Durch die Mikroelektronik entsteht ein arbeitsplatzloses Wachstum (jobless growth"), das alte Rezepte der Vollbeschäftigung sinnlos macht. Wenn eine Polarisierung der Gesellschaft in Arm und Reich vermieden werden soll, muß an Stelle der Wachstumspolitik eine Politik der Verteilung von Arbeit und Einkommen treten. Dies verlangt eine Neubesinnung auf Rolle, Wert und Begriff der Arbeit. Anknüpfend an Illich, Huber, Gorz und vor allem Hannah Arendt wird versucht, sowohl ein akzeptables Begriffssystem zu entwickeln, als auch über erste Schritte der Realisierung nachzudenken. Diese liegen auf den Ebenen der Verteilung von Einkommen und Arbeit, Humanisierung der Arbeitswelt, Ausweitung der Humanarbeit und Infrastrukturinvestitionen zur Verbesserung der Lebensqualität. Dabei ist die Strategie der Arbeitszeitflexibilisierung nur dann umzusetzen, wenn auch der gesellschaftliche „Datenkranz“ entsprechend verändert wird. Voraussetzung für solche Änderungen scheint die gegenwärtige Krise zu sein, denn nur sie schafft eine breite Reformbereitschaft. Kurzfristig zu erbringende Opfer können im Rahmen der zu erwartenden Steigerung der Arbeitsproduktivität langfristig wieder wett-gemacht werden.
Von der Arbeits-in die Tätigkeitsgesellschaft Zwei Millionen Arbeitslose und kein Ende. Entgegen dem weitverbreiteten Optimismus, daß es irgendwann praktisch von selbst wieder besser werden könnte, wird hier die These vertreten, daß es kein Zurück zur alten Vollbeschäftigung gibt. Im Zeitalter der Mikrotechnologie schafft wirtschaftliches Wachstum langfristig keine Arbeitsplätze mehr Daher wird selbst bei %igem Wachstum die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2000 in der Bundesrepublik auf ca. 22 Mio. Menschen zurückgehen, während gleichzeitig etwa 27 Mio. Menschen — nach den Maßstäben der Vergangenheit — Arbeit suchen 2). Damit nimmt das Problem der Arbeitslosig-keit einen Umfang an, der eine grundlegend andere politische Strategie erfordert. Wir stehen vor der Aufgabe, Arbeit und Einkommen gerechter zu verteilen Dies ist allein mit dem Instrument der Arbeitszeitverkürzung nicht zu schaffen.
Weil von dem Problem eines grundlegenden Wandels alle Industrienationen betroffen sind, hat sich in den letzten acht Jahren eine neue Sicht der Arbeit und ihrer Verknüpfung mit dem menschlich-gesellschaftlichen Leben entwickelt. Dies darzustellen und Wege der Verwirklichung aufzuzeigen, ist Ziel dieses Beitrages.
Abbildung 8
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I. Eine neue Sicht der Arbeit Ein wesentlicher Anstoß zu einer neuen Sicht der Arbeit ging von der ersten Studie des Club of Rome „über die Grenzen des Wachstums" aus. Dies war nicht nur der Beginn der Wachstumsdiskussion, sondern öffnete auch weitere Perspektiven für eine politische Kritik der Technik, z. B. durch Ivan Illich Bierter und von Weizsäcker konkretisierten diese Anfragen: „... wir halten eine Politik der Erzeugung von Bedürfnissen um der Vollbeschäftigung willen für abwegig,... Sie forderten arbeitsintensivere Technologien und eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Damit zielten sie auf den Ersatz der Wachstums-strategie durch eine Verteilungsstrategie, die durch die Veränderung volkswirtschaftlicher und gesetzlicher Rahmenbedingungen eingeleitet wird, aber nicht zu einer zentralen Planung führt Ergänzend dazu forderte Huber „eine gleichzeitige Neubelebung der eigen-wirtschaftlichen Aktivitäten und der Selbsthilfe in alten und neuen Gemeinschaftsformen" Hierfür formulierte er den Begriff der „Dualwirtschaft“, über die dazu notwendigen Veränderungen der Zeitstruktur der Erwerbs-arbeit hatte Teriet schon seit 1971 Vorschläge gemacht Die Diskussion all dieser Fragen wurde seit 1978 neu belebt durch die Wieder-entdeckung von Hannah Arendts schon 1960 geschriebenem Werk über „Vita activa oder Vom tätigen Leben" Sie leitete ihre These, daß „der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht", von der hellsichtigen Prognose der künftigen technologischen Entwicklung ab Dahrendorf hat bereits 1978 im Anschluß an Hannah Arendt eine Analyse vorgelegt, die von der offensichtlich immer deutlicher werdenden Tatsache ausgeht: „Auch bei abnehmender Bevölkerung gibt es nicht genug Stellen für alle ... Was nach der Arbeitsgesellschaft kommt, hat noch keinen Namen; man mag hoffen, daß es eine Tätigkeitsgesellschaft wird... Die Lösung verlangt vor allem die Verbindung von Verpflichtung und Selbständigkeit, sozialer Aufgabe und individueller Flexibilität... Arbeit und Nichtarbeit, sowohl während des Arbeitslebens als auch nach der Pensionierung, werden stärker miteinander verzahnt, indem Nichtarbeit von vornherein als Tätigkeit verstanden und Arbeit zunehmend in sie verwandelt wird."
Damit wird zugleich die gesamte überkommene Begrifflichkeit von Arbeit und Tätigkeit in Frage gestellt. Dies ist aber gerade ein deutlicher Hinweis auf die epochale Veränderung, in der wir stehen. Sie wird besonders faßbar in der Gestalt der technologischen Entwicklung. Dies hat den Club of Rome dazu veranlaßt, in seiner neuesten Studie „Auf Gedeih und Verderb" die Frage nach den Auswirkungen der Technik zu stellen. Auch hier erscheint am Horizont die Frage, welche Lebensperspektiven sich dem Menschen jenseits der Erwerbsarbeit eröffnen. Die Autorengruppe stimmt darin überein, „daß wir angesichts einer Welt, die sich infolge der Auswirkungen der Mikroelektronik auf das gesellschaftliche Leben in einer Ubergangsphase befindet, auch einer Zukunftsvision be-dürfen... Was sich dazu sagen läßt, ist verhältnismäßig einfach: Die mikroelektronische Revolution wird zweifellos den Stellenwert der Arbeit im Leben des Menschen verändern, die Notwendigkeit von Arbeit verringern und in manchen Fällen sogar völlig eliminieren. Das wirft die Frage auf, wodurch das ersetzt werden soll, was die Menschen traditionell als . Sinn des Lebens'angesehen haben...
