I. Ausgangsproblematik
Mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet das Amt des Bundeskanzlers und der Bundesminister (Art. 69 II GG). Das neu-gewählte Parlament erhält so automatisch die Möglichkeit, eine neue Regierung seines Vertrauens zu wählen. Die getroffene Wahlentscheidung wirkt sich damit nicht nur auf die Zusammensetzung der Volksvertretung aus. Sie richtet sich vielmehr von vornherein mittelbar auf die Zusammensetzung der neuen Regierungsmannschaft.
Eine so klare Regelung findet sich in etlichen Landesverfassungen nicht wieder. Bewußt wurde das Problem im vergangenen Jahr vor allem bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Juni 1982. Die bis dahin mit absoluter Mehrheit regierende SPD fiel auf 42, 8 Prozent der Wählerstimmen zurück; stärkste Partei wurde die CDU mit 43, 2 Prozent. Die CDU-Fraktion war gleichwohl nicht in der Lage, einen neuen Senat zu b Prozent. Die CDU-Fraktion war gleichwohl nicht in der Lage, einen neuen Senat zu bilden. Mit 56 Sitzen fehlten ihr 5 Sitze zur Mehrheitsbildung. Die Fraktion der Grün-Alternativen-Liste (7, 7 Prozent, 9 Sitze) kam für eine Koalition nicht in Betracht 1) -Da die Hamburger Verfassung keine Bestimmung kennt, die der Regelung des Art. 69 II GG entspricht, konnte der alte SPD-Senat im Amt bleiben, obgleich auch d Sitze zur Mehrheitsbildung. Die Fraktion der Grün-Alternativen-Liste (7, 7 Prozent, 9 Sitze) kam für eine Koalition nicht in Betracht 1) -Da die Hamburger Verfassung keine Bestimmung kennt, die der Regelung des Art. 69 II GG entspricht, konnte der alte SPD-Senat im Amt bleiben, obgleich auch der SPD-Fraktion keine Koalitionsbildung mit der GAL-Fraktion gelang. Vier Monate nach der Wahl, nachdem die Bemühungen zwischen SPD und GAL um eine Zusammenarbeit gescheitert waren, beschloß die SPD, den Antrag auf Auflösung der Bürgerschaft gemäß Art. 11 Hamburger Verfassung zu stellen 2), der zu den Neuwahlen am 19. Dezember 1982 führte.
Neben Hamburg lassen auch die Verfassungen von Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein klare Regelungen vermissen. Die offenen Regelungen dieser Landes-verfassungen waren denn auch von Anfang an Anlaß zu politischen Streitigkeiten. In Hamburg und Schleswig-Holstein waren die Regierungschefs Brauer und Diekmann bereits kurz nach Inkrafttreten der Landesverfassungen, 1950 und 1953, nicht bereit, von sich aus auf ihr Amt zu verzichten, nachdem die sie tragenden Parteien in vorausgegangenen Neuwahlen die Mehrheit im Parlament verloren hatten. Nur über konstruktive Mißtrauensvoten konnten sie zur Aufgabe gezwungen werden 3). 1975 verlor der saarländische Ministerpräsident Röder seine Mehrheit in der Volksvertretung. Im Gegensatz zu Diekmann und Brauer brauchte er aber wegen der eingetretenen Pattsituation ein Mißtrauensvotum nicht zu fürchten und blieb auf Dauer im Amt 4). Die verfassungsrechtliche Bewertung dieser politischen Verhaltensweisen geht angesichts der Offenheit des Verfassungstextes auseinander. Schon die Ereignisse der frühen fünfziger Jahre leiteten eine heterogene Kommentierung der betreffenden Landesverfassungen ein 5). Aus der Staatsrechtslehre kamen in der Folgezeit Stellungnahmen, die zunächst eine befürwortende Tendenz eines Abhängigkeitsprinzips von Regierung und Parlament erkennen ließen nach der saarländischen Pattsituation aber wieder unvereinbar miteinander erscheinen). Nach der hessischen Verfassung muß die Landesregierung zwar „zurücktreten, sobald ein neugewählter Landtag erstmalig zusammentritt" (Art. 113II). Bis zur Übernahme durch eine neue Landesregierung führt sie aber die laufenden Geschäfte weiter. Nachdem die „Grünen" aufgrund der Landtagswahl vom September 1982 in den Hessischen Landtag mit 9 Abgeordneten einzogen (CDU 52 Sitze, SPD 49 Sitze), verfügte auch hi Abgeordneten einzogen (CDU 52 Sitze, SPD 49 Sitze), verfügte auch hier die amtierende SPD-Regierung über keine parlamentarische Mehrheit mehr und konnte nur noch geschäftsführend Weiterarbeiten, da keine der großen Fraktionen eine Koalition mit den „Grünen" einging 8).
