„Die neuen Führer im Kreml sehen sich einer freien Welt gegenüber, die aufgerüttelt ist durch den Willen, auch frei zu bleiben ... Die neue sowjetische Führung hat eine wertvolle Gelegenheit, sich zusammen mit der übrigen Welt des erreichten Gefahrenpunktes bewußt zu werden und mitzuhelfen, eine Wende in der Geschichte herbeizuführen. Wird sie das tun? ... Wir begrüßen jede aufrichtige Tat des Friedens. Wir geben aber nichts auf Phrasen. Uns interessiert lediglich ein durch Taten bezeugter ernsthafter Friedenswille. Gelegenheiten dazu gibt es viele .. etwa: „gemeinsam an die nächste große Aufgabe heranzugehen: den Abbau der Rüstungskosten, die heute auf der Welt lasten."
Die Sätze könnten durchaus aus einer Rede des amerikanischen Präsidenten oder von Bundeskanzler Kohl stammen, gesprochen gelegentlich des sowjetischen Regierungswechsels. Aber der Adressat war nicht der neue Generalsekretär Andropow, sondern die Führungstroika, die nach dem Tod Marschall Stalins im März 1953 die Macht in der Sowjetunion übernommen hatte. Und der westliche Staatsmann, der diese Rede am 16. April vor der Vereinigung amerikanischer Zeitungsverleger hielt, war Präsident Eisenhower.
Der Analogien zur heutigen Lage gibt es in der Tat viele. Wie damals weiß niemand genau, ob dem Tod des ersten Manns in der Sowjetunion nicht ein längerer Machtkampf folgt. Aber jedermann ist sich darüber im klaren, daß bei derartigen Auseinandersetzungen, wenn sie tatsächlich bevorstehen, auch das Ringen um den außenpolitischen Kurs eine entscheidende Rolle spielen wird. Und selbstverständlich würde in diesem Fall auch die Politik einen ganz wesentlichen Einfluß haben, die sich auf Seiten des Westens in den kommenden Wochen und Monaten herauskristallisiert. Durchaus vergleichbar ist auch die innere und äußere Lage der Sowjetunion: wirtschaftliche Stagnation, Friedhofsruhe und politische Ausweglosigkeit im Satellitenbereich, weltweites Mißtrauen gegen die sowjetische Machtentfaltung, die damals wie heute weitgehend auf militärischer Stärke beruht. Ähnlichkeiten aber auch im Verhältnis zwischen Ost und West. Und große Ähnlichkeiten in den Vorschlägen, die jetzt in Politik und Öffentlichkeit des Westens zu vernehmen sind. Sofortige Aufnahme des Entspannungsdialogs bei einer Gipfelbegegnung, forderte damals der britische Premierminister Winston Churchill in einer vielbeachteten Unterhausrede am 11. Mai 1953! Offenheit für alle konstruktiven Vorschläge, aber bitte konkret und dort, wo die größten Gegensätze liegen, meinten Eisenhower und Adenauer!
Die Analogien sollen nicht weiter herausgearbeitet werden. Jedenfalls erinnern sie daran, daß es auf dem Feld der Ost-West-Beziehungen wenig Neues gibt. Die Wahrscheinlichkeit spricht auch dafür, daß sich im Meinungsaustausch zwischen den westlichen Regierungen jene durchsetzen werden, die wie damals für einen Kurs sind, der einerseits Offenheit zu konkreten Gesprächen signalisiert, andererseits aber die Ungewißheit über die innere Entwicklung in der Sowjetunion ebenso berücksichtigt wie die schwer lösbaren konkreten Spannungen.
In dieser Lage ist es sinnvoll, erst die gegenwärtige Situation zu analysieren, die sich im Entspannungsjahrzehnt der siebziger Jahre entwickelt hat. Ohne eine zutreffende Lagebeurteilung wären alle raschen Dialog-Initiativen nur dazu verurteilt, in Frustration zu enden und möglicherweise auf Seiten der Sowjetunion Fehleinschätzungen hervorzurufen, die der Friedenssicherung nicht dienlich sein könnten. Erst auf der Grundlage einer unaufgeregten Analyse wird sich abzeichnen, was vielleicht möglich ist und was nicht.
Die im folgenden skizzierte Lagebeurteilung läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß der Terminus „Entspannungspause" die bereits eine geraume Zeit anhaltende Situation der Ost-West-Beziehungen am angemessensten kennzeichnet. Wenn das richtig ist, dann spricht aber auch viel dafür, erst einmal eine kürzere oder etwas längere Denkpause einzulegen, bevor man sich zu weitreichenden neuen Initiativen entschließt. Sie sollte der neuen sowjetischen Führung Gelegenheit geben, deutlich zu machen, wohin sie im Innern und nach außen zu steuern gedenkt. Ebenso aber besteht auf Seiten des Westens eine dringende Notwendigkeit, die Erfahrungen der hinter uns liegenden Entspannungspolitik auf-zuarbeiten und zu prüfen, wie eine konzertierte neue Politik aussehen könnte. Daß nach Osten hin Offenheit für ein konstruktives, friedliches Nebeneinander signalisiert werden muß, versteht sich von selbst. Nur lösen sich eben die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, nicht auch von selbst. Daher muß man erst einmal genau nachdenken, und zwar gemeinsam im NATO-Bündnis.
I. Die heutige Lage
Die Entspannungspolitik in der Art, wie sie in den siebziger Jahren praktiziert wurde, ist ein geschichtlich abgeschlossener Vorgang. Alle Überlegungen über die künftige Gestaltung der Ost-West-Beziehungen müssen von dieser Feststellung ausgehen.
Dies heißt nicht, daß Entspannung nicht auch weiter vordringlich bleibt, wenn man darunter die säkulare Aufgabe begreift, die naturgemäß gespannten Beziehungen zwischen den kommunistischen Diktaturen des Ostens und den freien Gesellschaften des Westens zu verbessern. Aber die Erwartungen und die außenpolitischen Strategien, die einem ganzen Jahrzehnt der Ost-West-Beziehungen das Gepräge gegeben haben, sind Vergangenheit. Die Umrisse der neuen Epoche, in die wir eingetreten sind, zeichnen sich erst undeutlich ab. Sicher ist aber eines: Die weltpolitische Phase, die im Dezember 1979 mit der sowjetischen Intervention in Afghanistan begonnen hat, gleicht der Epoche des „Kalten Krieges" viel mehr als der zu Ende gegangenen Entspannungsära.
Vor allem in der Bundesrepublik ist das Geschichtsbild der meisten Politiker und Publizisten, die sich als Träger der Entspannung verstanden haben, lange Zeit durch ein ziemlich schlichtes, unilineares Fortschrittsdenken gekennzeichnet gewesen. Die Ost-West-Beziehungen, so schien es, hatten sich aus einer Epoche des „Kalten Krieges", die in den späten vierziger Jahren begann und in der KubaKrise ihre Peripetie erlebte, in eine qualitativ neue Epoche der Entspannung weiterentwikkelt. Die sechziger Jahre zwischen 1963 und 1969 konnten als Übergangszeit verstanden werden, in der sich schließlich mit Nixon/Kissinger in den USA und mit der neuen Ostpolitik Willy Brandts in der Bundesrepublik die Entspannung voll durchsetzte. Zwar fehlte es auch dann nicht an Warnungen vor einem Rückfall in den „Kalten Krieg". Aber in der ersten Hälfte der siebziger Jahre breitete sich doch die Überzeugung aus, daß eine neue Friedensordnung im Entstehen war. Diese Erwartungen mußten schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aufgegeben werden.
