„Repräsentative Demokratie und Protest — Aktuelle Herausforderungen des Parlamentarismus", so lautete das Thema eines an der Universität Passau Mitte Oktober 1982 veranstalteten Symposions, an dem auch Vertreter der GRÜNEN und von Bürgerinitiativen teilnahmen Als Referenten wirkten u. a.der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Niedersächsischen Landtag, Martin Mombaur, und Dr. Klaus Sternstein vom Bundesverband Bürgerinitiativen und Umweltschutz (BBU) mit. Beide Referenten unterstrichen die Bedeutung des Prinzips der Gewaltfreiheit, d. h.der prinzipiellen Ablehnung von physischer Gewaltsamkeit insbesondere gegenüber Personen; sie bekannten sich zu einem Parlamentarismusverständnis, das als Konzept einer basisdemokratisch erweiterten parlamentarischen Demokratie charakterisiert werden könnte.
In diesem Zusammenhang berichtete Dr. Sternstein von einem parlamentarismuskritischen, demokratischen Alternativmodell, dem sogenannten Bezugsgruppensystem Bei diesem alternativen demokratischen Experiment ging und geht es um den Versuch, ausgehend von überschaubaren Bezugsgruppen dem einzelnen ein Maximum an politischer Mitwirkung dadurch einzuräumen, indem das Mehrheitsprinzip durch das Konsensprinzip abgelöst wird. Für die Konfliktregelung unter Achtung der Selbstbestimmung jedes einzelnen ergeben sich dabei vier Lösungsmöglichkeiten: 1. das Ideal einstimmiger Konsensfindung; 2. Teilnahme und Akzeptanz des Ergebnisses trotz Bedenken; 3. Verweigerung der Teilnahme, jedoch keine Verhinderung des Ergebnisses trotz starker Bedenken; 4. Verhinderung einer Übereinkunft durch Veto wegen schwerster Bedenken mit der Folge weiterer Beratungen bis zur Rücknahme des eingelegten Vetos.
Das Veto jedes einzelnen dient dem Ziel, ihn vor unzumutbarer Fremdbestimmung zu schützen und die Konsensbereitschaft aller zu fördern. Dies gilt als Rechtfertigung des Vetos in seiner demokratischen Schutzfunktion.
Im Verlauf des Experiments erfuhr das Veto jedoch immer deutlicher einen Funktions-INHALT I. Basisdemokratie nach dem Bundesprogramm der GRÜNEN II. Parlamentarismus und Demokratie III. Zur Interpretation des basisdemokratischen Grundsatzes IV. Basisdemokratie im demokratischen Verfassungsstaat und in der Souveränitätsdemokratie V. Das parlamentarische System als Konfliktregelungssystem VI. Verfassungswandel mit Konsequenzen VII. Basisdemokratische Öffnung der Parlamente? VIII. Das imperative Mandat IX. Parlamentarische und außerparlamentarische Aktion X. Ergebnis wandel: Aus dem Instrument des Minderheitenschutzes wurde ein Mittel zur Erpressung der Mehrheit; es diente dazu, Zuwendung zu erzwingen, durch endlose Diskussionsverlängerung resignatives Einlenken der Mehrheit zu erlangen, Kompromisse abzunötigen, Macht auszuüben. Klaus Sternstein faßte die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse des Bezugsgruppenexperiments mit den Wor-B ten zusammen: „Wir machten die Erfahrung, welche Bedeutung Verfahrensregeln beizumessen ist" Diese hier in überschaubarer Gruppe gemachte Grunderfahrung findet ihre Parallele im parlamentarischen System der Bundesrepublik: In die Verfahrensregeln dieses Systems sind einige Jahrhunderte Verfassungserfahrungen eingegangen.
I. Basisdemokratie nach dem Bundesprogramm der GRÜNEN
Zu den aktuellen Herausforderungen des parlamentarischen Systems der Gegenwart gehört ein bisher mehr in vagen als klaren Konturen diskutiertes und propagiertes „Konzept", das hier als das einer „basisdemokratisch erweiterten parlamentarischen Demokratie" bezeichnet werden soll. Zu Propagandisten und politischen Vertretern dieses das bestehende System herausfordernden Konzepts haben sich die GRÜNEN gemacht
Der politische Vorläufer der am 12. /13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründeten Bundespartei „DIE GRÜNEN" war eine „Sonstige Politische Vereinigung (SPV) DIE GRÜNEN", die sich im März 1979 aus einer Reihe von Aktionsgemeinschaften, Initiativgruppen und politischen Listen gebildet hatte. In dieser Organisationsform hatte sie erstmals bundesweit im Juni 1979 an den Europawahlen teilgenommen. Auf ihrer zweiten Bundesdelegiertenversammlung vom 21. bis 23. März 1980 in Saarbrücken gaben sich die GRÜNEN ein Bundesprogramm, mit dem die neue Partei zugleich ihren prinzipiell anderen Charakter gegenüber den „herkömmlichen" vier Bundestagsparteien zu unterstreichen trachtete: Im Gegensatz zu deren programmatisch je unterschiedlich ausformulierten Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität heißt es einleitend in der Präambel des Programms, die Bundespartei der GRÜNEN orientiere sich „an vier Grundsätzen: Sie ist ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei". Zum Grundsatz „basisdemokratisch" wird in der Präambel näher ausgeführt: „Basisdemokratische Politik bedeutet verstärkte Verwirklichung dezentraler, direkter Demokratie. Wir gehen davon aus, daß der Entscheidung der Basis prinzipiell Vorrang eingeräumt werden muß ... Wir sind deshalb entschlossen, uns eine Parteiorganisation neuen Typs zu schaffen, deren Grundstrukturen in basisdemokratischer und dezentraler Art verfaßt sind, was nicht voneinander zu trennen ist. Denn eine Partei, die diese Struktur nicht besitzt, wäre niemals in der Lage, eine ökologische Politik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie überzeugend zu betreiben. Kerngedanke ist dabei die ständige Kontrolle aller Amts-und Mandatsinhaber und Institutionen durch die Basis (Öffentlichkeit, zeitliche Begrenzung) und die jederzeitige Ablösbarkeit, um Organisation und Politik für alle durchschaubar zu machen und um der Loslösung einzelner von ihrer Basis entgegenzuwirken.“ Was besagt das in diesem Text angelegte Konzept einer „basisdemokratisch erweiterten parlamentarischen Demokratie" angesichts der Verfassungslage des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik? Die Frage kann unter zwei Gesichtspunkten analysiert werden. Zum einen unter der leiten-Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit alternativer Handhabungen des parlamentarischen Systems im Rahmen der geschriebenen Regeln des Grundgesetzes. Zum anderen unter funktionalen Gesichtspunkten im Rahmen des bestehenden Verfassungskonzepts. Hier interessiert primär der zweite Gesichtspunkt
II. Parlamentarismus und Demokratie
