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Weithin im Getto: Die Presse der Verbände. Die Gewerkschaften und die Kirchen — zwei Großgruppen mit publizistischen Sorgen | APuZ 45/1982 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 45/1982 Weithin im Getto: Die Presse der Verbände. Die Gewerkschaften und die Kirchen — zwei Großgruppen mit publizistischen Sorgen Die Alternativpresse — ein Modell für Gegenöffentlichkeit und seine Grenzen

Weithin im Getto: Die Presse der Verbände. Die Gewerkschaften und die Kirchen — zwei Großgruppen mit publizistischen Sorgen

Hermann Meyn

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die in ihm zusammengeschlossenen Industriegewerkschaften geben ähnlich wie die evangelische und die katholische Kirche jährlich viele Millionen Mark für ihre publizistische Arbeit aus. Die von ihnen herausgegebenen Zeitungen und Zeitschriften haben sich zum Teil inhaltlich beträchtlich gewandelt und zur Gesellschaft hin geöffnet. Trotz beträchtlicher finanzieller Anstrengungen und inhaltlicher Modernisierungen ist es diesen beiden Großgruppen aber versagt geblieben, in einer breiten Öffentlichkeit mit ihrer Publizistik originär vertreten zu sein. Ihre Positionen und Argumentationen kommen zumeist nur durch andere Medien vermittelt in diese Öffentlichkeit, weil die eigenen Publikationen vornehmlich der Binnenkommunikation dienen. Diese Getto-Situation befriedigt beide nicht: Die Kirchen wie die Gewerkschaften haben wiederholt laut darüber nachgedacht, wie sie ihre publizistische Wirkung verbessern könnten. Bislang ist es offenbar beim Nachdenken geblieben.

I. Funktionen der Verbandspresse

Quelle: Stamm 8

Über Zeitungen und Zeitschriften mit hohen Auflagen, beispielsweise über „Bild", „stern" oder „Spiegel", gibt es ausführliche wissenschaftliche Untersuchungen und nicht-wissenschaftliche Auseinandersetzungen; auch die Presse, die gelegentlich bei Mini-Auflagen steckenbleibt, die lokale Presse, braucht sich über Mangel an Beachtung nicht zu beklagen -Verglichen damit erregt die Publizistik der Verbände wenig Aufsehen, obgleich die Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Automobil Clubs, die „ADAC motorwelt", eine Auflage von 6, 7 Millionen Exemplaren erreicht und damit vor Springers Programmzeitschrift „Hör zu" (3, 7 Millionen) und Burdas „Das Haus"

(2, 7 Millionen) die mit Abstand auflagenstärkste regelmäßig erscheinende Publikation in der Bundesrepublik ist. Was die Publizität betrifft, geht es den in Millionen-Stärke erscheinenden Blättern der Gewerkschaften und der Kirchen kaum anders: Sie spielen in der öffentlichen Diskussion so gut wie keine Rolle. Das hängt natürlich zum Teil mit ihrer Funktion zusammen. Periodika der Verbände — und dazu zählen im weiteren Sinne auch die Gewerkschaften und die Kirchen — dienen zunächst einmal der Binnenkommunikation. Sie sollen die Mitglieder informieren. Die Basis soll wissen, was die Spitze denkt und tut, wenngleich „denen da oben" es manchmal lie-* ber wäre, wenn der Informationsprozeß in umgekehrter Richtung verliefe. Zu eng definiert, läuft die Information der Mitglieder von Verbänden über die Aktivitäten der Führung Gefahr, zur Hofberichterstattung zu verkommen. Entfernt sich die Redaktion andererseits zu weit in ihren Auffassungen von der Verbands-führung, riskiert sie Ärger mit dem Arbeitgeber. Wie auch immer die Informationsfunktion der Verbandspresse im einzelnen ausgelegt werden mag — um eine gewisse Nähe zur Spitze und Orientierung an ihr kommt keine Zeitung und Zeitschrift dieses Genres herum.

Das kann — je nach dem — für die Mitglieder durchaus eine interessante und spannende Lektüre sein, wobei die Attraktivität normalerweise steigerungsfähig ist, wenn das Blatt des Verbandes sich auch noch auf eine zweite Funktion besinnt, nämlich ein Forum für seine Mitglieder zu sein. Leserbriefe sind das eine, das Selbstverständliche; von mehr Selbstbewußtsein aber zeugt es, wenn auch Verbands-zeitschriften Diskussionen führen, unterschiedliche Meinungen der Mitglieder gegeneinander stellen und veröffentlichen.

Verbände wollen etwas für ihre Mitglieder bewirken. Sie sind Teil der Gesellschaft und wollen von der Gesellschaft positiv beurteilt werden. In diesem Bestreben sind sie auf Publikationen angewiesen, die ihr Wollen und Wirken darstellen. Neben der Binnenkommunikation hat deshalb die Verbandspresse als Drittes die Funktion, für die Präsentation nach außen zu sorgen.

II. Selbstkritik der Gewerkschaften und der Kirchen

Bistumszeitungen Kirchenzeitung Kirchenzeitung St. Heinrichsblatt Petrusblatt Kirchenzeitung Ruhrwort Konradsblatt Bonifatius Bote Kirchenzeitung Kirchenzeitung Der Sonntag Glaube und Leben Kirchenzeitung Kirche und Leben Kirchenbote Der Dom Bistumsblatt Bistumsblatt Kath. Sonntagsblatt Der Pilger Paulinus Kath. Sonntagsblatt gesamt Aachen Augsburg Bamberg Berlin (West) Eichstätt Essen Freiburg Fulda Hildesheim Köln Limburg Mainz München Münster Osnabrück Paderborn Passau Regensburg Rottenburg-Stuttgart Speꔰޘ=

Die Gewerkschaften und die Kirchen sind neben einigen anderen in einem Atemzug zu nennen, wenn von den großen gesellschaftlichen Kräften in der Bundesrepublik die Rede ist. Beide haben eine Millionen-Mitgliedschäft, sind Großorganisationen mit mächtigen Apparaten, blicken auf Traditionen zurück und werden von allen politischen Gruppierungen gehört; nur in einem Punkt fühlen sich beide schwach: in ihrer Publizistik. Schon vor zehn Jahren stellte der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor den Delegierten des neunten Bundeskongresses selbstkritisch fest: „Der Wunsch, ein Optimum an Informationen nach außen wie nach innen zu erreichen, führte dazu, daß auf zahlreichen Gewerkschaftstagen und DGB-Bundeskongressen entsprechende Anträge gestellt wurden. Sie zielten auf mehr Einheitlichkeit, mehr Koordination und mehr Kooperation ab und gingen bis zur Forderung nach einer gewerkschaftlichen Tageszeitung. Keiner dieser Anträge kam, als es ernst wurde, zum Zuge."

Noch älter und trotzdem nicht veraltet ist die Diagnose, die vor siebzehn Jahren der Weihbischof Walther Kampe während einer Arbeitstagung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Münster gab: „Es ist uns tatsächlich nicht gelungen, einen entscheidenden Einbruch in die öffentliche Meinung und in die Zentren der Meinungsbildung durchzuführen. Wir leiden an einer Überfülle des Angebots und daher an einer Zersplitterung der verfügbaren publizistischen Kräfte." Was für den DGB und die katholische Kirche gilt, stimmt auch für die Protestanten. Ihr Landesbischof Johannes Hanselmann stellte einleitend zum „Publizistischen Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland" vor drei Jahren fest: „Wer über die Kommunikation in der Kirche nachdenkt, steht vor einem gewissen Dilemma. Es erscheint zwar eine ständig wachsende Anzahl von kirchlichen Informationsdiensten, Zeitschriften und Mitarbeiter-publikationen aller Art. Daß dies zur stärkeren Ausprägung eines gesamtkirchlichen Bruderschafts-und Verantwortungsbewußtseins geführt hat, kann man aber nicht ohne weiteres sagen. Ähnliches gilt für die Kommunikation zwischen Kirche und Gesellschaft: Ausbau und Professionalisierung der kirchlichen Of-fentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren haben nicht verhindern können, daß sich Zeugnis und Dienst der Kirche heute schwerer als früher im . Zeitgespräch der Gesellschaft'vermitteln lassen."

