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Kommunistische Bündnispolitik in Europa Historische Erfahrungen — politische Konsequenzen | APuZ 48/1982 | bpb.de

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APuZ 48/1982 Die Generallinie der KPD 1929— 1933 Kommunistische Bündnispolitik in Europa Historische Erfahrungen — politische Konsequenzen Eurokommunismus in der Krise

Kommunistische Bündnispolitik in Europa Historische Erfahrungen — politische Konsequenzen

Lucas Heumann

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Er werden die verschiedenen ideologischen, historischen und politischen Aspekte der kommunistischen Bündnispolitik in Europa dargestellt. Ausgangspunkt ist dabei die Funktion der Bündnispolitik im Rahmen der kommunistischen Ideologie. Unter Hinweis auf das ideologische Gesamtkonzept des historischen Materialismus wird beschrieben, warum Bündnispolitik für kommunistische Parteien immer nur ein Instrument zur Erlangung der politischen Macht sein kann und sein muß. Dabei versteht die kommunistische Ideologie unter Bündnispolitik ein festumrissenes System von Strategien, um die unterschiedlichsten politischen Kräfte zu einem Zusammenwirken mit der kommunistischen Partei zu bewegen. Im zweiten Abschnitt werden die verschiedenen Erscheinungsformen einer so verstandenen Bündnispolitik untersucht: die Aktionseinheit, die Volksfront und die Einheitsfront. Die Aktionseinheit hat lediglich kurzfristige Zielsetzungen, während sich die Volksfront im wesentlichen als ein Defensivbündnis unter Einschluß bürgerlicher Kräfte darstellt, um einen gemeinsamen Gegner abzuwehren. Die Einheitsfront schließlich wird als unmittelbare Vorstufe zur Errichtung der „Diktatur des Proletariats“ verstanden. Im dritten, historisch angelegten Abschnitt wird aufgezeigt, wie die verschiedenen Formen der ßündnispolitik in der historischen Wirklichkeit realisiert worden sind. Beispielhaft werden die Entwicklungen in Frankreich in den dreißiger Jahren und in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg geschildert. Im vierten und letzten Abschnitt wird dargestellt, welche Konsequenzen diese historische Erfahrung mit der kommunistischen Bündnispolitik für die gegenwärtige europäische Linke hat. Die Illoyalität kommunistischer Parteien gegenüber Bündnispartnern und der systematische Versuch, kurzzeitige Partner unter Einsatz massiver Druckmittel letztlich auszuschalten, haben vor allem in Westeuropa zu einer Spaltung der europäischen Linken geführt. Auf der Parteienebene ist diese Spaltung in allen westeuropäischen Staaten endgültig vollzogen worden; auf der gewerkschaftlichen Ebene dagegen gelang es, durch die Selbstbeschränkung auf wirtschafts-und sozialpolitische Fragen in einigen Ländern eine Einheit der Linken nach dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen.

I. Einleitung

Bündnispolitik ist nach dem Verständnis des modernen Kommunismus sowjetischer Prägung das „Bestreben einer Klasse der Gesellschaft, sich zur Durchsetzung ihrer Ziele mit anderen Klassen und Schichten zu verbünden" -

Ziel dieser kommunistischen Bündnispolitik ist es dabei — in Übereinstimmung mit den im Lehrgebäude des historischen Materialismus wiedergegebenen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten —, durch einen revolutionären Prozeß den Spätkapitalismus der westlichen Welt in eine Diktatur des Proletariats umzuwandeln. Dabei kommt der kommunistischen Partei eine entscheidende Rolle zu: Als „Partei neuen Typus" soll sie die Avantgarde der erst in der Entfaltung stehenden und noch nicht zum klaren Bewußtsein ihrer revolutionären Aufgabe gelangten Arbeiterklasse bilden

Dieser Anspruch als Avantgarde des Proletariats befähigt die kommunistische Partei auch, sich über die fehlende Legitimation durch die Bevölkerung hinwegzusetzen. Insofern bildet nicht die Zustimmung durch die Massen, sondern der eigene gesetzmäßige Auftrag die Legitimation des eigenen Handelns Bündnispolitik wird so zum taktischen Instrument zur Erfüllung eines gesetzmäßigen Auftrages. In Anbetracht dieses genannten gesetzmäßigen Auftrages der kommunistischen Partei versteht es sich beinahe von selbst, daß sie auch im Rahmen von Bündnissen mit anderen Parteien nicht bereit ist und nicht bereit sein kann, den eigenen Führungsanspruch als Avantgarde des Proletariats aufzugeben: „Die Bündnispolitik der Arbeiterklasse unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei schließt ebenfalls das Zusammenwirken von Marxisten und Angehörigen anderer Weltanschauung, die Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien und Massenorganisationen ein." Im politischen Alltag stellt daher jeder scheinbare Verzicht auf Führungspositionen innerhalb eines Bündnisses nur ein Verzicht auf Zeit, nicht aber einen dauernden Verzicht auf das eigene Selbstverständnis als Avantgarde dar.

Dies gilt besonders unter den Bedingungen einer in militärische und politische Blöcke aufgeteilten Welt. Die Gefahr eines Atomkrieges macht es nämlich unmöglich, den revolutionären Prozeß in Westeuropa mit militärischen Mitteln voranzutreiben. Um so höher ist dann die Bedeutung politischer Bündnisse, die es erlauben, gewissermaßen auf legalem, nicht revolutionärem Weg an die Macht zu gelangen.

II. Aktionseinheit, Volksfront, Einheitsfront — Varianten kommunistischer Bündnispolitik

Die politische Diskussion über die Bündnispolitik kommunistischer Parteien wird in der Bundesrepublik im wesentlichen mit Schlagworten geführt. Dabei beherrschen im wesentlichen die Begriffe Aktionseinheit, Volksfront und Einheitsfront die Debatte. Bei näherer Betrachtung stellt man allerdings allzu häufig fest, daß Unklarheit über den eigentlichen Inhalt dieser Begriffe besteht, obwohl Aktionseinheit, Volksfront und Einheitsfront drei fest umrissene Varianten kommunistischer Bündnispolitik bezeichnen. So ist die Aktionseinheit das „Zusammenwirken verschiedener Arbeiterorganisationen (Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften o. a.) zur Verwirklichung der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, unabhängig von unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Auffassungen ihrer Mitglieder"

Dieses Zusammenwirken realisiert sich jedoch immer nur in bezug auf eine einzelne politische Frage. Die Aktionseinheit ist damit kein dauerhaftes Bündnis, sondern nur ein momentanes, das in kürzester Zeit zerfallen kann, sobald es um eine politische Frage geht, wo zwischen den Mitgliedern dieser Aktionseinheit keine Einigung zu erzielen ist. Aktionseinheiten finden sich in der Bundesrepublik heute z. B. an den Hochschulen; dort vereinbaren Studentenorganisationen ein gemeinsames Vorgehen, um Kürzungen der Förderungssätze und der Elternfreibeträge im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes abzuwenden. Zu Aktionseinheiten können auch die Bemühungen sozialistischer, ökologischer, christlicher und sonstiger Gruppierungen im Rahmen der Friedensbewegung von Kommunisten benutzt werden, um die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses zu verhindern.

Im Rahmen einer jeden Aktionseinheit tritt dabei die Notwendigkeit auf, eine Einigung in den entscheidenden inhaltlichen und formalen Fragen zu erzielen. Aktionseinheit bedeutet daher gleichzeitig die Notwendigkeit zum Kompromiß: So stellt die Politik der Aktionseinheit nach den Bekundungen der halboffiziellen Lehrbücher der SED in der DDR „stets die gemeinsamen Interessen der Arbeiter und den Gegensatz zum Hauptfeind in den Vordergrund. Sie nutzt alle Möglichkeiten, für diese Interessen das gemeinsame Handeln aller Arbeiter gegen den Klassenfeind zu entwickeln. Eine solche Politik schließt notwendigerweise politische Kompromisse ein, denen jedoch die Interessen der Werktätigen in ihrer Bewußtseinsentwicklung nicht widersprechen dürfen"

Bei aller Kompromißfähigkeit darf allerdings das Ziel, die Führungsrolle in der Aktionseinheit zu erreichen, nicht aus den Augen verloren werden. So müssen Marxisten-Leninisten nach den Worten Lenins „die größte Treue zu den Ideen des Kommunismus mit der Fähigkeit vereinigen, alle notwendigen praktischen Kompromisse einzusehen, zu lavieren, zu paktieren, im Zickzack vorzugehen, Rückzüge anzutreten und Ähnliches mehr ... damit das Proletariat durch einen geschlossenen Angriff sie alle schlägt und die politische Macht erobert"

Aktionseinheit ist damit bei aller Kompromißfähigkeit nur eine taktische Variante einer langfristig angesetzten Bündnispolitik. Sie bedeutet nicht die Bereitschaft, eigene Positionen zu überdenken, sie den Vorstellungen der anderen Partner der Aktionseinheit anzupassen oder gar eigene Ziele endgültig aufzugeben, sondern ist nur ein vorläufiges Instrument, um langfristig den eigenen hegemonialen Anspruch durchzusetzen. Sie beruht auf der Erkenntnis, allein nicht in der Lage zu sein, die politische Macht zu erobern: „Die Politik der Aktionseinheit geht von der Erkenntnis aus, daß gemeinsame Aktionen der Arbeiter die Bedingungen dafür sind, daß die Arbeiterklasse als politische Kraft wirken und Veränderungen in ihrem Interesse und im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts herbeiführen kann; sie sind notwendig, damit sich Bewußtsein und Kampfkraft der Arbeiterklasse erhöhen."