Die Formel von der „basisdemokratisch erweiterten parlamentarischen Demokratie" scheint zunächst ebenso widersprüchlich zu sein, wie es einst die der „parlamentarischen Demokratie" gewesen war. Die Beantwortung der Frage, ob Parlamentarismus und Demokratie miteinander vereinbar seien oder im prinzipiellen Widerspruch zueinander stehen, ist definitionsbedingt: Wird unter Demokratie die Verwirklichung des Identitätsprinzips, d. h.der Identität von Regierenden und Regierten, verstanden und unter Parlamentarismus ein 'reines Repräsentativsystem des freien Abgeordnetenmandats, so beruhen die Herrschaftstypen der plebiszitären Demokratie und des repräsentativen Parlamentarismus auf unvereinbaren Strukturprinzipien. Von dieser Grundannahme geht z. B. die Parteien-staatslehre von Gerhard Leibholz aus Wird demgegenüber unter Demokratie im Sinne des demokratischen Verfassungsstaates die möglichst optimale Kontrolle der Regierenden durch die Regierten verstanden, erscheint der Parlamentarismus als eine angemessene Organisationsform der Demokratie. Auf dieser Grundannahme beruht die pluralistisch-demokratische Parlamentarismuslehre von Ernst Fraenkel
Wer vom plebiszitären Demokratieverständnis Rousseaus ausgeht, wird im parlamentarischen System eine Verfremdung der Demokratie sehen. Aber auch das Umgekehrte gilt: Wer den liberalen Honoratiorenparlamentarismus rein repräsentativer Fasson zum Ausgangspunkt wählt, wird dessen Demokratisierung als Selbstzerstörung deuten. In diesem Sinne stellte Walter Bagehot der klassische Interpret des britischen Parlamentarismus der Mitte des 19. Jahrhunderts, noch im Jahre 1867 fest: „Constituency government is the precise opposite of Parliamentary government" (S. 161). Als den Parlamentarismus zerstörend bezeichnete er vor allem jene „ultrademocratic theory", die die Forderung erhebe, „that every man of twenty-one years of age (if not every woman too) should have an equal vote in electing Parliament" (S. 161 f.). Heute, nach der sogar noch weitergehenden „ultrademokratischen" Erweiterung des allgemeinen Wahlrechts auf Frauen und Männer bereits vom vollendeten 18. Lebensjahr an, erscheint demgegenüber die Formel „parlamentarische Demokratie" eher als Tautologie: Die Begriffe demokratischer Verfassungsstaat und parlamentarische Demokratie werden synonym verwandt
Angesichts dieser Entwicklung lautet die herausfordernde Kontroverse nicht mehr Parlamentarismus und/oder Demokratie, sondern parlamentarische Demokratie und/oder Basisdemokratie. Daß es dazu auch und gerade in den Reihen der GRÜNEN höchst widersprüchliche Auffassungen gibt, ist unverkennbar. Für die einen steht die Unvereinbarkeit beider außer Frage. So erklärte die hessische Landtagskandidatin der GRÜNEN, Gertrud Schilling, folgerichtig: „Wir wollen die parlamentarische Demokratie beseitigen." Etwas vorsichtiger heißt es bei der Berliner Alternativen Liste: „Da die außerparlamentarische Bewegung derzeit noch begrenzt ist, muß sich die Bewegung auch im Moment noch über das Parlament Gedanken machen.“
Dem stehen eine Reihe anderer, grundsätzlich positiver Äußerungen zur parlamentarischen Demokratie und deren Reformfähigkeit gegenüber. Die erste Bundesvorsitzende der GRÜNEN, Petra Kelly, ließ verlauten: „Wir sind nicht dazu da, ein Parlament abzuschaffen. Wir wollen jedoch das System der parlamentarischen Demokratie glaubwürdiger und transparenter machen. Die GRÜNEN wollen innerhalb des Systems der parlamentarischen Demokratie auch die Parlamente verändern." In diesem Sinne äußerten sich auch die hessischen GRÜNEN: „Wir wollen keine Abschaffung, sondern eine demokratische Öffnung der Parlamente, um der Selbstherrlichkeit der Parlamentarier einen Riegel vor-zuschieben."
In welchem Verhältnis stehen parlamentarische Demokratie und Basisdemokratie zuein-ander, falls von den Formulierungen der Präambel des Bundesprogramms der GRÜNEN ausgegangen wird? Bedeutet Basisdemokratie das Streben nach weiterer Demokratisierung der parlamentarischen Demokratie oder deren Überwindung und Zerstörung im Wege der Durchsetzung einer prinzipiell anderen demokratischen Alternative?
III. Zur Interpretation des basisdemokratischen Grundsatzes
Die Formulierungen der Präambel sind so abgefaßt, daß nahezu entgegengesetzte Grundüberzeugungen bei Aufwendung einiger Phantasie „damit leben" können: Sowohl solche, die den Verfassungsrahmen des Grundgesetzes eindeutig sprengen als auch jene, die sich innerhalb seiner Reformmöglichkeiten bewegen. Vertreter der erstgenannten, der die parlamentarische Demokratie prinzipiell ablehnenden, den Verfassungsrahmen des Grundgesetzes damit eindeutig sprengenden Position könnten ihre basisdemokratische Argumentation aus den Formeln vom „prinzipiellen Vorrang der Basis" bzw. von der „Parteiorganisation neuen Typus“ ableiten. Dies allerdings nur, wenn diese Formeln in eigenwilliger Form zur Interpretation des übrigen Textes der Präambel und nicht umgekehrt, der weitere Text zur Auslegung der Formeln verwandt wird.
„Prinzipieller Vorrang der Basis" kann als radikale Ablehnung des Repräsentationsprinzips gedeutet und damit den Parlamenten jede legitime Entscheidungskompetenz bestritten werden. Dies gilt insbesondere im Falle des Abweichens von einer wie auch immer ermittelten Entscheidung einer wie auch immer definierten Basis. Aus dieser Sicht müssen alle weiteren Relativierungen des Textes der Präambel als taktisch-verhüllende Erwägungen erscheinen, die so lediglich angesichts bestehender Gegebenheiten, die es jedoch radikal zu überwinden gilt, gemacht werden.
Auf ähnliche Weise — wenn auch mit einiger Anstrengung — könnte die Formel von der „Parteiorganisation neuen Typs" in Anlehnung an Lenins Lehre von der „Partei neuen Typs“ interpretiert werden. Das hieße, daß die Formel trotz aller anschließenden, rätedemokratisch erklärbaren Dezentralisationsversicherungen („eine Parteiorganisation neuen Typs zu schaffen, deren Grundstrukturen in basisdemokratischer und dezentraler Art verfaßt sin letztlich doch auf das angeblich allein wirkungsvolle, politische Effizienz allein garantierende Prinzip des demokratischen Zentralismus hin ausgedeutet wird"). Denn dezentrale Einheiten können nach dieser Auffassung nur dann einheitliche und damit Durchsetzungsgewicht erlangende Politik betreiben, wenn sie in einem System, das zentrale Entscheidungsstrukturen aufweist, den herrschenden Kräften mit streng koordinierter, wenn nicht zentral gelenkter Geschlossenheit gegensteuern. Dies gilt vor allem dann, wenn die Mitglieder einer „Partei neuen Typs“ von der Richtigkeit ihrer Auffassungen so überzeugt sind, daß sie daraus — zumindest solange sie nicht über die Mehrheit und über die Möglichkeit des Verbots ihnen entgegenstehender Opposition verfügen — das Recht auf Widerstand gegen „quantitative“ Mehrheiten — und natürlich in deren wahrem Interesse — ableiten.