Selbstkritische Bekundungen können natürlich recht unterschiedliche Zwecke verfolgen. Sie können ein Ansporn sein für die Macher, sich zu bessern; sie können ein Appell an Delegierte und Entscheidungsträger sein, die Finanzquellen stärker sprudeln zu lassen; sie können selbstverständlich auch ein Mittel sein, um Fehleinschätzungen von außen abzuwehren — Fehleinschätzungen über die publizistische Macht der Gewerkschaften und der Kirchen, die sich geradezu anbieten, wenn man allein auf die Auflageziffern blickt und nicht genauer analysiert, was dahinter steckt.

III. Bestandsaufnahme der Gewerkschaftspresse

Auflagenentwicklung der Kirchengebietsblätter

1. Daten und Fakten Bei flüchtiger Betrachtung erscheint der Deutsche Gewerkschaftsbund als ein publizistischer Riese. Die Mitgliederzeitschriften und Funktionärsorgane, Gruppenblätter für Arbeiter und Angestellte, Beamte und Frauen, Ju-gendliche und ausländische Arbeitnehmer, die regionalen Schriften und anspruchsvolleren Publikationen wie die „Mitteilungen des Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Instituts" und die „Gewerkschaftlichen Monats-hefte", das sind alles in allem rund 150 periodische Veröffentlichungen mit einer jährlichen Auflage von etwa 200 Millionen Exemplaren. Freilich zeigt ein Vergleich mit „Bild", daß diese Größenordnung gar nicht so imponierend ist, denn „Bild" allein erreicht im Jahr die siebenfache Auflage — knapp 1, 5 Milliarden Exemplare. pie Auflagen-Macher der Gewerkschaftspresse sind ihre Zentralorgane, die Publikationen der Einzelgewerkschaften, die jedes Mit-glied kostenlos erhält. Der „Leitfaden für Presse und Werbung" weist für 1981 folgende Auflagezahlen der Zentralorgane aus:

Die Tabelle macht deutlich, wer die Stärksten sind: die Industriegewerkschaft Metall, deren Zeitschrift „Metall" vierzehntägig mit einer Auflage von 2, 3 Millionen Exemplaren herauskommt, gefolgt von der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, deren „ötv-magazin" in knapp einer Million Stück monatlich erscheint, und die IG Bau-Steine-Erden, die monatlich mit ihrem „Grundstein" 570 000 Interessenten, vornehmlich Mitglieder, erreicht.

Wieviel Geld sich der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Einzelgewerkschaften dies alles — die kleinen, aber feinen Zeitschriften für Spezialisten wie die Mitglieder-blätter mit Millionenauflage — kosten läßt, hat die Gegenseite schon seit langem interessiert. Reinhard Jühe, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, stellte 1980 folgende Überlegungen an: „Zwar tragen der DGB und seine Gewerkschaften der Forderung nach Offenle5 gung ihrer Finanzen, nach . gläsernen Taschen', insoweit Rechnung, als die meisten Organisationen in ihren Geschäftsberichten und zum Teil auch in ihren Zeitschriften einen Kassenbericht vorlegen, die Angaben sind jedoch erstens nicht immer vollständig und zweitens wegen mangelnder Standardisierung nicht vergleichbar. Für 1975 wurden die Ausgaben der Gewerkschaften für Presse, Werbung, Agitation und ähnliches auf etwa 70 Millionen DM geschätzt, wovon der größte Teil, nämlich 55 bis 60 Millionen DM, für Presse-und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestanden haben dürfte. Diese Schätzung dürfte im übrigen eher zu niedrig ausgefallen sein, denn bei einer jährlichen Auflage von über 200 Millionen Exemplaren entspräche dies einem Stückpreis von unter 30 Pfennig, was bei der breiten Auffächerung der Gewerkschaftspresse und der aufgrund zum Teil niedriger Auflagen nicht gerade kostengünstigen Produktionsweise unrealistisch erscheint. Hier liegt insbesondere der Verdacht nahe, daß die Personalkosten in vielen Fällen gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden."

Seit 1975, also seit dem Zeitpunkt, auf den sich Jühes Schätzungen beziehen, sind die Kosten der Gewerkschaftspresse zweifellos erheblich gestiegen, wie jede Nachfrage beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger bestätigt. Nimmt man Jühes sicherlich nicht ganz unberechtigten Einwand hinzu, daß die Personalkosten in den Zuordnungen zu einzelnen Positionen — gelinde ausgedrückt — nicht immer ganz eindeutig aus den Geschäftsberichten ablesbar sind, kommt man ohne große Hochrechnungen auf eine Gesamtsumme, die erheblich über einhundert Millionen Mark liegt. 2. Die Zentralorgane — alte Vorurteile, neue Tendenzen Vorurteile haben die Eigenschaft, zählebig zu sein, zu überdauern; sie bleiben noch lebendig, selbst wenn sich der Gegenstand, über den geurteilt wird, längst gewandelt hat. Das Image, durch und durch langweilige Produkte zu sein, haftet vor allem den Zentralorganen der Gewerkschaftspresse an, ein Image, das sich in der Vergangenheit nicht ganz zu unrecht gebildet hat. Denn wer sich heute einmal die Mühe macht und in früheren periodischen Veröffentlichungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, der DAG, blättert, wird mit Erschrecken feststellen, wie typographisch lieblos und inhaltlich dürftig sich diese Blätter noch viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges präsentierten. Eines stand bei allen publizistischen Erzeugnissen dieses Genres ganz obenan: Das unablässige Hämmern gewerkschaftspolitischer Zielvorstellungen und Parolen.

So etwas ermüdet auf die Dauer. Der DGB hat das erkannt und seine Pressearbeit modernisiert. Geändert haben sich, wenigstens zum Teil, die Zentralorgane der Industriegewerkschaften, die Mitgliederzeitschriften. Gewiß, „Der Grundstein" und die „einheit", der „ausblick" und der „Der Säemann", das „Leder-Echo“

und das „ötv-magazin", „einigkeit" und „metall“, „Deutsche Post" und „Deutsche Polizei", um nur einige zu nennen, sind Namen, die bis auf die Mitglieder kaum jemand kennt, Namen von Zeitschriften, die Monat für Monat Millionen erreichen — kostenlos frei Haus geliefert, finanziert durch die Beiträge der Mitglieder und heute teils so flott geschrieben und reich illustriert, als ob sie sich im Kiosk zwischen vielen bunten Blättern mit fast aus-und schick angezogenen Frauen behaupten müßten.

So ist zum Beispiel das Sprachrohr der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, das vorhin erwähnte „ötv-magazin", das alle vier Wochen an knapp eine Million Mitglieder geht, gemacht. Wofür diese sich interessieren, wenn sie „ihr Blatt" in die Hände nehmen, versuchte die „ötv-magazin" -Redak-tion vor einiger Zeit durch eine Repräsentativ-umfrage des Instituts für angewandte Sozial-wissenschaften in Bonn-Bad Godesberg herauszufinden. Die Wissenschaftler ermittelten: Die Unterrichtung über ihre rechtliche Stellung am Arbeitsplatz und über aktuelle tarifpolitische Fragen setzen die Mitglieder der ÖTV an die Spitze ihrer Informationswünsche. Fast genau so viele, nämlich 56 Prozent der Befragten, möchten vor allem erfahren, wie es mit der sozialen und materiellen Absicherung aussieht. Sie erwarten, daß ihnen das „ötv-magazin" Argumentationshilfen liefert, die es ihnen erleichtern, sich für die Interessen der Mitglieder im Betrieb und in der Verwaltung einzusetzen. Sehr geteilt sind hingegen die Meinungen, ob das Mitgliederblatt sich aus der allgemeinen Politik heraushalten, nur das Wichtigste dazu sagen oder allgemeinpolitische Fragen ausführlich behandeln sollte. Für jede Möglichkeit entschied sich fast ein Drittel — ein Ergebnis, das den Magazin-Machern zu der Einsicht verhalf: Wir können machen, was wir wollen, recht können wir es immer nur einem Teil machen.