Für die hessische Situation wie auch für die in den angesprochenen Landesverfassungen stellt sich von neuem die Frage nach den Auswirkungen der Wahlen auf die Regierungsbildung. Gibt es, auch wenn eine klare Regelung nicht erkennbar ist, gleichwohl ein Abhängigkeitsprinzip, das die alte Regierung nach Verlust der Mehrheit im neuen Parlament zur Aufgabe zwingt? Obgleich diese Frage schon seit der Entstehungsphase des Art. 69 II GG im parlamentarischen Rat quer durch die Parteien heftig umstritten war 9), nahm das Bundesverfassungsgericht 1969 die Klage der SPD-Landtagsfraktion von Schles-wig-Holstein gegen die dort geübte Praxis des Amtsverbleibs des Ministerpräsidenten nach Landtagswahlen ohne Wiederwahl nicht zum Anlaß, dieser Frage mit der nötigen theoretischen und historischen Aufarbeitung nachzugehen Es entzog sich dieser Erörterung im wesentlichen mit dem Hinweis auf das vorhandene konstruktive Mißtrauensvotum. Daß dieses Instrument dem Prinzip der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament aber nur bei klaren Mehrheitsverhältnissen Rechnung zu tragen vermag, wurde inzwischen durch die saarländische Pattsituation verdeutlicht. Doch auch zur Zeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatten sich bereits mehrere bekannte Staatsrechtler mit dem vorhandenen Instrumentarium zur Gewährleistung des Abhängigkeitsprinzips in den angesprochenen Bundesländern nicht zufriedengegeben und die Gegenthese von einer notwendigen positiven Vertrauensbegründung des neuen Parlaments aufgestell Der magere Ertrag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnte daher nicht befriedigen. Dies ließen bereits die kritischen Beurteilungen in den Urteilsanmerkungen deutlich werden, die auf eine breitere und grundsätzlichere Klärung abzielten Die späteren Entwicklungen geben Grund zu einem erneuten überdenken, zumal der Erfahrungshorizont durch die Verschiedenartigkeit der Aspekte erweitert erscheint.
II. Parlamentarismusgeschichtliche Aspekte des Abhängigkeitsprinzips
Die Entstehung eines Abhängigkeitsprinzips der Regierungsbildung von Parlamentswahlen ist auf die Parlamentarismusgeschichte von Großbritannien zurückzuführen, die insgesamt auf den kontinentalen Parlamentarismus prägenden Einfluß hatte. Hier war es im Jahre 1868 zunächst Disraeli, der vom Amt des Premierministers nach mehrheitsverändernden Wahlen zu seinen Ungunsten zurücktrat, ohne ein parlamentarisches Votum abzuwarten. Königin Victoria nahm diesen Schritt trotz heftiger Kritik gerade auch aus den Reihen der obsiegenden Partei Gladstones widerspruchslos hin, um Disraeli von vornherein die zu erwartenden parlamentarischen Niederlagen zu ersparen. Disraeli hatte einen Präzidenzfall geschaffen, der — sicherlich gegen seinen Willen — die parlamentarische Entscheidungsfreiheit im Repräsentativ-System durch das dahinter stehende, in Wahlen zum Ausdruck kommende Plebiszit des Volkssouveräns einzuengen begann. Der neuen Regel folgten 1880 und 1886 Gladstone und wieder Disraeli; Baldwin war 1924 der letzte englische Premier, der nach einer verlorenen Wahl erst ein Mißtrauensvotum abwartete, um aus dem Amt zu scheiden
Die deutsche Parlamentsgeschichte kennt demgegenüber bis zum Zustandekommen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen nur Ansätze zum Abhängigkeitsprinzip oder aber eines, das vom Dualismus des Präsidial-systems konterkariert wurde. Das Zeitalter des deutschen Konstitutionalismus weist zunächst allenfalls im preußischen Budgetkonflikt (1862— 1866) Entwicklungslinien auf, die auf eine Einführung einer parlamentarischen Regierungsweise hinzielten mit der Niederlage des Parlaments gegenüber der monarchischen Exekutive aber bereits wieder zum Erliegen kamen Mehr Bedeutung wird in dem verfassungsgeschichtlichen Schrifttum in dieser Hinsicht der „Daily-Telegraph-Affäre“ (1908) beigemessen, in der mittels des Interpellationsrechts im Reichstag erreicht wurde, daß der Reichskanzler Fürst Bülow auf das Aufklärungsverlangen hinsichtlich einer kaiserlichen Stellungnahme gegenüber der britischen Zeitung „Daily-Telegraph“ einging Das Interpellationsrecht, das Laband so bedeutungslos eingeschätzt hatte, wie das Recht, „ein Hoch auf den Kaiser auszubringen“ bekam damit eine bisher ungekannte politische Bedeutung. Der Durchbruch zu einer dem englischen Parlamentarismus vergleichbaren Entwicklung gelang aber erst, als 1917 der Regierung des Prinzen Max von Baden formell vom Reichstag das Vertrauen ausgesprochen wurde. Ein solcher Akt stellte ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte dar und schuf die Voraussetzung für einen raschen Übergang in die formelle Verfestigung einer parlamentarischen Abhängigkeit: Mit dem Gesetz vom 28. Oktober 1918 zur Abänderung der Reichsverfassung wurde die Regierungsführung der Reichsregierung vom Vertrauen des Reichstages abhängig gemacht, wenngleich dadurch das Recht des Kaisers, den Reichskanzler zu ernennen und entlasten, nicht angetastet wurde Die Weimarer Verfassung übernahm diese Regelung mit Art. 54 WV; an die Stelle des Kaisers trat der Reichspräsident.
