Institutioneile Bedingungen der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik
Fritz W. Scharpf
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Zusammenfassung
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist von der bundesdeutschen Politik trotz aller Warnungen lange unterschätzt worden. Nachdem die 2-Millionen-Grenze überschritten ist und mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen gerechnet werden muß, herrscht politische Ratlosigkeit. Die konkurrierenden Rezepte einer angebotsorientierten und einer nachfrageorientierten Vollbeschäftigungspolitik scheinen durch die neueren Erfahrungen im Ausland gleichermaßen diskreditiert Im einzelnen läßt sich zeigen, daß in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation rein angebotsorientierte Strategien aus ökonomischen Gründen wenig aussichtsreich erscheinen, während die ökonomisch plausibleren Optionen einer staatlichen Nachfrageausweitung unter den institutioneilen Bedingungen der Bundesrepublik politisch blockiert erscheinen. Aussichtsreich erscheinen deshalb nur Strategien, die dem doppelten Kriterium der ökonomischen Wirksamkeit und der institutioneilen Machbarkeit genügen. Potentiell hohe Wirksamkeit könnte man insbesondere von drei Strategien erwarten: — Der Förderung der Beschäftigung in kleinen und mittleren Unternehmen, — der Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie von Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und — einer auf Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens gerichteten Arbeitszeitpolitik. In allen drei Bereichen ist jedoch mit institutioneilen Problemen zu rechnen. Die Förderung der Beschäftigung in kleinen und mittleren Unternehmen ist in sehr starkem Maße abhängig von der Leistungsfähigkeit einer administrativen Infrastruktur auf lokaler Ebene, die durch zentralstaatliche Programme nicht unmittelbar beeinflußt werden kann. Günstigere Voraussetzungen bestehen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die in den Arbeitsämtern über einen eigenen, bundesweiten Verwaltungsunterbau verfügt. Allerdings sind gerade die beiden wirksamsten Instrumente — Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen — auf die Mitwirkung selbständiger Trägerorganisationen angewiesen. Leistungsfähige Kooperationsnetze gehören also zur notwendigen Infrastruktur einer erfolgreichen aktiven Arbeitsmarktpolitik; sie werden gestört oder zerstört, wenn das Vertrauen der Kooperationspartner durch einschneidende Programmänderungen enttäuscht wird, wie dies etwa als Konsequenz des Haushaltsstrukturgesetzes von 1975 und des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes von 1981 der Fall war. Bei der Arbeitszeitpolitik schließlich läßt sich zeigen, daß weder eine generelle Arbeitszeitverkürzung noch die verstärkte Förderung der Teilzeitarbeit im gemeinsamen Interesse der Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen liegen. Ein auf Arbeitsumverteilung gerichteter „Beschäftigungspakt“ der Sozialpartner könnte also allenfalls dann zustande kommen, wenn diese dafür von der staatlichen Politik moralisch in die Pflicht genommen würden. Die Voraussetzungen dafür sind allerdings durch die von der neuen Bundesregierung ohne das Angebot einer Arbeitszeitverkürzung oder einer beschäftigungspolitischen Initiative postulierte „Lohnpause“ eher schlechter als besser geworden.
I. Die blockierte Vollbeschäftigungspolitik In der Bundesrepublik hat sich — endlich — die Überzeugung durchgesetzt, daß der bis Mitte der siebziger Jahre gewohnte Zustand der Vollbeschäftigung jedenfalls bis zum Ende der achtziger Jahre nicht von selbst wiederkehren werde. Unter den erwarteten Rahmenbedingungen eines noch steigenden Arbeitskräfteangebots, eines eher mäßigen Wirtschaftswachstums und weitergehender Produktivitätssteigerungen ist sogar mit einem weiteren Ansteigen der Arbeitslosen-zahlen zu rechnen. Vor dieser Einsicht hat die deutsche Politik — ungeachtet aller Warnungen aus den Forschungsinstituten, uns selbst (Internationales Institut für Management und Verwaltung, Abt. Arbeitsmarktpolitik, im Wissenschaftszentrum Berlin) eingeschlossen — unbegreiflich lange die Augen verschlossen. Jetzt aber, nachdem die trostlose Perspektive des Arbeitsmarktes nicht länger geleugnet wird, scheint der frühere Optimismus in einen lähmenden Pessimismus umzuschlagen, dem man aber manchmal auch eine gewisse Erleichterung anzumerken meint:
Wenn die negative Arbeitsmarktentwicklung bis zum Ende der achtziger Jahre unabänderlich ist, dann ist eben auch die Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik aus der Pflicht entlassen. Statt sich über immer neue Vorschläge für eine aktive Beschäftigungspolitik weiter zu zerstreiten, kann man sich dann einvernehmlich auf die Probleme einer Konsolidierung der Finanzen des Staates, der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung während der kommenden schwierigen Jahre konzentrieren. Die derweilen weiter anwachsende Massenarbeitslosigkeit hat man dagegen als ein ohnehin unlösbares Problem inzwischen fast aus dem Bereich des politisch zu Verantwortenden hinausdefiniert.
Abbildung 3
(Jahresdurchschnitte in 1 000) 1973 1974 1975 1976 1977 1978 Krise auf dem Arbeitsmarkt Arbeitslose, Kurzarbeiter, offene Stellen 1973-1981 1979 1980 1981 Arbeitslosenquoten im Dezember 1981 __ 7, 3% alle Arbeitslosen — 11, 1% Ausländer __ 6, 9% Jugendliche unter 20 Jahren ZAHLENBILDER 258 238
(Jahresdurchschnitte in 1 000) 1973 1974 1975 1976 1977 1978 Krise auf dem Arbeitsmarkt Arbeitslose, Kurzarbeiter, offene Stellen 1973-1981 1979 1980 1981 Arbeitslosenquoten im Dezember 1981 __ 7, 3% alle Arbeitslosen — 11, 1% Ausländer __ 6, 9% Jugendliche unter 20 Jahren ZAHLENBILDER 258 238
An der um sich greifenden Resignation in der Beschäftigungspolitik hat gewiß die Meinung einen wesentlichen Anteil, daß die beiden in der wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Diskussion miteinander konkurrierenden Strategien zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung inzwischen offensichtlich und gleichermaßen gescheitert seien. Und in der Tat: Weder die angebots-orientierte Politik noch die nachfrageorien tierte Politik haben in den letzten Jahren im Ausland oder bei uns wesentliche Erfolge beim Kampf um die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung aufweisen können — allerdings aus durchaus unterschiedlichen Gründen.
Abbildung 4
Abbildung 4
Abbildung 4
Zur Erläuterung gehe ich von der These aus, daß eine erfolgreiche Politik sowohl ökonomisch richtig als auch institutionell machbar sein müsse. Die Gesetze der Ökonomie lassen sich nicht außer Kraft setzen. Was ökonomisch falsch ist, kann nicht durch seine politische Opportunität richtig werden. Aber die Ökonomie erfaßt eben nur einen Ausschnitt der Handlungsbedingungen der Wirtschaftssubjekte und sie ignoriert fast durchweg die institutioneilen Bedingungen, unter denen Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik beschlossen und durchgeführt werden muß. Deshalb läßt sich der Merkspruch auch umdrehen: Auch ökonomisch gut begründete Empfehlungen bleiben praktisch folgenlos, wenn sie institutionell entweder überhaupt nicht umgesetzt oder von den Adressaten nicht akzeptiert werden können. Man kann zeigen, so meine ich, daß die angebotsorientierte Politik in den vergangenen Jahren vor allem aus ökonomischen Gründen, die nachfrageorientierte Politik, zumindest in der Bundesrepublik, aber überwiegend aus institutioneilen Gründen gescheitert ist.
