Der Innerdeutsche Handel — ein Güteraustausch im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft
Horst Lambrecht
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Zusammenfassung
Der Innerdeutsche Handel ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil deutsch-deutscher Beziehungen. Hier gibt es einen Interessenausgleich von wirtschaftlichem und politischem Geben und Nehmen, wobei die DDR mehr aus ökonomischen, die Bundesrepublik mehr aus politischen Gründen an diesem Güteraustausch und seinem Ausbau interessiert ist. Die Bundesrepublik ist der zweitwichtigste Handelspartner der DDR und spielt in deren Westhandel eine herausragende Rolle. Dennoch wird die Bedeutung des Innerdeutschen Handels für die Wirtschaft der DDR oft überschätzt: Auf ihn entfallen nur etwa drei Prozent des produzierten Nationaleinkommens, d. h.des Nettosozialprodukts nach östlicher Abgrenzung. Die in der Bundesrepublik häufig vorhandene — falsche — Vorstellungen über den Nutzen der DDR aus dem Innerdeutschen Handel resultieren nicht zuletzt aus der Art, wie hier die Diskussion um die Vorteile aus dem Sonderstatus geführt wird. Politische Wunschvorstellungen und fehlendes Faktenwissen führen nicht selten dazu, die Rolle des Innerdeutschen Handels als Instrument der Interessendurchsetzung zu überschätzen. Der Sonderstatus des Innerdeutschen Handels ist darin begründet, daß die DDR für die Bundesregierung kein Ausland ist. Dieser Status ist international akzeptiert. Auch die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft haben das bestehende Reglement bestätigt. Trotzdem ist die DDR kein heimliches — oder derzeit elftes — EG-Mitglied. Die Folge des Sonderstatus ist, daß für Waren aus der DDR keine Zölle und Abschöpfungen erhoben werden. Für Lieferungen und Bezüge gelten überdies umsatzsteuerliche Sonderregelungen. Sie führen per saldo zu Mindereinnahmen im Bundeshaushalt. Nicht zulässig ist es, die sonderstatusbedingten Präferenzen einseitig der DDR zuzurechnen. Verschiedene Fakten sprechen dafür, daß ein nicht unerheblicher Teil der Vergünstigungen von der westdeutschen Wirtschaft realisiert werden kann. Die Warenstruktur des Innerdeutschen Handels ist dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand beider Volkswirtschaften nicht angemessen. Der Anteil von Fertigwaren ist zu gering, der von Rohstoffen und Halbwaren zu hoch. Der Technologietransfer ist unterentwickelt. Die in den letzten Monaten geführte Diskussion um den Zusammenhang von Swing und Reiseerleichterungen, d. h. um die Rücknahme des Mindestumtausches, hat erneut bewiesen, daß in der Bundesrepublik übersteigerte Vorstellungen über den Innerdeutschen Handel als Instrument der Interessendurchsetzung bestehen. Der Innerdeutsche Handel eignet sich nicht als Pressionsmittel. Eine nach vorn gerichtete, d. h. konstruktive Handelspolitik gegenüber der DDR hat tendenziell die gleiche Wirkung wie der Abschluß von Verträgen über gemeinsame Vorhaben, die der DDR ökonomische Vorteile — weil DM-Einnahmen — und der Bundesrepublik die Erfüllung deutschlandpolitischer Wünsche bringen. Könnten Probleme wie Umweltfragen (Gewässerschutz!), Eisenbahnverbindungen mit Berlin und Tourismus einvernehmlich gelöst werden, wäre das eine Fortsetzung der im Zuge des Entspannungsprozesses eingeleiteten und erfolgreich betriebenen Politik, die der DDR mit den DM-Strömen außerhalb des VE-Bereichs beträchtliche ökonomische Zugewinne brachte.
Die Neuregelung des Swing zur Jahresmitte und vor allem die vorherige Diskussion über den Zusammenhang von Swing und innerdeutschen Reiseerleichterungen haben den Innerdeutschen Handel wieder einmal stark in den Blickpunkt des Öffentlichen Interesses gerückt Dies kann nicht verwundern — hat es doch Tradition, daß die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten immer dann schnell und intensiv ins Gespräch kommen, wenn deutschlandpolitische Probleme aufgeworfen werden oder zur Lösung anstehen. Das hängt damit zusammen, daß auch nach Abschluß des Grundlagenvertrages die Wirtschaft jener Bereich ist, in dem die deutsch-deutschen Beziehungen am besten funktionieren, und daß die Diskussion um den Nutzen des Innerdeutschen Handels auf die vermeintlich einseitigen ökonomischen Vorteile, die die DDR aus diesem Güteraustausch zieht, verengt worden ist. Da überdies allenthalben bekannt ist, daß der Innerdeutsche Handel für die Wirtschaft der DDR wichtiger ist als für die bundesdeutsche, ist es nicht verwunderlich, wenn deutschlandpolitische Wünsche auf unserer Seite immer wieder mit der Gewährung handelspolitischer Zugeständnisse verknüpft werden. Hierbei ist allerdings oft ein Wunschdenken die Triebfeder derartiger Überlegungen und Äußerungen; häufig ist es fehlendes Faktenwissen, das zu übersteigerten Erwartungen veranlaßt. Nicht selten sind es auch bewußt gepflegte Klischees, die gezielt genutzt werden. Hierbei kommt den Verbal-Akteuren zugute, daß der Innerdeutsche Handel für den Normal-Interessierten ein nicht leicht zu überschauendes Feld ist, weil allzu viele Eigenheiten diesen Güteraustausch prägen. Swing, kumulierter Aktivsaldo, Verrechnungseinheit, Barzahlungskonto und ähnliche Vokabeln sind eben nicht übliche Begriffe für den das Wirtschaftsgeschehen verfolgenden Zeitgenossen. Eigene rechtliche Grundlagen und institutionelle Regelungen verleihen diesem Güteraustausch eine besondere Prägung; sie begründen den Sonderstatus des wirtschaftlichen Leistungsaustausches mit der DDR.
Eine sachliche Diskussion über die mit dem Innerdeutschen Handel zusammenhängenden Fragen ist in den letzten Jahren durch zwei Fakten erschwert worden: Das ist einmal die Art, wie in der Bundesrepublik die Diskussion um die vermeintlichen Vorteile der DDR aus dem Sonderstatus des Innerdeutschen Handels geführt wurde, und es ist zum anderen die Tatsache, daß zumindest Teile der Opposition der Versuchung nicht widerstanden haben, das Thema der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zum Gegenstand innenpolitischer Kontroversen zu machen und hieraus parteipolitisches Kapital zu schlagen. Auf dem Hintergrund eines stark emotional geprägten Verhaltens weiter Kreise der Bevölkerung und eines geringen Faktenwissens in diesen Fragen konnte das nur zu Schaden führen. überdies war die Haltung der Opposition in den letzten Jahren in sich widersprüchlich: Einerseits verlangte sie stets, den Handel stärker als Sanktionsmittel einzusetzen, andererseits warf sie der Regierung vor, der DDR zu-viele ökonomische Zugeständnisse zu machen; verlangte also letztlich, ihn so zu schwächen, daß er als Instrument der Interessen-durchsetzung untauglich wurde.