So verstandene Basisdemokratie im Sinne radikal-plebiszitärer Demokratieauffassung oder in Anlehnung an marxistisch-leninistisches Parteiverständnis wäre mit parlamentarischer Demokratie grundsätzlich unvereinbar und somit im Rahmen des Grundgesetzes zweifellos systemwidrig.
Zu wesentlich anderen Ergebnissen käme eine Interpretation des basisdemokratischen Grundsatzes, die diesen Grundsatz von der „Kernaussage“ der Präambel her versteht (bzw. dies zur Kernaussage erhebt): „Wir sind deshalb entschlossen ... Politik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie überzeugend zu betreiben." Wird diese Formel als konzeptioneller Ausgangspunkt gewählt, steht eine basisdemokratische Reform der parlamentarischen Demokratie und nicht deren Überwindung zur Diskussion. Als Ausdruck dieser Grundüberzeugung kann Petra Kellys Ausspruch gedeutet werden, es gehe nicht darum, die Parlamente abzuschaffen, sondern „das System der parlamentarischen Demokratie glaubwürdiger und transparenter" zu machen. Das Problem basisdemokratischer . Alternativen" besteht demnach darin, daß darunter sowohl radikale Alternativen zur parlamentarischen Demokratie als auch mehr oder weniger erhebliche Reformen der pluralistischen Demokratiestruktur im Rahmen des Grundgesetzes verstanden werden können und, wie die Erfahrung lehrt, in den Reihen grüner Anhänger, Parteimitglieder und Parlamentsabgeordneter auch gemeint werden. In dieser „Doppelzüngigkeit" liegt — neben den handgreiflichen, kontroversen Erfahrungen parlamentarischer und „basisdemokratischer“ Praxis — sowohl die Ungewißheit über die Qualität, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit wie der Zweifel an der Grundsatz-und Linientreue „der" GRÜNEN begründet.
Selbst aus der Sicht eines Verständnisses basisdemokratisch erweiterter parlamentarischer Demokratie, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes vereinbar ist, können im einzelnen erheblich variierende Vorstellungen und Verfahrensregelungen begründet werden. Welche Bedeutung derartigen basisdemokratischen Reformmaßnahmen für das Funktionieren parlamentarischer Demokratie beizumessen ist, dürfte zudem davon abhängen, was unter parlamentarischer Demokratie und deren Reformfähigkeit jeweils verstanden wird. Es wird sich dabei erweisen, daß es dazu gegenwärtig in ähnlicher Weise unterschiedliche Ansichten gibt, wie dies in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England der Fall war. Damals hielt der Radikalliberale John Stuart Mill die Verbindung von Parlamentarismus und Demokratie nicht nur für möglich, sondern für geboten Sein Kontrahent Walter Bagehot sah demgegenüber in der Demokratisierung des Parlamentarismus dessen „Systemzerstörung“. Bagehot bestritt zwar die Vereinbarkeit der „These" Parliamentary Government mit der Antithese“ Constituency Government Die Dialektik geschichtlicher Entwicklung führte dennoch zur „Synthese“ parlamentarischer Demokratie. Ist damit der dialektische Entwicklungsprozeß parlamentarischer Demokratie abgeschlossen? Oder ist die Annahme begründet, daß es heute bei der Frage einer Vereinbarkeit der „These" parlamentarische Demokratie mit der . Antithese" Basisdemokratie nicht um das Ob, sondern allenfalls um das Wie der Synthese geht?
IV. Basisdemokratie im demokratischen Verfassungsstaat und in der Souveränitätsdemokratie
Eine derartige Annahme kann nur unter bestimmten Voraussetzungen begründet werden. Voraussetzung ist, daß der Begriff Basis-demokratie im Rahmen des Demokratieverständnisses des demokratischen Verfassungsstaates und nicht, um in der Terminologie Martin Krieles zu bleiben, in dem der Sou-veränitätsdemokratie verstanden wird. Beide, sowohl der demokratische Verfassungsstaat als auch die Souveränitätsdemokratie, beruhen auf dem Grundsatz der Souveränität des Volkes. Nach dem Selbstverständnis des demokratischen Verfassungsstaates tritt das Volk jedoch nur im Akt der Verfassunggebung als Souverän, d. h. als über dem Recht stehende und frei über das Recht verfügende Grundgewalt auf. Ist die Verfassung beschlos-sen, unterwirft sich auch das Volk den Grundrechts-, Kompetenz-, Organisations-und Verfahrensbestimmungen seiner Verfassung und handelt — wie alle anderen Staatsorgane und Verfassungsinstitutionen — nur innerhalb der Regelungen des mehr oder weniger weitreichende politische Gestaltung zulassenden Verfassungsrahmens. Auch die Verfassung selbst ist lediglich unter Beachtung der in ihr vorgesehenen Änderungsverfahren revidierbar — es sei denn, das Volk tritt erneut als verfassunggebender Souverän in Erscheinung Die „Basis" des demokratischen Verfassungsstaates ist demnach die Verfassung, in der die Souveränität des Volkes auf Grund der dies beabsichtigenden Entscheidung des Volkes als souveräner Verfassunggeber ruht.
Vertreter der Souveränitätsdemokratie gehen demgegenüber mit Rousseau von der These aus, daß der Wille des Volkes, der sich in der Gesetzgebung offenbart, nicht repräsentierbar ist. Sobald das Volk seinen Willen bekundet, äußert sich der Souverän. Das Volk ist demgemäß an keine Verfassung gebunden, es steht über ihr. Der Rechtsstaat verbürgt nicht unverbrüchlich geltendes Recht, er ist lediglich eine Verfahrensregelung, die dem klar artikulierten Volkswillen weichen muß. Im Volk ist der Souverän jederzeit gegenwärtig und aktualisierbar und bildet in dieser Eigenschaft die Basis der Demokratie: Basiswille ist stets wahrer Volkswille.
Die entscheidende Alternative lautet entweder Basisdemokratie innerhalb des demokratischen Verfassungsstaates oder Basisdemokratie verstanden als jederzeit legitime Verfassungsdurchbrechung im Sinne der Souveränitätsdemokratie. Basisdemokratie im letztgenannten Sinne ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Basisdemokratie innerhalb des demokratischen Verfassungsstaates kann als der Versuch gedeutet werden — um mit Klaus Günther zu sprechen —, rezeptivrepräsentative Demokratie durch Reformen in konsultativ-repräsentative Demokratie umzuwandeln Von einer rezeptiv-repräsentativen Demokratie kann dann gesprochen werden, wenn die Tendenz besteht, daß sich gewählte bzw. sonstwie bestellte Repräsentanten eher rezeptiv auf ihre eigenen Vorstellungen und Wahrnehmungen von den Interessen und Forderungen der Repräsentierten verlassen, als eine systematisch geförderte Konsultationsbeziehung zu ihnen zu pflegen, und dies von den Repräsentierten hingenommen wird. Eine konsultativ-repräsentative Demokratie ist demgegenüber dadurch ausgezeichnet, daß die Repräsentierten intensiv und aktiv Konsultationsbegehren artikulieren und die Repräsentanten diesen Forderungen nach Konsultationen, d. h. nach plebiszitärer Sachund Wahlentscheidung, sowie nach beratenden und kontrollierenden Mitwirkungschancen als einem legitimen Anspruch möglichst wirkungsvoll zu entsprechen versuchen.