Dies hat, wie sich bei einer genaueren Durchsicht der Zeitschrift zeigt, die Redaktion nicht resignieren lassen. Im Gegenteil: Die Bemühungen, bei den Lesern anzukommen, beginnen bereits auf der Titelseite, die — vierfarbig und ideenreich gestaltet — kaum gegenüber der massiven Konkurrenz der Illustrierten zurücksteht. Ökonomisch gesehen konkurrieren Publikumszeitschriften natürlich nicht mit Zentral-organen — die einen gibt's umsonst, die anderen kosten zwei, drei und mehr Mark. Und doch stehen sie im Wettbewerb miteinander _ im Wettbewerb um die Zeit, die Bürger dieser Republik für Lektüre aufzubringen bereit sind. Da das Zeitbudget nun einmal begrenzt ist, kommt es für die Gewerkschaftspresse, wenn sie Beachtung finden will, eben doch darauf an, attraktiv zu sein — in der Aufmachung wie im Inhalt.

In der Tat ist das „ötv-magazin" innen so farbig wie außen. In lockerer Folge wechseln Berichte über Arbeitszeitregelungen und Arbeitsplätze, über Themen also, die traditioneller Weise zentrale Punkte der Gewerkschaftspresse sind, mit Reportagen und Glossen, die nur am Rande mit OTV-Problemen zu tun haben. Da wird beispielsweise unter der Über-schrift „Selbst edle Tropfen werden in Näpfe gespuckt" auf fünf Seiten geschildert, wie die Prüfer des Weinbauamtes Eltville in Weinbergen und -kellern mit Mostwaage und Gaumen den Kampf gegen die Pantscher aufgenommen haben. Freilich, so ganz ohne Bezug zur Gewerkschaft geht es auch in dieser Reportage nicht. Da sagt dann der Personalratsvorsitzende des Weinbauamtes einige schöne Worte über das gute Betriebsklima, Worte, deren Wahrheitsgehalt in gar keiner Weise bestritten werden soll, aber das „ötv-magazin"

kommentiert dann plump: „Als Vorsitzender des Personalrats weiß er es. Starke Interessenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber ist für ihn nicht ohne starke Gewerkschaft, nicht ohne die Gewerkschaft OTV, denkbar." Das klingt nicht nur nach Holzhammer-Methode, das ist sie, aber sie wird, das muß dem Magazin ausdrücklich bescheinigt werden, nur selten verwendet.

Die OTV-Mitglieder mögen die Mischung, die ihnen ihr Magazin serviert. Die vorhin erwähnte Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften ergab: 69 Prozent der Befragten stufen ihre Gewerkschaftszeitschrift als „unterhaltsam" ein, 70 Prozent halten sie für „gründlich“, und 73 Prozent loben ihre Praxisnähe. Und was für die Redaktion noch erfreulicher ist: Jedes zweite Mitglied, und das sind immerhin 500000, liest das Blatt regelmäßig, und zwar nicht nebenan am Arbeitsplatz, sondern in aller Ruhe zu Hause. Die Geschichte von den Papierkörben, in denen sich die ungelesenen Zentralorgane der Gewerkschaftspresse stapeln, muß wohl gründlich umgeschrieben werden.

Ähnlich wie die OTV hat sich auch die IG Metall in den letzten Jahren in verstärktem Maße darum bemüht, in Umfragen die Leserbedürfnisse für ihr Zentralorgan zu ermitteln Herausgekommen ist dabei viel, nämlich eine Zeitschrift, die lesenswert ist.

Das heißt selbstverständlich nicht, daß die 2, 3 Millionen Mitglieder das Zentralorgan „metall" allesamt als ihr Leib-und-Magen-Blatt betrachten, daß sie es gar nicht mehr erwarten können, bis die nächste Ausgabe erst wieder in zwei Wochen erscheint. Andererseits läßt sich nicht bestreiten, daß „metall" heute eine Zeitung ist, die munter informiert und mutig kritisiert, die gesellschaftspolitische Entwicklungen aufspürt und gewerkschaftliches Bewußtsein widerspiegelt — so gut wie nie theoretisch-abstrakt, sondern betriebs-und arbeitsplatznah, nie langatmig, sondern prägnant und zupackend, nie betulich-belehrend, sondern frisch und unterhaltend.

Daß Chefredakteur Jürgen Mechelhoff, der einst für den „Spiegel" schrieb, und seine Mitarbeiter eine klare Sprache sprechen, die Dinge so beim Namen nennen, wie sie es verdienen, belegen besonders eindrucksvoll die größeren Reportagen. Kostprobe aus einer Drei-Seiten-Geschichte über die „Kriminalität der feinen Leute“: „Weiße Kragen sind ihre Masken, ihre Tatwaffen sind aus Papier. Kriminelle, die mit Bilanzen statt mit Brecheisen, mit Konten statt Kanonen, mit fingierten Geschäften statt mit geschäftigen Langfingern in die eigene Tasche wirtschaften, richten jährlich einen Schaden an, den Experten zwischen 20 und 45 Milliarden Mark schätzen."

Nach einem solchen Einstieg beschränkt sich „metall" dann aber nicht aufs Polemisieren, sondern bringt Fakten. Daß diese dann wiederum einen gewissen Drall erhalten und die Unternehmer nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt werden, ist wohl auch verständlich. Ganz ohne Agitation kann natürlich auch „metall" nicht auskommen, vor allem dann nicht, wenn die Tarifrunden näher rücken. Da muß den Kontrahenten auf der anderen Seite gezeigt werden, daß man nicht mit sich spaßen läßt; da denkt man aber beim Einschlagen auf die Arbeitgeber zugleich an die Kollegen, die psychologisch richtig vorbereitet sein müssen, um gegebenenfalls zum Streik bereit zu sein.

Doch „metall" streut auch ganz bewußt zwischen Agitation und Information Unterhaltsames, Sport-Glossen von Horst Vetten und Fernseh-Kolumnen von Otto Köhler, unterbrochen durch Interviews mit Spitzenpolitikern wie Hans Koschnick und Egon Bahr und aufgelockert durch Leserbriefe und Kurznachrichten, Karikaturen und Berichte aus den Betrieben. Nur eins meiden Jürgen Mechelhoff und sein Team ganz bewußt: die allzu aufdringliche Selbstdarstellung der Gewerkschaftsspitze.

Nach dem Muster, so viel Eigenlob wie nötig, so viel Fakten und Argumente wie möglich, sind neuerdings auch andere Zentralorgane der Gewerkschaften gestaltet, beispielsweise die gemeinsame Zeitschrift der Gewerkschaft Nahrung — Genuß — Gaststätten und der Gewerkschaft Textil — Bekleidung, die unter dem Titel „einigkeit" erscheint. An Stammthemen der Gewerkschaften, etwa der Arbeit der Betriebsräte in den Unternehmen, geht sie selbstverständlich nicht vorbei, aber sie befaßt sich eben auch mit der Frage, ob das Fernsehen arbeitnehmerfeindlich ist und das modernste Klinikum Europas in Aachen als „Mekka der Medizin" oder als „Milliardengrab" betrachtet werden sollte.

Der Wandel hat freilich noch nicht alle Mitgliederzeitschriften erfaßt. Manche arbeiten noch im alten Trott. Auf eingefahrenen Gleisen fährt zum Beispiel immer noch der „Deutsche Eisenbahner" weiter, und erstaunlicherweise hat auch das zentrale Mitgliederorgan der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, die DAG-Schrift „Der Angestellte", die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ausgabe für Ausgabe rechnet die Redaktion den 430000 Beziehern des Blattes vor, was die DAG alles für sie getan hat. Und das liest sich dann so: „Die stellvertretende DAG-Vorsitzende Gerda M.

Hesse hat bei Bundespostminister Kurt Gscheidle in einem Brief Unverständnis für die beabsichtigte Anhebung der Postgebühren bekundet. Der Bundesvorstand der DAG sprach mit dem neuen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Dr. Otto Rudolf Kissel. In Bonn traf der DAG-Bundesvorsitzende Her-man Brandt mit den Spitzen der SPD-Bundestagsfraktion zusammen." „Die DAG hat bei Vertreterversammlungen der Krankenkassen dafür gekämpft, daß die Selbstverwaltung der Kassen gegenüber dem Staat gestärkt wird." „Die DAG hat eine Arbeitsmarktabgabe von Beamten und Freiberuflern gefordert." „Die DAG warnt vor der Versuchung, die brutto-lohnbezogene Rente in Zweifel zu ziehen.“ Und so geht es weiter, Seite für Seite, die DAG, die DAG, die DAG.

