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Die deutsch-deutschen Beziehungen in den siebziger Jahren | APuZ 50/1982 | bpb.de

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APuZ 50/1982 Bilanz der Entspannungspolitik Vom Feindstaat zum Vertragspartner. Bilanz der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion Die deutsch-deutschen Beziehungen in den siebziger Jahren Entspannungspause

Die deutsch-deutschen Beziehungen in den siebziger Jahren

Uwe Ronneburger

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Zusammenfassung

Nach Jahren der Konfrontation zeigten sich Mitte der sechziger Jahre in der FDP und der SPD Tendenzen, zu einem Umdenken in der Deutschlandfrage zu kommen. Ausgangspunkt war die Forderung, die Verhältnisse in der DDR und jenseits der Oder-Neiße-Linie als Fakten zur Kenntnis zu nehmen und jede Politik der Revision fallen zu lassen. Die sozialliberale Regierung ging daran, ab 1969 die Beziehungen zur DDR und zu Osteuropa neu xu ordnen, wobei eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu keiner Zeit in Betracht kam. Grundlegend für das Verhältnis zum zweiten deutschen Staat wurde der Grundlagenvertrag, der am 21. Dezember 1972. also vor zehn Jahren, unterzeichnet wurde. Der Grundlagenvertrag konnte nicht zum Ziel haben, die besondere Lage Deutschlands zu v erändern, da nach wie vor die Rechte der Vier Mächte weiter bestehen. Er konnte nur das Bemühen ausdrücken, die Konfrontation abzubauen und Zusammenarbeit einzuleiten. Auf vielen Gebieten, die durch das Transitabkommen, den Verkehrsvertrag und den Grundlagenvertrag berührt sind, haben sich zwischenzeitlich wesentliche Verbesserungen ergeben, so im Transit-und Reiseverkehr, im Umweltschutz und sogar im kulturellen Austausch. Die beiden deutschen Staaten haben aufgrund ihrer Geschichte und ihrer geographischen Lage eine besondere Verantwortung für die Wahrung des Friedens. Dies gilt gerade auch in der aktuellen Debatte um den N ATO-Doppelbeschluß sowie für die Verpflichtung, sich zu bemühen, daß die KSZE-Nachfolgekonferenz ein Erfolg wird. Beide Staaten sollten innerhalb der Bündnisse ihren Einfluß geltend machen, um die Rüstungskontrolle auf allen Ebenen voranzutreiben. Von besonderer Bedeutung ist es, daß der Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten ohne Vorbedingungen fortgesetzt wird, gerade auch in schwierigen Zeiten. Es sind noch viele Realitäten im deutsch-deutschen Verhältnis zu ändern. Eine Politik, die das will, muß von den heutigen Realitäten ausgehen.

Wer eine vorläufige Endsumme der deutsch-deutschen Beziehungen aus Anlaß des 10. „Geburtstages" des „Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" nennen will, muß mit einer Eröffnungsbilanz beginnen.

Bereits im September 1944 hatten sich in London die Botschafter der kriegführenden WestAlliierten auf eine Grenzlinie zwischen den einzelnen Besatzungszonen verständigt, die die heute bestehende Grenze vorweggenommen hat. Auch wenn es nicht mehr gegenwärtig ist oder es heute viele nicht mehr wahrhaben wollen: beide deutsche Staaten sind im weltpolitischen System der Jahre 1944/45 gebildet worden. Die Bundesrepublik Deutschland allerdings im Gegensatz zur DDR als ein freiheitlich demokratischer Staat. Bei den Bundestagswahlen im Jahre 1949 und allen darauffolgenden ist diese Konzeption von der überwiegenden Mehrheit aller Bundesbürger nachhaltig bestätigt worden. Und dies, obwohl die Betroffenheit und das persönliche Erleben einer jetzt gespaltenen Nation von gänzlich anderer Aktualität war, als es heute der Fall ist.

Die Phase des Wiederaufbaues aus zerbombten Städten und einer politischen Ohnmacht ging einher mit wichtigen politischen Entscheidungen, die noch heute für die Bundesrepublik Deutschland von überragender Bedeutung sind. Bereits im Jahre 1949 war die Bundesregierung im Europäischen Wirtschaftsrat (OEEC) vertreten. Sie wurde im Jahre 1951 Mitglied des Europarates und 1952 Mitglied der Montan-Union. Noch während der 1. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, die 1953 zu Ende ging, wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. In diese Zeit fallen auch die beiden markantesten Positionsbeschreibungen, deren Wirkung und Bedeutung noch heute sichtbar sind. Am 9. März 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland in das Atlantische Verteidigungsbündnis der NATO aufgenommen, am 25. März 1957 unterzeichnete sie zusammen mit Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Italien den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).

Mit dem Deutschland-Vertrag beendeten die drei Westmächte ihre bis dahin formal noch bestehende Besatzungsherrschaft. Die Bundesrepublik Deutschland wurde de jure ein souveräner Staat. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß beide deutsche Staaten beim Abschluß des Berlin-Abkommens nicht aktiv handelnd auftraten, denn dieses Abkommen ist ohne Beteiligung einer der beiden deutschen Regierungen abgeschlossen worden. So stellen auch die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten in bezug auf die UNO-Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten fest, daß „diese Mitgliedschaft die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier-Mächte und die bestehenden diesbezüglichen vierseitigen Regelungen, Beschlüsse und Praktiken in keiner Weise berührt".