Die nächste Stufe kommunistischer Bündnispolitik wird allgemein durch den Begriff Volksfront gekennzeichnet. Sie soll sich aus der Aktionseinheit ergeben und stellt im Ergebnis eine „einheitliche Front aller demokratischen Kräfte des Volkes im Kampf gegen den Imperialismus, für Frieden, Demokratie und Sozialismus dar.

Die Theorie der Volksfront wurde ideologisch im Jahre 1935 auf dem 7. und letzten Kongreß der Komintern ratifiziert. Dieser Kongreß kam erst nach mehrmaligen Terminverschiebungen zustande und fand schließlich in einer vierwöchigen Klausurtagung vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 statt.

Die Theorie der Volksfront ist personell verbunden mit dem Namen des damaligen Kominternchefs, des bulgarischen kommunistischen Führers Dimitroff. Sie bedeutet die Öffnung der kommunistischen Internationale zu sozialdemokratischen, ja bürgerlichen Kräften mit dem Ziel, den gemeinsamen Feind Faschismus zu besiegen. Die Theorie der Volksfront ist nicht zu verstehen, ohne den Hinter-grund der geschichtlichen Verhältnisse in den dreißiger Jahren. Damals entwickelte sich in mehreren europäischen Staaten eine breite faschistische Bewegung; in Italien war Mussolini bereits seit 1925 Regierungschef; in Deutschland deutete sich schon Anfang der dreißiger Jahre die Machtergreifung Hitlers an; Frankreich erlebte einen Bürgerkrieg, der die Folge einer tiefen Krise der bürgerlichen und parlamentarischen Institutionen war-, in Spanien schließlich stand der Bürgerkrieg bevor, der schließlich zum Sieg des Franco-Regimes führte. Vor diesem Hintergrund erkannten auch die internationalen Führer des Kommunismus, daß die bis dahin betriebene isolationistische Politik keine reale Siegeschance haben würde. Man entschloß sich daher zu einer taktischen Wende, zu einem politischen Bündnis mit bürgerlichen Kräften unter Zurückstellung der eigenen ideologischen Positionen. Dieses neue Credo der Volksfronttaktik hat der Kominternchef Dimitroff in seiner Rede auf dem 7. Kongreß der Komintern wie folgt beschrieben: „Gegenwärtig haben die ... Massen nicht zwischen proletarischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie, sondern zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus" zu wählen.

In der Praxis wurde diese neue Variante kommunistischer Bündnispolitik zum ersten Mal am 14. Juli 1935 in Frankreich erprobt. In Paris war es an diesem Tag zu riesigen Demonstrationen gekommen, die von der kommunistischen, der sozialistischen sowie anderen bürgerlichen Parteien gemeinsam getragen wurden. Hauptziel dieser ersten Volksfront war die Erhaltung des demokratischen Systems gegen den wachsenden gewaltsamen Terror der faschistischen Ligen.

Die Volksfront unterscheidet sich also von der klassischen Aktionseinheit in zwei Punkten:

1. Während die Aktionseinheit nur ein kurzfristiges politisches Ziel verfolgt, ist die Volksfront ein auf längere Zeit angelegtes Bündnis mit zeitlich mittelfristigen Zielsetzungen. Die Aktionseinheit verfolgt eine politische Einzellrage, die Volksfront dagegen eine gesellschaftliche Gesamtentwicklung. Die Niederschlagung des Kapp-Putsches in Deutschland 1920 war also das Ergebnis einer Aktionseinheit, das zur Abwehr des Faschismus in Europa in mehreren europäischen Staaten eingegangene Bündnis von sozialistischen und* kommunistischen Parteien in den dreißiger Jahren dagegen eine Volksfront.

2. Die Aktionseinheit ist immer ein Bündnis verschiedener Arbeiterorganisationen, während die Volksfront bewußt auch bürgerliche politische Kräfte einschließt. Der Hintergrund dieser Differenzierung ist die Gesamtausrichtung von Aktionseinheit und Volksfront in taktischer Hinsicht. Die Aktionseinheit ist eine offensive Variante kommunistischer Bündnispolitik: Es geht um die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse, um die Durchsetzung bestimmter eigener Ziele. Die Volksfront dagegen war historisch eine defensive politische Taktik: Sie zielte nicht auf die Durchsetzung eigener positiver politischer Ziele, sondern auf die Abwehr eines gemeinsamen Feindes, der faschistischen Bewegung in Europa. Ober die Abwehr einer Rechtsdiktatur kann aber auch zwischen kommunistischen und bürgerlichen Organisationen Einigkeit erzielt werden; bei der Frage nach der Herstellung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung bestehen jedoch allenfalls zwischen sozialistischen und kommunistischen Parteien Berührungspunkte, ein Bündnis mit bürgerlichen Kräften in einer derartigen Frage wäre aussichtslos.

Die dritte Variante kommunistischer Bündnispolitik ist die Einheitsfront. Mit Aktionseinheit und Volksfront hat die Einheitsfront im Ergebnis sehr wenig zu tun. Im Unterschied zu den beiden ersten Varianten kommunistischer Bündnispolitik ist die Einheitsfront kein auf Zeit angelegtes Bündnis, sondern ein auf Dauer eingegangener politischer Zusammenschluß aller Arbeiterorganisationen. Ein Prototyp für Theorie und Praxis dieser dritten Variante kommunistischer Bündnispolitik ist die Entwicklung des Parteienwesens in der DDR nach 1945.

Mit Hilfe verbaler Bekenntnisse zu Demokratie und Parlamentarismus und mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht wurde dort eine zwangsweise Vereinigung von SPD und KPD bewirkt, die nach ihrem Vollzug in wenigen Jahren zur praktischen Einflußlosigkeit von Sozialdemokraten in der DDR geführt hat.

Hier bewahrheitet sich erneut die Erkenntnis, daß Bündnisse von Kommunisten nicht auf der Basis von Partnerschaft und Gleichberechtigung eingegangen werden, sondern nur ein vorläufiger Schritt sind auf dem Weg zur Ausschaltung sämtlicher politischer Gegner und zur eigenen Machtübernahme. Oder, um mit Lenin zu sprechen: „Wenn man es nicht versteht, sich anzupassen, wenn man nicht gewillt ist, auf dem Bauch durch den Schmutz zu kriechen, dann ist man kein Revolutionär, sondern ein Schwätzer, denn so vorzugehen, schlage ich nicht deshalb vor, weil mir das gefällt, sondern weil es keinen anderen Weg gibt."

Und welches Ziel auf diesem Weg erreicht werden soll, hat am deutlichsten Stalin in einer Schrift üoer Fragen des Leninismus wie folgt beschrieben: „Die Partei der Kommunisten teilt die Führung nicht mit anderen Parteien und kann sie nicht teilen."

Dieser ungeteilte Machtanspruch wird auch von sozialdemokratischer Seite mit Kritik belegt: So heißt es in einer Broschüre der SPD „Zu diesem Zweck (der Herstellung der Diktatur des Proletariats, d. Verfasser) haben die Kommunisten bisher überall, wo sie zur Mach) kamen, die Diktatur ihrer Partei errichtet, die sie als die wahre Demokratie, die der Werktätigen ausgeben: Sie haben jede Opposition unterdrückt, einschließlich der Opposition aus den Reihen der Arbeiterklasse, und die Freiheit der Parteibildung beseitigt, die Gewerkschaften und alle anderen Interessenvertretungen gleichgeschaltet und die Koalitionsfreiheit beseitigt, alle kritische Meinungsbildung und Meinungsäußerungen mit schweren Strafen bedroht, und die Informations-und Diskussionsfreiheit beseitigt."

