Ich teile die Rechtsauffassung der Senats-mehrheit nicht. Die Organklagen sind nach meiner Ansicht begründet. Der Bundespräsident hätte den 9. Deutschen Bundestag nicht auflösen dürfen.
1. Da wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung des Gerichts die mir nach der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts zustehende 3-Wochen-Frist zur Ausarbeitung des Sondervotums nicht eingeräumt werden konnte, war ich gezwungen, meine abweichende Meinung innerhalb von 24 Stunden nur in den Grundzügen zu skizzieren.
2. Das Grundgesetz regelt die hier zu entscheidende Frage, nämlich unter welchen Voraussetzungen der Bundespräsident nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG den Bundestag auflösen darf, nur höchst unvollständig. Da das Bundesverfassungsgericht bisher keine Gelegenheit hatte, sich zu dieser Frage zu äußern, war es gezwungen, den verfassungsrechtlichen Maßstab, anhand dessen die Streitfrage gemessen und entschieden werden muß, erst durch eine zusammenfassende systematische Interpretation der Art. 39, 63, 67, 68 und 81 GG zu entwickeln. Erst danach konnte es das politische Geschehen und das Verhalten der handelnden Verfassungsorgane Bundeskanzler, Bundestag und Bundespräsident an dem von ihm erstmals entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstab messen.
3. Dem von der Senatsmehrheit entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstab (Abschnitt C I und II des Urteils) stimme ich zum Teil zu.
Ich weiche von ihm indessen in folgenden Teilfragen ab:
a) Die Senatsmehrheit ist der Ansicht, daß außer den sich aus dem Wortlaut des Art. 68 GG ergebenden Tatbestandsmerkmalen, nämlich aa) der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers an den Bundestag, bb) dem Beschluß des Bundestages, durch den dem Bundeskanzler das Vertrauen verweigert wird, cc) dem Antrag des Bundeskanzlers an den Bundespräsidenten, den Bundestag aufzulösen, als weiteres ungeschriebenes Tatbestands-merkmal das Bestehen einer sogenannten »Lage der politischen Instabilität" gehört, we-
gen der der Bundeskanzler einer parlamentarischen Unterstützung durch die Mehrheit des Bundestages nicht mehr sicher sein kann.
Die Senatsmehrheit vertritt darüber hinaus die Auffassung, daß die Lage der Instabilität der Bundesregierung nicht nur dann vorliegt, wenn im Laufe einer Legislaturperiode der Bundeskanzler und die Bundesregierung die parlamentarische Mehrheit im Bundestag verloren haben, was sich in Abstimmungsniederlagen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen im Bundestag niedergeschlagen haben muß, sondern sie sieht eine Situation der Instabilität der Bundesregierung schon dann als gegeben an, wenn der Bundeskanzler zwar noch über die parlamentarische Mehrheit verfügt, jedoch befürchtet, diese in absehbarer Zukunft zu verlieren.
Diese Ausdehnung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Instabilität in Art. 68 GG auf eine Fallgruppe, die nach meiner Ansicht nicht als instabile Lage bezeichnet werden kann, ist der Schlüssel für die Entscheidung der Senatsmehrheit.
Ich bin dagegen der Auffassung, daß im Regelfall nur der Minderheitskanzler das Verfahren gemäß Art. 68 GG einleiten darf.
Ein sicheres Indiz dafür ist immer das Erleiden von Abstimmungsniederlagen der die Minderheitsregierung tragenden Parteien oder Parteienkoalition im Bundestag.
Der Minderheitskanzler wird deshalb die Vertrauensfrage im Bundestag im allgemeinen auch in der Absicht stellen, das Vertrauen des Bundestages zurückzugewinnen.
Der Mehrheitskanzler hat dies dagegen nicht nötig, weil er das parlamentarische Vertrauen des Bundestages ohnehin besitzt. Er stellt die Vertrauensfrage allenfalls, um das sich in der Mehrheit ausdrückende Vertrauen politisch zu verwerten. Dann hat es aber schon auf dieser Stufe mit der Anwendung des Art. 68 GG sein Bewenden, und es kann nicht zur Auflösung des Bundestages kommen.
Wenn der Mehrheitskanzler die Vertrauensfrage jedoch nach Absprache mit der ihn tragenden Parteienkoaliton mit dem Ziel stellt, ihm das Vertrauen zu verweigern, dann mißbraucht er die ihm nach Art. 68 GG zustehenden Befugnisse. Denn seine eigentliche Absicht ist dann nicht die Gewinnung des Ver-trauens des Bundestages, sondern die Auflösung des Bundestages, und zwar zu einem ihm zweckmäßig erscheinenden Zeitpunkt.
