I. Die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage
In den vergangenen Monaten ist das öffentliche Interesse stärker als je zuvor auf ein Gebiet gerichtet gewesen, das vordem den Experten zugewiesen war: Nuklearwaffen und Fragen der Nuklearstrategie. Da die Sicherheitspolitik demokratischer Regierungen von der Unterstützung durch eine informierte Öffentlichkeit abhängt, ist dieses neue, stärkere Interesse ein gutes Zeichen. Die Regierung der Vereinigten Staaten begrüßt eine offene Diskussion dieser Fragen, denn wir sehen darin eine Wiederaufnahme der nationalen amerikanischen Verpflichtung, die Friedens-suche durch Verhandlung fortzusetzen. Im Sinne dieser Verpflichtung hat die U. S. -Regierung ihre Verteidigungs-und Rüstungskontrollpolitik entwickelt, von der wir glauben, daß sie die Sicherheit unseres Landes und unserer Verbündeten garantiert und gewährleistet, daß Nuklearwaffen weder im Zorn noch irrtümlich jemals eingesetzt werden.
Diese Politik folgt auf eine Periode weitverbreiteter Desillusionierung in den USA über die Rüstungskontrollanstrengungen der Vergangenheit. Anfang der siebziger Jahre unternahmen die USA gleichzeitig eine Vielzahl von Anstrengungen mit dem Ziel, nukleare, chemische und konventionelle Waffen, strategische Waffen, die Streitkräfte in Europa und sogar die Seestreitkräfte im Indischen Ozean zu kontrollieren. Letztlich wurde dadurch wenig erreicht — teilweise, weil unsere Bemühungen um zu viele Ziele zu weit gestreut waren. Das Ergebnis war eine in der Öffentlichkeit weitverbreitete Enttäuschung über die Aussichten für Rüstungskontrolle.
Aus dieser Erfahrung haben wir die Erkenntnis gewonnen, daß wir uns bei unseren Bemühungen nicht verzetteln dürfen. Wir müssen die Hauptziele der Rüstungskontrolle festlegen und sie mit ausdauernder Aufmerksamkeit verfolgen. Wir müssen sicher sein, daß die von uns vorgeschlagenen Vereinbarungen die beiderseitige Sicherheit wirklich verbes-
Zberarbeitete fässung eines Vortrags im Amerika-Köln, am 9. 11. 1982 Ersetzung: Bernd Herbert /Bonn Jutta Wolke /Düsseldorf sern und daß sie, nach Abschluß der Verhandlungen, die Unterstützung unserer Bürger und unserer Verbündeten und die Zustimmung des Kongresses finden.
Angesichts der Nukleardebatte, die hier und im Ausland im Gange ist, ist eine sorgfältige Darlegung der Grundlage besonders wichtig, auf die sich unsere Strategie stützt und die die Struktur unserer Nuklearwaffen bestimmt. In der öffentlichen Diskussion der Strategie der U. S. -Regierung wird das grundlegende Ziel der U. S. -und NATO-Politik vielfach völlig falsch ausgelegt. Wir streben keine Überlegenheit über die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes an — wir erstreben vielmehr Gleichheit in Form eines Gleichgewichts, das allen Ländern größere Sicherheit bietet. Drei Überlegungen haben den Rahmen des Konzeptes bestimmt, wie wir an Sicherheitsfragen herangehen:
Erstens: die entscheidende Aufgabe der Nuklearwaffen der Verbündeten besteht darin, sowjetische Nuklearangriffe gegen uns selbst, unsere Verbündeten und unsere Freunde abzuschrecken und — in Verbindung mit konventionellen Waffen — eine sowjetische konventionelle Aggression zu verhindern. Abschreckung hängt von einer ausreichenden Flexibilität der Waffen ab, um einem breiten Spektrum von Bedrohungen begegnen zu können, so daß — unbeschadet der Umstände und des Ausmaßes eines potentiellen Konflikts — der Sowjetunion niemals ein Anreiz zu einem Angriff geboten wird.