Der Parlamentarismus des Weimarer Systems unterscheidet sich aber sowohl von dem nach 1945 als auch von dem der angesprochenen Systeme im übrigen in einer Weise, die die Frage der Gewährleistung der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament in einem völlig anderen Licht erscheinen läßt. Die starke Stellung des Präsidenten, die sich prinzipiell auf sein von Parlamentswahlen unabhängiges Elektorat gründete, mußte sich systemimmanent auch auf die Position der Regierung auswirken. Die Abhängigkeitsfrage war von vornherein ambivalent zu stellen: in Richtung auf die Volksvertretung, zugleich aber auch in Richtung auf den Präsidenten. Die Frage, ob das Präsidialsystem gegenüber einer „Monokratie des Parlaments" den „echten Parlamentarismus“ verkörpert oder — ganz im Gegenteil — die Stellung eines starken Staatsoberhaupts mit dem Wesen des Parlamentarismus unvereinbar ist erscheint hierbei müßig. Entscheidend ist das bereits in diesem Definitionenstreit zum Ausdruck kommende Moment der unumgänglichen qualitativen Differenzierung dieser beiden Spielarten des Parlamentarismus, die ein argumentatives Zurückgreifen auf die staatsrechtliche Bewertung des Abhängigkeitsprinzips in der Weimarer Zeit für heutige Verhältnisse in den Regierungssystemen der Bundesrepublik versperrt Die Entstehung des Abhängigkeitsprinzips, insbesondere in der der kontinentalen Entwicklung vorangeschrittenen englischen Parlamentarismusgeschichte, gibt aber Hinweise auf seine ursprüngliche Funktion, an der die gegenwärtige zu messen ist. Der Rücktritt Disraelis nach den verlorenen Parlamentswahlen findet seinen wirklichen Grund in der diesem Ereignis bereits vorangegangenen parlamentarischen Abstimmungsniederlage über eine „vital question", die nach den bestehenden parlamentarischen Konventionen schon zum Rücktritt hätte führen müssen. Disraeli umging dies durch neue Parlamentswahlen, aber nicht, um damit die Entscheidungssouveränität des Parlaments durch die der dahinter stehenden Wahlbürger einzuschränken, sondern um künftige Abstimmungsniederlagen zu vermeiden Die Ursprünge des Abhängigkeitsprinzips lassen sich danach mit der Einsicht der bisherigen Regierungen in die praktischen Notwendigkeiten erklären, die aus einem Wechsel der Mehrheiten im Parlament mit dem Verlust der weiteren Arbeitsgrundlage folgten. Zu vergegenwärtigen ist, daß die Bedeutung der parlamentarischen Beschlußtätigkeit seit dem 18. Jahrhundert so zugenommen hatte, daß eine Regierung ohne dieses Instrument kaum mehr funktionsfähig war
Begründet wurde diese Tendenz zum einen durch die Steigerungen der staatlichen Ausgabentätigkeit, die aus den überkommenen Domänen und Regalien nicht mehr zu decken war und daher Steuerbewilligungen durch die Landesstände und späterhin die Parlamente notwendig machten. Auf dem europäischen Kontinent waren Ursachen hierfür die aus dem Siebenjährigen Krieg entstandene Finanzkrise, insbesondere dann aber die hohen Staatsverschuldungen im Zusammenhang mit den Napoleonischen Kriegen, die in geringerem Ausmaß auch das englische Königsreich trafen. Das nach dem politischen und militärischen Zusammenbruch absolutistischer Regime entstandene Machtvakuum löste aber darüber hinaus eine staatsreformerische Enwicklung aus, die als eine „Revolution von oben" mit einer umfangreichen Regelungstätigkeit verbunden war. Beispielhaft sind hier die in Preußen durchgeführten Stein-Hardenbergischen Reformen, die das Land in die Lage versetzen sollten, zugleich auch der unter dem Eindruck der Ideenwelt von Adam Smith entstehenden bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaft den Weg zu bereiten. Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit und kommunale Selbstverwaltung waren der Anfang einer rapiden Entwicklung, die schon wenige Jahrzehnte danach in eine umfangreiche und komplizierte Kodifizierungstätigkeit übergingen, auf die die kapitalistische Wirtschaftsweise angewiesen war. „Was jetzt zunehmend gebraucht wurde, waren globale Regulierungen, welche die optimalen Rahmenbedingungen für die ökonomisch mögliche freie Konkurrenzwirtschaft bereitstellen mußten und die staatlicherseits einen ausreichenden Spielraum für unternehmerisches Gewinnstreben zu garantieren hatten.“ Das galt einerseits für eine ungehinderte Teilnahme der in die wirtschaftlichen Abläufe aktiv einbezogenen Schichten des Besitzbürgertums, andererseits aber auch zunehmend für die Betroffenen dieses Prozesses, deren möglichen Systemstörungen durch Protestmaßnahmen vorzubeugen war.
So war gerade die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die die Anfänge der Herausbildung des Abhängigkeitsprinzips fallen, durch eine Regelungstätigkeit der Parlamente gekennzeichnet, die in dieser Umfassendheit zugleich zu qualitativen Veränderungen der parlamentarischen Funktionen führte. Die Gewährleistung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abläufe unter liberalistischen Vorzeichen machte für die politische Exekutive die Durchsetzung von Regelungsprogrammen im handels-und wirtschaftspolitischen sowie dem sozialen Bereich erforderlich, die nur unter der Einschaltung des Parlaments zu realisieren war. Regieren war damit ohne einen permanenten Abstimmungsprozeß mit dem Parlament unmöglich geworden, eine Exekutive ohne die Unterstützung des Parlaments handlungsunfähig.
