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Von der „Politik der Entspannung" zur „wirklichen Entspannung". Ergebnisse, Perzeptionen und Perspektiven der Ost-West-Beziehungen | APuZ 41/1982 | bpb.de

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APuZ 41/1982 Sicherheitspolitische Probleme im deutsch-amerikanischen Verhältnis Der systemische Konflikt in den internationalen Beziehungen der Gegenwart Von der „Politik der Entspannung" zur „wirklichen Entspannung". Ergebnisse, Perzeptionen und Perspektiven der Ost-West-Beziehungen

Von der „Politik der Entspannung" zur „wirklichen Entspannung". Ergebnisse, Perzeptionen und Perspektiven der Ost-West-Beziehungen

Wichard Woyke

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zwischen 1969 und 1979 fand eine auf Europa, Nordamerika und die Sowjetunion begrenzte Entspannungspolitik statt. Mit dieser in den einzelnen Staaten unterschiedlich konzipierten und verstandenen Entspannungspolitik wurden seitens der politischen Akteure differente Zielvorstellungen verfolgt, die dennoch in der ersten Hälfte der Entspannungsdekade zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt hatten. Der Entspannungsprozeß vollzog sich auf drei Ebenen, die allerdings eng miteinander verbunden waren: Auf der global-bilateralen Ebene verhandelten die USA und die UdSSR; auf der regional-multilateralen Ebene verhandelten alle europäischen Staaten sowie die USA und die UdSSR im Rahmen von KSZE und ausgewählte Staaten im Rahmen von MBFR; auf der regional-bilateralen Ebene verhandelten einzelne Nationalstaaten, wobei die Bundesrepublik Deutschland eine besonders aktive Rolle einnahm. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre setzte sich jedoch eine zunehmend kritischere Beurteilung der Entspannungspolitik durch, die ihren Ausgang in den USA nahm. Die Perzeptionen der Entspannungspolitik wurden nun sowohl in den USA als auch in der UdSSR negativ, während in Westeuropa, (insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland) die politischen Akteure soviel Entspannungspolitik wie möglich aufrechterhalten wollten. So gerieten die Ost-West-Beziehungen Ende der siebziger Jahre auf der global-bilateralen Ebene zwischen den USA und der UdSSR in eine schwere Krise, deren Wegmarken der NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 und die sowjetische Invasion in Afghanistan an der Jahreswende 1979/80 wurden. Dagegen nahmen die Ost-West-Beziehungen auf westeuropäisch-sowjetischer Ebene einen anderen Verlauf, da hier insbesondere die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich den harten Konfrontationskurs der USA nicht mitzugehen bereit waren — ein Vorgang, der aber wiederum zu einer gefährlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und Westeuropa führte. So zeigen sich die Divergenzen zwischen Westeuropa und den USA insbesondere in der Einschätzung der Außenpolitik der UdSSR und der notwendigen westlichen Reaktionen. Während die USA auf dem Konfrontationskurs beharren, versuchen die Europäer diesen zu mildern, da sie von einem politischen und militärischen Kollisionskurs der beiden Supermächte unmittelbar betroffen werden.

Vorbemerkung

Schema der Entspannungspolitik 1969— 1979 Region: Europa/USA/Sowjetunion

Im Dezember 1967 verabschiedeten die Außenminister der NATO jenen berühmten Harmel-Beschluß — benannt nach dem damaligen belgischen Außenminister, der mit der Federführung des Berichts beauftragt war —, in dem der NATO neben der Funktion der Aufrechterhaltung ausreichender militärischer Stärke eine zweite, politische Funktion zugewiesen wurde: „die weitere Suche nach Fortschritten auf dauerhaftere Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können. Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar. Die kollektive Verteidigung ist ein stabilisierender Faktor in der Weltpolitik. Sie bietet die notwendige Voraussetzung für eine wirksame, auf größere Entspannung gerichtete Politik. Der Weg zu Frieden und Stabilität in Europa beruht vor allem auf dem konstruktiven Einsatz der Allianz im Interesse der Entspannung. Die Beteiligung der UdSSR und der Vereinigten Staaten wird zur wirksamen Lösung der politischen Probleme Europas erforderlich sein."

Im Juni 1982 verabschiedeten die Regierungschefs der inzwischen nach Spaniens Beitritt auf 16 Länder vergrößerten NATO ein Kom-muniqu, in dem weiter die Verhinderung des Kriegs als ein wesentliches Ziel bezeichnet wird. Außerdem heißt es: . Zur Erreichung dieses Ziels werden wir angemessene militärische Stärke und politische Solidarität aufrechterhalten. Auf dieser Grundlage setzen wir unsere Bemühungen fort, durch Dialog, Verhandlungen und beiderseits vorteilhafte Zusammenarbeit ein konstruktiveres Ost-

West-Verhältnis herzustellen, soweit es auch durch sowjetisches Vorgehen ermöglicht wird ... Unser Ziel ist es, substantielle und ausgewogene Ost-West-Beziehungen mit dem Ziel einer wirklichen Entspannung zu entwickeln. Zu diesem Zweck muß die Souveränität aller Staaten unabhängig von ihrer geographischen Lage geachtet werden, dürfen die Menschenrechte nicht der Staatsraison geopfert werden, muß freier Gedankenaustausch an die Stelle einseitiger Propaganda treten, muß Freizügigkeit der Menschen erreicht werden, müssen Bemühungen um ein stabiles und offenes Verhältnis im militärischen Bereich unternommen werden und müssen überhaupt alle Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki in ihrer Gesamtheit angewandt werden. Wir werden bereit sein, in diesem Geist zu verhandeln und erwarten konkrete Anzeichen dafür, daß diese Haltung auf Gegenseitigkeit beruht.“

Zwischen diesen beiden Kommuniques liegen fünfzehn Jahre Ost-West-Beziehungen, die zunächst durch eine kontinuierliche Verbesserung gekennzeichnet waren, die aber in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre problematischer wurden und am Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre — insbesondere durch die sowjetische Invasion in Afghanistan, die Nichtratifizierung von SALT II im US-Senat, den NATO-Doppelbeschluß und die Entwicklung in der Volksrepublik Polen — in einen neuen Kalten Krieg auszuarten drohten. Vor allem zwischen den USA und der UdSSR gab es nach Afghanistan eine „Phase der Sprachlosigkeit".

I. Zur Problematik der Begriffe „Entspannung" und „Entspannungspolitik"

Abbildung 1: Vertraglicher Zustand*

* Quelle: M. Rath, Zwei Staaten in Deutschland. Die sozial-liberale Deutschlandpolitik und ihre Auswirkungen 1969— 1978, Opladen 1981, S. 206. * Quelle: M. Rath, Zwei Staaten in Deutschland. Die sozial-liberale Deutschlandpolitik und ihre Auswirkungen 1969— 1978, Opladen 1981, S. 207.

Ein großer Teil der „Irritationen" im westeuropäisch-amerikanischen Verhältnis sowie in den innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den industriellen Demokratien ist durch das unterschiedliche Verständnis der Begriffe „Entspannung" und „Entspannungspo-litik" bedingt und damit durch die unterschiedlichen Definitionen und den mit ihnen verbundenen unterschiedlichen Zielvorstellungen. Versucht man Entspannungspolitik allgemein zu definieren, so kann man sie mit Helga Haftendorn als eine Methode beschreiben, „die bei der Respektierung des Status quo Formen nicht-militärischer Konfliktregulierungen benutzt und einen friedlichen Ausgleich gegensätzlicher Ziele und Interessen auf dem kleinsten Nenner anstrebt" Görtemaker definiert Entspannungspolitik als einen Versuch, „den Spannungsgrad des Ost-West-Konflikts zu reduzieren und auf der Basis des Status quo zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, in der dem militärischen Faktor zunehmend geringere Bedeutung zukommen und die militärische Konkurrenz schrittweise durch andere, friedlichere Formen des Wettbewerbs ersetzt werden soll" Für Link war und ist Entspannungspolitik „nichts anderes als der Versuch, unter Bewahrung des allianzpolitischen Er-gebnisses regressiver Konfliktregulierung nunmehr neue Elemente einer integrativen Konfliktregulierung in das Ost-West-Verhältnis einzubauen bzw. die bereits vorhandenen intersystemaren Beziehungen zu verstärken" Und Wolf-Dieter Karl schreibt: „Entspannung darf deshalb nicht mit der Harmonisierung der Ost-West-Gegensätze oder dem Ende des Konfliktes als Ganzes verwechselt werden. Diese falsche Erwartung würde schon dadurch widerlegt, daß sowohl zwischen den west-östlichen als auch den verschiedenen westlichen Entspannungskonzepten kein übereinstimmendes und eindeutiges Gefüge von politisch-diplomatischen, gesellschaftlichen und ideologischen Vorstellungen existiert, die man als übergreifende politische Theorie der Entspannung bezeichnen könnte." Wie unterschiedlich auch immer die Definitionen von Entspannung ausfallen, gemeinsam ist allen, daß auch in der Entspannungsphase ein Konflikt zweier antagonistischer Systeme existiert, der zwar mit Entspannungspolitik nicht endgültig gelöst werden kann, der aber mit dieser Methode, den Konflikt unter Kontrolle zu halten, zu einer Stabilisierung des internationalen Systems beitragen kann.