Folgende Grundprinzipien liegen der Abschreckung zugrunde:
— Wir wollen die Sowjetunion abschrecken und nicht uns selbst. Die Dynamik der sowjetischen nuklearen Aufrüstung zeigt, daß die sowjetischen Führer nicht an das Konzept des „ausreichenden Maßes“ (sufficiency) glauben und daher wahrscheinlich nicht durch eine im Rahmen dieses Konzepts begründete Strategie oder militärisches Potential abgeschreckt werden.
— Nukleare Abschreckung darf sich nicht allein in Zeiten des Friedens und der Ruhe bewähren. Ihre wirkliche Bewährungsprobe muß sie vor allem in Zeiten größter Spannun-gen, ja sogar inmitten eines tatsächlichen Konflikts bestehen, wenn alles auf dem Spiel steht und die Versuchung, Risiken einzugehen, am größten ist.
— Abschreckung hängt von unserer Fähigkeit ab — selbst nach einem massiven Nuklearschlag gegen uns — einen Aggressor daran zu hindern, sich einen militärischen Vorteil zu sichern und sich in einem Konflikt durchzusetzen. Sie beruht also auf einem militärischen Gleichgewicht, für das nicht Zahlen oder Größe maßgeblich sind, sondern eine komplexe Wechselwirkung von Stärken und Schwächen.
Eine zweite Überlegung, die unser Konzept tangiert, ist der zwangsläufige Einfluß der Nuklearwaffen und des nuklearen Gleichgewichts auf das politische und psychologische Umfeld, in dem internationales Krisenmanagement erfolgen muß. Unsere eigene Unverwundbarkeit gegenüber nuklearer Erpressung — wie auch die Immunität unserer Freunde gegen politische Einschüchterung — hängt von unserer Fähigkeit und unserem Willen ab, glaubwürdig jeglicher sowjetischer Eskalationsdrohung zu begegnen.
Drittens: in Nicht-Krisenzeiten spielt das nukleare Gleichgewicht in der täglichen Abwicklung der Diplomatie eine wichtige Rolle. Die Stärke der USA und ihre Entschlossenheit werden in jedem Teil der Welt registriert. Das nukleare Gleichgewicht ist ein entscheidender, wenn auch nicht expliziter, Gesichtspunkt für alle Länder, die stabile Sicherheitsabkommen angesichts des potentiellen sowjetischen Expansionismus suchen.
Der grundlegende Zweck unserer strategischen Waffen hat sich nicht geändert. Wohl hat sich das Ausmaß und der Charakter der sowjetischen Bedrohung geändert — die Anzahl und Qualität ihrer Nuklearwaffen. Wenn es einen Unterschied gibt zwischen der Politik der USA in der Vergangenheit und heute, so besteht er in dem umfassenden und kohärenten Ansatz der Reagan-Regierung zur Erzielung von Abschreckung. Rüstungskontrolle wird nicht länger als von der Waffen-modernisierung unabhängig betrachtet — vielmehr werden beide Teile als wesentliche und sich, gegenseitig stützende Elemente einer Gesamtsicherheitspolitik verstanden, die Abschreckung durch erhöhte Stabilität und Balance zu erreichen sucht. Diese Politik nimmt ihren Ausgang bei einer realistischen Einschätzung der fortgesetzten Aufrüstung bei den sowjetischen konventionellen und nuklearen Waffen während der vergangenen zwei Jahrzehnte. Diese Aufrüstung stellt ein ungeheures Opfer für eine Wirtschaft dar, in der die Menschen nur unter Schwierigkeiten mit dem Notwendigsten des täglichen Lebens versorgt werden. Die Größe und das Ausmaß dieser Aufrüstung sind geschichtlich ohne Beispiel und gehen weit über jedes legitime Verteidigungsbedürfnis hinaus:
— Bei den strategischen Waffen haben die Sowjets seit 1972 mindestens zehn verschiedene Varianten von drei neuen Typen von Interkontinentalraketen (ICBM) entwickelt und stationiert — die SS17, SS18 und SS-19. Diese Waffen stellen eine ernste Bedrohung eines großen Teiles unseres landgestützten ICBM-Potentials dar. Im gleichen Zeitraum haben die Vereinigten Staaten keine neuen Typen von ICBM aufgestellt und nur eine Variante der existierenden Interkontinentalrakete . Minuteman'. Wir planen, 1986 mit der Stationierung der MX zu beginnen, der ersten neuen Interkontinentalrakete der USA innerhalb von sechzehn Jahren.