In Zukunft wird das, „was früher Arbeit'war, durch kreative und unterhaltsame Beschäftigung ersetzt" „Ein großer Teil der Gesellschaft wird also immer noch Beschäftigung finden, allerdings im Rahmen einer veränderten Beschäftigungsstruktur ... Mit anderen Worten, die traditionelle Arbeiterklasse wird kleiner werden oder verschwinden." Diese Gedanken sind bereits seit 1978 von Andr Gorz veröffentlicht worden, ohne daß Schaff sich darauf bezieht
Man sieht, daß innerhalb des Zeitraums von 1975 bis 1980 die Frage nach der „Zukunft der Arbeit" einen ganz anderen Horizont bekommen hat: Während es im traditionellen Denken noch um ein „Recht auf Arbeit" und um „Vollbeschäftigung" ging, entstanden allmählich die Bausteine eines Konzeptes, welches Gorz die „dualistische Gesellschaft" nennt. Dieses Konzept ist inzwischen auch von Vertretern des „Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt" (KDA) der Ev. Kirche hinsichtlich seiner sozialethischen Aspekte und der Verankerung in der biblischen Theologie bedacht worden An die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen kann hier angeknüpft werden
Trotz der zunehmenden Breite der Rezeption gerade durch Soziologen bleibt festzustel-len, daß sich die Ökonomie diesen Gedanken bis jetzt wenig aufgeschlossen gezeigt hat Hier überwiegt noch der Streit zwischen den nachfrageorientierten Keynesianern und den angebotsorientierten Neoklassikern. Die Gruppe der sogenannten Alternativprofessoren ist keinesfalls zu diesen Konzepten alternativ, sondern es handelt sich lediglich um konsequente Keynesianer Auch die mehr an den Ideen eines demokratischen Sozialismus orientierten Denker sind kaum geneigt anzuerkennen, daß wir uns, wie es Gorz in seinem Untertitel formuliert hat, „jenseits des Sozialismus" befinden
Die Gestaltung des neuen Konzeptes stößt auf folgende Probleme: Das Bild einer zukünftigen Gesellschaft ist noch äußerst unklar. Ist es denkbar, daß, wie Schaff es formuliert, „fortwährende Bildung als eine Form universeller Beschäftigung" eine Hauptsäule menschlicher Aktivität sein wird?" Wie kommt man — vorausgesetzt, man hätte diese erste Frage geklärt — in eine solche Zukunft? Wie sehen die Transformationsprozesse von heute auf übermorgen aus? Wie sind sie politisch durchsetzbar? Der letztere Fragenkreis bezieht sich auch auf unsere sprachliche Trägheit und überkommene Begrifflichkeit. Wenn wir . Arbeit" sagen, meinen wir „Erwerbsarbeit". Was ist das andere, das wir tun? In welchem Verhältnis stehen diese Begriffe zueinander? Welche Rolle spielen sie im Leben der Menschen?
II. Perspektiven des Arbeitsbegriffs Im traditionellen Verständnis ist Arbeit die Leistung des Menschen, die er gemeinschaftlich gegen Entgelt verrichtet, um an der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen mitzuwirken. Der Verkauf von Arbeitskraft vollzieht sich nach starren Regeln. Angeboten wird eine 40-Stunden-Woche vom Beginn der Erwerbstätigkeit an bis zur Pensionierung. Von dieser Regel gibt es Ausnahmen in Form von Urlaub, Frühinvalidität, Mutterschaft u. ä; Arbeitslosigkeit ist in diesem Konzept nicht vorgesehen.
Die Nicht-Arbeitszeit wird gemeinhin als „Freizeit" bezeichnet. Dabei wird in der Regel von der Fiktion ausgegangen, daß diese Zeit zur freien Gestaltung zur Verfügung steht und nicht weiter von der Arbeit geprägt wird. Auf der Basis dieses Verhaltens wird „Vollbeschäftigung" definiert.
Es ist aber einsichtig, daß diese Vorstellungen nur einen Teil der Wirklichkeit wiedergeben. Die erwerbswirtschaftliche Arbeit hat die Phasen der Bildung, des Ruhestandes, der Freizeit so geprägt, daß allenthalben Tendenzen wirksam geworden sind, diese übrigen Zeitabschnitte ebenfalls ökonomischen Kalkülen zugänglich zu machen. Bildungs-und Studienzeiten werden auf der Grundlage von BAföG gefördert, für Hausfrauen wird ein „Hausfrauengehalt" gefordert, für den Urlaub gibt es Urlaubsgeld. Die Lebenszeit ist offenbar nur noch das „wert", was für sie bezahlt wird bzw. erlöst werden kann.
Diese Tendenz zur Ökonomisierung des Lebens macht schlaglichtartig deutlich, in welchem Umfang die ökonomisierte Arbeit alle gesellschaftlichen Kategorien durchdrungen hat Hinzu kommt noch die Tendenz, immer weitere Bereiche aus der Sphäre der Selbst-Versorgung und Eigenverantwortlichkeit herauszulösen. Die technischen Anlagen von der Waschmaschine bis zum Auto werden immer mehr verfeinert. Auf den ersten Blick ist das angenehm, es macht den Menschen aber immer stärker von den Leistungen abhängig, die er bezahlen muß. Zugleich nimmt die Chance ab, sich selbst bei der Wartung und Reparatur von Anlagen zu betätigen. Im sozialen Bereich sind ähnliche Effekte zu beobachten: Die Versorgung von Kindern (Ganztagsschule), von Alten (Altenheime), Kranken (Krankenhäuser, Fachärzte), Beratung und Information (Erziehungsberatung, Arbeitsberatung) sind nur einige Beispiele für den immer stärker werdenden Zug zum Verlust sozialer Kompetenz und hin zur Professionalisierung. So sehr eine gute individuelle Ausbildung zu begrüßen ist, so sehr kann sie aber auch die gesellschaftliche Entfremdung vertiefen.