II. Gründe und Ursachen für Entspannungspolitik

Nachdem bereits auch während des Kalten Krieges immer wieder Versuche sowohl vom Westen als auch vom Osten unternommen wurden, die Ost-West-Beziehungen aufzulok-kern, und somit Entspannung zwischen den Blöcken und den einzelnen Staaten durch intersystemare Kooperation versucht wurde (z. B. die Genfer Gipfelkonferenz 1955 der großen Vier [Eisenhower, Chruschtschow, Eden und Faure] oder die Camp-David-Gespräche zwischen Eisenhower und Chruschtschow von 1959), kam es doch immer wieder zu einer Verschärfung in den Ost-West-Beziehungen, wie z. B. 1956 mit der sowjetischen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands oder der zweiten Berlin-Krise von 1958 bis 1961. Erst die KubaKrise vom Herbst 1962, die die gefährlichste Eskalation in den Ost-West-Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg hervorrief, führte zu einem veränderten Verhalten der beiden Blockführungsmächte USA und UdSSR. Von nun an wurde zwischen beiden Staaten eine Politik des „crisis management“ betrieben, die darauf abzielte, den Kriegsausbruch zu verhindern.

Die Einrichtung eines „heißen Drahtes" — einer direkten Fernschreibverbindung zwischen Moskau und Washington — und der Atomteststoppvertrag — ein Verbot der Durchfüh-rung von Kernwaffentestversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser im Jahr 1963 — waren die ersten Ergebnisse dieses neuen amerikanisch-sowjetischen Krisen-managements. Im Jahr 1968 folgte schließlich der Kernwaffensperrvertrag. In ihm wird die Weitergabe von Kernwaffen oder anderen nuklearen Sprengsätzen verboten, Nichtnuklearstaaten der Empfang von Kernwaffen untersagt und Nichtkernwaffenstaaten auferlegt, mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Sicherheitsvereinbarungen zu treffen, die einen Mißbrauch friedlich genutzter Kernenergie zur Herstellung von Kernwaffen verhindern.

Doch „erst ab 1969 machte eine einzigartige Kombination von Faktoren wieder eine Entspannung im Sinne einer realen, wenngleich partiellen Beschränkung des Umfangs des Ost-West-Konflikts möglich“

Für die Entspannung am Ende der sechziger Jahre sprachen folgende Faktoren:

1. In Ost und West hatte sich bei den meisten politischen Führungen die Einsicht verbreitet, daß eine Auflösung der Blöcke nicht möglich sei, daß jedoch die sich eindeutig gegenüberstehenden Rechtsstandpunkte und Anerkennungsforderungen irgendwie geregelt werden müßten.

2. Sowohl im Westen als auch im Osten trat ein allgemeiner Druck auf Durchführung innerer Strukturreformen zutage. Studentenunruhen in den westlichen Industrieländern, die in Frankreich fast bis zur Auflösung der V. Republik im Mai 1968 führten, und auch in östlichen Ländern (Polen) zeigten, daß Reformen erforderlich wurden.

3. Im Osten wie im Westen wuchs die Erkenntnis, daß mehr Rüstung und mehr Waffen nicht automatisch mehr Sicherheit nach sich ziehen. Somit konnten die ursprünglich vorgesehenen Mehrausgaben für Rüstung umgeleitet werden.

4. Die UdSSR hatte mit den USA in der strategischen Waffenentwicklung annähernd gleichgezogen und im Atomwaffensperrvertrag, der Gespräche über die Begrenzung der strategischen Waffen vorsieht, die lang ersehnte Anerkennung einer den USA ebenbürtigen strategischen Macht erhalten.

5. In der UdSSR machte sich zunehmend bei der politischen Führung die Einsicht breit, daß ohne westliche Hilfe im technischen und wirtschaftlichen Bereich die aktuellen und strukturellen ökonomischen Probleme nicht lösbar seien.

6. Der chinesisch-sowjetische Konflikt hatte mit den Grenzgefechten am Ussuri im Frühjahr 1969 die Kluft zwischen den beiden kommunistischen Mächten einem Höhepunkt entgegengeführt und zu einer verstärkten Bedrohung für die Sowjetunion an der Südflanke beigetragen.

7. In den USA trat mit Präsident Nixon ein neugewählter Präsident auf die diplomatische Bühne, der in der von ihm postulierten „Ära der Verhandlungen“ den Vietnamkrieg und das amerikanische Überengagement in der Weltpolitik beenden wollte. „Die Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion wie zu China, der Abbau des weltpolitischen Überengagements der USA mit einer Neuordnung der Beziehungen zu den Verbündeten auf der Grundlage der Lastenteilung und die nukleare Rüstungskontrolldiplomatie mit der Sowjetunion zur Schaffung eines neuen weltpolitischen Gleichgewichts waren neben der Beendigung des Vietnamkriegs die Aufgaben, vor die sich die neue amerikanische Administration gestellt sah. Nur im Rahmen einer weltweiten Entspannungspolitik bestand eine Chance, sie zu lösen."

8. In Frankreich trat Staatspräsident de Gaulle nach einem gescheiterten Referendum zurück. Unter seinem Nachfolger Pompidou kehrte Frankreich zwar nicht in die militärische Organisation der NATO zurück, doch die Kooperation mit dem westlichen Bündnis wurde verbessert. 9. Das Wahlergebnis bei der 6. Bundestagswahl 1969 ermöglichte eine Koalition aus SPD und FDP, die außenpolitisch eine Verständigung mit den osteuropäischen Nachbarn anstrebte und dafür der Politik der Entspannung als Mittel zur Erreichung dieses Ziels bedurfte.

III. Konzeptionen, Ziele und Ergebnisse von Entspannungspolitik

Sowohl innerhalb der westlichen Regierungen als auch in und zwischen den politischen und gesellschaftlichen Gruppen wurden und werden mit Entspannungspolitik unterschiedliche Zielvorstellungen verbunden. Über diese Zielvorstellungen ist bereits in der wissenschaftlichen Literatur ausführlich berichtet worden so daß hier nur kurz auf die unterschiedlichen Erwartungen von Regierungsseite eingegangen werden soll. Während das amerikanische Ziel der Entspannung vor allem die Rüstungskontrolle und die Einbindung der Sowjetunion als Ordnungsmacht des internationalen Systems beinhaltete, um gemeinsam den Rüstungswettlauf zu bremsen und die ideologische und machtpolitische Auseinandersetzung zu entschärfen, versuchte Frankreich mit der Politik des Brükkenschlags und dem Konzept der „dtente, entente und Cooperation" letztlich eine Auflösung der Blöcke zu erreichen. Die Bundesrepublik schließlich versprach sich von der Entspannungspolitik vor allem eine Verbesserung der deutsch-deutschen Situation, die unter optimalen Bedingungen vielleicht zu einer Wiedervereinigung im gesamteuropäischen Rahmen hätte führen können. Die Zielvorstellungen sowjetischer Entspannungspolitik definierte KPdSU-Generalsekretär Breschnew, als er erklärte: „Entspannung und friedliche Koexistenz bedeuten vor allem, daß Streitigkeiten und Konflikte nicht zwischen Ländern durch Krieg, nicht durch Gewaltanwendung beigelegt werden dürfen. Die Entspannung hebt die Gesetze des Klassenkampfes (aber) keineswegs auf und sie kann diese Gesetze weder aufheben noch abändern. Wir machen keinen Hehl daraus, daß wir in der Entspannung einen Weg zur Schaffung günstigerer Bedingungen für den friedlichen sozialisti-sehen und kommunistischen Aufbau sehen." Das sowjetische Konzept, das oft als „friedliche Koexistenz" figuriert, versteht also unter Entspannung die Fortsetzung des Konflikts mit nichtmilitärischen Mitteln.