— Der Auftrag zum Bau des ersten Trident-U-Bootes der Vereinigten Staaten 1982 markierte das Ende einer fünfzehnjährigen Periode, in der die USA keine neuen, mit Raketen bestückten U-Boote bauten. In diesem Zeitraum hat die UdSSR über 60 raketenbestückte U-Boote in vier neuen oder verbesserten Klassen gebaut. Die Sowjets sind gegenwärtig dabei, zwei neue Typen von Raketenunterseeboten in Gebrauch zu nehmen — die Typhoon und die Delta III — während wir lediglich die Trident bauen.
— Wenn der erste B-l-Bomber 1985 in Betrieb genommen werden kann, wird fast ein Vierteljahrhundert vergangen sein, seit der letzte schwere US-Bomber produziert wurde. Im Gegensatz dazu haben die Sowjets mehr als 200 moderne Backfire-Bomber gebaut, die auch interkontinental einsetzbar sind. Im ganzen gesehen sind die strategischen Waffen der USA durchschnittlich 15 Jahre älter als ihre sowjetischen Gegenstücke.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die UdSSR den USA im Bereich der strategischen Waffen gleichwertig und in mancherlei Hinsicht sogar überlegen ist. Bei Zugrundelegung der meisten wichtigen Maßstäbe — also Gesamtzahl der Systeme, Gesamtzahl der ballistischen Raketen, Gesamtheit des Vernichtungspotentials — ergibt sich eine Überlegenheit der UdSSR über die Vereinigten Staaten. Bald könnte sie auch in der Anzahl der Sprengköpfe mit uns gleichziehen, auf dem einen Gebiet also, auf dem die USA traditionell im Vorteil waren. Diese massive Aufrüstung der Sowjetunion hat ein zunehmend de-stabileres nukleares Gleichgewicht zur Folge gehabt.
Bei den nicht-strategischen Nuklearwaffen ist die Aufrüstung gleichermaßen beeindruckend gewesen. In vorderster Linie stehen die mobilen, mit Dreifachsprengköpfen ausgerüsteten SS-20-Raketen, von denen seit 1972 324 aufgestellt wurden. Zusammen mit den 280 übrigen SS-4-und SS-5-Raketen, die zuerst in den fünfziger und sechziger Jahren aufgestellt wurden, beträgt die Anzahl der Sprengköpfe über 1 200, verglichen mit etwa 600 Mitte der siebziger Jahre. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben kein vergleichbares Potential. Die Sowjets modernisieren ebenfalls ihre Kurzstrecken-Nuklearwaffen, indem sie die SS12 durch die SS22 beziehungsweise die SCUD-B durch die SS-X-23 ersetzen. Diese Entwicklungen geben der Sowjetunion, nach Anzahl wie nach Kapazität, eine überwältigende Überlegenheit im Bereich der Nuklearwaffen, die zur Verwendung auf dem Gefechtsfeld stationiert sind.
Einige im Westen haben argumentiert, daß diese Entwicklungen bei den sowjetischen Mittelstreckenwaffen keine grundlegend neue Bedrohung für das Bündnis darstellen — daß wir schon seit den frühen sechziger Jahren unter der Bedrohung der SS-4 und SS-5 leben und die SS-20 lediglich als Anstrengung zu sehen sei, ein veraltetes Potential zu modernisieren. Dieses Argument mag manchen trösten, aber es ist falsch. Daß die NATO die SS-4 und SS-5-Raketen in den sechziger Jahren offensichtlich hingenommen hat, geschah in einer Situation klarer nuklearer Überlegenheit der USA. Dies verlieh der Androhung der Amerikaner Glaubwürdigkeit, im Falle einer Aggression gegen NATO-Europa ihre strategischen Nuklearwaffen einzusetzen.
