I. Terminologische Vorklärungen
Obwohl die Bewegung der Blockfreien 1981 auf ihr 20jähriges Bestehen zurückblicken konnte, bereitet es nicht nur der Völker-rechts-, sondern auch der Politikwissenschaft immer noch erhebliche Schwierigkeiten, mit dem Phänomen Blockfreiheit fertig zu werden, für das in der politischen Theorie und Praxis zahlreiche Termini verwandt werden. Im englischen Sprachgebrauch hat sich weitgehend die Bezeichnung „Non-Alignment" durchgesetzt; außerdem werden die Termini „Non-Commitment", „Non-Involvement", „NonCommitted World“ und „Non-Adherence to Blocs" verwandt. Mit Ausnahme der Formel „Non-Adherence to Blocs" haben die anderen Bezeichnungen den Vorteil, daß sie wesentliche Zielsetzungen der betroffenen Staaten-gruppe zu erfassen vermögen. Die Termini „Non-Alignment“, „Non-Commitment" und „Non-Involvement" bedeuten Nicht-Orientie-rung, Nicht-Ausrichtung, Nicht-Anlehnung, Nicht-Verpflichtung und Ungebundenheit. Während sich der französische Sprachgebrauch eng an das englische „Vorbild" hält und die Termini „non-alignement" und „mouvement des non-aligns" benutzt, werden im deutschsprachigen Raum die Bezeichnungen „Nichtgebundenheit", „Ungebundenheit", . Bündnisfreiheit", „Allianzfreiheit", „Paktfreiheit" und „Nichtpaktgebundenheit" gebraucht. Durchgesetzt hat sich jedoch inzwischen — das gilt auch für Österreich und die Schweiz — der Terminus „Blockfreiheit". Nur die DDR weicht von dieser Terminologie insoweit ab, als sie die Bezeichnungen „Nichtpaktgebundenheit" und „Bewegung der Nichtpaktgebundenen" bevorzugt.
Da die Bewegung der Blockfreien auch politische und ökonomische Ziele verfolgt, die weder mit „Non-Alignment" noch mit „Blockfreiheit“ etwas zu tun haben, vermögen beide Bezeichnungen der Entwicklung und den Zielsetzungen dieser Staatengruppe nicht gerecht zu werden. Bisher haben jedoch die betroffenen Staaten selbst keine Formel anzubieten vermocht, die den von der Blockfreien-Bewegung in Anspruch genommenen Funktionen und verfolgten Intentionen gerecht würde. Auch der Terminus „Dritte Welt" führt nicht " eiter. Er hat „eher eine kulturelle Bedeutung a s eine diplomatische. Er deckt den Teil der Menschheit ab, die außerhalb der beiden Blöcke steht. Aber es gibt westeuropäische Länder (Schweiz, Schweden), die nicht zum Westblock gehören, aber trotzdem nicht zur Dritten Welt.“
Auch wenn die Mitglieder der Blockfreien-Bewegung überwiegend „Entwicklungsländer" sind, legen zumindest die Repräsentanten dieser Staatengruppe, die um terminologische Klarheit bemüht sind, Wert auf die Feststellung, die blockfreien Staaten seien „nicht einfach . neue'Länder, noch sind sie nur . Entwicklungsländer'. Es handelt sich vielmehr um Länder, die in einer schon geschaffenen Welt, einer vor allem von den Großmächten geschaffenen Welt, in Erscheinung getreten sind.“
Angesichts des Anwachsens der Blockfreien-Bewegung auf inzwischen 101 Mitglieder und der heterogen zusammengesetzten Staaten-gruppe, der in den letzten Jahren verstärkten Differenzierung und Polarisierung und mehrerer, teilweise gravierender Regionalkonflikte sowie der inneren Instabilität und ökonomischen Schwierigkeiten zahlreicher Mitgliedsländer ist die Problematik der Blockfreiheit immer vielschichtiger geworden. Die folgende Analyse beschränkt sich auf einige zentrale sowohl völkerrechtlich als auch politikwissenschaftlich relevante Aspekte der Blockfreien-Bewegung. Es geht einmal darum, die Forschungsansätze und die Ursprünge und Entwicklung der Termini „Ungebundenheit“ und „Blockfreiheit" zu untersuchen. Anschließend wird die Frage geprüft, inwieweit der Terminus „Blockfreiheit“ mit dem herkömmlichen Instrumentarium des Völker-rechts und der Politikwissenschaft zu erfassen ist. Beide Disziplinen arbeiten seit langem mit den Begriffen „Neutralität" und „Neutralismus". Namhafte Autoren halten nach wie vor den Begriff „Neutralismus" mit den Bezeichnungen „Non-Alignment" und „Blockfreiheit" für zumindest weitgehend identisch. Es ist vornehmlich das Verdienst mehrerer Schwei-zer und österreichischer Völkerrechtler und Politikwissenschaftler, in den letzten Jahren einige sehr differenzierte Studien über diese Problematik vorgelegt zu haben, die im Schrifttum zur Blockfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland nur unzureichend herangezogen und ausgewertet worden sind.
II. Die Problematik der Forschungsansätze
Das Phänomen der „Ungebundenheit“ und „Blockfreiheit“ sowie die Bewegung der Blockfreien wurden lange Zeit von Politik, Publizistik und Wissenschaft der westlichen Welt vernachlässigt. Während die Politik die Blockfreien „allenfalls als einen ziemlich unbedeutenden, wenngleich auch manchmal lästigen Irritationsfaktor der internationalen Beziehungen" wahrnahm, berichtete die Publizistik, „sofern sie sich des Themas überhaupt annahm, überwiegend polemisch und verzerrend über die Bewegung...: Kaum jemals wurde das Phänomen der Blockfreiheit systematisch in das Studium Internationaler Beziehungen einbezogen, und auch die Friedensforschung ignorierte Blockfreiheit als einen möglichen Gegenstand ihres Interesses."
Auch wenn sich an dieser Situation in den letzten Jahren einiges positiv geändert hat und die Blockfreien-Bewegung „mittlerweile sowohl von der Politik als auch von der Forschung als ein relevanter und respektabler Faktor der internationalen Beziehungen erkannt und anerkannt worden ist“ kann der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Blockfreiheit immer noch nicht befriedigen.
Blockfreiheit kann „als ein System von Ideen bzw. als Ideologie, als außenpolitische Orientierung eines Staates und als eine kollektive, internationale Bewegung von Staaten" thematisiert werden. Eine Prüfung des westlichen Schrifttums über diese Problematik ergibt in der Tat, daß es mit dem Terminus „Blockfreiheit? vornehmlich oder gar ausschließlich außenpolitische Aspekte verbindet. Diese Thematisierung entspricht auch den 1961 entwickelten fünf Kriterien, die ein
Land aufweisen soll, um Mitglied der Bewegung werden zu können. Bezieht man jedoch das umfangreiche, in der UdSSR (und auch in der DDR) zur „Nichtgebundenheit" vorliegende Schrifttum in die Betrachtung ein dann muß der Fragenhorizont um eine wesentliche Dimension erweitert werden — nämlich die innerstaatliche. Für sowjetische Autoren — vom DDR-Schrifttum darin vorbehaltlos unterstützt — ist die außenpolitische Orientierung blockfreier Staaten mit deren innerstaatlichen Entwicklung engstens verknüpft. Diese Tendenz hat sich noch wesentlich verstärkt, seitdem sich die UdSSR auf die prosowjetische Fraktion in der Blockfreien-Bewegung mit Kuba an der Spitze verlassen kann und sich der Kreis sozialistischer Länder in der Bewegung erweitert hat Obwohl es nicht einfach ist, Blockfreiheit mit den von der Theorie der Internationalen Be- Ziehungen erarbeiteten Kriterien zu untersuchen, ist es vor allem das Verdienst des englischen Politologen Peter Willetts und des Ägypters Bahgat Korany, den Versuch unternommen zu haben, die Problematik des „NonAlignment" systematisch und empirisch zu analysieren. Dennoch erscheint der Untertitel von Willets’ Monographie: The Origins of a Third World Alliance etwas zu hoch gegriffen, wenngleich er eine Fülle wichtigen Materials verarbeitet hat. Bahgat Korany legte wohl die bisher ambitionierteste Studie vor, indem er anhand der von der Lehre der Internationalen Beziehungen erarbeiteten Theorien und Theorieansätze zahlreiche Aspekte der Blockfreiheit behandelt. Zweifelhaft jedoch ist, ob man wirklich schon von der Entwicklung zu einer Theorie außenpolitischer Entscheidungsprozesse der Blockfreien-Bewegung sprechen kann
Ein Studium der Problematik der „Ungebundenheit" ist unter völkerrechtlichen und auch politikwissenschaftlichen Aspekten nur sinnvoll, wenn man sich mit dem Selbstverständnis der zumindest wichtigsten zur Bewegung der Blockfreien gehörenden Staaten vertraut macht. Die wichtigste Arbeit aus diesem Bereich bildet nach wie vor die umfangreiche Monographie von Leo Mates, dem ehemaligen Sekretär der 1. Konferenz der Staats-und Regierungschefs blockfreier Länder in Belgrad und langjährigen Direktor des bekannten Belgrader Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft Gerade weil die Arbeit neben den persönlichen Erfahrungen „zugleich als eine Art von quasi-offizieller jugoslawischer Sicht der Dinge angesehen werden kann gewinnt sie besonderes Gewicht. Mates hat vor allem die Ursprünge der Blockfreien-Bewegung gut herausgearbeitet. Es ist gerade das Verdienst jugoslawischer Völkerrechtler und Politikwissenschaftler, in den vergangenen Jahren immer wieder und auch kritisch zu bestimmten Vorgängen in der Bewegung der Blockfreien Stellung bezogen zu haben
Auch wenn in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren zahlreiche Aufsätze über Einzelaspekte der Blockfreiheit erschienen sind liegen nur wenige monographische Darstellungen vor Auffällig ist, wie sehr die Forschung hier ihr Augenmerk auf die Bewegung der Blockfreien gerichtet hat Volker Matthies bemerkt dazu, daß in der Essenz sich die Bewegung der Blockfreien als „eine komplexe, vieldimensionale und multifunktionale Emanzipationsbewegung von Ländern bezeichnen lasse, die nicht nur Objekte, sondern auch Subjekte der internationalen Beziehungen sein wollten: Es waren allesamt Staaten, die entweder aufgrund ihrer erst frisch erlangten völkerrechtlichen Souveränität, ihrer militärischen Schwäche, ihrer politischen Instabilität oder ihrer sozio-ökonomischen Unterentwicklung innerhalb der Rangordnung des stratifizierten und bipolarisierten internationalen Systems gewissermaßen die . underdogs'darstellten."