In dieser Sichtweise würde das in der Präambel des Bundesprogramms der GRÜNEN vom Jahre 1980 enthaltene Konzept einer basisdemokratisch erweiterten parlamentarischen Demokratie den Versuch bedeuten, das als allzu rezeptiv-repräsentativ erfahrene bzw. gedeutete parlamentarische System der Bundesrepublik einem betont konsultativ-repräsentativen Wandel zu unterziehen. Gibt es für diese These oder Annahme Hinweise?
V. Das parlamentarische System als Konfliktregelungssystem
Parlamentarische Systeme sind Konfliktregelungssysteme. Ihre Organisationsstrukturen und Verfahrensregelungen sind in ihrer gegenwärtigen Ausprägung das Ergebnis mehr-hundertjähriger Verfassungsgeschichte und der in sie eingegangenen politischen Erfahrungen von Generationen. Das gilt auch für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Ihre im Grundgesetz in den Grundzügen festgelegte Verfassungsstruktur stellt den Versuch dar, die aus der Geschichte des demokratischen Verfassungsstaates gewonnene Erkenntnis zu verarbeiten, daß es, wie Ernst Fraenkel es in anderem Zusammenhang formulierte, „das kennzeichnende Merkmal einer jeden Tyrannis ist, ein möglichst simples Regierungssystem zu errichten, und daß es das kennzeichnende Merkmal eines jeden freiheitlichen Rechtsstaates ist, daß er... ein bewußt kompliziertes Regierungssystem errichtet"
Gemäß dieser Erkenntnis hat das Grundgesetz — ausgehend von den festgelegten Grundsätzen der Grundlagenartikel 1 und 20 — einen demokratischen Verfassungsstaat mit einem parlamentarischen Regierungssystem eingerichtet, das sowohl repräsentative wie plebiszitäre Handlungsebenen als auch eine bundesstaatliche Grundstruktur vorsieht Zum erstgenannten heißt es in Artikel 20 Abs. 2 GG: . Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke durch Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Träger aller Staatsgewalt ist das souveräne Volk. Ausgeübt wird die Staatsgewalt unmittelbar, also plebiszitär vom Volk (faktisch be-schränkt auf den das ganze Volk repräsentierenden Teil der wahlberechtigten Frauen und Männer) in Wahlen und Abstimmungen, repräsentativ, d. h. indirekt und vom Wähler dazu ermächtigt, vor allem durch die gesetzgebenden und vollziehenden Organe sowie die in hoher Unabhängigkeit tätige Gerichtsbarkeit Auf Bundesebene ist der Wähler dem Buchstaben der Verfassung nach auf die Wahl des Bundestages beschränkt. Das plebiszitäre Volksrecht der Abstimmungen wird hingegen, abgesehen von den nahezu obsoleten Bestimmungen der Artikel 29 und 118 GG, im Grundgesetz nicht weiter erwähnt Das Volksrecht der Abstimmungen ist jedoch über Artikel 28 GG, der die Bundesgarantie der Länderverfassungen regelt, in die Verfassungen der meisten Bundesländer eingegangen und hier in teilweise weitreichender Großzügigkeit aufgegriffen und garantiert worden. Zudem sieht Artikel 28 Abs. 1 GG vor, daß das Volk nicht nur auf Bundesebene, sondern auch „in den Ländern, Kreisen und Gemeinden ... eine Vertretung haben (muß), die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist“.
Die starke Betonung des repräsentativen Prinzips auf Bundesebene, die von den Verfassunggebern mit heute nicht mehr ganz überzeugenden Gründen aus dem Erfahrungshaushalt der Weimarer Republik gerechtfertigt wurde , hat allerdings sowohl von Anbeginn im Verfassungstext als auch später in der Verfassungspraxis plebiszitäre Ergänzungen gefunden. Da ist einmal das plebiszitäre Mitwirkungsrecht des Volkes auf dem Wege der Parteien (Art. 21 GG), das zusammen mit der Vereinigungsfreiheit des Art 9 GG und dem Petitionsrecht des Art 17 GG die Verfassung des Gruppenpluralismus bildet. Hinzu treten die Versammlungsfreiheit einschließlich des Demonstrationsrechts nach Art. 8 GG sowie das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5), die Grundlage der Pressefreiheit.
Aber auch in der Verfassungspraxis hat das betont repräsentativ ausformulierte Grundge-setz bedeutsame plebiszitäre Erweiterungen erfahren, die so zwar im Wortlaut des Grundgesetzes nicht vorgesehen sind, deshalb aber keineswegs im Widerspruch zur Verfassung stehen müssen oder als verfassungswidrig anzusehen wären. Hierzu gehört vor allem die faktische Direktwahl des Bundeskanzlers im Rahmen der Bundestagswahlen. Es zählt dies mit zum politisch bedeutsamsten faktischen Verfassungswandel, der sich im Verlauf der nun mehr als dreißigjährigen Geschichte des Grundgesetzes vollzogen hat.
VI. Verfassungswandel mit Konsequenzen
Die Konstruktionen der Art. 63 (Wahl des Bundeskanzlers), 67 (konstruktives Mißtrauensvotum), 68 (Vertrauensfrage und Bundestagsauflösung) sowie 81 (Gesetzgebungsnotstand) des Grundgesetzes lassen erkennen, daß der Verfassunggeber im Jahre 1949 von der Erwartung ausging, daß es im Bundestag — ähnlich wie zur Zeit der Weimarer Republik — eine Mehrzahl von Parteien geben werde, die zwar über den Weg des Parteien-verbots nach Art. Abs. 2 GG von Verfassungsfeinden verschont, aber ansonsten mit dem Dauerproblem wenig strapazierfähiger Koalitionsverbindungen befaßt sein würden. In Erwartung eines schwachen Parteiensystems sollten zur Vermeidung negativer Weimarer Erfahrungen starke Institutionsstützen für Regierbarkeit sorgen. Daher die Überbetonung des repräsentativen Elements. Die Praxis verlief wider Erwarten völlig anders: Eine wesentliche Reduktion der Zahl parlaments-fähiger Parteien (seit 1961 gibt es im Bundestag nur noch drei Fraktionen) führte zur Herausbildung einer Zweilagerkonstellation im Parteiensystem und dem zentral bedeutsamen Sachverhalt, daß erstmals in der deutschen Geschichte die Wähler zur „Nahezudirektwahl" des Bundeskanzlers aufgefordert sind. Der Bundestag, der von der Verfassung nach Art. 63 allein zur Wahl des Kanzlers ermächtigt ist, respektierte bisher die direktdemokratische Kanzlerentscheidung des Wählers.