Die Modernisierung der Waffen muß jetzt daher ein zentrales Element unserer eigenen Politik bleiben. Das Veralten der gegenwärtigen US-Waffen und die sich daraus ergebende Verminderung ihrer Zuverlässigkeit und Wirksamkeit ist ein wesentlicher Faktor. Aber weit wichtiger — und in der Tat der drängendste Faktor — ist die erhöhte Bedrohung, gegen die diese Waffen konzipiert und aufgestellt wurden; das ungehemmte Wachsen der sowjetischen Militärmacht. Dies zwingt uns dazu, unsere Erfordernisse an Waffen neu einzuschätzen und die notwendigen Anpassungen überlegt und mit Entschlossenheit vorzunehmen. Der erste Teil unserer Doppelantwort auf die Herausforderung durch die sowjetische Aufrüstung ist daher eine Verpflichtung zur Modernisierung der strategischen wie auch der Mittelstrecken-waffen, um sicherzustellen, daß unser Abschreckungspotential stark bleibt.
II. Modernisierung
Im Oktober 1981 kündigte der Präsident ein umfassendes Modernisierungsprogramm an, das zum Ziel hat, die Verwundbarkeiten und Schwächen im Bereich unserer strategischen Waffen zu korrigieren. Die als Teil dieser Modernisierung genehmigten Programme — MX, Trident II, der B-l-Bomber und Stealth, sowie die luftgestützten und seegestützten Marschflugkörper (ALCM und SLCM) — in Verbindung mit einem verbesserten strategischen Verteidigungs-, Kommando-und Kontrollsystem werden viele, wenn nicht gar alle, sowjetischen Vorteile ausgleichen, die ihnen aus ihrer beispiellosen Aufrüstung zugeflossen sind. Die Zuverlässigkeit, Uberlebensfähigkeit und Wirksamkeit dieser Waffen wer-
den die Abschreckungsfähigkeit des ganzen Bündnisses stärken.
Die Modernisierung schreitet auch im nicht-strategischen Nuklearbereich fort. Der NATO-Beschluß vom Dezember 1979, Pershing II und bodengestützte Marschflugkörper (GLCM) in Europa zu stationieren, wird die Sowjets zu der Erkenntnis zwingen, daß ein Angriff auf europäische NATO-Länder die U. S. -Streitkräfte aktivieren würde, die in der Lage sind, sowjetisches Territorium anzugreifen. Die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, solch ein klares Risiko einzugehen — also ihre eigene Sicherheit mit der ihrer europäischen Verbündeten gleichzusetzen — macht den Sowjets deutlich, daß ihr Gebiet kein unantastbares Territorium sein kann, von dem aus Angriffe auf Europa unternommen werden können ohne sichere Vergeltung von Seiten der USA
III. Rüstungskontrolle
Die Suche nach vernünftigen Rüstungskontrollabkommen, die wir energisch vorantreiben müssen, ist der zweite Hauptbestandteil unserer Antwort auf den Zuwachs sowjetischer Militärmacht Folgende allgemeinen Prinzipien leiten uns bei unserer Rüstungskontrollpolitik:
Erstens: Rüstungskontrolle muß ein Instrument und darf kein Ersatz für eine kohärente Sicherheitspolitik sein. Wir werden auf Vereinbarungen hinarbeiten, die die Sicherheit wirklich erhöhen, indem sie die Abschreckung verstärken.
Zweitens: Wir müssen Vereinbarungen für ein Gleichgewicht anstreben, die zu bedeutenden Verminderungen auf beiden Seiten führen. Solche ausgewogenen Vereinbarungen müssen jedem Kräfteverhältnis zugrunde liegen, das auf Reziprozität basiert und sind für die Sicherheit beider Seiten unerläßlich. Quantitative Parität ist wichtig, aber Gleichgewicht bedeutet mehr als nur Zahlengleichheit. Grundlegender ist die Fähigkeit jeder Seite, durch militärische Operationen oder deren Androhung entscheidende Vorteile zu erzielen. Vereinbarungen, die den Anreiz zum Einsatz von Gewalt nicht wirksam einschränken, besonders in Krisensituationen, leisten zur Steigerung der Sicherheit keinen Beitrag.
Drittens: Rüstungskontrolle muß wirksame Mittel zur Verifizierung einschließen.