Es ist im Interesse der Sache bedauerlich, daß der früher gehandhabte gute Brauch, den Innerdeutschen Handel aus der öffentlichen parteipolitischen Diskussion weitgehend herauszuhalten, nicht weiter gepflegt wurde. Und es ist auch nicht zufällig, daß zu der Zeit, als in Bonn die Große Koalition regierte, in der Handelspolitik gegenüber der DDR entscheidende Schritte eingeleitet wurden. Diese Regierungskonstellation hat es ermöglicht, daß im Bereich der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen sogar die neue Ostpolitik der späteren Bundesregierungen vorweggenommen werden konnte.
Der folgende Beitrag versteht sich als ein Versuch zur Versachlichung der Diskussion über die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen. Hierbei wird auf die in letzter Zeit immer wieder aufgeworfenen Fragen besonders eingegangen; es wird aber auch versucht, das Umfeld dieser Wirtschaftsbeziehungen auszuleuchten. Sicher sind die Diskussionen über das Verhältnis von Innerdeutschem Handel und allgemeinen deutsch-deutschen Beziehungen in der ersten Hälfte dieses Jahres nicht zum letzten Mal geführt worden. Es könnte sein, daß die von der gegenwärtigen amerikanischen Administration verfolgten Bemühungen, weltweit eine restriktive Ost-handelspolitik durchzusetzen, auch auf die Diskussionen über Sinn und Nutzen des Innerdeutschen Handels übergreifen. Dies wäre dann eine Wiederbelebung der Diskussionen aus der Vorphase der Politik der Entspannung.
I. Status und rechtliche Grundlagen
Der Sonderstatus des Innerdeutschen Handels ist politisch begründet. Er ergibt sich aus der Auffassung, daß die DDR für die Bundesrepublik kein Ausland ist und demzufolge der Handel mit diesem Staat auch kein Außenhandel sein kann.
Diese Auffassung wurde von allen Bundesregierungen vertreten und ist auch nach der Anerkennung der DDR, nach Abschluß des Grundlagenvertrages, gültige Doktrin. Sie findet ihre Entsprechung in institutionellen und rechtlichen Regelungen in der Bundesrepublik, und sie hat materielle Konsequenzen.
Institutionell kommt der Sondercharakter des Innerdeutschen Handels z. B. darin zum Ausdruck, daß er im Bundeswirtschaftsministerium nicht der Außenwirtschaftsabteilung, sondern der für die (binnenländische) gewerbliche Wirtschaft zuständigen Abteilung untergeordnet ist. Am deutlichsten wird die besondere Einstufung durch die Existenz der Treuhandstelle für den Interzonenhandel, seit 1982 Treuhandstelle für Industrie und Handel, sichtbar. Sie wurde früher gelegentlich als „inoffizielle Gesandtschaft bei der Zonenregierung" bezeichnet, weil sie neben der Abwicklung der Wirtschaftsbeziehungen auch für die Regelung anderer Fragen mit der DDR eingesetzt wurde. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, d. h. nach Einrichtung der Ständigen Vertretungen in Berlin (Ost) und Bonn, verblieb bei der Treuhandstelle die Regelung der Wirtschaftsbeziehungen zur DDR. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik erhielt keine handelspolitischen Kompetenzen. Die Treuhandstelle ist gleichzeitig für Berlin (West) zuständig und hat hier ihren Sitz, wo auch heute noch Verhandlungen mit der DDR über die Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik stattfinden.
Rechtlich wird der Sondercharakter des Innerdeutschen Handels dadurch sichtbar, daß für ihn nicht wie für den Außenhandel der Bundesrepublik das Außenwirtschaftsgesetz gilt, sondern daß er nach wie vor alliiertem Militärrecht (Militärregierungsgesetz Nr. 53) unterliegt. Dieses geht von dem Verbotsprinzip aus, d. h., es ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt wird (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Dieses Prinzip prägt auch heute noch weitgehend den Innerdeutschen Handel; er wird im Gegensatz zum Außenhandel der Bundesrepublik sehr stark administriert, z. B. durch Kontingentierung.
Bei den Lieferungen und Bezügen ist zu unterscheiden zwischen den allgemein genehmigten und den einzelgenehmigungspflichtigen Waren. Soweit keine Einzelgenehmigungspflicht mehr nötig ist, gelten die Geschäfte — indem sie bei den zuständigen Behörden gemeldet werden — als generell genehmigt Grundsätzlich dürfen nur Waren deutschen Ursprungs gehandelt werden. Von der Kontingentierung bei Bezügen aus der DDR sind mit 90 Prozent des Wertes am stärksten die Güter der Landwirtschaft und des Ernährungsgewerbes betroffen. Aber auch im gewerblichen Sektor (vor allem bei Eisen und Stahl sowie Textil-und Bekleidungserzeugnissen) gibt es in nicht unerheblichem Umfang Wert-oder Mengen-beschränkungen: 1979 waren immerhin Güter im Wert von einer Mrd. DM, also mehr als ein Fünftel aller Warenbezüge aus der DDR, kontingentiert. Einschließlich der Mineralölerzeugnisse waren es rund doppelt so viel Vertragsgrundlage des Handels mit der DDR ist das Berliner Abkommen aus dem Jahr 1951, das in der Neufassung vom 16. August 1960 gilt Es wurde 1972 in den Grundlagenvertrag übernommen. Im Zusatzprotokoll heißt es: „Der Handel zwischen der Deutschen De-mokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland wird auf der Grundlage der bestehenden Abkommen entwickelt." Damit ist im Grundlagenvertrag der Sondercharakter des Innerdeutschen Handels festgeschrieben und die DDR hat die — sonst von ihr bestrittene — Existenz von Sonderbeziehungen anerkannt. Auch international ist der besondere Status des Innerdeutschen Handels inzwischen akzeptiert: Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft haben die Partner-staaten der Bundesrepublik in einem besonderen Protokoll das bestehende Reglement über den Innerdeutschen Handel bestätigt. Das hat u. a. zur Folge, daß — im Gegensatz zum Handel der DDR mit den Partnerstaaten der Gemeinschaft — im Handel mit der Bundesrepublik auch weiterhin keine Zölle und Abschöpfungen erhoben werden und daß die Bundesregierung in ihrer Handelspolitik gegenüber der DDR autonom ist, d. h. die handelspolitischen Kompetenzen nicht gemäß Artikel 113 auf die EG übergegangen sind. Obwohl die übrigen Regierungen der Gemeinschaft großes politisches Verständnis für die Sicht der Bundesregierung zum Innerdeutschen Handel hatten, mußten Rat und Kommission immer wieder Fragen zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Europäischen Parlament beantworten. Unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse zeigt sich, daß eine Gefährdung der Märkte der Partnerländer der Gemeinschaft durch den Sonderstatus des Innerdeutschen Handels nicht gegeben ist. Zu diesem Ergebnis kam auch der Europäische Rechnungshof in seinem Jahresbericht 1980.