Will man die Eigenart der heutigen Lage begreifen, so ist es angebracht, die Merkmale des „Kalten Krieges" in Erinnerung zu rufen. Eines seiner wichtigsten war die Furcht vor einem kurz bevorstehenden Ausbruch des Dritten Weltkrieges. Sie hat seinerzeit alle Entscheidungen überlagert. Gründe für einen Kriegsausbruch hätte es in hinlänglicher Zahl gegeben — während der Berliner Blockade 1948/49, während des Koreakrieges, besonders in dessen Anfängen 1950 und 1951, während der Ungarischen Revolution und der Suez-Intervention ’im Herbst 1956, schließlich von 1958 bis 1962 die einander überlappenden Krisen um Berlin, im Nahen Osten, in der Straße von Formosa, im Kongo und um Kuba. Jede dieser Krisen weckte nicht zu Unrecht die Angst vor einem die Zivilisation vernichtenden Atomkrieg.
Ein weiteres Merkmal des „Kalten Krieges" war das Ausbleiben von Vereinbarungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle. Obwohl seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre allen Beteiligten klar war, daß ein Atomkrieg nur Verlierer, aber keinen Sieger zurücklassen würde, gelang es in dieser Phase dennoch nicht, zu Rüstungskontrollvereinbarungen zu gelangen. Es ist somit kein Zufall, daß das Teststopp-Abkommen vom Sommer 1963 am Anfang der großen Entspannungsperiode stand und daß das Ende dieser Periode durch das Scheitern des SALT-II-Vertrages in den Jahren 1979 und 1980 markiert wurde.
Zwar ist auch während der Periode des „Kalten Krieges" schon intensiv über Abrüstung und Rüstungskontrolle verhandelt worden. Aber keine Seite tat dies mit der Entschlossenheit, unbedingt zu einer Vereinbarung zu kommen. Die Verhandlungen hatten in erster Linie propagandistische Ziele.
Es ließen sich noch eine Reihe weiterer Merkmale der Epoche des „Kalten Krieges" nennen: Stellvertreterkriege, ungebremster Propagandakrieg, Drohungen, Fehlen jeglicher Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die eigenen Parteigänger in Übersee. Natürlich auch: Auseinandersetzungen über die Zukunft Deutschlands. Viel zu selten erinnert man sich allerdings daran, daß der „Kalte Krieg" durchaus nicht ausschließlich durch Konfrontation gekennzeichnet gewesen ist. Die Perioden scharfer Spannung wurden damals durch Entspannungskonferenzen und Gipfelbegegnungen unterbrochen. Höhepunkte: der Sommer 1955 mit dem „Geist von Genf und Chruschtschows Amerika-Besuch im Herbst 1959. Auch über die ungelösten Spannungen wurde häufig und intensiv verhandelt: über Indochina, über Österreich, über Deutschland. Mit Ausnahme der Österreich-Frage waren diese Verhandlungen zwar nicht von Erfolg gekrönt, aber der Grundsatz: „Wer miteinander spricht, schießt nicht", galt auch schon damals. Dennoch waren die permanenten Kontakte der Staatschefs von Ost und West, der Außenminister und einer Vielzahl nachgeordneter Gremien längst nicht so intensiv wie in der Entspannungsperiode. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß Entspannung auch damals schon zur Programmatik wichtiger europäischer Linksparteien gehörte, nicht zuletzt der deutschen Sozialdemokraten. Doch auch eine konservative Regierung wie die britische, erst unter Churchill und dann unter Macmillan, hat schon in den fünfziger und in den frühen sechziger Jahren Entspannungspolitik betrieben.
Aus dem kurz Skizzierten ergibt sich ganz deutlich: Die Epoche, die mit der Besetzung Afghanistans im Dezember 1979 begonnen hat, gleicht in vielen grundlegenden Merkmalen mehr der Periode des „Kalten Krieges" als den Jahren der Entspannungspolitik. Wer prägnante Formulierungen schätzt, mag es noch etwas deutlicher aussprechen: wir befinden uns wieder im „Kalten Krieg".
Der Epocheneinschnitt wird auch beim Blick auf die Kräfte und die Personen deutlich, die in den siebziger Jahren die Entspannungspolitik getragen haben. Im Fall der USA ist dies am deutlichsten. Mit Nixon/Kissinger und mit Carter war sowohl die republikanische wie die demokratische Entspannungspolitik gescheitert. Die heute in Amerika zu beobachtende Ablehnung der zuvor praktizierten ostpolitischen Konzepte wird ebenso von einer Mehrheit der beiden Parteien getragen, wie die seinerzeitige Befürwortung der Entspannung in den Jahren Nixons und Kissingers.
Doch auch in Westeuropa sind die Entspannungsparteien und die führenden Entspannungspolitiker aus dem Amt gedrängt worden. Giscard d'Estaing in Paris und Helmut Schmidt mit den Sozialdemokraten in Bonn, aber auch die Sozialdemokraten in Norwegen, in Dänemark und in den Niederlanden. An dem politischen Wechsel ändert der Umstand nichts, daß er vorwiegend von wirtschafts-und sozialpolitischen Schwierigkeiten erzwungen worden ist.
In Osteuropa war zuerst mit Parteisekretär Gierek eine der großen Vorzeigefiguren der Entspannung mit Schande bedeckt in der Versenkung verschwunden, nun ist auch die Ära Breschnew zu Ende.
Die heutigen westeuropäischen Regierungen sind zwar durchaus nicht bereit, bezüglich des Ostblocks einen scharfen Kurs zu steuern. Aber anders als die abgetretenen Regierungen haben sie mit wenigen Ausnahmen in die Entspannung politisch nichts oder nicht viel investiert. Sie sind somit in der Lage, sich auf den weltpolitischen Wandel elastischer einzustellen.
Der Epochenwechsel wird ebenso deutlich, wenn man darauf achtet, welche großen Ansätze und Methoden der Entspannungsära nicht mehr laufen. Nennen wir nur die auffälligsten! Rüstungskontroll-und Abrüstungsverhandlungen stagnieren. SALT II ist gescheitert, START droht zu einem „non-starter" zu werden. Die MBFR-Verhandlungen in Wien treten seit langem auf der Stelle. Statt dessen sind Sowjets und Amerikaner voll dabei, ihre Waffensysteme großzügig zu modernisieren. Die UdSSR ist auf vielen Feldern vorausgegangen, die USA bemühen sich nun geradezu hektisch, den sowjetischen Vorsprung auszugleichen; Westeuropa, Frankreich voran, schickt sich gleichfalls an, der neuen Sicherheitslage Rechnung zu tragen. Ob die INF-Verhandlungen in Genf geeignet sind, statt des politischen Zusammenstoßes in der Frage westlicher Nachrüstung eine allerseits akzeptable Verhandlungslösung zu erreichen, ist höchst ungewiß.
Die Bemühungen um eine zwischen Ost und West einvernehmliche, präventive Entschärfung regionaler Ost-West-Spannungen in Übersee ist völlig aufgegeben. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, wo ihnen das Camp-David-Abkommen ein Ende gemacht hat. Auch der unter Präsident Carter begonnene Versuch eines Abkommens über den Indischen Ozean ist im Gefolge der Afghanistan-Intervention und des Sturzes des Schah obsolet geworden. Immerhin hält noch die Ruhe in Europa, insbesondere das Berlin-Abkommen. Aber wer seit Mitte der siebziger Jahre dann und wann das Gemurmel vernommen hat, man müßte die Entspannung schon deshalb weiterführen, um in Berlin weiter Ruhe zu haben, weiß, wie wenig die Lage auch hier als völlig stabil einzuschätzen ist.