Der erfolgreiche Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin hat gezeigt, daß die bis dahin und auch heute wieder zu vernehmende These der DDR falsch ist, die politischen Grundkonstellationen des Jahres 1945 würden nicht mehr existieren. Folglich sei sie voll souverän. Auch die im Jahre 1970 geführten Verhandlungen zum Abschluß des Moskauer Vertrages und die sich erstmals im Herbst 1970 abzeichnende Möglichkeit, daß die Vier Mächte die beiden deutschen Staaten beauftragen könnten, Einzelheiten des Berlin-Abkommens selber zu regeln, war nur auf der Grundlage der fortbestehenden Verantwortung der Vier-Mächte denkbar.

Der Korea-Krieg, der im Jahre 1950 in einem Lande ausbrach, das ebenso wie Deutschland bis heute geteilt ist, verschärfte in der gesamten Welt den Kalten Krieg.

Die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen zu Beginn der fünfziger Jahre waren gekennzeichnet durch Konfrontation und Konflikte. Dem expansiven Verhalten der Sowjetunion im Jahre 1947 setzten die Vereinigten Staaten das Konzept einer Politik der Eindämmung entgegen. Durch die Truman-Doktrin und den Marshall-Plan sollte die Bundesrepublik Deutschland in diese Strategie einbezogen werden. Da die Westintegration — die zunächst politische und wirtschaftliche, später auch militärische Einbindung der Bundesrepublik in ein westeuropäisch-atlantisches Bündnis — mit dem sowjetischen Sicherheitsbedürfnis angeblich unvereinbar war, unterbreitete die Sowjetunion im März 1952 ein Angebot, um sowohl die Westbindung als auch eine Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Das sowjetische Angebot der Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates in den Grenzen von 1945 mit eigenen nationalen Streitkräften bei gleichzeitiger Verpflichtung, bündnisfrei zu bleiben, wurde von den Westmächten und der Bundesregierung abgelehnt. Diese Frage beschäftigt noch heute Politiker und Zeithistoriker, ob es nämlich möglich gewesen wäre, eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zum damaligen Zeitpunkt zu erreichen und welchen Preis die Bundesrepublik dafür hätte zahlen müssen.

In der Rückschau kann festgestellt werden, daß alle Versuche, die „Deutschlandfrage" und damit die Spaltung Deutschland zu lösen, an unvereinbaren und gegensätzlichen Prinzipien scheiterten. Während der Westen bei der Lösung der deutschen Frage von freien Wahlen auf den Territorien der Bundesrepublik und der DDR, der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung sowie von Friedensverhandlungen mit dieser frei gewählten Regierung ausging, wollte die östliche Seite nur eine umgekehrte Reihenfolge akzeptieren.

Bereits im September 1950 war die DDR Mitglied des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe geworden und erhielt im März 1954 durch die Sowjetunion die Anerkennung der Souveränität. Analog zum Beitritt der Bundesrepublik in die Nordatlantik-Organisation wurde die DDR bei der Gründung des War-schauer Paktes vom 14. Mai 1955 Mitglied. Gleichwohl behielten die Vier Mächte trotz der Zugehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bündnissen Rechte und Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes, für Berlin und für eine friedensvertragliche Regelung. Bei der Genfer Gipfelkonferenz durch die Regierungschefs der vier Siegermächte wurde in einer Direktive festgestellt:...... daß die deutsche Frage und die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes als auch im Interesse der europäischen Sicherheit gelöst werden solle." Aber auch bei der Genfer Außenministerkonferenz im Jahre 1959 — sie war bis heute die letzte Konferenz der Siegermächte über Deutschland — wurde der erreichte Status quo in Europa festgeschrieben.

In den fünfziger und sechziger Jahren wurde die Deutschlandpolitik auf beiden Seiten von dem politischen Standpunkt des Alles oder Nichts bestimmt — mit dem Ergebnis, daß der Graben der Teilung tiefer und tiefer wurde. Nicht nur eine schon damals unmenschliche Grenze verwehrte den DDR-Bewohnern den freien Zugang zu unserem Staat, sondern auch der umgekehrte Weg war so gut wie gänzlich blockiert. Die politisch-militärische Einbindung der beiden deutschen Staaten in unterschiedliche Bündnisse hatte es mit sich gebracht, daß Stacheldraht und Minenfelder, die Einschränkung des Telefon-und Reiseverkehrs in die DDR, vor allem aber der Bau der Berliner Mauer sichtbare Kennzeichen einer verhängnisvollen Entwicklung waren. Die Berlin-Krisen sowohl Ende der vierziger als auch Ende der fünfziger Jahre führten dazu, daß die Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und dem Bundesgebiet östlicher Willkür und Einflußnahme ausgesetzt waren.

Die politische Hilflosigkeit gegenüber den Ereignissen der damaligen Zeit kann nicht besser ausgedrückt werden als durch die damalige Reaktion — dies soll nicht belächelt werden —, Kerzen in die Fenster zu stellen. Der Prozeß der Spaltung und der Teilung wurde in Ost-Berlin forciert. Mit dem 13. August wurde die Abgrenzung des östlichen und des westlichen Machtbereichs besiegelt Die Haltung der Westmächte, vor allem der USA, zeigte endgültig, daß auf der einen Seite ein absoluter Tiefpunkt im deutsch-deutschen Verhältnis erreicht war, daß aber auf der anderen Seite diese Ereignisse als ein Vorgang betrachtet wurden, der innerhalb des sowjetischen Machtbereichs stattfand.