Die angebotsorientierte Politik, die ein rascheres Wirtschaftswachstum durch Kostenentlastung der Unternehmen erreichen will, ist vor allem in den Vereinigten Staaten und in der Bundesrepublik praktiziert worden, während die britische Variante des Monetarismus bisher eher auf Inflationsbekämpfung denn auf Wachstumsförderung gerichtet war. In der amerikanischen wirtschaftspolitischen Diskussion gilt die Steuerentlastung als das bevorzugte Instrument der Angebotspolitik; bei uns richten sich die Appelle der Angebotstheoretiker in erster Linie an die Lohnpolitik der Gewerkschaften und erst in zweiter Linie auf eine Entlastung der Unternehmen von Steuern und Sozialabgaben.
Beide Rezepte haben sich auch politisch-institutionell durchsetzen lassen. Die amerikanische Präsidialverfassung bot Präsident Reagan die Chance, im ersten Jahr seiner Amts-3 zeit eine massive, langfristig angelegte und politisch glaubwürdige Steuersenkung durchzusetzen, die vor allem die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen und die Unternehmensgewinne begünstigte. In der Bundesrepublik war nach überwiegender Meinung des wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstandes vor allem der Anstieg der Lohnkosten für die schlechte Beschäftigungsentwicklung seit Mitte der siebziger Jahre verantwortlich, und dies, obwohl die Lohnstückkosten bei uns im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich anstiegen und in den meisten Jahren hinter der Inflationsrate zurückblieben.
Seit dem vergangenen Jahr bleibt auch der Anstieg der Nominallöhne hinter der Inflationsrate zurück, so daß die Investitionslust der Unternehmen nun sogar durch fallende Reallöhne angereizt wird. Die institutioneilen Voraussetzungen dafür waren bei uns günstig: Die organisatorische Struktur und innere Disziplin der deutschen Gewerkschaften machen eine Orientierung der Lohnpolitik an gesamtwirtschaftlichen Forderungen hier leichter als in den meisten vergleichbaren Ländern.
Aber die institutionelle Durchführbarkeit garantiert eben noch nicht den ökonomischen Erfolg. Weder in den Vereinigten Staaten noch in der Bundesrepublik hat die Kosten-entlastung der Unternehmen die erhoffte Investitionskonjunktur ausgelöst, und in beiden Ländern ist die Arbeitslosigkeit 1981 und 1982 weiter gestiegen. Die Gründe dafür liegen offensichtlich nicht im Institutionellen, sondern in dem unauflösbaren ökonomischen Zusammenhang von Angebot und Nachfrage. Solange die vorhandenen Produktionskapazi-täten unausgelastet sind und die Unternehmen nicht mit einer steigenden Nachfrage rechnen können, werden sie auch durch Kostenentlastungen bei Steuern oder Löhnen nicht zu Erweiterungsinvestitionen veranlaßt — und wo doch, da würden die entstehenden Überkapazitäten die wirtschaftliche Krise eher verschärfen.
Wäre dann aber eine nachfrageorientierte Politik ökonomisch chancenreicher gewesen? Die Antwort ist, so meine ich, ein qualifiziertes Ja. Qualifiziert deshalb, weil auf eine Ausweitung der Gesamt-Nachfrage gerichtete expansive Geld-und Fiskalpolitik nicht beschäftigungswirksam werden kann, wenn die Zusatznachfrage lediglich zu Preissteigerungen führt. Dies ist einmal eine Frage regionaler und sektoraler Ungleichgewichte, zum anderen eine Frage des Konzentrationsgrades in der Wirtschaft und schließlich eine Frage der Lohnentwicklung, deren Kostendruck die Unternehmen dazu zwingen kann, alle von der Nachfrageseite her gebotenen Spielräume der Preiserhöhung auch tatsächlich auszunutzen. An dem letzten Problem ist die nachfrage-orientierte Politik der letzten Labour-Regierung in Großbritannien schließlich gescheitert; und steigende Inflationsraten haben offenbar auch die neue französische Regierung schon nach einem Jahr zu einer drastischen Korrektur ihrer Expansionspolitik gezwungen. Andererseits hat Österreich, wo eine stark zentralisierte Lohnpolitik der Sozial-partner den kostenseitigen Inflationsdruck begrenzte, bis vor kurzem den Zustand der Vollbeschäftigung mit den Mitteln einer expansiven Geld-und Fiskalpolitik erhalten können.
Die Bundesrepublik ist institutionell gegen die Gefahr eines inflationären Lohnkostendrucks etwa ebenso gut geschützt wie Österreich, und die deutsche Auslandsverschuldung ist noch weit von den möglichen Grenzen unserer internationalen Kreditwürdigkeit entfernt. Wenn trotz dieser günstigen Voraussetzungen bei uns eine auf Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung gerichtete, nachhaltig expansive Fiskalpolitik in den letzten Jahren unterlassen wurde, dann liegen die Gründe dafür weniger im ökonomischen als im institutionellen Bereich.
Sie werden besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, weshalb die vom DIW, der Prognos AG und anderen Wirtschaftsforschungsinstituten in den letzten Jahren immer wieder vorgelegten Modellrechnungen über die weitgehende „Selbstfinanzierung 1 von Beschäftigungsprogrammen so wenig politisches Interesse fanden, obwohl sie ökonomisch niemals widerlegt wurden. Der Grund dafür ist so einfach wie praktisch unüberwindlich: Die finanziellen Vorteile eines erfolgreichen Beschäftigungsprogramms — verminderte Ausgaben für Arbeitslose und höB here Einnahmen bei den Sozialabgaben und Steuern — würden bei einer Vielzahl selbständiger Kassen der Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung, des Bundes, der Länder und der Kommunen anfallen, während die Kosten von Beschäftigungsprogrammen vor allem vom Bund zu tragen wären, der politisch in erster Linie für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht wird.
Dementsprechend hat der Bund in den siebziger Jahren bei weitem die finanzielle Haupt-last des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit getragen. Während sein Anteil am gesamtwirtschaftlichen Steueraufkommen zurückging, erhöhte sich sein Anteil an der Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte von knapp 35% im Jahre 1972 auf mehr als 58% 1979. Während die Länder in der gleichen Periode immerhin ihren Anteil von 21, 5% auf 31 % steigerten, ging der Anteil der Kommunen von 43, 5% auf 10, 4% drastisch zurück. Weil aber der Bund die Hauptlast der antizyklischen Fiskalpolitik zu tragen hatte, während er von den immerhin nicht unerheblichen beschäftigungspolitischen Erfolgen zwischen 1977 und 1980 finanziell nur in begrenztem Maße profitierte, war es im Wahlkampf 1980 auch möglich, die öffentliche Kreditaufnahme ausschließlich als ein Problem der Überschuldung des Bundes zu thematisieren. Und obwohl dieses Wahlkampfthema das Ergebnis der Bundestagswahl von 1980 nicht beeinflussen konnte, hat es doch innerhalb der sozial-liberalen Regierung dem kleinen Koalitionspartner die — im Hinblick auf die Interessen seiner Klientel — offenbar unwiderstehliche Chance der politischen Profilierung geboten. Die Höhe der Neuverschuldung des Bundes wurde zur Meßlatte einer soliden Regierungspolitik, und auch die neue Bundesregierung mußte sich schon aus Gründen ihrer politischen Glaubwürdigkeit dem gleichen Zwang unterwerfen. Kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme mögen deshalb in der Bundesrepublik ökonomisch weiterhin sinnvoll bleiben, und sie mögen sich sogar für den öffentlichen Gesamthaushalt fiskalisch in wenigen Jahren wieder auszahlen: Sie blieben unter der neuen ebenso wie unter der alten Koalition aus politisch-institutionellen Gründen tabuisiert.