Das Grundgesetz zielt jedoch darauf ab, daß der Bundestag die volle Legislaturperiode ausnutzt. Es will die vorzeitige Auflösung des Bundestages verhindern und damit der politischen Stabilität des Staates dienen. b) Die Senatsmehrheit bezieht sich zur Stützung ihrer Ansicht, daß auch der Mehrheitskanzler befugt sei, die Vertrauensfrage als Mittel zur Auflösung des Bundestages zu benutzen, auf die vom Bundeskanzler Brandt im Jahre 1972 mit dem Ziel der Bundestagsauflösung gestellte Vertrauensfrage. Keines der beteiligten Verfassungsorgane habe seinerzeit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Vorgehens bekundet. Dabei wird jedoch von der Senatsmehrheit außer acht gelassen, daß die Regierung des Bundeskanzlers Brandt zwar am 27. April 1972 das konstruktive Mißtrauensvotum der CDU/CSU-Fraktion knapp abgewehrt hatte, jedoch vom Frühjahr 1972 bis zur Bundestagswahl im Herbst 1972 keine einfache Mehrheit mehr im Bundestag besaß, also eine echte Minderheitsregierung geworden war.
c) Die Senatsmehrheit beruft sich schließlich darauf, daß das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei Entscheidungen mit Prognosecharakter stets einen weiten Beurteilungsspielraum zuerkannt habe. Ähnliches gelte für politische Entscheidungen der Exekutive von weitreichender Bedeutung. Diesen Maßstab wendet die Senatsmehrheit hier auch auf den Bundespräsidenten an. Der Bundespräsident könne danach bei der Prüfung, ob der Vorschlag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG auf Auflösung des Bundestages mit der Verfassung zu vereinbaren sei, andere Maßstäbe nicht anlegen. Er habe vielmehr insoweit die Einschätzungs-und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten (Abschnitt CII S. 25 des Urteils). Hier schränkt die Senatsmehrheit die Prüfungskompetenzen des Bundespräsidenten und damit auch die Kontrollmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts zu sehr ein. Der Bundespräsident ist nach meiner Überzeugung vielmehr befugt und auch verpflichtet zu prüfen,
aa) ob der Bundeskanzler überhaupt einen nicht nur fingierten sachlichen Anlaß hatte, die Vertrauensfrage zu stellen, bb) ob der Bundestag ernsthaft und pflichtgemäß über den Vertrauensantrag abgestimmt hat, oder aber ob von den Mehrheitsfraktionen zwecks Umgehung der Verfassung und mit dem Ziel der Herbei-führung vorzeitiger Neuwahlen das Vertrauen für den Bundeskanzler verweigert wurde, und schließlich cc) ob unter Berücksichtigung der unter aa)
und bb) aufgeführten Vorgänge der Antrag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG, den Bundestag aufzulösen, überhaupt ein verfassungsmäßig zulässiger Antrag sein könnte.
Für die Prüfung dieser drei Fragen steht dem Bundespräsidenten ein eigenständiges, -um fassendes und uneingeschränktes Prüfungsrecht und zugleich eine Prüfungspflicht zu. Erst wenn der Bundespräsident diese drei Verfahrensabschnitte als verfassungsmäßig anerkannt hat, gelangt er in den Bereich, in dem er nach freiem pflichtgemäßen Ermessen die politische Zweckmäßigkeitsfrage zu beantworten hat, nämlich ob er den Antrag des Bundeskanzlers auf Auflösung des Bundestages ablehnen oder ob er diesem Antrag stattgeben und den Bundestag auflösen darf. Unbeschadet eines Beurteilungsspielraums des Bundespräsidenten kann das Bundesverfassungsgericht nachprüfen, ob hinreichende Anhaltungspunkte für die genannten Voraussetzungen einer Ermessensentscheidung des Bundespräsidenten vorlagen oder ob eine Würdigung des gesamten Sachverhalts in diesem Sinne ausgeschlossen war.
4. Die von der Senatsmehrheit vorgenommene Subsumtion des Verhaltens des Bundeskanzlers, des Bundestages und des Bundespräsidenten bei der Auflösung des Bundestages entspricht nach meiner Auffassung nicht den sich aus der Zusammenschau der erwähnten Grundgesetzartikel entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben.