Durch den Mauerbau allerdings wurde sowohl die Politik der Westmächte als auch die des westlichen Deutschlands zum Umdenken gezwungen. Mit Beginn der sechziger Jahre wurde die Existenz zweier deutscher Staaten ein politisches Faktum. Die bisherige Deutschlandpolitik behinderte eine Politik der Entspannung zwischen den Blöcken. Neue Wege mußten begangen werden, um aus dem totalen Gegeneinander zweier Staaten zumindest ein partielles Miteinander zu entwickeln. Im deutlichen Gegensatz zur Berlin-Frage gehörte die Deutschlandfrage nicht mehr zu den außenpoB litischen Primärinteressen der Westmächte. Erst mit dem Vier-Mächte-Abkommen vom 3. September 1971 gelang eine Berlin-Regelung, um die Spannungen um Berlin zu mildern und endlich auch eine Lösung des Problems der Zugangswege zu ermöglichen. Bis zum Jahre 1971 war Berlin im Zentrum des Ost-West-Konflikts wiederholt Krisen ausgesetzt. Die östlichen Bedrohungen richteten sich sowohl gegen die Präsenz der Westmächte in Berlin, gegen die Bindungen der Stadt an den Bund als auch vor allem gegen die Bevölkerung Berlins, deren Lebenswillen durch die Erzeugung anhaltender Krisenstimmungen gebrochen werden sollte. Gerade durch das Vier-Mächte-Abkommen konnte der Beweis erbracht werden, daß trotz unterschiedlicher Rechtsauffassungen und politischer Grundsatzpositionen vertragliche Vereinbarungen getroffen werden konnten, die zu einer praktischen Verbesserung der Lage Berlins führten.

Kennzeichnend für die Deutschlandpolitik der Regierungen Adenauers war die Tatsache, daß das Ziel der „Wiedervereinigung" dem außen-politischen Ziel der „Westintegration" nachgeordnet wurde, überdies versuchte die Bundesregierung, die DDR durch die sogenannte Hall-stein-Doktrin international zu isolieren. Dritte Staaten, die die DDR diplomatisch anerkannten, konnten nach dieser Auffassung nicht gleichzeitig Beziehungen zur Bundespublik Deutschland unterhalten — mit Ausnahme derjenigen kommunistischen Staaten, die schon vor Aufnahme offizieller Beziehungen zur Bundesrepublik die DDR anerkannt hatten. Sowohl gegenüber Jugoslawien im Jahre 1957 als auch gegen Kuba 1963 wurde die Hallstein-Doktrin angewandt. Erst im Zuge der weltweiten Entspannung kam es mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien (Januar 1967), zu Jugoslawien (Januar 1968) und dem „Einfrieren“ der diplomatischen Beziehungen zum Irak, Kambodscha und Sudan (1969) zu einer deutschlandpolitischen Neuorientierung.

Es war vor allem die FDP, insbesondere Wolfgang Schollwer, der Mitte der sechziger Jahre aus dem Scheitern der bisherigen Deutschlandpolitik Konsequenzen zog und konzeptionelle Neuansätze entwarf. In seinen „Gedanken zur Deutschlandpolitik der Freien Demokraten" führte er 1966 aus, daß die Wiedervereinigung ein Fernziel sei, das nur über zahlreiche Zwischenstationen erreichbar sei. Das Nahziel könnte deshalb nur eine Wiederannäherung der beiden Teile Deutschlands sein.

Dieser langwierige und sicherlich auch mühsame Prozeß setze einerseits westliche Zugeständnisse, andererseits eine Normalisierung der politischen Verhältnisse in der DDR voraus. Der in den anderen Ostblockstaaten mehr oder minder weit fortgeschrittene Entstalini-sierungsprozeß müsse nunmehr auch auf die Zone übergreifen und dort zu einer Liberalisierung führen.

Inspiriert von einem weiteren Papier Wolfgang Schollwers schrieb im März 1967 Hans Wolfgang Rubin in der Zeitschrift „Liberal" unter der Überschrift „Die Stunde der Wahrheit": „Die Stunde der Wahrheit — wenn die Zeichen nicht täuschen, sie steht kurz bevor. Wen sie unvorbereitet trifft, wer glaubt, ihr immer noch ausweichen zu können, wer es alsdann noch wagt, sich und andere zu täuschen, der wird in ihr umkommen... Noch ist es Zeit, noch sind Einsicht und Umkehr für das deutsche Volk und seine Führung möglich. Die Wahrheit — sie mag so bitter sein, wie sie will — sie muß nicht von einigen Wenigen, sondern von den Verantwortlichen ausgesprochen und von der Mehrheit des Volkes verstanden und akzeptiert werden: Wahr ist, daß Deutschland den Zweiten Weltkrieg verschuldet, ihn total verloren und bedingungslos kapituliert hat. Wahr ist, daß sich Freund und Feind einig sind, daß die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 weder möglich noch wünschenswert ist. Das Recht auf Heimat gilt — wenn überhaupt — nicht nur für Deutsche ... Wahr ist, daß es keine Wiedervereinigung ohne Anerkennung der seit 1945 geschaffenen Fakten geben wird. Wer die Wiedervereinigung will, muß die Oder-Neiße-Linie anerkennen und die Existenz des anderen kommunistischen Staates auf deutschem Boden mit allen unvermeidlichen Konsequenzen zur Kenntnis nehmen. Wahr ist, daß die Wiedervereinigung nie ein . Anschluß'der DDR an die Bundesrepublik sein wird. Sie stellt für beide Seiten ein nicht unbeträchtliches Risiko dar. Man vergesse nicht: Die Aufnahme von Kommunisten in eine gemeinsame deutsche Regierung ist unter den obwaltenen Verhältnissen mehr als ein kalkulierbares Risiko. Eine Konförderation bedürfe ungewöhnlicher internationaler Garantien und Sicherungen, soll das Experiment für den Westen nicht tödlich enden ...