Aus dieser Erfahrung heraus ist zu verstehen, wenn Katz im Parlamentarischen Rat gegen die Einführung des Art. 69 II GG den Einwand erhob, auch ohne eine ausdrückliche Normierung würde der Lauf der politischen Entwicklung dahin gehen. Der parlamentarische Brauch, der sich auch in Deutschland herauszubilden begonnen hatte, nach dem eine Regierung nach verlorenen Parlamentswahlen vom Amt zurücktrat, basierte auf pragmati-schen Einsichten. Die zurückliegende Phase war deshalb nicht einmal in der Lage, ein allseits verbindliches Verfassungsgewohnheitsrecht zu erzeugen: Der Brauch blieb in seinen politischen Auswirkungen in dieser Phase auf die parlamentarische Arbeit beschränkt und konnte noch nicht in eine allgemeine Rechtsüberzeugung übergehen
III. Die Bedeutung mehrheitsverändernder Wahlen für die Legitimationsbasis parlamentarischer Regierungen
Carlo Schmid wies in der gleichen Debatte jedoch auf eine qualitative Veränderung der Bedeutung dieser Regel hin, die eine Neubesinnung gerechtfertigt erscheinen ließ und wohl letztlich auch den Ausschlag für die Einführung des Art 69 II GG gab: Nach dem Niedergang des dualistischen Verhältnisses von Regierung und Parlament sei die Regierung nunmehr ein Produkt des Parlaments in seiner jeweiligen Zusammensetzung: jedes Parlament habe die ihm zugeordnete Regierung, wechsle das Parlament, so müsse auch die Regierung wechseln Carlo Schmid hebt hier mit anderen Worten auf die Kongruenz der Legitimationsgrundlagen der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheiten ab.
Ob sich daraus organisationsrechtliche Folgerungen ableiten lassen, die einem Weiterregieren nach parlamentarischem Mehrheitsverlust im Wege stehen, hängt davon ab, welche Bedeutung man Legitimationsaspekten im politischen Willensbildungsprozeß beimißt.
teresses in seinem Selbstverständnis nicht weit von der vorherrschenden Begriffswelt der Soziologie entfernt, wie sie insbesondere von Max Weber vertreten wurde. Die den staatsrechtlichen Bereich bestimmende „normative verfassungsrechtliche Ebene", die die Frage nach den „normativen Konstitutionsbedingungen" mit der Legitimationsproblematik verband war aus der Tradition der Über-windung der Naturrechtslehre heraus vom Positivismus geprägt. Die Verfassung und die durch sie gesetzte Ordnung bedurften danach keiner ethischen oder sonstigen ideellen Rechtfertigung. Sie trug sich aus der Sachlegitimation der verfassungsgebenden Gremien und der daraus abzuleitenden Legalität heraus
Sie traf sich hierin weitestgehend mit den Anschauungen der soziologischen Legitima-1. Formale Legitimation Zur Zeit der Überlegungen von Carlo Schmid hatte sich weder in der Staatsrechtslehre noch in der Legitimationstheorie des soziologischen Schrifttums eine Meinung durchsetzen können, die dem Legitimitätsbegriff inhaltliche Kategorien zuzuschreiben bereit war, aus denen sich exogene Anforderungen an bestehende Systeme hätten herleiten lassen. Die Diskussion war vielmehr nach wie vor vom Positivismus der Weimarer Zeit bestimmt und konnte deshalb nicht für die verfassungspolitischen Erörterungen des Parlamentarischen Rates nutzbar gemacht werden.
Der staatsrechtliche Meinungsstand war in der Problematisierung des Legitimitätsbegriffs trotz des unterschiedlichen Ausgangsin~ tionstheorie Max Webers. Legitimität ist danach die mit bestimmten Techniken erreichbare Chance, die für Herrschaftsverhältnisse notwendige Voraussetzung einer Fügsamkeit oder eines Gehorchens der Herrschaftsunterworfenen zu erreichen In dieser Technizität ist der Legitimitätsbegriff kein inhaltlicher Maßstab, der sich an formell konsistente Verfahrensregeln anlegen ließe. „Legale Herrschaft“ als der Typ legitimer Herrschaft, der in diesem Zusammenhang anzusprechen ist, läßt im Prinzip „beliebiges Recht durch formal korrekt gewillkürte Satzung" zu Die parlamentarischen Regeln interessieren als Mittel der Gewährleistung von Herrschaftsausübung, sind also nur im Hinblick daraufhin zu überprüfen, nicht aber auf einen hiervon abstrahierten Legitimitätsbegriff zu hinterfragen. Es ist bezeichnend, daß Weber den Parlamentarismus bejahte, weil er sich von ihm eine bessere Führungsauslese im Vergleich zu dem und kontrollfreien persönlichen Regiment der Beamtenschaft versprach.dem konstruktiven Mißtrauensvotum stand Weber bei diesem Legitimitätsverständnis ablehnend gegenüber 2. Inhaltliche Anforderungen an den Legitimationsbegriff Die Anhebung der Legitimitätserörterung auf eine materielle Ebene, die im staatsrechtlichen Schrifttum als gegenläufige Entwicklung zum Positivismus mit Heller und Smend beginnt wurde von sozialwissenschaftlichen Autoren umfassend auf dem Politologentag 1975 verdeutlicht. Die dort überwiegend aus einer inhaltlichen Sicht geführte Diskussion erbrachte zugleich Ansätze, mit deren Hilfe alternative Formen überprüfbar werden können. Befruchtend wirkte sich hier die durch den Luhmann'schen Legitimationsbegriff ausgelöste kritische Auseinandersetzung mit formalen Positionen des soziologischen Ansatzes aus. Zwar interessiert sich Luhmann im Gegensatz zu Weber weniger für faktisches Handeln des im politischen System agierenden Individuums als für die Legitimation