Viertens: Unsere Position in der Rüstungskontrolle muß die Gesamtheit der nationalen Sicherheitslage berücksichtigen und nicht nur jene Teilbereiche, die Gegenstand der Verhandlungen sind.
Fünftens: VJ\n werden eine Rüstungskontrolle zu erreichen suchen, bei der wir das sowjetische Verhalten in der ganzen Welt im Auge behalten. Dies hat direkten Einfluß auf die Erfolgsaussichten bei der Rüstungskontrolle, und die Anerkennung dieses Sachverhalts ist auf lange Sicht für einen gesunden Rüstungskontrollprozeß unerläßlich. Eine solche Verbindung ist keine Erfindung amerikanischer Politik: sie ist Teil der Realität Vorzugeben, daß sie nicht existiert, würde einem umgekehrten Zusammenhang Vorschub leisten: um Rüstungskontrolle aufrechterhalten zu können, müßten wir sowjetische Aggression tolerieren.
Sechstens: Unsere Anstrengungen werden von der Ernsthaftigkeit unserer Absichten geleitet, die sich in unserer Bereitschaft ausdrückt, Reduzierungen auf ein möglichst niedriges Niveau zu akzeptieren — Reduzierungen, deren Basis gleiche und ausgewogene Grenzen für vergleichbare Systeme sein müssen.
IV. Start
Nun zum Kern unserer Rüstungskontrollbemühungen: dem START-Vorschlag der Vereinigten Staaten. Die Gespräche zur Reduzierung strategischer Waffen, die soeben in Genf wiederaufgenommen wurden, bieten die Möglichkeit, die Weltsicherheit durch sorgfältig entwickelte Vereinbarungen zu stärken, mit denen die strategischen Kernwaffenarsenale reduziert werden sollen.
Der amerikanische Vorschlag würde die Zahl von ballistischen Raketen auf 850 für jede Seite begrenzen. Darüber hinaus würden beide Seiten sich auf ein Maximum von 5 000 dislozierten Raketensprengköpfen beschränken. Nicht mehr als 2 500 davon könnten auf ICBM montiert werden.
Unser Vorschlag erschließt wichtiges Neuland. Zum ersten Mal nimmt er die strategischen Probleme direkt in Angriff, die die Weltsicherheit heute am meisten bedrohen. Darum schlagen wir nun unmittelbare Grenzen für die Zahl atomarer Sprengköpfe auf ballistischen Raketen vor, anstatt für die Zahl der Abschußeinrichtungen, die bisher maßgeblich war. Die Gesamtzahl der Sprengköpfe eignet sich wesentlich besser zur Bemessung strategischer Kapazität; eine Begrenzung der Abschußeinrichtungen dagegen würde Waffensysteme gleichsetzen, die im Grunde sehr unterschiedlich sind (die amerikanische Minutemann II mit nur einem Sprengkopf würde zum Beispiel nicht anders gezählt als eine sowjetische SS-18 mit mehreren Sprengköpfen)
Der Vorschlag der Vereinigten Staaten sieht also eine einschneidende Verminderung strategischer Waffen auf beiden Seiten vor. Be merkenswert ist, daß vor ungefähr einem Jahr ein bekannter amerikanischer Wissenschaftler eine beiderseitige Reduzierung des strategischen Arsenals um 50% gefordert hat; zu jener Zeit galt es noch als unwahrscheinlich, daß die Regierung eine solche Auffassung unterstützen würde. Wie jedoch die oben genannten Zahlen zeigen, haben wir die Sowjetunion nun aufgefordert, zu beweisen, wie ernst ihr ausdrücklicher Wunsch nach Verminderungen im strategischen Bereich gemeint ist: wir verlangen, daß beide Seiten das Niveau bereits dislozierter Interkontinental-raketen und ihrer Sprengköpfe um etwas mehr als 50 % senken.
Der amerikanische Vorschlag beruht in allen Teilen auf dem Prinzip der Gleichheit und spezifiziert für beide Seiten das gleiche Niveau für ballistische Raketen und ihre Sprengköpfe. Aufgrund der Asymmetrie zwischen den USA und der Sowjetunion — die Sowjets verfügen über eine größere Anzahl von ICBM — wird die Sowjetunion im ICBM-Bereich stärker reduzieren müssen, um eine gleiche Anzahl von Sprengköpfen zu gewährleisten. Die Vereinigten Staaten müssen ihrerseits eine größere Zahl unterseebootgestützter Gefechtsköpfe abbauen.