Die Vorstellung, daß in der Beschäftigungspolitik derzeit die gängigen Rezepte gescheitert seien, daß „nichts mehr geht", scheint also jedenfalls für die beiden Optionen begründet, die von den konkurrierenden Lagern der Wirtschaftswissenschaften in erster Linie verfochten werden. Aber damit sind doch die
Möglichkeiten einer aktiven, beschäftigungsfördernden und Arbeitslosigkeit abbauenden Politik bei weitem nicht erschöpft. Die eigentliche Gefahr des um sich greifenden Pessimismus der Beschäftigungspolitik liegt gerade darin, daß mit der Enttäuschung über das offenbare Scheitern der großen globalen Optionen auch die Suche nach anderen, möglicherweise begrenzteren Maßnahmen, die zugleich ökonomisch erfolgversprechend und institutionell machbar sein könnten, eingestellt wird. Diesem Pessimismus gilt es zu widersprechen. Gerade weil die großen Patentrezepte in der gegenwärtigen Situation keinen Erfolg versprechen, sind wir darauf angewiesen, eine Vielzahl begrenzter Anstrengungen nebeneinander zu unternehmen, die in der Summe doch dazu beitragen können, noch in den achtziger Jahren den in einem nach wie vor reichen Land moralisch unerträglichen Skandal massenhaft unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Die Vorschläge dazu sind zahlreich, und wir selbst haben in dem vor kurzem veröffentlichten Sammelband unseres Instituts noch einige hinzugefügt') -
Doch wenn neue Enttäuschungen und damit eine noch tiefere politische Resignation vermieden werden sollen, dann müssen alle ernst gemeinten Vorschläge von nun an einem doppelten Test ausgesetzt werden: Sie dürfen nicht in dem Sinne ökonomisch kontraproduktiv sein, daß im Falle ihrer Verwirklichung entweder die Absatzmöglichkeiten oder die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft oder ihre Bereitschaft zur Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte beeinträchtigt werden. Aber die ökonomische Unbedenklich-keitsbescheinigung allein reicht noch nicht aus: Erfolgversprechende Vorschläge müssen auch institutionell realisierbar, d. h. sie müssen innerhalb der gegebenen politischen Strukturen konsensfähig sein; sie müssen innerhalb der gegebenen Strukturen von öffentlicher Verwaltung und Verbänden durchführbar sein; und sie dürfen auch nicht den institutionellen ihrer - Adres saten — der Betriebe und Haushalte — zuwiderlaufen. Ich will deshalb im folgenden für einige Bereiche der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik die besonders bedeutsamen institutionellen Bedingungen einer erfolgreichen Politik verdeutlichen. Ausgewählt habe ich dafür Politikfelder, in denen nach meiner Einschätzung die ökonomischen Rahmenbedingungen beschäftigungspolitische Erfolge durchaus erlauben würden, nämlich, — die Förderung der Beschäftigung in kleinen und mittleren Unternehmen, — die Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik insbesondere im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie der Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen, und schließlich — eine auf Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens gerichtete Arbeitszeitpolitik.
II. Beschäftigung in kleinen und mittleren Unternehmen
Abbildung 1
Arbeit ist Mangelware
Arbeit ist Mangelware
Während man noch vor wenigen Jahren die modernen, leistungsfähigen Großunternehmen als wichtigste Träger einer dynamischen Beschäftigungsentwicklung angesehen hat, setzt sich jedenfalls im Bereich der Wissenschaft gegenwärtig die Meinung durch, daß Beschäftigungszuwächse in der privaten Wirtschaft künftig, wenn überhaupt, dann in erster Linie im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen und insbesondere der jungen Unternehmen zu erwarten seien.
Die Gründe für die unterschiedliche Beschäftigungsdynamik von Groß-und Kleinbetrieben sind allerdings weniger klar als der Befund selbst. Offenbar liegen sie teilweise in der Branchenstruktur begründet, wenn etwa — wie bei der Stahlerzeugung — stagnierende oder schrumpfende Branchen insgesamt großbetrieblich strukturiert sind. Auch negative Größeneffekte mögen eine Rolle spielen, wenn das schwerfälligere und bürokratischere Management von Großunternehmen auf Marktschwankungen und sich neu eröffnende Marktchancen weniger flexibel reagieren kann als beweglichere Kleinbetriebe. Derzeit laufende Untersuchungen unseres Instituts im Bereich der Automobilindustrie legen jedoch für die Bundesrepublik noch eine andere institutioneile Erklärung von grundsätzlicher Bedeutung nahe.
In Großbetrieben ist durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und das Mitbestimmungsgesetz von 1976 auf der einen Seite die Mitverantwortung der Arbeitnehmervertretungen für Einstellungen und Entlassungen erhöht worden, während auf der anderen Seite mit der gesetzlich vorgeschriebenen Aufnahme des Arbeitsdirektors in den Vorstand der Einfluß der Personalabteilungen auf die Unternehmensentscheidung wesentlich gestärkt wurde. In der ersten Beschäftigungskrise 1975/76 haben überdies die Betriebsräte gelernt, wie schwer die Mitverantwortung für Massenentlassungen wiegt, und die Unternehmen haben gelernt, wie teuer sie ein ein-vernehmlicher Personalabbau mit hohen Abfindungszahlungen zu stehen kommt.
Die Folge war und ist eine sehr viel vorsichtigere Personalpolitik, die das Risiko künftiger Massenentlastungen nach Möglichkeit ausschließen soll. Ermöglicht wird sie durch die frühzeitige Beteiligung der — institutionell gestärkten — Personalabteilungen an der Investitionsplanung, um auf diese Weise künftigen Personalbedarf soweit wie möglich durch interne Umsetzungen und innerbetriebliche Umschulung abdecken zu können. Kurzfristige Fluktuationen der Nachfrage werden — so lange es geht — mit dem vorhandenen Personalbestand durch Überstunden oder Kurz-arbeit aufgefangen; darüber hinaus nimmt man offenbar lieber verlängerte Lieferfristen in Kauf als über die Personalplanung hinausgehende Neueinstellungen.
Für die im Betrieb Beschäftigten bedeutet diese Entwicklung höhere Beschäftigungssicherheit und (wegen der weitgehenden Abschottung vom externen Arbeitsmarkt durch die Verpflichtung zur internen Stellenausschreibung) verbesserte innerbetriebliche Aufstiegschancen. Arbeitsmarktpolitisch folgt daraus aber eine verminderte Elastizität der Beschäftigung im Konjunkturzyklus. Wenn nicht das Unternehmen in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, findet Personalabbau im Konjunkturabschwung bei mitbestimmten Großbetrieben fast nur noch über die „natürliche Fluktuation“ statt. In der Auf-B schwungsphase folgt daraus aber der Verzicht auf reale Möglichkeiten einer Beschäftigungsausweitung — mit der Konsequenz, daß Nachfragesteigerungen entweder unmittelbar in Preissteigerungen übersetzt werden oder den Verlust von Marktanteilen deutscher Unternehmen zugunsten von Importen zur Folge haben.