Am 24. Januar 1969 legten die Freien Demokraten ihren „Entwurf für einen Vertrag zur vorläufigen Ordnung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" vor, der eine der wesentlichsten Grundlagen für die sozialliberale Deutschlandpolitik werden sollte. Diese deutschland-politischen Initiativen ordneten sich in die Entspannungsbemühungen ein, sowohl das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion als auch das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten zu verbessern. Wesentliche Elemente des Vertragsentwurfes der FDP haben in den später abgeschlossenen Grundlagenvertrag Eingang gefunden.

Aber auch in Teilen der SPD war man bemüht, vom Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik und der Nichtanerkennung der DDR als Staat abzuweichen. Nach der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag unterbreitete die erste sozialliberale Bundesregierung in der Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 ein Verhandlungsangebot an die DDR. Die Bundesregierung stellte fest, daß sie in ihrer Politik von der Existenz der DDR als eines zweiten Staates in Deutschland ausgehe und der Regierung der DDR auf der Basis der Gleichberechtigung zu begegnen gedenke. Dieses schließe auch das zukünftige Nebeneinander im Ausland ein. Die Regelung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten müsse aber in einer engen Verbindung mit den offenen Fragen gesehen werden, die das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland vor allem zur Sowjetunion, zu Polen und zur ÖSSR betrafen. Um eine Normalisierung der Beziehungen zu erreichen, sei die Bundesregierung bereit, von der tatsächlich bestehenden Lage im Sinne eines Modus vivendi auszugehen. Gleichzeitig machte sie deutlich, daß das Fortbestehen der Vier-Mächte-Verantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes, die mit Zustimmung der Westmächte geschaffene und unterstützte Verbundenheit der Westsektoren Berlins mit der Bundesrepublik Deutschland sowie das auf Einheit und Freiheit der Nation zielende Grundgesetzgebot unverzichtbar seien. Die Bundesregierung bestand darauf, daß die angestrebte Regelung der Beziehungen mit dem Ziel vereinbar bleiben müsse, die deutsche Frage auf der Grundlage der Selbstbestimmung im Rahmen einer europäischen Friedensordnung zu lösen. Für die sozialliberale Bundesregierung stellte Willy Brandt fest: „Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein."

Mit dem Beginn der sozialliberalen Koalition im Oktober 1969 wurde angestrebt, die Deutschlandpolitik in den durch die Entspannung veränderten Ost-West-Rahmen einzufügen. Es wurde der Versuch unternommen, die Westpolitik, die Ostpolitik und eben die Deutschlandpolitik zueinander in eine Beziehung zu setzen und als ein einheitliches Ganzes zu konzipieren und zu vertreten. Wie schon bei allen vorhergehenden Regierungen ging es auch dieser Regierung zunächst um die Erhaltung und die Sicherung des Friedens, danach um die Lösung der deutschen Frage. Deutschlandpolitik muß sich folglich verstehen als Friedens-und Entspannungspolitik, die auch den Abbau der Konfrontation in Europa und die Entwicklung systemübergreifender Formen der Zusammenarbeit in sich schließen mußte. Angesichts der unlösbaren Einbettung der deutschen Frage in einen gesamteuropäischen Zusammenhang konnte sich mittel-und langfristig eine Lösung der die deutsche Nation bedrückenden Probleme nur über eine schrittweise Normalisierung des Ost-West-Verhältnisses ergeben. Damals wie heute stand die Spaltung Europas in einem untrennbaren Wirkungszusammenhang mit der Spaltung der Welt in unterschiedliche politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme sowie in gegeneinander gerichtete militärische Blöcke. Es kam folglich darauf an, die sich aus diesem Systemwiderspruch ergebenden Auseinandersetzungen friedenssichernd zu organisieren. Die Aufgabe lautete konkret: Je mehr Zusammenarbeit zwischen Ost und West, desto gesicherter der Friede in Europa und desto erträglicher dieser Trennungszustand für die Menschen in beiden Systemen der beiden deutschen Staaten. Die begonnene und zu verstärkende Zusammenarbeit der Systeme auf den Gebieten Wissenschaft, Technik, Verkehr und Kultur sowie die Förderung menschlicher Begegnungen und ein angestrebter erweiteter Austausch von Meinungen und Informationen sollte zu block-übergreifenden Strukturen führen, durch die die Bedeutung der Militärblöcke vermindert werden könne. An dieser Aufgabenstellung hat sich bis heute nichts geändert. Vorrangiges Bemühen der sozialliberalen Regierung war Anfang der siebziger Jahre aber, zu vertraglich geregelten Beziehungen mit der DDR zu kommen.

Grundlage und Basis der Beziehungen sollte der Vertrag über die Grundlagen der Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Re-B publik werden. Seine dreifachen Ziele skizzierte Walter Scheel in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 10. Mai 1973 wie folgt: „Erstens: Er soll die Verbindung und das Gespräch zwischen den Menschen in Deutschland erleichtern. Er soll damit die Härte der Teilung mildern und das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit aller Deutschen lebendig erhalten. — Zweitens: Er soll die Voraussetzung einer Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten auf vielen Gebieten schaffen. Kontakte, die in den vergangenen Jahren immer schwieriger und spärlicher wurden oder ganz abgerissen sind, sollen neu geknüpft werden. — Drittens: Er soll den gegenwärtigen Zustand der Teilung als Konfliktherd in der Mitte Europas entschärfen, ohne daß wir auf das Ziel der Über-windung der Teilung verzichten."

Der Grundlagenvertrag war die erste umfassende vertragliche Regelung der Beziehungen beider deutscher Staaten seit ihrer Gründung. Der Vertrag, der am 8. November 1972 paraphiert, am 21. Dezember 1972 unterzeichnet wurde und am 21. Juni 1973 in Kraft trat, verlagerte mit Billigung der vier Mächte deutsch-deutsche Probleme von der internationalen auf die nationale Ebene.