Gewiß sollen Mitgliederzeitschriften ihren Lesern nicht verschweigen, in welche Richtung die Interessen des Verbandes und ihre Politik gehen, welche Schritte die gewählten Vorstände unternommen haben, um sie in die Tat umsetzen. Aber ein zu starkes Klopfen auf die eigene Schulter bewirkt in der Regel eher das Gegenteil von dem, was man erreichen möchte, eine alte Erkenntnis, die offensichtlich noch nicht bis zur DAG vorgedrungen ist und auch nicht zu allen Gewerkschaften im DGB. Insgesamt hat sich jedoch der neue Trend durchgesetzt — weg von der Agitation, hin zur Information. 3. Sonderfall „‘ran"

Von allen DGB-Veröffentlichungen ist die Zeitschrift für Jugendliche, „ran," die munterste. Sie war in der Vergangenheit gelegentlich so aufmüpfig, daß die DGB-Oberen meinten, sie zähmen zu müssen. 1980 wurde die gesamte Redaktion ausgewechselt, weil die Zeitschrift in ihrer Weihnachtsnummer 1979 eine Karikatur veröffentlicht hatte, die eine Diskussion zwischen Maria und Josef über die Abtreibung mit dem Satz enden ließ: „War doch nur Spaß." Ärger bekam das Blatt auch mit den Spitzenfunktionären, als es eine Aufklärungsserie für Jugendliche brachte und sich an solche Themen wagte, die in den Gewerkschaften umstritten waren. Prompt fragten besorgte Leser: „Verbrennt ihr , ran', oder sollen wir das machen?", und andere schimpf-ten: „Ihr macht nur alles runter und bringt nie das Positive."

Derlei Reaktionen zeigen, daß man auch eine Jugendzeitschrift, die sich als Gegenstück zu Bauers „Bravo", dem Pop-und Soft-Porno-Blatt des Hamburger Zeitschriften-Konzerns versteht, am liebsten an die kurze Leine legen möchte. Innergewerkschaftliche Kritik ist unbeliebt und unbequem — eine Haltung, die auch auf dem letzten Jugendkongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes im November 1981 im sauerländischen Willingen zu beobachten war. Redakteure leiden darunter, weil sie selbstverständlich letztlich nachgeben müssen oder ihre Position riskieren. Daß dies ausgerechnet bei einer Organisation der Fall ist, die allüberall — und mit Recht — Mitbestimmung verlangt, also auch redaktionelle Mitbestimmung, ist keine Ermutigung.

Und dennoch: Wer heute „ran" (Auflage:

130000) aufschlägt, wird feststellen, daß die Macher sich nicht total verschüchtert ducken. Sie greifen weiterhin Themen auf, die in anderen Jugendzeitschriften so gut wie überhaupt nicht abgehandelt werden — Themen aus der Arbeitswelt im engeren und der Gesellschaftspolitik im weiteren Sinne. Ein Treffen ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS in Bad Hersfeld, die Arbeit eines autonomen Jugendzentrums in Bochum, der zehnjährige Kampf des heroinsüchtigen Michael gegen die Abhängigkeit von Rauschgift, die hanebüchenen Ausbildungsmethoden eines Fliesenlegermeisters, das alles würde „Bravo" nie interessieren. Mit dezidierten Meinungen hält die Redaktion nicht hinter dem Berg. So fragte sie beispielsweise in einer Titelgeschichte: „GEMA — eine Mafia?" In der Reportage über die Gesellschaft für musikalische Aufführungs-und mechanische Vervielfältigungsrechte, die dem Schutz der Urheber und der Wahrnehmung seiner Rechte dienen soll, ging es um die Benachteiligung von Rockmusikern bei der Verteilung der Millionen, die Jahr für Jahr von den Rundfunksendern und anderen Veranstaltern musikalischer Darbietungen in die GEMA-Kasse fließen. Schon die Zwischenüberschriften des Beitrages signalisieren, daß „ran" nicht zimperlich ist: „Ein erlauchter Kreis von Greisen entscheidet über den 408-Millio-nen-Kuchen", „Rockmusikern steigt die blanke Wut in den Bauch", „Die Herrschaften dürfen sich nicht wundern, mit der Mafia verglichen zu werden."

Im Herbst letzten Jahres glaubte die ,,'ran" -Re-daktion, so weit zu sein, um auch an die Kioske gehen zu können. Doch der Plan, mit Hilfe der coop AG und der Gewerkschaft Nahrung— Genuß—Gaststätten in Lebensmittelmärkten und über Zeitungskioske zwischen Stuttgart und Heilbronn zu neuen Leserschichten vorzustoßen, mußte im letzten Moment zunächst zurückgestellt werden — die Grossisten verweigerten jene Vertriebsrabatte, die sich die Redaktion als Einführungspreis erhofft hatte. Aber was nicht ist, kann noch werden, zumal das gestoppte Experiment zeigt: Ohne unternehmerisches Risiko ist auch für den DGB der viel beschworene Dialog mit der Jugend auf dem publizistischen Sektor nicht zu haben. 4. Grenzen der Freiheit Der oben schon erwähnte Konflikt der Jugendzeitschrift mit dem DGB wegen einer Karikatur und einer Aufklärungsserie bedarf noch einer Nachbetrachtung, denn hier geht es um mehr als um ein „ran" -internes Problem. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit", zwar hinsichtlich der Berichterstattung im Wirtschaftsteil nicht gerade als ein besonders gewerkschaftsfreundliches Blatt bekannt, umschrieb die Lage am 23. Oktober 1981 dennoch richtig so: „Beim Kampf für die Belange der Arbeitnehmer lassen sich die Gewerkschaften von niemandem überbieten — doch wenn sie selbst in der Rolle des Arbeitgebers sind, werden die eigenen Ziele leicht vergessen. Kündigungsschutz, Mitsprache oder . innere Pressefreiheit'gelten dann offenbar wenig." Die Verfasserin des Beitrages, eine Kennerin der Gewerkschaftsszene, hat ihre Kernthese mit vielen Beispielen belegt: Da erfahren Mitarbeiter der DGB-Wochenzeitung „Welt der Arbeit", die übrigens nicht umsonst ins Haus kommt, „über Nacht," daß ihre Redaktion von Köln-Deutz nach Düsseldorf verlegt wird; da werden verdiente langjährige Chefredakteure, wie etwa Walter Fabian von den „Gewerkschaftlichen Monatsheften", kurzerhand gekündigt und innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen vertuscht oder einseitig dargestellt — eine Kritik, die sich die IG Chemie-Blätter „Umschau" und „Gewerkschaftspost" auf dem Gewerkschaftstag in Essen 1980 gefallen lassen mußten. Zu verstehen ist das alles nicht; erklären läßt sich dieser Umgang von Vorständen mit Kollegen in den Medien nur aus einer Haltung, die sich vielleicht auf die Formel bringen läßt: Gewerkschaftsblätter sind Vorstandsblätter.

Daß dies heute nicht mehr die gängige Linie ist, daß sich vielmehr die Mehrzahl der Gewerkschaftszeitungen thematisch geöffnet hat, belegen sie Ausgabe für Ausgabe. Bewirkt hat den Wandel in der Sache selbstverständlich vor allem der Wechsel der Personen in den Redaktionen. Dort, wo einst der altgediente Gewerkschaftsfunktionär so nebenbei auch noch eine Zeitschrift machte, sitzen heute Profis, Journalisten, die ihr Handwerk verstehen. Das Rekrutierungsfeld für Gewerkschaftsjournalisten hat sich erweitert Gegenüber der fachlichen Eignung tritt die Verbundenheit mit der Gewerkschaftsbewegung mehr und mehr als Auswahlkriterium für Redakteure in den Hintergrund. Wichtiger als der Erfahrungsweg ist der Ausbildungsweg. Gewerkschaftlicher Stallgeruch, ehedem eine unabdingbare Voraussetzung für jemanden, der ein Gewerkschaftsblatt redigieren wollte, erscheint heute als verzichtbar. Geändert hat sich auch die Position der Gewerkschaftsjournalisten gegenüber den Vorständen. Früher gehörten sie ihnen selbst direkt an, waren sie von Kongressen gewählte Vorstandsmitglieder mit einer unmittelbaren demokratischen Legitimation; heute arbeiten die meisten Redakteure als Angestellte, die mit dem Vorstand einen Vertrag vereinbart haben und seinen Weisungen unterliegen. über die Frage, ob der Typus von früher oder der von heute mehr Freiheit bietet, läßt sich theoretisch trefflich streiten. In der Praxis ist jedoch jeder, ob gewählt oder angestellt, an Vorstandsbeschlüsse gebunden. Das muß nicht das Ende der redaktionellen Freiheit sein. Couragierte und engagierte Redaktionen und tolerante Vorstände — beides gibt es — ermöglichen jedenfalls Blätter, die Interesse verdienen, weil sie nach dem Prinzip arbeiten: So viel Informationen von oben wie nötig, so viel Meinung von unten wie möglich.