Über die Ergebnisse der Entspannungspolitik im vergangenen Jahrzehnt hat es sowohl zwischen den Regierungen innerhalb des westlichen Bündnisses als auch innerhalb der politischen Kräfte in den einzelnen Staaten unterschiedliche Auffassungen gegeben, die auch in der augenblicklichen Bewertung weiter differieren. Schulz/Füllenbach konstatieren völlig ; zu Recht, daß ein erheblicher Teil der Meij nungsverschiedenheiten über Entspannungs-politik sich aus innenpolitischen Motiven erklären und ableiten läßt, die mit dem eigentlichen Streitgegenstand wenig oder überhaupt nichts zu tun haben

Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß Entspannungspolitik, vor allem in Europa, objektiv überprüfbare Ergebnisse gezeitigt hat und daß Entspannungspolitik in der ersten Hälfte der siebziger Jahre von den Regierungen der Atlantischen Allianz, also auch der amerikanischen, als erfolgreich bewertet wurde. Modellartig läßt sich Entspannungspolitik mit ihren Ergebnissen in einem Drei-Ebenen-Schema erfassen, wobei alle Ebenen mehr oder weniger miteinander verschränkt waren. Die Interdependenz aller drei Ebenen wird dabei besonders am Beispiel des Berlin-Abkommens deutlich, das sowohl die global-bilaterale Ebene, die regional-multilaterale Ebene und die regional-bilaterale Ebene berührte.

IV. Perzeptionen von Entspannungspolitik

1. Vereinigte Staaten In pluralistischen Gesellschaften wie der der USA finden sich unterschiedliche Beurteilungen und Auffassungen über politische Entwicklungen, so daß auch die Politik der Entspannung in diesen Gesellschaften eine pluralistische Bewertung erfährt. Für die USA kann jedoch festgestellt werden, daß bereits seit Mitte der siebziger Jahre von einer größer werdenden Zahl der politischen Handlungsakteure auch von der Öffentlichkeit die von der Administration Nixon und seinem Außenminister Kissinger praktizierte Entspannungspolitik zunehmend in Frage gestellt wurde Der Kissingersche Ansatz der Einbindung der Sowjetunion in das internationale System zu einer die internationale Ordnung stützenden Garantiemacht scheiterte wie auch die auf widersprüchliche Art betriebene Entspannungspolitik der Administration Carter Eine Politik des Zuckerbrots (Verzicht auf den Bau des B-l-Bombers und der MX-Ra-kete) und der Peitsche (Ankündigung des Baus der Neutronenwaffe und die Menschenrechts-kampagne) gegenüber der Sowjetunion erwies sich in den Ergebnissen als ungenügend.

In den USA entwickelte sich nach dem politischen, militärischen, ökonomischen und psychologischen Abstieg in den siebziger Jahren — stellvertretend sollen dafür genannt werden der Vietnamkrieg, Watergate, die Geisel-affäre in Iran und die Aufgabe der Konvertibilität des Dollar im durch die USA bis dahin beherrschten Weltwährungssystem — eine depressive Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung, die es zu überwinden galt. Der große Umshwung in der amerikanischen Bevölkerung erfolgte nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und durch das Verhalten der Sowjetunion in der Geiselaffäre in Iran, als die UdSSR „zwar formell die Geiselnahme als völkerrechtswidrig verurteilte, insgesamt jedoch die Forderungen der Geisel-nehmer als berechtigt unterstützte und die Vereinigten Staaten beschuldigte, im Iran militärisch eingreifen zu wollen“

Es war Ronald Reagan, der es am besten verstand, der Forderung nach erneuter amerikanischer Stärke Rechnung zu tragen und der nach Jahren selbst auferlegter Rüstungsbeschränkungen und „illusionärer Entspannungspolitik“ mit dem Leitmotiv „Frieden durch Stärke" das er bereits auch schon 1976 im Vorwahlkampf gegen seinen Parteifreund, Präsident Ford, verkündete, den alten Zustand des „America first“ wiederherzustellen versprach.

Die Auffassung der Reagan-Administration über Entspannungspolitik verdeutlichte der Präsident in seiner ersten Pressekonferenz, als er erklärte: „Entspannungspolitik ist bisher eine Einbahnstraße gewesen, die die Sowjetunion benutzt hat, um ihre Ziele voranzubringen ... Ich kenne keinen Führer der Sowjetunion seit der Revolution, eingeschlossen die jetztige Führung, der nicht mehrmals auf den verschiedenen Kongressen, die sie abhalten, seine Entschlossenheit bekundet hätte, daß ihr Ziel die Förderung der Weltrevolution und ein sozialistischer und kommunistischer Staat sein müsse. Solange sie das tun und solange sie gleichzeitig öffentlich erklären, daß die einzige Moral, die sie anerkennen, diejenige ist, die ihrer Sache nützt — was bedeutet, daß sie sich das Recht Vorbehalten, jedes Verbrechen zu begehen, zu lügen und zu betrügen, um das zu erreichen —, solange bewegen wir uns auf einer unterschiedlichen Basis der Wertsysteme von Moral und Unmoral. Wir sollten, wenn wir mit ihnen verkehren, dies im Auge behalten.“

Die Sowjetunion wird als der internationale Unruhestifter angesehen, der weiterhin Gewalt und Terrorismus und internationale Stellvertreterkriege schüre Die Reagan-Admi. nistration bewertet die UdSSR als eine Macht, die im Zeitalter der Entspannungspolitik eine beispiellose Expansionspolitik in Afrika und Asien (Angola, Äthopien, Jemen und Vietnam) betrieben hat und die auch auf dem Sprung steht, in Lateinamerika außerhalb Kubas Fuß zu fassen. Dabei wiegt um so schwerer, daß dieser Expansionismus mit der Afghanistan-Invasion dazu führte, daß erstmals sowjetische Kampftruppen außerhalb des bisherigen sowjetischen Territoriums interveniert haben. Wie stark auch in der Bevölkerung eine Bedrohung durch die UdSSR noch vor der Afghanistan-Invasion wahrgenommen wurde, zeigen Umfrageergebnisse. Danach glaubten in den USA 48, 4 % der Befragten an eine große militärische Bedrohung durch den Osten, während es in der Bundesrepublik nur 10 % der Bevölkerung waren. Auch nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan stieg der Anteil, der an eine große militärische Bedrohung in der Bundesrepublik glaubte, nur unwesentlich an. Auch im Februar 1980 meinten noch drei Viertel der Bevölkerung, daß nur eine geringe bzw. keine Bedrohung existiere Den zweiten Bedrohungsbereich bildet die massive sowjetische Aufrüstung, die sich insbesondere bei den Seestreitkräften und den Raketenstreitkräften in den siebziger Jahren vollzogen hat. Hierin wird nicht nur eine Bedrohung des europäischen Kontinents gesehen, sondern in dieser sowjetischen Aufrüstung sieht die Reagan-Administration, daß sich für die Sowjetunion die systematische Möglichkeit entwickelt, die westeuropäische und japanische Rohstoffversorgung unter Kontrolle zu bekommen Auch für den eigenen Kontinent werden zunehmend Gefahren durch die sowjetische Aufrüstung perzipiert. Bei der Vorlage des Programms für die strategischen Streitkräfte erklärte Präsident Reagan am 2. Oktober 1981: „Während der letzten Jahre hat sich in unserer Sichterheitspolitik eine Schwächung bemerkbar gemacht, vor allem bei unseren strategischen Nuklearstreitkräften, also bei der eigentlichen Grundlage unserer Strategie der Abschreckung vor fremden Angriffen. Ein Fenster der Verwundbarkeit öffnet sich — eines, das nicht nur unsere Hoffnungen auf ernsthafte, produktive Rüstungskontrollverhandlungen gefährdet, sondern zugleich unsere Hoffnungen auf Frieden und Freiheit."

Neben der strategischen Bedrohung nimmt die US-Administration auch eine Bedrohung auf der eurostrategischen und der konventionellen Ebene wahr, die zwar in erster Linie Europa betrifft, durch das Bündnis aber mittelbar auch die USA in Mitleidenschaft ziehen

Nach Auffassung der Reagan-Administration betreibt die UdSSR eine über die eigene Verteidigung weit hinausgehende Aufrüstung, und nach ihrer Meinung kann sich die UdSSR weder eingekreist noch bedroht fühlen. 2. Bundesrepublik Deutschland Für Westeuropa soll stellvertretend die Bundesrepublik Deutschland behandelt werden, da sie erstens an der Nahtstelle der beiden antagonistischen Systeme liegt und zweitens in den siebziger Jahren den aktivsten Teil in der europäischen Entspannungspolitik übernahm. In der Bundesrepublik wurde Entspannungspolitik vor allem in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, wenn vielleicht auch aus einer stärker eurozentrischen Sicht, als erfolgreich perzipiert. Es konnten mit Hilfe der Entspannungspolitik für den Bürger unmittelbare, wenn auch nicht optimale Verbesserungen erreicht werden. So steht das Berlin-Abkommen ganz oben auf der Erfolgsliste wie auch Verbesserungen im Reise-und Transitverkehr, im Post-und Fernmeldewesen und in der Familienzusammenführung. Daneben hat der Osthandel einen wichtigen, wenn auch volkswirtschaftlich nicht sehr bedeutsamen Stellenwert erhalten. „ 1977 nahm die Bundesrepublik mit 30 % aller Exporte westlicher Länder in die RGW-Staaten (Frankreich 9 %), 24 % der Kreditzusagen, 28 % der ost-westlichen industriellen Kooperationsabkommenvor allen anderen Staaten bei weitem den ersten Rang ein.