Die ökonomische Strukturierung menschlicher Bedürfnisse hat zugleich eine Ausweitung des Sektors der erwerbswirtschaftlichen Arbeit mit sich gebracht und damit erst die Vollbeschäftigung über einen längeren Zeitraum ermöglicht. In dem Umfang, in dem durch zunehmende Automatisierung und Rationalisierung in der Industrie selbst bei hohen Wachstumsraten immer weniger Menschen beschäftigt wurden, gelang es durch die Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche dort Ersatz für die Arbeitsplätze zu schaffen, die etwa in Landwirtschaft und der das letztlich Industrie wegfielen. Dies meint Schlagwort von der Zukunft als „Dienstleistungsgesellschaft'', die sich nach den Vorstellungen von Fourasti 6 an die Epoche der Industriegesellschaft anschließt
Die technologische Entwicklung, die nun durch die Mikroprozessoren möglich geworden ist, macht aber gerade diese Zukunftsperspektive immer unwahrscheinlicher: Der Einsatz dieser modernen Technologien eröffnet auf dem Gebiet der Dienstleistungen weitgehende Rationalisierungsmöglichkeiten. Andererseits wird eine Vielzahl von Arbeiten, insbesondere wo sie menschen-und problemorientiert sind, sich einer Rationalisierung nicht ohne weiteres unterwerfen lassen.
Es gibt weitere Gründe, die uns veranlassen, den Arbeitsbegriff neu zu strukturieren: Die erwerbswirtschaftliche Arbeit wurde immer nur in ihrer Eigenschaft als Produktionsfaktor in bezug zum Produktionsprozeß gesehen. Die Arbeit manifestiert sich jedoch auch im Ergebnis, sie kommt uns als Produkt, als Dienstleistung entgegen. Und schließlich muß Arbeit auch unter dem Aspekt betrachtet werden, daß sie einen Teil menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten darstellt, der den Menschen prägt und auf den hin seine Erziehung ausgerichtet ist. Eine Prognose über die Zukunft der Arbeit muß daher drei Dimensionen im Blick behalten:
— Welche Rolle spielt Arbeit im Leben des Menschen (Humanaspekt)?
— Welche Rolle spielt Arbeit im Produktionsprozeß (Produktionsaspekt)?
— Wie schlägt sich Arbeit in den Gütern und Dienstleistungen nieder (Ergebnisaspekt)?
Die Debatten um Ökologie-und Friedensfragen haben uns die Augen dafür geöffnet, daß es uns nicht gleich sein kann, was durch Arbeit erzeugt wird. Dies gilt nicht nur für Kriegsspielzeug, Spraydosen und Umweltgifte, sondern auch hinsichtlich von Eigenschaften wie Reparatur-und Wartungsfreundlichkeit (z. B. beim Auto) oder kommunikativer Aspekte (z. B. die Schaffung von 30 Fernsehprogrammen).
Schließlich ist die Zeit absehbar, wo anhand des Produktes nicht mehr festgestellt werden kann, ob in der Produktion noch Menschen direkt beteiligt waren oder nicht. Die Vision der menschenleeren Fabrik, in der Automobile ohne direkte menschliche Arbeit produziert werden, ist offensichtlich noch in diesem Jahrhundert erreichbar. Diese Entwicklung hat sicherlich schon in der Vergangenheit begonnen (Automation), wird aber in Zukunft noch ganz andere Dimensionen erreichen. Dies hat der jüngste Bericht des Club of Rome („Auf Gedeih und Verderb“) deutlich herausgestellt.
Ferner müssen Ergebnisse menschlicher Arbeit mit berücksichtigt werden, die außerhalb erwerbswirtschaftlicher Produktionsprozesse entstanden sind. Das umfaßt nicht nur den Arbeitsbereich der Hausfrauen und Haus-männer, sondern auch die Ergebnisse der Hobby-und Gemeinschaftsarbeit, für die keine finanziellen Gegenleistungen erbracht werden. Die Hobby-und Bastlerzentralen, die in den letzten Jahren entstanden sind, legen ein beredtes Zeugnis für die wachsende Bedeutung dieses Arbeitssektors ab, der bei der traditionellen Betrachtung des Arbeitsbegriffs lediglich unter der Rubrik „Freizeit" Eingang gefunden hat.
Unter dem Humanaspekt sind die weiteren Elemente Bildung, Muße, Zwangszeiten (Einkäufen, Fahrt zur Arbeit u. ä.) einzuordnen. Damit wird deutlich, daß die Konzentration lediglich auf die erwerbswirtschaftliche Arbeit unter dem Produktionsaspekt eine immer weniger aussagefähige Basis für Zukunftsüberlegungen darstellt. Ähnliches gilt auch für die traditionelle Betrachtungsweise unter der Rubrik „Kapital und Arbeit". Der Versuch, die Zukunft allein aus dem Zusammenspiel von Arbeit und Kapital zu beschreiben, vernachlässigt wichtige Gesichtspunkte. Es zeigt sich, daß, unter dem Ergebnis-und Humanaspekt betrachtet, sich die Arbeit sehr viel differenzierter darstellt. Insbesondere wird dabei deutlich, daß die gängige Einteilung in Arbeit und Freizeit die komplexen Beziehungen im Freizeitbereich mit der Arbeit nur ungenügend widerspiegelt. Unter dem Produktionsaspekt kann die Arbeit nach folgenden Gesichtspunkten gegliedert werden: A. Menschenleere Produktion (z. B. gibt es schon heute weitgehend „menschenleere Nachtschichten“). B. Steuerbare Produktionsprozesse (z. B. bei kontinuierlichen Prozessen mit Uberwachungs-, Kontroll-und Zulieferarbeiten durch Menschen, Schreibautomaten). C. Normierbare Verwaltungs-und Dienstleistungen (z. B. Fehlersuche, Entwicklungsaufgaben, Bestellung, Fakturierung, Terminüberwachung). D. Menschen-und problemorientierte Dienste (z. B. Personalführung, Kundenberatung, Entscheidungsfindung, Pädagogik, Pflege-und Hilfsdienste). E. Hobby-und Gemeinschaftsarbeit und Hausarbeit, selbstorganisierte Tätigkeit (z. B. Nebenerwerb, Eigenreparaturen, Nachbarschaftshilfe, Erziehung und Eigenversorgung). F. Persönliche und berufliche Bildung (als Voraussetzung von Produktion überhaupt). Diese Unterteilung nach fünf Produktionsweisen (A—E) ist deshalb sinnvoll, weil nachgewiesen werden kann, daß die technischen Entwicklungen in Zukunft sich sehr unterschiedlich auf diese Abteilungen auswirken können. Es wird deutlich, daß die Rationalisierungsmöglichkeiten von Abteilung A bis D kontinuierlich abnehmen und in der Abteilung E keinen direkten Ansatzpunkt haben. Im Zuge des technischen Wandels kommt es zudem zu einer ständigen Verlagerung der Arbeitsplätze; was gleichzeitig in der Regel
Abbildung 5
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mit einem Rückgang der Zahl sowie mit einem Qualitätswandel der Arbeitsplätze verbunden ist. Andererseits sind in der Vergangenheit Bestrebungen wirksam gewesen, mehr und mehr Tätigkeitsbereiche von E nach D zu verlagern. Insbesondere die Pflege-, Beratungs-und Erziehungsaufgaben sind mehr und mehr ökonomisiert und professionalisiert worden. Was früher in der Familie, in der Nachbarschaft geregelt wurde, ist im Zuge der Trennung von Wohnen und Arbeiten sowie der durch kleine Wohnungen geförderten Entwicklung zur Kleinfamilie zum Gegenstand von Erwerbsarbeit geworden. Je länger die Bildungszeiten wurden, um so mehr dehnte sich dieser Sektor aus. Zudem ergab sich ein zunehmender „Reparaturbetrieb" in dem Umfang, in dem die Menschen mit den Arbeits-und Lebensbedingungen der Industriegesellschaft physisch und psychisch immer weniger fertig wurden. Insofern gibt es hier kontraproduktive Tendenzen, die auch als Folge einer zunehmenden Arbeitsverdichtung im Zuge des Industrialisierungsprozesses entstanden. Die damit verbundene Entfremdung spiegelt sich im Wachstum der Abteilung D, welche die Einschränkung persönlicher und sozialer Entfaltung unter den wachsenden Belastungen Produktionsprozesses repräsentiert.