Der amerikanische Vorschlag wird darüber hinaus einer Tatsache gerecht, die den Planern des Verteidigungssystems und den Rüstungskontrollexperten seit langem bekannt ist: daß einige Arten von Nuklearwaffen das strategische Gleichgewicht mehr bedrohen und daher das Risiko eines Nuklearkrieges in stärkerem Maß erhöhen als andere.
Die quantitative Zunahme an strategischen Waffen auf sowjetischer Seite — ihr erheblicher Vorsprung bei Transportfahrzeugen, Mehrfachsprengköpfen und beim verfügbaren Wurfgewicht — zusammen mit qualitativen Verbesserungen z. B. auf dem Gebiet der Präzision von Waffensystemen machen es für die Sowjetunion theoretisch möglich, einen Großteil der amerikanischen landgestützten ICBM zu zerstören. So hat die sowjetische SS18, deren 10 Sprengköpfe unabhängig voneinander jeweils auf Einzelziele gerichtet sind, entscheidend dazu beigetragen, unsere landgestützten ICBM verwundbar zu machen. Diese Situation wirkt in hohem Maße destabilisie-
rend. Die Kreml-Führer könnten in einer Phase äußerster internationaler Spannung die Vorteile eines vorbeugenden Erstschlags ge-
gen die strategischen Kräfte der Vereinigten läuten für so überzeugend halten, daß sie versucht sein könnten, einen solchen Angriff einzuleiten. Das wäre das beste Rezept für eine potentielle Katastrophe. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Sowjets ihr Verhalten nicht nur anhand ihrer Perzeption amerikanischer Entschlossenheit bestimmen, sondern auch anhand ihrer nüchternen Einschätzung der objektiven strategischen Fähigkeiten der USA. Diesem Problem müssen wir unbedingt entgegenwirken und die Struktur unserer Streitkräfte ändern, um der Sowjetunion die schreckliche Option des vorbeugenden Erstschlags unmöglich zu machen. Damit würde die Wirkung der Abschreckung verstärkt. Jeder Präsident, ob Republikaner oder Demokrat, würde seinen Auftrag verfehlen, wenn er nicht alles täte, was in seiner Macht steht, um dies sicherzustellen und so die Wirksamkeit der Abschreckung zu erhöhen. Der amerikanische Vorschlag einer Basis-grenze von 2 500 Sprengköpfen auf landgestützten ICBM will dieser Stabilitätsbedrohung begegnen. Unterseebootgestützte Interkontinentalraketen sind in der Begrenzung auf insgesamt 5 000 Sprengköpfe und 850 Raketen enthalten, sind aber nicht Gegenstand einer besonderen Begrenzung, da sie weniger präzise sind als landgestützte ICBM und die Stabilität daher nicht so stark bedrohen. Bomber sind keine wirksamen Erstschlagswaffen und gelten deshalb im allgemeinen als die am wenigsten stabilitätsgefährdenden Systeme. Sie unterliegen daher nicht so starken Begrenzungen wie die Interkontinentalraketen, obwohl sie Bestandteil der amerikanischen Vorlage in Genf sind.
Dieser Schwerpunkt auf der Stärkung der strategischen Stabilität ist grundlegend für das Verständnis des amerikanischen Vorschlags. Er stellt sicher, daß die durch START erreichten Verminderungen dem Hauptziel der Verhandlungen dienen: das Risiko eines atomaren Konflikts zu mindern und so die internationale Sicherheit zu festigen.
Der START-Vorschlag der Vereinigten Staaten ist fair und unparteiisch. Er ist in sich konsistent. Er ist nicht einseitig. Die Grenzen, die er beinhaltet, liegen im gemeinsamen Interesse des Ostens und des Westens. Durch diesen Vorschlag — und durch unsere strategischen Modernisierungsprogramme — werden die Vereinigten Staaten auch weiterhin in der Lage sein, sowjetische Aggressionen wirksam abzuschrecken und gleichzeitig die Gefahr eines Nuklearkrieges zu verringern. Er wird es uns ermöglichen, auch weiterhin unseren Verpflichtungen gegenüber der NATO als auch der Welt insgesamt nachzu-kommen, um so langfristig den Frieden und die Sicherheit zu gewährleisten, die wir alle anstreben.