des politischen Systems selbst. Von daher kritisiert auch er bei Weber die mangelnde Berücksichtigung der sozialen Prozesse und der gesellschaftsstrukturellen Bedingungen, die für Legitimationsvermittlungen erforderlich sind Im Gegensatz etwa zum Wahrheitsbezug von Legitimität bei Habermas geht es aber Luhmann um die verfahrensmäßige Gewährleistung der Absorption von systemstörenden Prozessen, nicht hingegen um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihnen Vertreter eines materialen Legitimationsbegriffs geben sich mit dem an Effizienzkriterien orientierten Interesse an einem reibungslosen Ablauf der systembedingten Prozesse durch entsprechende Verfahrensregeln nicht zufrieden. Legitimität, ihre -die wesentli che Stütze in formalen Regeln sucht, die Legalität also in den Vordergrund stellt, führe nur zu einer Stabilisierung des Status quo, ohne damit aus sich heraus Herrschaft rechtfertigen zu können. Grimmer stellt die Entwicklung der Weimarer Demokratie in der Weise dar, daß zunächst materiale Legitimität und formale Legitimität zusammentrafen, mit der Entfernung vom revolutionären Ausgang aber immer weiter auseinanderfielen, so daß zuletzt alleine das tradierte positivistische Legalitätsprinzip Gewicht behielt Formale Legitimation, die aus der gesetzten Regelung der Verfahrensabläufe erwachsen soll, bedarf — wie hieraus deutlich wird — der permanenten Rückkoppelung zu den dahinter stehenden materialen Vorstellungen, will sie nicht zum bloßen Instrument jedweder Herrschaftsausübung werden. „Legalität kann dann und nur dann Legitimität schaffen, wenn Gründe dafür angegeben werden können, daß bestimmte formale Verfahren unter bestimmten institutionellen Randbedingungen materiale Gerechtigkeitsansprüche erfüllen." Diese Habermas’sche Formel der Verbindung materialer und formeller Legitimation umreißt die Defizite bloß formalistischer Betrachtungen in kaum zu übertreffender Präzision
Legt man beide Legitimationsbegriffe zugrunde, so beantwortet sich die Frage nach der legitimationsvermittelnden Funktion von Parlamentarismusregeln zur Lösung des Ausgangsproblems wie folgt: Eine primäre Stufe dient der Schaffung der äußerlich notwendigen Verbindungen zum Volkssouverän mittels des Wahlakts. Sie erschöpft sich in der bloßen Herstellung von Legalitätsansprüchen genügenden Regeln zur Erreichung von politischer Stabilität. In der Weber'schen Terminologie zielt das auf nichts anderes als die Erreichung von Gehorsam der Herrschaftsunterworfenen Die Ausgangsfrage nach der Notwendigkeit einer Homogenisierung der Parlamentswahlen zu der Wahl der Exekutive durch das Parlament findet auf dieser Stufe keinen ausreichenden Maßstab zur Beantwortung. Zwar setzt auch das Konzept der formalen Legitimationstheorie ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen den Verfahrens-regeln und den Erwartungen der Betroffenen voraus, weil sonst systemstörende Prozesse die Folge sein müßten oder, vom handlungstheoretischen Ansatz her besehen, die Chance zur Herrschaftsverwirklichung sinken müßte. Verfahrensregeln müssen deshalb zumindest systemkonform sein, wenn sie legitimierende Kraft gewinnen wollen Die vom Verfassungsgeber nicht geregelte Frage, ob die Neuwahl des Parlaments auch Einfluß auf die Zusammensetzung der Regierung haben soll, bleibt in dieser Sicht eher eine Stil-frage. Etwaige Unzufriedenheiten in der Bevölkerung, die auf andere Erwartungen schließen lassen, sind allenfalls auf Mängel im „sozialen Klima" zurückzuführen, für das der Selbstdarstellungsapparat der politischen Funktionsträger verantwortlich zu machen ist
Die Ausgangsfrage läßt sich nur auf der sekundären Stufe der legitimationsvermittelnden Funktion parlamentarischer Regeln beantworten. Die Hinnahme technisch brauchbarer Transmissionsmittel reicht hier nicht mehr aus. Legitimation ist nicht bereits mit dem Hinweis auf eine unterbrechungsfreie Linie zu einer formalisierten Entscheidung des Volkssouveräns belegbar. Die Linie selbst muß bestimmten qualitativen Ansprüchen genügen, um Legitimität erzeugen zu können. Entscheidend ist also nicht die faktische Nachweisbarkeit der Linie, sondern die Art und Weise ihrer Existenz. Das bedeutet, daß auch das Herrschaftsverhältnis selbst in die Überlegungen mit einzubeziehen ist. Die Gesamtbetrachtung läßt erst eine Aussage darüber zu, ob materiale Gerechtigkeitsmaßstäbe als Voraussetzung einer inhaltlich bestimmten Legitimität verwirklicht erscheinen. 3. Inhaltliche Anforderungen aus der Funktion von Parlamentswahlen Die Ermittlung materieller Maßstäbe des Legitimationsprinzips führt im konkreten Anwendungsfall des Abhängigkeitsprinzips der Regierung von Parlamentswahlen zur Frage nach der generellen Funktion der Wahl für Herrschaftsbegründung im demokratischen System. Der bloße Hinweis auf das Demokratieprinzip des Art. 20 II GG und die mit ihm im Zusammenhang stehenden Wahlgrundsätze des Art. 38 GG als materiell legitimierende Faktoren reicht dabei zur Beantwortung nicht aus Ohne auf die dahinterstehenden inhaltlichen Vorstellungen einzugehen, bleiben auch diese Prinzipien zunächst nur leere Formeln, die materiellen Legitimationsansprüchen nicht standhalten.