Dieser Verfassungswandel hatte Konsequenzen für die Frage des Kanzlerwechsels im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums und der Bundestagsauflösung. Die Bundestagswahlen von 1980 waren eindeutig als Koalitions-und Kanzlerwahlen angelegt und hatten zum überzeugenden Wahlsieg der sozialliberalen Koalition und des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) geführt 21) -Der anschließende Zerfall der Koalition ermöglichte am 1. Oktober 1982 die Wahl Helmut Kohls (CDU) im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums. War es angesichts der Weiterentwicklung der Bundestagswahlen zu Kanzler-wahlen nach einem erfolgreichen Kanzlerwechsel während der Wahlperiode, der wie im Oktober 1982 mit einem grundlegenden parteipolitischen Richtungswechsel verbunden ist, nicht verfassungspolitisch angemessen, dem Wähler die Chance zu einem neuen Votum zu geben? Der Wortlaut der Verfassung — Art. 63 Abs. 4 ebenso wie Art. 68 — steht dem nicht entgegen. Der 1982 vom Bundestag gewählte Bundeskanzler und alle im Bundestag vertretenen Parteien stimmten überein, dem Wähler diese Chance im Wege der Verfahrensregelungen des Art. 68 GG einzuräümen.
Vorbedingung zur Eröffnung des Verfahrens der Parlamentsauflösung ist, daß der Bundeskanzler die »„Vertrauensfrage“ stellt. Die Begriffe „Mißtrauen“ und „Vertrauen" sind in diesem Zusammenhang nicht im Sinne persönlich-ethischer Beziehungen, sondern als verfassungsrechtliche Sachbezeichnungen zu verstehen. Es geht dabei um die politische Entscheidung, ob eine Regierung im Amt gehalten werden soll oder nicht. Bundeskanzler Kohl wurde im Wege des „Mißtrauensvotums" in sein Amt gewählt: ein Ausdruck des politischen Vertrauens im persönlichen Sinne gegenüber Helmut Kohl. Diese persönliche Vertrauensbeziehung wird von der ihn tragenden Bundestagsmehrheit unterstrichen, wenn sie seiner politischen Absicht, den Wähler zur Neuwahl aufzurufen, zustimmt, indem sie der verfassungsrechtlichen Vertrauensfrage nicht zustimmt und damit Kohl weiterhin ihr persönliches Vertrauen bekundet. Wer das Grundgesetz vom „Wortgefühl" her deutet, wird hier beim Nachvollziehen seine Schwierigkeiten haben. Erst angemessene Begriffsbestimmung fördert das Verstehen.
Mit der Kanzlerwahl und der Bundestagsauflösung über Art. 68 GG sind zwei Tendenzen des Verfassungswandels verbunden: zum einen die Erweiterung plebiszitärer Entscheidungschancen der Wähler, zum anderen eine Stärkung der Rolle des Bundeskanzlers im Rahmen der sein Amt bereits deutlich heraushebenden Bestimmungen des Grundgesetzes. Trotz der „plebiszitären Wendung" an den Wähler hat dieser Verfassungswandel mit „Basisdemokratie“ insofern wenig zu tun, als er letztlich zentrale Entscheidungsinstitutionen nicht schwächt, sondern stärkt; er dient nicht der basisdemokratischen Dezentralisation, sondern steigert bei entsprechendem Wahlerfolg die Entscheidungspotenz eines zentralen Amtes, dem des Bundeskanzlers.
Basisdemokratie hat demgegenüber die ständige Rückkopplung der in repräsentativen Institutionen Entscheidenden an die Entscheidungsbetroffenen zum Ziel. Zur „Basis“ werden im demokratischen Verfassungsstaat die erklärt, die dem „eigentlichen" Souverän, dem Volk als Verfassunggeber, am nächsten stehen. Damit wird, solange der Verfassungsstaat als Grundlage akzeptiert wird — und das sei im folgenden vorausgesetzt —, davon ausgegangen, daß es nicht nur legitim und verfassungskonform sei, die repräsentativ Entscheidenden mit dem Willen der Entscheidungsbetroffenen vertraut zu machen, sondern auch dafür Vorkehrungen zu schaffen, daß dies tatsächlich geschieht. Der Sündenfall der parlamentarischen Demokratie wird in der Entfremdung der gewählten Repräsentanten von denjenigen gesehen, die sie als Kandidaten aufstellten, die sie ins Amt wählten, und für die die gewählten Repräsentanten verbindliche Beschlüsse fassen In diesem Sinne könnten die hessischen GRÜNEN verstanden werden, wenn aus ihren Reihen erklärt wird: „Wir wollen keine Abschaffung, sondern eine demokratische Öffnung der Parlamente, um der Selbstherrlichkeit der Parlamentarier einen Riegel vorzuschieben.“ Läßt sich diese Annahme auch aus dem Bundesprogramm der GRÜNEN ableiten?
VII. Basisdemokratische Öffnung der Parlamente?
Die entscheidenden Programmsätze des Bundesprogramms der GRÜNEN hierzu lauten: „Basisdemokratische Politik bedeutet verstärkte Verwirklichung dezentraler, direkter Demokratie. Wir gehen davon aus, daß der Entscheidung der Basis prinzipiell Vorrang eingeräumt werden muß ... Kerngedanke (um ökologische Politik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie überzeugend betreiben zu können ist dabei die ständige Kontrolle aller Amts-und Mandatsinhaber und Institutionen durch die Basis (Öffentlichkeit, zeitliche Begrenzung) und die jederzeitige Ablösbarkeit, um Organisation und Politik für alle durchschaubar zu machen und um der Loslösung einzelner von ihrer Basis entgegenzuwirken.“
Ausgehend von dem Grundsatz, daß der Entscheidung der Basis „prinzipiell Vorrang" einzuräumen sei, verweisen die zitierten Programmsätze auf drei Problemdimensionen: 1. Das Problem der Bestimmung dessen, was im Einzelfall konkret unter Basis zu verstehen ist; schließlich soll ja der „Loslösung einzelner von ihrer Basis" entgegengewirkt werden — die Frage also der „Dezentralisation". 2. Das Problem der ständigen Kontrolle aller Amtsinhaber, Mandatsträger und Institutionen durch die Basis. 3. Das Problem direktdemo11 kratischer Aktionen, für die sich die Basis jederzeit entscheiden kann und was dann prinzipiellen Vorrang genießt.
Die Forderung nach verstärkter Dezentralisation ist angesichts zunehmender Zentralisationsprozesse in Wirtschaft und Politik ein Verlangen nach Gegensteuerung, das heute nahezu Gemeingut aller Parteien geworden ist. Im demokratischen Verfassungsstaat steht dies Verlangen ebenso in der Tradition der Forderungen nach dezentraler Selbstverwaltung wie der nach einer Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips: Höhere Entscheidungsgremien und Instanzen sollen nur dann und soweit tätig werden, wenn und soweit die unteren Einheiten zur Regelung ihrer eigenen bzw.der sie betreffenden Angelegenheiten nicht mehr in der Lage sind.
Der entscheidende Unterschied zu basisdemokratischer Dezentralisation besteht allerdings darin, daß Selbstverwaltung und Subsidiarität einer Verständigung zwischen den verschiedenen Einheiten bzw. Ebenen in Form allgemein akzeptierter Zuständigkeitsregelungen bedürfen und diese akzeptieren, während basisdemokraktische Dezentralisation auf letztlich unkontrollierbarer Selbstbestimmung beruht. Jede Basis definiert sich selbst; nur so kann Fremdbestimmung vermieden werden. Die Basis als „dezentralisierte Entscheidungseinheit mit prinzipiellem Vorrang" bildet und organisiert sich je nach Betroffenheit nach eigener Problem-und Weitsicht, nicht unbedingt im Rahmen vorgegebener staatlicher Verwaltungs-und Territorialgrenzen oder traditioneller Institutionen, sondern vor allem spontan, projektorientiert und prinzipiell definitionsoffen. Die Basisbestimmung und der damit verbundene „Vorranganspruch" erfolgen grundsätzlich im Wege freier Setzung der so über sich selbst Bestimmenden.