V. Die INF-Verhandlungen
Der INF-Vorschlag, den wir in Genf eingebracht haben, verdeutlicht ebenfalls, welchen Beitrag die Kombination von Rüstungskontrolle und Modernisierung zur Erhöhung der Sicherheit leisten kann. Die Fairness unserer Haltung und die Ergebnisse, die unser Vorschlag erzielen würde — Gleichgewicht und Stabilität — liegen im Interesse der NATO und der Sowjetunion gleichermaßen.
Der weitreichende Vorschlag des Präsidenten vom 18. November 1981, alle landgestützten LRTNF-Raketen auf beiden Seiten zu entfernen, basiert auf folgender Erkenntnis: das gegenwärtige sowjetische Monopol im Bereich solcher Systeme könnte bei der Sowjetunion die Illusion erzeugen, daß sie einen Keil zwischen die Mitglieder der NATO treiben kann; daß ein Angriff auf NATO-Europa, der von einem sowjetischen geschützten Raum aus geführt wird, nicht Gefahr läuft, einen amerikanischen strategischen Vergeltungsschlag herauszufordern. Die vollständige Vernichtung dieser Raketen würde ebenfalls die Gefahr einer solchen Illusion beseitigen und somit auch die Notwendigkeit der Stationierung von Pershing II und GLCM in Europa.
Damit unser Vorschlag auch militärisch sinnvoll ist, bezieht er alle LRTNF-Raketen ein, unabhängig davon, wo sie disloziert sind. Das ist notwendig, weil die Reichweite und die Mobilität dieser Raketen selbst diejenigen SS-2O, die im Fernen Osten stationiert sind, zu einer potentiellen Bedrohung für Europa machen. Damit unser Vorschlag politisch annehmbar ist, bezieht er sich ausschließlich auf amerikanische Systeme; wir können schließlich nicht über Systeme von souveränen Nationen verhandeln, die nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Die sowjetische Behauptung, in Europa bestehe ein Kräftegleichgewicht, ist falsch. Zum einen schließen die Sowjets eben jene britischen und französischen Systeme in ihre Berechnungen ein, die nicht Gegenstand der Verhandlungen sind. Zum anderen zählen sie auch amerikanische Flugzeuge, deren Reichweite sich nicht bis in die UdSSR erstreckt, sowie andere Systeme, deren sowjetische Gegenstücke nicht mit in Rechnung gestellt werden. Um die Chancen für schnelle Verhandlungsergebnisse zu erhöhen, zielt der amerikanische Vorschlag nicht auf Flugzeuge ab; das würde die Verhandlungen nur komplizieren und Vereinbarungen über die Systeme, die beiden. Seiten am meisten Sorge bereiten, hinauszögern. Wir haben das Angebot gemacht, von Dislozierungsplänen für Pershing II und GLCM weltweit Abstand zu nehmen — Systeme, die die Sowjetunion als große Bedrohung ansieht. Dieser Vorschlag liegt deutlich im Interesse beider Seiten.
Aber lassen sie mich Mißverständnissen vorbeugen: Die USA verhandeln nicht mit Papiersystemen. Pershing II und GLCM werden Ende 1983 aufgestellt, wenn keine konkrete Vereinbarung zustande kommt. Vorbereitungen für diese Stationierung sind seit einiger Zeit angelaufen und werden weitergeführt, es sei denn, wir erreichen eine Übereinkunft, die eine Stationierung überflüssig machen würde. Das Modernisierungsprogramm stellt in dieser Hinsicht nicht nur einen Versuch dar, Stabilität in eine Lage zu bringen, die durch das sowjetische LRTNF-Raketenmonopol in Unsicherheit geraten ist; es bietet den Sowjets darüber hinaus einen starken Anreiz — in der Tat den einzigen — sich schnell und mit akzeptablen Vorschlägen am Verhandlungstisch zu einer Einigung bereitzufinden.