IV. Bestandsaufnahme der Kirchenpresse

1. Daten und Fakten Gefragt, ob die konfessionelle Presse auf dem bundesrepublikanischen Zeitungs-und Zeitschriftenmarkt eher als ein David oder als ein Goliath einzuschätzen ist. müßte man sich bei einem Blick auf die Zahlen sicherlich für den Größeren entscheiden. Trotz Fehlens einer ganz exakten Statistik ist sicher, daß es die katholischen Blätter auf eine Gesamtauflage von gut elf und die evangelische Publizistik auf rund siebeneinhalb Millionen Exemplaren bringen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die einzelnen Titel in unterschiedlichen Abständen erscheinen — wöchentlich, monatlich und vierteljährlich. Auf wöchentliche Erscheinungsweise umgerechnet, kommt die konfessionelle Presse auf eine Auflage von knapp sieben Millionen Exemplaren.

Beide Kirchen haben Institutionen entwickelt, die den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der in der jeweiligen Konfession publizistisch Tätigen fördern sollen. So wurde 1949 als freiwilliger und von der kirchlichen Behörde unabhängiger Zusammenschluß die „Arbeitsgemeinschaft katholische Presse e. V.'(APK) gegründet. Ihr gehören heute Verleger und Redakteure aus 69 Verlagen an. in denen 107 Zeitschriften erscheinen — Bistumsblätter und Wochenschriften. Missionszeitschriften und Publikationen für Frauen und Jugendliche. Magazine und Fachzeitschriften. In ihrer Satzung hat sich die Arbeitsgemeinschaft die Aufgabe gestellt, die Interessen der katholischen Presse in der Öffentlichkeit wahrzunehmen, und zwar . durch Beschäftigung mit Grundsatzfragen der katholischen Pressearbeit; durch Zusammenarbeit mit kirchlichen Stellen und sonstigen Einrichtungen, die sich mit Fragen der katholischen Publizistik befassen; durch Veröffentlichung von Verlautbarungen und Stellungnahmen zu Fragen der katholischen Publizistik; durch Beobachtung und Sammlung aller erreichbaren Äußerungen über die katholische Publizistik; durch Zusammenarbeit mit der katholischen Presse und deren Organisationen im Ausland und mit der evangelischen Presse; durch Zusammenarbeit mit sonstigen berufsständischen Einrichtungen und staatlichen Stellen zur Wahrung all-B gemeiner pressepolitischer Belange der Arbeitsgemeinschaft. “

Bundesrepublik.

Verlagen Der Arbeitsgemeinschaft und ihren dient die Münchner Medien-und Dienstleistung GmbH (MDG) als Service-Instrument, die den katholischen Medienbereich wirtschaftlich und puublizistisch stärken soll Die MDG verfolgt keine eigenen verlegerischen Interessen sondern versteht sich unter Beach-tung der Prinzipien Subsidiarität und Solidari-tat als Partner der katholischen Verlage der Die Medien-und Dienstleistungs-Gesellschaft und die Arbeitsgemeinschaft haben gemeinsam ihre Anstrengungen zur \ erbesserung der katholischen Publizistik x erstarkt seitdem sie wissen, wie das Kirchenvolk über ihre Produkte denkt Dies erfuhr die Arbeitsgemeinschaft Mitte der siebziger Jahre aus einer umfangreichen Untersuchung. Sie ergab unter anderem: Die bisherigen Bezieher der Kirchen-presse sind überaltert, weil die Mehrzahl der Leser über 50 ist Der Anteil der Frauen überwiegt. Es gibt nur wenig jugendliche Leser. Die Kirchenpresse ist in Landgebieten stärker vertreten als in Städten. Sie wird nur selten an erster Stelle als Informationsquelle für kirchliche Nachrichten genannt, aber sie gilt als glaubwürdiger und zuverlässiger als andere Medien, wenn es um Fragen des Glaubens geht.

Die Untersuchung berichtete auch über die Erwartungen an die Kirchenpresse: Die älteren Leser erwarten Bestätigung der traditionellen Lehre, die jungen hingegen Offenheit und Pluralität. Die Amtskirche erwartet von ihrer Presse eine verbindliche Darstellung aller Lehren; junge Leser und junge Familien möchten der Kirchenpresse Lösungen für ihre realen Probleme der Partnerschaft und der Erziehung entnehmen können.

In den katholischen Verlagen erscheinen im einzelnen 22 Bistumszeitungen, die im folgenden Kapitel noch gesondert betrachtet werden, ferner die Wochenschriften . Altöttinger Liebfrauenbote’, . Bayerisches Sonntagsblatt*, «Christ in der Gegenwart* (Freiburg), . Die Christliche Familie“ (Essen), „Liboriusblatt" (Hamm) und die . Neue Bildpost* (Schmallenberg) mit einer Gesamtauflage von rund 600 000 Exemplaren, die dreimal wöchentlich in Würzburg publizierte . Deutsche Tagespost’, Magazine wie . Leben und Erziehen* (Auflage: * 620 000) und „Weltbild" (Auflage: 370 000) sowie Ordens-und Missionszeitschriften (, Mission aktuell“ in einer Auflage von 800 000 Stück zweimonatlich) und spezielle Publika-tionen für Frauen (Frau und Mutter', monatlich. Auflage: 600 000), Jugendliche (Die Sternsinger" Mission. vierteljährlich. Auflage: 837 000 und Verbände Ahnlich breit gefächert ist das Spektrum der evangelischen Publ izistik Eime Erbebung ans dem Jahre 1915 kam aref 800 bis S 50 Per iod ka De® Kernstück büldet auch hier die noch im einzelnen za analsiierende K rchengebiets-presse Daneben bieten zahlreiche Landeskireben ihren Mitgliedern kostenlos Publikationen an (Hamburg: „Blickpankt Kirche", Evangehsehe Kirche in Hessen und Nassau Im Gespräch miteinander*! Unterhalb der regionalen Ebene kommen die sogenannten . Ge-

meindebriefe" heraus. . An Leserschichten über die Kerngemeinde hinaus wenden sich Monatsschriften wie die „Evangelischen Kommentare* und die Xutherischen Monatshefte* und selbstverständlich das . Deutsche . Allgemeine Sonntagsblatt*, das evangelische Pendant zum „Rheinischen Merkur*.

Um die publizistische Darstellung nach innen und außen zu verbessern, wurde 1974 das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) gegründet Seine Mitglieder — die Landeskirchen, die kirchlichen Zusammenschlüsse. die großen kirchlichen Werke und die EKD — stimmen laut Satzungspräambel darin überein, „daß evangelische Publizistik eine Funktion der Kirche ist die in allen ihren Arbeitszweigen an der Erfüllung des Auftrages teilnimmt dem die Kirche verpflichtet ist den Gliedern der Kirche zum Verständnis wichtiger Vorgänge in der Christenheit verhilft sowie das Zeugnis und den Dienst der Kirche in der Öffentlichkeit geltend macht."

Das Gemeinschaftswerk verbindet produzierende und verlegerische publizistische Aktivitat mit planenden, beratenden, fördernden, organisierenden und die Zusammenarbeit regelnden Aktivitäten. Die 90 hauptberuflichen Mitarbeiter des Gemeinschahswerks arbeiten in sieben Fachbereichen: 1. Evangelischer Pressedienst (epd), 2. Ausbildung. Fortbildung und Personalplanung /Christliche Presse Akademie. 3. Hörfunk und Fernsehen.