Aus der Einstufung des Handels zwischen der Bundesrepublik und der DDR als Innerdeutschen Handel und den dort festgelegten Regelungen ergeben sich bestimmte materielle Konsequenzen:
1. Für Erzeugnisse aus der DDR besteht Zoll-freiheit, da die DDR nicht als Ausland betrachtet wird.
2. Für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus der DDR entfallen die Abschöpfungen, da die DDR — im Sinne des EWG-Protokolls — kein Drittland ist.
3. Für den Innerdeutschen Handel gelten umsatzsteuerliche Sonderregelungen, d. h. für Lieferungen und Bezüge sind Bestimmungen in Kraft, die sich nicht mit denen für den Außenhandel der Bundesrepublik decken, die aber auch von der Besteuerung des westdeutschen Binnenhandels abweichen; im Gegensatz zu den Exporten der Bundesrepublik sind die Lieferungen im Rahmen des Innerdeutschen Handels steuerlich belastet (mit 3 bzw. 6 v. H.), die Bezieher von Waren aus der DDR haben dagegen — anders als die Importeure — einen Kürzungsanspruch ihrer Umsatzsteuerschuld von 5, 5 bzw. 11 v. H.des in Rechnung gestellten Warenwertes
4. Im Innerdeutschen Handel gibt es den zinslosen Überziehungskredit, den sog. Swing, der bei einseitiger Inanspruchnahme einen Dauerkredit darstellt und dadurch vorteilhafter ist als die kommerzielle Finanzierung von Defiziten in der Warenverkehrsbilanz.
5. Anders als bei den Agrarexporten der Bundesrepublik in Drittländer gibt es Ausfuhrerstattungen im Rahmen des Innerdeutschen Handels nicht; die Ausfuhren der Partnerländer der Gemeinschaft in die DDR — z. B. die Frankreichs — sind günstiger gestellt als die Lieferungen der Bundesrepublik.
Die aus dem Sonderstatus des Innerdeutschen Handels resultierenden materiellen Konsequenzen sind häufig Gegenstand von Spekulationen; zuweilen wurde sogar versucht, sie zu quantifizieren Dies kann allerdings nicht zu überzeugenden Ergebnissen führen: Neben Schwierigkeiten, die sich aus der mangelnden Aussagekraft des statistischen Datenmaterials ergeben, liegt das daran, daß alle Berechnungsversuche nur hypothetischen Charakter haben können; bei Quantifizierungsversuchen müßte von sehr pauschalen Annahmen über Elastizitäten, Wettbewerbspositionen usw. ausgegangen werden, die die komplizierten Verhältnisse in der Realität nicht zutreffend abbilden.
Aber selbst wenn man über diese Einwände hinwegsieht und lediglich die maximale Vorteilsposition der DDR zu quantifizieren versucht, ergeben sich nicht unbeträchtliche Be-rechnungsprobleme. Dies zeigen die sehr detaillierten Rechnungen von Biskup und Nehring, die als ein Referenzjahr jeweils 1970 ausweisen und die z. B. bei den Abschöpfungen zu einer Abweichung von 100 v. H. kommen.
Richtig ist zwar, daß durch den Wegfall oder die Ersparnis von Zöllen, Abschöpfungen und Mehrwertsteuern für Bezüge aus der DDR Vergünstigungen (Präferenzen) geschaffen werden. Ungewiß ist jedoch, in welchem Umfang hiervon die DDR oder die Wirtschaft der Bundesrepublik profitieren
Da die DDR mit ihren Produkten auf dem westdeutschen Markt insgesamt nur eine bescheidene Position einnimmt und sie mit den ebenfalls zoll-und abschöpfungsfreien Waren der EG-Partnerländer, die die Hälfte der Importe der Bundesrepublik ausmachen, konkurrieren muß, wird es in der Regel über Preiszugeständnisse der DDR zu einer Aufteilung der Präferenzen kommen. Ein großer Teil der sonderstatusbedingten Präferenzen wird den entsprechenden Unternehmen oder Verbrauchern in der Bundesrepublik zufließen, z. B. über relativ niedrige Preise bei bestimmten — aus der DDR stammenden — Grundstoffen bzw. industriellen Konsumgütern.
Der durch den Sonderstatus bedingte Preis-spielraum für Bezüge aus der DDR gewährt also beiden am Innerdeutschen Handel beteiligten Seiten Vorteile. Wie sie im einzelnen genutzt werden, hängt von der jeweiligen Verhandlungsposition ab. Nicht zulässig ist es, sie einseitig der DDR zuzurechnen
In dem Maße, in dem die Präferenzen aus Zoll, ersparnis, Abschöpfungsbefreiung und Steuer-begünstigung bei den Bezügen von den westdeutschen Unternehmern realisiert werden können, handelt es sich im Rahmen des Wirtschaftskreislaufs um eine Umverteilung zwi.sehen dem Staat und den Privaten. Einnahme-verzichten des Staats stehen positive Einkommenseffekte privater Wirtschaftssubjekte gegenüber — sei es der unmittelbaren Abnehmer selbst, sei es der weiterverarbeitenden Industrie, des Handels oder der Verbraucher.
Quantitativ einigermaßen sicher zu ermitteln sind hingegen die Vorteile, die die DDR aus der Inanspruchnahme des Swing erzielt. Allerdings muß auch hier mit einem hypothetischen Zinssatz gearbeitet werden.
Hingewiesen werden muß in diesem Zusammenhang darauf, daß zwischen den vermeintlichen Vorteilen der DDR aus dem Sonderstatus des Innerdeutschen Handels und der EG-Mitgliedschaft der Bundesrepublik eine oft schiefe, zumindest aber teilweise falsche Verknüpfung hergestellt wird. Sie wird deutlich, wenn z. B. 1980 im Deutschen Bundestag gefragt wurde: „Wie hoch schätzt die Bundesregierung die finanziellen Vorteile, die der DDR aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft in den Jahren ... entstanden sind?" Richtig ist: Die DDR erzielt im Prinzip weder Vorteile aus der EG-Mitgliedschaft der Bundesrepublik noch aus der EWG-Gründung oder gar dem EWG-Protokoll über den Innerdeutschen Handel. Die Vorteile der DDR — soweit sie und nicht die westdeutschen Unternehmer diese realisierten — resultieren aus dem Sonderstatus. Und dieser wiederum ergibt sich aus der Haltung der Bunderegierung, daß die DDR für sie kein Ausland ist. Man kann dies nicht oft genug betonen, und wer am Sonderstatus des Innerdeutschen Handels Anstoß nimmt, muß politisch bereit sein, die DDR als Ausland zu betrachten. Bei Gründung der EWG konnte die Bundesregierung — unter Adenauer und Hallstein — den Sonderstatus des Innerdeutschen Handels in den Handel der Gemeinschaft einbringen, d. h. aufrechterhalten. Im EWG-Protokoll wurde er lediglich festgeschrieben.