III. Historische Erfahrungen kommunistischer Bündnisstrategie

1. Frankreich Zu Beginn der dreißiger Jahre befand sich Frankreich in einer tiefgreifenden ökonomischen Krise. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Verfall der Reallöhne, stagnierende Produktion und insbesondere steigende Lebenshaltungskosten kennzeichneten in diesen Jahren Wirtschafts-und Sozialgefüge Frankreichs Gleichzeitig waren die Erzeugerpreise z. B. für Weizen und Wein zwischen 1932 und 1936 bis zu 25 % gefallen, was die in starkem Maße von der Landwirtschaft abhängige französische Bevölkerung besonders hart traf

Diese wirtschaftliche Situation hatte das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierungsfähigkeit der bürgerlichen Parteien erschüttert. So folgte in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre eine Regierungskrise der anderen; zwischen 1932 und 1934 lösten fünf Regierungen einander ab

Das gestörte Vertrauen der Bevölkerung zu den bürgerlichen Parteien hatte gleichzeitig die Gründung faschistischer Protestbewegungen ausgelöst, wie etwa des Verbands der Frontkämpfer „Croix de Feu" des Obersten Casimir de la Rocque oder der royalistischen „Action Francaise“ von Charles Maurras oder der „Solidaritö Francaise". Die insgesamt sieben Bünde, die nach dem Sturz der Demokratie trachteten, vereinigten viele Anhänger, das „Croix de Feu" allein nach eigenen Angaben 712 000, die „Action Francaise" 60 000, die „Solidarit Francaise“ 180 000

Auf der Linken standen hingegen zwei untereinander heillos zerstrittene Parteien machtlos der ökonomischen Krise und der erstarkten faschistischen Bewegung gegenüber. Die sozialistische SFIO unter Leon Blum hatte in der CGT einen starken gewerkschaftlichen Partner und rekrutierte ihre Anhängerschaft vornehmlich aus dem Kreise der Beamten und Staatsangestellten. Die SFIO steckte jedoch in einer tiefen innerparteilichen Krise. Höhepunkt dieser Krise war der Pariser Parteitag im Juli 1933 gewesen, auf dem zwei kontrastierende Flügel einander begegnet waren. Streit-objekt war dabei das parlamentarische Verhalten der SFIO-Fraktion in der französischen Kammer. Die Mehrheit der SFIO vertrat weiterhin den auf dem Parteitag von Avignon im April 1933 gefaßten Beschluß, der die sozialistischen Abgeordneten zu einem starren Oppositionskurs verpflichtete. Eine Gruppe von Abgeordneten um den sozialistischen Bürgermeister von Bordeaux, Pierre Ranaudel, hatte sich diesem Beschluß widersetzt und für den Haushalt der Regierung Daladier gestimmt, um deren Sturz zu vermeiden. Auf dem Pariser Parteitag nun verurteilte eine überwältigende Mehrheit von Delegierten den Disziplinbruch dieser Gruppe in einer umstrittenen Abstimmung, worauf diese die SFIO verließt und sich als eigene Partei unter dem Namen „Parti Socialiste de France — Union Jean Jaurs" konstituierte. 28 Abgeordnete und etwa 20 000 der 140 000 Mitglieder schlossen sich ihr an Auf der anderen Seite stand eine schwache kommunistische Partei, die 1933 mit nur noch 28 000 Mitgliedern ihren bisherigen Tiefstand erreichte, aber dennoch an der verhängnisvollen Politik der „Dritten Periode" festhielt. Diese Politik war 1928 auf dem 6. Kongreß der Komintern eingeleitet worden. Sie verkündete nach der ersten Periode der Nachkriegsphase und der zweiten Periode der kapitalistischen Stabilisierung zwischen 1924 und 1928 die „dritte Periode des revolutionären Kampfes“, die den Kampf „Klasse gegen Klasse" realisieren sollte.

„Klasse gegen Klasse" bedeutete dabei, daß nur die kommunistische Partei legitime Vertreterin des Proletariats war, während alle anderen politischen Gruppierungen zu offenen oder getarnten Agenten der Bourgeoisie erklärt wurden. Dies galt auch für die Sozialisten, die als Sozialfaschisten verketzert wurden und daher wie eine feindliche Klasse zu bekämpfen waren Faktisch hatte aber diese Taktik die KPF zu einer Splitterpartei gemacht, deren Mitgliederstand zwischen 1921 und 1933 von 110 000 auf ganze 28 000 gesunken war

Ein Umschwenken wurde durch eine gewaltige Demonstration der faschistischen Ligen am 6. Februar 1934 eingeleitet: Zu dieser Demonstration war es infolge eines Finanzskandals, des sogenannten Stawinsky-Skandals, gekommen, in den eine Reihe von Abgeordneten und Ministern verstrickt waren. Dieser Finanzskandal erzwang Ende Januar 1934 den Rücktritt der Regierung Chautemps. Der mit der Regierungsbildung betraute Eduard Daladier beabsichtigte am 6. Februar 1934 in der Kammer die Vertrauensfrage zu stellen. Die Rechte antwortete auf diese Ereignisse mit einer riesigen Demonstration, bei der es zu Gewalttätigkeiten und — am Abend des 6. Februar 1934 — zu einem versuchten Sturm auf das Palais Bourbon kam Am darauffolgenden Tag demissionierte Daladier; Ministerpräsident wurde — mit Unterstützung der Rechten — Gaston Doumergue, der eine Regierung der nationalen Union bildete.

Die sozialistische Partei empfand diese Ereignisse als Provokation und als Ansatz einer ernsten faschistischen Gefahr in Frankreich; sie beschloß daher Gegenmaßnahmen. Auf Initiative der sozialistischen Gewerkschaft CGT fand eine Konferenz statt, an der Vertreter der sozialistischen sowie der kommunistischen Partei und der kommunistischen Gewerkschaft CGUT teilnahmen. Daß die Kommunisten überhaupt an dieser Konferenz teilnahmen, war schon eine Überraschung; denn kurz zuvor hatte es noch in ihrem Zentral-organ „L’Humanit 6" geheißen: „Man kann nicht gegen den Faschismus kämpfen ohne gegen die Sozialdemokraten zu kämpfen" Auf der Konferenz kam es jedoch zu keiner Einigung: Die Sozialisten planten Protestaktionen für den 12. Februar, die Kommunisten für den 9. Februar. Die kommunistische Aktion wurde von der Regierung verboten; als sie trotzdem stattfand, wurde sie zu einer blutigen Auseinandersetzung mit der Polizei.

Nun ergab sich für die Kommunisten aber die Frage, wie sie sich zur Massendemonstration von SFIO und CGT am 12. Februar verhalten sollte. Gemäß den Weisungen der kommunistischen Internationale war es ihr nicht erlaubt, in aller Form eine Aktionsgemeinschaft mit den Sozialdemokraten einzugehen. Noch am Vorabend der Massendemonstration erklärte die „L'Humanit": „Die Arbeiterklasse wird mit Ekel die sozialistischen Führer zurückweisen, die zynisch und frech die Arbeiter in den Kampf gegen den Faschismus mit dem Gesang der Marseillaise und der Internationale hineinzuzerren versuchen." Jedoch die Mehrheit der Partei fühlte, daß die kommunistische Partei sich nicht von einer Massenaktion der französischen Arbeiter ausschließen konnte, auch wenn sie von Sozialdemokraten organisiert worden war. Und so beschloß die Parteileitung noch in der Nacht vom 11. auf den 12. Februar, ihre Anhänger aufzufordern, gleichfalls am 12. Februar zu demonstrieren. Der Aufruf zum Generalstreik fand in ganz Frankreich Gehör. Allein in Paris streikte eine Million Arbeiter, Staatsbeamte, Lehrer und Postbeamte; die Massen hatten sich zu einem riesigen Zug zusammengefunden und waren durch die Straßen der französischen Hauptstadt marschiert

Aber obwohl Sozialisten und Kommunisten am 12. Februar in aller Eintracht gemeinsam demonstriert hatten, bewirkte dieses Ereignis keineswegs eine Änderung in der Haltung der kommunistischen Parteileitung zur sozialistischen Partei. Auch nach diesem Ereignis erklärte sie weiterhin, daß sich am Kampf der Kommunisten gegen die „Sozialfaschisten" als Form des Kampfes von „Klasse gegen Klasse" nichts geändert hätte: „Auf der Straße und den Plätzen unseres Landes stehen einander nicht drei Kräfte gegenüber, wie die Sozialfaschisten vorgeben, sondern zwei Klassen ... unser antifaschistischer Kampf schließt keine Verteidigung der bürgerlichen Demokratie in sich; die Demokratie ist das Treibhaus des Faschismus.“ Und das Zentralkomitee der kommunistischen Partei erklärte offen: „(Die SFIO) ist die Hauptstütze der Bourgeoisie in ihrem Bestreben, ein faschistisches Regime zu schaffen."