Neben den Verbesserungen im menschlichen Bereich befreite die Ostpolitik die Bundesrepublik von schweren Belastungen in ihrer Außenpolitik und verbesserte bzw. normalisierte das Verhältnis zu einzelnen osteuropäischen Staaten. „In Osteuropa, besonders in Polen und der Tschechoslowakei, hat das Schreckbild vom deutschen Revanchismus ein Gutteil seiner Massenwirksamkeit verloren.“

Entspannungspolitik hat schließlich nach der Befreiung durch die osteuropäische Hypothek zu einer größeren Handlungsfreiheit der Bundesrepublik in den westlichen Gemeinschaften beigetragen. Zwar mußten für die positiven Ergebnisse der Entspannungspolitik direkte und indirekte finanzielle Leistungen, hauptsächlich an die DDR erbracht werden, die jedoch nur einen kleinen Teil dessen ausmachen, was z. B. jährlich an finanziellen Leistungen dem Berliner Landeshaushalt vom Bund zugewiesen wird

In einer Untersuchung über die Entspannungspolitik der sozial-liberalen Koalition kommt Margit Roth zu folgendem Urteil: „In einigen Bereichen der innerdeutschen Beziehungen ist es der sozial-liberalen Koalition bisher nicht gelungen, positive Veränderungen herbeizuführen; in anderen Bereichen jedoch — es ist der größere Anteil — konnten Zustandsverbesserungen erzielt werden. Darunter sind vor allem auch solche Bereiche, in denen jegliche positive Veränderung noch bis in die siebziger Jahre hinein allgemein für undenkbar gehalten wurde. Zwar gab es teilweise nur minimale positive Entwicklungen, aber angesichts der verhärteten Ausgangssi-tuation in den innerdeutschen Beziehungen kommt selbst der geringsten positiven Veränderung letzten Endes doch eine besondere Bedeutung zu. Ein Überblick über die einzelnen Bereiche läßt also, gemessen an dem vorherigen Zustand, eine insgesamt positive Gesamt-einschätzung zu.“

Daß die Regierung die Entspannungspolitik als erfolgreich ansieht, kommt nicht nur in ihren jeweiligen Regierungserklärungen, sondern auch in ihrem politischen Handeln, das auf Fortsetzung der Entspannungspolitik ausgerichtet ist, zum Ausdruck.

Anders als in den USA wird in der Bundesrepublik auch die Entspannungspolitik von großen Teilen der Öffentlichkeit als erfolgreich und damit fortsetzungswürdig, wenn vielleicht auch in modifizierter Form, gesehen. Die objektiv vorhandene sowjetische Bedrohung durch militärische Machtmittel wird als wesentlich geringer als in den USA wahrgenom-men

Daß die Entspannungspolitik in der Bevölkerung mehrheitlich Unterstützung fand, zeigen nicht nur die in den Meinungsumfragen ermittelten Ergebnisse sondern vor allem der Sieg von SPD und FDP bei den Bundestagswahlen 1972, 1976 und 1980, bei denen die Entspannungspolitik jeweils eine bedeutsame, wenn auch unterschiedliche Rolle gespielt hat. 3. Sowjetunion Als die UdSSR 1969 mit den USA den bilateralen Entspannungsprozeß auf globaler Ebene durch Gespräche über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT) aufnahm, verfolgte sie damit mehrere Ziele, die sie in den siebziger Jahren zu erreichen hoffte:

1. Anerkennung des territorialen Status quo; 2. ökonomische und technologische Hilfe durch den Westen

3. einen konkreten Gewaltverzicht;

4. Rüstungskontrolle;

5. Isolierung der Volksrepublik China

Vergegenwärtigt man sich das Verhältnis von Zielen und Zielrealisierung, so ist festzustellen, daß die UdSSR mit der Entspannungspolitik die Anerkennung des territorialen Status quo ebenso erhalten hat wie den konkreten Gewaltverzicht, der sowohl bilateral im Moskauer und im Warschauer Vertrag von 1970 als auch in der KSZE-Schlußakte multilateral ausgesprochen wurde.

Sieht man sich jedoch die anderen Ziele an, die die Sowjetunion mit der Entspannungspolitik erreichen wollte, so wird man eine Negativbilanz aufstellen müssen. Breschnews Vorstellungen über westliche ökonomische Hilfe und westlich-sowjetische ökonomische Kooperation — geäußert während seines ersten Besuchs in Bonn im Jahr 1973 — erwiesen sich als wahre Luftschlösser. Auch die Eindämmung der Volksrepublik China konnte nicht erreicht werden; ja man sah in den sich seit 1970 zunehmend verbessernden Beziehungen zwischen der USA und der Volksrepublik China eine Bedrohung. Außenminister Gro-myko erläuterte in der theoretischen Zeitschrift Kommunist: „Bei ihren militärpolitischen Spekulationen setzen die aggressiven Kreise des Westens, vor allem die Vereinigten Staaten, immer mehr einen besonderen Akzent auf das Ausspielen der . chinesischen Karte', auf die Ausnutzung der von Großmachtambitionen getragenen, der sozialistischen Gemeinschaft feindlichen Politik der Pekinger Führung, die ihrerseits recht eifrig dazu beiträgt, die internationalen Spannungen zu verstärken. Die Partnerschaft des Imperialismus und des Pekinger Hegemonismus ist eine gefährliche Erscheinung in der Weltpolitik, die die ganze Menschheit, darunter auch die Völker der USA und Chinas, bedroht.“

Auch in der Rüstungskontrolle sah die UdSSR ihre Ziele nicht erreicht, hatte doch SALT I den Amerikanern aufgrund ihrer weiter entwickelten MIRV-Technik (Multiple Indepen-dently-Targetable Re-Entry Vehicles) die Möglichkeit belassen, die quantitative Rüstungsbegrenzung qualitativ auszugleichen. Und schließlich mußte die UdSSR mit der Entspannungspolitik die Akzeptierung der Menschenrechte und die Grundsätze des Selbstbestimmungsrechts der Völker bestätigen. Gerade dieser Aspekt der Entspannungspolitik sollte sich destabilisierend in den osteuropäischen Staaten auswirken. Vor diesem Hintergrund des Ergebnisses sowjetischer Entspannungspolitik — Boris Meissner nennt es eine magere Bilanz — wird auch die Einschätzung der sowjetischen Führung dieser Politik erklärbar. Die Kritik an Entspannungspolitik aus dem sozialistisch-kommunistischen Lager läßt sich in drei zentralen Bereichen erfassen: „ 1.der Westen benutzte Entspannungspolitik als eine besonders raffinierte Form seiner antikommunistischen Subversionsstrategie; 2. Entspannung sei eine äußerst gefährliche Variante des offensiv-aggressiven Imperialismus, und 3. aus der Sicht der Dissidenten im sozialistischen Lager: Jede Hoffnung auf Veränderung, Demokratisierung, Aufweichung sei geschwunden, seit die Grenzen anerkannt und die Hegemonie der Sowjetunion durch den Westen de facto respektiert worden sei'

Ebenso wie die US-Administration in dem sowjetischen Verhalten eine Bedrohung sieht, glaubt auch die UdSSR im amerikanischen und europäischen Verhalten bedrohsame Aktionen zu erkennen. So hatte das 1970, also während der Blütezeit des deutsch-sowjetischen Entspannungsbilateralismus, von der NATO verkündete europäische Verstärkungsprogramm (EDIP) in Höhe von 3, 6 Mrd. DM eine ebenso negative Wirkung wie das Scheitern der Einräumung der Meistbegünstigungsklausel und die Gewährung langfristiger Kredite. Die Sowjetunion glaubte ihre Zurückhaltung gegenüber der Entwicklung in Chile unter Salvador Allende ebenso nicht gewürdigt wie auch ihr Verhalten während der Zypern-Krise Und insbesondere im Nahostkrieg 1973 fühlte sich die Sowjetunion durch das amerikanische Verhalten, ihr keine Mitsprache geschweige denn eine gleichberechtigte Partnerschaft — entsprechend der Moskauer Prinzipienerklärung — einzuräumen, getäuscht. Somit war aus Moskauer Sicht die von Breschnew eingeleitete neue Amerika-Politik längst gescheitert, „als Jimmy Carter in das Weiße Haus einzog und den Kreml mit seinen bizarren Zügen vollends verwirrte" Die Entwicklungen während der Präsidentschaft Carters — Erhöhung der NATO-Verteidigungs-ausgaben real um 3 % ab 1978, Aufbau eines neuen Raketensystems MX, Ankündigung des Baus der Neutronenwaffe — wurden von der