Die institutioneilen Veränderungen innerhalb der Großunternehmen sind vermutlich Gerade aber über den Bereich der selbständigen Klein-und Mittelunternehmen wissen wir besonders wenig Bescheid. Er ist wenig untersucht und für empirische Forschungsvorhaben auch außerordentlich schwer erreichbar. Unser Wissen über die Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsengpässe kleiner Unternehmen ist deshalb noch durchaus unrepräsentativ und unsystematisch. Immerhin lassen sich einige typische Probleme der Gründungsphase und der irreversibel, weil sich auch das Management inzwischen auf die veränderten Machtverhältnisse eingerichtet hat. Es hat in den verstärkten Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmervertretungen, kombiniert mit einer verbesserten Personalplanung, sogar eine wesentliche Voraussetzung für die konfliktfreie Anpassung der Beschäftigung an Veränderungen der Fertigungstechnik und der Arbeitsorganisation erkannt. Für die staatliche Politik stehen deshalb auch die arbeitsmarkt-politischen Implikationen der unelastischen Personalpolitik der Großunternehmen kaum mehr zur Disposition. Möglicherweise müssen auch weiterhin Großunternehmen aus politischen Gründen vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Positive Beschäftigungseflekte können dadurch aber kaum noch erzielt werden. Sie sind in erster Linie durch die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen zu erreichen, soweit es sich dabei nicht ledig-lich um die technisch und wirtschaftlich unselbständigen Zulieferer der Großindustrie handelt.
Wachstumsphase angeben, die die Nutzung der vom Markt her gegebenen Expansionsmöglichkeiten beschränken.
Hierzu gehören zunächst Probleme bei der Gewinnung von Risikokapital und bürokratische Hürden beim Aufbau eines neuen Unternehmens. In der Wachstumsphase ergeben sich charakteristische Managementprobleme beim Übergang von den informellen, ganz auf persönliche Beziehungen gegründeten Strukturen des Kleinbetriebs zu den stärker formalisierten und arbeitsteiligen Strukturen eines mittleren Betriebs. Andere Wachstumsprobleme ergeben sich aus dem Mangel an Fachkräften, auf die der flexible Kleinbetrieb mit seinen vielfältigen Arbeitsanforderungen in besonderem Maße angewiesen ist, während er mit den attraktiveren Arbeitsplatzangeboten des Großbetriebes häufig nicht konkurrieren kann. Schließlich stellt auch der technische Fortschritt den Kleinbetrieb, der sich wissenschaftlich qualifiziertes Personal tatsächlich oder vermeintlich nicht leisten kann, vor schwierigere Probleme als den mit technischen Qualifikationen gut ausgestatteten Großbetrieb.
Nach allem, was wir wissen, stehen kleine und mittlere Unternehmen also vor gravierenden Schwierigkeiten. Wenn trotzdem die Hauptlast einer expansiven Beschäftigungsentwicklung von ihnen getragen wird, so kann man daraus schließen, daß eine staatliche Förderungspolitik, die sich auf die Grün-dungs-und Wachstumsprobleme kleinerer Unternehmen konzentriert, noch erheblich stärkere Beschäftigungseffekte erzielen könnte. Dem steht allerdings entgegen, daß kleinere Betriebe nicht nur für die wissenschaftliche Forschung, sondern auch für die staatliche Administration besonders schwer zu erreichen sind.
Die Schwierigkeiten wurden deutlich bei unserer Untersuchung der Implementation des arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramms der Bundesregierung von 1979. Für die Arbeitsämter war der Beratungsaufwand bei den bürokratieerfahrenen Großunternehmen eher geringer als bei den Kleinbetrieben, obwohl sie bei diesen im besten Falle mit einigen wenigen Teilnehmern, bei den Großbetrieben aber mit Anträgen für mehrere hundert Teilnehmer rechnen konnten. Dementsprechend waren bei der Inanspruchnahme des Sonder-programms in der Mehrzahl aller Arbeitsamtsbezirke die Großbetriebe weit überrepräsentiert. Allerdings gab es auch einige Arbeitsamtsbezirke, in denen kleine und mittlere Unternehmen am Sonderprogramm überproportional beteiligt waren. Es ist also für die staatliche Verwaltung zwar schwierig, aber offenbar keineswegs unmöglich, mit ihren Förderangeboten auch die weniger bürokratieerfahrenen kleinen und mittleren Unternehmen zu erreichen
Den Bedingungen dafür geht an unserem Institut ein international vergleichendes Projekt nach. Es beginnt mit einer Totalerfassung aller kleinen Betriebe des verarbeitenden Gewerbes in jeweils vier ausgewählten Regionen in der Bundesrepublik, in Schweden, in Großbritannien und in Italien und mit einer Analyse ihrer tatsächlich aufgetretenen Entwicklungsschwierigkeiten. Untersucht wird dann die Herkunft der Förderungsangebote, die von den Firmen tatsächlich genutzt wurden. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind überraschend: Es zeigen sich zwischen den Untersuchungsregionen innerhalb eines Landes deutliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung der kleinen Betriebe und ihres Beschäftigungsstandes, die nicht durch Unterschiede in der Branchenzugehörigkeit erklärt werden können. Die Erklärung liegt vielmehr in der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der jeweiligen regionalen Organisation der Förderungsprogramme.
Wichtig ist anscheinend das Vorhandensein einer Anlaufstelle, gleich, ob es sich dabei um eine private Bank oder eine Einrichtung der öffentlichen Wirtschaftsförderung handelt, die sich für alle unterschiedlichen Entwicklungsprobleme eines kleinen Betriebes für zuständig erklärt, und die gegebenenfalls in der Lage ist, die Förderungsangebote anderer Stellen im Hinblick auf die jeweiligen Probleme des Einzelbetriebes zu koordinieren. Wo diese Möglichkeit besteht, da reichen offenbar die vorhandenen Förderungsprogramme in der Bundesrepublik durchaus aus um die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Beschäftigungsentwicklung der kleinen Unternehmen wirksam zu unterstützen. Wo sie fehlt, da laufen auch die bestgemeinten Programme ins Leere.
Die Schlußfolgerungen daraus für die Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik sind optimistisch und pessimistisch zugleich: Zwar ist eine wirkungsvolle staatliche Unterstützung der Beschäftigung in kleinen und mittleren Unternehmen auch unter den gegenwärtigen ökonomischen Rahmenbedingungen durchaus möglich, aber es spricht wenig dafür, daß hier durch spektakuläre neue Programme kurzfristige Erfolge zu erzielen wären. Gewiß könnten die vorhandenen Programme verbessert und erweitert werden. Aber wichtiger ist offenbar die Verbesserung der administrativen Förderungsstruktur, durch die die vorhandenen Programme auf der lokalen Ebene „an den Mann gebracht" werden. Diese Verbesserung ist nicht ausgeschlossen, aber sie kann kaum zentral verordnet werden. Nötig ist vielmehr ein Informations-und Erfahrungsaustausch zwischen den unteren Verwaltungseinheiten, durch den die vorbildliche Praxis der besonders erfolgreichen Regionen für die Nachahmung der übrigen verfügbar gemacht wird. Anwendungsorientierte Forschung kann hierzu beitragen, aber weder sie noch neue zentralstaatliche Programme können die notwendigen Lernprozesse auf der unteren Verwaltungsebene ersetzen. Das beschäftigungspolitische Potential der aktiven Arbeitsmarktpolitik wird in der Bundesrepublik noch immer unterschätzt. Dabei wäre ohne Kurzarbeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen sowie Rehabilitationsmaßnahmen in den Jahren 1974 bis 1980 die registrierte Arbeitslosigkeit um durchschnittlich 330 000 Personen höher gewesen, und die Arbeitslosenquote hätte dementsprechend um 1, 5 Prozentpunkte höher gelegen. Dies sind zweifellos beachtliche Zahlen. Aber damit ist das Potential der aktiven Arbeitsmarktpolitik noch keineswegs ausgeschöpft. Schweden hat während der gleichen Periode mit vergleichbaren Instrumenten die offene Arbeitslosigkeit um drei bis vier Prozentpunkte vermindert und damit trotz einer im Vergleich zur Bundesrepublik ungünstigeren Wirtschaftsentwicklung bis jetzt den Anstieg der offenen Arbeitslosigkeit vermeiden können.