Von einem Fortgang der mit den deutschen Ostverträgen und mit dem KSZE-Prozeß eingeleiteten Überwindung der Teilung Europas kann aber nicht mehr die Rede sein. Auf dem Feld der menschlichen Erleichterungen, seinerzeit ein Kernstück innerdeutscher Entspannungspolitik, hat sich seit dem Zwangs-umtausch eine dramatische Rückentwicklung durchgesetzt. Die Reisen von Westdeutschen in die DDR und nach Ost-Berlin sind von rund 3 Millionen jährlich zwischen 1975 und 1979 auf etwas mehr als 2 Millionen im Jahr 1981 zurückgegangen, die Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin und in der DDR sogar um rund 50 Prozent. Das heißt: Im Jahr 1981, nach über zehn Jahren intensiver innerdeutscher Entspannungspolitik, lag die Zahl westdeutscher Reisender in die DDR nur um rund 300 000 Menschen über den Zahlen Mitte der sechziger Jahre (1964, unter der CDU/FDP-Regierung Ludwig Erhards: 1 786 000!). Die Zahl der Reisen von Deutschen aus der DDR in die Bundesrepublik stagniert bei rund 1, 5 Millionen Besuchern im Rentenalter. In dringenden Familienangelegenheiten durften 1981 ganze 37 000 unterhalb des Rentenalters in die Bundesrepublik und nach West-Berlin reisen. Der Osthandel, für die Ostblock-Staaten ein Hauptanreiz bei der Entspannung, ist gleichfalls deutlich rückläufig, allerdings bei den bekannten Unterschieden zwischen den USA und den westeuropäischen Industrieländern. Dabei erbringen die umstrittenen amerikanischen Weizenverkäufe sogar neuerdings wieder ein fühlbares Ansteigen der US-Exporte in die Sowjetunion. Das Gesamtbild des Handels-austausches ist aber trübe, und die Yamal-Pipeline kann daran nichts Entscheidendes ändern.
Vor allem die Erfahrungen mit Polen haben Zweifel daran geweckt, ob die im Interesse der Friedenssicherung politisch forcierte „intersystemare Kooperation" tatsächlich der Stabilität dienlich ist. Die Absorptionskapazität Polens für westliches Kapital und für westliche Technologie hat sich als ebenso problematisch erwiesen wie seine Fähigkeit, Waren zu liefern, die auf den westlichen Märkten absetzbar sind. Die ungünstige Zinsentwicklung tat ihr übriges. Jedenfalls war von keiner Seite vorausgesehen worden, daß die in starkem Maß durch die Entspannungspolitik ermöglichte Industrialisierung nicht nur Polen selbst in eine ausweglose Krise führen würde, sondern auch noch Risiken für die daran beteiligten deutschen Banken mit sich bringen würde.
Zwar bestehen in der Frage des Erdgas-Röhrengeschäfts zwischen den USA und den westeuropäischen Regierungen deutliche Gegensätze. Daß aber der Osthandel in seiner Funktion als politisches Instrument heute ebenso umstritten ist wie er auf dem Höhepunkt der Entspannung unumstritten war, steht außer Zweifel.
Die Liberalisierung im Ostblock, in der die westliche Entspannung ein Hauptziel gesehen hatte und die in der Tat zu Hoffnungen Anlaß gab, ist gewaltsam unterdrückt worden. Das gilt nicht nur für die — nie sehr starke — Dissidentenbewegung in der Sowjetunion, sondern vor allem für die vom ganzen Volk getragene Erneuerungsbewegung in Polen. Im Ostblock glauben zwar nicht mehr viele an die kommunistische Ideologie. Der Zynismus ist weit verbreitet und ganz evident, bis weit in die Reihen hoher Funktionäre. Aber kommunistische Diktaturen verstehen schon lange das Kunststück, auf Bajonetten zu sitzen. Dementsprechend ist der KSZE-Prozeß ins Stocken geraten. Auch alle Bemühungen der Ostblockstaaten um wirtschaftliche Modernisierung konnten ohne entsprechende politische Rahmenbedingungen nicht vorankommen (der Sonderfall Ungarn ausgenommen). Wohin man immer blickt: Das psychologische Klima ist deprimierend und die Zukunft so grau verhangen, wie nie mehr seit den letzten Jahren der stalinistischen Ära.
Ganz allgemein herrscht also im Verhältnis zwischen Ost und West nicht mehr jene Hoffnung auf Bewegung und kontinuierliche Verbesserung, wie sie für die späten sechziger und frühen siebziger Jahre so kennzeichnend war. Der Ostblock hat sich eingeigelt.
Die Erwartung der westlichen Regierungen, gemeinsam mit aufgeklärten kommunistischen Führungen eine neue europäische Friedensordnung aufbauen zu können, hat schon lange nervösen Krisenreaktionen und einer dumpfen Furcht vor den Rüstungsanstrengungen der Gegenseite, nicht selten aber auch vor den eigenen Rüstungsanstrengungen, Platz gemacht. Die Gründe für diesen Epochenwechsel sind naturgemäß vielschichtig. Gewiß spielt die ungünstige weltwirtschaftliche Entwicklung dabei eine wesentliche Rolle. Aber im Westen ist doch der Eindruck weitverbreitet, daß die Entspannung ein großes, mit viel Schwung begonnenes Experiment in den internationalen Be-ziehungen war, dessen Hypothesen auf den meisten Feldern falsifiziert wurden, und zwar in erster Linie deshalb, weil sich die verkrusteten Systeme des Ostblocks als wandlungsunfähig erwiesen haben und die sowjetische Führung als wandlungsunwillig.
II. Entspannung — ein Großexperiment in den internationalen Beziehungen
Hätte man also im Westen besser getan, es erst gar nicht mit der Entspannung zu versuchen? Auch wenn man im nachhinein viele Resultate der Entspannung nur ungern sieht, wird man es doch für richtig halten müssen, daß das Experiment einmal gewagt worden ist. Zahlreiche Konzepte der Ost-West-Beziehungen sind jetzt konkret ausprobiert, viele Annahmen getestet worden. Wir sind heute klüger als Anfang der siebziger Jahre und können nun mit viel größerer Gewißheit formulieren, was in den Ost-West-Beziehungen möglich ist und was nicht.
Immerhin hatte es zwei lange Jahrzehnte gedauert, bis die westlichen Regierungen mehr oder weniger einmütig bereit waren, das große Experiment der Entspannungspolitik zu versuchen. Seit den späten vierziger Jahren und bis in die sechziger Jahre hinein schienen eine Ostpolitik des Containment, wenn nicht gar eine Befreiungsstrategie, viel selbstverständlicher als der Versuch, sich friedlich-schiedlich mit den kommunistischen Diktaturen zu arrangieren und den Versuch einer fundamentalen Neugestaltung zu wagen.
Als nach der ersten Phase des „Kalten Krieges", wie zu Beginn erwähnt, auch schon die ersten vernehmlichen Appelle nach langfristiger Entspannung zu hören waren (Churchill, die französischen Sozialisten, die deutschen Sozialdemokraten), vermochten sie gegen die skeptischen Fragen noch nicht'durchzudringen. Hatte man am Beispiel des nationalsozialistischen Deutschland nicht eben erlebt, zu welchen Aggressionen eine totalitär regierte Großmacht in der Lage ist, wenn ihr keine überlegene Gegenmacht in den Weg tritt? War man nicht Zeuge der unsäglichen Leiden, die nach der kommunistischen Machtergreifung über die Bevölkerung Osteuropas und Mitteleuropas gekommen waren? Mußte die Hoffnung auf dauerhaften Weltfrieden nicht trügerisch sein, solange eine weltrevolutionäre Macht die freiheitlichen Demokratien in Frage stellte? Durfte man nicht eigentlich doch darauf vertrauen, daß die politische, moralische, wirtschaftliche, technologische und militärische Überlegenheit des Westens gegen den Totalitarismus Stalins und seiner Nachfolger schließlich die Oberhand gewinnen würde?