In diesem Sinne haben die GRÜNEN gemäß ihrer Programmatik zunächst und vor allem ihre eigenen Parteimitglieder zur Basis erklärt, um dann in den Mitgliederversammlungen das Vorrangpostulat gegenüber parlamentarischen Mandatsinhabern und anderen der Partei verbundenen Amtsinhabern zur Geltung zu bringen. Neben den Mitgliedern können, je nach den Umständen, auch andere Betroffene oder als solche sich verstehende Bürger und deren Anhang zugelassen werden. Die Offenheit grüner Parteigremien und Mitgliederversammlungen erklärt sich zum einen aus basisdemokratisch-ideologischer Rechtfertigung („Parteiorganisation neuen Typs ..., deren Grundstrukturen in basisdemokratischer und dezentraler Art verfaßt sind"), zum anderen aber auch aus der Entstehungsgeschichte der Partei und ihrem Funktionsverständnis innerhalb der soge-nannten Neuen Sozialen Bewegungen Basisspontanität in Form von Bürgerinitiativen, demonstrative Kooperationen unter den Aktionsgruppen der „Neuen Sozialen Bewegungen“, Listen-und Gruppenverbindungen sowie Wahlbündnisse zum Zwecke besserer Wahlchancen unter dem Parteifirmenschild der GRÜNEN oder ALTERNATIVEN — in der Verbindung heißt das dann GAL wie in Hamburg —: all dies verweist auf den vielschichtigen Gründungsprozeß und die Abhängigkeiten der Partei der GRÜNEN, ihrer Mitglieder und Amtsträger, sowie die fortdauernden Gärungs-und Entwicklungsvorgänge in der Gegenwart. Im Prinzip bleibt es jedoch dabei: Die „Basis" kann zum Einfallstor des Vorranganspruchs für jedermann werden — in den Reihen der GRÜNEN zumindest aller Parteimitglieder mit ihren „dezentralen" Entscheidungsansprüchen. Dem basisdemokratischen Prinzip der Dezentralisation kommt der Bundesstaat entgegen, insoweit er unterhalb der Bundesebene in den einzelnen Gliedstaaten regionale Entscheidungsgremien mit mehr oder weniger weitreichenden Kompetenzen vorsieht. In der Bundesrepublik wären dies die Gemeinde-und Kreisversammlungen, auf Länderebenen vor allem die Landesparlamente. Basisdemokratische Reformpolitik und Strategie wird darauf abzielen, politischen Einfluß und politische Erfahrungen von den unteren Entscheidungsebenen durch Vordringen in die höheren Ebenen auszuweiten und weiterzutragen. Die Bedeutung der verschiedenen Entscheidungsebenen des Bundesstaates wird dabei je nach deren Zuständigkeit und je nach Sachpolitik unterschiedlich eingeschätzt werden, ökologische Politik wird stärker das dezentrale Element betonen, allgemeine Friedenspolitik deutlicher übergreifende Verständigung und Handlungsfähigkeit erfordern. Das Problem lokaler Interessenwahrnehmung und übergreifender Verständigung bleibt folglich auch in basisdemokratischer Sicht trotz prinzipieller Dezentralisation bestehen. In diesen Fragen haben die parlamentarischen Gremien des parlamentarischen Bundesstaates den Forderungen und Entwicklungsprozessen der außerparlamentarischen „Neuen Sozialen Bewegung" zu folgen und deren Willen in rechtsverbindliche Beschlüsse umzusetzen. Sie haben aber, nicht lenkend und eigene Initiative ergreifend voranzugehen.
Um den prinzipiellen Vorrang der Entscheidung der Basis zu sichern, soll sie — bei den GRÜNEN also vor allem die Mitgliedschaft der Partei neuen Typs — mit Kontrollmitteln ausgestattet werden, die die Basis in die Lage versetzen soll, der „Loslösung einzelner" unter den Amts-und Mandatsinhabern „von ihrer Basis entgegenzuwirken". Das hierfür vorgesehene Arsenal reicht vom sogenannten imperativen Mandat über die „jederzeitige Ablösbarkeit", das Rotationsprinzip und die bewußt knapp gehaltene Mandatsvergütung bis hin zur grundsätzlichen Öffentlichkeit aller Willensbildungs-und Entscheidungsverfahren als Voraussetzung wirksamer Kontrolle durch die Basis. Nahezu jedes dieser Kontrollmittel könnte ebensogut rätedemokratischen Vorstellungen wie auch dem Ideenreichtum der populistischen Reformer der USA um die Jahrhundertwende entnommen sein Die Grundidee, Amts-oder Mandatsinhaber stärker an den Willen derjenigen zu binden, die sie in ihr Amt wählten und für die sie beschließen sollen, ist unverkennbar. Die Zielrichtung ist dagegen weniger klar. Dienen diese Kontrollmittel tatsächlich nur der „Rückkopplung" der Mandatsinhaber zu ihren Wählern oder wird damit nicht die „Öffnung", sondern die „Entmachtung" der Parlamente, die Entscheidungsverlagerung aus ihnen heraus in die Kompetenz der wie auch immer in Erscheinung tretenden „Basis" beabsichtigt? Letzteres würde sicherlich einen Frontalangriff auf die Entscheidungsfähigkeit der Parlamente bedeuten und daher den Nerv parlamentarischer Demokratie treffen.
VIII. Das imperative Mandat
Als ein Kontrollmittel der Basis, das weniger auf die Öffnung als vielmehr die Entmachtung der Parlamente abzuzielen scheint, gilt gemeinhin das sogenannte imperative Mandat. Verfassungsrechtlich besteht der Unterschied zwischen freiem und imperativem Mandat darin, daß ersteres ein persönliches, d. h. ein an die Person des Mandatsinhabers gebundenes, seine persönliche Entscheidungsfreiheit rechtlich garantierendes Mandat ist, während das imperative Mandat insofern unpersönlich ist, als es den Mandatsinhaber insbesondere bei seiner Stimmabgabe an erteilte Richtlinien und Befehle bindet. Der Unterschied wird zudem in den rechtlichen Konsequenzen deutlich: Der Inhaber eines freien Mandats behält sein Mandat, solange es ihm verfassungsrechtlich zugestanden ist, unabhängig von seinen Reden, Abstimmungen und politischen Bindungen, die er während seiner Amtsausübung eingeht. Dem Inhaber eines imperativen Mandats kann bei Nichtbefolgung von Befehlen auch gegen seinen Willen das Mandat jederzeit entzogen werden. Ein imperatives Mandat steht somit auch rechtlich zur Disposition desjenigen, der zur Erteilung eines „Imperativs" befugt ist Der Inhaber eines freien Mandats muß dagegen bei Verweigerung nur mit politischen Konsequenzen rechnen.