In Übereinstimmung mit den Forschungsergebnissen von Peter Willetts kennzeichnet Matthies die Blockfreien-Bewegung als einen lockeren Mehrzweckverband, der für seine Mitglieder, wenn auch in unterschiedlichen Phasen und mit unterschiedlicher Intensität, drei wesentliche Bedeutungsinhalte hatte. Sie war demnach zugleich eine — Solidaritäts-und Protestbewegung ehemals kolonisierter Länder gegen Kolonialismus, Neo-Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus sowie gegen alle Formen von Fremdherrschaft und Fremdbestimmung, — eine Defensivbewegung von militärisch schwachen und politisch in ihrer Existenz und Unabhängigkeit gefährdeten Ländern zur Reduzierung der politisch-militärischen Spannungen im Kontext des Ost-West-Konflikts, — und eine Bewegung sozio-ökonomisch unterentwickelter und abhängiger Länder zur Reform des Weltwirtschaftssystems bzw. eine Interessengruppe dieser Länder zur Erlangung ökonomischer Vorteile im Rahmen des Nord-Süd-Konflikts
Prüft man die zahlreichen Dokumente, die die Bewegung der Blockfreien seit ihrer Konstituierung 1961 anläßlich der Gipfelkonferenzen und der Treffen der Außenminister veröffentlicht hat, dann darf man Matthies bescheinigen, zentrale Aspekte dieser Staatengruppe verdeutlicht zu haben.
Die Thematisierung zeigt, daß weder der Terminus „Ungebundenheit" noch die Bezeichnung „Blockfreiheit" der Stellung und den Intentionen dieser Staatengruppe in den internationalen Beziehungen gerecht zu werden vermag. Auch wenn die in der Bundesrepublik Deutschland verfaßten Arbeiten über die Entstehung und Entwicklung sowie die Probleme und Perspektiven der Blockfreien-Bewegung und zum Teil auch über die Einschätzung der „Ungebundenheit" vor allem durch die beiden Supermächte USA und UdSSR informieren, fällt zweierlei auf: Einmal wird die völkerrechtliche Problematik überhaupt nicht oder nur sehr knapp behandelt und nur selten gefragt, ob die Termini „Blockfreiheit" und „Neutralismus" identisch sind oder unterschiedlich interpretiert werden müssen. Zum anderen vermißt man bei den bisher vorliegenden Studien, daß ihre Autoren die vornehmlich in der Schweiz und Österreich erarbeiteten politikwissenschaftlichen Fragestellungen gar nicht oder nur unzureichend herangezogen haben. Auch eine Prüfung der deutschen Lehrbücher zum Völkerrecht ergibt, daß in ihren Sachregistern das Stichwort „Blockfreiheit" oder die anderen dafür verwandten Bezeichnungen zumeist nicht aufgeführt werden. Hingegen wird in mehreren seit Ende der fünfziger Jahre erschienenen Darstellungen des Völkerrechts das Stichwort „Bandung-Konferenz" vom April 1955 also lediglich eine Zwischenetappe auf dem Weg zur Formierung der Blockfreien-Bewegung, vermerkt. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die von Friedrich Berber verfaßte zweite, neu bearbeitete Auflage seines „Lehrbuches des Völkerrechts" aus dem Jahre 1975. Bei der Abgrenzung der verschiedenen Fälle der „dauernden Neutralisierung" spricht er „von der politischen Entschlossenheit eines Staates", sich in einer Zeit politischer Spannungen nicht dem einen oder anderen der sich feindlich gegenüberstehenden Militärbündnis-blocks anzuschließen, sondern die Freiheit seiner außenpolitischen Entschließungen zu bewahren (sog. blockfreie Staaten)" Auch wenn die Termini „Neutralismus" und „Blockfreiheit" — im Gegensatz zum Begriff „Neutralität" — eine spezifische, vornehmlich außenpolitische Haltung bezeichnen und nicht im Völkerrecht verankert sind, ist zumindest auch aus völkerrechtlicher Sicht die Frage zu prüfen, wie der Begriff „Neutralität“ von der politischen Maxime der „Blockfreiheit" abzugrenzen ist. Daß dazu und zu der vor allem politikwissenschaftlich relevanten Frage nach dem Verhältnis des Begriffs „Neutralismus" gegenüber dem Terminus „Blockfreiheit" und den anderen dafür benutzten Bezeichnungen in der Schweiz und Österreich wegweisende Analysen verfaßt worden sind, ist insofern verständlich, als beide Staaten den Status der Ständigen Neutralität innehaben. Hinzu kommt, daß Österreich und die Schweiz als „Gäste" an den Konferenzen der Blockfreien-Bewegung teilnehmen.
III. Ursprünge und Entwicklung des Terminus „Blockfreiheit"
Bevor die völkerrechtlich und politikwissenschaftlich relevanten Fragen beantwortet werden können, ist es notwendig, die Ursprünge und Entwicklung der Termini „Ungebundenheit" und „Blockfreiheit” aufzuzeigen und dabei auch das Selbstverständnis der Staatengruppe zu berücksichtigen, die sich 1961 unter diesem Namen formiert hat. Dabei gilt es, drei Phasen voneinander zu unterscheiden. Während sich die erste Phase von 1945 bis 1955 erstreckt, bildet die Afro-Asiatisehe Konferenz von Bandung im April 1955 eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg zum organisatorischen Zusammenschluß der blockfreien Staaten. Die dritte Phase beginnt mit der Formierung der Blockfreien-Bewegung im Sommer 1961. 1. Die Voraussetzungen für Blockfreiheit (1945— 1955)
Die Proklamierung einer Politik der „Ungebundenheit" und „Blockfreiheit" sowie die spätere Formierung der Blockfreien-Bewegung setzten zunächst einmal die Existenz von Staaten voraus, die ihre Außenpolitik unter dieser Maxime zu führen gedachten. Sieht man von Jugoslawien, der Mehrzahl der mittel-und südamerikanischen Staaten sowie einigen Ländern in Afrika und im asiatischen Raum ab, die bereits 1945 den Vereinten Nationen (UNO) beigetreten sind, dann rekrutiert sich die Staatengruppe, die sich zu einer Politik der Blockfreiheit bekannte, vornehmlich aus Ländern, die erst in die Selbständigkeit und Unabhängigkeit entlassen werden mußten.