Der Vertrag, der weder eine zeitliche Befristigung noch eine Kündigungsklausel enthält, besteht aus der Präambel und 14 Artikeln. Zum Vertragswerk gehören der Brief zur deutschen Einheit, ein Zusatzprotokoll zu den Artikeln 3 und 7, ein Protokollvermerk zum Vertrag mit dem Vorbehalt zur Staatsangehörigkeitsfrage sowie verschiedene Briefwechsel und Erklärungen. Nach dem erfolgreichen Abschluß des Vier-Mächte-Abkommens vom 3. September 1971, aber vor Abschluß des Grundlagenvertrages, kam es am 17. Dezember zum Abschluß des die Vier-Mächte-Vereinbarungen ergänzenden . Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)". Das Transitabkommen trat am 3. Juni 1972 in Kraft, zusammen mit dem Vier-Mächte-Abkommen und der Vereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und der Regierung der DDR. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung im Zusammenhang mit dem Vier-Mächte-Abkommen war die Tatsache, daß es dem Senat von Berlin nunmehr erlaubt war, in Übereinstimmung mit den drei westlichen Schutzmächten mit den zuständigen Stellen der DDR über die Lösung spezifischer Probleme von Berlin (West) zu verhandeln und Vereinbarungen abzuschließen. Das Transitabkommen war aber nur im Rahmen der Vier-Mächte-Vereinbarung und nur mit Zustimmung der Vier-Mächte möglich, stellte zugleich auch das erste Regierungsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten dar. Der erste Staatsvertrag war der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über Fragen des Verkehrs", der am 26. Mai 1972 unterzeichnet wurde und am 17. Oktober 1972 in Kraft trat. Durch diesen Vertrag wurde eine verbindliche Rechtsgrundlage für den Verkehr auf Schienen, Wasserwegen und Straßen geschaffen. Erleichterungen im Reise-und Besuchsverkehr wurden in diesem Vertragswerk nicht selbst direkt geregelt. Aber am 26. Mai 1972 erklärte die DDR in einem Briefwechsel, daß es mit Inkraftsetzung des Verkehrsvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten zu Reiseerleichterungen „über das bisher übliche Maß kommen" werden. Dies ist auch eingetreten.

Auch wenn das Transitabkommen und der Verkehrsvertrag zeitlich vor dem Grundlagen-vertrag lagen, sind beide im Verhältnis zu diesem aber nur als Teilregelungen anzusehen. Die Fortschritte waren nur möglich, weil die Vier-Mächte für Verhandlungen der beiden deutschen Staaten „grünes Licht" gegeben hatten.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich und nicht notwendig, die einzelnen Politikbereiche, die im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag zu nennen wären, einer umfassenden Würdigung zu unterziehen. Durch diesen Vertrag wurde aber — unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen beider deutscher Staaten zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage — eine gemeinsame Grundlage für die weitere Beziehung geschaffen. Es war und konnte nicht die Absicht sein, die besondere Lage in Deutschland zu verändern, vor allem auch deshalb nicht, weil eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland noch immer aussteht und weil bis zu diesem Zeitpunkt die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes unverändert fortbestehen. Dessenungeachtet war es möglich, von einer Politik der Konfrontation zu einem gemeinsamen Bemühen der Zusammenarbeit auf vielen Gebieten zu gelangen. Dennoch kann und darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß Rückschläge und Enttäuschungen über Verhaltensweisen der Führung der DDR zu verzeichnen sind. Aus gutem Grund ist bei Belastungen des innerdeutschen Verhältnisses von unserer Seite darauf verzichtet worden, Abgrenzungsmaßnahmen „mit gleicher Münze" heimzuzahlen.

Es ist aber notwendig, darauf hinzuweisen, daß im Jahre 1969 nur 3, 6 Millionen Reisende die Transitwege von und nach Berlin benutzten. Heute sind es fast 20 Millionen, die ohne lange Wartezeiten und Schikanen, vor allem aber ohne Angst unbehindert reisen können. Eine ähnlich positive Bilanz kann auch für den Verkehrsvertrag gezogen werden. Die Zahl der Reisenden ist seit Vertragsunterzeichnung auf fast 4 Millionen pro Jahr angestiegen. Auch wenn in einigen Bereichen der grenznahe Verkehr — den es erst seit dem Grundlagenvertrag gibt — zurückgegangen ist, die Zahl von mehr als 40 000 Reisenden im kleinen Grenzverkehr des Jahres 1980 ist nicht zu unterschätzen. Sicherlich ist die Zahl von 40 000 Bürgern, die in dringenden Familienangelegenheiten aus der DDR zu uns kommen dürfen, unbefriedigend. Aber auch hier muß der Vergleich wiederum zum Jahre 1969 gezogen werden, als solche Kontakte zwischen den Familien gänzlich unmöglich waren. Wie sehr diese Reisemöglichkeiten mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden sind, zeigt die relativ geringe Beachtung, die die Ankündigung der Regierung der DDR fand, die Anlässe und den Personenkreis für Reisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik in dringenden Familienangelegenheiten zu erweitern. Niemand darf geringschätzen, wenn heute monatlich ca. 1 000 jüngere DDR-Bürger mehr zu Familienanlässen zu uns kommen als im Vorjahr, zusätzlich zu den ca. 135 000 Reisenden von DDR-Bürgern im Rentenalter. In diesem Zusammenhang muß auch die seit dem 1. Juli d. J. wirksame Regelung für Flüchtlinge aus der DDR gesehen werden, die im letzten Jahrzehnt ohne Genehmigung die DDR verlassen haben. Ihnen war die DDR-Staatsbürgerschaft formell aberkannt worden und sie mußten wegen des ungesetzlichen Verlassens der DDR mit einer Strafverfolgung rechnen.