Bei den Zöllen gilt: Mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat sich die Wettbewerbsposition der gewerblichen Erzeugnisse der DDR — und das sind immerhin 90 v. H. aller Warenbezüge im Innerdeutschen Handel — auf dem westdeutschen Markt nicht verbessert, sondern relativ verschlechtert. Verbessert hat sich dagegen die Position der EWG-Partner: Sind Erzeugnisse der DDR vorher als einzige von außen ohne Zollbelastung gewesen, mußten sie diesen günstigen Status von nun an mit den jetzt auch zollbefreiten Gütern aus den Partnerstaaten der Gemeinschaft teilen. Die Produkte der DDR im Rahmen des Innerdeutschen Handels sind nur besser gestellt als die von Drittländern und besser gestellt als die DDR-Exporte in die übrigen westlichen Länder; daran hat aber die Gründung der EWG nichts geändert. Die DDR ist also nicht, wie oft fälschlich behauptet wird, zehntes EG-Mitglied, sondern nur ihr Güteraustausch mit der Bundesrepublik wird nicht wie der eines Drittlandes behandelt, d. h. aber der Handel der DDR mit den übrigen EG-Län-dern sehr wohl.
Im Bereich der Agrarprodukte hat die Gründung der EWG mit internem Hochpreisniveau und der Abschottung nach außen eine Neuerung gebracht. Aufgrund des Sonderstatus konnte hiervon auch die DDR profitieren. Mit derzeit rund 10 v. H. ist der Anteil der Produkte der Landwirtschaft und des Ernährungsgewerbes an den Gesamtbezügen aus der DDR jedoch bescheiden.
Das BerlinerAbkommen als Grundlage des Innerdeutschen Handels regelt den Waren-, Dienstleistungs-und Zahlungsverkehr mit der DDR und sieht in seinen wichtigsten Bestimmungen vor; Sowohl für die Lieferungen als auch für die Bezüge werden die Verträge auf der Basis der DM (West) abgeschlossen. Zahlungseinheit ist vereinbarungsgemäß die Verrechnungseinheit (VE). Diese entspricht faktisch der DM, hat aber für die DDR nur eine beschränkte Verfügbarkeit, da sie nur im Innerdeutschen Handel verwendet werden kann. In der DDR wird wie in ihrem sonstigen Außenhandel zur Binnenwährung abgerechnet. Durch die Einführung der Verrechnungseinheit im Innerdeutschen Handel wird also keine Kursrelation zwischen D-Mark und Mark der DDR begründet. Sie gibt auch keine Hinweise über die relative Kaufkraft beider Währungen.
Die Zahlungen werden ausschließlich im Verrechnungswege über beide Notenbanken (Deutsche Bundesbank und Staatsbank der DDR) abgewickelt und dort verrechnet (Clearingstellen) Bei der Deutschen Bundesbank sind hierfür besondere Konten eingerichtet worden: für unterschiedliche Waren die soge-nannten Unterkonten 1 und 2. Der Dienstleistungsverkehr wird auf dem Unterkonto 3 verrechnet. Seit 1958 gibt es außerdem noch das Sonderkonto S, das der DDR die Möglichkeit bietet, Waren außerhalb des Clearings gegen D-Mark zu beziehen, sogenannte Barzahlungskäufe zu tätigen. Hiervon hat die DDR bisher insgesamt allerdings nur in sehr bescheidenem Umfang Gebrauch gemacht. Da es, wie sonst im Außenhandel üblich, im Wirtschaftsverkehr beider deutscher Staaten also keinen Zahlungsverkehr zwischen Käufer und Verkäufer gibt, werden die Forderungen der liefernden Firmen aus den Zahlungseingängen der Bezieher befriedigt. Auf der westdeutschen Seite geschieht das in D-Mark, der „Vertragswährung", auf Seiten der DDR kommt als zusätzliches Problem die Umrechnung in die Binnenwährung hinzu. Die in diesem System auftretenden „Preisbrüche" werden zentral über ein Preisausgleichskonto beim Staatshaushalt aufgefangen.
Damit zeitweilig unterschiedlich starke Leistungsströme in beiden Richtungen den Handel nicht behindern, wurde im Zahlungsverkehr mit dem Swing eine zinslose Überziehungsmöglichkeit geschaffen. Dies bedeutet, daß ein nach gegenseitiger Verrechnung offener Saldo nicht ausgeglichen werden muß. Gibt es einen solchen dennoch, muß diese zusätzliche Lücke durch Kredite abgedeckt werden. Die DDR hatte per 31. Dezember 1981 gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Verbindlichkeiten in Höhe von 3, 7 Mrd. DM. Finanziert wurde dieses Defizit zum überwiegenden Teil kommerziell, d. h. durch Bankkredite und durch Zahlungsziele liefernder Firmen sowie zu einem Fünftel aus dem Swing, der im Jahresdurchschnitt 1981 zu weniger als 700 Mill. DM in Anspruch genommen wurde. Dieser Leistungsüberschuß bzw. dieses Leistungsdefizit, der sogenannte kumulierte Aktiv-bzw. Passivsaldo, ergibt sich aus dem Warenverkehr, dem Dienstleistungsaustausch und der Nutzung des Barzahlungskontos.
Diese gegenseitige Aufrechnung der Leistungen darf nicht mit einer Zahlungsbilanz zwischen beiden deutschen Staaten verwechselt werden. Sie müßte neben dem im Rahmen des Innerdeutschen Handels abgerechneten Leistungsaustausch auch andere Tatbestände erfassen, z. B. Zahlungen der Bundesregierung für den Berlin-Verkehr (Transitpauschale!) oder die Kostenbeteiligungen an Investitionen im Berlin-Verkehr und andere DM-Ein-nahmen der DDR außerhalb des VE-Bereichs.
Belegt ist, daß der DDR seit 1979 jährlich Einnahmen von 1, 1 bis 1, 3 Mrd. DM aus öffentlichen Haushalten und von privater Seite zu-flossen. Hierbei sind die Transitpauschale (jährlich 525 Mill.'DM) und die Kostenbeteiligungen an Investitionen im Berlin-Verkehr (im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 1981 jeweils 450 Mill.) die größten Positionen. Neben diesen im Deutschen Bundestag genannten Zahlungen hat die DDR noch weitere DM-Ein-nahmen, z. B. Gewinne aus Intershop und Intertank, Mindestumtausch für Besucher der DDR, die ihrer Höhe nach nicht genau bekannt sind. Einschließlich der belegten Transaktionen schätzt man die DM-Einnahmen der DDR außerhalb des VE-Bereichs derzeit auf 2 bis 2, 5 Mrd. DM jährlich.