Man muß sich die Faktoren vergegenwärtigen, die nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs 1945 das internationale System bestimmen. Auszugehen ist dabei von der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, in der sich die Weltorganisation unter anderem das Ziel gesetzt hat, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen". In einem eigenen Kapitel der •NO-Charta, das „Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung" überschrieben ist, bekennen sich die Mitglieder der Vereinten Nationen, die die Verantwortung für die Ver-
waltung von Hoheitsgebieten haben oder übernehmen, deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben, zu dem Grundsatz, daß die Interessen der Einwohner dieser Hoheitsgebiete Vorrang haben. So haben sich in Artikel 73 der UNO-Charta diese Staaten verpflichtet, „die Selbstregierung zu entwickeln, die politischen Bestrebungen dieser Völker gebührend zu berücksichtigen und sie bei der fortschreitenden Entwicklung ihrer freien politischen Einrichtungen zu unterstützen, und zwar je nach den besonderen Verhältnissen jedes Hoheitsgebietes, seiner Bevölkerung und deren jeweiliger Entwicklungsstufe". Die Vereinten Nationen sahen eine ihrer Hauptaufgaben darin, den Völkern in Asien, Afrika und Lateinamerika, denen bis dahin die Selbstregierung noch nicht zugestanden worden war, zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu verhelfen. Die starke Zunahme der Mitglieder der Weltorganisation ist vornehmlich auf den in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre eingeleiteten Prozeß der De-oder Entkolonialisierung zurückzuführen. Den ersten großen Schritt hierzu leitete die britische Kolonialmacht bereits 1947 ein, als sie sich aus dem indischen Subkontinent zurückzog und damit die Voraussetzungen schuf, mehrere unabhängige Staaten — Indien, Pakistan, Ceylon und Burma — zu errichten. Die anderen europäischen Kolonialmächte folgten dem britischen Beispiel. Inzwischen ist der Prozeß der Entkolonialisierung weitgehend, wenn auch noch nicht vollständig abgeschlossen
Ein großer Teil der in die Unabhängigkeit entlassenen Länder lehnte es von vornherein ab, sich in den sich gleichfalls in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre herausbildenden Ost-West-Gegensatz, auch als Kalter Krieg bezeichnet, hineinziehen zu lassen. Die Staatsführungen zahlreicher zuvor abhängiger Länder, die nun die Selbständigkeit erlangt hatten, legten größten Wert darauf, nicht mit der Konfrontation der beiden Groß-*mächte USA und Sowjetunion belastet und in das von ihnen jeweils errichtete Bündnissystem einbezogen zu werden
In westlichen Analysen wird meist zu wenig beachtet, daß mehrere sowohl unter völkerrechtlichen als auch unter politikwissenschaftlichen Aspekten wichtige Elemente der späteren Politik der Blockfreien bereits in dem Gemeinsamen Kommuniqu formuliert worden sind, das am 22. Dezember 1954 über die Besprechungen zwischen Staatspräsident Tito und Premierminister Nehru in Neu-Delhi veröffentlicht worden ist. Darin heißt es, „daß die Politik des Nichtbeitritts zu Blocks, die ihre Regierungen angenommen haben und durchführen, keine . Neutralität'und keinen . Neutralismus 1, ebensowenig also eine Passivität darstellen, wie manchmal behauptet wird, sondern eine aktive, positive und konstruktive Politik, die einen Kollektiv-frieden erstrebt, auf den allein sich alle kollektive Sicherheit gründen kann". Beide Staatsmänner „verwerfen ... die falsche Auffassung, die in gewissen Kreisen über einen . dritten Block'oder eine . dritte Kraft'der Länder, die keinen Blocks angehören, herrscht. Dies ist ein Widerspruch in sich, denn ein solcher Block würde sie gerade in das Blocksystem hineinziehen, das sie für unerwünscht halten."
Tito und Nehru, die später bei der politischen und organisatorischen Zusammenfassung der blockfreien Staaten eine Schlüsselrolle einnahmen, haben sich somit mehrere Jahre zuvor bereits auf wichtige Prinzipien geeinigt, die ab 1961 die Politik der Blockfreien-Bewegung bestimmen sollten. In einem zentralen Punkt gingen sie sogar über die Kriterien hinaus, nach denen 1961 und später zu den Konferenzen der Blockfreien eingeladen worden ist. Während Nehru und Tito am 22. Dezember 1954 die „Politik des Nichtbeitritts zu Blöcken" propagierten, darf ein Land, das zur Bewegung der Blockfreien gehören möchte, nicht Mitglied eines multilateralen militärisehen Bündnisses sein, das im Kontext des Konflikts zwischen den Großmächten geschlossen wurde; die gleiche Regelung traf man — worauf noch zurückzukommen sein wird — für die Mitgliedschaft in einer bilateralen Militärallianz.
Festzuhalten gilt darüber hinaus, daß die Staatsmänner Indiens und Jugoslawiens schon Ende 1954 proklamierten, daß ihre Politik nicht mit den Attributen „Neutralität" und „Neutralismus” versehen werden dürfe. Hier wird — soweit ersichtlich — zum erstenmal in einem diplomatischen Dokument zwischen „Blockfreiheit" und der politischen Maxime des „Neutralismus" differenziert Nehru und Tito waren sich bereits damals darüber einig, daß es nicht darum gehen könne, einen „dritten Block" oder eine „dritte Kraft" blockfreier Länder zu schaffen.
Es ist zumindest pikant, daß man sich unter den „Nichtgebundenen" darüber streitet, wer unter den Repräsentanten asiatischer Länder oder Jugoslawiens den entscheidenden Anteil an der Formierung der Blockfreien-Bewegung hat. Diesbezüglich sei es charakteristisch für die Bewegung der blockfreien Länder, „daß ihre Ursprünge, insbesondere die Frage umstritten sind, inwieweit es der asiatische — anti-kolonialistische — Neutralismus der späteren vierziger Jahre und die daraus entstandene Afro-Asiatische Bewegung oder erst der spezifisch jugoslawische Beitrag waren, die als das ausschlaggebende Moment für die weitere Entwicklung der Gruppe betrachtet werden können. Zweifellos war es jedoch die 1961 in Belgrad abgehaltene Konferenz, die eindeutig und unmißverständlich den Begriff der Blockfreiheit als gemeinsamen Nenner — und daher vom , Afro-Asiatismus'verschieden — hervorbrachte." 2. Die Konferenz von Bandung (April 1955)
Eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zur Formierung der Blockfreien-Bewegung bildete die Konferenz von Bandung im April 1955, an der 340 Delegierte aus 23 Ländern Asiens und sechs Ländern Afrikas teilnahmen. Von den dort vertretenen 29 Staaten war mehr als die Hälfte prowestlich eingestellt, und nur zwölf konnten das Attribut in Anspruch nehmen, keinen Militärallianzen anzugehören Die dort verabschiedeten politischen Entschließungen beeinflußten maßgeblich die sich gut sechs Jahre später konstituierende Blockfreien-Bewegung. Mit den von der Konferenz in Bandung gebilligten „Zehn politischen Grundsätzen" wurden die „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz" weiterentwickelt, die erstmals in dem am 29. April 1954 zwischen der Volksrepublik China und Indien über Tibet geschlossenen Abkommen formuliert worden waren und unter dem Namen „Pancha Shila" in die Geschichte der Blockfreien-Bewegung eingegangen sind. Sie lauten:
1. Gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität;
2. Verzicht auf Angriffshandlungen;
3. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder;
4. Gleichberechtigung und gegenseitige Unterstützung; 5. Friedliche Koexistenz
Während auch die Charta der Vereinten Nationen auf der Mehrzahl dieser Grundsätze basiert, überraschte die Verankerung des Prinzips der „friedlichen Koexistenz" in einem zwischenstaatlichen Dokument. Auch wenn die „Pancha Shila" die „fünf Prinzipien" nicht spezifiziert und die Teilnahme an zwei-oder mehrseitigen Militärallianzen nicht ausgeschlossen hat, bauten auf ihr die in Bandung proklamierten „Zehn Prinzipien" der friedlichen Koexistenz auf, die nicht nur die weitere außenpolitische Entwicklung zahlreicher blockfreier Länder, sondern auch die in den Regierungen einzelner „ungebundener" Staaten vorhandenen Tendenzen förderten und »mit der Gründung einer Bewegung der blockfreien Staaten einen ernst zu nehmenden neuen Faktor in die Weltpolitik einzuführen. Inhaltlich nahm die Bandung-Konferenz die Formulierung wichtiger Grundsätze, politi-scher Zielsetzungen und Forderungen der Blockfreien-Bewegung voraus."