Diese Regelungen aus jüngster Zeit, die nur getroffen werden konnten, weil der Grundlagenvertrag auch in einer weltpolitisch kritischen Situation als gemeinsame Basis akzeptiert worden ist, belegen, daß es möglich ist, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern. Dazu zählt aber auch die Verlängerung des zinslosen Überziehungskredits Swing. Die Erhöhung des Zwangsumtausches am 13. Oktober 1980, die dem Geist des Grundlagenvertrages widerspricht, muß im Interesse einer Fort-entwicklung hin zu gut nachbarlichen Beziehungen korrigiert werden. Der Regierung der DDR sollte es auch heute noch möglich sein, in dieser Frage denselben Weg wie im Jahre 1974 zu gehen. Nach einer Erhöhung des Mindestumtausches um den doppelten Satz und der gleichzeitigen Aufhebung der Befreiung von Personen im Rentenalter von der Pflicht zum Mindestumtausch am 5. November 1973 dauerte es mehr als ein Jahr bis zur Korrektur. Im Oktober 1974 zeichnete sich ab, daß die DDR bereit sei, die Erhöhung der Mindestumtauschsätze um zwei Drittel zurückzunehmen. Nicht verbrauchte Zahlungsmittel in Mark der DDR konnten bei allen Wechselstellen sowie den Filialen der Staatsbank deponiert werden. Ende November 1974 erhielt die Bundesregierung die verbindliche Zusage, daß die Befreiung der Rentner von der Pflicht zum Mindestumtausch am 10. Dezember verkündet und am 20. Dezember in Kraft treten werde.

Es kann aber nicht übersehen werden, daß in den Bereichen des Umweltschutzes, der Rechts-und Amtshilfe zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften, der Wissenschaft und Technik sowie der Kultur bisher keine vertraglichen Regelungen möglich waren. Ungeachtet auch der unterschiedlichen Auffassungen zu grundsätzlichen Fragen und trotz unterschiedlicher Rechtsordnungen der beiden deutschen Staaten sollte jeder sich bietende Versuch unternommen werden, auch hier zu Vereinbarungen zu gelangen.

Die Bewahrung einer natürlichen Umwelt darf nicht im Prozeduralen steckenbleiben, denn die Beseitigung der bisher eingetretenen Umweltschäden wird mit fortschreitender Zeit immer kostspieliger. Die Verschmutzung der Elbe, die Versalzung der Werra durch den Kalibergbau sowie die Berliner Gewässerproblematik haben mittlerweile einen Gefährdungsgrad erreicht, der immer bedrohlicher wird. Deshalb ist es notwendig, daß sich die Weser-und Elb-Anrainer-Länder schnellstmöglich auf eine gemeinsame Konzeption verständigen. Auch die Ausbreitung der Folgen des sauren Regens auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze wie auch Auflagen zur Reinhaltung der Luft und der Grenzgewässer machen ein schnelles Handeln notwendig. Die Tatsache, daß nicht nur Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR für eine Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen eintreten, macht deutlich, daß man nicht bei einigen Regelungen auf dem Gebiet der Abwasser-und Abfallbeseitigung stehen bleiben darf.

Aber auch ohne die bestehenden Abkommen sind wichtige Vereinbarungen möglich geworden, dies zeigt sich sowohl an der z. Zt. noch in Hamburg zu sehenden „Schinkel-Ausstellung" wie auch an der bundesdeutschen Ausstellung „Stadt-Park — Park-Stadt" in der DDR.

Wer eine Bilanz zieht, muß aber auch einen Blick nach vorne wagen. Niemand in der Bundesrepublik kann sich darüber hinwegsetzen, daß die Präambel des Grundgesetzes den Handlungsrahmen bezeichnet, den es auch heute noch auszufüllen gilt. Die Aussage nämlich, wonach das deutsche Volk „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ dienen will, ist geradezu visionär. Die damit zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß die Väter der Verfassung aus der Erfahrung der beiden Weltkriege die politischen Konsequenzen gezogen haben, steht in direkter Verbindung zu der anderen Aussage der Präambel, daß das deutsche Volk aufgefordert ist, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".

Niemand ist folglich berechtigt, wenn von einem Vereinten Europa gesprochen wird, das dem Frieden der Welt dienen soll, in Berlin oder an der Oder-Neiße-Grenze Halt zu machen. Die in der Präambel ausgesprochene Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit ist folglich keine rückwärts gewandte „Reichsromantik", in welchen Grenzen auch immer, sondern hier wird die Einheit als ein erst in der Zukunft zu erreichendes europäisches Ziel nach langem Bewahren des Friedens definiert. Es geht folglich darum, die Teilung zu überwinden und damit langfristig diese heutige Grenze zwischen beiden deutschen Staaten gegenstandslos zu machen. Da die deutsche Geschichtsschreibung nicht im Jahre 1945 beginnt, kann im Zeichen einer fortschreitenden europäischen Union Europa nicht als Ersatz für eine nationale Eigenständigkeit angesehen werden. Deshalb ist es für die Perspektiven unserer Deutschlandpolitik von entscheidender Bedeutung, daß die Berechenbarkeit unserer Außenpolitik gerade auch unseren westlichen Freunden und Verbündeten zeigt, daß die Beschäftigung mit der deutschen Frage nicht Anlaß zu erneuter Beunruhigung sein muß. Wir müssen durch den Stil und die Argumente unserer Politik dafür sorgen, daß alte Vorurteile keine neue Nahrung erhalten.