Der Bundeskanzler hat die Vertrauensfrage nämlich in Wirklichkeit nicht gestellt, um einer instabil gewordenen Bundesregierung die notwendige parlamentarische Unterstützung zurückzugewinnen; vielmehr wollte er, und zwar völlig unabhängig von der in Wirklichkeit vorhandenen parlamentarischen Stabilität seiner Regierung, ein bereits um den 20. September 1982, also ca. 10 Tage vorseiner Wahl zum Bundeskanzler unvorsichtiger-weise und ohne Berücksichtigung der Verfassungsrechtslage gegebenes politisches Versprechen, Neuwahlen abzuhalten, einlösen. Dies geschah seinerzeit erklärtermaßen auch deshalb, um der offenbar als unzureichend angesehenen legalen Wahl zum Bundeskanzler nach Art. 67 GG die angeblich durch eine Bundestagswahl zu vermittelnde bessere und wertvollere politische Legitimität hinzuzufügen. Um dieses verfassungsrechtlich illegitime Ziel zu erreichen, wurde ein verfassungsrechtlich anstößiges Unternehmen ins Werk gesetzt Hierzu im einzelnen folgendes:
Noch vor der Wahl des Herrn Dr. Kohl zum Bundeskanzler im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums am 1. Oktober 1982 haben die Verhandlungsdelegationen von CDU/CSU und FDP sich im Rahmen der Beratungen eines Regierungsprogramms auf die Ab-haltung von Neuwahlen im März 1983 geeinigt. Dies geschah bereits vor Bildung der neuen Bundesregierung und volle drei Monate vor der tatsächlichen Stellung der Vertrauensfrage.
Schon aus dieser Tatsache ergibt sich eindeutig, daß Anlaß für die Stellung der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler am 14. Dezember 1982 nicht eine schwindende parlamentarische Stabilität der Bundesregierung war — diese stand vielmehr völlig außer Frage —, sondern daß die Vertrauensfrage ganz unabhängig vom Vorhandensein der politischen Stabilität der neuen Bundesregierung gestellt wurde, um das voreilig gegebene politische Versprechen, Neuwahlen durchzuführen, tatsächlich einzulösen. Dieses Versprechen war aber gegeben worden, ohne die Schranken zu beachten, die das Grundgesetz ihm entgegenstellte.
Der Bundeskanzler hatte im Dezember 1982 nämlich überhaupt keinen Anlaß, die Vertrauensfrage zu stellen. Denn seine parlamentarische Mehrheit hatte sich vom Tage seiner Wahl am 1. Oktober 1982 bis zum Tage der Stellung der Vertrauensfrage sogar noch gefestigt.
Denn am 1. Oktober 1982 war er mit 256 Stimmen zum Bundeskanzler gewählt worden. Am 17. Dezember 1982 aber wurde der von seiner Bundesregierung eingebrachte Haushalt 1983 indessen mit 266 Stimmen des Bundestages verabschiedet.
Die parlamentarische Zustimmung zum Haushaltsgesetz wird seit Bestehen der parlamentarischen Staatsform als der sicherste Hinweis für die Zustimmung des Parlamentes zur Regierung angesehen. Das Ergebnis der Parlamentsabstimmung über den Haushalt 1983 bescherte der von Bundeskanzler Kohl geführten Bundesregierung sogar die stärkste Mehrheit, die eine Bundesregierung seit Bildung der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969 in einer parlamentarisch umstrittenen Frage je erlangt hatte. Die Regierung des Bundeskanzlers Kohl war also keineswegs instabil, sondern sie war im Gegenteil im De-
zember 1982 ungewöhnlich stabil.
Es gab demnach keinen verfassungsrechtlich zulässigen Anlaß zur Stellung der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler. Es bestand aber darüber hinaus auch kein verfassungsrechtlich billigenswerter Grund für die Mehrheitsfraktionen, dem Drängen des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen zu verweigern, nachzukommen.