Die in Bandung verabschiedeten „Zehn Prinzipien“ wiederholten und konkretisierten die in der „Pancha Shila" verankerten Grundsätze
Darüber hinaus enthielten sie einige Prinzipien, die später bei der Formierung der Blockfreien-Bewegung noch eine zentrale Rolle spielen sollten: Anerkennung der Gleichheit aller Nationen, ob klein oder groß, Achtung vor dem Recht jeder Nation, sich allein oder kollektiv in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen zu verteidigen und „Verzicht auf Vereinbarungen über kollektive Verteidigung, die den besonderen Interessen einer der Großmächte dienen". Schließlich erklärte die Bandung-Konferenz, der Kolonialismus sei „in all seinen Formen ein Übel", das „so schnell wie möglich ausgerottet werden muß“
Neu und für die spätere organisatorische Zusammenfassung der blockfreien Staaten war der in Bandung formulierte Grundsatz, sich nicht an multilateralen Verteidigungspakten zu beteiligen, die einer Großmacht dienen.
Dies zeigt das Bemühen der asiatischen und afrikanischen Staaten, „sich aus den politischen Auseinandersetzungen der industrialisierten Länder herauszuhalten, denen sie mit Mißtrauen begegnen (Blockfreiheit, non alignment) ” Auf dieses wichtige Faktum ist nur in wenigen Lehrbüchern des Völkerrechts, die die Bandung-Konferenz erwähnen, hingewiesen worden Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Konferenz von Bandung „als Zwischenstation auf dem Weg zur politischen und organisatorischen Zusammenfassung der blockfreien Staaten" eine besondere Bedeutung" erlangt hat. Nachdem sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Trennung zwischen blockfreien und blockgebundenen Ländern vertieft hatte und mehrere blockfreie Staaten nicht mehr bereit waren, an einer gemeinsamen Konferenz mit blockgebundenen Ländern — wie der Türkei, Pakistan, Japan und der Volksrepublik China — teilzunehmen, fand ein „zweites Bandung” nicht mehr statt. Die außenpolitischen Interessen und Ziele der Teilnehmer der Bandung-Konferenz waren zu heterogen, um zu überdauern: „Einigende Formel wurde anstelle des . Geistes von Bandung'das Non-Alignment — der kleinste gemeinsame Nenner dieser bunt zusammengewürfelten Staatengruppe."
Während auf der Konferenz von Bandung sowohl Repräsentanten von Staaten, die Militär-allianzen angehörten, als auch von Staaten, die jegliche Bindung an Verteidigungsbündnisse strikt ablehnten, vertreten waren, zeigte sich im Verlauf der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre bei den Staatsmännern einer einflußreichen blockfreien Staatengruppe immer mehr die Tendenz, diesen Kreis von Ländern organisatorisch zusammenzuführen. Zu den bekanntesten Repräsentanten gehörten der indische Ministerpräsident Nehru, der Präsident Jugoslawiens, Marschall Tito, und der Präsident der Vereinigten Arabischen Republik, Nasser.
Es ging darum, den „engen regionalen Rahmen“ der Bandung-Konferenz zu sprengen und die dort vertretenen Blockfreien und Jugoslawien, dessen außenpolitische Haltung weitgehend mit der der Blockfreien von Bandung übereinstimmte zusammenzuführen. Als im Juli 1956 Tito, Nasser und Nehru zu einem Gipfeltreffen in Brioni zusammentrafen, bekräftigten sie in ihrem gemeinsamen Kommuniquö die in Bandung formulierten „Zehn Prinzipien", wandten sich gegen die „Teilung der heutigen Welt" in „mächtige Blöcke" und setzten sich für die „Beendigung der Vormachtstellung der einen Macht über eine andere ein" Jugoslawische Autoren legen besonderen Wert auf die Feststellung, ii der Erklärung von Brioni seien „die wichtig sten dauerhaftesten Komponenten der politi sehen Ausrichtung der Politik der Nichtpaktgebundenheit und der Bewegung der Nichtpaktgebundenheit bereits beinhaltet, neben jenen, die sich im Dokument von Bandung befinden..." In dem gesonderten Kommu niqu über den Besuch Präsident Nassers in Jugoslawien wurde ausdrücklich die Formel „Nicht-Zugehörigkeit zu Blöcken" (non-adherence to blocs) verwandt
Nachdem bei einem Treffen Nehrus, Titos, Nassers, Sukarnos und Nkrumahs im September 1960 in der jugoslawischen Mission in New York die Beziehungen zwischen wichtigen Repräsentanten blockfreier Länder gefestigt worden waren und in den folgenden Monaten enge Kontakte zwischen einer großen Zahl von Staatsmännern blockfreier Staaten hergestellt wurden waren die Voraussetzungen für einen organisatorischen Zusammenschluß dieser Staaten gegeben. 3. Die Formierung der Blockfreien-Bewegung (1961)
Im Juni 1961 trafen die Außenminister und andere Repräsentanten von 21 Staaten in Kairo zusammen, um über Aufgaben, Ziele und die Tagesordnung der ersten Konferenz blockfreier Staaten zu beraten. In Kairo wurden fünf Kriterien formuliert, die ein blockfreies Land aufweisen muß. Diese Kriterien lauten:
1. Das Land soll eine unabhängige, auf der Koexistenz von Staaten mit verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Systemen und auf Nichtpaktgebundenheit begründete Politik betreiben oder eine Tendenz zur Durchführung einer solchen Politik aufzeigen;
2. das Land soll dauerhaft die nationalen Befreiungsbewegungen unterstützen;
3. das Land darf nicht Mitglied eines multilateralen militärischen Bündnisses sein, das im Kontext des Konflikts zwischen den Großmächten geschlossen wurde;
4. falls das Land ein bilaterales militärisches Bündnis mit einer Großmacht geschlossen hat oder Mitglied eines regionalen Verteidigungspaktes ist, darf dieses Bündnis oder dieser Pakt nicht ausdrücklich im Kontext des Konflikts der Großmächte geschlossen sein;
5. falls das Land einer fremden Macht die Benutzung von militärischen Stützpunkten gewährt hat, darf diese Konzession nicht in den Kontext des Konflikts zwischen den Großmächten einbezogen sein
Diese fünf Kriterien waren maßgebend für die Einladungen zur 1. Konferenz der Staats-und Regierungschefs blockfreier Staaten vom l. bis zum 6. September 1961 in Belgrad -Auch wenn in den folgenden Jahren die in Kairo entwickelten fünf Kriterien flexibel — „einmal elastischer, ein anderes Mal restriktiver" — angewandt wurden, bilden sie, zumindest nach Ansicht der Betroffenen, bis heute die Grundregeln, nach denen die Bewegung der Blockfreien zu den Gipfelkonferenzen und den Konferenzen der Außenminister einlädt. In besonders prononcierter Weise sah sich das 6. Gipfeltreffen der Blockfreien-Bewegung im September 1979 in Havanna veranlaßt, die Prinzipien und Ziele zu bekräftigen, die 1961 vereinbart worden waren
In seiner 1972 erschienenen Studie „Nonalignment" betont Leo Mates, daß die 1961 in Kairo und Belgrad unternommenen Versuche, das „Konzept des Nonalignment" zu definieren, nicht zu einer dauernden Ubereinstimmung geführt hätten — „und das Problem stellte sich immer wieder von neuem". Man habe, so Mates, niemals endgültig festgelegt, welche Länder zur Bewegung gehörten. Eine genaue Definition, die automatisch in jedem einzelnen Fall hätte verwandt werden können, habe man nicht ausgearbeitet. Man akzeptierte, daß es besser sei, wenn „es keine formalisierte und ein für allemal gültige, voll entwickelte Definition gebe. Jede strenge Formel würde nur zu politischen Komplikationen führen und daher nicht nützlich sein.“
Die bereits 1961 entwickelten und bis heute gültigen fünf Kriterien der Nichtgebundenheit sind nach wie vor die authentischen Prinzipien der Blockfreiheit Die Gründerstaaten der Blockfreien-Bewegung haben 1961 die fünf Kriterien für die Aufnahme in die Bewegung bewußt so formuliert, daß sie flexibel und pragmatisch angewandt werden konnten. Auch wenn diese Grundsätze von Anfang an unterschiedlich interpretiert worden sind, haben sie nie den Zusammenhalt dieser Staatengruppe in Frage gestellt In eine kritische Phase trat die Blockfreien-Bewegung erst im Laufe der siebziger Jahre, als die Auseinandersetzungen um das Selbstverständnis von „Ungebundenheit" eine neue Dimension annahmen. Den Kernpunkt des Streites bildet dabei die Frage, welchen Grad von Distanz die Blockfreien-Bewegung zu den „Blöcken“ in Ost und West einnehmen soll. Während die prosowjetische Fraktion in der Bewegung die „Theorie vom natürlichen Bündnis“ der Blockfreien mit der Sowjetunion und der „sozialistischen Gemeinschaft" verficht, vertreten die Anhänger der „Theorie von der Äquidistanz" die Ansicht, das grundlegende Prinzip der Blockfreiheit sei der „gleiche Abstand zum einen wie zum anderen Block". Die unterschiedlichen Interpretationen beziehen sich auf alle fünf Prinzipien der Blockfreiheit und tangieren damit entscheidend das Selbstverständnis der Bewegung. Eine Darstellung der unterschiedlichen Auslegung der „authentischen Prinzipien der Blockfreiheit" vermag auch die Frage zu beantworten, ob „Blockfreiheit" als ein neuer „Begriff" ds Völkerrechts zu werten ist.