Der Swing, der bisher nur von der DDR in Anspruch genommen wurde, hat sich über den gesamten Zeitraum unterschiedlich entwikkelt; nach früheren gelegentlichen Anpassungen an die Umsatzentwicklung betrug er von 1960 bis 1968 200 Mill. DM. Danach wurde er dynamisiert, d. h.den jeweiligen Lieferungen der DDR angepaßt. Diese bisher handels-freundlichste Swing-Regelung wurde von der Regierung der Großen Koalition getroffen; sie stammt also aus der Zeit, als es einen CDU-Bundeskanzler und einen Finanzminister Franz-Joseph Strauß gab. Wäre diese Regelung beibehalten worden, betrüge der Swing derzeit rund 1, 5 Mrd. DM. Abgelöst wurde der dynamische Swing von einer Regelung, die für die Jahre 1976 bis Ende 1981 einen Festbetrag in Höhe von 850 Mill. DM vorsah. Diese wurde bekanntlich beim Treffen am Werbellin-See um ein halbes Jahr verlängert — von westdeutscher Seite in der Hoffnung, daß die DDR bis dahin Zugeständnisse im innerdeutschen Besuchsverkehr machen würde. Zur Jahres-mitte beschloß die Bundesregierung dann die schrittweise Rückführung auf 600 Mill. DM bis Ende 1985. Dies ist insofern eine günstige Regelung für die DDR, weil nach dem Berliner Abkommen eine Reduzierung auf 200 Mill. DM fällig geworden wäre; man vermied sie, um u. a.den Handel nicht negativ zu beeinflussen.
Anzumerken ist, daß es sich beim Swing um einen Dauerkredit handelt, der sich bei Inanspruchnahme erschöpft und sich nicht auf wundersame Weise vermehrt. Dies zu betonen, ist wichtig, weil es Beispiele dafür gibt, die jährlichen Swing-Summen zu addieren und daraus einen kumulierten Dauerkredit zu machen. Am häufigsten wurden diese Rechnereien von dem langjährigen Mitglied des Deutschen Bundestages, Jürgen Wohlrabe, praktiziert; es gab aber auch z. B. im Pressedienst der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (vom 12. Juni 1981) eine Erklärung des stellvertretenden Vorsitzenden des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, Rudolf Sprung, in der so verfahren wird und in der von einem zinslosen Swing-Darlehen in Höhe von 6, 8 Mrd. DM die Rede ist. So zu rechnen, ist nicht zulässig; es ist zumindest irreführend. Zulässig ist es nur, die jährlichen Zinsersparnisse aus der Inanspruchnahme des Swing zu addieren.
II. Warenstruktur und wirtschaftliche Bedeutung
Abbildung 2
Innerdeutscher Handel in Mill. VE (DM)
Quellen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 6, Reihe 6; Bundesanzeiger.
Innerdeutscher Handel in Mill. VE (DM)
Quellen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 6, Reihe 6; Bundesanzeiger.
Die Warenstruktur des Innerdeutschen Handels ist dem wirtschaftlichen Entwicklungsniveau beider Staaten nicht angemessen: Für den Warenaustausch zwischen hochindustrialisierten und sehr arbeitsteiligen Volkswirtschaften ist ein großer Anteil von Fertigerzeugnissen mit hoher Wertschöpfung oder Veredelung typisch. Mit steigendem volkswirtschaftlichen Reifegrad wächst dieser Anteil. Besonders stark sind in entwickelten Volkswirtschaften die Fertigwaren in der Regel bei den Exporten vertreten, während auf der Importseite Rohstoffe und Halbwaren durchaus wichtige Bilanzposten — wenn auch mit in der Regel unterproportionalem Wachstum — bilden. Diese Merkmale treffen sowohl für den Außenhandel der Bundesrepublik als auch für den der DDR insgesamt zu. Der Warenaustausch zwischen beiden deutschen Volkswirtschaften hat diese Merkmale indes nicht; seine Warenstruktur ähnelt eher dem Handel zwischen weniger entwickelten Ländern. Das gilt für Lieferungen und Bezüge gleichermaßen. Bei den westdeutschen Ausfuhren insgesamt kam 1980 auf Fertigwaren ein Anteil von 83 v. H., bei den Lieferungen in die DDR waren es nur 53 v. H. Bei Enderzeugnissen allein betrugen die entsprechenden Quoten 66 und 32 v. H. Dagegen lag der Anteil von Halbwaren und Rohstoffen bei den Ausfuhren der Bundesrepublik bei 10 v. H., bei den Lieferungen in die DDR waren es 30 v. H.
Auch die Bezüge der Bundesrepublik aus der DDR zeigen ein für die Einfuhr eines hochentwickelten Landes untypisches Bild. Der Anteil der Fertigwaren (Vor-und Enderzeugnisse) ist bei den Bezügen aus der DDR nicht höher als bei den gesamten westdeutschen Einfuhren, obwohl die Struktur der Importe der Bundesrepublik bekanntlich durch einen hohen Anteil der Rohstoffe gekennzeichnet ist. Anzumerken ist allerdings, daß bei den Bezügen aus der DDR auch Waren eine wichtige Rolle spielen, die für die Versorgung West-Berlins bestimmt sind (Mineralölerzeugnise, agrarische Produkte).
Auffällig in dieser Betrachtung ist, daß die Struktur des Innerdeutschen Handels nach dem Veredelungsgrad der Produkte in den letzten eineinhalb Jahrzehnten — seitdem gibt es derartige Daten — keine Wende zum Besseren zeigt. Zweifellos liegt hier ein wachstumshemmender Faktor.
Betrachtet man den innerdeutschen Warenverkehr nach der westdeutschen Industriesystematik — dies ist die ausführlichste vorliegende Statistik —, so zeigt sich: Sowohl bei den Lieferungen als auch bei den Bezügen dominieren mit über 50 v. H. die Erzeugnisse der Grundstoff-und Produktionsgüterindustrien. Hierbei nehmen — wiederum bei beiden Warenströmen — die Energieträger und die Erzeugnisse der chemischen Industrie eine herausragende Position ein (vgl. Tabelle).
Eine Sonderstellung kommt hierbei dem soge-nannten Mineralölgeschäft zu: Es hat seine Wurzeln in den rückläufigen Bezügen von Braunkohlenbriketts, die früher im Innerdeutschen Handel eine wichtige Rolle spielten. An ihre Stelle traten als VE-Bringer Mineralölerzeugnisse. Diese Bezüge wurden mit Lieferungen von Erdöl im Rahmen des Innerdeutschen Handels gekoppelt, über Lieferungen und Bezüge wurde zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Ministerium für Außenhandel eine Rahmenvereinbarung bis 1985 geschlossen. Bei den Bezügen aus der DDR schlagen die Positionen Diesel, Benzin und Heizöl mit einem Viertel inzwischen erheblich zu Buche. Dies ist sowohl ein Ergebnis der Preissteigerungen als auch der Erhöhung der Mengen. An dem Verbrauch West-Berlins bei Mineralölerzeugnissen ist die DDR mit rund einem Drittel beteiligt. 1980 wurden im Rahmen des Innerdeutschen Handels 1, 19 Mill, t Erdöl in die DDR geliefert und von dort 1, 55 Mill, t Diesel, 0, 69 Mill, t mittelschweres und schweres Heizöl und 0, 27 Mill, t Motorenbenzin bezogen.