Argumente der politischen Moral, der Staats-klugheit, der Vorsicht wurden also damals gleicherweise gegen die Entspannungspolitik geltend gemacht Vielen schien es sauberer, die kommunistischen Parteidiktaturen kompromißlos zu bekämpfen, sicherer, sich auf militärische Überlegenheit zu verlassen und nicht etwa auf Gleichgewicht oder auf ost-westliche Vereinbarungen, klüger, den Ostblock nicht in seinen wirtschaftlichen Nöten zu unterstützen, und realistischer, eine Domestizierung des Kommunismus im partnerschaftlichen Dialog erst gar nicht zu versuchen. Trotz dieser Bedenken hat sich aber dann in den fast zwei Jahrzehnten zwischen dem Tod Marschall Stalins im Frühjahr 1953 und den Schwellenjahren 1969/70 Zug um Zug die Bereitschaft zu einer neuen Ostpolitik durchgesetzt. Die Ziele waren weitgesteckt und nicht eben bescheiden: außenpolitische Domestizierung der expansiven sowjetischen Macht, Förderung des inneren Wandels im Ostblock, Aufbau einer langfristigen Friedensstruktur. Daß der Prozeß Zeit brauchen würde, daß er riskant war, daß immer wieder Rückschläge eintreten könnten, war auf westlicher Seite den meisten Beteiligten wohlbekannt. Aber die Entschlossenheit, den Versuch zu wagen, war groß, und so sind nach ersten Anläufen im letzten Jahr Kennedys und nach intensivem weiteren Probieren der westeuropäischen Regierungen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre schließlich seit 1969 im Verlauf weniger Jahre jene Initiativen gestartet worden, die das Ost-West-Verhältnis in den siebziger Jahren bestimmt haben: Ostverträge und Berlin-31 Regelung, SALT-Verhandlungen und MBFR, KSZE, Dialog der Supermächte über die Lösung überseeischer Krisen, wirtschaftliche Systemkooperation. Diese Periode wurde somit zum Experimentierfeld eines mit Idealismus und mit anfänglichem Erfolg unternommenen Großexperiments in den internationalen Beziehungen. Hier ist nicht die Frage zu erörtern, welche Gründe zum Scheitern dieses Experimentes geführt haben und wo die Hauptschudigen zu suchen sind. Zu konstatieren ist nur der Vorgang als solcher, und er muß zu gründlichem Nachdenken Anlaß geben. Wenn es nicht einmal in den siebziger Jahren, bei einer einmalig günstigen Konstellation, gelungen ist, die Ost-West-Beziehungen fundamental neu zu gestalten — wann eigentlich soll das dann gelingen? Denn eines ist doch unbestreitbar: Die westlichen Staaten sehen sich auf vielen Ebenen gleichzeitig auf Ausgangspunkte zurückgeworfen, von denen das große Entspannungsexperiment in den sechziger Jahren seinen Ausgang genommen hat. Damit haben sich alle Erwartungen, die in das Großexperiment gesetzt worden sind, als recht voreilig erwiesen.
Viele werfen sogar die besorgte Frage auf, ob die gegenwärtige Vereisung der Ost-West-Beziehungen nicht insofern neuartig, vielleicht auch gefährlicher ist, weil der „Kalte Krieg" der achtziger Jahre auf eine Phase der Entspannung folgte. Das mag sein. Doch muß daran erinnert werden, daß auch dem „Kalten Krieg" der späten vierziger Jahre die hochgesteckten Hoffnungen zur Zeit der Kriegskoalition vorangegangen sind. Desgleichen folgten die gefährlichen Krisen der Jahre 1956 und 1961/62 auf kurze Entspannungsintervalle, die zuvor schon viele Erwartungen geweckt hatten. Der gegenwärtige psychologische Rückschlag ist zwar schwer, weil die Entspannung diesmal so lang dauerte und mit viel größeren Hoffnungen befrachtet worden war. Aber ganz neu ist die Situation eben auch wieder nicht.
Nun hat sich die Geschichte seit den frühen sechziger Jahren natürlich weiterentwickelt. Vieles ist anders geworden: die internationalen Rahmenbedingungen in der „Dritten Welt“, die Rohstoff-und Energiesituation der westlichen Industriestaaten, die militärische Stärke der Sowjetunion, das Verhältnis zwischen Moskau und Peking, aber auch die innere Lage der westeuropäischen Demokratien sowie die Kohärenz der Allianz. Niemand steigt zweimal in denselben Strom.
Jedenfalls muß man der Tatsache ins Auge sehen, daß die Entspannung in eine ähnlich steinige Wüste geführt hat wie seinerzeit die Strategien des „Kalten Krieges". Wenn die Hypothesen, die einem großen Sozialexperiment zugrunde liegen, so offenkundig falsifiziert werden wie diejenigen der Entspannungspolitik, dann ist dies Grund für eine umfassende Neubewertung.
III. Wie soll es weitergehen?
Von welchen Überlegungen muß nun eine künftige Politik zur Verbesserung der beunruhigend schlechten Ost-West-Beziehungen ihren Ausgang nehmen? Denn daß die Bemühungen um rationales Management der Spannungen auch künftig weitergehen müssen, liegt auf der Hand.
Seit längerem werden in der innerwestlichen Diskussion zwei ganz unterschiedliche Antworten formuliert. Die erste lautet: Rasche der Wiederbelebung Entspannung. Die andere: Konzertierter Druck des Westens auf die sowjetische Führung, um sie wirklich entspannungswillig zu machen. Wieweit einzelne Vertreter der zweiten Denkschule damit auch die Überlegung verbinden, die Sowjetunion nicht bloß einzudämmen, sondern in reale Schwierigkeiten hineinzutreiben, ist bekanntlich strittig.
Die Vertreter der weichen Denkschule plädieren dafür, die Ostblockstaaten in einem erneuerten Dialog wieder in die Entspannung hineinzuschmeicheln; die Sprecher der harten Linie halten es für zweckmäßig, sie in die Entspannung gewissermaßen hineinzuprügeln. Beide Ansätze sind im ganzen unbefriedigend. 1. Fortführung der bisherigen Entspannungspolitik? Der erste Ansatz wird heute noch von vielen Sozialdemokraten und Sozialisten in der Bundesrepublik, in Großbritannien und in den skandinavischen NATO-Staaten vertreten. Er wird auf seine Weise auch vom Ostblock favorisiert. Für den zweiten Ansatz möchte die amerikanische Führungsmacht das Bündnis gewinnen, doch zögern selbst die der Entspan-B nung gegenüber skeptisch gewordenen Regierungen und Parteien in Westeuropa, diesen Kurs, soweit er überhaupt schon klar ist, un-diskutiert und unreflektiert zu übernehmen.
Die Entspannungsschule verweist neuerdings gern auf den Führungswechsel in Moskau. Muß man nicht damit rechnen, daß die Gleise jetzt, in den Anfängen, gelegt werden, auf denen der Zug sowjetischer Außenpolitik unter Generalsekretär Andropow vielleicht für eine Reihe von Jahren rollen wird? Sollte man also daraus nicht den Schluß ziehen, in fundamentalem Kurswechsel erneut zu den Programmen der Entspannungs-Ära zurückzulenken?