Nach diesen Überlegungen lassen sich die beschriebenen Abteilungen des Arbeitsbegriffs nunmehr auch dem Konzept der „dualistischen Gesellschaft" (A. Gorz) zuordnen. Der Begriff der „dualistischen Gesellschaft" ist weiter als der der „Dualwirtschaft" (J. Huber), da hier mehr zur Diskussion steht als nur wirtschaftliche Bezüge. Hinsichtlich der Neu-fassung des „Arbeitsbegriffs" ist ein Rückgriff auf das Wirtschaften jedoch sinnvoll.
Nun ist allerdings der Begriff des „Dualismus“ nicht sonderlich dafür geeignet, die Zukunft der Arbeit gültig zu beschreiben. Er suggeriert eher ein Gegeneinander, wie es sich etwa in dem Begriffspaar „Arbeit und Freizeit“ niederschlägt.
Wir halten es daher für überlegenswert, an den Begriff der „Tätigkeitsgesellschaft" anzuknüpfen, wie Dahrendorf ihn schon 1978 gebraucht hat. Er hebt sich ab von der . Arbeitsgesellschaft", die wir deshalb verlassen werden, weil nicht mehr für alle im alten Umfang Erwerbsarbeit angeboten werden kann. In den Begriff der „Tätigkeitsgesellschaft" geht die Vorstellung ein, daß das Tätigsein für sich und andere die wertbildende Zielvorstellung menschlichen Lebens sein sollte und nicht mehr allein — wie bisher — die Erwerbsarbeit. Daraus erwächst der Anspruch, daß die-jenigen, die nicht erwerbstätig sind, aber gleichfalls für sich und andere „Personalarbeit''leisten, einen genauso wichtigen Beitrag für die menschliche Gesellschaft erbringen, wie die Erwerbstätigen. Konstitutiv bleibt dabei, daß selbst das „Tätigsein" nicht alle Lebensäußerungen des Menschen umfaßt. Die Zeiten der Ruhe, der Muße, von Liebe und Leid, von Schlaf und Ernährung, Kindheit und Alter zeigen, daß wir der Versuchung widerstehen müssen, das menschliche Leben auf das Tätigsein zu reduzieren.
Trotzdem geht es beim Übergang von der „Arbeitsgesellschaft" in eine „Tätigkeitsgesellschaft" um einen epochalen Umbruch gesellschaftlicher Wertordnung in allen Industrienationen. Ziel dabei ist, dem Menschen in hohem Maße Wahlfreiheit darüber zu gestatten, wann und in welchem Umfang er erwerbstätig sein will und wann er „Personalarbeit" leisten möchte, in der nicht das wirtschaftliche Ergebnis in Relation zum Kapitaleinsatz betrachtet wird, sondern gefragt wird, ob der Mensch für sich und für andere einen hilfreichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität geleistet hat. Man könnte diesen Bereich, in dem Eigen-und Gemeinschaftsarbeit geleistet wird, auch als „humanwirtschaftlich''bezeichnen: Es werden Leistungen erbracht (daher -Wirtschaft), aber nicht nach „kapitalwirtschaftlichen“ (Verzinsung des eingesetzten Kapitals) Kriterien bewertet. Beide -Sphä aber ren bleiben miteinander verbunden und ermöglichen erst so menschliche Existenz.
Im kapitalwirtschaftlichen Bereich werden durch Erwerbsarbeit Güter und Dienstleistungen erzeugt, ohne die eine Weiterexistenz einer Industrienation nicht mehr denkbar ist Je wirtschaftlicher diese Sphäre gestaltet wird, um so weniger muß Erwerbsarbeit geleistet werden. Diejenigen, die dazu nicht mehr gebraucht werden, sind nun aber keineswegs „arbeitslos", sondern nur „erwerbslos". Sie haben nunmehr die Möglichkeit, für sich selbst oder mit anderen zusammen „Personalarbeit" im humanwirtschaftlichen Bereich zu leisten. Wenn dadurch — z. B. bei der Versorgung der Alten in der Gesellschaft — Erwerbsarbeitsplätze wegfallen, so ist dies kein schlüssiges Gegenargument. Das ausschlaggebende Argument ist lediglich, in welcher Form der Lebensgestaltung sich alte Menschen wohler fühlen: im Altersheim auf der grünen Wiese oder in ihrer gewohnten Umgebung.
Bislang sind die Formen der „Personalarbeit''oft mit dem Begriff der „Schattenwirtschaft“ verbunden worden. Dies unterstellt eine mindere Bedeutung. Diese Unterbewertung muß in einer „Tätigkeitsgesellschaft" aufgehoben werden. Deshalb muß die Personalarbeit ebenso bewußt gefördert werden, wie es bislang mit der Erwerbsarbeit geschah. Auch Remmers forderte dies vor einem CDU-Bezirksparteitag, wenn er sagte: „In der Schattenwirtschaft kommt auch ein starkes soziales Bedürfnis nach ganzheitlicher, autonomer und auch geselliger Arbeit zum Ausdruck, ein Bedürfnis, das bei weiterer Arbeitszeitverkürzung noch mehr steigen wird. Dieser Vorgang darf nicht einfach als Schwarzarbeit bekämpft werden, sondern bedarf einer sinnvollen Einbeziehung."