IV. „Blockfreiheit" — ein neuer „Begriff" des Völkerrechts?
Daß zwischen dem Status neutraler und nichtgebundener Staaten Ähnlichkeiten und weitreichende Unterschiede bestehen, wird inner-und außerhalb der Blockfreien-Bewegung nicht bezweifelt. Die weitere Frage lautet, inwieweit die Termini „Nichtgebundenheit“ und „Blockfreiheit" mit dem Begriff „Neutralismus“ identisch sind. Erst nach einer Klärung dieser Problematik kann die Frage beantwortet werden, ob sich die politische Doktrin oder Maxime der Blockfreiheit zu einem völkerrechtlichen Begriff entwickelt hat. Wenn der Präsident von Sri Lanka (Ceylon), das seit Beginn Mitglied der Blockfreien-Bewegung ist, 1979 spottete, „die einzig wirklich ungebundenen Länder in der Welt sind die USA und die UdSSR" dann entspricht diese Aussage zwar den machtpolitischen Gegebenheiten, vermag jedoch weder unter völkerrechtlichen noch politikwissenschaftlichen Blockfreien Aspekten zum Verständnis der beizutragen. Auf das quantitative Anwachsen, die Heterogenität und Differenzierung der Blockfreien-Bewegung sowie die teilweise höchst unterschiedlichen nationalen Interessen der Mitglieder ist es zurückzuführen, daß nur selten Versuche gemacht worden sind, das eigene Selbstverständnis anhand völkerrechtlicher und politikwissenschaftlicher Kriterien zu prüfen. Eine gewichtige Ausnahme bildet hier wiederum Jugoslawien. Auch wenn Bahgat Korany in seiner anspruchsvollen Monographie über zentrale Aspekte der Blockfreiheit die von der Theorie der Internationalen Beziehungen erarbeiteten Forschungsansätze verwandt hat, bezog er das Verhältnis von Blockfreiheit gegenüber Neutralität und Neutralismus nicht in seine Untersuchung ein. Auch Peter Willetts schenkte in seinem Buch „The Non-Aligned Movement“ dem Thema „Neutrality" and non-alignment“ nur wenig Aufmerksamkeit
Daß zwischen neutralen und blockfreien Staaten differenziert wird, verdeutlicht schon die politische Praxis: Die Bewegung der Blockfreien besteht fast ausschließlich aus asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, die größtenteils erst im Laufe des Entkolonialisierungsprozesses seit 1945 die staatliche Unabhängigkeit erlangt haben. Nur drei europäische Staaten gehören der Bewegung als Vollmitglieder an: Jugoslawien, Malta und Zypern. Vier europäische Staaten genießen bei den Konferenzen der Blockfreien den Status eines „Gastes" wobei „Gast" hier eine stumme Beobachterrolle, im Gegensatz zum eigentlichen Beobachter, bedeutet Den Status des „Beobachters“ mit Rederecht genießen in der Blockfreien-Bewegung außer mehreren Ländern einige Organisationen und „nationale Befreiungsbewegungen". Nachdem Finnland bereits an der 2. Gipfelkonferenz der Blockfreien 1964 in Kairo teilgenommen hatte, waren Österreich und Schweden als Ständig Neutrale erstmals auf der 4. Konferenz der Blockfreien 1973 in Algier als Gäste vertreten; die Schweiz folgte nach einigem überlegen 1976 in Colombo. Zwischen den Neutralen einerseits und den blockfreien Staaten andererseits — auch mit der „N +N-Gruppe“ Kurzformel ) versehen — wird auch bei den Teilnehmern der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterschieden
Zur „N + N-Gruppe" gehören Finnland, Österreich, Schweden und die Schweiz sowie die blockfreien Länder Jugoslawien, Malta und Zypern Jugoslawische Autoren waren bemüht, die Mitarbeit blockfreier Länder an der KSZE zu rechtfertigen, da an dieser Konferenz auch alle Mitglieder der multilateralen Militärallianzen des Westens und des Sowjet-blocks, der NATO und des Warschauer Pakts, teilnehmen. Ranko Petkovi bemerkt dazu: „Wenngleich die Aufnahme der KSZE ohne Zustimmung und Beitrag der Großmächte und Blockgruppierungen nicht möglich war und wäre, stellt die Konferenz über die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit an sich weder einen Block noch ein Instrument zwischen den Blöcken dar. Die KSZE entstand nicht auf der blockmäßigen Parität und der Partnerschaft zwischen den Blöcken. Ihrer Natur nach ist die KSZE nichtpaktgebunden, während sie gemäß der strikten Interpretation der Prinzipien von Helsinki ein eminent außerhalb der Blöcke stehendes und gegen die Blöcke gerichtetes Gremium sein soll. Das Hauptargument für diese Behauptung besteht nicht so sehr in der Existenz und Aktivität der Gruppe der neutralen und blockfreien Länder wie in dem Umstand, daß die Prinzipien und die Ziele der KSZE im Grunde nicht durch blockmäßige Strukturen, sondern ausschließlich in den Koordinaten des alleuropäischen Dialogs realisiert werden können, in welchem alle Teilnehmerstaaten im Prinzip als unabhängige Partner auftreten und wirken."
Die Konferenz der Außenminister der blockfreien Länder hat in den vergangenen Jahren mehrfach die Kooperation zwischen blockfreien und neutralen Ländern im Rahmen der KSZE positiv gewürdigt Die wichtige Rolle der neutralen und blockfreien Länder auf dem KSZE-Folgetreffen in Belgrad wurde auch von Repräsentanten blockgebundener Staaten vermerkt 1. Die gewöhnliche und die ständige Neutralität Das Völkerrecht unterscheidet zwischen der gewöhnlichen Neutralität und der ständigen Neutralität sowie zwischen Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik. Während das Neutralitätsrecht „die Rechtsnormen über die Neutralität umfaßt, versteht man unter Neutralitätspolitik die politische Haltung eines neutralen Staates im neutralitätsrechtsfreien Raum mit dem Zweck, die Aufrechterhaltung der Neutralität sicherzustellen" Die wesentlichen Unterschiede zwischen der gewöhnlichen und ständigen Neutralität werden wie folgt umrissen: „Die gewöhnliche Neutralität ist das völkerrechtliche Rechts-verhältnis zwischen einem Staat, der an einem Kriege nicht teilnimmt, und den krieg-führenden Staaten. Es regelt also die Beziehungen zwischen Neutralen und Kriegführenden ... Die gewöhnliche Neutralität schafft keine Rechte und Pflichten in Friedenszeiten ... Unter ständiger Neutralität versteht man einen besonderen völkerrechtlichen Status bestimmter Staaten. Ihr Zweck liegt in der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit und in der Befriedung des betreffenden Staates, und zwar sowohl in seinem eigenen wie auch im Interesse der Drittstaaten. Es soll verhindert werden, daß der Neutrale je unter den Einfluß oder die Abhängigkeit einer anderen Macht gerät oder sein Gebiet zum Kriegsschauplatz wird. Neutralität setzt andererseits volle Unabhängigkeit voraus. Die ständige Neutralität begründet Rechte und Pflichten schon in Friedenszeiten."
Das Hauptprinzip der ständigen Neutralität „besteht in der Verpflichtung, keinen bewaffneten Konflikt zu beginnen oder nicht in einen solchen einzugreifen und die entsprechende Politik zu führen. Die Neutralitätspolitik hat zum Ziel, jede Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung zu verhindern, positiv, alles zu tun, damit dieser Fall nicht eintritt, und negativ, alles zu unterlassen, was dazu führen könnte."