Die Appelle, mit der Entspannung weiterzumachen, sind indessen intellektuell unbefriedigend, weil sie auf die ärgerliche Tatsache keine rechte Antwort finden, daß das Ende der Entspannung nicht in erster Linie die Folge subjektiver Meinungsumschwünge im Westen ist (das auch), sondern in starkem Maß die Folge objektiver Entwicklungen. , Kapitalmangel und Wirtschaftskrisen in den westlichen Staaten werden künftig dem Kapital-und Technologietransfer in den Osten enge Grenzen setzen, selbst dann, wenn dagegen nicht die bekannten Sicherheitsargumente eingewandt würden.
Die kommunistischen Diktaturen sind der eigenen Bevölkerung zudem so unsicher, daß ein Verzicht auf schärfste Repression nicht in Frage kommt. Das blockiert den gesellschaftlichen Wandel — nicht nur in der UdSSR, sondern eben auch in Polen, in der ÖSSR und natürlich in der DDR. Daher fehlt es auch an Spielraum für innerdeutsche Verbesserungen.
Die USA verfügen auch nicht mehr, wie Ende der sechziger Jahre, über einen Sicherheitsvorsprung bei den nuklearstrategischen Systemen, der anfängliche Konzessionen bei Rüstungskontrollverhandlungen erlauben würde. Umgekehrt hat die Hochrüstung der Sowjetunion, nicht zuletzt die Entfaltung der SS-20 ausgerechnet während der Entspannung, die NATO in den Zugzwang zur Nachrüstung versetzt, wenn sie nicht eine dauerhafte konventionelle und nukleare Überlegenheit Moskaus in Zentraleuropa hinnehmen will, die früher oder später politische Konsequenzen hätte.
Doch auch die sowjetischen Bemühungen um Destabilisierung im mittleren Osten verlangen nach konkreten Planungen. Die Abhängigkeit Westeuropas von der Erdölversorgung im Nahen Osten erlaubt es auch in dieser Region nicht mehr, die Dinge weitertreiben zu lassen. Dramatische Veränderungen in der Golf-Region würden die NATO-Regierungen sehr rasch vor die Alternative stellen: Intervention mit wahrscheinlicher Ost-West-Konfrontation oder Kapitulation.
Die amerikanische Ungeduld mit Westeuropa, speziell mit der Bundesrepublik, würde aber auch eine europäisch-amerikanische Entfremdung riskieren, wenn einzelne westeuropäische Regierungen das „Sowohl-als-Auch" von Bündnispolitik in der NATO und aktivistischer Entspannungspolitik fortsetzen möchten.
Bekanntlich hindern diese und andere Überlegungen die sogenannte Friedensbewegung innerhalb und außerhalb der etablierten Parteien allerdings nicht daran, nach einer Fortsetzung der Entspannung zu rufen. Ebenso möchte eine Partei wie die SPD, die zwischen NATO-Treue und Pazifismus hin-und hergerissen ist, naturgemäß die Linie eines kompromißbereiten „Sowohl-als-Auch“ möglichst bis zum Jahr zweitausend und darüber hinaus weiterführen. Die Entspannungspolitik hat gerade auf dieser Seite des politischen Spektrums eben auch eine ausgeprägt innenpolitische und innerparteiliche Komponente.
Es ist durchaus vorstellbar, daß eine Fortsetzung der Entspannungspolitik um den von der Sowjetunion genannten Preis des Verzichts auf die Nachrüstung ohne gewichtige Gegenleistungen in einzelnen westeuropäischen Ländern — vielleicht sogar in der Bundesrepublik — unter bestimmten Bedingungen innenpolitisch durchsetzbar wäre. Doch hätte das ziemlich unvermeidliche Konsequenzen: Einseitige militärische Schwächung des Westens, vor allem in Deutschland; die Glaubwürdigkeit der Abschreckung wäre reduziert, die Sicherheit damit gerade von jenen in Frage gestellt, die sich über einen möglichen Dritten Weltkrieg am stärksten erregen. Psychologisch und früher oder später wohl auch konkret würde dies eine Entfremdung zwischen Westeuropa und den USA oder auch nur zwischen der Bundesrepublik und den anderen westlichen Demokratien zur Folge haben. Heftigste innenpolitische Konfrontation zwischen den Anhängern einer Außenpolitik in der Gemeinschaft des Bündnisses und den Befürwortern einer pazifistischen Kapitulation vor der sowjetischen Machtpolitik wären ebenso zu erwarten.
Es ist bezeichnend, daß die einstigen Befürworter der Entspannungspolitik diese nicht mehr in erster Linie mit positiven Erwartun33 gen einer objektiv möglichen neuen Friedensordnung oder inneren Wandels im Ostblock begründen. Sie argumentieren heute viel hektischer. Der Friede müsse um jeden Preis erhalten werden. Anfang und noch Mitte der siebziger Jahre gaben sich die Entspannungspolitiker wie frohgemute Wanderer beim Aufstieg zum Gipfel. Heute erinnern ihre beschwörenden Appelle viel eher an das laute Pfeifen von Kindern in einem dunklen Wald. Wie bei der seinerzeitigen britischen Appeasement-Politik der späten dreißiger Jahre unseligen Angedenkens wird damit aus einem ursprünglich positiven Neugestaltungskonzept ein Kurs der Beschwichtigung, an dessen Ende die zwar nicht gewünschte, aber auch nicht auszuschließende politische Kapitulation oder aber die Erkenntnis stünde, daß man nun unter ungünstigsten Bedingungen letzten Endes doch vom Krieg ereilt wird. 2. Ökonomische Containment-Politik?
Aber auch die andere Antwort — konzertierter Druck auf die sowjetische Führung — kann nicht überzeugen. Es lassen sich dagegen vor allem zwei Einwände formulieren.
Ein solcher Kurs würde zwischen den westlichen Demokratien ein hohes Maß außenpolitischer Konzertierung erfordern, die praktisch wohl nicht erreichbar ist, und er würde zudem nicht in allen Ländern Westeuropas innenpolitisch durchsetzbar sein — auf Dauer wohl auch nicht in den Vereinigten Staaten selbst. Wenn über Konzertierung der westlichen Ost-politik gesprochen wird, so ist daran zu erinnern, daß die siebziger Jahre in dieser Richtung große Fortschritte gebracht haben. Das gilt nicht nur für die Rüstungskontrollpolitik, es gilt ebenso für den Dialog im KSZE-Rahmen. Verglichen mit der ziemlich unkoordinierten Entspannungspolitik der späten fünfziger und der sechziger Jahre ist die Dekade der siebziger Jahre ein Jahrzehnt ziemlich disziplinierter, gemeinschaftlicher Politik gewesen, sieht man einmal von dem Vorstoß der neuen deutschen Ostpolitik zu Beginn der Regierung Brandt und von dem Flirt zwischen Nixon/Kissinger und Breschnew/Gromyko in den Jahren 1971— 1973 ab.
Heute konzentriert sich die Diskussion über eine mögliche Konzertierung der Ostpolitik in starkem Maß auf den Bereich des Osthandels (Kreditrichtlinien, Ausweitung der COCOM-Liste für militärisch sensitiven Technologie-transfer, gemeinschaftliche Verhinderung einer möglichen Abhängigkeit Westeueropas von der östlichen Energiezufuhr usw.). Das sind löbliche Vorhaben, denen man viel Glück wünschen möchte. Aber die Erfahrung von mehr als dreißig Jahren westlichen Osthandels zeigt, daß eine starre, langfristig durchhaltbare Konzertierung nicht möglich ist, auch wenn alle entsprechenden Bemühungen viel für sich haben und durchaus versucht werden sollten. Der Gefahr ist nicht leicht auszuweichen, daß der Versuch zur Konzertierung des Osthandels die Allianz politisch eher entzweit statt sie zu einigen.