Eine Wendung der kommunistischen Taktik konnte offensichtlich aufgrund der Hierarchie des internationalen Kommunismus nur durch die kommunistische Internationale kommen. Diese beharrte jedoch zunächst auf dem vom 6. Komintern-Kongreß im Jahre 1928 deklarierten Kurs „Klasse gegen Klasse“. Diese Linie war in der KPF jedoch nicht unumstritten; der prominenteste Vertreter einer sozialistisch-kommunistischen Einheit war der Bürgermeister von St. Denis, einer kommunistischen Hochburg in einem Arbeitervorort von Paris, Doriot. Nach einer erneuten Festlegung der KPF auf die Taktik „Klasse gegen Klasse" rebellierte Doriot öffentlich, indem er als Bürgermeister zurücktrat und mit Vertretern der SFIO einen Pakt über eine sozialdemokratisch-kommunistische Aktionseinheit unterzeichnete. Die Folge war zwangsläufig: Er wurde mit folgender Begründung aus der KPF ausgeschlossen: „Das Verbrechen des Genossen Doriot besteht in seiner schimpflichen Allianz mit den ewigen Spaltern der Arbeiterklasse und in seinem Versuch, die KP zu spalten, die Vorkämpferin und Organisatorin der Einheit der Arbeiterklasse." Einen Monat später jedoch machte die französische KP eine Kehrtwendung um 180 Grad, die — wie sie der Sozialistenführer Leon Blum beschrieb — „den Charakter einer riesigen Verwandlungsszene auf dem Theater trägt, bei der man einigermaßen mit vor Staunen offenen Munde dasitzt" Diese Kehrtwendung vollzog die KPF auf einer Konferenz in Ivry vom 23. bis 26. Juni 1934, die den einzigen Tagesordnungspunkt „Die Organisation der antifaschistischen Einheitsfront“ hatte.

Während dieser Konferenz trafen bei der französischen KP detaillierte Instruktionen der Komintern ein. Diese Instruktionen sahen gemeinsame Aktionen von Sozialdemokraten und Kommunisten vor: Mobilisierung der gesamten Bevölkerung gegen den Faschismus und seine Organisationen, Kampagnen gegen die Notverordnungen der Regierung, gegen den Hitler-Terror und für die Befreiung Thälmanns und anderer inhaftierter Antifaschisten. Die Kommunistische Partei Frankreichs fügte sich diesen Instruktionen und erklärte durch ihren Vorsitzenden Thorez in dem Schlußbericht an die Delegierten des Kongresses: „Nun, wir Kommunisten bekräftigen, daß es im Interesse des revolutionären Proletariats liegt, die Verteidigung der demokratischen Freiheiten anzuerkennen ... Sie wollen verhindern, daß die Kommunalbeamten, die Staatsbeamten, die Mittelklassen — Kleinhändler und Handwerker — und die Masse der arbeitenden Bauern vom Faschismus gewonnen werden."

Durch diese Einbeziehung der Mittelschichten für den Kampf um die Erhaltung der Demokratie und gegen den Faschismus war aber das gedankliche Fundament der Volksfront gelegt. Am 27. Juli wurde der Pakt zwischen der kommunistischen und der sozialistischen Partei unterzeichnet. Er sah im wesentlichen gemeinsame Aktionen für jene Ziele vor, die in dem Vorschlag der kommunistischen Internationale unterbreitet worden waren.

Bei den im Frühjahr 1935 folgenden Kommunalwahlen stellte sich das Bündnis von Sozialisten und Kommunisten zum ersten Mal dem Wähler. Man war übereingekommen, daß die Kandidaten der Sozialisten und Kommunisten ihre Kandidatur jeweils zugunsten des aussichtsreichsten Bewerbers wechselseitig zurückziehen sollten — eine Praxis des Wahlbündnisses, die von Kommunisten und Sozialisten in Frankreich bis heute fortgesetzt wird. Im Juni 1935 bekräftigten die Sozialisten auf ihrem Kongreß in Mühlhausen das Bündnis mit den Kommunisten. Zugleich erklärte der Kongreß auch seine Offenheit für ein Bündnis mit der dritten Partei der Volksfront, den Radikalsozialisten. Dies geschah jedoch nicht ohne Bedenken, da sich die SFIO erst zwei Jahre vorher über das Prinzip der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien gespalten hatte.

Die Resolution des von Leon Blum geführten Zentrums der SFIO, die sich mit deutlicher Mehrheit gegen einen ungleich positiveren Resolutionsentwurf durchsetzte, erklärte unverbindlich, die Sozialistische Partei würde der Unterstützung einer antifaschistischen Front der republikanischen Parteien des Bürgertums „von vornherein keine Grenzen setzen”

Faktisch war dies bereits die Geburtsstunde der Volksfront. Gefeiert wurde sie auf einer gemeinsamen Kundgebung am 14. Juli 1935 in Paris. Der Aufruf zu dieser Kundgebung war von den Parteien und Organisationen der gesamten Linken Frankreichs ergangen, darunter den Sozialisten, Kommunisten und Radikalsozialisten. Die Kundgebung wurde durch eine Riesenversammlung von 10 000 Delegierten in Vertretung von 69 Organisationen und Gruppen eingeleitet. Dabei wurde ein Manifest verlesen, das in folgendem Eid ausklang: „Wir, gewählte Vertreter und Teilnehmer an der Versammlung des Volkes am 14. Juli, von dem gemeinsamen Willen beseelt, den Arbeitern Brot, der Jugend Arbeit und der Welt den Frieden zu geben, wir schwören feierlich, gemeinsam zu handeln, für die Entwaffnung und Auflösung der faschistischen Ligen, für die Verteidigung und Erweiterung der demokratischen Freiheiten, für einen gesicherten Frieden der Welt.“ Dann bewegte sich mit entrollten roten Fahnen und der Trikolore zum Gesang der Marseillaise und der Internationale ein Zug von einer halben Million, an der Spitze die drei Parteivorsitzenden Daladier, Blum und Thorez, durch die Straßen von Paris bis zum Place de la Rpublique, wo nach Ansprachen der drei Führer der Volksfront und der Verlesung des Eides die Massen, die den Platz füllten, den Schwur leisteten.

Mit dieser Kundgebung hatte sich die Volksfront konstituiert. Im Januar 1936 schlossen die drei Parteien ein Abkommen über ihre gegenseitige Unterstützung im zweiten Wahlgang und einigten sich auf ein gemeinsames Programm mit dem sie Ende April in den Wahlkampf zogen.

Die Wahl endete mit einem deutlichen Sieg des Linksbündnisses. Die Sozialisten stabilisierten mit 20 % ihren Stimmenanteil von 1932 und wurden damit unerwartet zur stärksten Partei des Landes. Die Radikalsozialisten erlitten dagegen beträchtliche Einbußen und mußten sich mit 19, 5 % zufriedengeben. Die Kommunisten waren aber die großen Gewinner der Wahl: Sie verdoppelten ihre Stimmen auf 15 % und schickten damit statt bisher 10 nunmehr 72 Abgeordnete ins Parlament. Der Sieg der Volksfront löste eine Welle von Demonstrationen aus. Noch bevor die erfolgreichen Parteien eine neue Regierung bilden konnten, organisierten die Gewerkschaften die gewaltigste Streikbewegung, die Frankreich je gesehen hatte. Eine in einigen Betrieben begonnene Welle von Sitzstreiks griff schnell auf andere Betriebe über und nahm Ende Mai 1936 lawinenartige Ausmaße an; die Revolution schien vor der Tür zu stehen.

In dieser explosiven Situation wurde Blum zur vorzeitigen Regierungsübernahme gedrängt. Die Kommunisten fanden sich allerdings nicht bereit, in die Regierung einzutreten, unterstützten aber parlamentarisch die Volksfront-regierung unter Führung von Blum. Dieser kündigte im Radio die unverzügliche Einführung der von ihm im Wahlkampf versprochenen Reformen an. Die Unternehmerschaft sah in dieser Situation keine andere Chance, als voll auf die sozialistische Partei und deren Vorsitzenden zu setzen. Sie sagten ihm die umgehende Erfüllung sämtlicher sozialistischer Forderungen zu, wenn es ihm nur gelinge, der Streikbewegung ein Ende zu setzen. So kam es am 8. Juli zu dem berühmten, nach dem Regierungssitz benannten Matignon-Abkommen. Es garantierte, über die versprochenen Reformen hinaus, eine Lohnerhöhung von 7 bis 15%, das Recht der Belegschaft auf die Wahl von Betriebsräten und die Zusage der Unternehmer, die Streikenden nicht zu bestrafen Nach dieser anfänglichen Aufbruchsstimmung deutete sich jedoch schon bald der Zusammenbruch der Volksfront an. Ursache waren die steigenden und von der Volksfrontregierung nicht zu bewältigenden wirtschaftlichen Probleme. So kam es zu einer alarmierenden Kapitalflucht; die Preise stiegen weiter; eine Ende September beschlossene Abwertung des Franc brachte eine gerade für Arbeiter und kleinbürgerliche Schichten empfindliche Schmelzung ihrer Rücklagen. An den daraus resultierenden unvermeidlichen Konflikten zerrieb sich die französische Volksfront letztlich. Am 13. Februar 1937 erklärte Blum, es sei Zeit für eine Pause, d. h. einen befristeten Verzicht auf Lohnerhöhungen; denn die Wirtschaft sei erschöpft und müsse sich erholen Die kommunistische Partei stimmte diesen Plänen nur widerwillig zu, was allerdings für die Regierung nur eine Galgenfrist bedeutete. Am 10. Juni 1937 forderte Blum finanzielle Vollmachten zur Bewältigung der Krise. Das Parlament billigte die Vollmachten mit seiner Volksfrontmehrheit, der Senat allerdings lehnte ab. Die Regierung Blum trat daraufhin am 22. Juni 1937 zurück.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1937 kam es dann zu drei weiteren Versuchen von Volksfrontregierungen. Im Ergebnis jedoch sind sie alle gescheitert. Die Volksfrontepoche war beendet; die Linke hatte in Frankreich insgesamt 18 Monate die Regierung gestellt.