III. Ansatzpunkte für konkretes Handeln Wir erleben im Augenblick in allen Industriestaaten eine sich immer mehr polarisierende Gesellschaft. Unter der Schlagzeile „Immer mehr Amerikaner auf Armenspeisung angewiesen" meldete der epd vom 15. Dezember 1982 dies . hautnah'. Wenn die Verteilung der Arbeit und des Einkommens auf alle Menschen nicht gelingt, dann werden die Gesellschaften zerfallen in eine Gruppe der Reichen und Gesicherten und in eine Gruppe der Armen, die von den Almosen der Reichen zu leben haben und die eine Existenz jenseits von Arbeit und Tätigsein führen müssen. Diese konkrete Gefahr gilt es abzuwehren. Sie ist deshalb so konkret, weil die gängige Vorstellung von Vollbeschäftigung durch Wachstum davon ausgeht, daß letztlich — sei es über staatliches Eingreifen oder über sinkende Reallöhne — alle, die arbeiten wollen. auch Arbeit haben können. Zudem wird politisch das Problem der Arbeitslosigkeit zu einer individuellen Entscheidung verniedlicht: Wenn sie arbeiten wollten, dann könnten sie ja.
Wenn wir erkennen, daß der . Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht" und daher eine neue Verteilung von Arbeit und Einkommen notwendig ist, wenn eine Polarisierung der Gesellschaft vermieden werden soll, müssen fünf sich ergänzende Strategien betrieben werden:
— Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitflexibilisierung, — Verteilung der Einkommen unter Einschluß des Transfersystems, — Weiterentwicklung der Erwerbsarbeit unter dem Aspekt „Humanisierung der Arbeit", — Weiterentwicklung der Personalarbeit durch den Ausbau der Humanwirtschaft, — Sicherung der infrastruktureilen Lebensbedingungen. In der ersten Phase der Durchsetzung dieser Strategien wird die notwendige Umstrukturierung zweifellos von bestimmten Personengruppen mehr Opfer fordern als von anderen. In der zweiten Phase werden aber durch gestiegene Arbeitsproduktivität die Verteilungsspielräume größer werden.
Beginn einer neuen Verteilung von Arbeit und Einkommen Nach epd forderte Arbeitsminister Blüm im Herbst 1982 vor der EKD-Synode „im Sinne von mehr Humanität eine . offensive'Auseinandersetzung um die Frage der Arbeitszeit-verkürzung. Nur so könnte das . bestenfalls 200 Jahre alte starre Arbeitskorsett'überwunden sowie Lebens-und Arbeitsrhythmus wieder miteinander versöhnt werden" Um diese Perspektive der „Versöhnung von Leben und Arbeiten 1 geht es_bei der Arbeitsverteilung Es geht nicht um die Sicherung der Vollbeschäftigung, sondern darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen ein auskömmliches, tätiges Leben möglich ist.
Im Herbst 1980 wurden in der Bundesrepublik berufstätige Männer und Frauen gefragt, wie viele Stunden sie unter Berücksichtigung von entsprechend geringerem Verdienst am liebsten arbeiten würden. Das Ergebnis findet sich in der gegenüberstehenden Tabelle. Rein rechnerisch bedeutet das, „daß damit rd. 13 % des gegenwärtigen Arbeitsvolumens zur Disposition stehen, um die gleichzeitige Unterbeschäftigung von Erwerbspersonen (Arbeitslose und stille Reserve) zu beheben"
Daß eine solche Umverteilung von Arbeit und Einkommen sehr wohl nicht nur erwünscht, sondern auch möglich ist, zeigt ein Blick nach Schweden. Dort waren 1975 bereits 22, 2 % aller Beschäftigten Teilzeitbeschäftigte. In der Bundesrepublik waren es im selben Jahr nur etwa 10 % Mehr als eine Verdopplung der Teilbeschäftigung in der Bundesrepublik wäre demnach sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch im internationalen Vergleich durchaus möglich. Auch betrieblich besteht nach vorliegenden Untersuchungen ein erhebliches Potential an entsprechenden Arbeitsplätzen: „Bei einer Erhebung des rheinland-pfälzischen Sozialministers über die Teilbarkeit von Arbeitsplätzen im Jahr 1978 ergab sich, daß sogar 60 % der Vollzeitarbeitsplätze ohne Schwierigkeit in eine Vor-und Nachmittagsschicht teilbar sind; 75 % können danach gesplittet werden, wenn die Schichten tage-oder wochenweise wechseln."
Leider ist diese Strategie der breiten Arbeitszeitflexibilisierung in letzter Zeit eingeengt worden durch die Idee des „job sharing". In ihr werden die Arbeitnehmer untereinander in ein zusätzliches Rechtsverhältnis gebracht Nicht mehr Flexibilität, sondern zusätzliche Reglementierung ist das Ergebnis
Es darf allerdings nicht unterstellt werden, daß diese Überlegungen der Königsweg zur Vollbeschäftigung sind. Sie sind es auch deshalb nicht, weil unser gesamtes soziales Sicherungssystem auf der Vollzeitarbeit aufgebaut ist. So gibt es kaum Tarifverträge, die Teilzeitbeschäftigung regeln. Hier haben erst einige Unternehmen zusammen mit ihren Betriebsräten neue Anwendungsfälle von Teilzeitarbeit erschlossen, die auch die sozialen Dimensionen deutlich machen: Siemens hat z. B. für ältere Mitarbeiter und für nach längerer Krankheit Genesende Teilbeschäftigungsmöglichkeiten geschaffen Warum könnte man mit solchen Modellen nicht auch einen Einstieg in den Elternurlaub schaffen? Teilbeschäftigungen für Väter ebenso wie für Mütter? Die zurückhaltende Aufnahme dieser Überlegungen bei den Gewerkschaften resultiert einmal aus den schlechten Erfahrungen, die insbesondere Frauen mit der Teilzeitbeschäftigung gemacht haben. Zum zweiten spielt wohl auch die Hoffnung eine Rolle, man könne die Vollbeschäftigung auch durch andere Mittel erreichen Weiterhin ist der Hinweis auf die Einkommensstrukturen wichtig: Ist der Wunsch nach Teilbeschäftigung nicht im Grunde nur ein Wunsch der höheren Einkommensgruppen, die sich das leisten können? Daher verbindet sich die Frage der Arbeitsverteilung immer auch mit der Lösung der Einkommensprobleme. Hier wäre es z. B.denkbar, bei der Lohnsteuerbemessung einen gleitenden Freibetrag einzuführen, auf den jeder im Falle des Übergangs von einer Vollzeitstelle auf eine Teilzeitstelle für eine bestimmte Anzahl von Jahren Anspruch hätte. Dieser Freibetrag sollte nicht als Festbetrag (wie z. B.der Arbeitnehmerfreibetrag) in die Lohnsteuertabelle eingearbeitet werden, sondern sich mit höherem Einkommen vermindern (da sonst, wie bei allen festen Sätzen, höhere Einkommen wieder besonders begünstigt werden würden). Da z. B. bei einer Halbierung der Bruttoeinnahmen sich die Netto-einkünfte nicht ebenfalls halbieren (Folge der Steuerprogression), könnte dies auch einen gewissen Ausgleich für den Lohnausfall schaffen.