In diesem verfassungsrechtlichen Sinne können die GRÜNEN den von ihnen nominierten und von ihren Wählern mit dem Abgeordnetenmandat betrauten Mitgliedern selbstverständlich kein imperatives Mandat erteilen. Sie sind und bleiben als Abgeordnete stets Inhaber eines freien Mandats. Mit dem parteiinternen Terminus imperatives Mandat wird lediglich ein politischer Anspruch angemeldet, den der Wähler dieser Partei zur Kenntnis nehmen muß. Der Anspruch besagt, daß vom gewählten Mandatsinhaber die freiwillige politische Unterwerfung unter die auch außerhalb des Parlaments getroffenen Beschlüsse seiner Partei erwartet wird Die GRÜNEN erklären in diesem Zusammenhang, daß sich dies bei den anderen Parteien im Grunde nicht anders verhielte, sie selbst lediglich ehrlicher seien und die Dinge nur beim Namen nennen würden. Ganz so harmlos ist der Unterschied zwischen der Praxis „etablierter" Parteien und der der Parteien des „neuen Typs“ sicherlich nicht. Dennoch muß das freie Mandat, wenn es in seinem Freiheitsgehalt ernst genommen wird, auch diese Art politischer Selbstbindung eines Abgeordneten zulassen, solange sie auf einer freiwilligen Entscheidung des Abgeordneten beruht. In den USA ist dieses Mandatsverständnis unbestritten Besonders in parlamentarischen Systemen kann hiermit jedoch die Unfähigkeit zu angemessenem Reaktionsvermögen bei Fragen der Regierungs-und Koalitionsstabilität verbunden sein. Wer sich als Abgeordneter trotz besserer persönlicher Einsicht der Fähigkeit zu verantwortlicher Kompromißbereitschaft beraubt, verrät und mißbraucht sein Mandat und das damit gegebene öffentliche Amt, das ihn nach dem Grundgesetz zum „Vertreter des ganzen Volkes" (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) macht. Er verweigert sich zugleich einem zentralen Grundsatz parlamentarischer Demokratie
Auch die GRÜNEN sehen diesen Grundsatz gefährdet, jedoch von einer anderen Richtung her. Nach basisdemokratischer Auffassung sollen Parlamente im demokratischen Verfassungsstaat Instrumente im Dienste der Basis sein, deren Willen sie auszuführen haben. Davon sei die Wirklichkeit allerdings weit entfernt. Die Vorwürfe lauten: Die Parlamente in der Bundesrepublik haben sich als Repräsentativorgane des Volkes verselbständigt und sind zu Herrschaftsorganen staatlicher Interessen geworden. Ihre Abgeordneten verweisen nur zur Rechtfertigung dieser Verselbständigung auf das Verfassungsinstitut des freien Mandats. Als Abgeordnete handeln sie tatsächlich jedoch lediglich wie gehorsame Mitglieder von Parteien, deren Führungsgremien sie zu hochgradiger Partei-und Fraktionsdisziplin anhalten. Diese Parteien sind heute als Volksparteien zu unbeweglichen und unsensiblen Großunternehmen geworden, die ihre eigenen Herrschaftsinteressen an die Stelle der wahren Interessen der Bürger gesetzt haben.
Dieser Entwicklung könne allein dadurch gegengesteuert werden, indem die Volksparteien durch Parteien des neuen Typs, die sich den Bürgern und ihren wahren Interessen öffnen, ersetzt werden. Parteien des neuen Typs sollten sich als Sprachrohr des Volkes (der Basis) betätigen und demgemäß die von ihnen ins Parlament entsandten Mandatsinhaber mit Anweisungen versehen, die diese im Parlament auszuführen hätten. In dieser Version erweist sich die basisdemokratische Argumentation als Neuauflage der Parteienstaatsthese von Gerhard Leibholz Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Regierungsbildung und parlamentarische Gesetzgebung — falls darauf nicht gänzlich verzichtet werden soll?
In einer präsidentiellen Demokratie stehen sich Regierung und Parlament in relativer Unabhängigkeit gegenüber, da die Amtsdauer der Regierung in der Verfassung verbindlich geregelt ist und die Parlamentsmehrheit die Regierung aus politischen Gründen nicht abberufen kann. Hier könnten die amtierenden Regierungen mit Vertretern weisungsorientierter Parteienvertreter — und diese miteinander — bei anstehenden Gesetzgebungsvorhaben von Fall zu Fall in Verhandlung treten, um die erforderlichen Gesetzgebungsmehrheiten zu erreichen. Da die Gesetzgebung in der präsidentiellen Demokratie nicht unbedingt mit Fragen einer Stützung der Regierung gekoppelt ist, wären diese Verhandlungen von entsprechenden parteitaktischen Rücksichtnahmen entlastet. Anders in einer parlamentarischen Demokratie im engeren Sinne d. h. in einem demokratischen Verfassungsstaat mit parlamentarischem Regierungssystem wie in der Bundesrepublik. Hier sind die Regierungen im Bund und in den Ländern in ihrer Amtsdauer und Amtsführung grundsätzlich vom politischen Vertrauen der Parlamente abhängig. Der Bildung von parlamentarischen Gesetzgebungsmehrheiten hat die Bildung einer Regierungsmehrheit nicht nur voranzugehen, sie müssen vielmehr stets aufeinander bezogen bleiben. Das setzt ebenso die Fähigkeit zu kollektiver Geschlossenheit und Verantwortlichkeit als Partei wie die zur Koalitionsbildung und Kompromißfindung voraus. Im parlamentarischen System kann daher Parteienvielfalt nicht nur Meinungsvielfalt und vielfältige Interessenartikulation, sondern gegebenenfalls auch die Unfähigkeit zur Bildung handlungsfähiger Regierungen bedeuten. Parteien und Abgeordnete, die sich dieser Systemaufgabe prinzipiell entziehen, verweigern sich der parlamentarischen Demokratie.
IX. Parlamentarische und außerparlamentarische Aktion
Soweit sie sich als Teil der sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen empfinden und verstehen, werten Mitglieder der GRÜNEN die Parlamente lediglich als eine Form politischer Handlungsmöglichkeiten neben anderen — und gegenwärtig nicht einmal als die wichtigste. Zumindest solange die GRÜNEN im Parlament keine strategische, mehrheitsrelevante Position erreicht haben, bleibt die außerparlamentarische Aktion der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit Darüber hinaus ist die Parlamentarisierung ihrer Wirksamkeit keineswegs bei all ihren Mitgliedern das erstrebenswerte Primärziel basisdemokratischer Orientierung.