Im Vergleich zu anderen beschäftigungspolitischen Optionen der staatlichen Politik erscheint die aktive Arbeitsmarktpolitik auch durchaus kostengünstig. Wird eine Million DM jährlich für öffentliche Investitionen eingesetzt, so werden damit 10 bis 20 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen; der gleiche Betrag etwa für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgegeben, würde jedoch 40 bis 50 Arbeitslose in Beschäftigung bringen. Trotzdem spielt bei uns die aktive Arbeitsmarktpolitik in der politischen Diskussion über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kaum ein Rolle.
Wie läßt sich diese Zurückhaltung erklären? Ein Grund dafür liegt sicherlich in den ungerechtfertigten Optimismus, mit dem man bisher die Dauerhaftigkeit des Arbeitslosenproblems unterschätzt hatte. Wenn man immer wieder damit rechnet, daß der nächste Aufschwung die Vollbeschäftigung zurückbringen werde, dann erscheint die Forderung nach dem massiven Ausbau etwa von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unnötig oder geradezu defaitistisch. Dies mag gerade bei jenen Politikern im Regierungslager eine Rolle gespielt haben, die in den vergangenen Jahren ernsthaft für eine vollbeschäftigungsorientierte Wirtschafts-und Finanzpolitik gekämpft haben. Der wichtigere Grund lag aber sicherlich in den institutioneilen Besonderheiten unserer Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik. In Schweden werden die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausschließlich aus dem Staatshaushalt finanziert; sie sind also ein politisch selbstverständlicher Teil des Instrumentariums, das die Regierung bei steigender Arbeitslosigkeit antizyklisch einsetzt. Anders bei uns, wo die Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ebenso wie das Arbeitslosengeld grundsätzlich aus dem Aufkommen der Arbeitslosenversicherung gedeckt werden müssen. Da bei steigender Arbeitslosigkeit das Beitragsaufkommen sinkt und die Ausgaben für Lohnersatzleistungen steil ansteigen, vermindert sich gerade dann der Finanzierungsspielraum für aktive Maßnahmen in prozyklischer Weise. Zwar ist die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet, das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit abzudekken, aber diese Verpflichtung erscheint bei uns politisch nicht als Auftrag zur aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern als ein bei ohnehin ungünstiger Haushaltslage des Bundes plötzlich aufreißendes Finanz-loch, das möglichst rasch wieder verkleinert werden muß. Deshalb hat Bonn mit Sparmaßnahmen auf den zweimaligen raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit reagiert: mit dem Haushaltsstrukturgesetz von 1975 und dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom Dezember 1981. Da aber die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, auf die die Beitragszahler einen Rechtsanspruch erworben haben, politisch weitgehend tabuisiert blieben, konzentrierten sich die Einsparungen bei beiden Gesetzen auf die Instrumente einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Für die Wirksamkeit der aktiven Arbeitsmarktpolitik war in beiden Fällen die einschneidende Änderung der Förderungskonditionen noch schädlicher als die Kürzung der insgesamt verfügbaren Finanzmittel. Der Grund dafür ist für außenstehende Kritiker der Arbeitsmarktpolitik nicht ohne weiteres einsichtig und soll deshalb näher erläutert werden. Gerade bei den beiden wichtigsten Instrumenten einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen, ist die deutsche Arbeitsverwaltung auf die freiwillige, nicht erzwingbare Kooperation selbständiger Trägerorganisationen angewiesen. Bei Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen beispielsweise sind dies in einigen Fällen kommerzielle Unternehmen, zumeist aber gemeinnützige Bildungseinrichtungen der Industrie-und Handelskammern, der Handwerkskammern, der Gewerkschaften, der Volkshochschulen, Schulen und anderer Träger.
Die formellen Einflußmöglichkeiten der Arbeitsverwaltung auf das Kursangebot und auf die Auswahl der Teilnehmer sind durchaus begrenzt, sofern nicht ausnahmsweise . Auftragsmaßnahmen" durchgeführt werden, bei denen die Arbeitsverwaltung dem Träger das finanzielle Risiko abnimmt und die Teilnehmer selbst zuweist.
Die berufliche Fortbildung und Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz muß deshalb in einem Interaktionssystem produziert werden, das nur dann erfolgreich funktionieren kann, wenn mehrere selbständige Beteiligte — Arbeitsverwaltung, Träger, Teilnehmer und potentielle Arbeitgeber — sich aufeinander einstellen. Es liegt auf der Hand, daß derart komplexe Kooperationsbeziehungen sich erst einspielen müssen und daß sie sehr störempfindlich auf jede Veränderung der Rahmenbedingungen reagieren werden.
Eben dies war aber seit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969 immer wieder der Fall: Die Arbeitsämter hatten zunächst Fortbildung und Umschulung als Instrumente zur Förderung des beruflichen Aufstiegs entwickelt und waren damit durchaus erfolgreich gewesen. Dann kam das Haushaltsstrukturgesetz von 1975 mit einer radikalen Verschlechterung der Förderbedingungen für alle Teilnehmer, die nicht entweder arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht oder ohne beruflichen Abschluß waren. Gerade für solche Teilnehmer paßte jedoch das bisher entwickelte Kursangebot am wenigsten, und sie waren auch besonders schwer für Bildungsmaßnahmen zu motivieren. Die Folge war ein drastischer Rückgang der Teilnehmerzahlen von 270 000 im Jahr 1975 auf 135 000 im Jahr 1977. In dem Maße, wie es den Trägerorganisationen mit Unterstützung der Arbeitsämter gelang, neue Kurse zu entwickeln und dafür insbesondere arbeitslose Teilnehmer zu motivieren, stieg dann die Zahl der Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen bis 1981 wieder an.
Mit dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) wurden jetzt auch die Förderungsbedingungen für arbeitslose Teilnehmer deutlich verschlechtert. Dementsprechend vermindern sich wiederum die Teilnehmer-zahlen gerade dann, wenn die Arbeitslosigkeit einem neuen Höhepunkt zustrebt. Noch gefährlicher ist die Wirkung auf die Trägerorganisationen, die nun zum zweiten Male innerhalb weniger Jahre ihre Investitionen in ein den bisherigen Anforderungen der Ar-
Ähnlich verhält es sich bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, deren Volumen mit ansteigender Arbeitslosigkeit von 3 000 Mann-Jahren 1974 über knapp 16 000 Mann-Jahre 1975 auf mehr als 51 000 Mann-Jahre 1978 eindrucksvoll gesteigert werden konnte. Dies war nur möglich, weil es den Arbeitsämtern auch hier gelang, selbständige Trägerorganisationen für die Durchführung zu gewinnen. Im Vordergrund standen dabei zunächst Maßnahmen im Garten-und Landschaftsbau, in der Forstwirtschaft, im Baubereich sowie in Büro und Verwaltung, für die als Träger in erster Linie die Kommunen in Frage kamen. Dagegen gab es Proteste der zuständigen Gewerkschaft OTV, die die Beschäftigung auf regulären Planstellen gefährdet sah. Obwohl die Verschlechterung der Haushaltslage inzwischen jede Hoffnung auf eine nachhaltige Ausweitung kommunaler Planstellen zunichte gemacht hat, haben solche Proteste sicherlich mit dazu beigetragen, daß das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im kommunalen Bereich nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen zuläßt.