UdSSR als Alarmsignale verstanden, denen es von sowjetischer Seite zu begegnen galt. Parteichef Breschnew erklärte gegenüber westlichen Journalisten: „Nun versetzen Sie sich mal in unsere Lage. Konnten wir unbeteiligt zusehen, wie man uns von allen Seiten mit Militärstützpunkten einkreist, wie auf sowjetische Städte und Fabriken aus verschiedenen Gebieten Europas eine immer größere Anzahl Träger des Atomtods zielen, gleichgültig, in welcher Gestalt: als see-oder landgestützte Raketen, Fliegerbomben oder ähnliches. Die Sowjetunion mußte Waffen schaffen, um sich zu verteidigen, nicht aber um irgend jemand zu bedrohen — Europa am allerwenigsten. Sie schuf und stationierte sie auf ihrem eigenen Territorium und in einer Zahl, die den Waffen-stand jener aufwiegt, die sich zu unseren potentiellen Gegnern erklärt haben.“ Hinzu kommen Entwicklungen, die für die Perzeption sowjetischer Entspannungspolitik eine große Rolle spielen, die aber in der Öffentlichkeit nicht zugegeben werden. So ist zum einen die weltpolitische Entwicklung nach Afghanistan durch ein eindeutig antisowjetisches Verhalten gekennzeichnet — die UNO-Vollversammlung hat mit jeweils überwältigender Mehrheit dreimal die sowjetische Invasion ebenso verurteilt wie die Islamische Konferenz und die Bewegung der Blockfreien — und zum anderen lassen auch innere Entwicklungen im eigenen sozialistischen Lager die UdSSR-Führung nicht beruhigt in die Zukunft schauen Somit werden die Ergebnisse der Entspannungspolitik in der Sowjetunion heute vor dem Hintergrund gesehen, daß in der Zeit der Entspannungspolitik im weltpolitischen Fünfeck USA, UdSSR, Westeuropa, Japan und China die UdSSR keinen potentiellen Verbündeten besitzt und sie sich tatsächlich von einer politischen Einkreisung umgeben fühlt, die auch zu einer militärischen Einkreisung führen könnte. 4. Bewertung von Perzeptionen Sowohl in der UdSSR als auch in den USA wird heute seitens der politischen Führung der Gegner als Bedrohung für das eigene politische System dargestellt. Das wahrgenommene Verhalten des politischen Gegners dient somit gleichzeitig für eigene innen-, außen-und bündnispolitische Maßnahmen. Um be- stimmte eigene politische Zielvorstellungen durchsetzen zu können, werden politische Handlungen des Gegners selektiert und als besonders verwerflich gekennzeichnet und für die Rechtfertigung eigener Politik benötigt. Andere, vielleicht auf das Gegenteil hindeutende Aktionen, werden bewußt ausgeblendet oder als nicht gültig akzeptiert. So wird auf erstaunliche Weise im Westen sehr oft das eigene Sicherheitsbedürfnis, das man für sich selbst in Anspruch nimmt, dem politischen Kontrahenten nicht zugestanden und von einer Überrüstung, die für seine eigene Verteidigung nicht erforderlich ist, gesprochen. So kontrastiert auf eigentümliche Weise die gewaltige Bedrohungsperzeption, die bei uns gegenüber der Sowjetunion aufgebaut wird, mit der Einschätzung sonstiger Fähigkeiten des politischen und ökonomischen Systems der UdSSR. Konkret bedeutet dies, daß bei einem Vergleich der Bedrohung neben dem reinen militärischen Kräfteverhältnis auch Wirtschaftskraft, Innovationsfähigkeit, Stabilität der politischen und gesellschaftlichen Systeme, Zustimmung zum politischen System durch die Bevölkerung usw. einbezogen werden müßten. Ebenfalls muß die Sowjetunion allerdings zur Kenntnis nehmen, daß aufgrund des offensiven Charakters ihrer Ideologie und ihrer Propaganda im Westen, insbesondere bei den für die Sicherheit zuständigen Gruppen, die Bedrohung durch ihr System ernst genommen wird und Gegenmaßnahmen herausfordert. Wenn die UdSSR Aktionen wie in Afghanistan vornimmt, so ist es selbstverständlich, daß im Westen diese Aktionen als expansiv und damit bedrohlich perzipiert werden. Die UdSSR muß erkennen, daß ihr ideologisches Selbstbild als eine Macht, die eo ipso, weil sozialistisch, nur friedliebend handeln kann und unter keinen Umständen für andere Staaten eine Bedrohung darstellt, im Westen nicht akzeptiert wird, und daß ihr deshalb in sicherheitspolitischer Hinsicht durch andere Staaten Grenzen gesetzt werden.

Es kommt darauf an, die Verengung des Blickfeldes auf die einseitige Sicht der eigenen Interessen zu überwinden und die Berücksichtigung fremder Interessen bei der eigenen Entscheidungsfindung wieder verstärkt einzubauen.

V. Ost-West-Beziehungen in den achtziger Jahren

1. Die global-bilaterale Ebene Nachdem die NATO am 12. Dezember 1979 — als Reaktion auf die sowjetische SS-20-Rake-tenrüstung verstanden — ihren Brüsseler Doppelbeschluß faßte und die Sowjetunion Weihnachten 1979 in Afghanistan einmarschierte, waren die letzten Entspannungsbemühungen im global-bilateralen Rahmen, die noch in der Unterzeichnung von SALT II im Juni 1979 durch Carter und Breschnew zum Ausdruck kamen, zum Scheitern verurteilt. Präsident Carter verkündete als Antwort auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan Gegenmaßnahmen, die vor allem in einem Stopp für landwirtschaftliche Güter in die UdSSR und im Olympiaboykott bestanden Die Sowjetunion versagte sich nach dem Brüsseler Doppelbeschluß allen weiteren Verhandlungen über Rüstungskontrolle. So zeichneten sich zu Beginn des Jahres 1980 Konturen eines neuen Kalten Kriegs ab, als die beiden Super-mächte miteinander in die „Phase der Sprachlosigkeit" hineinglitten. Zwar handelte es sich noch nicht um eine Neuauflage des Kalten Kriegs von 1947 bis 1962, doch in der Entspannungspolitik bewegte sich auf der global-bilateralen Ebene so gut wie nichts. Dennoch waren die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten nicht vollkommen unterbrochen: „Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion waren zu keiner Zeit daran, in direkte oder indirekte (etwa Afghanistan) Konfrontationen einzutreten. Insgeheim verständigte man sich, die Bestimmungen von SALT I und SALT II einzuhalten, obwohl SALT II noch nicht ratifiziert war."

Nachdem mit Ronald Reagan ein Politiker die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, der Amerika Größe und Frieden durch Stärke versprach, der die USA nicht weiter herumstoßen lassen wollte, mußte sich diese Politik auch auf das Verhältnis zu der Sowjetunion auswirken. Reagan versteht die UdSSR als „größten Feind der Menschheit" dem es Einhalt zu gebieten gilt. Dafür müsse man 1. die militärische Balance wiederherstellen, 2. die politische Lethargie in den USA und bei den Verbündeten bekämpfen und 3. Verhandlungen mit der UdSSR nur aus einer Position der Stärke heraus führen.

Die Politik der neuen Administration enthält einen religiös-missionarischen Charakter. In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag erklärte Präsident Reagan: „Es ist aber auch der Weg zum Frieden zwischen den Nationen, den wir suchen. Es steht in dem Psalm: . Suche den Frieden, jage nach ihm!'Auf dieses Prinzip ist die Zielsetzung unserer Außenpolitik gegründet. Das vornehmste Ziel unserer diplomatischen Arbeit ist die schwierige, auch Geduld erfordernde Aufgabe, unseren Gegner auf den Pfad des Friedens zu bringen." Mit Hilfe gewaltiger Aufrüstung — innerhalb der Jahre 1982 bis 1986 wurden 1 600 Mrd US-Dollar für den Verteidigungshaushalt geplant — und einer Wirtschaftsembargopolitik bezüglich hochkomplizierter Technologie soll die Sowjetunion zu Wohlverhalten gezwungen werden. Als schließlich am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht in der Volksrepublik Polen verhängt wurde, erklärte Präsident Reagan ein verschärftes Embargo gegen die UdSSR.