Wenn von einer Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen in beiden deutschen Staaten zur Bewahrung des Friedens gesprochen wird — von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen —, hat dies nicht nur Bezug zur Vergangenheit, insbesondere zur Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges, sondern diese Verantwortung ist die Basis für eine Politik der Verständigung und des friedlichen Zusammenlebens und des Vertrauens in die gemeinsame deutsche Zukunft. Die geografische Lage der beiden deutschen Staaten im Herzen Europas und unsere geschichtliche Verantwortung bringen es mit sich, daß die Bundesrepublik ebenso wie die DDR innerhalb ihrer Bündnisse für die Kriegsverhinderung eine besondere Verantwortung tragen. Die Deutschen in beiden deutschen Staaten, und damit ihre Regierungen, können keine interessierten Zaungäste der Weltpolitik mehr sein, sondern sie sind verpflichtet, ihre Mit-verantwortung für die Bewahrung des Friedens nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten zu belegen. Die Übereinstimmung der elementaren Interessen der Menschen in beiden deutschen Staaten an der Bewahrung des Friedens kann von keiner Regierung unbeachtet bleiben. Mit derselben Ernsthaftigkeit, mit der Politiker in der Bundesrepublik die Friedensbewegung in der DDR und ihre Argumente beurteilen, mit derselben Ernsthaftigkeit müssen wir unseren Bürgern unsere Friedenspolitik erklären. Ein offener Dialog ist auch deshalb notwendig, weil damit zu rechnen ist, daß die Führung der DDR nichts un-versucht lassen wird, um ein Klima zu erzeugen, in dem eine Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses unmöglich wird. Es ist zu befürchten, daß eine ähnliche Kampagne geführt wird wie im Jahre 1955 bei der Gründung der Bundeswehr. Die Gemeinsamkeit des Kriegsrisikos muß politisch umgesetzt werden in eine Gemeinsamkeit der Gewährleistung militärischer Sicherheit und realistischer Maßnahmen zum Abbau der Spannungen. Die erstmals in der Nürnberger Wahl-plattform der FDP des Jahres 1969 aufgenommene Forderung nach einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz muß Verpflichtung dafür sein, die in der KSZE-Schlußakte fehlenden Teile über Abrüstung und Rüstungskontrolle durch eine aktive'Politik unsererseits zu ergänzen. Deshalb liegt es gerade in unserem Interesse, daß die KSZE-Nachfolgekonferenz ein Erfolg wird. Die innenpolitischen Entwicklungen in vielen Staaten des Ostblocks, das gilt sowohl für Polen als auch für die DDR, wären ohne die KSZE-Schlußakte überhaupt nicht denkbar.

Deshalb besteht gerade für einen aktiven Deutschlandpolitiker an der Fortsetzung des KSZE-Prozesses ein ganz besonderes Interesse. In Zeiten, in denen die Grenzen der eigenen Aktionsmöglichkeiten zunehmend enger geworden sind, muß in regelmäßigen Abständen eine Harmonisierung der Deutschlandpolitik mit dem Stand der internationalen Entspannungspolitik vorgenommen werden. Deshalb ist auch das Schreiben von Bundesaußenminister Genscher an seinen DDR-Kollegen Fischer von besonderer Bedeutung, einen intensiven Dialog zur Vorbereitung der Zweiten Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstungsfragen zu führen. Beide deutsche Staaten sollten innerhalb ihrer Bündnisse ihren ganzen Einfluß geltend machen, ein möglichst niedriges Niveau bei atomaren und konventionellen Waffen zu erreichen. Dies gilt auch für die Ächtung der Neutronenwaffen wie auch der chemischen Waffen.

Mit derselben Hartnäckigkeit, mit der wir im Bereich der Deutschlandpolitik bisher „dicke Bretter gebohrt" haben, mit derselben Hartnäckigkeit müssen wir uns aber auch heute noch immer mit der politischen Realität der DDR befassen. Ein Hinweis auf das Jahr 1968 ist wichtig, denn am 2. April gab Walter Scheel im Deutschen Bundestag zu bedenken, daß das Fehlen einer demokratischen Legitimation der DDR-Regierung eigentlich kein Grund sein könne, zu diesem Staat keine Beziehungen zu unterhalten. Auch sonst bestünden ja solche Beziehungen zu zahlreichen Staaten, die ebenfalls über eine derartige Legitimation nicht verfügten. Und er stellte die Frage, ob man denn etwa schlechte Beziehungen zur Ost-Berliner Regierung haben wolle, nur weil es eine deutsche Regierung sei.

Ich glaube, daß wir uns in Beantwortung dieser Frage noch immer schwertun, auch in politisch schwierigen Zeiten ohne Vorbedingungen im Dialog zu bleiben. Gerade in der heutigen Zeit darf man sich keine Illusion über die Tatsache machen, daß in dem Moment, in dem das Interesse der DDR-Führung an Beziehungen zur Bundesrepublik schwindet, auch die Bürger der DDR unter diesem politischen Umgang zu leiden haben. Spürbar hingegen sind schon heute in der DDR die Versorgungsengpässe in allen Bereichen. Dies gilt sowohl für ein ständiges und ausreichendes Energieangebot wie auch die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Es war und ist richtig, daß die millionenfach gezeigte private Hilfsbereitschaft der Bundesbürger durch Paketsendungen ein sichtbarer Ausdruck der Aussöhnung und Verständigung mit dem polnischen Volk ist. Ich gestehe aber offen, daß ich diese Spontaneität und Emotionalität in der gegebenen wirtschaftlichen Situation auch gegenüber den Menschen in der DDR erwünsche und erhoffe. Wenn es richtig ist, daß wir nicht mehr unverändert — so hatte es zumindest in der Vergangenheit den Anschein — fähig sind, das Prinzip „menschliche Erleichterungen gegen Bargeld" ohne Einschränkungen fortzusetzen, dann sind wir gefordert, mit dafür zu sorgen, daß sich die Stellung der DDR in Europa nicht nur in wirtschaftlicher, sondern vor allem auch in politischer Hinsicht normalisiert. Es kann ernstlich nicht bezweifelt werden, daß weitere Verbesserungen für die Menschen in der DDR nur dann erreichbar sind, wenn der Staat DDR und seine Führung, die gewiß nicht den Prinzipien unserer Demokratie, unserer Rechts-und Gesellschaftsordnung entsprechen, für uns politische Realität sind.