Ähnliche Überlegungen gilt es für die Alterssicherung anzustellen. Im Augenblick ist das System darauf hin ausgerichtet — insbesondere bei Beamten —, vierzig Dienstjahre voll zu arbeiten, da nur so der volle Pensionsanspruch erworben werden kann. D. h., es müßten sämtliche Regelungen des Dienstrechtes, des Arbeits-und Sozialrechts und der Tarife zusammen mit den Lohnsteuergesetzen überprüft werden. Nur wenn das gesamte Transfersystem mit in die Überlegungen einbezogen werden kann, ist eine Arbeitszeit-Flexibilisierung möglich Die Tarifpartner allein sind überfordert, diese wirksam zu regeln. Leider aber wird die Frage nach den einkommensmäßigen Auswirkungen solcher Regelungen bei der Diskussion um Arbeitsverteilung bisher kaum gestellt
Bei der Finanzierungsfrage ist auch zu bedenken, daß in dem Umfang, wie die Zahl an Voll-arbeitsplätzen bzw. insgesamt an Erwerbsarbeitsstunden in einer Volkswirtschaft durch die technologische Entwicklung zurückgeht, das Erwerbseinkommen nicht mehr zum alleinigen Träger des sozialen Netzes gemacht werden kann. Schon heute ist die Arbeitslosigkeit überwiegend nur noch mit Haushalts-mitteln finanzierbar. Hier tauchen grundsätzliche Probleme auf, bei deren Lösung die Ehrenbergsche Idee von der „Maschinensteuer''noch einmal ernsthafter erwogen werden müßte, als es bisher geschah
Verbesserte Entfaltungsmöglichkeiten für Erwerbs-und Personalarbeit Deutlich muß sein, daß eine Verteilung von Erwerbsarbeit auf alle nicht nach einem für alle gültigen Schema wie bisher erfolgen kann, sondern jeder in Zukunft die Wahl haben sollte, wann er in welchem Umfang in seinem Leben der Erwerbsarbeit nachgeht. Im Zeithorizont des Jahres 2000 könnte das bedeuten, daß etwa ein Fünftel der dann vorausgeschätzten Erwerbsbevölkerung von 27 Mio. nicht der Erwerbsarbeit nachgeht, was aber nicht bedeutet, daß diese große Zahl arbeitslos oder untätig sein muß.
Wenn wir uns aber vor Augen führen, daß dann immer noch vier Fünftel aller Erwerbs-personen überwiegend als Arbeitnehmer tätig sein werden, so würde es geradezu eine sträfliche Vernachlässigung ihrer Interessen bedeuten, wenn man nicht auch ihre konkrete Arbeitssituation berücksichtigen würde. Die
Aufgaben der Humanisierung derArbeitswelt
Abbildung 6
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bleiben gerade auch bei Einführung neuer Techniken wichtig. Die neuen Techniken sind genauso wenig wie die bisherigen aus sich selbst heraus human Arbeit wird auch unter den neuen Bedingungen oft Mühsal bleiben. Hier aber von vornherein mehr Gestaltung und Einflußmöglichkeiten für eine humane Arbeitsorganisation zu gewinnen, wird weiter eine Hauptaufgabe nicht nur gewerkschaftlicher Betätigung sein müssen. Man kann sich auch nicht damit trösten, daß die neuen Techniken viele problematische Arbeitsplätze verschwinden lassen. Dies ist lediglich eine passive Humanisierung. Es gilt, aktiv gestaltend und mitbestimmend wirksam zu werden.
Unter dem Aspekt der Humanisierung ist und bleibt auch die Arbeitszeitverkürzung insbesondere in Form von längeren Pausen und Erholzeiten, aber auch von mehr Urlaub eine wichtige Forderung. Sie ist schon für sich allein wichtig und braucht nicht mit der Arbeitslosigkeit und der Verteilung von Arbeit begründet zu werden. Hier werden Argumente vermischt, die um der sachlichen Klarheit willen getrennt bleiben müssen.