Nach dem AFKG müßte sich das Schwergewicht auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei den freien Trägern der Wohlfahrtspflege verlagern. Maßnahmen in den sozialen Diensten sind aber nicht beliebig schnell auszuweiten, weil die großen Trägerorganisationen das Risiko einer ungeklärten Folgefinanzierung scheuen, während die möglicherweise risikobereiteren kleinen Trägerorganisationen und Selbsthilfegruppen im Umgang mit der Bürokratie zumeist unerfahren und für die Arbeitsverwaltung schwer erreichbar sind, überdies sind die menschlichen und fachlichen Anforderungen an die Teilnehmer im Bereich der sozialen Dienste vielfach recht hoch. Deshalb bleiben kommunale Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Bau-und Grünflächenbereich gerade für die als schwer vermittelbar geltenden längerfristig Arbeitslosen zumeist doch die letzte Hoffnung auf eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß.
Mit dem AFKG ist also nicht nur eine Gewichtsverlagerung von den öffentlichen Trägerorganisationen auf die frei-gemeinnützigen Träger bewirkt worden, sondern es sind auch bestimmte Arten von Maßnahmen und damit bestimmte Gruppen von Arbeitslosen in einer vermutlich ungeplanten, aber wirksamen Weise diskriminiert worden.
Aus den beschriebenen institutioneilen Bedingungen läßt sich eine zentrale Vorausset-
zung für eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit einer aktiven Arbeitsmarkt-
politik in der Bundesrepublik ableiten: Erst die Stetigkeit der Programmbedingungen versetzt die Arbeitsämter in die Lage, das Netz dauerhafter Kooperationsbeziehungen zu den Trägerorganisationen von Arbeitsbeschaf-
fungs-und beruflichen Bildungsmaßnahmen sowie zu den Betrieben so auszubauen, daß auch eine gegenüber dem heutigen Stand wesentlich höhere Zahl von Teilnehmern untergebracht werden könnte. Eine zweite wesentliche Voraussetzung ist die Stärkung und Aktivierung der arbeitsmarktpolitischen Verantwortung und Initiative der Arbeitsämter.
Wirksame Maßnahmen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik können nicht zentral in Bonn oder Nürnberg definiert, sondern sie müssen in Reaktion auf die höchst unterschiedlichen lokalen und regionalen Probleme und Möglichkeiten von einer fachlich kompetenten und engagierten Verwaltung auf der unteren Ebene entwickelt werden.
In unseren Untersuchungen hat sich gezeigt, daß gerade die besonders erfolgreichen Arbeitsämter die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik in sehr unterschiedlicher Weise einsetzen. Diese unterschiedlichen Profile lassen sich nur zum Teil aus unterschiedlichen Wirtschafts-und Arbeitslosigkeitsstrukturen erklären. Sie beruhen vielmehr zu einem guten Teil auf der für ein Arbeitsamt charakteristischen Einschätzung der dringlichsten Probleme und der relativen Nützlichkeit unterschiedlicher arbeitsmarkt-politischer Instrumente (die man jeweils auch anders beurteilen könnte). Aus beidem zusammen ergibt sich dann eine charakteristische „Philosophie“ des Arbeitsamtes, die in sehr starkem Maße die tatsächliche Vorgehensweise prägt. Und wenn diese Vorgehensweise ihrerseits über eine gewisse Zeit hinweg stetig verfolgt wird, dann führt sie zum Aufbau stabiler Kontakte und Kooperationsbeziehungen mit externen Partnern, und sie führt intern zur Routinisierung erfolgreicher Lösungen mit selbstverstärkendem Effekt.
Der Erfolg zentraler Programme setzt die Routinisierung erfolgreicher Vorgehensweisen auf der lokalen Ebene voraus und kann sie nicht ersetzen. Diese institutionelle Grundbedingung ist bei allen Überlegungen zu einer Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu berücksichtigen. Das Arbeitsförderungsgesetz hat bisher (trotz aller Kritik an den Tendenzen zur bürokratischen Zentralisierung innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit) eine weitgehend dezentrale Schwerpunktbildung des Instrumenteneinsatzes ermöglicht. Dieser unschätzbare Vorteil muß erhalten bleiben. Wichtiger als inhaltlich völlig neue Programme ist deshalb die Ausweitung des Mittelrahmens für die vorhandenen Programme und die quantitative und qualitative Personalverstärkung auf der Ebene der Arbeitsämter. Nötig erscheint weiterhin ein auf die Bedürfnisse der Arbeitsämter zugeschnittenes Informationssystem, das diesen rasch zeigt, wie sich ihr eigener Mitteleinsatz relativ zu bestimmten Problem-Indikatoren von dem anderer Bezirke unterscheidet, ferner ein organisierter Erfahrungsaustausch zwischen den Arbeitsämtern, in dem besonders erfolgreiche Lösungsmodelle rascher als bisher bekannt und für die Nachahmung durch andere verfügbar gemacht werden. Der arbeitsmarktpolitische Stellenwert der Arbeitszeitpolitik wird kaum noch bestritten. Nachdem man lange die Augen davor verschloß, hat sich inzwischen die Meinung vollends durchgesetzt, daß alle realistisch vorstellbaren Beschäftigungsinitiativen die Vollbeschäftigung nicht wieder zurückbringen können, wenn sie nicht durch eine auf die Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens gerichtete Arbeitszeitpolitik unterstützt werden. Dabei geht es im wesentlichen um drei Optionen:
— Die Verkürzung der durchschnittlichen Lebensarbeitzeit vor allem durch die weitere Vorverlegung des Eintritts in den Ruhestand; — die generelle Verkürzung der Wochen-und Jahresarbeitszeit der Vollzeit-Beschäftigten; — die Erweiterung der Möglichkeiten für freiwillige Teilzeitarbeit.
Von diesen drei Optionen halte ich die erste, die in unserer gegenwärtigen politischen Diskussion favorisiert wird, für eine Sackgasse oder — um es noch härter zu sagen — für ein Ablenkungsmanöver. Zwar würden hier Arbeitsplätze freigemacht, aber eben nicht durch eine Arbeitszeitumverteilung unter den weiter Beschäftigten. Deshalb müßte der Einkommensverzicht der Ausscheidenden auf jeden Fall extern ausgeglichen werden, von der Rentenversicherung, von der Arbeitslosenversicherung oder von den Arbeitgebern. Damit stellen sich aber grundsätzlich auch alle die Finanzierungsprobleme, die einer auf Beschäftigungsausweitung gerichteten Finanz-, Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik ebenfalls im Wege stehen. Wenn sie gelöst werden könnten, dann hätten wir nicht die gegenwärtig hohe Arbeitslosigkeit. Deshalb spricht wenig dafür, daß über die vorgeschlagene „Tarifrente''oder andere Formen der Frühverrentung tatsächlich Beschäftigungseffekte in einer Größenordnung bewirkt werden könnten, durch die die gegenwärtige Arbeitslosigkeit nachhaltig reduziert wird. Im Grunde geht es hier wohl eher um neue Formen der „Sozialpläne" und der „ 59er Regelung", durch die bei unvermeidlichem Personalabbau das Risiko des Arbeitsplatzverlustes einseitig auf die älteren Beschäftigten verlagert wird. Das mag unter bestimmten Bedingungen sozial vertretbar sein (obwohl ich da Zweifel habe), aber es kann nicht unsere Arbeitsmarktprobleme lösen.
Nötig wäre statt dessen eine solidarische Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens unter den gegenwärtig Beschäftigten. Sie müßten ihre Wochen-oder Jahresarbeitszeit vermindern und dadurch Neueinstellungen auf den rechnerisch freiwerdenden Arbeitsplätzen ermöglichen, ohne daß dies durch den Staat oder die großen Versicherungskörperschaften extern finanziert wird. Gerade diese Optionen scheinen jedoch in der Bundesrepublik aus politisch-institutionellen Gründen blockiert.