Neben diesem ideologisch-religiösen Charakter enthält die US-Außenpolitik aber auch einen diplomatisch-pragmatischen Ansatz. Ursprünglich davon ausgehend, daß Verhandlungen über Rüstungskontrolle mit der UdSSR nur stattfinden, wenn die UdSSR sich aus Afghanistan zurückzieht und Wohlverhalten in der Dritten Welt verspricht, mußte die amerikanische Regierung erkennen, daß diese Forderungen nicht durchsetzbar waren. Eine Politik der offensiven Auseinandersetzung mit der UdSSR kann nur glaubhaft vertreten werden, wenn sie innen-und bündnispolitischen Rückhalt erfährt. Jedoch mußte Präsident Reagan erleben, daß sich kontinuierlich die westeuropäisch-amerikanischen Beziehungen verschlechterten und somit der bündnispolitische Rückhalt für seine offensive Auseinandersetzung mit der Sowjetunion nicht gegeben war. Der zunehmende Geldmangel, bedingt durch die schlechte Wirtschaftsentwicklung, wie auch die wachsende Friedensbewegung im eigenen Land waren weitere Faktoren, die dem Präsidenten die Basis für seine ideologische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion entzogen. Deshalb mußte der Präsident dem diplomatisch-pragmatischen Teil seiner Außenpolitik zunehmend Priorität gegenüber dem religiösmissionarischen Teil einräumen, indem er Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen zustimmte, obwohl Reagan im Wahlkampf und auch später noch verkündet hatte, Rüstungskontroll-bzw. Abrüstungsverhandlungen nur aus einer Position der Stärke heraus zu führen. Die Verhandlungspolitik der USA mit der UdSSR findet heute auf fünf Ebenen ihren Niederschlag:

1. im global-strategischen Bereich bei den am 29. Juni 1982 aufgenommenen START-Ver-handlungen (Gespräche über die Reduzierung von strategischer Rüstung) — Nachfolge von SALT;

2. im global-regional-bilateralen Bereich über die Reduzierung der Mittelstreckenraketen (INF);

3. im regional-multilateralen Rahmen über Truppenreduzierung in Europa (MBFR);

4. im regional-multilateralen Bereich der KSZE-Fortsetzungskonferenz in Madrid;

5. im global-internationalen Bereich des Internationalen Abrüstungsausschusses der Vereinten Nationen in Genf.

Nicht zuletzt aufgrund des Drucks westeuropäischer Regierungen, westeuropäischer und amerikanischer Friedensbewegungen sowie der unbefriedigenden wirtschaftlichen Situation in den Vereinigten Staaten hat Präsident Reagan am 9. Mai 1982 einen bemerkenswerten Vorschlag zur Abrüstung von Interkontinental-Raketen vorgelegt der jedoch den Schönheitsfehler aufweist, daß die UdSSR erheblich mehr abrüsten müßte als die USA Die Verhandlungsergebnisse werden allerdings erst zeigen, ob sich der diplomatisch-pragmatische Ansatz der US-Außenpolitik gegen den ideologisch-missionarisch ausgerichteten Ansatz wird durchsetzen können. 2. Die Ost-West-Beziehungen auf westeuropäisch-sowjetischer Ebene Im Gegensatz zur Administration Carter versuchten insbesondere die Bundesregierung und der französische Staatspräsident Giscard dEstaing die Entspannungspolitik zu retten, da gerade Westeuropa von einer Verhärtung der Beziehungen im globalen Bereich zwiB sehen USA und UdSSR besonders in Mitleidenschaft gezogen wird. Die westeuropäischen Regierungen erkannten vor allem seit 1977 eine größere strategische Bedrohung, als die UdSSR ihre Raketenrüstung forcierte. Insbesondere Bundeskanzler Schmidt formulierte die Problematik der Grauzonen in seiner bekannten Rede im Oktober 1977 vor dem Londoner Institut für Strategische Studien Auch wollte die Bundesregierung — nicht zuletzt wegen der anstehenden Bundestagswahlen — den legitimatorischen Charakter von Entspannung gewahrt wissen. So unterschied sich die Reaktion der Westeuropäer von der der Amerikaner in der Einschätzung der so-wjetischen Außenpolitik erheblich. Sie trugen die Embargomaßnahmen nicht oder nur zum Teil mit und stellten für den Fall einer weiteren Verschärfung in den Ost-West-Beziehungen die Anwendung eigener Maßnahmen gegen die UdSSR in Aussicht In einem gemeinsamen Kommunique von Präsident Gis-card und Bundeskanzler Schmidt stellten die beiden Staatsmänner fest, daß durch die Ereignisse in Afghanistan die Entspannung schwieriger und unsicherer geworden sei, und daß deshalb die ausländischen Truppen aus Afghanistan zurückgezogen werden müßten. Sie erklärten, daß die Entspannung einem neuen Schlag gleicher Art nicht standhalten würde. In diesem Fall würden Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Bündnispartnern die Maßnahmen ergreifen, die unter diesen Umständen erforder-lich seien, um ihre Sicherheit zu gewährleisten und die internationale Stabilität zu verteidigen. Giscard d'Estaing bemühte sich in einem in Warschau mit KPdSU-Generalsekretär Breschnew geführten Gespräch ebenso wie Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher bei ihrem Besuch im Sommer 1980 in Moskau, die Sowjetunion zurück auf den Weg der Entspannung zu führen. Zumindest hatte Bundeskanzler Schmidt insofern Erfolg, als er das sowjetische Einverständnis für weitere Rüstungskontrollgespräche mit den USA erreichen konnte und die UdSSR 1981 in Verhandlungen über Mittelstreckenraketen mit den USA eintrat. Der Widerruf des NATO-Doppelbeschlusses oder ein Moratorium für die Produktion neuer amerikanischer Waffen waren nicht länger sowjetische Vorbedingungen für Verhandlungen wie noch unmittelbar nach Verabschiedung des NATO-Doppel-beschlusses. Die Bundesrepublik Deutschland versuchte insbesondere eine Intensivierung der ökonomischen Beziehungen zu den sozialistischen Staaten und schloß anläßlich des Besuchs des sowjetischen KP-Chefs im November 1981 ein Erdgasröhren-Abkommen ab — an dem sich neben der Bundesrepublik noch Frankreich, Großbritannien und Italien beteiligten —, das aber zu weiteren Belastungen auf der Ebene der West-West-Beziehungen führte und insbesondere die deutsch-amerikanischen Beziehungen im Jahre 1982 in eine schwierige Situation brachte.

VI. Gewandelte Perzeptionen und gewandeltes internationales System

Anders als zu Beginn der Entspannungsdekade sahen sowohl die Regierenden in den USA als auch in der UdSSR die Ergebnisse der Entspannungspolitik für ihr jeweiliges System als unbefriedigend, ja enttäuschend an. Im Westen wurde auf Seiten der Gegner der Entspannungspolitik, aber auch von enttäuschten Anhängern, die Ausdehnung der Sowjetunion in der Dritten Welt der Entspannungspolitik zugeschoben. Und auch im Osten sahen die „Falken" die Entspannungspolitik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre als gescheitert an. Aufgrund der durch die KSZE-Schlußakte bewirkten Destabilisierung konnte die UdSSR ihren osteuropäischen Hegemonialbereich nicht konsolidieren, die Ebenbürtigkeit mit den USA (vgl. Nahost) nicht erreichen und das großzügige Engagement der kapitalistischen Wirtschaftsgroßmächte USA, Westeuropa und Japan nicht erzwingen

Für die USA muß betont werden, daß neben ihrem dramatischen politischen Abstieg in den siebziger Jahren eine Veränderung des internationalen Systems parallel lief und sich somit die internationale Position der USA weiter verschlechterte. So blieb zwar eine strategi-sehe Bipolarität zwischen Moskau und Washington erhalten, doch unterhalb dieser Ebene entwickelte sich ein politischer Polyzentrismus, der durch den ökonomischen Aufstieg Westeuropas und Japans als Konkurrenten der USA gekennzeichnet war. Der Eintritt der Volksrepublik China in die Weltpolitik vergrößerte den Polyzentrismus ebenso wie die Re-Islamisierung, die den Islam zu einem bedeutenden und in seiner zukünftigen Position noch nicht einschätzbaren Faktor der Weltpolitik werden ließ. Daneben hat sich der Nord-Süd-Konflikt weiter verschärft und die Länder der Dritten Welt — nicht nur in der Blockfreienbewegung — zu die Industrieländer herausfordernden Akteuren der Weltpolitik werden lassen. Schließlich verstärkte sich auch der Polyzentrismus in der kommunistischen Weltpolitik; Phänomene dieser Entwicklung waren die Annäherung zwischen den USA und der Volksrepublik China sowie der Eurokommunismus.