Die Gründe für das Scheitern der Volksfront in Frankreich liegen sowohl in der Außen-, wie auch in der Innenpolitik. Außenpolitisch hatte sie bereits im Oktober 1936 einen ersten Riß bekommen, als es um die Frage der Haltung zum spanischen Bürgerkrieg ging. Die von Blum ursprünglich beabsichtigte Unterstützung der spanischen Volksfrontregierung scheiterte im Innern am Widerstand der Radikalsozialisten und der Konservativen, einschließlich des Staatspräsidenten, außenpolitisch am Widerstand Großbritanniens Blum sah sich so zu einer neutralistischen Nichtinterventionspolitik gezwungen, die seinen eigenen Intentionen widersprach, innerhalb seiner eigenen Partei auf Unverständnis stieß und der Regierung die erbitterte Kritik der Kommunisten einbrachte. Dies wurde in der Vertrauensabstimmung über Blums Nichtinterventionspolitik am 4. Dezember 1936 deutlich, als sich die Kommunisten der Stimme enthielten und damit der Regierung letztlich die Unterstützung in einer entscheidenden außenpolitischen Frage versagten. Daß dies mehr war als ein bedeutungsloser Akt, hatte der Kommunistenführer Thorez wenige Tage vor dieser Abstimmung in einer Rede in Saint-Etienne deutlich gemacht, als er erklärte, das Schicksal der Volksfront sei nicht an die Existenz eines Ministeriums gebunden, sondern hänge von der entschlossenen Verwirklichung des Volksfrontprogramms ab

Innenpolitisch ist die Volksfront an den schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen gescheitert. Insbesondere war sie gezwungen, zur Abwehr der Wirtschaftskrise systemimmanente Mittel anzuwenden, die dem Programm der Volksfront widersprachen. So sah sie sich Ende September 1936 wegen der seit Antritt der Volksfrontregierung andauernden Gold-und Kapitalflucht genötigt, den Franc um ein Drittel abzuwerten, was die Kommunisten ihrerseits als „Raub an der Arbeiterklasse" bezeichneten

Gegen Ende des Jahres 1936 wurde auch Kritik aus dem Lager der Komintern laut. So forderte Dimitroff in einem Artikel vom Dezember 1936 die französische Arbeiterklasse auf, für die Ablösung der Regierung Blum einzutreten, falls sie nicht imstande sei, das Volksfrontprogramm zu verwirklichen

Als Blum dann im Februar 1937 ankündigte, in seiner Politik eine Pause eintreten zu lassen, stellten die Kommunisten den Regierungschef als Gefangenen einer konservativen reaktionären Politik dar und bescheinigten ihm Unfähigkeit. Als sie sich im Juni 1937 dann nach einer gemeinsamen Sitzung des Zentralkomitees und der Fraktion der KPF entschlossen, im Zusammenhang mit den von Blum geforderten Finanzvollmachten der Regierung beizutreten und dort Verantwortung zu übernehmen, war es zu spät. Die Finanzvorlage Blums scheiterte am 19. und 20. Juni 1937 im Senat zweimal am Abstimmungsverhalten der Radikalsozialisten — und dies war praktisch das Ende der französischen Volksfront.

Letztlich ist die Volksfront in Frankreich also an sich selbst gescheitert. Als Defensivbündnis gegen einen drohenden faschistischen Aufstand gegründet, erwies sie sich als unfähig, mit dem harten Geschäft der Alltagspolitik fertig zu werden. Allzu groß waren die ge-sellschafts-und wirtschaftspolitischen Differenzen zwischen den Radikalsozialisten auf der einen und den Kommunisten auf der anderen Seite. In der Bekämpfung des Faschismus einig, konnten sich die Volksfrontparteien letztlich nicht über ein realistisches Konzept zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise einigen. 2. Die Parteienentwicklung in der DDR In der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone wurden Parteien und Gewerkschaften am 10. Juni 1945 durch den Befehl Nr. 2 der sowjetischen Militäradministration (SMA) schon sehr früh zugelassen. Zum einen wollte man damit den pessimistischen (und berechtigten) Erwartungen der deutschen Bevölkerung gegenüber der kommunistischen Besatzungsmacht entgegentreten und zum anderen sollte die Auseinandersetzung mit den Überresten des Faschismus gefördert werden. So heißt es dann im Befehl Nr. 2: „ 1. Auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland ist die Bildung und Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien zu erlauben, die sich die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der Grundlage der Demokratie und der Bürgerlichen Freiheiten in Deutschland und die Entwicklung der Initiative und Selbstbetätigung der breiten Massen der Bevölkerung in dieser Richtung zum Ziele setzen.“

Als erste Partei veröffentlichte am 11. Juni 1945 die KPD einen Gründungsaufruf. In Wirklichkeit freilich war die KPD zu diesem Zeitpunkt dank der intensiven Arbeit der so-genannten Gruppe Ulbricht (eine Gruppe von Funktionären aus dem Moskauer Exil unter Führung von Walter Ulbricht) und der massiven Unterstützung der SMA auf allen Ebenen schon voll durchorganisiert Zu erkennen war dabei vor allem ein Wechsel in der Selbstdarstellung der KPD. Hatte sich die KPD vor dem Krieg noch durch radikale, orthodox-kommunistische Thesen ausgezeichnet, so trat sie 1945 plötzlich für die bürgerliche Demokratie und für eine Zusammenarbeit mit allen anderen antifaschistischen Parteien ein. Dieses neue Bild der KPD gipfelte in der soge-nannten Ackermann-These der KPD, daß in

Deutschland das sowjetische System nicht eingeführt werden sollte Diese These, die eine besondere Rolle bei der Gewinnung der SPD für eine Einheitsfront spielte, ist an sich schon ein Meisterwerk der Tarnung, zeigt aber besonders deutlich, in welchem Maße Kommunisten bereit sind, eigene Positionen kurzfristig aufzugeben.

Am 15. Juni 1945 folgte dann der Gründungsaufruf der SPD. Die SPD hatte gegenüber der KPD den entscheidenden Nachteil, daß ihre Organisation erst wieder neu aufgebaut werden mußte. Eigentlich existierten zunächst nur zwei arbeitsfähige Kreise in Berlin, die sich jeweils mehr um die Programmatik als um den Parteiaufbau kümmerten.

Die SPD trat in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone mit dem Schlagwort „Demokratie in Staat und Gemeinde, Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft" auf. Ihr Programm war dabei zwar radikal sozialistisch, erkannte aber die Grundrechte des bürgerlichen Liberalismus voll an. Entgegen einer weif verbreiteten Meinung waren zunächst die Einheitsbestrebungen in der SPD für eine Fusion von SPD und KPD sehr stark: „Wir wollen vor allem den Kampf um die Neugestaltung auf dem Boden der organisatorischen Einheit der deutschen Arbeiterklasse führen. Wir sehen darin eine moralische Wiedergutmachung politischer Fehler der Vergangenheit, um der jungen Generation eine einheitliche politische Kampforganisation in die Hand zu geben. Die Fahne der Einheit muß als leuchtendes Symbol in der politischen Aktion des werktätigen Volkes vorgetragen werden!"