Die Gründe für die institutionelle Blockade einer generellen Verkürzung der normalen Wochen-oder Jahresarbeitzeit liegen auf der Hand: Sie könnte nicht zugleich kosten-und einkommensneutral sein. Dies erklärt auf der einen Seite die charakteristische Unklarheit, mit der die Frage des vollen Lohnausgleichs bei gewerkschaftlichen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung behandelt wird. Der Grund liegt darin, daß für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerfamilien (und dies gilt insbesondere für die gewerkschaftlich organisierten Facharbeiter) das Arbeitseinkommen des alleinverdienenden Ehemannes nach wie vor das Haushaltseinkommen bestimmt und daß die dahinterliegende Rollenverteilung in der Familie nach wie vor durch gesellschaftliche Normen und Institutionen abgestützt wird. Die Rücksichtnahme auf den Kernbestand ihrer Mitglieder verbietet also den Gewerkschaften eine Arbeitszeitpolitik, die mit spürbaren Einkommensverlusten verbunden wäre. Da inzwischen auch die frühere Hoffnung verflogen ist, daß eine starke Erhöhung der realen Stundenlöhne den Einkommensverlust einer verminderten Wochenstunden-zahl kaschieren könnte, sind der gewerkschaftlichen Konzessionsbereitschaft bei der Frage des Lohnausgleichs von Arbeitszeitverkürzungen enge Grenzen gesetzt, die von der Arbeitgeberseite realistisch gesehen werden. Hinzu kommt ein zweites Problem: Die generelle Arbeitszeitverkürzung kann zu einem erheblichen Teil durch die Mobilisierung latenter Produktivitätsreserven im Betrieb aufgefangen werden. Dabei ist der Kompensationseffekt um so größer, je kleiner der jeweilige Schritt der Arbeitszeitverkürzung ausfällt. Eine nur geringfügige Verkürzung der Wochenstundenzahl, welche die Gewerkschaften ihren Mitgliedern vielleicht gerade noch ohne Einkommensausgleich zumuten könnten, würde also kaum die Beschäftigung erhöhen, so daß das Solidaritätsopfer fast nutzlos erbracht worden wäre. Bei der für eine spürbare Arbeitsmarktentlastung deshalb notwendigen stärkeren Arbeitszeitverkürzung wäre aber der Verzicht auf Lohnausgleich innerhalb der Gewerkschaften sicher nicht mehr konsensfähig.
Aus diesem offensichtlichen Dilemma der Gewerkschaften erklärt sich auch der massive Widerstand der Arbeitgeberseite gegen jede arbeitsmarktpolitisch motivierte Arbeitszeit-verkürzung. Deshalb ist der früher kontinuierlich voranschreitende Prozeß der tariflichen Arbeitszeitverkürzung ausgerechnet in der Rezessionsperiode gebremst worden; deshalb ist die Arbeitszeitpolitik in den eine Konsultationspflicht der einzelnen Branchen-verbände begründenden „Tabu-Katalog" der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aufgenommen worden; und deshalb wurde beim ersten Mal der von der IG Metall versuchte „Einstieg in die 35-Stunden-Woche" nach einem spektakulären Streik mit hohen Kosten zurückgeschlagen. Nichts spricht vorläufig dafür, daß der auf 1984 vertagte zweite Vorstoß leichter zum Erfolg führen könnte.
Ähnlich blockiert erscheint gegenwärtig auch eine auf Ausweitung der freiwilligen Teilzeitarbeit gerichtete Politik. Zwar wissen wir, daß ein erheblicher Teil der heute vollzeitig Beschäftigten eine Teilzeitbeschäftigung — auch ohne Lohnausgleich — vorziehen würde, und es gibt sogar Modellrechnungen, nach denen bei einer vollständigen Befriedigung aller in Umfragen geäußerten Teilzeit-Wünsche das damit frei werdende Arbeitsvolumen ausreichen würde, um die gegenwärtige Arbeitslosigkeit weitgehend abzubauen. Gewiß sind solche Hochrechnungen vorsichtig einzuschätzen, aber an der marktpolitisch relevanten Größenordnung unbefriedigter Teil-zeit-Wünsche sollte man dennoch nicht zweifeln. So ist beispielsweise in Schweden während der siebziger Jahre der Anteil der Teil-zeit-Beschäftigten auf 25% gestiegen, während er bei uns immer noch bei 10% liegt.
Bei Untersuchungen unseres Instituts im Bereich der verarbeitenden Industrie haben wir auch festgestellt, daß die vorhandenen Teil-zeit-Arbeitsplätze überwiegend auf den dringenden Wunsch bewährter Mitarbeiterfinnen) eingerichtet wurden, die man andernfalls nicht hätte halten können. Wir haben aber auch festgestellt, daß die Betriebe solchen Wünschen gegenüber hinhaltenden Widerstand leisten, weil sie mit einer sehr großen Zahl gleichartiger Forderungen anderer Arbeitnehmer rechnen, bei deren Befriedigung Schwierigkeiten für die Arbeitsorganisation befürchtet werden. Solche Schwierigkeiten gibt es in der Tat, aber es gibt auch eine erhebliche Zahl von Betrieben und Verwaltungen, die sie praktisch gelöst haben. Jedenfalls spricht nach meiner Meinung grundsätzlich nichts dagegen, daß bei gutem Willen der Arbeitgeber und bei entsprechendem Druck der Gewerkschaften und Betriebsräte die Zahl der in der Bundesrepublik angebotenen Teilzeit-Arbeitsplätze in einer für die Entlastung des Arbeitsmarktes relevanten Größenordnung gesteigert werden könnte.
Aber von den Gewerkschaften kommt in dieser Frage nicht der arbeitsmarktpolitisch notwendige Druck, sondern sogar erheblicher Widerstand. Auch dafür gibt es plausible institutionelle Gründe: Da Teilzeit-Beschäftigung immer noch ganz überwiegend Frauen-beschäftigung ist (was sich allerdings in Schweden zu ändern beginnt), sehen engagierte Gewerkschafterinnen gerade darin die weitere Fixierung der Frauen auf ihre Rolle im Haushalt und die Beschränkung ihrer beruflichen Perspektive auf marginale Arbeitsplätze ohne Aufstiegsmöglichkeiten. Hinzu kommen praktische Erfahrungen etwa im Einzelhandel, wo der Einsatz von Teilzeitkräften in Zeiten der Spitzenbelastung zum Abbau von Vollzeit-Arbeitsplätzen und insgesamt zur Arbeitsintensivierung genutzt wurde. Schließlich befürchten die Gewerkschaften generell von einer Ausweitung der Teil-Zeitbeschäftigung und insbesondere von individuell variierenden Arbeitszeitregelungen eine Entwertung des durch gewerkschaftliche Solidarität erkämpften kollektivvertraglichen Schutzes der Arbeitnehmer und eine Re-Individualisierung des Arbeitsvertragsrechts, die am Ende die Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt insgesamt schwächen müßte.
Diese Bedenken sind gewiß ernst zu nehmen, aber sie könnten durch die kollektivvertragliche Regelung von Teilzeit-Arbeitsverträgen und von Verträgen mit flexibler Arbeitszeitregelung ausgeräumt oder doch erheblich abgebaut werden. Die Gewerkschaften haben sich davon bisher noch nicht überzeugen lassen, und solange nicht sie die Forderung nach der Ausweitung von Teilzeit-Arbeitsplätzen offensiv vortragen, werden auch die Arbeitgeber von sich aus angesichts eines Überangebots an Vollzeit-Arbeitskräften nicht die dafür notwendigen organisatorischen Anstrengungen unternehmen. Wir werden also, wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher, die Ausweitung der Teilzeitarbeit erst dann erhalten, wenn Arbeitskräfte einmal wieder knapp werden. Gegenwärtig jedenfalls ist auch die zweite potentiell erfolgversprechende Option der Arbeitszeitpolitik aus institutioneilen Gründen blockiert.