Die Mehrheitsfraktionen hatten in Wirklichkeit Vertrauen zum Bundeskanzler. Das ergibt sich u. a. daraus, daß sie eine neue Bundesregierung unter einem neuen Bundeskanzler Kohl jederzeit wieder bilden wollten, und daß Bundeskanzler Kohl im derzeit stattfindenden Wahlkampf als Spitzenkandidat seiner Partei und Kanzlerkandidat für die neue Legislaturperiode erneut antritt. Die Mehrheitsfraktionen folgten demnach mit der Verweigerung des Vertrauens für den Bundeskanzler nur dessen Wunsch, Neuwahlen zu ermöglichen. Das durften sie aber nach dem Grundgesetz gar nicht. Sie waren vielmehr verpflichtet, ihre Amtspflichten für die Dauer der Legislaturperiode zu erfüllen. Daß der ganze Vorgang eine verabredete politische Manipulation an den Regeln des Grundgesetzes vorbei war, ergibt sich aus den rational nicht nachvollziehbaren Erklärungen der Abgeordneten Dregger (CDU) und Hoppe (FDP), die kurz vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage im Bundestag erklärten, das dem Bundeskanzler Kohl mit der Wahl zum Bundeskanzler am 1. Oktober 1982 erteilte Vertrauen sei am 17. Dezember mit der Verabschiedung des Haushaltes 1983 aufgebraucht worden. Es müsse deshalb neu gewählt werden. Das Grundgesetz kennt aber die Wahl eines Bundeskanzlers auf eine befristete Zeit nicht. Der Vorgang dokumentiert deshalb die Verfassungsfremdheit der Fraktionsspitzen der Koalitionsfraktionen und die Unbefangenheit, mit der versucht worden ist, die Vorschriften der Verfassung zurecht zu biegen.
Da in Wahrheit der Bundeskanzler das Vertrauen der Mehrheit des Bundestages besaß, das verweigerte Mißtrauen die Folge eines verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Zusammenwirkens von Bundeskanzler und Mehrheitsfraktionen war, fehlte es nunmehr an den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages in zulässiger Weise Vorschlägen durfte.
Die von der Senatsmehrheit ausgebreiteten, im wesentlichen auf Zeitungsmeldungen gestützten Schilderungen über den Zerfall der Koalitionspartei FDP zum Beleg der Tatsache, daß die Regierung Kohl doch instabil gewesein sei, sind m. E. verfehlt. Die mitgeteilten Umstände sind im übrigen selbst unter Zugrundelegung des Maßstabs der Mehrheit nicht geeignet, eine Auflösungssituation im Sinne des Art. 68 GG als gegeben zu begründen.
Der FDP-Bundestagsfraktion gehörten im 9. Deutschen Bundestag 53 Abgeordnete an, von denen lediglich vier als Folge des Koalitionswechsels der Partei aus der Fraktion ausgeschieden sind. Von diesen vier hatten jedoch zur Zeit der Vertrauensabstimmung bereits drei ihr Mandat niedergelegt und waren durch nachrückende Kandidaten der FDP ersetzt worden. Die Zahl der Parteimitglieder war im übrigen vom Oktober bis zum Dezember 1982 lediglich von etwa 85 000 auf 80 000 zurückgegangen, durch Neueintritte aber wieder auf 83 000 Mitglieder angewachsen. Die Absplitterungen von Teilen der FDP hatten im übrigen nur eine so geringe Bedeutung erlangt, daß sich diese Gruppen z. B. an der Bundestagswahl 1983 gar nicht mit eigenen Listen beteiligen konnten.
Aus diesen Ereignissen eine Gefährdung der Bundesregierung, eine politische Instabilität im Sinne des Art. 68 GG herzuleiten, erscheint mir deshalb nicht vertretbar. Im übrigen kam es in diesem Zusammenhang auf die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Bundestagsfraktion an.
Da somit — weder die vom Bundeskanzler gestellte Vertrauensfrage, — noch die Verweigerung des Vertrauens durch den Bundestag, — noch die Anregung des Bundeskanzlers an den Bundespräsidenten den Bundestag aufzulösen, der Verfassung entsprachen, durfte der Bundespräsident den Bundestag nicht auflösen. Weil die der Entscheidung des Bundespräsidenten vorangehenden drei Verfahrensabschnitte sämtlich grundgesetzwidrig waren, stand dem Bundespräsidenten auch kein Ermessen zu, die Frage zu prüfen, ob die Auflösung des Bundestages politisch zweckmäßig oder unzweckmäßig sein würde. Es fehlte vielmehr an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Auflösungsentscheidung. Deshalb hätte der Bundespräsident die Auflösung des Bundestages ablehnen müssen.
Die Bundestagswahl dürfte deshalb nach meiner Überzeugung nicht stattfinden. Dies wäre vom Bundesverfassungsgericht auszusprechen gewesen.
Die von mir vertretene Auffassung steht im Einklang mit der von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen Staatsrechtslehrer vertretenen Auffassung, die ich als bekannt vorausetze.