Die ständige Neutralität kommt entweder durch einen völkerrechtlichen Vertrag oder einen einseitigen Akt des Neutralen und dessen Anerkennung durch die anderen Staaten zustande. Von diesen beiden völkerrechtlich abgesicherten Fällen der ständigen Neutralität sind die Staaten zu unterscheiden, deren Status nicht auf Neutralitätsrecht beruht und die nur eine Außenpolitik der ständigen Neutralität führen. Diese Differenzierung zeigt, daß ständige Neutralität als Status und als Funktion verstanden werden muß. Der österreichische Völkerrechtler Karl Zemanek hat diese beiden Aspekte der ständigen Neutralität wie folgt umschrieben: „Als Status wird sie durch eine Anzahl von Völkerrechtsnormen beschrieben, die sie rechtlich erschöpfend regeln. Dieser Rechtszustand ist einer konkreten Neutralität vorgegeben, auch wenn sein Eintritt auf einem Willensakt des betreffenden Staates beruht — zu dem im Fall der immerwährenden Neutralität die Mitwirkung oder Anerkennung der Staatengesellschaft treten muß. Sein Inhalt kann nur vermittels einer Änderung der bestimmenden Völker-rechtsnormen modifiziert werden. — Als Funktion verstanden bezeichnet Neutralität die Rolle, die ein in ein Spannungsfeld von wenigstens zwei Machtfaktoren, die sich ihm gegenüber, also relativ, im Gleichgewicht befinden, gestellter Staat in der Stabilisierung dieses Gleichgewichts spielt. Dieses Dreiecksverhältnis wird durch eine gewisse Zahl von Variablen bestimmt, wie etwa die auf den Neutralen wirkende Macht der rivalisierenden Faktoren, die Intensität ihrer Rivalität, die vom Neutralen selbst einzubringende Macht und ist somit seinem Wesen nach dynamisch. Daraus folgt, daß Neutralität als Funktion abhängig ist von der politischen Umwelt und dem von ihr geübten Modus der Konfliktaustragung, dann aber auch von der Fähigkeit des Neutralen zur Apperzeption und Aktion. Da diese Bedingungen bei verschiedenen Staaten kaum jemals alle völlig identisch sein werden, kann, genau genommen, nur von der Funktion eines bestimmten Neutralen zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umweltbedingungen gesprochen werden."
Dabei kann ein Staat eine neutrale Funktion in diesem Sinn ausüben, ohne den völkerrechtlichen Status der ständigen Neutralität innezuhaben. So beruht die ständige Neutralität Schwedens nicht auf völkerrechtlicher Grundlage, sondern stellt eine traditionelle außenpolitische Einstellung dar: Sofern die ständige Neutralität „über längere Zeit eingehalten wird, kommt ihr erhebliches politisches Gewicht und eine ähnliche Wirkung wie der völkerrechtlichen Ständigen Neutralität zu. Rechte und Pflichten ergeben sich aber daraus nicht. Mit Recht zieht man daher in Schweden den Begriff der Allianzfreiheit für die Haltung dieses Landes vor."
Auch wenn die Neutralität Schwedens nicht auf Neutralitätsrecht basiert, wird es auf der internationalen Bühne weitgehend wie ein ständig neutrales Land behandelt. Die Differenzierung zwischen Status und Funktion erscheint auch deshalb nötig, da auf diese Weise auch jener Aspekt der Neutralität erfaßt werden kann, den die moderne Wissenschaft von der Internationalen Politik erarbeitet hat: Mit „Neutralität“ wird auch „eine Form des Verhältnisses eines Staates zu anderen Staaten" bezeichnet, „das — unabhängig von der rechtlichen Ausprägung — nur durch die Kräftekonstellation als ein . neutrales'charakterisiert wird" Neutrale Politik ist jene Außenpolitik, „die ein Staat führt, der im politikwissenschaftlichen Sinn neutral ist. Die Neutralität im politikwissenschaftlichen Sinn setzt die Existenz von Machtgruppierungen voraus, zwischen denen der betrachtete Staat neutral ist, d. h. eine Zwischenstellung einnimmt."
Für den politikwissenschaftlichen Begriff ist die Tatsache entscheidend, daß nur die „Zwischenstellung in der Konstellation der Mächte" nicht jedoch die völkerrechtliche Ausgestaltung berücksichtigt wird: So kann Neutralität bei einem Staat „sowohl in der völkerrechtlichen wie auch in der (von der Politikwissenschaft behandelten) faktischen Form auftreten, die Verbindung ist aber nicht zwangsweise. Sie wird regelmäßig am Beginn einer völkerrechtlich verankerten Neutralität zutreffen, da nur bei einer faktischen Zwischenstellung die rechtliche Verankerung der Neutralität notwendig wird und auch nur in diesem Fall ein Interesse der anderen Mächte an der ausdrücklichen Anerkennung dieser Neutralität besteht.“
Obwohl die ständige Neutralität der Schweiz und Österreichs im Völkerrecht verankert ist und von niemandem bestritten wird, legen gerade Völkerrechtler aus beiden Staaten Wert auf die Feststellung, daß auch in diesen Fällen die zwei Aspekte ständiger Neutralität voneinander unterschieden werden müssen: die ständige Neutralität als Institution des Völkerrechts und als Ausdruck bestimmter Machtkonstellationen. Die Schweiz konnte ihren 1815 in einem völkerrechlichen Vertrag abgesicherten Status der permanenten Neutralität im 19. Jahrhundert nur behaupten, da „keine der im Interesse an der Schweiz rivalisierenden großen europäischen Mächte während dieser Periode stark genug" gewesen war, „um den Zustand gegen den Willen der Rivalen und der Schweiz zu ihren Gunsten zu ändern, so daß letztlich die Erhaltung der dieses Gleichgewicht stabilisierenden neutralen Existenz der Schweiz für alle das Optimum des Erreichbaren darstellte"
Der 1955 begründeten dauernden Neutralität Österreichs lag die Absicht zugrunde, die Einheit des Landes zu erhalten und es von der Besatzungsherrschaft der drei Weltmächte und der UdSSR zu befreien. Da es der sowjetischen Führung seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gelungen war, „aus ihrer Besatzungszone einen anziehenden Brückenkopf zu machen, geschweige denn in ganz Österreich Fuß zu fassen" und da die Nachfolger Stalins um eine zumindest partielle Entspannung in Europa sowie im Ost-West-Verhältnis bemüht waren, ventilierte die sowjetische Führung 1954 den Gedanken einer Neutralität Österreichs. Die UdSSR war — aus ihrer Interessenlage heraus verständlich — jedoch nicht gewillt, nach Abzug aller Besatzungstruppen das ganze Land „politisch an den Westen fallen zu sehen. Eine auf dieses Ziel gerichtete Politik der westlichen Mächte hätte das Risiko der deutschen Lösung, also einer Teilung des Landes entlang der Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone, in sich getragen. In dieser Pattstellung mußten beide Seiten ein Interesse an der Stabilisierung ihres Gleichgewichts durch Österreich und somit an einem Status haben, der es, zumindest rechtlich, dem Zugriff der anderen Seite entzog."
Dieser historische Exkurs verdeutlicht, wie sehr rechtliche und politische Aspekte bei der Begründung und Aufrechterhaltung der dauernden Neutralität eines Staates miteinander verzahnt sind: Permanente Neutralität setzt — auch wenn sie formell von jedem beliebigen Staat verkündet werden kann — „zur materiellen politischen Wirksamkeit ein Gleichgewicht der im Ringen um Einfluß auf den betreffenden Staat rivalisierenden Mächte sowie dessen Willen und Fähigkeit, sich unter Ausnutzung dieses Gleichgewichts der Fremdbestimmung durch die einzelnen Rivalen weitestgehend zu entziehen" voraus. Da diese Politik nur durch die Fortdauer des Gleichgewichts ermöglicht wird, bilden dessen Erhaltung und Stabilisierung vom Standpunkt des Neutralen aus die essentielle Funktion seiner Neutralität: „Ohne diese Vor-aussetzungen ist nach der historischen Erfahrung Neutralität nicht praktikabel."