Vor diesem gewandelten Hintergrund muß auch die Einordnung der Entspannungspolitik gesehen werden. Die politische, z. T. ideologische und teilweise militärische Ausdehnung der UdSSR hat nicht ihre Ursache in der Entspannungspolitik, sondern hängt mit strukturellen Veränderungen in der Weltpolitik und inneramerikanischen Entwicklungen zusammen. Daß „die Ausbreitung einer zunehmend militanten, anti-westlichen Haltung unter einer Mehrheit der Länder der Dritten Welt zu einem erheblichen Teil auf langandauernde Mißachtung ihrer Interessen durch die Länder •und Konzerne zurückgeht, die den Weltmarkt beherrschen“ wurde geflissentlich kaum wahrgenommen. Zusätzlich machten sich für den z. T. erfolgten Positionsverlust des Westens in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die Krise des amerikanischen Regierungssy-stems durch den Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre bemerkbar wie auch die durch die Olpreiskrise bedingte ökonomische Erschütterung der Weltwirtschaft. Auch Destabilisierungstendenzen hausgemachter Art (Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Türkei) in den Jahren 1974/75 trugen zur westlichen Schwächung bei. Dennoch wurde Entspannungspolitik in der ersten Hälfte der siebziger Jahre von den Handlungsakteuren positiv bewertet. Entwicklungen in der Dritten Welt wurden ausgeblendet bzw. als nicht entspannungsschädlich gesehen. So fand die Moskauer Gipfelkonferenz 1972 trotz einer Eskalation der amerikanischen Intervention in Vietnam statt. So konnte kurz vor dieser Konferenz der afghanische Ministerpräsident von der sowjetischen Führung die Zusage für wirtschaftliche und politische Hilfe erreichen. So wurde am 6. April 1972 der sowjetisch-irakische Freundschaftsvertrag geschlossen, der den weiteren Ausbau des sowjetischen Einflusses am Persisch/Arabischen Golf ermöglichte. So reiste Präsident Nixon nach dem Moskauer Gipfeltreffen nach Teheran und gab massive militärische Zusagen. „Die Seeblokkade und die Verminung des Hafens von Haiphong im Mai 1972, die den sowjetischen Nachschub unmittelbar traf, wurde von der UdSSR nicht als Herausforderung angenommen; im Gegenteil, die USA und China verstärkten ihren Druck auf Nordvietnam, um es zum Einlenken zu bewegen. — Beim Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 unterstützten beide Großmächte ihre jeweiligen Verbündeten, praktizierten dann jedoch gemeinsames Krisenmanagement."

Erst nachdem die Entspannungspolitik 1974/75 in den USA einen anderen Stellenwert erhalten hatte, wurde die „Unteilbarkeit der Entspannung" postuliert.

VII. Die West-West-Beziehungen vor dem Hintergrund des ideologischen Gegensatzes

Nicht erst seit Präsident Reagans Amtsübernahme haben sich die westeuropäisch-amerikanischen Beziehungen verschärft. Bereits unter der Carter-Administration wurde nach der Invasion der UdSSR in Afghanistan im Dezember 1979 das unterschiedliche Interesse von Amerikanern und Westeuropäern in den Ost-West-Beziehungen deutlich. Die Divergenzen zeigen sich heute vor allem in folgenden Bereichen: 1. In der Einschätzung der Sowjetunion und ihrer Außenpolitik sowie der Reaktion darauf; 2. in der Militärstrategie;

3. in der Rolle Westeuropas gegenüber der Dritten Welt einschließlich Nahost;

4. im Verhalten der Europäer und der Amerikaner in der Weltwirtschaft.

Besonders konfliktreich ist die Einschätzung der Politik der Sowjetunion und die daraus resultierende Antwort der westlichen Staaten. Die USA-Regierung perzipiert die Sowjetunion als den großen internationalen Unruhestifter, dessen Expansionismus gestoppt werden muß, indem mit massiver Aufrüstung das Abschreckungsund Drohpotential erhöht wird und auf dem Handelssektor Sanktionen auferlegt werden, die langfristig auch eine Schwächung des Militärsektors nach sich ziehen sollen. Die Westeuropäer sehen die Afghanistan-Invasion nicht als den die Entspannung zunichte machenden Schritt der Sowjetunion an, der zu einer Unterbrechung der Handelsbeziehungen führen sollte. Sie wollen gerade mit Hilfe der erweiterten Handelsbeziehungen — z. B. Erdgas-Röhren-Geschäft — ein Netz interdependenter Verknüpfungen schaffen, um so die UdSSR zu einer Ordnungsmacht des internationalen Systems zu führen. Diese unterschiedlichen Wege zur Erreichung des Ziels, die Sowjetunion zu einem stabilen Faktor der internationalen Politik zu machen, spiegeln sich dann in Kommuniques wider, die nun davon sprechen, daß eine „wirkliche Entspannung" praktiziert werden soll.

Die Strategiefrage und die damit verbundene Rüstungskontrollpolitik verbreiterte die Differenzen zwischen Westeuropa und den USA. Die Europäer sind sich deutlicher und unmittelbarer der Gefahr eines Krieges mit seinen zerstörerischen Auswirkungen bewußt als die Amerikaner, die nicht zwei unselige Weltkriege auf eigenem Territorium durchgemacht haben. Auch werden die Europäer von einer massiven amerikanischen Aufrüstung insofern betroffen, als das „bürden sharing" innerhalb der NATO weitere amerikanische Forderungen an die Europäer nach sich ziehen wird.

Schließlich gibt es zwischen Europäern und Amerikanern unterschiedliche Auffassungen über die Dritte-Welt-Politik. Anders als die USA betreiben die Europäer, wenn auch in bescheidenem Maße (z. B. Lom 6-Abkommen), eine in Ansätzen aktive Dritte-Welt-Politik und versuchen damit das internationale System zu stabilisieren, während die US-Administration die Dritte-Welt-Politik stärker in den Dimensionen des Ost-West-Konflikts verstanden wissen will. Hier liegt die große Aufgabe der westeuropäischen Regierungen, den USA deutlich die europäische Maxime nahe-zubringen. Die Übertragung des Ost-West-Konflikts auf die Dritte Welt wirkt sich letzt-, lieh negativ für den Westen aus. Eine Politik der Zurückhaltung und des Abwartens des Scheiterns der sowjetischen Politik in der Dritten Welt ist erfolgreicher, wie die Vergangenheit gezeigt hat.

VIII. Die Notwendigkeit der Fortsetzung von Entspannungspolitik

In den Ost-West-Beziehungen ist ein Zustand erreicht, in dem weder der Westen noch der Osten mit offensiver Macht bezwungen werden kann. Es entsteht eine klassische Antinomie, „daß einerseits militärische Macht zur Abschreckung oder Abwehr potentieller Gegner erforderlich ist, andererseits ihr Vorhandensein den Partner zu zusätzlicher Rüstung veranlaßt und damit die Kriegsgefahr verschärft" Das bedeutet aber, daß gerade Europa, und nicht nur Westeuropa, sondern auch Osteuropa, in die gegenseitige Bedrohung vitaler Interessen der Blockführungsmächte einbezogen wird. Je größer aber die Spannung zwischen den Supermächten wird und je mehr sich die Supermächte politisch und militärisch auf Kollisionskurs befinden, um so problematischer wird die Situation für Europa. Das bedeutet, daß die europäischen Nationen sowohl auf die Außenpolitik der USA als auch auf die der Sowjetunion verstärkt Einfluß nehmen müssen, um der Suche nach gemeinsamen Interessen wie dem überleben — trotz aller Systemunterschiede — Priorität zu geben. Es muß also gerade Aufgabe der europäischen politischen Akteure sein, zunächst der US-Regierung und der sie stützenden Gruppen zu verdeutlichen, daß die Welt sich nicht länger in ein Zwei-Lager-Modell — hier liberal-pluralistische Demokratie, dort Moskauer Sozialismus — in gut und böse einteilen läßt, sondern daß heute ein polyzentristisches internationa45 les System existiert, das durch starke Fragmentierung, durch sowjetische Positionsgewinne, aber auch -Verluste, wie auch durch amerikanische Positionsgewinne (z. B. Horn von Afrika und Indischer Ozean) und -Verluste (Vietnam, Iran) gekennzeichnet ist.

Da die Sowjetunion unter großen ökonomischen Schwierigkeiten leidet, ihre Wachstumsraten in der Wirtschaft rückläufig sind, die Waffentechnologie im Westen immer schnellere Fortschritte macht, kann langfristig auf ein prinzipielles Interesse der UdSSR an Entspannungspolitik geschlossen werden Die sowjetische Außenpolitik richtet sich jedoch nicht allein nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Ideologische Ziele und herrschaftspolitische Ziele sind weitere zu berücksichtigende Faktoren. Ideologische Verkündigungen müssen als Legitimationsbasis nach innen und nach außen — für die sozialistischen Bruderstaaten und kommunistischen Parteien — aufrechterhalten werden. Ob sie selbst die Politik der Sowjetunion bestimmen oder ob die UdSSR bereits in die Rolle einer traditionellen Macht geschlüpft ist, läßt sich dabei nicht definitiv bestimmen. Festzustellen bleibt aber, daß die Ideologie als Machtfaktor nach außen längst ihre Überzeugungskraft verloren hat, bei einigen politischen Handlungsakteuren im Westen aber wiederum als Legitimationsbasis für ihre Politik dient. „Ohne das tragende, sinngebende Bauelement des ideologischen Dogmas fiele das System binnen kurzer Frist auseinander. Insofern bleiben die Glaubenssätze allen Anfechtungen zum Trotz unverzichtbar, unersetzlich und damit praktisch eben auch . richtig'."