Die Frage ist, ob diese institutioneilen Blockaden innerhalb der nächsten Jahre noch aufgelöst werden können. Wenn man nicht zwangshaftem Optimismus (als der professionellen Deformation anwendungsorientierter Forscher) völlig erlegen ist, kann die Antwort nur skeptisch ausfallen. Trotzdem sollte man die Bedingungen der Möglichkeit einer Lösung nennen, um so wenigstens die „fidele Resignation" jener zu stören, die sich so rasch mit der objektiven Unabänderlichkeit einer über die achtziger Jahre hin anhaltenden Massenarbeitslosigkeit abgefunden haben.
Im Grunde sind die Bedingungen einfach. Nötig wäre ein „Beschäftigungspakt" der Sozial-partner in der Form einer verbindlichen Vereinbarung über die begrenzte Verkürzung der Wochenarbeitszeit ohne jeden Lohnausgleich und über die Vornahme von Ersatzeinstellungen im vollen Umfang des dadurch frei werdenden Arbeitszeit-Volumens. Wünschenswert wäre zweitens eine Vereinbarung der Sozialpartner über die Umwandlung eines bestimmten Prozentsatzes der vorhandenen Vollzeit-Arbeitsplätze in eine entsprechend größere Zahl von Teilzeit-Arbeitsplätzen, deren Arbeitsbedingungen insbesondere im Fall des Job-sharing tarifvertraglich zu regeln wären. Nötig wäre schließlich ein großzügiges Angebot der Arbeitsmarktpolitik zur Durchführung bedarfsorientierter Umschulungsmaßnahmen und zur Förderung innerbetrieblicher Qualifizierungsmaßnahmen, um die zu erwartende Diskrepanz zwischen den Qualifikationsanforderungen der freien Arbeitsplätze und den Qualifikationen der Arbeitslosen so rasch wie möglich zu beseitigen.
Der Verzicht auf jeglichen Lohnausgleich wäre für die Arbeitnehmer allerdings nur dann zumutbar, wenn die geforderte Arbeitszeitverkürzung im Umfang eng begrenzt bleibt — beispielsweise jeweils eine Wochen-arbeitsstunde in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Dem Einkommensverzicht auf Seiten der Arbeitnehmer entspräche auf Arbeitgeberseite die Verpflichtung zu Ersatzeinstellungen im vollen Umfang der Arbeitszeitverkürzung, und damit der Verzicht auf die Ausschöpfung latenter Produktivitätsspielräume und auf die verstärkte Nutzung von Über-stunden. Außerdem hätten die Arbeitgeber die mit einer Vermehrung der Zahl der Beschäftigten verbundenen Zusatzkosten und organisatorischen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.
Ich will hier nicht die Einzelheiten eines solchen Konzepts entwickeln und die zweifellos im Detail steckenden großen Schwierigkeiten erörtern. Die Sozialpartner in der Bundesrepublik haben schon erheblich größere Schwierigkeiten gemeistert — zum Beispiel den Wiederaufbau eines vom Krieg verwüsteten Landes.
Aber wenn man die technische Machbarkeit einmal unterstellt, bleibt doch die Frage, weshalb die Sozialpartner sich auf einen derartigen Beschäftigungspakt einlassen sollten, der ihren institutioneilen Eigeninteressen nicht entspricht. Für die Arbeitgeber wäre weder die Verpflichtung zur Mehrbeschäftigung noch die im Erfolgsfalle zu erwartende Verknappung der Arbeitskraft attraktiv, und für die von den Gewerkschaften vertretenen Beschäftigten wären auch begrenzte Einkommensverzichte eine schwer zu vermittelnde Zumutung. Der Beschäftigungspakt hätte also überhaupt nur dann eine Chance, wenn sich die Sozialpartner in eine moralische Pflicht genommen sähen, die ein über die Verfolgung institutioneller Eigeninteressen hinausgehendes gesamtgesellschaftliches Interesse ins Spiel brächte.
Von vornherein ausgeschlossen wäre dies nicht. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Organisationen auf der Arbeitgeber-seite sind in ihrem eigenen Selbstverständnis und in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung keineswegs reine Interessenvertretungsmaschinen. Sie nehmen, jedenfalls in der Bundesrepublik, für sich in Anspruch, über die unmittelbaren Einkommens-und Gewinninteressen ihrer Mitglieder hinaus auch gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Die im internationalen Vergleich höchst ungewöhnliche Zurückhaltung der deutschen Gewerkschaften bei den Lohntarifabschlüssen der letzten Jahre ist dafür ebenso ein Beleg wie die ernsthaften und erfolgreichen Bemühungen der Arbeitgeber-organisationen um eine Vermehrung der angebotenen Ausbildungsplätze in den siebziger Jahren. Die Sozialpartner, so vermute ich, könnten also aus ihrem eigenen, institutioneilen Selbstverständnis heraus die Einladung zu Verhandlungen über einen Beschäftigungspakt nicht leicht verweigern.
Aber in unserer gesamtgesellschaftlichen Funktionsteilung fällt die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit nicht in erster Linie in den Verantwortungsbereich der Sozialpartner, sondern in den der staatlichen Politik. Die Initiative müßte also von dort ausgehen, und sie hätte nur dann eine Chance, auch die Unterstützung der Sozialpartner zu gewinnen, wenn die staatliche Politik selbst alle ihre eigenen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ebenfalls ausschöpft.
Die erste Voraussetzung dafür wäre, daß die an die Sozialpartner adressierten Vorschläge vorab im Bereich des öffentlichen Dienstes selbst eingeführt würden, auch, um damit ihre praktische Realisierbarkeit zu demonstrieren. Die zweite Voraussetzung wäre ein breites Angebot komplementärer öffentlicher Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung in Bund, Ländern und Gemeinden. Nur wenn die politische und moralische Priorität des Kampfes gegen Arbeitslosigkeit von der staatlichen Politik selbst über jeden Zweifel hinaus durch eigene praktische Maßnahmen bewiesen wird, hätte die Einladung zu Spitzengesprächen zwischen Staat und Sozial-partnern über einen Beschäftigungspakt nach dem Vorbild der früheren „Konzertierten Aktion" ernsthafte Aussicht auf Erfolg. Statt dessen hat sich aber die neue Bundesregierung dazu entschlossen, eine „Lohnpause" ohne Arbeitszeitverkürzung und ohne Beschäftigungsgarantie zu proklamieren, und sie hat damit auch die Sozialpartner in eine Konfrontation hineingetrieben, die vorderhand gemeinsame beschäftigungspolitische Initiativen verhindert.
Es gibt also noch keine Anzeichen dafür, daß die institutionellen Blockaden der Arbeitszeitpolitik durch eine politische Initiative überwunden werden könnten. So gesehen erscheint die gegenwärtige politische Ratlosigkeit angesichts steigender Arbeitslosenzahlen also nur zu plausibel. Allerdings verfügt die neue Bundesregierung, die im Gegensatz zur sozial-liberalen Koalition nicht mehr mit dem politischen Veto des Bundesrats rechnen muß, über politische Handlungsspielräume, die zuvor nicht gegeben waren. Es ist zu hoffen, daß sie beschäftigungspolitisch konstruktiver genutzt werden als von den konservativen Regierungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten.
Fritz W. Scharpf, Dr. jur., geb. 1935; Professor für Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz seit 1968; Direktor am Internationalen Institut für Management und Verwaltung des Wissenschaftszentrums Berlin (Schwerpunkt Arbeitsmarktpolitik) seit 1973.
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