Eine Hauptschwierigkeit liegt natürlich in dem vielerörterten Problem, daß ja nicht nur die NATO-Staaten Grundregeln für den Osthandel entwickeln müßten (schon dies ist eine Sisyphus-Aufgabel). Es müßte auch gelingen, auf irgendeine Art und Weise Japan, die zunehmend wichtiger werdenden NIC's (Non-Industrialized Countries) und nicht zuletzt die blockfreien westeuropäischen Staaten in ein System derartiger Vereinbarungen einzubinden oder doch zu verhindern, daß sie den erwarteten Effekt konzertierter Osthandelspolitik zunichte machen. Wie soll das aber gelingen?
Zweifel sind auch erlaubt, ob der damit verbundene Kalkül, die UdSSR konzessionsbereit zu machen, fundierter ist als die seinerzeitigen Entspannungskalküle, die sich gleichfalls mit dem Instrument des Osthandels verbunden haben. Die Erfahrungen mit der Entspannungspolitik warnen eben doch vor der Annahme, gezielte westliche Ostpolitik könne im Ostblock rational kalkulierbare Auswirkungen zeitigen.
Hinzu kommt der innenpolitische Faktor. Länder wie die Bundesrepublik, die skandinavischen Staaten, Italien, Holland und Belgien, die nicht über eigene Abschreckungswaffen verfügen, fühlen sich naturgemäß schwach und erpreßbar. Unter ihren Wählern werden sich immer viele finden, die weiche Maßnahmen und einen kraft-und saftlosen Ost-West-Dialog der klaren Entschiedenheit vörziehen.
Wie die neueste Entwicklung zeigt, können sich zwar unter günstigen Bedingungen durchaus Regierungen durchsetzen, die gewillt sind, in der Nachrüstungsfrage dem Ernst der Lage entsprechend zu handeln. Aber sie werden ihre Mehrheiten nur dann Zusammenhalten können, wenn die Bevölkerung nicht den Eindruck gewinnt, der Westen sei gewissermaßen im Angriff und versuche, die Sowjetunion zu ruinieren. Das Argument, in diesem Fall werde sie zu unkalkulierbarer kriegeriB scher Aktion gedrängt (so wie Japan im Dezember 1941), wird von der europäischen Linken seit Jahren propagiert. Selbst wer nicht zur Panik neigt, muß doch einräumen, daß eine solche Reaktion nicht ausgeschlossen werden könnte. Jedenfalls wird sie im Westen als Möglichkeit geglaubt, und dies schwächt die Argumente derer, die eine entschlossene Konzertierung der Osthandelspolitik für richtig halten.
Alles hängt also von Art und Ausmaß der Konzertierung, nicht zuletzt aber auch davon ab, wie sie präsentiert und innenpolitisch vermittelt wird. Ein Allheilmittel für die künftige Gestaltung der Ost-West-Beziehungen ist jedenfalls in der konzertierten Osthandelspolitik nicht zu erkennen, wohl aber eine Herausforderung zu kühlem Nachdenken. Ziemlich sicher würde aber eine Strategie scheitern, deren Befürworter versuchen möchten, die gesamte Allianz auf eine Politik des Drucks festzulegen — sei es auch in der im Prinzip begrüßenswerten Absicht, die Sowjetunion damit zum Wohlverhalten zu nötigen.
Aus deutscher Sicht spricht alles dafür, weder eine Ostpolitik des defätistischen Nachgebens noch eine Politik eines ostpolitisch vielleicht unproduktiven, innenpolitisch aber kontraproduktiven Drucks zu verfolgen, sondern eher eine Linie der Zurückhaltung und des Abwartens. Der auf vielen Ebenen spielende Dialog-und Kooperations-Aktionismus der Entspannungsjahre hat sich nicht bewährt, aber auch ein Aktionismus konzertierten Drucks verspricht keinen sicher kalkulierbaren Ertrag. Am ratsamsten scheint mir unter den obwaltenden Bedingungen vielmehr eine Linie zeitweiliger Distanzierung.
IV. Plädoyer für etwas mehr Distanz zum Ostblock
Verschiedene Lehren aus der Entspannungspolitik sprechen dafür, etwas auf Distanz zu gehen.
1. Der Entspannung lag — unausgesprochen oder nicht — die Annahme zugrunde, nicht nur die Außen-und Innenpolitik der kommunistischen Parteiführungen, sondern auch die Entwicklung der östlichen Gesellschaften in kalkulierbarer Art und Weise beeinflussen zu können.
Daß westliche Politik den Kurs der östlichen Parteiführungen beeinflußt und damit auch in die Gesellschaften hineinwirkt, ist evident. Aber die Erfahrungen mit der Entspannung berechtigen zur Feststellung, daß die Reaktionen und Wirkungen, die tatsächlich erfolgen, westlicherseits rational nicht voll kalkulierbar sind.
Hätte man etwa erwarten können, daß die sowjetische Regierung trotz und während der Entspannung die Verteidigungsaufwendungen so massiv steigert, wie sie das tatsächlich getan hat? War das Debakel der polnischen Wirtschaftspolitik Giereks vorhersehbar? Hat sich zu Beginn des Entspannungsprozesses klar erkennen lassen, daß dieser große Anlauf in den Ostblockstaaten zu einer Innenpolitik struktureller Verhärtung führen würde? War zu erwarten, daß sowohl die tschechoslowakische Parteiführung nach Nowotny wie die polnische nach Gierek ganz offensichtliche Zeichen der Schwäche, aber eben auch einer ge-wissen Reformbereitschaft erkennen lassen würden? Die Fragenliste ließe sich fortsetzen. Man wird also bescheiden sein müssen. Das heißt aber: Welche Auswirkungen eine Politik der Verlockungen oder des Drucks im Innern des Ostblocks hat, ist weitgehend unvorhersehbar. Wer in dieser Hinsicht eine agnostische Haltung einnimmt, ist realistischer als jene technokratischen Außenpolitiker, die von der Annahme ausgehen, auch die Entwicklungen der östlichen Systeme in vorhersehbarer Weise steuern zu können. Tatsächlich werden die westlichen Regierungen ja nicht einmal mit den Steuerungsproblemen der eigenen Gesellschaften fertig.
Das bedeutet nicht, daß auf entsprechende Bemühungen, etwa im KSZE-Rahmen oder beim innerdeutschen Dialog, verzichtet werden sollte. Aber man muß doch deutlicher erkennen, als dies Mitte der siebziger Jahre der Fall war, wie begrenzt diese Instrumente sind. Ihre Wirkung auf die Entspannungserwartungen der Parteien und Wähler im Westen ist wahrscheinlich größer als auf die der Parteiführungen und Völker des Ostens.