4. Film /Bild /Ton. 5. Zeitschriften. 6. Buch.

7. Werbung und Public Relations. * 2. Die Bistums-und Kirchengebietspresse Sowohl bei der katholischen als auch bei der evangelischen Kirche bildet die Bistums-bzw.

die Kirchengebietspresse das Rückgrat der Pressearbeit. Die 22 katholischen und 14 evangelischen Ausgaben dieses Genres sind es wert, ein wenig genauer unter die Lupe genommen zu werden, denn nirgendwo sonst zeigen sich die Chancen und Risiken konfessioneller Publizistik so deutlich wie hier.

Zunächst ein Blick in die Bistumspresse; das sind also, wie die Tabelle im einzelnen ausweist, das „Konradsblatt" und das „Petrusblatt", das sind „Der Dom" und „Der Sonntag", das „Ruhrwort" und „Kirche und Leben", um einige Titel zu nennen — Titel, die einer größeren Gemeinde von Gläubigen durchaus etwas bedeuten, Titel, die jedoch kaum jemand kennt, die weder in einer Presseschau auftauchen noch auf andere Weise in ein breites öffentliches Bewußtsein treten.

Daß sie sich indessen der aufmerksamen Beobachtung der höheren Geistlichkeit erfreuen, ist sicherlich kein Zufall. Viele von ihnen stekken in den roten Zahlen, sind also für die katholische Kirche Zuschußunternehmen und schon unter diesem Gesichtspunkt von Interesse. Darüber hinaus hat auch der Inhalt der Bistumsblätter die Kirchenoberen in der Vergangenheit wiederholt beschäftigt. So verabschiedete die Vollversammlung des Zentral-komitees der deutschen Katholiken im Mai 1978 eine Resolution, in der es hieß: „Nach Meinung des Zentralkomitees sind rasche redaktionelle und verlegerische Anstrengungen notwendig, um die Bistumspresse zu einem wirksameren Medium im innerkirchlichen und gesellschaftspolitischen Raum zu entwikkeln. Denn obwohl die meisten Bistumszeitungen in zunehmendem Maße den Abschied von einer überwiegend erbaulichen und reproduktiven Selbstdarstellung des kirchlichen Lebens vollzogen haben, kann nicht übersehen werden, daß die Bistumspresse parallel zum Rückzug der Kirchlichkeit in den letzten Jahren starke Einbußen in der Leserschaft hinnehmen mußte."

Die Verluste, die das Zentralkomitee so besorgt machten, waren in der Tat eine Zeitlang recht beträchtlich. Hatte die Bistumspresse 1950, also kurz nach dem Neuanfang, schon eine Auflage von zwei Millionen Exemplaren erreicht und war sie bis 1963 auf fast zweieinhalb Millionen gestiegen, nahm sie seitdem kontinuierlich ab. In den letzten Jahren ist die Talfahrt jedoch zum Stillstand gekommen. Die Auflage hat sich bei 1, 8 Millionen Stück eingependelt und hat, wie auf der letzten Jahresversammlung der Arbeitsgemeinschaft Katholische Presse im Oktober 1981 in Münster mitgeteilt wurde, sogar wieder eine leichten Aufwärtstrend

Ob dies die Folge redaktioneller Veränderungen oder das Ergebnis einer stärkeren allgemeinen, von publizistischen Wirkungen völlig unabhängigen Hinwendung zu religiösen Fragen ist, läßt sich natürlich nicht schlüssig beantworten. Wenn man einmal die Blätter aller Bistümer miteinander vergleicht, ist jedoch auffällig, wie stark sie voneinander abweichen. Da sind die einen, für die etwa das „Regensburger Bistumsblatt" als Prototyp gelten kann, die sich in den letzten Jahrzehnten weder innerlich noch äußerlich verändert haben. Typographisch anspruchslos gestaltet, konzentrieren sie sich darauf, Amtskirchliches mitzuteilen, die Aktivitäten des Bischofs und des Kirchen-volkes in der Diözese zu registrieren und die Botschaft der Bibel zu verkünden. Daneben steht — zumeist völlig unvermittelt — Unterhaltsames, oder besser gesagt, was die Redakteure der Kirchenpresse offensichtlich dafür halten: Tips für Hauhalt und Kosmetik und die Menüs der Woche. Leseprobe aus dem „Regensburger Bistumsblatt": „Wir wissen, die Frisur will nicht sitzen, wenn wir uns nicht wohl-fühlen. Tägliches Bürsten und viel frische Luft geben dem Haar Duft und Glanz. Wissen Sie aber auch, welchen Einfluß unsere Nahrung auf unsere Haare hat? Essen Sie jeden Tag Roh-Salate und Obst, gewöhnen Sie sich wieder an Vollgetreide, besonders Hafer und Hirse. Wenn Sie längere Zeit konsequent bleiben, wird Ihr Haar es Ihnen danken."

Andere Blätter, und es ist inzwischen die Mehrzahl, haben sich von derlei Unterhaltung inzwischen längst entfernt. Sie präsentieren sich, wie etwa das „Ruhrwort" aus Essen, im modernen sechsspaltigen Umbruch oder, wie zum Beispiel das Freiburger „Konradsblatt", farbig und reich illustriert oder, wie die Kirchenzeitung für das Bistum Limburg, „Der Sonntag", übersichtlich gegliedert, fast wie ein Magazin.

Der attraktiveren Aufmachung dieser Regionalzeitungen der katholischen Kirche entspricht zumeist auch ein Inhalt, der zwar nicht auf die zweifellos unumgängliche Portion Selbstbespiegelung verzichtet und die Gläubi-gen über die kirchlichen Ereignisse im Bistum unterrichtet, aber das „Ruhrwort" beschäftigt sich eben auch mit neonazistischen Strömungen unter Jugendlichen und mit der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in der modernen Arbeitswelt.

Das Freiburger „Konradsblatt" berichtet, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ganz im modernen Illustrierten-Stil über ein katholisches Kinderdorf auf Sri Lanka, dem früheren Ceylon, stellt die Familienpolitik der Bundesregierung zur Diskussion und weist auf drei Seiten ausführlich auf das Fernsehprogramm der kommenden Woche hin. Gesellschaftspolitisch engagiert gibt sich, um ein drittes Beispiel zu nennen, auch die Limburger Bistums-zeitung „Der Sonntag", die nach den tieferen Ursachen für die Jugendunruhen fragt und dazu feststellt: „Sie haben nicht Hunger nach Wasser und Brot, sondern nach Menschlichkeit. Sie gehen auf die Barrikaden, nicht, weil sie höhere Löhne wollen, sie begehren nach mehr Möglichkeiten der Entfaltung in unserer verwalteten Welt. Und manche von ihnen üben Gewalt gegen Geschäfte und Einrichtungen, weil sie das Empfinden haben, daß diese ihnen Gewalt antun."

Die Beispiele signalisieren, wie unterschiedlich die Bistumsblätter auch heute noch ihre Funktion interpretieren, als Zeitung der Diözesankirche alle Gläubigen — Bischöfe, Priester und Laien — miteinander zu verbinden, den Informationsfluß und den Kommunikationsprozeß zu ermöglichen und zu fördern und zugleich Forum einer kritischen Meinungsbildung innerhalb der Kirche zu sein. Befragt, ob sie die Funktion der von ihnen gemachten Blätter auch so einschätzen, antwor13 teten 65 Prozent der befragten Redakteure und Chefredakteure der Bistumspresse mit „Ja" — ein Zeichen dafür, daß der Forum-Gedanke auch bei den Zeitungsmachern auf breite Zustimmung gestoßen ist. Daß im Gegensatz dazu eine Minderheit weiterhin dem Kanzel-Modell anhängt, einem Modell, das die regionale Kirchenzeitung als Kanzel betrachtet, von der die christliche Botschaft, die Lehre und der Auftrag der Kirche immer wieder neu verkündet werden, ist bei einem Blick in Produkte wie das „Regensburger Bistumsblatt" nicht zu übersehen.