Aus der Struktur des GG ist eine ambivalente Funktion von Parlamentswahlen erkennbar. Einerseits kommt mit der Aufnahme des Art. 38 I 2 GG das Repräsentationsprinzip in noch eindeutigerer Form zum Ausdruck als in Art. 21 WV. Das imperative Mandat soll damit, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon frühzeitig hervorhob, ausgeschlossen sein Das Grundgesetz verzichtet darüber hinaus auch auf die sonst aus 42 der Weimarer Verfassung bekannten plebiszitären Formen der Entscheidungsbeteiligung — sicherlich eine Folge der „ungünstigen Erfahrungen, die man damals mit der Veranstaltung von Volksbegehren mit radikalen Forderungen gemacht hat" Gleichzeitig bekennt sich das Grundgesetz in Art. 21 GG aber zum Parteienstaat. Die Abgeordneten unterliegen somit gegenläufigen Prinzipien: Die im reinen Repräsentationsprinzip verkörperte Unantastbarkeit der Abgeordnetenentscheidung wird durch den gleichzeitig anerkannten Einfluß der ihn tragenden politischen Partei differenziert; der Abgeordnete ist in einer „Doppelstellung", nämlich „Vertreter des Volkes" und zugleich „Exponent einer konkreten Parteiorganisation"
Trotz der Verankerung des Repräsentationsprinzips konnte es deshalb in dem in solcher Weise weit gesteckten Rahmen der Verfassung zu den von Leibholz erwähnten plebiszitären Entwicklungen bereits in den Bundestagswahlen der Nachkriegszeit kommen Die Stimmentscheidung zielt seitdem erkennbar nicht nur auf eine repräsentative Auslese von Bürgern für die Volksvertretung. Die Vorentscheidung über die Kandidaten wird bereits durch die Parteien getroffen und die Parteien formulieren für die Aktivbürgerschaft generelle Wahlalternativen, die über die individualen Wahlversprechungen der Kandidaten hinausgehen. Die Wahl ist deshalb nicht bloß ein Rekrutierungsakt zur Bildung des Repräsentativorgans, sondern zugleich eine inhaltliche Entscheidung über die unterschiedlichen Konzeptionen, die die konkurrierenden Parteien in ihren Parteiprogrammen anbieten.
Das dem Grundgesetz zugrunde gelegte Kombinationsmodell von repräsentativen und plebiszitären Elementen der Wahlen zum Parlament entspricht Ansätzen im sozialwissenschaftlichen Schrifttum, denen folgende Überlegungen zugrunde liegen: Vorstellungen, die den Identitätsgedanken zwischen Herrschenden und Beherrschten zu stark in den Vordergrund stellen und zu dessen Verwirklichung ihr Heil in plebiszitären Rezepten suchen, geraten in die Gefahr, die Komplexität der anstehenden gesellschaftlichen Probleme nur unzureichend zu erfassen. Das Vermittlungsverhältnis der gesamten Wahlbevölkerung zu den Gewählten beschränkt sich auf globale Inhalte. Der — wie auch immer — bestimmte Kreis der Partizipationsbefugten müßte soweit aktiviert werden, daß in einem ausreichenden Maß von der Befugnis Gebrauch gemacht wird. Bleibt dies unterhalb der erforderlichen Grenze, so wird der Ausgang der Entscheidung willkürlichen Entwicklungen ausgeliefert, die das demokratische Mehrheitspostulat nicht zu erfüllen vermögen. Daß dies nicht gewährleistet ist, hat die empirische Sozialforschung belegen können Unter solchen Gegebenheiten erscheint es aber möglich, daß aktive Minderheiten die Mehrheit majorisieren so daß die hinter der plebiszitären Demokratietheorie stehenden Vorstellungen in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das repräsentative Modell setzt hingegen eine im Parteienstaat ungerechtfertigte Hoffnung in die Unabhängigkeit der Parlamentarier. Die aus dem bürgerlichen Liberalismus des 19. Jahrhunderts übernommene Idee des aus partikularen Interessen losgelösten Parlaments, das aufgrund des freien Mandats eine rationale politische Diskussion gewährleistet entspricht nicht der Realität eines Staates, in dem die Rekrutierung von Abgeordneten in wesentlichen Teilen über Parteien und damit interessengebundenen Gruppen erfolgt. Die legitimatorische Funktion von Wahlen läßt sich daher weder ausschließlich mit dem einen noch mit dem anderen Modell erfassen. Die „Lehre von der gegensätzlichen Logik der politischen Formprinzipien Repräsentation und Identität", die hierin zwei sich ausschließende Ansätze sieht, läßt sich nicht aufrechterhalten Die Kombination von plebiszitären und repräsentativen Ansätzen der Demokratietheorie, die einerseits dem Spannungs-Verhältnis des Art. 381 2 GG zu Art. 21 GG Rechnung trägt, andererseits aber auch an eine „komplexe Demokratietheorie" der sozialwissenschaftlichen Erörterung anknüpfen kann, läßt sich am besten in einem „Zwei-Parteiensystem" Darin wird es - mög lich, eine von den pluralistischen Einflußstrukturen des Parlaments relativ unabhängige zentrale Entscheidungsstelle zu installieren, weil die dem Bürger angebotenen Wahl-alternativen zugleich die Regierungsbildung zum Gegenstand haben, so daß insoweit die parlamentarische Entscheidungsfreiheit eingeengt wird. Die auf diese Weise von dem eigentlichen Regierungswahlakt durch das Parlament unabhängiger gewordene Regierung vermag deswegen das gegen pluralistische Veto-Positionen notwendige Maß an Innovativkraft aufzubringen, um die darüber hinausreichenden Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens anzugehen