Zemanek betont, daß das wechselvolle Schicksal der Neutralität Laos'und der erfolglose Versuch Ungarns 1956, einen solchen Status zu erlangen, als negative Beispiele diese These belegten Mit Recht spricht er von der wegen des Machtungleichgewichts in dem betreffenden Raum besonderen Neutralität Finnlands. Der besondere Status Finnlands beruht auf dem am 6. April 1948 geschlossenen sowjetisch-finnischen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, der 1955 und 1970 jeweils um 20 Jahre verlängert worden ist Die Klausel, die Finnland einen spezifischen und immer wieder diskutierten außenpolitischen Status verleiht, lautet: .. in Anbetracht des Bestrebens Finnlands, sich von den Gegensätzen zwischen den Interessen der Großmächte fernzuhalten..." Ob der Status Finnlands überhaupt zutreffend mit dem Begriff „Neutralität" zu kennzeichnen ist, braucht hier nicht geprüft zu werden 2. Der Terminus „Neutralismus"
Während die ständige Neutralität im Völker-recht verankert ist und — im Gegensatz zur gewöhnlichen Neutralität — bereits in Friedenszeiten Rechte und Pflichten schafft, ist ihre Begründung und Aufrechterhaltung von bestimmten Mächte-Konstellationen abhängig. Hingegen bestehen für die faktische Neutralität, das heißt für die Führung „neutraler" Politik, keine rechtlichen Regelungen. Von beiden Aspekten, jener dem Völkerrecht und der der Theorie der Internationalen Beziehungen zuzuordnenden Neutralität, ist der „Neutralismus" zu unterscheiden. Im völkerrechtlichen Schrifttum wird der Begriff „Neutralismus" mit dem Terminus „Blockfreiheit" und den anderen dafür verwandten Bezeichnungen „mehr oder weniger" gleichgesetzt. Von politikwissenschaftlicher Seite ist in den vergangenen Jahren versucht worden, zwischen „Neutralismus" und „Blockfreiheit" zu differenzieren: . Abgesehen von der ständigen Neutralität kennt das Völkerrecht keine Neutralität in Friedenszeiten. Hingegen ist im Frieden eine rein faktische Neutralität möglich. Ein Staat kann eine Neutralitätspolitik führen, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein. Es handelt sich dann um einen selbstgewählten oder durch die Umstände gebotenen politischen Grundsatz." Völkerrechtslehre und Politikwissenschaft stimmen darin überein, daß Neutralismus auf die Vermeidung jeglicher Teilnahme an einem Konflikt nichtmilitärischer Art gerichtet ist: „Neutralismus läßt sich damit als die Suche nach Symmetrie und Äquidistanz zwischen Konfliktmächten beschreiben. Neutralismus ist damit auch nicht deckungsgleich mit dem politikwissenschaftlichen Begriff der . Neutralität'als Zwischenstellung zwischen Konfliktmächten, sondern unterscheidet sich von diesem Begriff der . Neutralität'dadurch, daß der politikwissenschaftliche Begriff der . Neutralität'zwar das Faktum der Zwischen-stellung beschreibt, das sich in mehreren politischen Dimensionen manifestieren kann, der Begriff des . Neutralismus'darüber hinaus aber noch das aktive Bemühen erfordert, diese Zwischenstellung einnehmen zu wollen. Neutralismus entpricht daher weder dem juristischen noch auch dem politikwissenschaftlichen Begriff der . Neutralität', da er sich vom juristischen Begriff der Neutralität durch die Verschiedenheit der Zielsetzung, vom politik-wissenschaftlichen Begriff durch die Tatsache der Zielsetzung unterscheidet.“ 3. Der Terminus „Blockfreiheit"
Neutralismus und Blockfreiheit ist gemeinsam, daß sie eine ausschließlich politische Haltung, eine politische Maxime darstellen und im Völkerrecht nicht verankert sind. Da der Neutralismus keine völkerrechtliche Ausgestaltung gefunden hat, „ist er allein vom Ermessen des betreffenden Staates abhängig und auferlegt keine echten Rechtspflichten" Während der Neutralismus ein „außenpolitisches Verhaltensmuster“ darstellt, „das sich abstrakt umschreiben läßt, bildet die Blockfreiheit im Gegensatz dazu eine politische Doktrin bestimmter Staaten"
Eine Analyse der von der Blockfreien-Bewegung seit 1961 angenommenen Dokumente führt zu dem Ergebnis, daß sich „Ungebundenheit" vornehmlich auf vier Zielsetzungen zurückführen läßt: Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit in der Welt, wozu die Überwindung der Aufteilung auf Blöcke, Beendigung lokaler Konflikte, Abrüstung und die friedliche Lösung von Streitfragen gehören; Festigung der nationalen Unabhängigkeit und Sicherheit, vornehmlich der Kampf gegen alle koloniale und neokoloniale Unterordnung; Sicherung einer adäquateren und beschleunigten ökonomischen und sozialen Entwicklung; als vierte Kategorie der Zielsetzungen der Blockfreiheit wird der „Kampf für die Demokratisierung der internationalen Beziehungen, für eine politische und wirtschaftliche Neuordnung auf den Prinzipien der Gleichberechtigung und Gerechtigkeit" genannt. Vom Status ständig neutraler Staaten, die sich verpflichten, sich aus allen bewaffneten Konflikten herauszuhalten, unterscheidet sich
Blockfreiheit aufgrund der 1961 entwickelten fünf Kriterien dadurch, daß sich die Nicht-Beteiligung auf multilaterale und bilaterale militärische Bündnisse beschränken soll, „die im Kontext des Konflikts zwischen den Großmächten" geschlossen worden sind. Auch wenn die Blockfreien-Bewegung bisher nicht definiert hat, welche Allianzen damit im einzelnen gemeint sind, geht es dieser Staaten-gruppe darum, nicht in den Ost-West-Konflikt hineingezogen zu werden und die Unabhängigkeit gegenüber den Großmächten zu wahren. Die Blockfreien-Bewegung verhehlt nicht, daß damit vornehmlich die beiden Supermächte USA und UdSSR gemeint sind. Von Anfang an konnten die „Ungebundenen“ jedoch nicht der Frage ausweichen, ob ihre politische Doktrin den gleichen Abstand zu den von den USA und der Sowjetunion errichteten Militärbündnissen impliziert.
Zunächst ist festzuhalten, daß nach dem Selbstverständnis der Blockfreien Blockfreiheit nicht mit Neutralismus gleichgestellt werden darf. Die Blockfreiheit wird als eine politische Kategorie verstanden: „Es handelt sich dabei um den politischen Status eines Staates, den er selbst proklamiert, indem er sich zu bestimmten Zielsetzungen und Grundsätzen bekennt, es ist der Status eines Staates, der außerdem auch gewisse Kriterien erfüllt, der demzufolge als Mitglied der Bewegung blockfreier Länder akzeptiert wird.“
Im Unterschied zu jeglicher Form von Neutralität und Neutralismus vertreten die Nicht-gebundenen die Ansicht, die „Konzeption der Blockfreiheit“ bedeute nicht Passivität, sondern aktives Handeln, soweit es die 1961 aufgestellten fünf Prinzipien zulassen. Die Blockfreien lehnen die existierenden „Blöcke“ nicht wegen ihrer politischen Orientierung, ihres ideellen Charakters oder gesellschaftlichen Inhalts ab, sondern „als System der internationalen Beziehungen. In der komplexen Welt wie auch in der heterogenen Zusammensetzung der Bewegung nichtpaktgebundener Länder und ihrer verschiedenartigen internationalen Stellung kann das Verhältnis jedes einzelnen nichtpaktgebundenen Landes gegenüber den Blöcken und ihrer Politik nicht das gleiche sein. Die verschiedenartigen wirtschaftlichen, Sicherheits-und anderen Interessen einzelner Länder, ihr Gesellschaftssystem und andere Faktoren bedingen auch einen unterschiedlichen Grad des Verhältnisses gegenüber den Großmächten und Block-gruppierungen. Die demokratische Natur der Bewegung der Nichtpaktgebundenheit schloß gleichweiche Regelung der bilateralen Beziehungen der nichtpaktgebundenen Länder mit anderen Ländern aus, einbezogen die Groß-mächte."
Obwohl Tito und Nehru bereits — wie oben dargelegt — im Dezember 1954 unmißverständlich proklamiert hatten, „die Politik des Nichtbeitritts zu Blocks" stelle keine „Neutralität" und keinen „Neutralismus" dar, trugen die Blockfreien selbst zu Mißverständnissen bei, indem sie ihre Politik als „dynamische Neutralität", „positive Neutralität", „aktive Neutralität" oder als „positiven Neutralismus" apostrophiert haben. Die im Verlauf der siebziger Jahre zunehmende politische Differenzierung und sich anbahnende Polarisierung innerhalb der Blockfreien-Bewegung haben einen maßgeblichen Anteil daran, daß die Nichtgebundenen ihre Position in den internationalen Beziehungen klarer definieren mußten. Seitdem sieht sich diese Staaten-gruppe mit einem besonders gravierenden, ja brisanten Problem konfrontiert: der Frage, wie sie sich gegenüber den Anbiederungsversuchen der UdSSR und der von ihr geführten „sozialistischen Gemeinschaft" verhalten soll. Einer schweren Belastungsprobe setzte Kuba, das seit der 6. Gipfelkonferenz 1979 in Havanna die Funktion der koordinierenden Präsidentschaft innehatte, die Bewegung aus, da es bereits 1973 versuchte, möglichst viele blockfreie Länder für seine These zu gewinnen, nach der die UdSSR der „natürliche Verbündete" der Nichtgebundenen sei. Während die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder der Bewegung die Position Havannas ohnehin immer strikt abgelehnt hat, wirkte die UdSSR mit ihrem militärischen Überfall auf Afghanistan im Dezember 1979, gut drei Monate nach der 6. Gipfelkonferenz der Blockfreien, selbst maßgeblich daran mit, daß sich seitdem weitere zahlreiche blockfreie Länder genau überlegen, wie sie es mit ihrer Distanz auch zum sowjetischen Machtblock halten.