VI. Nicht-Ersteinsatz und das Einfrieren von Nuklearwaffen (Nuclear Freeze)
Schließlich möchte ich noch auf bestimmte Vorschläge eingehen, die ich als Fehlschritte auf dem Weg zu wirksamer Rüstungskontrolle bezeichnen würde. Einer davon ist der Vorschlag, eine Politik des Nicht-Ersteinsatzes nuklearer Waffen zu verfolgen, im W 6 sten verkündet und kürzlich vom sowjetischen Außenminister Gromyko bei einer Son-dersitzung über Abrüstung der Vereinten Nationen wieder hervorgeholt. Der Vorschlag ist oberflächlich attraktiv. Aber bei näherer Betrachtung zeigt er eine Reihe von Mängeln, die, würde er verwirklicht, zur Aushöhlung der Abschreckung führen müßten: — Jede Zusicherung des Nicht-Ersteinsatzes wäre unglaubwürdig. Einfache deklaratorische Aussagen sind ohne Bedeutung, wenn die Fähigkeit erhalten bleibt, die Absichtserklärung zu verletzen.
Die NATO wäre den konventionellen Streitkräften der Sowjetunion ausgeliefert, die größer und stärker als die eigenen sind: der NATO würde im Falle einer drohenden konventionellen Niederlage jedwede Ausweichmöglichkeit auf andere Mittel genommen. Im wesentlichen würde eine solche Zusicherung Europa zu einem sicheren Objekt für eine konventionelle Aggression machen und zu größerer Instabilität in Krisenzeiten führen.
Dann gibt es noch — von großer Publizität in den USA und Europa begleitet — die Bewegung, die das Einfrieren von Erprobung, Produktion und Stationierung nuklearer Waffen und ihrer Abschußsysteme befürwortet. Auch diese Position hat ernstzunehmende Nachteile: — Durch Einfrieren würde signifikante Rüstungskontrolle schwieriger. Wie ich bereits ausgeführt habe, sind die Modernisierungsprogramme der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten ein starker Anreiz — im Falle der INF gar der einzige Anreiz — über ihre eigenen Systeme ernsthaft zu verhandeln. Bei Einfrieren der Nuklearwaffen brauchten die Sowjets mit Modernisierung auf Seiten der USA und ihrer Verbündeten nicht mehr zu rechnen. Damit wird die Stärke unserer Position bei den Verhandlungen ausgehöhlt.
— Ein Einfrieren auf heute vorhandenem Niveau würde Vereinigten Staaten und die ihre Verbündeten auf eine Position militärischer Benachteiligung und Verletzbarkeit festschreiben. Ich habe Gebiete schon umrissen, auf denen solche Benachteiligungen und Verwundbarkeiten bestehen. Der Vorschlag des Einfrierens übersieht die Tatsache, daß zusätzlich zur Rüstungskontrolle bestimmte Formen der Modernisierung immer noch erforderlich wären, um dauerhafte Stabilität und verstärkte Abschreckung zu gewährleisten. — Ein Einfrieren jeglicher Erprobung, Produktion und Dislozierung von Nuklearwaffen wäre in wichtigen Bestandteilen nicht verifizierbar. Das praktische Ergebnis sähe so aus, daß der Westen alle Aspekte der Festschreibung erfüllen würde, ohne zu wissen, ob die Sowjets sich ebenso genau daran hielten.
— Einfrieren klingt einfach, wäre aber noch schwieriger auszuhandeln als eine Vereinbarung über Reduzierungen. Die Verhandlungen darüber, was wie eingefroren werden sollte und wie man verifizieren könnte, was schon eingefroren ist, wären komplex und würden sich lange hinziehen. Das würde von unserem übergeordneten Ziel ablenken, Reduzierungen zu erreichen.
— Einfrieren reicht einfach nicht aus. Wir meinen, daß Rüstungskontrolle, wenn sie richtig weitergeführt wird, zu einer niedrigeren Zahl an Kernwaffen auf beiden Seiten führen kann und führen sollte. Unsere START-und INF-Vorschläge basieren auf dieser Prämisse.