Insgesamt geht es um folgenden Katalog:
— Mitbestimmung — Humanisierung des Arbeitslebens — Arbeitszeitflexibilisierung — berufliche Bildung — solidarische Lohnpolitik — arbeits-und sozialrechtliche Sicherung — Arbeitszeitverkürzung — Integrationspolitik für Problemgruppen Die Vergrößerung des Anteils der Human-wirtschaft kann dann geschehen, wenn wir eine Tätigkeitsgesellschaft einer in arm und reich polarisierten Gesellschaft bewußt vorziehen wollen. Dann muß alle Personalarbeit gesellschaftlich genauso geachtet werden wie die Erwerbsarbeit. Die Diskussion um die Schwarzarbeit liefert z. Zt. das Beispiel für die bestehende Wertordnung: Schwarzarbeit entsteht u. a., weil das bestehende Erwerbsarbeitssystem nicht flexibel genug auf die sich verändernden Bedingungen reagiert Indem man die Menschen, die sich flexibel anpassen und so im Schumpeterschen Sinne „Unternehmertypen" sind, kriminalisiert, löst man das Problem nicht. Das Problem ist, daß reglementierte Erwerbsarbeit knapp, Arbeit zu anderen Bedingungen aber genug vorhanden ist. Hier muß also eine gesellschaftspolitische Öffnung erfolgen und keine Kriminalisierung, die nur eine weitere Wucherung der Bürokratie hervorbringen würde. Dahrendorf hat treffend solche Kontrollarbeit „Scheinarbeit 1'genannt
Man sollte z. B. all die Menschen, die bereit sind, in eigener Regie das zu tun, was etwa bis jetzt durch staatliche Sozialdienste getan wurde, unterstützen Man sollte ferner die Verteilung der Mittel möglichst den Gruppen selbst überlassen. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn die Projekte durch soziale Nähe auch sozialer Kontrolle durch die Betroffenen und Beteiligten zugänglich sind. „Die großen Apparaturen haben nicht gehalten, was sie versprochen haben. Wir müssen die Entscheidungssysteme in , Wir-Gemeinschaften'verwandeln. Solche , Wir-Gemein-schäften sind besser gegen Mißbrauch geschützt als anonyme Apparate. Wenn durch Mißbrauch der Nachbar geschädigt wird, ist es leichter den Mißbrauch zu bekämpfen, als wenn nur Datenbanken vom Mißbrauch betroffen werden." Konkret sei hier an das Beispiel einer Schule im Main-Kinzig-Kreis erinnert, an der im Zuge einer Projektwoche Eltern, Schüler und Lehrer das gesamte, heruntergekommene Gebäude neu gestrichen haben. Man hat versucht, diese Aktion durch Klagen beim Verwaltungsgericht zu verhindern, was nur teilweise gelungen ist. In einem Kirchengemeinde anderen Fall wollte eine in Selbsthilfe einen Glockenturm bauen. Ihr wurden kirchliche Zuschüsse aber erst dann bewilligt, als sie gegen ihren Willen den Bau an Handwerker vergeben hatte, die ihrerseits nichts gegen das Selbsthilfeprojekt einzuwenden gehabt hätten.
Wenn Arbeitslose im Rahmen von Initiativen sich eigene Tätigkeitsprojekte ausdenken und damit sogar wirtschaftlichen Erfolg haben, so werden ihnen alle „Gewinne“, die über 15 DM/Woche hinausgehen, zur Hälfte auf ihr Arbeitslosengeld bzw. auf ihre Arbeitslosenhilfe angerechnet. Das ist ein Steuersatz von 50 %, der jede Eigeninitiative einer Gruppe so lange hemmt, wie sie keine Angst hat, die Bestimmungen zu umgehen und sich so kriminalisieren zu lassen.
In ähnliche Richtung geht auch ein Vorschlag von Remmers, die „ehrenamtliche Tätigkeit im Bildungsbereich, im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen, bei der Altenbetreuung usw. von der Kranken-und Altersversicherungsseite her" zu honorieren Es muß also eine Form gefunden werden, in der Menschen sich zu Tätigkeitsgruppen zusammenschließen, die jenseits unserer Vereins-oder arbeitsrechtlichen Möglichkeiten liegen. Rentner haben dies bereits etwa in der „Kompanie des guten Willens" seit Jahren getan — sie dürfen einen gewissen Nebenverdienst erzielen. Es ist jedoch ein Treppenwitz unsere Sozialgesetzgebung, daß diejenigen, die ein Leben lang erwerbstätig waren, weiterhin tätig sein dürfen, daß diese Möglichkeit aber denen, die noch vor ihrer Pensionierung stehen, verwehrt bleibt.
Bei genauerer Betrachtung sind also viele kleine Schritte durchaus möglich, um das vorhandene Interesse an humanwirtschaftlicher Betätigung zu fördern. Der Einstieg in die Teilbeschäftigung würde es einer großen Gruppe von Menschen erleichtern, dann im Rahmen solcher neuen Tätigkeitsformen zu arbeiten.
Dabei stellt sich natürlich sofort die Frage nach der ausreichenden Versorgung mit Einkommen. Dazu schafft die Steigerung der Arbeitsproduktivität — die selbst 1982 noch mehr als 2% über der Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes lag — den nötigen Verteilungsspielraum. Aus kreislauftheoretischen Gründen ist es notwendig, daß diese „Rationalisierungsgewinne" sich wiederum als Nachfrage am Markt ausdrücken, da sonst die erzeugten Produkte nicht abgesetzt werden können.
Grundsätzlich ergeben sich vier Möglichkeiten, wie Menschen, die nicht mehr voll erwerbstätig sind, finanziell versorgt werden könnten:
— Die Steigerung der Arbeitsproduktivität wird in Form von Arbeitszeitverkürzung und Reallohnsteigerung so weitergegeben, daß das Realeinkommen im Jahr 2000 bei einer 20 h/Woche dem Verdienst entspricht, der im Jahre 1980 bei einer 40 h/Woche erzielt wurde. Dies beruht auf der Prämisse, daß die Arbeitsproduktivität jährlich um 2% stärker wächst als das Bruttosozialprodukt (Reallohn-strategie). — Die Arbeitnehmer erhalten keinen höheren Reallohn, sondern werden am Kapital der Unternehmen beteiligt. Von den Erträgen aus diesen Kapitalanteilen werden die Zeitanteile finanziert, in denen die Menschen Personalarbeit leisten. Dieser Vorschlag der Verteilung von Arbeit und Einkommen stammt von Leontief Im deutschen Sprachgebrauch würde man das als Kombination von Arbeits-Zeitverkürzung mit Vermögensbildung bezeichnen (Vermögensstrategie).
— Ein Teil der Steigerung der Arbeitsproduktivität fließt in die Verteilung der Arbeit, der übrige Rationalisierungsgewinn wird staatlich abgeschöpft und in Form von Transferzahlungen an die Personen weitergegeben, die nicht oder nicht voll erwerbstätig sind. Das ist vergleichbar mit der heutigen Sozialhilfe, BAFÖG und den Rentenzahlungen (Transferstrategie).
— Die abgeschöpften Mittel (ähnlich wie bei der Transferstrategie) werden zur Finanzierung von Stellen im öffentlichen Dienst verwendet (Arbeitsplatzstrategie).