Da die Sowjetunion sich in der Phase von rückläufigem zu definitiv niedrigem Wachstum befindet und die gegenwärtige Produktions-und Produktivitätsengpässe der sowjetischen Wirtschaft ohne außenwirtschaftliche Beziehungen ebensowenig überwunden wie mittel-und langfristige ökonomische Ziele auf andere Weise realisiert werden können, kann die Sowjetunion nur in der Entspannungspolitik eine mögliche Politik sehen.

„Bei anhaltender wirtschaftlicher Stagnation und bei zunehmender Knappheit an Arbeitskräften, Kapital und Naturressourcen, zunehmender Knappheit der traditionellen Produktionsfaktoren, wachsen die ökonomischen Kosten unterbrochener weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung, permanenter Hochrüstung und immer wieder vertagter Reformen. Dieser Einsicht kann sich auch die sowjetische Führung auf Dauer nicht verschließen. Hier Einwirkungschancen wahrzunehmen, muß wiederum die Aufgabe westlicher Außenpolitik sein. Ein Angebot zur Kooperation unter realistischen Bedingungen, die eine längerfristige Auflokkerung und Wandlung in Osteuropa fördern könnte, ist dabei einer ökonomisch kaum zu verwirklichenden Embargopolitik gegenüber der Sowjetunion und Polen vorzuziehen." Das bedeutet, daß Interessenparallelität partiell trotz aller Systemgegensätze vorhanden sein muß, wenn Entspannungspolitik Erfolg haben soll. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn beide Seiten erkennen, daß sich mit Hilfe dieser Politik Vorteile für beide Seiten erzielen lassen bzw. daß es zumindest für keine Seite durch diese Politik zu unerträglichen Nachteilen kommt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. W. Woyke, Die NATO in den 70er Jahren, Opladen 1977, S. 47 f.

  2. Europa-Archiv, 3/1968, D 6f.

  3. Hervorhebung durch Verfasser.

  4. Bulletin der Bundesregierung Nr. 58 vom 15. Juni 1982, S. 494.

  5. H. Haftendorn, Versuch der Theorie einer Entspannung, in: Sicherheitspolitik heute, 2/1975 S. 224.

  6. M. Görtemaker. Die unheilige Allianz, München 1979, S. 13.

  7. W. Link, Der Ost-West-Konflikt, Stuttgart 1980, S. 209.

  8. W. -D. Karl, Entspannungspolitik — Der Weg von der Konfrontation zur begrenzten Kooperation in den Ost-West-Beziehungen, in: K. D. Schwarz, Sicherheitspolitik, Bad Honnef-Erpel 1978, S. 171.

  9. R. Löwenthal, Hat Entspannung eine Zukunft, in: Die Zeit vom 2. April 1976.

  10. M. Görtemaker, a. a. O„ S. 61.

  11. Vgl. dazu stellvertretend H. P. Schwarz/B. Meissner (Hrsg.), Entspannungspolitik in Ost und West, Köln 1979, und G. Wettig, Kooperation und Konflikt — Entspannung in Theorie und Praxis. Sicherheitspolitische Analysen, Bonn 1981.

  12. Zitiert nach W. D. Karl, a. a. O.

  13. Vgl. Ch. Royen, Die sowjetische Koexistenzpolitik gegenüber Westeuropa, Baden-Baden 1978.

  14. Vgl. J. Füllenbach/E. Schulz (Hrsg.), Entspannung am Ende? Chancen und Risiken einer Politik des Modus vivendi, München/Wien 1980, S. 24.

  15. Vgl. G. Schweigler, Von Kissinger zu Carter - Entspannung im Widerstreit von Innen-und Außenpolitik 1969 - 1981, München/Wien 1982, S. 265 ff.

  16. Vgl. M. Görtemaker, Reagan — Amerika und Westeuropa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/81, S. 5.

  17. G. Schweigler, a. a. O., S. 479.

  18. Vgl. R. Reagan, Ein Konzept für Frieden und Sicherheit für die achtziger Jahre, in: Europa-Archiv, 15/1980, S. 471.

  19. Archiv der Gegenwart vom 5. 2. 1981, S. 24249.

  20. Vgl. Außenminister Haig, in: Amerika-Dienst vom 29. 4. 81.

  21. R. Zoll, Sozialer und politischer Wandel als gesellschaftliche Bedingung und Herausforderung für die Streitkräfte, in: Schriftenreihe Innere Führung, 4/1980, S. 44f.

  22. Vgl. B. Dismukes/M. McConnel, Soviet Naval Diplomacy, Oxford 1979.

  23. Vgl. U. Nerlich, Neuorientierung der amerikanischen Außenpolitik, in: Europa-Archiv, 15/1981, S. 464.

  24. Europa-Archiv, 22/1981, D 590.

  25. Vgl. die Rede von Präsident Reagan vor dem Deutschen Bundestag am 9. 6. 1982, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 66 vom 30. 6. 82.

  26. P. Noack, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1981, S. 165.

  27. R. Löwenthal, Welche Rolle soll Europa spielen, in: Die Zeit, Nr. 2 vom 8. Januar 1982.

  28. So betrugen die Gesamtausgaben des Bundes für Berlin im Jahr 1980 allein 10, 25 Mrd. DM (vgl. Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1980, S. 3520), die Kosten, die aus Verpflichtungen im Kontext der Ostpolitik entstanden sind, beliefen sich hingegen lediglich auf 1, 14 Mrd. DM.

  29. M. Roth, Zwei Staaten in Deutschland — Die sozialliberale Deutschlandpolitik und ihre Auswirkungen 1969— 1978, Opladen 1981, S. 211.

  30. Vgl. R. Zoll. a. a. O.

  31. Vgl. z. B. Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Hrsg. E. Noelle-Neumann/E. P. Neumann, 1968— 1973, Allensbach 1974, S. 573 ff.

  32. Vgl. E. Schulz, Charakteristika sowjetischer Westpolitik, in: J. Füllenbach/E. Schulz (Hrsg.), a. a. 0. München 1980, S. 225.

  33. Ebenda, S. 237.

  34. Vgl. Die Welt vom 21. Mai 1973.

  35. Abgedruckt in: Frankfurter Rundschau vom 3. August 1981.

  36. In B. Meissner/H. -P. Schwarz (Hrsg.), a. a. O.,

  37. H. Wassmund, Grundzüge der Weltpolitik, München 1982, S. 187.

  38. Vgl. W. Woyke, a. a. O., S. 69.

  39. Vgl. E. Schulz, a. a. O., S. 246.

  40. E. Schulz, a. a. O., S. 247.

  41. Der Spiegel, Nr. 45/1981, S. 42.

  42. Vgl. A. Riklin, Audiatur et altera pars, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/81.

  43. Vgl. H. Vogel, Die Embargopolitik der USA gegenüber der Sowjetunion nach Afghanistan, in: Europa-Archiv, 20/1981, S. 616.

  44. G. Schweigler, a. a. O., S. 484.

  45. Zitiert nach G. Schweigler, Die Präsidentschaft Reagan: ein neuer Anfang, in: Europa-Archiv, 9/1981, S. 275.

  46. Bulletin, a. a. O.

  47. Vgl. Amerikadienst, Nr. 19 vom 12. Mai 1982.

  48. Vgl. E. Eisenacher, Von SALT zu START, in: Das Parlament Nr. 29/30 vom 24. /31. Juli 1982, S. 17.

  49. Archiv der Gegenwart vom 29. Oktober 1977, S. 21341.

  50. Vgl. K. Kaiser, Amerikanisch-europäische Beziehungen zu Beginn der Reagan-Administration, in: Europa-Archiv, Nr. 9/1981, S. 363 ff.

  51. Vgl. E. Schulz, a. a. O., S. 257.

  52. R. Löwenthal, Hat die Entspannung eine Zukunft, a. a. O.

  53. W. Link, a. a. O„ S. 167.

  54. E. Schulz, a. a. O., S. 337.

  55. Vgl. H. -H. Höhmann, Die Krise der sowjetischen Wirtschaft und ihre außenpolitische Bedeutung, in: Europa-Archiv, Nr. 14/1982, S. 431— 438.

  56. Ch. Royen, a. a. O., S. 22.

  57. H. -H. Höhmann, a. a. O., S. 438.

Weitere Inhalte

Wichard Woyke, Dr. phil., Dipl. -Pol., geb. 1943; Akad. Oberrat am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen-Wilhelms-Universität, Münster. Veröffentlichungen u. a.: Oppositionsparteien und Verteidigungspolitik im gaullistischen Frankreich 1958— 1973, Opladen 1975; Die NATO in den siebziger Jahren, Opladen 1977; Handwörterbuch Internationale Politik (Hrsg.), Opladen 19802, Aufsätze zur Internationalen Politik und Außenpolitik ausgewählter westeuropäischer Staaten.