Bei den Lieferungen der Bundesrepublik sind nach den Grundstoffen die Erzeugnisse der Investitionsgüterindustrien mit einem Viertel und die der Landwirtschaft und des Ernährungsgewerbes mit einem Zehntel vertreten. Die industriellen Verbrauchsgüter bilden mit weniger als 10 v. H. das Schlußlicht. Bei den Maschinenbauerzeugnissen, die weniger als 20v. H.der westdeutschen Lieferungen ausmachen, spielen Ersatzteile und Zubehör eine zunehmend wichtige Rolle; 1980 entfiel hierauf fast die Hälfte des Wertes der Position Maschinenbauerzeugnisse. Von den Lieferungen des landwirtschaftlichen Sektors sind Eiweiß-futtermittel (Ölkuchen und Schrote) und Roh-öle die mit weitem Abstand wichtigsten Posten . Beide Warengruppen hatten 1980 einen größeren Verkaufswert als z. B. Metallbearbeitungsmaschinen und elektrotechnische Erzeugnisse. Der Importbedarf der DDR wurde mit diesen Lieferungen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre jeweils zu einem Drittel bzw. zu zwei Dritteln gedeckt.
Die Struktur der Lieferungen in die DDR zeigt eindeutig, daß sie den Innerdeutschen Handel in erster Linie zur Sicherung der laufenden Produktion und zur Sortimentsabrundung benutzt. Bezüge hochwertiger Technologie spielen eine vergleichsweise geringe Rolle, und für lebensstandardfördernde Verbrauchsgüter ist die Devisendecke offensichtlich zu schmal.
Bei den Bezügen aus der DDR fällt insbesondere der geringe Anteil der Investitionsgüter (1980: 10 v. H.) und hierbei wiederum der von Maschinen (1980: 2, 6 v. H.) ins Auge. Aus dem Verkauf von Maschinen konnte die DDR 1980 im Rahmen des Innerdeutschen Handels nur soviel VE erzielen, wie z. B. aus dem Absatz von Kunststoffen und Kunststofferzeugnissen, von Möbeln oder auch von Wirkund Strickwaren.
Als unbefriedigend muß der Verkauf von DDR-Maschinen in der Bundesrepublik insbesondere deshalb bezeichnet werden, weil der Maschinenbau als einer der wichtigsten Zweige der Volkswirtschaft der DDR ansonsten die Hauptstütze des Exports ist: Auf Maschinen, Ausrüstungen und Transportmittel entfielen stets über 50 v. H.der Gesamtausfuhren. Die Außenhandelsüberschüsse dieses Sektors ermöglichen der DDR die Finanzierung ihrer Rohstoffimporte.
Obwohl die DDR in der Vergangenheit vielfältige Absatzbemühungen unternahm, nicht zuletzt, weil sie den Markt der Bundesrepublik als Referenzmarkt außerordentlich schätzt, blieben die erwünschten Verkaufserfolge aus. Nur 2 bis 3 v. H.der DDR-Ausfuhren von Investitionsgütern bzw. von Maschinen werden im Innerdeutschen Handel verkauft. Offenbar spielt die starke Stellung der Bundesrepublik im Weltmaschinenbau hier eine Rolle. Ebenso dürfte von Belang sein, daß bei einem so hochspezialisierten Sektor wie dem Maschinenbauder Preis als Wettbewerbsfaktor in den Hintergrund tritt, über Preiszugeständnisse offenbar keine Marktpositionen zu erobern sind. Auch könnten Einbußen in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei den DDR-Produkten für die mangelnden Absatzchancen mitverantwortlich sein. Für diese Interpretation spricht zumindest der langfristig rapide gesunkene Anteil des Maschinenbaus an den Gesamtbezügen aus der DDR: Nach Fünfjahresdurchschnitten betrachtet ist er von 9, 3 in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre auf 3, 1 v. H. im Durchschnitt der Jahre 1976 bis 1980 zurückgegangen — und zwar kontinuierlich.
Größere Verkaufserfolge als bei den Investitionsgütern hat die DDR im Rahmen des Innerdeutschen Handels bei den industriellen Verbrauchsgütern aufzuweisen; auf sie entfielen in den letzten Jahren immerhin ein Fünftel bis ein Viertel aller Bezüge aus der DDR; es sind hauptsächlich Erzeugnisse der Textil-und Bekleidungsindustrie sowie Möbel. Auch gemessen am Export der DDR an Verbrauchsgütern hat die Bundesrepublik mit etwa 20 v. H. ein großes Gewicht; sie ist — nach der Sowjetunion — damit der zweitwichtigste Abnehmer von industriellen Verbrauchsgütern der DDR; auf sie entfallen 40 v. H. aller Westexporte der DDR.
Anders als bei den Investitionsgütern, wo die DDR im gegenseitigen Warenaustausch jährlich hohe Defizite im Innerdeutschen Handel hinnehmen muß, erzielt sie bei den industriellen Verbrauchsgütern große Überschüsse. Da die anderen beiden großen Bereiche — Grundstoffe und Produktionsgüter sowie Landwirtschaft und Ernährung — derzeit eine ausgeglichene Bilanz aufweisen, bezahlt die DDR also ihre notwendigen Einfuhren von Investitionsgütern per saldo mit Verbrauchsgütern. Dies wirft insofern gewisse Probleme auf, als für den Innerdeutschen Handel wichtige Teile der Verbrauchsgüterindustrien, wie die Textil-und Bekleidungsbranche, in hohem Maße importsensibel sind: Strukturkrisen, Arbeitslosigkeit oder Überproduktion in diesen oder anderen Sektoren, z. B. in der Eisen-und Stahlindustrie oder der Landwirtschaft, mindern die Bereitschaft, aus der DDR derartige Produkte zu beziehen und machen es der Bundesregierung häufig schwer, in der Kontingentspolitik großzügig zu verfahren. Dies allerdings vorwiegend auch aus politisch-psychologischen Gründen, denn aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist eine mangelnde Bezugs-bereitschaft nicht sehr überzeugend: Zum einen ist das Gewicht der Bezüge im Innerdeutschen Handel in allen diesen Sektoren — gemessen an den gesamten Importen der Bundesrepublik und an der heimischen Produktion — nur gering und zum anderen ist der Handel — wie mit anderen Volkswirtschaften — auch mit der DDR keine Einbahnstraße; d. h. eine Blockierung von Bezügen bestimmter Produkte brächte -ceteris paribus — der heimischen Industrie zwar bessere Absatz-chancen bzw. sicherte ihr Arbeitsplätze, über verminderte Verkaufsmöglichkeiten auf der Lieferseite — wenn auch bei Produkten anderer Branchen — ginge dieser Effekt wieder verloren, so daß es nicht zu einem Zugewinn per saldo, sondern nur zu einer Verlagerung von Gewinnen und Verlusten zwischen den betroffenen Branchen käme
Die wirtschaftliche Bedeutung des Innerdeutschen Handels ist für beide Staaten sehr unterschiedlich. Gemessen am Außenhandel der Bundesrepublik beträgt er nur 1, 5 v. H. Damit steht die DDR in der Rangfolge der Außenhandelspartner der Bundesrepublik auf Platz 15 — nach Norwegen, vor Libyen und Spanien. Für die DDR ist die Bundesrepublik als Handelspartner weitaus wichtiger: Nach der DDR-Statistik, die den Umfang des Innerdeutschen Handels noch untertreibt, entfielen in den letzten Jahren rund 8 v. H.des gesamten Außenhandels auf die Bundesrepublik. Sie ist damit — nach der Sowjetunion und etwa gleich-auf mit der CSSR — der zweitwichtigste Handelspartner der DDR; vor allem ist sie aber der mit weitem Abstand wichtigste westliche. Nach der DDR-Statistik entfielen 1980 rund 30 v. H.des Westhandels auf den Innerdeut-sehen Handel, nach der Statistik der westlichen Partnerländer waren es gut 40 v. H. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung ist — je nach verwendeter Quelle — nur auf 2, 5 bzw. 3, 5 v. H.des produzierten Nationaleinkommens zu veranschlagen.