Die vierte Möglichkeit widerspricht dem Grundgedanken des Aufbaus von „Wir-Gemeinschaften" und ist deshalb prinzipiell als Lösungsmöglichkeit auszuscheiden. Ansonsten ist es möglich, sich eine gemischte Strategie aus den drei übrigen Wegen vorzustellen. Die soziale Rückbindung in die Gesellschaft wäre dabei eine dreifache: durch Personalarbeit, durch die Beteiligung an der Erwerbsarbeit und durch die damit gesicherte soziale Versorgung. Wenn es jedoch nicht gelingt, Zwischenformen von Phasenerwerbsarbeit und Personalarbeit — wie sie bei Frauen im Grunde schon lange üblich ist — in absehbarer Zeit in größerem Umfang zu verwirklichen, dann droht uns der Zerfall in eine Gruppe von Erwerbstätigen und eine Gruppe von Sozialhilfeempfängern, wie dies ansatzweise bereits in den USA zu beobachten ist
Mehr Lebens-und Arbeitsqualität durch eine verbesserte Infra-und Produktstruktur Die Lebensbedingungen des Menschen werden auch von den Produkten bestimmt, die in zunehmendem Umfang zu den natürlichen Lebensbedingungen hinzutreten. Güter und Dienstleistungen sind also nicht nur Ergebnisse von Erwerbs-und Personalarbeit, sondern sie bilden zugleich auch eine wichtige Voraussetzung für/die menschliche Arbeit Wenn z. B. Produkte auf alsbaldigen Verschleiß hin konstruiert werden, aber nicht reparaturfreundlich sind, so gibt es keine Reparaturarbeit. Es bleibt das Wegwerfen. Produkte bilden so in ihrem Entstehen, Gebrauch und Verbrauch eine wesentliche Randbedingung für die Entfaltung menschlicher Arbeit. Die notwendige Produktethik kann sich aber nicht allein daran orientieren. Aus anderer Sicht — die hier nicht dargestellt werden kann — müssen Produkte und die sie begleitenden Infrastrukturmaßnahmen energie-sparend, ökologisch verträglich, reparatur-freundlich sowie sozial verträglich sein. Konkret heißt dies u. a.:
— Ausbau der Fernwärmeversorgung — Maßnahmen der Wohnraumsanierung unter Einschluß von Energiesparmaßnahmen — Verbesserung der Wohnumwelt („soziale Nähe")
— Immissionsbekämpfung — Wasserwirtschaftliche Zukunftsvorsorge — Entsorgung und Wiederverwertung von Müll — Investitionen in die Umweltsicherung — Verbesserung der Verkehrssysteme Maßnahmen in diesen Bereichen haben nicht in erster Linie das Ziel, Wachstum zu erzeugen, um damit irgendwann wieder Vollbeschäftigung zu erreichen, sondern die Lebens-und Arbeitsqualität zu verbessern Sie dienen dazu, die Arbeitsplätze bei insgesamt zurückgehender Zahl um der veränderten Produkte willen umzustrukturieren. Das kann mit neuen beruflichen Anforderungen hinsichtlich der Flexbilität und regionaler Mobilität von Menschen verbunden sein. Es kann sogar insgesamt, auf kurze Frist betrachtet, zu hohen, betriebswirtschaftlich im einzelnen nicht vertretbaren Kosten führen. Gesamtgesellschaftlich ist es aber langfristig notwendig, eine solche Umstrukturierung der Wirtschaft voranzutreiben. Dem könnte auch ein Abbau von Konkurrenzpositionen auf dem Weltmarkt für solche Erzeugnisse folgen, in denen die Entwicklungsländer ein Produktionspotential aufgebaut haben. Dort, wo die Entwicklungsländer sich Produktionschancen erarbeitet haben, sollten wir nach den — sonst hochgelobten — Freihandelsregeln verfahren und unsere Märkte öffnen.
Häufig gefordert wird der weitere Ausbau staatlicher Dienstleistungen. Diese Forderung muß aus der Sicht der Kunden solcher Leistungen kritisch betrachtet werden. Der Aufbau staatlicher sozialer Sicherungssysteme und die Erweiterung des Bildungsangebotes hat sich in der Vergangenheit zu sehr an den Gegebenheiten des industriellen Systems orientiert.
Wenn Dienstleistungen für die Zukunft sinnvoll erbracht werden sollen, dann müssen die immer noch zunehmenden Tendenzen der Professionalisierung und der Verrechtlichung sowie die Organisation nur nach Effektivitätsgesichtspunkten überwunden werden. Wenn es so gelingt, u. a. mit Formen der lebenlagenorientierten Beratung und der Unterstützung von Selbsthilfegruppen die Menschen ihre soziale Kompetenz durch Personalarbeit wieder erlangen zu lassen, dann werden die Dienstleistungen, die im humanwirtschaftlichen Bereich erbracht werden, genauso wertvoll sein wie die, die durch Erwerbsarbeit erzeugt werden. Auch diese Entwicklung kann durch die Gestaltung des Rechtsrahmens wirkungsvoll gefördert werden. Warum sollten z. B. bei den Werbungskosten nur die Kosten abgesetzt werden können, die bei der Sicherung der Erwerbsarbeit anfallen? Auch für die Entfaltung der Personalarbeit fallen Kosten an. Diese Quelle menschlichen und gesellschaftlichen Wohlstandes gilt es genauso zu fördern. Ist ein gepflanzter Baum nicht ebenso wichtig wie ein gekauftes Buch?
Die beschriebene Tätigkeitsgesellschaft entsteht nicht zwangsläufig. Es ist viel eher zu erwarten, daß sich bei Aufrechterhaltung der herkömmlichen Denkschemata eine polarisierte Gesellschaft entwickelt, in der sich die heutigen Nord-Süd-Gegensätze von arm und reich dann in den eigenen nationalen Grenzen wiederholen werden. Denn ein Hauptargument heute ist, daß wir sparen müssen und kein Geld dafür vorhanden sei, um neue, noch nicht erprobte Strategien einzuschlagen. Nicht nur der Jesuit v. Nell-Breuning vertritt dagegen seit Jahren den Standpunkt, daß wir reich genug seien, um uns eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Einkommen leisten zu können Wir können es nicht nur — wir müssen es.
Jürgen Espenhorst, Dipl. Volkswirt, geb. 1944, seit 1974 Referent für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik im Sozialamt der Ev. Kirche von Westfalen, Haus Villigst, Schwerte. Nach früherer Tätigkeit im Planungsbereich der Industrie jetziger Schwerpunkt die Begleitung von Arbeitsloseninitiativen. Veröffentlichungen u. a.: Massenarbeitslosigkeit bis in die achtziger Jahre?, in: Stimme der Arbeit 6/75 und 1/76; Tarifliches Einstellungsprogramm als Alternative zur Arbeitszeitverkürzung, in: WSI-Mitt. 4/1977; Die Fehlorientierung personalpolitischer Verhaltensweisen und Wege ihrer Korrektur, in: Harms, Leipert, Sonntag (Hrsg.), Alternative Ökonomie und ökonomische Theorie, Frankfurt 1980.
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