Der Wandel der kirchlichen Presse hat also nicht alle Erzeugnisse erfaßt. Gleichwohl zeigt ein Zitat aus einem Prospekt der Arbeitsgemeinschaft Katholische Presse e. V., wie eigentlich heute alle Periodika aussehen sollten: „Katholiken, die eine Kirchenzeitung beziehen, erleben zuweilen überraschendes. Man hat Gäste, zufällig liegt die Bistumszeitung oder ein anderes katholisches Blatt auf dem Tisch, und erstaunt fragen die Freunde: , Das ist eine Kirchenzeitung?'Je länger sie darin blättern, um so verwunderter sind sie: So hatten sie sich eine Kirchenzeitung nicht vorgestellt. So modern gestaltet, mit zeitnahen Themen, mit Bildern, Reportagen, Kommentaren, Nachrichten. Waren das nicht früher sehr erbauliche Blätter mit Heiligenbildern und frommen Geschichten?"

Die Vergangenheit, die der Prospekt für überwunden hält, sie lebt auch noch in manchem Produkt der evangelischen Publizistik. Selbst die Kirchengebietspresse kann davon nicht ganz ausgenommen werden, wie im „Publizistischen Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland" eingeräumt wird, in dem es heißt: „Die evangelische Kirche kann auf eine qualifizierte Kirchengebietspresse nicht verzichten. Kirchliche Wochenzeitungen für die Region sollte es über das Abonnement auch in Zukunft geben. Die Auflagenentwicklung in den letzten Jahren und der ständig ansteigende Zuschußbedarf zwingt die Kirchengebietspresse jedoch zu neuen Wegen. Die Pro-bleme sind regional unterschiedlich. Doch bleiben generell Fragen an die verlegerische Potenz für diese Blätter, an die Besetzung der Redaktionen mit qualifizierten Journalisten, an die immer wieder auftauchende thematische Engführung und vor allem an den Vertrieb." An Sorgen wahrlich kein Mangel. Das erste Stichwort betrifft die Auflagenentwicklung. Seit zehn Jahren geht es abwärts, wie die Tabelle belegt. Aufwärts geht es nur mit den Kosten, letztlich also mit den Zuschüssen; diese kommen aus Etats, die nicht größer, sondern eher kleiner werden — finanziell gesehen keine sehr günstigen Perspektiven.

In der evangelischen Kirche hat allenthalben ein intensiveres Nachdenken über Einsparungsmöglichkeiten begonnen. Die Richtung hatte bereits der „Publizistische Gesamtplan" angezeigt mit seiner Feststellung: „Es erscheint nicht notwendig, daß alle vorhandenen Blätter am Leben erhalten werden. Etwa sechs lebensfähige Regionen bieten sich als Einheiten an: Nordelbien, Niedersachsen-Bremen, Rheinland-Westfalen, Hessen-Nassau-Kurhessen-Pfalz, Württemberg-Baden und Bayern." Ein einleuchtender Vorschlag, aber einer „von oben". An der Basis sieht man es offenbar anders. Da wollen eben die Gläubigen in Kurhessen-Waldeck ihr „Kasseler Sonntagsblatt" behalten, und was den Kurhessen recht ist, ist den Bremern billig: Bislang schwören sie weiterhin auf ihre Kirchenzeitung, selbst wenn sie nur vierzehntägig erscheint und kostenlos geliefert wird und deshalb im engeren Sinne nicht der Kirchengebietspresse, die ja bezahlt werden muß, zuzurechnen ist.

Was im Norden mißlang, blieb auch im Südwesten Planung. Die Badenser bringen weiter ihren . Aufbruch" heraus und die Württemberger ihr „Evangelisches Gemeindeblatt" — Kooperation ist leichter gesagt als praktiziert, wenn es um gewachsene Strukturen geht. Daß sich die indessen verändern lassen, zeigt das Beispiel der evangelischen Presseverbände für das Rheinland, Westfalen, Lippe und das Saarland. Sie lassen unter den Titeln „Unsere Kirche", „Sonntagsgruß" und „Der Weg" drei Blätter erscheinen, die im großen und ganzen, abgesehen von einigen wenigen regionalen Wechselseiten, identisch sind.

Die drei verdienen jedoch nicht nur wegen ihrer Kooperation Beachtung; über das ökonomische hinaus ist ihr Inhalt bemerkenswert, weil er signalisiert, daß hier der zweite Kritikpunkt des „Publizistischen Gesamtplans" an der Kirchengebietspresse — ihre „thematische Engführung" — aufgearbeitet worden ist. Das haben noch nicht alle geschafft. Da ist beispielsweise der „Evangelische Sonntagsbote für Kurhessen-Waldeck", wie sich die in Kassel erscheinende regionale Wochenzeitung im Untertitel nennt. Sie kommt mittlerweile im 104. Jahrgang heraus, und das merkt man ihr auch an. Einmal abgesehen vom religiös-erbaulichen Stoff und den kirchlichen Nachrichten — was da an Unterhaltsamem geboten wird, ist nicht mehr als Zusammengeschnippeltes aus spottbilligen oder gar honorarfreien Quellen. Ob die Kirchgänger in Kurhessen-Waldeck aus ihrem Sonntagsblatt wirklich erfahren möchten, daß Schwalbennester, die mehrere Jahre mit Jungen besetzt waren, normalerweise stark von Vogelmilben verseucht sind, daß in London ein Club der Sitzengebliebenen existiert oder daß man zur Zahnfleisch-pflege Sägespäne benutzte, bevor Bürsten auf-kamen? Derlei Kuriositäten aus Kassel sind selbstverständlich nicht typisch für die gesamte Kirchengebietspresse, sondern spiegeln nur einen Ausschnitt wider. Kassel ist nicht Berlin, wo ein Sonntagsblatt erscheint, das als Beispiel des modernen Typs bezeichnet werden kann. Äußerlich eher aufgemacht wie die Münchner „Abendzeitung" oder das im Januar 1981 verschiedene Berliner Boulevardblatt „Der Abend", handelt das „Berliner Sonntagsblatt" ein breites Themenspektrum ab — vom Engagement der Kirche in der DDR über Probleme bei der Telefonseelsorge bis hin zu einem Kommentar über die Aktualität des NATO-Doppelbeschlusses, von einer Foto-Serie unter dem Titel „Berlin — wie haste Dir verändert" bis zu einem Bericht über die Moabiter Theater-Tage. Daß die Zeitung daneben Bibeltexte interpretiert und die Predigt des folgenden Sonntags kommentiert und über kirchliche Veranstaltungen referiert, versteht sich von selbst.

Ungewöhnlich ist hingegen die Intensität, mit der die Redaktion zuweilen aktuelle Streitfragen diskutieren läßt und auch nicht davor zurückschreckt, in den Spalten des Blattes diametral entgegengesetzte Ansichten der Gemeindemitglieder widerzuspiegeln. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Friedensdiskussion 1981. Zunächst meldete sich im „Berliner Sonntagsblatt" der Reinickendorfer Superintendent Heinz Schladebach unter der Über-schrift „So darf es nicht weitergehen" zum Problem des kirchlichen Pazifismus zu Wort. Schladebach appellierte an die Vertreter des kirchlichen Pazifismus, aus verfestigten Positionen herauszukommen, das Risiko eines Sachstreits einzugehen und nicht einseitig einer Weltmacht zu dienen und die andere moralisch im Stich zu lassen.

Diese — grob kategorisiert — pro-amerikanischen Ausführungen lösten heftige Reaktionen aus, zustimmende und ablehnende. Während Wolfgang Wilkening und andere die Stellungnahme des Superintendenten „ausgezeichnet und ermutigend" fanden und lobten, „ein Glück, daß es noch kirchliche Persönlichkeiten gibt, die sich von modischen Bewegungen nicht narkotisieren lassen und klaren Kopf behalten", bemerkte Johannes Kandel im „Sonntagsblatt": „Nun, da sich im Kirchenvolk einiges regt, da Ängste und Befürchtungen vieler Christen nicht mehr resignativ im Kämmerlein sublimiert und im billigen Trost, es komme ja doch, wie der HERR es wolle, verdrängt werden, da sich das Kirchenvolk zum Widerstand gegen eine stillschweigende Rechtfertigung fortschreitender Aufrüstung mit christlichen Argumenten formiert und bereit ist, aktiv für den Frieden zu kämpfen — da melden sich auf einmal in großer Zahl die Leitenden ... Superintendent Schladebach ist ein Musterbeispiel eines leitenden Oberzensors: Ihm ist es gegeben, den kirchlichen Pazifismus sozusagen kirchenkreisamtlich abzuwerten."