Beim Wiederaufbau der Orts-und Bezirksverbände der SPD wurden schon die Grenzen marxistisch verstandener Parteienfreiheit deutlich; um langfristig den Führungsanspruch der KPD zu sichern, erließ die SMA Vorschriften, die zu einer intensiven Kontrolle der Parteien durch die sowjetische Besatzungsmacht führten:

— Genehmigungspflicht für Versammlungen,

— Meldepflicht bei Erlaß von Programmen und bei der Wahl von Vorständen, — Einsichtsrecht der SMA in alle Akten der Parteien. In der Frühgeschichte der Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone war es zunächst die SPD, die eine Einheit von SPD und KPD anstrebte, und die KPD, die sich dagegen wehrte So fand am 19. Juni 1945 eine Besprechung zwischen je fünf Vertretern des Zentralkomitees der KPD und des Zentralausschusses der SPD statt, auf der sich letztere ausdrücklich für eine organisatorische Einheit aussprach. Es war Ulbricht, der sich für die KPD dagegen wandte: „Die Zeit für eine organisatorische Vereinigung ist noch nicht gekommen. Eine verfrühte Vereinigung trägt den Keim neuer Zersplitterungen in sich und diskreditiert dadurch den Gedanken der Einheit."

Die Gründe für die ablehnende Haltung der KPD waren dabei nicht inhaltlicher, sondern taktischer und machtpolitischer Natur. Die KPD beherrschte bereits aufgrund der massiven Unterstützung durch die SMA ohnehin das gesamte politische Leben. Einflußreiche Ämter wurden oft mit Leuten ihres Vertrauens besetzt. Die KPD hatte natürlich kein Interesse, diese Machtposition mit der SPD zu teilen.

Die SPD ihrerseits hatte für ihre Wünsche hauptsächlich drei Gründe:

— Das Selbstverständnis der SPD als Arbeiterpartei widersprach einer Zweiteilung der Arbeiterbewegung in SPD und KPD;

— die Parteispitze hatte (noch) die naive Vorstellung, man könne mit der KPD auf der Basis einer demokratischen Grundeinstellung gut Zusammenarbeiten;

— die langjährige Zusammenarbeit mit Kommunisten im Untergrund während der NS-Herrschaft hatte zu engen persönlichen Bindungen geführt

Nach der Gründung der CDU am 26. Juni 1945 und der LDP am 5. Juli 1945 folgte dann am 14. Juli 1945 die Gründung des „Blocks der antifaschistischen Parteien", dem KPD, SPD, CDU und LDP angehörten. Als Motive für die Gründung des Blocks wurden dabei die gemeinsamen Bemühungen um den Wiederaufbau Deutschlands und der Kampf gegen die Überreste des Hitler-Regimes vorgeschoben.

In Wirklichkeit freilich ging es der KPD nur um eine Erweiterung der eigenen Machtposition, was ihr auch gelang. Nach einiger Zeit wurde es im Block zur Gewohnheit, daß Entscheidungen nur einstimmig gefaßt werden konnten. Damit hatten Resolutionen, die auf Ablehnung auch nur einer Partei stießen, keine Chance. Da die KPD aber ohnehin das politische Leben in der Sowjetzone beherrschte, hatte sie durch diese Art „Vetorecht" im Block die Möglichkeit, jeden Zusammenschluß anderer Parteien zu einer sichtbaren Opposition gegen die Politik der KPD zu verhindern. Damit war der Block zu einem Maulkorb für alle nichtkommunistischen Parteien und zu einem Machtinstrument der KPD geworden Widersetzte sich eine Partei einem Vorschlag der KPD im Block, so vermochte die KPD durch massiven Druck der SMA auf untergeordnete Stellen der Parteien die Zustimmung zu erreichen und mißliebige Politiker, die sich gegen den Vorschlag der KPD im Block ausgesprochen hatten, unter Hinweis auf die — erzwungene — Stellungnahme der eigenen Mitglieder auszuschalten Dies geschah z. B. bei den CDU-Politikern Hermes und Schreiber wegen ihrer ablehnenden Haltung zu den Bodenreformvorschlägen der KPD

Innerhalb weniger Monate nach ihrem Einmarsch in Berlin hatten die Sowjets damit ein Parteiensystem nach ihren Vorstellungen geschaffen: — Durch die Zulassung mehrerer Parteien war der Schein der Demokratie gewahrt, — durch den „Block" war der Führungsanspruch der KPD und damit der Sowjetunion gesichert.

War im Sommer 1945 noch die SPD der glühende Verfechter einer Verschmelzung von KPD und SPD, so änderte sich diese Situation schlagartig im Herbst desselben Jahres. Jetzt strebten die Kommunisten mit allen Mitteln die Vereinigung an, während die SPD sich dagegen zu wehren versuchte. Vier Fakten waren für diesen Wandel entscheidend:

— Innerhalb kürzester Zeit hatte die SPD die KPD in der Mitgliederzahl überholt und war so zur führenden Partei der Sowjetzone geworden. Eine unabhängige SPD bedeutete für die KPD daher eine Gefahr. — Das enttäuschende. Wahlergebnis in Österreich, wo die KPO für sich ein ähnliches Ergebnis wie die SPÖ erhoffte, in Wirklichkeit aber nur vier Mandate (SPÖ 76) erhalten hatte.

— Die SPD hatte inzwischen zahlreiche Erfahrungen mit dem zunehmenden Druck und Führungsanspruch der KPD gemacht.

— Der persönliche Einsatz von Kurt Schumacher gegen die Vereinigung

In der „ersten Phase der Einheit" versuchte die KPD die SPD mit friedlichen Mitteln zu einer Verschmelzung zu bewegen. Die SPD jedoch lehnte mit aller Entschiedenheit ab; als Zugeständnis bejahte sie zwar eine Zusammenarbeit, einer Vereinigung jedoch würde sie nur auf Reichsebene zustimmen, was jedoch wegen der ablehnenden Haltung der westdeutschen Sozialdemokraten unmöglich war. Als Gründe nannte Otto Grotewohl auf der soge-nannten „ 60er Konferenz" u. a.:

— Die Bevorzugung der KPD durch die Besatzungsmacht, — der Einsatz massiver Druckmittel bei der Mitgliederwerbung durch die KPD, — die Terrorakte gegen Sozialdemokraten in Sachsen

In die zweite Phase der Einheit jedoch griff die SMA massiv ein, indem sie Gegner der Vereinigung entweder auszuschalten oder zu bestechen versuchte. So mußten sich Parteifunktionäre der SPD oft stundenlang nachts Verhören aussetzen. Hunderte von Sozialdemokraten, die sich trotzdem der Vereinigung widersetzen, hatten dann auch bald Gelegenheit, in Gefängnissen über ihren Irrtum nachzudenken In Rostock wurden nach einer Funktionärskonferenz der dortigen SPD am 6. Januar 1946 die fünf Bezirkssekretäre verhaftet und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, da sie sich dafür eingesetzt hatten, über die Vereinigung sollten die Parteimitglieder in einer Urabstimmung entscheiden.

Angesichts derartiger Druckmittel konnte die Zwangsvereinigung von SPD und KPD nicht mehr verhindert werden. So kam Grotewohl nicht umhin, am 11. Februar 1946 die positive Entschließung des Zentralausschusses der SPD zur Vereinigung bekanntzugeben. Trotzdem waren nicht alle Sozialdemokraten bereit, sich dem Druck der KPD zu beugen. In Berlin bildete sich nach der Erklärung von Grotewohl eine Gruppe um Franz Neumann, die gegen eine Vereinigung opponierte und mit Hilfe der britischen Besatzungsmacht am 31. März 1946 in West-Berlin eine Urabstimmung unter den SPD-Mitgliedern durchführte: 82 % der Mitglieder sprachen sich gegen, nur 12% für eine sofortige Vereinigung von SPD und KPD aus. Da eine derartige Urabstimmung von der sowjetischen Besatzungsmacht für den Ostteil Berlins vorsorglich verboten worden war, ist dieses Ergebnis die einzige objektive Aussage über die Meinung zur Vereinigung unter den Mitgliedern der SPD.

Trotz allem wurde die Vereinigung am 20. /21. April 1946 auf einem gemeinsamen Vereinigungsparteitag vollzogen. Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD) wurden zu Vorsitzenden der SED gewählt und das erste Zentralsekretariat aus je sieben Funktionären von KPD und SPD gebildet.

Aber die Terroraktionen gegen (ehemalige)

Sozialdemokraten hörten nach 1946 nicht auf. SPD-Mitglieder wurden im Laufe der Zeit systematisch ausgeschaltet: durch Verhaftung, Verurteilung zu Freiheitsstrafen und/oder — im glimpflichsten Fall — durch Abschieben auf bedeutungslose Posten. 1967, 21 Jahre nach der Vereinigung, waren noch ganze vier der führenden Funktionäre der SED ehemalige Sozialdemokraten. Sogar die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder war größer: 1967 gehörten noch 13 ehemalige NSDAP-Mitglieder dem Zentralkomitee der SED an — entweder als ordentliche Mitglieder oder als Kandidaten. Die SED hat sich im Laufe der Jahre zu einer Partei nach dem Vorbild der KPdSU entwickelt. Die Hoffnung vieler Sozialdemokraten, die Kommunisten in der SED zu demokratischen Sozialisten zu machen, ist herb enttäuscht worden. Die Entwicklung der SED ist dann auch ein typisches Beispiel für die Zielsetzung der Einheitsfrontpolitik kommunistischer Parteien: Nicht die gegenseitige Beeinflussung und Befruchtung, nicht die Vereinigung gleichberechtigter Partner auf der Basis einer gemeinsam ausgearbeiteten Programmatik, sondern die Ausschaltung des politischen Gegners, das Mundtotmachen oppositioneller Organisationen ist die Zielsetzung der Einheitsfront. Die Entwicklung der Parteien in der DDR ist hierfür nur ein Beispiel; eine Untersuchung der Parteienentwicklung in anderen Ostblockstaaten würde zu ähnlichen Ergebnissen führen.