2. Das gilt auch von der Rüstungskontrollpolitik, die seit Ende der sechziger Jahre so offenkundig im Zentrum der Ost-West-Beziehungen stand. Dreierlei dürfte unbestreitbar sein. Als Instrument zur Bremsung der sowjetischen Rüstungsanstrengungen hat sie versagt. Sie hat aber — zweitens — auch nicht verhin35 dem können, daß das nuklearstrategische und das regionalstrategische Gleichgewicht in Europa heute labiler ist als Anfang der siebziger Jahre. Und sie ist — drittens — schon seit längerem aufgrund der rapiden technologischen Entwicklung in einen Engpaß geraten. Die heute verfügbaren Systeme lassen den quantitativen Ansatz, der während der ganzen siebziger Jahre vorherrschend gewesen ist, in vielen Bereichen nicht mehr zu. Auch die Verifizierbarkeit ist heute bei den regionalstrategischen Systemen ebensowenig mehr in verläßlicher Weise möglich wie bei den konventionellen Streitkräften. Und gegen westliche Vor-leistungen im regionalen Rahmen sprechen alle Argumente, die seit den Vorschlägen Rapackis immer wieder neu formuliert werden mußten.
Auch das bedeutet nicht, daß entsprechende Verhandlungen zwecklos wären. Selbst der Gedankenaustausch als solcher ist schon von Nutzen. Er vermittelt den beteiligten Staaten zudem psychologische Sicherheit. Die westlichen Regierungen bestätigen dadurch vor ihrem eigenen Gewissen und vor der Öffentlichkeit, daß sie ihr Möglichstes tun, den Geist, der längst aus der Flasche heraus ist, wieder einzufangen. Ob das aber gelingt, ist fraglicher als früher. Auch in diesem Punkt ist also Zurückhaltung angebracht. Es wäre verkehrt, die eigene öffentliche Meinung erneut unter Erwartungsdruck zu stellen, wie dies leider auch der NATO-Doppelbeschluß getan hat.
Aber auch wenn man erkennt, daß die Bemühungen um ein friedliches Nebeneinander von Ost und West nicht mehr so vorrangig, wie während der Entspannung, auf Rüstungskontrolle gegründet werden kann, werden die laufenden Genfer Verhandlungen mit dem Bestreben nach positivem Ertrag weitergeführt werden müssen.
Nur ist es doch langsam an der Zeit, daß die westliche Öffentlichkeit erkennt, auf ein wie schwieriges Unterfangen man sich mit dem Doppelbeschluß eingelassen hat. Einerseits ist die NATO zur Stationierung der Mittelstrekkenraketen gezwungen, wenn die Sowjetunion ihre auf dem Weg der Vor-Rüstung installierten SS-20 nicht entfernt. Westeuropa würde sich sonst sehenden Auges in einen Zustand politischer Erpreßbarkeit begeben, der mit dem Willen zur Selbstbehauptung nicht vereinbar ist.
Andererseits ist es nicht vorstellbar, daß die UdSSR ihre fortgeschrittensten, treffsichersten Raketensysteme außer Dienst stellt Auch eine Dislozierung im Fernen Osten hinter einer Linie, von der aus die Bundesrepublik nicht mehr erreichbar ist, würde schwierigste Fragen ungelöst lassen. Die USA und die NATO würden damit Moskau freundlichst einladen, die gefährlichen Systeme gegen den Partner Japan und gegen China zu installieren. Außerdem ließe sich überhaupt nicht verhindern, daß die SS-20 im Krisenfall innerhalb kürzester Frist (14 Tage mögen genügen) wieder gegen die Bundesrepublik und andere westeuropäische Staaten in Stellung gebracht werden könnte. Rüstungskontrollpolitik muß aber in erster Linie in Krisen-Konfigurationen verläßlich sein.
Wie angesichts dieser und anderer Probleme im ersten Halbjahr 1983 ein allseits annehmbarer Kompromiß ausgearbeitet werden könnte, der den Beginn der Nachrüstung verhindert, kann man sich bei nüchternem Durchdenken des Problems nur schwer vorstellen.
Freilich will es auch nicht recht einleuchten, weshalb die in tiefen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende und international ziemlich isolierte Sowjetunion wirklich riskieren könnte, wegen einer von ihr selbst provozierten Nachrüstung des Westens die Ost-West-Beziehungen auf Jahre hinaus in einen Zustand der Konfrontation geraten zu lassen.
Jedenfalls ist auch auf diesem Feld erst einmal abzuwarten, ob die Rüstungskontrollansätze wirklich noch tragfähig sind. Gerade die INF-Verhandlungen könnten zeigen, daß Bemühungen um einvernehmliche Regelung, die mit großen Erwartungen begonnen wurden, in Enttäuschung enden und vielleicht eher zur Verschlechterung des Verhältnisses führen. Wie immer das Ringen aber auch ausgeht, die dabei gesammelten Erfahrungen zeigen, daß es klug wäre, künftig noch genauer als bisher zu prüfen, ob die für den Ost-West-Dialog gewählten Felder tatsächlich so beschaffen sind, daß die Initiativen nicht im Morast stecken-bleiben. 3. Zu den Lehren aus der zurückliegenden Epoche gehört eben nicht zuletzt die Einsicht in die Labilität der westlichen Öffentlichkeit. Anfang der siebziger Jahre haben sich ziemlich alle Beteiligten mit der Absicht auf die Entspannung eingelassen, die Beziehungen zum Osten fundamental zu verbessern, ohne aber die westliche Gemeinschaft (einschließlich der NATO) preiszugeben. Ob beides gleichzeitig möglich sein würde, war schon damals umstritten. Eine große Mehrheit der Politiker und Fachleute hat aber daran geglaubt. Vor allem hofften die gemäßigten Linksparteien, damit einen innerparteilichen Kompromiß bewerkstelligen zu können. Diese Hoffnung hat getrogen. Heute ist die Sicherheitspolitik im Bündnis ein großer innenpolitischer Zank-apfel. Die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien (Frankreich macht noch eine Ausnahme) sehen sich einer Zerreißprobe gegenüber. Selbst die in der CDA zusammengeschlossenen christlichen Demokraten der Niederlande tun sich schwer. Das ruiniert nicht nur ganze Regierungskoalitionen, es führt auch zu heftigsten innerparteilichen Spannungen. So ist die Entspannung heute ein polarisierender Faktor in der westeuropäischen Innenpolitik. Die Integration der Linken in eine Ostpolitik des „Sowohl-als-Auch" ist weitgehend mißlungen.
Was heute voll panischer Angst im Umkreis der sogenannten Friedensbewegung an unilateralen Entspannungsmaßnahmen verlangt wird, hat mit der im Bündnis koordinierten und im ganzen vorsichtigen Entspannungspolitik der siebziger Jahre nicht mehr viel gemein. Aber auch als Bindemittel der Allianz zwischen den USA und Westeuropa ist die Entspannung unproduktiv geworden. Sie ist heute nicht nur ein innenpolitischer Zankapfel, sondern auch ein Zankapfel in der NATO. Was als Politik zur Stärkung der westlichen Solidarität begonnen hat, ist zur Belastung einer Gemeinschaft geworden, die in Europa seit über dreißig Jahren die Demokratie, den Frieden und den Wohlstand sicherte.
Auch aus dieser Feststellung sollte nicht der Schluß gezogen werden, auf Bemühungen um Verbesserung der Beziehungen zum Ostblock zu verzichten. Aber man muß erkennen, daß sie ihren hohen Preis haben: einen innenpolitischen Preis, einen innerparteilichen Preis und auch einen bündnispolitischen. Wo sich der Preis einer Ware aber drastisch erhöht, wird es naturgemäß weniger Käufer geben. Und diejenigen, die weiter interessiert sind, sehen sich die erstrebten Güter genauer an. 4. Weiterhin ist zu überlegen, ob das für die Entspannung so kennzeichnende Bestreben, Ost und West auf allen Ebenen in einen möglichst engen Austausch, auch in einen permanenten Dialog zu bringen, wirklich weise gewesen ist. Die Destabilisierung auf beiden Seiten hat sich bemerkbar gemacht. Der Dialog hat die Gegensätze nicht überbrücken lassen, sondern vielfach nur stärker ins Bewußtsein gehoben.