Das Gewicht des Innerdeutschen Handels im Rahmen des gesamten Westhandels der DDR hat — nach östlichen und westlichen Statistiken — in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen. Das hat politische und wirtschaftliche Gründe gleichermaßen. Die DDR ist seit langem bestrebt, ihren Westhandel regional zu diversifizieren, d. h. die Vorzugsstellung der Bundesrepublik zu mindern, um politisch nicht erpreßbar zu sein. Das konzentrierteste Bemühen in dieser Richtung war die sogenannte Aktion Störfreimachung, d. h. das Bestreben der DDR, von Importen aus der Bundesrepublik wirtschaftlich unabhängig zu werden; es stand im Zusammenhang mit der Kündigung des Berliner Abkommens durch die Bundesregierung im Herbst 1960. Aber auch später hat die DDR behutsam versucht, das Übergewicht der Bundesrepublik abzubauen, und zwar über ein stärkeres Wachstum des Handel^ mit den übrigen westlichen Ländern. Dieser gezielten Handelspolitik der DDR kamen wirtschaftliche Gründe entgegen. Ist das Gewicht des Innerdeutschen Handels am Außenhandel der Bundesrepublik schon klein, so beträgt der Handel aller übrigen westlichen Industrieländer mit der DDR, gemessen an deren Außenhandel insgesamt, nur ein Bruchteil dieser Quote. Ein überproportionales Wachstum gegenüber dem Innerdeutschen Handel erklärt sich damit schon als Nachholbedarf. Anders ausgedrückt: Das Niveau dieser Handelsbeziehungen ist so gering, daß die begrenzten Marktchancen der DDR-Erzeugnisse hier weniger ausgenutzt sind als in der Bundesrepublik.
Versucht man, die Bedeutung des Innerdeutschen Handels für die Wirtschaft der DDR zusammenfassend einzuschätzen, so ist bei den Lieferungen vor allem festzustellen, daß ein großer Teil aus Gütern besteht, die die DDR selbst nicht produziert und im blockinternen RGW-Handel nicht beziehen kann. Der im Innerdeutschen Handel so stark überrepräsentierte Grundstoffbereich enthält nicht nur Rohstoffe und Vorprodukte zur Veredelung, sondern auch viele Spezialitäten, die für die eigene Produktion unerläßlich sind. Dies erklärt auch, daß dieser Bereich eine relativ hohe Kontinuität in der Entwicklung aufweist.
Die Bezüge der Bundesrepublik aus der DDR müssen vorwiegend unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß sie die notwendigen Lieferungen ermöglichen. Die DDR hat bei ihrer starken Außenhandelsorientierung in großem Umfang exportintensive Industriezweige aufgebaut und hat in vielen Zweigen sicherlich damit auch Vorteile durch Erweiterung des kleinen Binnenmarktes. Diese Vorteile wirken sich allerdings stärker im RGW-Raum aus. Im Innerdeutschen Handel stößt die DDR auf Absatzschwierigkeiten; unter anderem deshalb, weil sie in vielen Fällen Massenprodukte und keine Spezialitäten anbietet. Für den ansonsten sehr exportintensiven Maschinenbau ist die Bundesrepublik wegen des hier sehr hohen Standards ein besonders schwerer Markt. In anderen Sektoren trifft sie vielfach auf partielle Überschußproduktion (Landwirtschaft, Eisen und Stahl) oder strukturelle Probleme und Konkurrenz der Entwicklungsländer (Textilindustrie). So ist die DDR oft zu Preiszugeständnissen gezwungen. Dies geht zu Lasten der Außenhandelsrentabilität und letzten Endes der Entwicklungsmöglichkeiten dieses Handels.
Die Bedeutung des Innerdeutschen Handels für die Wirtschaft der Bundesrepublik läßt sich aus einer Studie des DIW über die Beschäftigungswirksamkeit dieses Güteraustausches ablesen. Hiernach betrug die Zahl der Erwerbstätigen, die durch Nachfrage nach Waren und Diensten seitens der DDR einen Arbeitsplatz in der westdeutschen Wirtschaft fanden, 1977 etwa 65 000 (direkte und indirekte Effekte); das waren nur 0, 3 v. H.der Beschäftigten aller Wirtschaftszweige. Für die Industrie (40 000 Arbeitsplätze) betrug dieser Anteil 0, 5 v. H. Die gleichen marginalen Quoten ergaben sich für die durch Bezüge aus der DDR „eingebüßten Arbeitsplätze". Etwas differenzierter ist das Bild nach Industriezweigen. Hier gibt es Branchen mit Arbeitsplatzgewinnen (Maschinenbau, chemische Industrie), und Arbeitsplatzverlusten (Textil-und Bekleidungsindustrie); allerdings sind auch sie nur marginal. Insgesamt ist der Innerdeutsche Handel beschäftigungsneutral
Für einzelne Betriebe oder Regionen in der Bundesrepublik oder West-Berlin kann die Bedeutung des Innerdeutschen Handels durchaus von Gewicht sein. Das gilt z. B. für den Hamburger Hafen, für den die DDR der größte Transitkunde ist, genauso wie für Großbetriebe der Industrie sowie mittlere und kleine Gewerbe-und Handelsbetriebe, die im Innerdeutschen Handel besonders bei den Lieferungen nicht unwesentlich am Geschäft beteiligt sind .
III. Entwicklung und Perspektiven
Gemessen an den Daten der amtlichen Statistik hat der innerdeutsche Warenverkehr insgesamt stark zugenommen: Allein in den letzten zwei Jahrzehnten konnte jeweils mehr als eine Verdoppelung der Umsätze (Lieferungen plus Bezüge) erzielt werden — von 2, 1 Mrd. DM (1960) auf 4, 4 Mrd. DM (1970) und auf 10, 9 Mrd. DM (1980).