IV. Die aktuelle Bedeutung der kommunistischen Bündnispraxis für die europäische Linke

Die kommunistische Bündnispraxis insbesondere in den Jahren der Volksfront (1934— 1938) blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Entwicklung in der europäischen Linken. Die Erfahrung der absoluten Loyalität der kommunistischen Parteien gegenüber der Sowjetunion, ihrer Unterordnung unter die Ziele sowjetischer Außenpolitik, das Bewußtsein einer taktisch motivierten Wandlungsfähigkeit der kommunistischen Parteien zwischen „Sozialfaschismus" -Thesen und brüderlichen Umarmungsversuchen rief bei den europäischen sozialistischen Parteien ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Kommunisten und von ihnen ausgehenden Allianzbestrebungen hervor.

Deutlicher Ausdruck dieses Mißtrauens war nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskussion über eine mögliche Verschmelzung der sozialistischen und kommunistischen Partei in Frankreich. Die Frage stellte sich im Juni 1945, als die kommunistische Partei in ihrem Zentralorgan „L’Humanit" eine Charta der Einigung veröffentlichte, in der sie die Verschmelzung beider Parteien zu einem „Parti Ouvrier Francais" vorschlug, und zwar auf der Grundlage „des dialektischen Materialismus von Marx und Engels, wie er von Lenin und Stalin bereichert wurde". Ziel der neuen Partei sei „die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse". Die vereinigte Partei sei nach „den Prinzipien des demokratischen Zentralismus aufzubauen" — dem bolschewistischen Prinzip der „Kontrolle des Parteivorstandes über die ganze Partei, ihre parlamentarische Vertretung und ihre Presse". Und obwohl sie als ihre Aufgabe betrachten sollte, die Kunde von „den eindrucksvollen Siegen des Sozialismus, die von der kommunistischen Partei Rußlands errungen wurden", zu verbreiten, sich also in den Dienst der Glorifizierung der Sowjetunion zu stellen, müsse sie auch, wie es in der Charta hieß, ihre Unabhängigkeit von allen Regierungen bewahren Was hier faktisch vorgeschlagen wurde, war nichts anderes als die Vereinigung von Sozialisten und Kommunisten zu einer kommunistischen Partei.

Nach lebhaften öffentlichen Diskussionen stand diese Frage im August 1945 auf einem Parteitag der Sozialisten zur Entscheidung an. Den Ausschlag dürfte Leon Blum — inzwischen aus der Gefangenschaft zurückgekehrt — gegeben haben, als er sich in einer eindrucksvollen Rede gegen die Verschmelzung aussprach. Eine Vereinigung — so Blum — käme erst in Betracht, wenn sämtliche Gegensätze zwischen beiden Parteien geklärt und bereinigt seien; dies sei aber nicht der Fall. Er verwies auf den immanenten Widerspruch zwischen kommunistischen Grundsätzen und den Grundsätzen der Demokratie, denen sich die sozialistische Partei verpflichtet fühle. Auch habe sich die kommunistische Politik nicht immer am Prinzip der Aufrichtigkeit orientiert. Der schärfste Gegensatz zwischen Sozialisten und Kommunisten — so Blum — sei aber der beherrschende Einfluß der Sowjetregierung auf die Politik der Kommunistischen Partei Frankreichs. Der Sowjetpatriotismus der Kommunisten sei zwar so lange unschädlich, wie die Interessen der Sowjetunion mit denen Frankreichs übereinstimmten. Wie aber — so Blum — würden sich die Kommunisten verhalten, falls sich ein Interessenkonflikt zwischen beiden Seiten entwickeln würde? Die Linke auf dem Parteitag sprach sich zwar gegen Blums Auffassung aus, konnte aber die Annahme einer Resolution (mit 9 921 gegen 274 Stimmen) nicht verhindern, in der erklärt wurde, daß zwar die Einheit der Arbeiterbewegung weiterhin Fernziel der Sozialistischen Partei sei, eine organische Verbindung der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings nicht in Betracht komme, sondern vielmehr das Ergebnis einer längeren erfolgreichen Zusammenarbeit sein müsse. Vor einer Vereinigung müßten auch eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein: Eine aufrichtige, unverhüllte Darstellung der Grundsätze beider Parteien; Garantie der Demokratie innerhalb der vereinigten Partei; deren Bekenntnis zur Demokratie und die Verpflichtung zur Verteidigung gegen innere und äußere Feinde; absolute Freiheit der Partei von jeder Bindung an irgendeine ausländische Regierung. Da aber die kommunistische Charta diese prinzipiellen Bedingungen nicht erfülle, biete sie keine Grundlage für Einigungsverhandlungen Damit stand aber die Vereinigung praktisch nicht mehr zur Diskussion. Parallele Entwicklungen vollzogen sich auch in anderen europäischen Staaten, etwa in Großbritannien, Italien und in der Bundesrepublik Deutschland, wo ebenfalls kommunistische Umarmungsversuche und Verschmelzungsangebote von Sozialisten bzw. Sozialdemokraten mit dem Hinweis auf die kommunistische Bündnispraxis letztlich abgelehnt wurden. Damit war aber die „Spaltung der Arbeiterklasse” auch international vollzogen; in den zwanziger Jahren aus Flügel-und Richtungskämpfen innerhalb der sozialistischen Bewegung entstanden, schien sie während der Volksfront-Epoche unter dem Eindruck des gemeinsamen faschistischen Gegners überwindbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber vollzogen sich getrennte Entwicklungen: Während der Vereinigungsgedanke in den von der Sowjetunion besetzten Gebieten letztlich mit nackter Gewalt durchgesetzt wurde, scheiterte er unter den Bedingungen freiheitlicher Demokratie in Westeuropa. International wurde er Ende der vierziger Jahre vollzogen durch die Gründung der „Kominform” als Nachfolgerin der kommunistischen Internationale und durch die Einrichtung der Internationalen Sozialistischen Konferenz im November 1947, aus der 1951 die Sozialistische Internationale entstand.

Anders verlief die Entwicklung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Durch die funktionsbedingte Beschränkung der eigenen Tätigkeit auf Fragen der Wirtschafts-und Sozialpolitik gelang es weitgehend, die ideologischen Differenzen zwischen Kommunisten und Sozialisten zu überwinden und gemeinsame Gewerkschaftsorganisationen zu installieren. In Frankreich war es zwischen Kommunisten und Sozialisten während des Zweiten Weltkriegs zu einer Spaltung der Gewerkschaftsorganisationen gekommen. Ein am 17. April 1943 von Vertretern beider Richtungen unterzeichnetes Abkommen widerrief den Ausschluß der Kommunisten aus der C. G. T. und stellte in der Exekutive das Kräfte-verhältnis zwischen den beiden Flügeln wieder her, wie es zuvor im September 1939 bestanden hatte Auch in Italien konstituierte sich am 28. Januar 1945 in Neapel die C. G. I. L. als überparteiliche Einheitsgewerkschaft von Kommunisten, Sozialisten und Christdemok-raten *

In beiden Staaten gelang es allerdings den Kommunisten innerhalb weniger Jahre, die betreffende Gewerkschaftsbewegung zu instrumentalisieren und zum Instrument der kommunistischen Partei zu machen. Diese Vorgänge führten in Italien jedoch zu einer erneuten Spaltung: Im Oktober 1948 sagten sich die Christdemokraten von der C. G. I. L. los und gründeten einen autonomen Gewerkschaftsbund, im Mai 1948 folgte ein Großteil der Sozialisten

Trotz des organisatorischen Auseinanderfallens der Linken in Europa vermittelte sich Teilen der sozialistischen Bewegung die Überzeugung, daß nur in einem Wahlbündnis von Sozialisten und Kommunisten eine Chance zur Erlangung der Mehrheit bestünde. Die gegenwärtige französische Szene stellt wohl das typische Beispiel für diese taktische Ausrichtung dar. Sozialisten und Kommunisten vereinigten sich in Frankreich zu einer Linksunion mit gegenseitiger Wahlunterstützung und gemeinsamem Programm. Höhepunkt und erfolgreiches Ergebnis dieses Bündnisses war die Wahl von Francois Mitterand zum 4. Staatspräsidenten der V. Französischen Republik und die Bildung einer sozialistisch-kommunistischen Regierung.