Die Situation des Zweiparteienmodells entspricht in erster Linie dem englischen System. Daran knüpfen auch seine Verfechter von Karl Loewenstein, Carl C. Friedrich bis Josef Schumpeter an Eine unmittelbare Anlehnung findet sich hingegen bei Scharpf nicht mehr. Es geht ihm nicht um ein Konkurrenzmodell von zwei formell als solchen fungierenden politischen Parteien, sondern um das von zwei „konkurrierenden Führungsgruppen" Das können auch Koalitionen sein. Im Gegensatz zum Vielparteienmodell, in dem über die Regierungsbildung nach der Parlamentswahl und vorrangig vom Parlament entschieden wird, müssen diese Koalitionen aber bereits zur Zeit der Parlamentswahl gebildet sein. Dann ist der Unterschied zum ursprünglichen Zwei-Parteiensystem im Hinblick auf die Regierungsbildung nicht mehr wesentlich: Auch dann bestehen zwei Regierungsalternativen, die von zwei konkurrierenden Gruppen vertreten werden. Die Erfahrungen aus dem Zwei-Parteiensystem lassen sich dann auf das deutsche Parteiensystem übertragen, wenn sich Koalitionen bereits vor der Wahl bilden und damit Aussagen zweier konkurrierender Gruppen getroffen werden. Dies entspricht der bundesdeutschen Wahlpraxis, wenngleich, wie der Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 zeigt, die
Versprechungen gegenüber dem Wähler nach den Wahlen nicht immer sehr ernst genommen werden. 4. Parlamentswahlen als Legitimationsbasis der Exekutive Die Parlamentswahlen sind zugleich zum zentralen Akt der Anbindung der Exekutiven an die Entscheidung des Volkssouveräns geworden. Nicht nur das Repräsentativorgan Parlament selbst, sondern „der ganze staatliche Apparat hängt, was die demokratische Legitimation angeht, sozusagen an der Nabelschnur der Parlamentswahl" Diese Entwicklung seit den Anfängen des parlamentarischen Regierungssystems unter dem Grundgesetz ist es, die den von Leibholz als plebiszitär bezeichneten Charakter der Wahlen ausmachte Sie begann bereits mit den Erfolgen der ersten Adenauer-Regierung, die die Wahlen 1953 zu einem Plebiszit über diese Regierung werden ließen. Dies wiederholte sich in den folgenden Wahlen immer wieder in ähnlicher Weise. Auch die Tatsache, daß vier Regierungen auf einem von Parlamentswahlen losgelösten Wahlakt des Parlaments beruhten ändert nichts daran, daß alle Wahlen zum Bundestag, die mit der Regierungsbildung zusammenfielen, ähnlich plebiszitären Charakter trugen wie die 53er Wahl Dies korreliert zur englischen Nachkriegsentwicklung im nominellen Zwei-Parteiensystem, in dem entsprechend der bereits 100 Jahre zuvor getanen Prophezeiung H. G. Greys die Unterhaus-wahlen zu einer Volkswahl des Premierministers wurden Die Präsentation von jeweils nur zwei Spitzenkandidaten, die von zwei konkurrierenden Gruppierungen unterstützt wurden, hat dazu geführt, daß die daraus resultierenden Regierungen ihr Mandat unmittelbar dem Wahlakt und nicht erst — wie in echten Vielparteiensystemen — den nach der Wahl stattfindenden pluralistisch strukturierenden Koalitionsverhandlungen verdan-ken Das in den Parlamentswahlen zum Ausdruck gekommene Votum hat damit zugleich einen, wenn auch beschränkten Aussagewert für die politischen Inhalte der künftigen Regierungsarbeiten. Zwar enthält die Wahlaussage keine detaillierten, ohne weiteres konkretisierbaren Handlungspräferenzen der Regierungskandidaten. Dem Wähler werden jedoch globale Handlungslinien erkennbar, für die er sein Votum abgibt. Die Funktion der Wahl bleibt so nicht auf die Innendifferenzierung des politischen Systems zur Bewältigung von Komplexität beschränkt. Sie ist kein bloßer Rekrutierungsakt, sondern stellt auch ein gewisses Maß an Identität zwischen Wähler und Gewählten her. Dies wird nicht nur in den Unterschieden der Wahlplattformen der zur Wahl angetretenen Gruppierungen erkennbar Es tritt zugleich in der schichtspezifischen Zuordnung bestimmter Wählergruppen zu bestimmten Parteien zutage, auf die diese als Stammwählerschaft rechnen. Die Politik der jeweiligen Parteien stellt sich auch zwischen den Wahlen darauf ein, wie die traditionelle Nähe der großen Parteien zur Arbeitnehmerschaft auf der einen Seite oder zu industriellen Interessen auf der anderen Seite zeigt.