Ist es zu begründen, daß es noch immer keine Kontakte zwischen der Volkskammer und dem Bundestag gibt, um gemeinsam interessierende Fragen zu besprechen?

Ist es nicht notwendig, daß man sich — wie mit anderen Ministerpräsidenten und Staatschefs — zu regelmäßigen Konsultationen auf höchster Ebene trifft?

Ist es richtig, daß bei uns schon wieder Vorwände gesucht werden, warum hochstehende Persönlichkeiten an den Luther-Feierlichkeiten im nächsten Jahr in der DDR nicht teilnehmen können?

Ist es richtig, daß wir uns immer noch nicht mit der politischen Vorbereitung des Gegen-besuchs von Erich Honecker in der Bundesrepublik Deutschland befassen?

Ist es nur ein Lapsus linguae, daß man wieder von „die da drüben" spricht?

Ist es richtig, daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR vom zuständigen Minister erst zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages erstmals besucht wird?

Ich selber habe im November 1981 bei einer Reise mit vier FDP-Kollegen des innerdeutschen Ausschusses durch die DDR feststellen können, wie ungläubig das Staunen über einen Informationsbesuch des Vorsitzenden des in-B nerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages war. Es liegt folglich mit an uns, ob sich das Leben in der DDR gerade auch in politischer Hinsicht normalisiert oder nicht Die Führung der DDR weiß sehr genau, daß man mit uns über eine völkerrechtliche Anerkennung nicht diskutieren kann. Dies ist aber kein Argument gegen die Notwendigkeit, das geschaffene Netz der Verträge und Abmachungen zu füllen und zu stabilisieren. Wenn es richtig ist, daß die Deutschlandpolitik zur Erreichung der gemeinsam definierten Ziele einen langen Atem braucht, dann kann das Ziel unserer Politik nicht sein, eine Destabilisierung in der DDR zu erreichen. Unsere Antwort kann nur sein, daß wir in einem langfristig angelegten Wettbewerb der Systeme die Verwirklichung bürgerlicher, sozialer und politischer Rechte als den allein Erfolg versprechenden Weg in eine gemeinsame Zukunft ansehen. Ziel und Aufgabe ist es, die Situation der Menschen zu verbessern. Beide deutsche Staaten, die Menschen und die politischen Führungen können ihren Standort auch heute nur definieren, indem sie das Adjektiv „deutsch" für sich verwenden. Politik für die deutschen Menschen ist die Voraussetzung für Deutschlandpolitik.

Bei der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO erklärte der damalige Bundesminister des Auswärtigen, Walter Scheel: „Diesmal sind 28 Jahre seit Kriegsende verstrichen. Jetzt stehen zwei deutsche Außenminister vor den Delegierten. Hier zeigt sich das Schicksal meines Volkes: Ursprung und Opfer des Krieges, geteilt ohne eigenes Zutun, nun in zwei Staaten lebend und ungewiß einer gemeinsamen Zukunft. Verstehen Sie, warum wir zögern, den Schritt in die Vereinten Nationen zu tun? Es ist schmerzlich, der politischen Realität der Teilung des eigenen Landes ins Auge zu sehen. Wir befürchten, ein solcher Schritt könnte den Eindruck erwecken, als resignierten wir. Als hätten wir die Hoffnung auf Einheit aufgegeben. Wir machten uns Sorge, die Schranken zwischen den Menschen in Deutschland könnten durch die Mitgliedschaft beider Teile noch höher werden. Jetzt haben wir einen neuen Ausgangspunkt. Die beiden Staaten haben ihre Beziehungen zueinander durch den Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 geregelt Unser Ziel bleibt klar: Die Bundesrepublik Deutschland wird weiter auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem das deutsche Volk seine Einheit in freier Selbstbestimmung wiedererlangt."

In diesem Sinne muß eine Deutschlandpolitik betrieben werden, die konsequent auf den bisherigen Fundamenten aufbaut und damit zur Sicherung des Friedens beiträgt. Nur so kann gewährleistet werden, daß die insgesamt positive Bilanz unserer Deutschlandpolitik durch die mit der DDR getroffenen Verträge und Vereinbarungen für die Menschen in beiden deutschen Staaten auch weiterhin erlebbar bleibt. Es sind noch viele Realitäten im deutsch-deutschen Verhältnis zu ändern. Eine Politik, die das will, muß von den heutigen Realitäten ausgehen.

Fussnoten

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Uwe Ronneburger, MdB, geb. 1920; 1960— 1978 Mitglied der Kirchenleitung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holstein und der Landes-synode; seit 1972 Mitglied der Synode der EKD; ab 1976 stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP; 1975— 1980 Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag; z. Z. Vorsitzender des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen im Deutschen Bundestag.