Doch war diese taktische Ausrichtung in der europäischen sozialistischen Bewegung nicht unumstritten. Gleichsam den umgekehrten Weg ist die SPD in der Bundesrepublik gegangen: Die Öffnung zu den Mittelschichten des Bürgertums und die Umgestaltung der eigenen Programmatik auf dem Godesberger Parteitag 1959 in Richtung auf eine aufgeklärte und liberale Sozialdemokratie markieren die — durch die Regierungsübernahme Willy Brandts im Jahre 1969 ebenfalls erfolgreiche — strategische Alternative zum sozialistisch-kommunistischen Bündnis.

Eine weitere Folge der während der Volksfrontphase gemachten Erfahrungen mit der kommunistischen Bündnispraxis dürfte das Bestreben sozialistischer Parteien sein, eventuelle Bündnisse mit Kommunisten auf eine klare programmatische Basis zu stellen. Auch hier ist die Entwicklung in Frankreich typisch: In über dreijährigen Verhandlungen erarbeiteten Sozialisten und Kommunisten das am 26. Juni 1972 unterzeichnete „gemeinsame Regierungsprogramm” der kommunistischen und sozialistischen Partei Frankreichs, das für nahezu alle politische Bereiche detaillierte Re-gelungen enthält In vier Abschnitten und 34 Kapiteln werden sämtliche Fragen der Bildungs-und der Familienpolitik, der Jugend-und der Wirtschaftspolitik, der Finanz-und der Rechtspolitik, der Außen-und der Sicherheitspolitik angesprochen, analysiert und konkreten Regelungen zugeführt.

Der Abschnitt über Wirtschaftspolitik enthält sogar eine Aufzählung von neun namentlich genannten Firmengruppen, die einer Nationalisierung, und weiteren sechs ebenfalls namentlich genannten Firmengruppen, die einer staatlichen Mehrheitsbeteiligung zugeführt werden sollen. Mit derart präzisen Vereinbarungen soll offensichtlich der Gefahr vorge-5 beugt werden, daß einer der Partner bei unpopulären, taktisch riskanten Maßnahmen dem Bündnis die Unterstützung versagt, wie dies zeitweilig während der Volksfrontphase durch die Kommunisten geschehen ist. •

Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Erfahrungen in Bündnissen von Kommunisten und Sozialisten für die Entwicklung des „Eurokommunismus" Ende der sechziger Jahre bedeutsam waren. Der Zusammenhang ist dabei ein doppelter: Einerseits zwingt die Zusammenarbeit mit Andersdenkenden nahezu zwangsläufig zur Überprüfung einzelner eigener Standpunkte; andererseits aber war die Aufgabe totalitärer kommunistischer Dogmen Voraussetzung für die Installierung dauerhafter und in der Bevölkerung mehrheitsfähiger Bündnisse mit den Sozialisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1973,

  2. Vgl. Lenin, Was tun?, Werke Bd. 5.

  3. Kleines Politisches Wörterbuch, a. a. O., S. 637 f.

  4. Ebd., S. 637f.

  5. Ebd., S. 132.

  6. Ebd. S. 211.

  7. Großer u. a., Wissenschaftlicher Kommunismus, Berlin (Ost) 1977, S. 264.

  8. Lenin, Werke Bd. 31, S. 82.

  9. Großer, a. a. O., S. 242.

  10. Kleines Politisches Wörterbuch, a. a. O., S. 21 f.

  11. Wieser/Traub, Die Volksfront — Zur Entstehung, Geschichte und Theorie, in: Kursbuch, 46/1976, S. 4.

  12. Lenin, Werke Bd. 27, S. 28.

  13. Stalin, Fragen des Leninismus, Berlin (Ost) 1946, S. 144.

  14. Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kommunismus, Broschüre, hrsg. vom Vorstand der SPD,

  15. Vgl. Kernig, Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Freiburg-Basel-Wien 1972, hier: Bd. VI, Sp. 774.

  16. Wieser/Traub, a. a. O., S. 9.

  17. Wieser/Traub, a. a. O., S. 9; Braunthai, Geschichte der Internationale, Berlin-Bonn o. J., hier: Bd. 2, S. 438.

  18. Vgl. Braunthai, Bd. 2, a. a. O., S. 437; Werth, France in Ferment, London 1934, S. 267f; ders., The destiny of France, London 1937, S. 70 ff.

  19. Vgl. Marcus, French Socialism in the crisis Years 1933— 1936, New York 1958, S. 29ff.

  20. Vgl. Kernig, a. a. O., S. 770, sowie Braunthai, Bd. 2. a. a. O., S. 443.

  21. Kernig, a. a. O., S. 770; Bericht Piatnezkis zum XII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, in: Rundschau, 20. 1. 1933,

  22. Wegmüller, Das Experiment der Volksfront, Frankfurt a. M. 1972, S. 46.

  23. Vgl. Walter, Histoire du parti communiste francais, Paris 1948, S. 251; Braunthai, Bd. 2, a. a. O., S. 443.

  24. L'Humanitd vom 11. 2. 1934.

  25. Vgl. Werth, a. a. O., S. 182 ff.

  26. Vgl. Cahiers du Bolchvisme vom 15. 2. 1934.

  27. L Humanite vom 15. 2. 1934.

  28. Vgl. Lefranc, Histoire du Front Populaire, Paris 1965, S. 45.

  29. La Populaire vom 7. 7. 1934.

  30. Zitiert nach: Wegmüller, a. a. O., S. 52.

  31. Siehe Braunthai, Bd. 2, a. a. O., S. 457.

  32. Siehe Borkenau, Der europäische Kommunismus, Bern-München 1952, S. 135.

  33. Siehe hierzu: Pickles, The French Political Scene, London 1938, S. 135 ff.

  34. Siehe im einzelnen Wieser/Traub, a. a. O., S. 16.

  35. Wegmüller, a. a. O., S. 90.

  36. Siehe Thomas, The Civil War in Spain, London 1961, S. 219ff.

  37. Siehe Wegmüller, a. a. O., S. 89.

  38. Ebd.

  39. Dimitroff, Die Volksfront zum Kampf gegen Faschismus und Krieg, in: Kommunistische Internationale, Nr. 11/12, 31. 12. 1936, S. 1092.

  40. Ulbricht, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Bd. I 1, Berlin (Ost) 1955, S. 3681.

  41. Vgl. zu Aufgaben und Tätigkeit der Gruppe Ulbricht: Weber, Von der SBZ zur DDR, Hannover 1966, S. 7 ff., sowie Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955, S. 340 ff.

  42. Ackermann, Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?, in: Einheit, 2/1946, S. 22 ff.

  43. Siehe zu dieser SPD-Verlautbarung, Flechtheim, Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1973, S. 292 ff.

  44. Weber, a. a. O., S. 17; Kaden, Einheit oder Freiheit — Die Wiedergründung der SPD 1945/46, Hannover 1964, S. 32.

  45. Vgl. Beiträge zur Vorgeschichte der Vereinigung von SPD und KPD in der Sowjetzone zur SED, in: „PZ-Archiv", 1/1950, im weiteren zitiert als: „Beiträge".

  46. Siehe Weber, a. a. O., S. 29.

  47. Ebd., S. 20.

  48. Siehe Mattedi, Gründung und Entwicklung der Parteien in der SBZ Deutschlands 1945— 1949, hrsg. v. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, S. 60 ff.

  49. Weber, a. a. O., S. 26.

  50. Ebd., S. 29 f.

  51. Mattedi, a. a. O., S. 63ff.; Beiträge, 2/1950.

  52. Weber, a. a. O., S. 31.

  53. LHumanite vom 12. 6. 1945.

  54. Vgl. Braunthai, Bd. 3, a. a. O., S. 49f.

  55. Novick, The Resistence Versus Vichy, London 1968, S. 134.

  56. Siehe hierzu im einzelnen: Italy — School of Awakening, New York 1961, S. 454 ff.

  57. Ebd., S. 470 ff.

  58. Siehe Goldschmidt, Das gemeinsame Regierungsprogramm der Sozialisten und Kommunisten in Frankreich, Köln 1972.

Weitere Inhalte

Lucas Heumann, geb. 1953; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld; seit 1981 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld und Rechtsanwalt in Detmold. Veröffentlichungen: Gewerkschaftliche Orientierung — Tarnkappe für kommunistische Strategie (zus. mit Bernhard König), Bonn 1978; Herbert Marcuse und die Szene 1978 (zus. mit Günther Heckelmann), in: Die politische Meinung, Nov. /Dez. 1978.