Grundsätzlich entfalten selbstverständlich alle Parteien außerparlamentarische Aktivitäten; sind sie doch Voraussetzung dafür, überhaupt ins Parlament zu gelangen. Hierbei ist die Kontaktnahme mit Vereinigungen und Verbänden, vor allem denjenigen, die der Partei nahestehen, ein Lebenselement pluralistischer Demokratie. Aus basisdemokratischer Sicht bedeutet der außerparlamentarische Bereich jedoch nicht nur ein Aktionsfeld neben dem Parlament und der Regierung, wobei letzteren das unbestrittene Monopol verbindB lieber Rechtsetzung zukomme. Vielmehr kann, gemäß dem Prinzip des Vorrangs von „Entscheidungen der Basis", direkter außer-parlamentarischer Aktion auch dann der Vorrang beigemessen werden, wenn diese im Widerspruch zu parlamentarisch beschlossenem Recht steht. Hierzu heißt es bei der Erläuterung des Grundsatzes der Gewaltfreiheit in der Präambel des Bundesprogramms der GRÜNEN vom Jahre 1980: „Das Prinzip der Gewaltfreiheit berührt nicht das fundamentale Recht der Notwehr und schließt sozialen Widerstand in seinen mannigfachen Varianten ein. Widerstand kann langfristig am wirksamsten auf soziale Weise geführt werden, wie das Beispiel der Anti-Atombewegung zeigt... Gewaltfreiheit schließt aktiven sozialen Widerstand aus, bedeutet also nicht nicht die Passivität der Betroffenen. Der Grundsatz der Gewaltfreiheit bedeutet vielmehr, daß zur Verteidigung lebenserhaltender Interessen von Menschen gegenüber einer sich verselbständigenden Herrschaftsordnung unter -Um ständen Widerstand auch gegen staatliche Maßnahmen nicht nur legitim, sondern auch erforderlich sein kann (z. B. Sitzstreiks, Wegesperren, Behinderung von Fahrzeugen).“
Und wie in einem im Herbst 1981 verabschiedeten „Friedensmanifest" der GRÜNEN ergänzend dazu verlautet: „Wir lassen nicht uns durch Vertreter der Staatsgewalt irritieren, die nicht-legale gewaltfreie Aktionen als . verkappte Gewalt'darstellen wollen."
Damit ist der Grenzfall angezeigt: Der Rechtsanspruch und das Gewaltmonopol des demokratischen Verfassungsstaates können dann aufgekündigt werden, wenn sie mit dem programmatischen Selbstverständnis der GRÜNEN und deren Interpretation der wahren Betroffenheit und Interessen der Menschen in ernsthaften Konflikt geraten. Grundsätzlich ist dies unbedingt ein Ausdruck legitimen politischen Freiheitsgebrauchs im Grenzfall. Als parteiprogrammatische Parole zur Richtschnur für die Alltagspraxis verkündet, muß die These vom jederzeit legitimen Widerstand allerdings die Geltungskraft des Rechts in seiner Funktion der Wahrung des sozialen Friedens erheblich schwächen. Im demokratischen Verfassungsstaat so selbstverständlich zum Widerstand aufzurufen, wenn man bei Fragen, die für „lebenserhaltende Interessen der Menschen" erklärt werden, weder in der Wählerschaft noch im Parlament oder bei der Regierung die verlangte Zustimmung und Beachtung findet, heißt den Verfassungsstaat zur Disposition stellen. Die Alternative zum so beschädigten Verfassungsstaat wäre ein System, in dem weder Opposition verfassungsrechtlich geschützt noch Widerstand mit den Mitteln des Rechts-staats geahndet wird.
In den Reihen der GRÜNEN wird der basis-demokratische Widerstand gegen Mehrheitsentscheidungen und geltendes Recht mit dem Verweis auf Richtigkeit vertretenen die der Politik gerechtfertigt — einer Politik, die Ausdruck legitimen persönlichen Betroffenheitsempfindens und klar erkannter Menschheitsgefährdungen sei In dieser Sicht werden vorrangige Minderheitsansprüche aus höherrangiger Erkenntnisqualität dem und Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen abgeleitet. Vor seiner Demokratisierung war der aristokratisch-plutokratische Parlamentarismus ein Herrschaftsinstrument privilegierter Minderheiten Mit seiner Fortentwicklung zur parlamentarischen Demokratie des allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts gewann das parlamentarische Mehrheitsprinzip — bei aller politischen Beachtung der Betroffenheit überstimmter Minderheiten und der Rechts-grenze des individuellen Rechtsschutzes für jedermann — erst seine demokratische Legitimation. Wenn die Geltungskraft dieses Mehrheitsprinzips nun von Vertretern basis-demokratischer Parteiprogrammatik, die sich (noch) in der Minderheit befindlich wissen, grundsätzlich in Frage gestellt wird, bedeutet dies, daß die Minderheitsherrschaft „von oben" des ehemaligen Honoratiorenparlamentarismus nun durch einen basisdemokratisch begründeten Minderheitsanspruch „von unten" ersetzt werden soll. De facto hieße das ite, dem Herrschaftsanspruch von in der nderheit befindlichen politischen Eliten d ihren Anhängern den Vorrang vor den hrungseliten von Koalitionsmehrheiten und deren Anhängern zu geben. Es wäre dies eine höchst problematische Konsequenz selbstbewußt vorgetragener basisdemokratischer Argumentation.
X. Ergebnis
lie parlamentarische Demokratie der Bunlesrepublik erhebt den Anspruch, ein Konliktregelungssystem entwickelt zu haben, das lie Möglichkeit für einen gewaltfreien Sytemwandel des friedlichen Interessenausgleichs bietet. In diesem Sinne muß parlamenarische Demokratie stets reformoffen bleiten. Die basisdemokratische Herausforderung, die vor allem jüngere Bürger und Führungsansprüche erhebende, akademisch ausgebildete Minderheitseliten anspricht und von ihnen getragen wird, hat sich in der Parteiprogrammatik und den Aktivitäten der GRÜNEN artikuliert.
Diese Herausforderung kann zum einen als radikaldemokratische Alternative zum bestehenden parlamentarischen System verstandenwerden: Mit dieser Intention ist nicht die Reform der parlamentarischen Demokratie, sondern deren Überwindung und Ersetzung durch eine „andere Republik" beabsichtigt — eine Absicht, der in absehbarer Zeit wohl hum eine Erfolgschance beschert sein dürfte.
Zum anderen kann damit aber auch eine Reformabsicht im Kontext des bestehenden verbunden sein: Dies würde das Konzept einer basisdemokratisch parlamentarischen Demokratie bedeuten. Damit ist nicht nur der Wille zur Durchsetzung einer neuen, bisher nicht hinreichend beachteten Politik gemeint. Vielmehr soll in reformerischer Absicht prinzipiell der Verselbständigung und Zentralisierung repräsentativer Entscheidungsinstitutionen gegengesteuert und der Loslösung gewählter Amts-und Mandatsinhaber von ihrer „Basis" entgegengewirkt werden.
Mit der zweiten Intention wird eine für alle demokratischen Institutionen durchaus wichtige Reformabsicht formuliert, die in dieser Allgemeinheit zwar keineswegs neu oder gar originell ist, aber dennoch stete Beachtung verdient. Was dagegen von den GRÜNEN in programmatischer Absicht näher ausformuliert und praktiziert wird, stellt demgegenüber allenfalls einen Beitrag im Kontext des pluralistischen Gruppen-und Parteiengefüges der Bundesrepublik dar. Dieser Beitrag hat bisher in seiner näheren Ausführung nicht die Konturen gewonnen, um als überzeugende Alternative im Rahmen des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik gewertet zu werden. Hierzu trägt bis heute insbesondere die Doppeldeutigkeit und nicht selten negative Eindeutigkeit mancher Thesen, Grundsätze und Handlungsweisen „grüner" und ihnen nahestehender Parteigänger und Mandatsinhaber das ihre bei.