbar ist die valide Erhebung von Individual-und Sozialdaten. Genau aber diese Validität wäre eine notwendige Voraussetzung für die automatische Datenverarbeitung. Gegenwärtig laufen alle Programme mit Bevölkerungsdaten aus der Dritten Welt Gefahr, Fehlprognosen zu erstellen. Bei Eingabe nicht-valider Daten multipliziert sich bei komplexen Rechen-31 Vorgängen die Fehlerintensität um ein Vielfaches. Wegen dieser mangelnden Infrastruktur wird sich der extrem ungleiche Zugang zur Informationstechnologie innerhalb der Dritten Welt langfristig möglicherweise als ihre subtilste Abwehrkraft entwickeln. Die Zentralisierungstendenzen der neuen Technologien geben der marginalisierten Bevölkerung vielleicht genügend Zeit und Raum, sich auf eigene, autochthone Abwehrkräfte zu besinnen und sie organisatorisch zu gestalten. 7. Weitere Schwierigkeiten könnten sich aus spezifischen Systemcharakteristika informationstechnologischer Großsysteme ergeben, die auf die dieser Technologie innewohnenden Momente von Herrschaft verweisen und sich unter Umständen einer menschlichen Steuerungsfähigkeit entziehen; derartige Fragestellungen wurden etwa von Joseph Weizenbaum angeschnitten Joseph Weizenbaum arbeitet am Massachusetts Institute of Technology und ist einer der ganz wenigen Computerspezialisten — nicht Sozialwissenschaftler! —, der seit langer Zeit die sozialen Auswirkungen der Informationstechnologie auf Individuum und Gesellschaft analysiert. Diese von ihm beschriebenen Auswirkungen, die man auch „ Weizenbaum-Effekte" nennen könnte, stellen sich noch viel grundsätzlicher als bei der problematischen Eingabe nichtvalider Bevölkerungsdaten aus der Dritten Welt in Rechnerprogramme. Auch in den Industrieländern werden permanent Prognosen auf der Grundlage nicht-valider Daten erstellt. Bedenkt man beispielsweise, daß sich umfangreiche Forschungsteams ausschließlich theoretisch damit befassen, wie bestimmte, volkswirtschaftlich relevante Indices abgeleitet werden müssen, und sich eine Vielfalt theoretischer Schulen untereinander streitet, ist kaum noch ein verläßliches Kriterium dafür gegeben, welche Daten eingegeben werden sollen, welche nicht Weizenbaum sieht noch ein weiteres Problem: Die bestehenden Datenverarbeitungsanlagen existieren im günstigsten Falle erst seit zwanzig Jahren, so daß sich die Langzeiteffekte in der Kumulierung nicht-valider Daten noch kaum bemerkbar machen konnten. Nach Weizenbaum könnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kumulierung von sogenannten „dirty dates" derart gravierende Fehlprognosen produziert, daß Planungsfehler in Wirtschaft und Bürokratie so große Ausmaße angenommen haben werden, daß sie für jedermann sichtbar sind.
Jörg Becker, Dr. phiL geb. 1946; Politik-und Kommunikationswissenschaftler in Frankfurt und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Marburg; Kuratoriumsvorsitzender des Instituts für Qualitative Medienforschung und Urbanistik e. V. (München); Mitglied des Editorial Board der Buchreihe „Communication and Information Science" (Norwood, USA), Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift „Transnational Data Report" (Amsterdam, Niederlande). Veröffentlichungen u. a.: Alltäglicher Rassismus, Frankfurt und New York 1977; Die Dritte Welt im Kinderbuch (hrsg. mit Rosmarie Rauter), Wiesbaden 1978; Individuelle Informationsstrategien im Bereich der Fachkommunikation (zus. mit B. Mettler-Meibom, J. Matheisen, I. Sommer-Becker), Bonn: BMFT 1980; Afrikanische Literatur in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, München 1981; LEurope et le Tiers-Monde dans la Bataille de Information, in: Le Monde Diplomatique, Janvier 1982; Communication and Peace, in: Journal of Peace Research, 3/1982; Information Technology and a New International Order (Hrsg.), Amsterdam und Lund 1982 (im Erscheinen).
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