Es ist wiederum das Verdienst jugoslawischer Autoren, in den letzten Jahren vehement den Bestrebungen der prosowjetischen Fraktion in der Bewegung entgegengetreten zu sein. Nach Belgrader Auffassung, die von der überwiegenden Mehrzahl blockfreier Staaten geteilt wird, bestehen vornehmlich zwei Richtungen in der Bewegung, die von der ursprünglichen Auslegung der Prinzipien der Blockfreiheit abweichen. Ranko Petkovi umschreibt die beiden divergierenden Thesen wie folgt: „Nach Ansicht der Verfechter der sog. Theorie vom natürlichen Bündnis macht der Antiimperialismus das fundamentale Prinzip der Bündnisfreiheit aus. Daraus zieht man den Schluß, die Länder der sogenannten sozialistischen Staatengemeinschaft, bzw. die Staaten des Warschauer Vertrags seien die natürlichen Verbündeten der Blockfreien in ihrem Kampf gegen den Imperialismus. Eine Aufgliederung dieser ideologischen und politischen Aussage führt zwangsläufig zu folgenden Feststellungen: ... ein Block, und zwar der östliche, ist der Verbündete der Politik und der Bewegung der Blockfreiheit, der westliche Block dagegen ihr, Feind; ... würden Politik und Bewegung der Bündnisfreiheit in den Konflikt zwischen den Blöcken hineingezogen und verwandelten sich in einen Faktor der Blockspaltung und -konfrontation ... Nach Meinung der Anhänger der sog. Theorie von der Äquidistanz sollte das grundlegende Prinzip der Blockfreiheit im gleichen Abstand zum einen wie zum anderen Block bestehen... Auch in diesem Falle träten die gleichen weitreichenderen Auswirkungen ein: Da eine Äquidistanz die Grundvoraussetzungen aufhebt, auf denen die bündnisfreie Bewegung fußt, und da sie für die überwältigende Mehrheit der blockfreien Staaten unannehmbar ist, wäre eine Spaltung der Bewegung unvermeidlich." Auch wenn aus allen bisher sowohl von den Gipfelkonferenzen als auch von den Konferenzen der Außenminister der Blockfreien-Bewegung veröffentlichten Dokumenten klar hervorgeht, daß die wichtigste Grundvoraussetzung ihres politischen Selbstverständnisses — die von allen „Blöcken" unabhängige Position und die unabhängige politische Rolle der Nichtgebundenen — auch gegenüber der UdSSR und der „sozialistischen Gemeinschaft“ gelten soll, hat eine kleine Gruppe blockfreier Länder gegen dieses Grundprinzip insoweit verstoßen, als sie „mit der führenden Block-macht" im Laufe der siebziger Jahre politische Kooperationsverträge mit Klauseln geschlossen hat, die „in vielen Bereichen ihre Aktionsfreiheit erschweren“ und „auf jeden Fall den Grad der Solidarität unter den Nichtpaktgebundenen" reduzieren Spätestens mit ihrer militärischen Intervention in Afghanistan hat die UdSSR der von ihr verfochtenen These, sie sei mit anderen „sozialistischen Ländern“ der „natürliche Verbündete" der Blockfreien, den Boden entzogen. Im Dezember 1979 hat die Sowjetunion zum ersten Mal ein zur Staatengruppe der Blockfreien gehörendes Land überfallen, obwohl sie sich in dem am 5. Dezember 1978 mit Afghanistan geschlossenen Vertrag über Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit verpflichtet hat, „die von der Demokratischen Republik Afgha-nistan verfolgte Politik der Nichtgebundenheit, die ein wichtiger Faktor zur Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit ist", zu respektieren. Diese oder ähnliche Formeln enthalten auch die Kooperationsverträge, die die UdSSR in den Jahren von 1971 bis 1981 mit Indien, Somalia, Angola, Mocambique, Äthiopien, Süd-Jemen, Syrien und der Volksrepublik Kongo geschlossen hat
Die These der UdSSR, die Staaten der „sozialistischen Gemeinschaft" seien die „natürlichen Verbündeten" der Nichtgebundenen, wird in der Blockfreien-Bewegung nur von Kuba und einer Reihe „sozialistischer" Länder vertreten. Die überwiegende Mehrzahl aller Staaten, die sich zur Blockfreiheit bekennen, lehnt es nach wie vor strikt ab, ihre „antiimperialistische Grundorientierung" nur auf die westliche Hemisphäre zu beschränken. Sieht man von den „sozialistischen" Ländern — wie Kuba, Vietnam, Laos und Kambodscha—, einigen Staaten mit „sozialistischer Orientierung" in Afrika — wie Angola, Äthiopien und Mocambique — und einigen weiteren Ländern mit prosowjetischen Führungen — wie Afghanistan und Süd-Jemen — ab, dann nehmen die Blockfreien in ihrer überwiegenden Mehrheit immer noch für sich selbst in Anspruch, über ihren Abstand zu den bestehenden Militärblöcken und -allianzen selbst zu entscheiden.
V. Ausblick
Die seit 1961 entwickelten, in der Zwischenzeit von der Blockfreien-Bewegung flexibel angewandten und variierten Kriterien der Blockfreiheit machen die Stärke und auch die Schwäche dieser so heterogen zusammengesetzten Staatengruppe aus. Da man 1961 nur wenige und dazu noch vage formulierte Prinzipien aufgestellt hat, war und ist man in der Lage, nahezu jeden inzwischen in die Selbständigkeit und Unabhängigkeit entlassenen Neustaat in die Bewegung aufzunehmen. Hinzu kommt, daß nach dem eigenen Selbstverständnis die Bewegung der Ungebundenen bewußt keine monolithische Einheit bilden will und von Anfang an jedes Konzept eines „Trikontinentalismus" strikt abgelehnt hat Die Blockfreien-Bewegung bildet keinen wdritten Block" und möchte auch nicht den nach ihrer Auffassung „in der Welt herrschenden Bipolarismus zu einer Art Tripolarismus der Blöcke ummünzen"
Kennzeichnend für die Blockfreien-Bewegung ist darüber hinaus ihr großer außenpolitischer Spielraum. Dieser ergibt sich nicht nur aus den wenigen „authentischen Prinzipien der Blockfreiheit", sondern auch daraus, daß die Bewegung auf keinem Rechtsstatut basiert und ihre Beschlüsse im Wege des Konsenses faßt Hinzu kommt die Einsicht, daß das nationale Interesse der inzwischen stark angewachsenen Staatengruppe es dieser gebietet, bei ihren Beschlüssen ein Höchstmaß von Flexibilität anzuwenden. Andererseits dokumentieren diese Faktoren auch die Schwäche der Blockfreien-Bewegung insofern, als ihr beipielsweise kein Instrumentarium zur Verfügung steht, die in den letzten Jahren zugenommenen Regionalkonflikte zu schlichten.
So bilden die Termini „Blockfreiheit“ und „Nichtgebundenheit" nach wie vor eine politische Maxime und Doktrin einer bestimmten Staatengruppe. Obwohl zwischen Blockfreiheit und ständiger Neutralität einige Berührungspunkte in den Grundzielen bestehen — vor allem in der Wahrung der Unabhängigkeit und der Abstinenz von Militärallianzen —, dürfen die weitreichenden Unterschiede zwischen der Blockfreiheit als einer ausschließlich politischen Haltung und der auf Völkerrecht basierenden ständigen Neutralität nicht übersehen werden. Auch vom Neutralismus unterscheidet sich Nichtgebundenheit insofern, als aufgrund des Selbstverständnisses der Blockfreien-Bewegung einmal die Gleichsetzung beider Termini ausdrücklich abgelehnt wird und zum anderen Block-freiheitnicht „Neutralität" gegenüber allen, sondern nur gegenüber bestimmten Konflikten bedeutet. Die abschließende Frage, ob sich Blockfreiheit allmählich zu einer Politik der ständigen Neutralität entwickeln und schließlich eine Basis im Völkerrecht gewinnen könnte, ist negativ zu beantworten. Zwar würde eine solche Entwicklung „einen erhebliche Beitrag an die weltpolitische Stabilität leisten und das System viel berechenbarer machen. Die Handlungsfreiheit der Hauptantagonisten und der Großmächte würde eingeschränkt, die Ausnützung lokaler Konflikte und die Führung von Stellvertreterkriegen verhindert. Dies würde eine Friedenspolitik par excellence darstellen." Jedoch ist diese wünschenswerte Perspektive allein schon deshalb irreal, weil die zur Blockfreien-Bewegung gehörenden Länder nicht daran interessiert sind, sich durch die Gewinnung des Status der dauernden Neutralität ihren außenpolitischen Spielraum weitgehend einschränken zu lassen.