Berlin ist kein Einzelfall. In die Friedensdiskussion hat sich beispielsweise auch das Sonntagsblatt für die Pfalz, der in Speyer erscheinende „Evangelische Kirchenbote", schon früh eingeschaltet — nicht nur mit Berichten und Kommentaren zur Bonner Friedensdemonstration, sondern auch mit eigenen Beiträgen. Anfang Dezember 1981 formulierte Professor Walter Künneth 19 Thesen zum Friedensauftrag der Kirche. Dazu bemerkte er einleitend im „Evangelischen Kirchenboten": „Zum Thema Kirche und Frieden gibt es sehr verschiedene Meinungen und überaus differenzierte Antworten, je nach der politisch-ideologischen Einstellung. Gültig kann jedoch nur diejenige Stellungnahme sein, die dem auf den biblisch-reformatorischen Grundlagen beruhenden Selbstverständnis der Kirche entspricht. Wenn die Kirche jedoch in Anpassung an die Parolen des Zeitgeistes sich selbst preisgibt, ist diese Fragestellung sinnlos, denn die Kirche ist dann ja gelähmt, einen spezifisch christlich-kirchlichen Beitrag zur Friedens-frage zu leisten. Dann wiederholt die Stimme der Kirche nur, was die politisch-ideologisehen Gruppierungen und die Massenmedien schon oft genug behauptet haben. Demgemäß wird die Kirche gerade umgekehrt über den Frieden das zu sagen haben, was dem Geschmack unserer Zeitlage nicht entspricht, was man nicht gerne hört und sogar Widerspruch provoziert."

Ähnlich wie die Redaktion des „Kirchenboten" gehen das „Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg" und die „Evangelische Kirchen-zeitung für Baden" durchaus das Risiko ein, durch Stellungnahmen zu umstrittenen gesellschaftspolitischen Themen Kritik auf sich zu ziehen. Das macht ihnen die Arbeit nicht leichter, aber die Zeitungen, die sie auf den Markt bringen, mit Sicherheit lesenswerter. 3. Grenzen des Versuchs, die Getto-Situation zu überwinden Nicht ohne Absicht hat die Darstellung der Zentralorgane der Gewerkschaften und der Bistums-bzw. Kirchengebietspresse einen so breiten Raum in diesem Überblick eingenommen. In beiden Fällen, bei den Gewerkschaften wie den Kirchen, handelt es sich um das jeweilige Kernstück ihrer Publizistik, an dem zugleich deutlich wird, welche Wandlungen in den letzten Jahrzehnten eingetreten sind. Was für die Kirchenpresse zu beobachten ist, gilt auch für die Gewerkschaftspresse: Sie hat sich, obwohl vorrangig Mitgliederpresse, zur Gesellschaft hin geöffnet, doch diese Öffnung hat Grenzen. So wissen beispielsweise die Verantwortlichen der Kirchen nur allzu gut, daß sie mehr als bisher jene ansprechen müßten, die Schwierigkeiten mit dem Glauben haben, aber je mehr sich ihre Blätter gerade um diese kümmern, desto größer wird für sie die Gefahr, ihre Kerngemeinde zu verunsichern, ihre Stammkundschaft zu verlieren.

Nun haben beide Großorganisationen, die Kirchen wie die Gewerkschaften, durchaus Organe, die über die Mitgliedschaft hinaus Beachtung finden. Zu denken ist dabei an die „Gewerkschaftlichen Monatshefte", ein wenig auch an die „Welt der Arbeit", vor allem aber an das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" und den „Rheinischen Merkur", doch sie erreichen insgesamt natürlich nur einige hunderttausend Leser. Gewiß wenden sich die Gewerkschaften mit Pressediensten und -mitteilungen, die Kirchen mit Agenturnachrichten des Evangelischen Pressedienstes (epd) und der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sowie mit Spezialdiensten wie Kirche und Rundfunk" (ev.) und „Funk-Korrespondenz" (kath.) an die Öffentlichkeit — insgesamt gesehen ändert dies allerdings nichts an der Feststellung, daß zwei der größten Organisationen dieser Republik mit ihrer Publizistik weitgehend unter sich bleiben. Das hat dazu geführt, daß beide unzufrieden mit dem Bild sind, das in der Öffentlichkeit über sie besteht, denn die Presse, der Hörfunk und das Fernsehen nehmen ihre Aktivitäten nur zu Kenntnis, wenn sie sich als Ausnahme von der Regel vermarkten lassen.

Die Aussichten, daß sich daran etwas ändert, sind gering. Der katholischen Kirche hat das Millionen-Abenteuer mit der Wochenzeitung „Publik" offensichtlich einen solchen Schock versetzt, daß sie sich wohl auf absehbare Zeit nicht auf ein neues publizistisches Wagnis einlassen wird. Und der DGB? Angeschlagen, wie seine Reputation durch die Neue-Heimat-Affäre ist, bestehen wohl ausgerechnet zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine Chancen, mit einer eigenen Tageszeitung positive Effekte zu erzielen. Vor vielen, vielen Jahren ist über ein solches Projekt wiederholt in den Reihen des DGB diskutiert worden, aber es ist bei Erörterungen geblieben. Wenn nicht alles täuscht, wird sich die kirchliche und gewerkschaftliche Publizistik auch in Zukunft weitgehend dort entfalten, wo sie in der Vergangenheit ihren Schwerpunkt hatte — im Getto der Verbandspresse.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. u. a.: Günter Wallraff, Der Aufmacher, Köln 1977; Otto-Walter Haseloff, Stern, Mainz 1977; Dieter Just, Der Spiegel, Hannover 1967; Michael Wolf Thomas (Hrsg.), Die lokale Betäubung oder der Bürger und seine Medien, Berlin — Bonn 1981.

  2. Publizistischer Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vorgelegt von der Kammer der EKD für publizistische Arbeit und im Auftrag des Rates der EKD herausgegeben von der Kirchen-kanzlei, Gütersloh 1979, S. 11.

  3. Reinhard Jühe, Das Unternehmerbild der Gewerkschaftspresse (= Beiträge zur Gesellschaftsund Bildungspolitik, Bd. 55), Köln 1980, S. 11/13.

  4. „OTV-Magazin" H. 3, 1981.

  5. Einzelheiten siehe: „metall" und „Der Gewerkschafter" im Urteil der Leser. Kurzfassung einer in-fas Untersuchung, Frankfurt a. Main o. J.

  6. „metall", 28. 2. 1981.

  7. „Der Angestellte", September 1981, S. 3.

  8. Ebd., S. 5.

  9. Ebd., S. 9.

  10. Ebd., S. 10.

  11. „ran", Februar 1981.

  12. Erika Martens, Wenn der Chef Kollege ist, in: Die Zeit. Nr. 44 v. 23. 10. 1981, S. 23.

  13. Reinhard Jühe, Die Redakteure der Gewerkschaftspresse, in: Gewerkschaftsreport, Nr. 5, 1979. § 22 ff.

  14. Arbeitsgemeinschaft katholische Presse e. V.: Satzung, Neufassung, beschlossen in der Mitgliederversammlung vom 5. November 1970.

  15. Zitiert in: Publizistischer Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979,

  16. Vgl. ZV + ZV, H. 47/48, 1981, S. 1775.

  17. Vgl. Eckard Bieger, Die Redakteure der Bistums-presse. Ergebnisse einer Umfrage, München, Paderborn, Wien 1978, S. 81.

  18. Katholische Presse: Eine Presse für den Menschen. Prospekt, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Katholische Presse e. V. o. O. u. J., S. 1.

  19. Publizistischer Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland, S. 159.

  20. Publizistischer Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland, S. 159.

  21. „Berliner Sonntagsblatt", Leserbrief-Diskussion im Juni/Juli 1981.

Weitere Inhalte

Hermann Meyn, Dr. phil., geb. 1934; 1964— 1969 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin; 1969— 1972 Redakteur beim „Spiegel"; 1972— 1979 Chefredakteur der Zeitschrift „journalist"; 1979— 1981 Sprecher des Senats und Leiter des Presse-und Informationsamtes in Berlin; seit 1981 Freier Journalist in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die Deutsche Partei, Düsseldorf 1965; Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, völlig überarbeitete Neuauflage, Berlin 1979.