Die Kontraproduktivität eines forcierten Dialogs hat sich seit 1979 besonders im deutschen Fall gezeigt. Als sich Bundeskanzler Schmidt nach Afghanistan und Polen dafür entschied, die Dialog-Politik demonstrativ fortzuführen, hat dies zwar kurzfristig innerparteiliche und wahltaktische Vorteile gebracht Aber zugleich wurde damit in den westlichen Hauptstädten eine Lawine des Mißtrauens losgetreten. Diese machte der Bundesrepublik zeitweilig ziemlich zu schaffen und hat ihren Einfluß innerhalb der Allianz reduziert, ohne aber den allgemeinen Stand der Ost-West-Beziehungen nachhaltig zu verbessern. Die neue Bundesregierung hat aus dieser Erfahrung ihre Lehren gezogen.
Gewiß mag es nützlich sein, wenn sich der neue erste Mann in Moskau und sein amerikanischer Gegenspieler bald einmal persönlich beschnuppern, um sich gegenseitig die Friedlichkeit ihrer Absichten zu versichern. Das wird die objektiven Schwierigkeiten im Ost-West-Verhältnis zwar nicht aus der Welt schaffen können. Aber es kann in die labile Situation ein Moment menschlicher Vertrautheit mit dem Gegenspieler einführen, das manches erleichtern mag und die Ängste der Öffentlichkeit beruhigt. Wunder können solche Begegnungen aber nicht bewirken, und es wäre nach allen bisherigen Erfahrungen falsch, sie mit zuviel Erwartungen und einem allzu anspruchsvollen Verhandlungsprogramm zu befrachten. Ohnehin wird es seine Zeit dauern, bis die neuen Machtverhältnisse in der UdSSR hinlänglich geklärt sind.
Vielleicht ist aber die Entspannungspause, die seit Ende der siebziger Jahre eingetreten ist, für alle ganz heilsam. Die freien Gesellschaften des Westens und die leider unfreien des Ostens sind zwar dazu verurteilt, auf demselben Planeten und im Fall der Europäer auf demselben Kontinent zu koexistieren. Aber ihre Strukturprinzipien sind so gegensätzlich und einander jeweils so gefährlich, daß der Friede wahrscheinlich sicherer ist, wenn man sie für einige Zeit nicht in allzu engen Kontakt zu zwingen versucht. 5. Zu den Lehren der vergangenen Jahre gehört aber auch die Einsicht, daß eine ökonomische Entspannungspolitik unter Einsatz des Instrumentariums von Technologietransfer und Kreditpolitik nicht mehr so wie bisher fortgeführt werden kann. Dieser Ansatz, der seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre manchen Befürworter fand, wäre unter den Bedingungen knappen Geldes, leerer öffentlicher Kassen, angespannter Zinsverhältnisse selbst dann nicht mehr praktikabel, wenn dies noch politisch wünschenswert erschiene. Der Fall Polen, aber auch die sich bereits abzeichnenden Liquiditätsschwierigkeiten Rumäniens, lassen sogar an der wirtschaftlichen Rationalität derart langfristiger Engagements zweifeln.
Und die europäisch-amerikanischen Verstimmungen wegen des Erdgas-Röhren-Abkommens sind auch Grund zum Nachdenken darüber, ob die außenpolitischen Kosten derartiger Transaktionen nicht zu hoch sind.
Die Denkpause muß aber ebenso dazu genutzt werden, sorgfältig zu prüfen, ob eine Konzertierung der Osthandelspolitik tatsächlich möglich ist, sowohl bezüglich der Ziele wie bezüglich des Kreises der Beteiligten, der Betroffenen und der Mittel. Die dabei auftretenden politischen und technischen Probleme dürften mindestens so groß sein wie diejenigen, die im Zusammenhang mit MBFR, mit der koordinierten Politik im KSZE-Rahmen oder bei SALT zu bewältigen waren.
Sicher wird der Osthandel auf einem niedrigeren Niveau weitergeführt werden. Am Bau der Yamal-Pipeline führt kein Weg vorbei; er geht noch auf das Konto wirtschaftlicher und außenpolitischer Entscheidungen in der Entspannungsepoche. Auch die Last der Umschuldung des zahlungsunfähigen Polen muß schon im Interesse unseres Bankensystems behutsam weiterbehandelt werden. Man wird auch die privaten Hilfsmaßnahmen für die polnische Bevölkerung weiter ermutigen können. Im ganzen gehört aber eine stärkere Zurückhaltung bei den Ostgeschäften zu den Lehren, die sich allen Beteiligten aufdrängen — sieht man einmal von jenen Firmen ab, die natürlich gerne wie bisher Geschäfte machen möchten, die ohne günstige Kredite nicht möglich wären.
Sowohl die westlichen wie die östlichen Gesellschaften befinden sich unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise in einem Gärungsprozeß. Für Falken mag es zwar ein naheliegender Gedanke sein, in diesen von außen her hineinzuwirken und die Destabilisierung zu beschleunigen. Doch auch solche Einwirkungen haben eben ihren Preis, der zu hoch sein könnte. So spricht manches dafür, die östlichen Systeme in den nächsten Jahren im eigenen Saft schmoren zu lassen, vorausgesetzt, sie lassen auch uns in Ruhe. Mögen sie mit ihren selbstgeschaffenen Schwierigkeiten auch selbst fertig werden. Man soll sie nicht durch Sanktionen zusätzlich unter Druck setzen, man soll den Regierungen aber auch nicht helfen. Das dürfte auf lange Sicht weniger Reibungsflächen schaffen als die gegenseitige Reizung durch Entspannung, mit der wir es über zehn Jahre lang versucht haben.
Der Einwand liegt nahe, daß der Ostblock den westlichen Gesellschaften die Ruhe gar nicht gönnen wird. Das ist möglich. Doch haben die beiden letzten Jahre immerhin gezeigt, daß auch an der östlichen Entspannungsfront etwas mehr Zurückhaltung eingekehrt ist. Die sowjetischen Nachfolgeprobleme, Polen, Irritationen über die amerikanische Regierung, das alles mag dabei Zusammenwirken. Die Kosten-Nutzen-Analyse der Entspannung wird eben auch in den östlichen Hauptstädten vorgenommen. Wie steht es aber in diesem Punkt mit den innerdeutschen Verhältnissen? Müssen und können wir auch hier stärker auf Distanz gehen?
Die Frage stellt sich in dieser Form gar nicht, denn die SED hat seit Anfang der „neuen Ost-politik" ohnehin eine höchst behutsame Abgrenzungspolitik betrieben gemäß der Devise: Hohe Zäune — gute Nachbarn. Seit Ende der siebziger Jahre haben die verschlechterten Rahmenbedingungen der allgemeinen Ost-West-Beziehungen auch voll auf das innerdeutsche Verhältnis durchgeschlagen. Medienereignisse wie das Treffen am Werbellin-See konnten die Tatsache nicht verdecken, daß die innerdeutsche Entspannungspolitik von Seiten der DDR abgedrosselt worden ist.
Man wird sich weiter bemühen müssen, dies abzumildern, aber ohne große Erwartungen. In einem Land, in dem Mauer und Schießbefehl zu den Grundtatsachen nationaler Existenz gehören, war Entspannung ohnehin immer mehr eine subjektive Kategorie als die Bezeichnung für eine objektiv vollzogene Normalisierung.