IV. Ergebnis
Der Mehrheitsverlust parlamentarischer Regierungen aufgrund von Parlamentswahlen darf nach diesen Überlegungen auch dann nicht ohne Konsequenz bleiben, wenn die verfassungsrechtliche Regelung formal einen Fortbestand der Regierung ermöglicht. Es bleibt sich gleich, ob dieser Fortbestand darauf beruht, daß auch nach Wahlen erst ein konstruktives Mißtrauensvotum die Regierung zur Aufgabe zwingt (so Art. 35 II Hamburger Verfassung), oder aber, ob trotz Rücktritt die Regierung so lange geschäftsführend im Amt bleiben kann, bis das Parlament eine neue Regierung gewählt hat (so Art. 113 III Hessische Verfassung). Mehrheitsverändernde Wahlen bewirken einen Legitimitätsverlust für die vom vorangegangenen Parlament gewählte Regierung, der sich auch auf deren Existenz auswirken muß.
Entwicklungsgeschichtlich ist ein so verstandenes Abhängigkeitsprinzip aus den Erfahrungen begründet, die sich aus der zunehmenden Bedeutung parlamentarischer Entscheidungen seit der Regierungstätigkeit im 19. Jahrhundert ergaben. Je mehr die bürgerlich geprägten Parlamente an Einflußspielraum — zunächst in England — gewannen, um so weniger bestand eine Überlebenschance für Regierungen, die ihre parlamentarische Mehrheit aufgrund von Wahlen verloren hatten. In dem Zeitpunkt, in dem die weichenstellenden Entscheidungen nicht mehr ohne das Parlament getroffen werden konnten, begannen parlamentarische Regierungen deshalb von sich aus nach einem Mehrheitsverlust aufgrund von Wahlen auf den Verbleib im Amt zu verzichten. Daraus entwickelte sich eine ungeschriebene parlamentarische Regel.
Die ungeschriebene Regel vom Abhängigkeitsprinzip stand Pate für die Normierung des Art. 69 II GG. Landesverfassungen, die nichts Vergleichbares enthalten, gehen wegen des Legitimitätsverlustes parlamentarischer Regierungen nach mehrheitsverändernden Wahlen gleichwohl nicht an ihr vorbei. Legitimität entsteht nämlich nicht allein aus dem formalen Einhalten der geschriebenen Regeln, sondern setzt darüber hinaus inhaltliche Bedingungen voraus. Sowohl aus der Funktion von Parlamentswahlen nach der Systematik des Grundgesetzes, die insoweit der der Landesverfassungen entspricht, als auch nach Erkenntnissen des Zweigruppenmodells bei Wahlen muß der Parlamentswahlakt jedenfalls dann auf die Regierungsbildung durchschlagen, wenn die geplante Regierung/Regierungskoalition in den Abstimmungsprozeß mit einbezogen würde. Dem System des Grundgesetzes enspricht dieses Veständnis, weil es trotz der Entscheidung für das repräsentative Modell plebiszitäre Elemente der Wahl anerkannt hat. Das Zweigruppenmodell, am reinsten in Wahlsystemen mit zwei Parteien vertreten, geht von zwei klaren Alternativen für die Regierungsbildung aus. Es ent-spricht der Situation in der Bundesrepublik, wenn aufgrund von Koalitionsabsprachen vor der Wahl dem Wähler ebenfalls zwei klare Alternativen geboten werden. Dann geht die Legitimation des gesamten Staatsapparates, also auch der Regierung, auf den Parlaments-wahlakt zurück. Die Wahlen auf Bundes-und Landesebene tendieren seit langer Zeit immer klarer in diese Richtung.
In einem derart beschaffenen Legitimationssystem muß das in Wahlen zum Ausdruck kommende Plebiszit die systembedingten und auch angekündigten Konsequenzen zeitigen. Dies verlangt nicht nur das (objektive) Konsistenzerfordernis, sondern auch der für jeglichen Legitimationsvorgang unverzichtbare (subjektive) Vertrauensfaktor Durch die hervorgehobene Präsentierung der Kandidaten für die künftige Regierungsbildung vor Parlamentswahlen hat sich die Homogenisierung der Wahl von Legislative und Exekutive in den gegenwärtigen Wahlverfahren der Bundesrepublik ganz auf die Erwartungshaltung der Wahlbürger übertragen. Dem Wähler bleibt deswegen unverständlich, wenn seine uno actu getroffene Entscheidung über die Zusammensetzung von Legislative und Exekutive nur auf einer Ebene Berücksichtigung findet. Hier büßt die Plausibilität des gewählten Verfahrens in einem Maße ein, daß delegitimierende Vertrauenskrisen entstehen können. Der vom gegenwärtigen Typ des parlamentarischen Regierungssystems erhobene Legitimitätsanspruch setzt daher zu seiner Einlösung voraus, daß die systembedingten Verfahren der Legitimitätsbeschaffung von solchen Widersprüchen befreit werden.
Im Ergebnis können Regelungen, die einen Verbleib der Regierung trotz Mehrheitsverlust erlauben, daher nur so verstanden werden, daß damit Provisorien für eine Übergangszeit geschaffen werden. Die provisorische Regierung trifft die Pflicht, die nötige Legitimationsbasis im nachhinein zu schaffen oder den Wähler von neuem entscheiden u lassen. Da Koalitionsabsprachen im nachhinein aber ebenfalls zu einer Abkoppelung von der legitimierenden Basis des Wahlaktes führen können, sind auch hier, wenngleich aus politichen Gründen, Neuwahlen häufig der einzige Ausweg'.