Dr. Rottmann 1. Im Organstreit kann der einzelne Bundestagsabgeordnete die behauptete Verletzung jedes Rechts, das mit seinem Status als Abgeordneter verfassungsrechtlich verbunden ist, im eigenen Namen geltend machen. An der Gewährleistung der in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 G festgelegten Dauer der Wahlperiode hat der Status des Abgeordneten Anteil.
2. Die Anordnung der Auflösung des Bundestages oder ihre Ablehnung gemäß Art. 68 GG ist eine politische Leitentscheidung, die dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundespräsidenten obliegt. Ein Ermessen im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG ist dem Bundespräsidenten freilich nur dann eröffnet, wenn im Zeitpunkt seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.
3. Art. 68 GG normiert einen zeitlich gestreckten Tatbestand. Verfassungswidrigkeiten, die auf den zeitlich vorangehenden Stufen eingetreten sind, wirken auf die Entscheidungslage fort, vor die der Bundespräsident nach dem Auflösungsvorschlag des Bundeskanzlers gestellt ist.
4. a) Art 68 Abs. 1 Satz 1 GG ist eine offene Verfassungsnorm, die der Konkretisierung zugänglich und bedürftig ist.
b) Die Befugnis zur Konkretisierung von Bundesverfassungsrecht kommt nicht allein dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch anderen obersten Verfassungsorganen zu. Dabei sind die bereits vorgegebenen Wertungen, Grundentscheidungen, Grundsätze und Normen der Verfassung zu wahren.
c) Bei der Konkretisierung der Verfassung als rechtlicher Grundordnung ist zumal ein hohes Maß an Übereinstimmung in der verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Beurteilung und Bewertung der in Rede stehenden Sachverhalte zwischen den möglichen betroffenen obersten Verfassungsorganen unabdingbar und eine auf Dauer angelegte, stetige Handhabung unerläßlich. Eine politisch umkämpfte und rechtlich umstrittene Praxis von Parlaments-und Regierungsmehrheiten reicht als solche hierfür nicht aus.
5. Vertrauen im Sinne des Art. 68 GG meint gemäß der deutschen verfassungsgeschichtlichen Tradition die im Akt der Stimmabgabe förmlich bekundete gegenwärtige Zustimmung der Abgeordneten zu Person und Sachprogramm des Bundeskanzlers.
6. Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Wege des Art. 68 GG anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dies ist ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG.
7. Eine Auslegung dahin, daß Art. 68 GG einem Bundeskanzler, dessen ausreichende Mehrheit im Bundestag außer Zweifel steht, gestattete, sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen mit dem Ziel, die Auflösung des Bundestages zu betreiben, würde dem Sinn des Art. 68 GG nicht gerecht. Desgleichen rechtfertigen besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben die Auflösung nicht.
8. a) Ob eine Lage vorliegt, die eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht mehr sinnvoll ermöglicht, hat der Bundeskanzler zu prüfen, wenn er beabsichtigt, einen Antrag mit dem Ziel zu stellen, darüber die Auflösung des Bundestages anzustreben.
b) Der Bundespräsident hat bei der Prüfung, ob der Antrag und der Vorschlag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG mit der Verfassung vereinbar sind, andere Maßstäbe nicht anzulegen; er hat insoweit die Einschätzungs-und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten, wenn nicht eine andere, die Auflösung verwehrende Einschätzung der politischen Lage der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist.
c) Die Einmütigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien, zu Neuwahlen zu gelangen, vermag den Ermessensspielraum des Bundespräsidenten nicht einzuschrän-ken; er kann hierin jedoch einen zusätzlichen Hinweis sehen, daß eine Auflösung des Bundestages zu einem Ergebnis führen werde, das dem Anliegen des Art. 68 GG näher kommt als eine ablehnende Entscheidung. 9. In Art. 68 GG hat das Grundgesetz selbst durch die Einräumung von Einschätzungsund Beurteilungspielräumen sowie von Ermessen zu politischen Leitentscheidungen an drei oberste Verfassungsorgane die verfassungsrechtlichen Überprüfungsmöglichkeiten weiter zurückgenommen als in den Bereichen von Rechtsetzung und Normvollzug; das Grundgesetz vertraut insoweit in erster Linie auf das in Art. 68 GG selbst angelegte System der gegenseitigen politischen Kontrolle und des politischen Ausgleichs zwischen den beteiligten obersten Verfassungsorganen. Allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe für politisches Verhalten normiert sind, kann das Bundesverfassungsgericht ihrer Verletzung entgegentreten.