Zu beachten ist bei diesen Daten allerdings, daß sie nur die nominale Umsatzentwicklung wiedergeben, d. h. nicht preisbereinigt sind. Da es mit dem Ansteigen der Weltmarktpreise — seit Beginn der siebziger Jahre — auch im Innerdeutschen Handel erhebliche Preissteigerungen gegeben hat, ist das reale Wachstum sehr viel geringer gewesen, als es in den obigen Umsatzzahlen zum Ausdruck kommt. Nach Berechnungen des DIW hat es seit 1972 nur zweimal — 1976 und 1980 — ein nennenswertes reales Wachstum im innerdeutschen Warenverkehr gegeben. In allen übrigen Jahren beruhte — die zum Teil recht hohe — nominale Ausweitung des Handels ausschließlich auf Preissteigerungen. Nach diesen Berechnungen haben sich die Lieferungen und Bezüge von 1972 bis 1981 real insgesamt nur um 6 v. H., d. h. jährlich im Durchschnitt um 0, 7 v. H. erhöht'
Im einzelnen verlief die Entwicklung der Umsätze im innerdeutschen Warenverkehr recht unterschiedlich. „Boom-und Rezessionsphasen" lösten einander ab. Insgesamt ist ein aufwärtsgerichteter Trend erkennbar, der allerdings von Rückschlägen unterbrochen wurde und der im letzten Jahrzehnt — jedenfalls in realer Rechnung — nahezu in eine Stagnationsphase mündete.
Versucht man, die Entwicklung des Innerdeutschen Handels nicht nur an den Umsatzziffern zu messen, sondern sie zu periodisieren, indem man die wichtigsten Entwicklungsmerkmale in ihrer zeitlichen Zuordnung mit entscheidenden Ereignissen kombiniert, so zeichnet sich das folgende Vier-Phasen-Schema ab:
— Kalter Krieg und Wirtschaftsembargo gegen Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre;
— relativ gleichmäßige Entwicklung bis 1960 und Rückschläge danach;
— Neubesinnung und Boom gegen Ende der sechziger Jahre und zu Anfang der siebziger Jahre; — schleppende Entwicklung seit Anfang der siebziger Jahre und parteipolitische Betrachtung.
Hierbei fällt auf, daß gravierende politische Ereignisse — sowohl im Negativen wie im Positiven — sich sehr wohl in der Entwicklung deutlich niederschlagen, daß diese aber ansonsten recht unabhängig von einer Veränderung der politischen Stimmungslagen verlief.
Der gegen Ende der sechziger Jahre einsetzende Boom ist letztlich das Ergebnis eines langwierigen und weitgehenden politischen Umdenkens, das auch zu einer Neubeurteilung der Funktion des Innerdeutschen Handels führte Hatte es schon nach dem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges mit der Berlin-Blockade und dem Korea-Krieg (1947 bis 1953) Erleichterungen im Ost-und Interzonenhandel gegeben, so war dies noch weit stärker nach dem zweiten Höhepunkt (zweite große Berlin-Krise 1958 bis 1961 und Kuba-Krise) der Fall. International und in der westdeutschen Innenpolitik gewannen Kräfte an Boden, die die Politik der Konfrontation durch die der Kooperation ablösen wollten: In den USA betrieb Kennedy seine „Strategie des Friedens", in Frankreich verfolgte de Gaulle seine Politik der Entspannung, und der damalige Presse-
chef des Berliner Senats, Egon Bahr, brachte mit seinen aufsehenerregenden Überlegungen über den „Wandel durch Annäherung" auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Tutzing (Juli 1963) die DDR erstmals als Verhandlungspartner ins Gespräch. Die Regierungen Adenauer und Erhard folgten diesem Kurs nur zögernd, stärker schon die Regierung der Großen Koalition, die sich bis zur Anerkennung der DDR aber auch noch nicht durchringen konnte. Sie erfolgte mit dem Grundvertrag erst unter der Regierung Willy Brandt (1972), nachdem es zuvor mit dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrats Willi Stoph in Erfurt (März 1970) und Kassel (Mai 1970) zu deutsch-deutschen Gipfeltreffen gekommen war. Mit den Verträgen von Moskau (August 1970) und Warschau (Dezember 1970) war zuvor das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn „bereinigt" worden.
Auf dem Gebiet des Innerdeutschen Handels hat die Regierung der Großen Koalition viel bewirkt; es war — aus heutiger Sicht — die konstruktivste Phase für diesen Güteraustausch überhaupt. Hier ist die neue Ostpolitik der späteren Bundesregierungen vorweggenommen worden. Zur Zeit der Großen Koalition gab es im wirtschaftlichen Bereich gegenüber der DDR mehr Fortschritte als in den all-gemeinen Beziehungen. Anders ausgedrückt: Während in den sonstigen Beziehungen (z. B. Reiseverkehr, gemeinsame Investitionsvorhaben, Transitabkommen) später noch viel erreicht wurde, gab es im Innerdeutschen Handel per Saldo nach der Großen Koalition kein Vorwärts mehr. Die Handelspolitik gegenüber der DDR verharrt seither praktisch im Stillstand. Es wurde zwar 1975 noch die Gewährung gebundener Finanzkredite durch westdeutsche Geschäftsbanken beschlossen, es wurde aber auch der dynamische Swing abgeschafft. Daß es im Bereich der Wirtschaft gegenüber der DDR in dieser Zeit zu einer überproportional günstigen Entwicklung kam, lag neben der Tatsache, daß diese Politik von dem breitesten politischen Kräftefeld getragen wurde, auch an der personellen Konstellation: Fachlich zuständig für den Innerdeutschen Handel war damals der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Dr. Klaus Dieter Arndt, der sich mit und unter seinem Minister Prof. Karl Schiller dieses Handels engagiert und sachkundig annahm. Wer die politische Szene Bonns zu damaligen Zeiten kannte, weiß, daß beide in der SPD und damit auch in der Regierung ein beachtliches Gewicht hatten. Mit Arndt, dessen Rolle der ehemalige Bundesfinanzminister Alex Möller als die „eines wirtschaftlichen Pfadfinders der neuen Ostpolitik" charaktersiert hat, besuchte im Herbst 1969 auch erstmals ein Vertreter der Bundesregierung die Leipziger Messe und führte dabei mit Verantwortlichen der DDR für den Innerdeutschen Handel einen Meinungsaustausch auf Regierungsebene. Einige Monate zuvor war Arndt — ebenfalls als erster Regierungsvertreter — in Polen gewesen und hatte dort offiziell die Posener Messe besucht. Aus dem langen Katalog der handelsfördernden Maßnahmen der Bundesregierung aus jener Zeit seien folgende Beispiele stichwortartig genannt:
— Schaffung von Bundesgarantien für langfristige Investitionsgüterlieferungen, — Gründung der Gesellschaft zur Finanzierung von Industrieanlagen (GEFI), — Beseitigung der Widerrufsklausel, Konten-Zusammenlegung und Vereinigung des Swing, — Sonderregelung zum Mehrwertsteuergesetz, — Dynaminiserung des Swing und Verzicht auf die Saldenglattstellungsklausel, _ Liberalisierung der Bezüge, d. h.der Erweiterung der Bezugsmöglichkeiten durch Erhöhung der wertbegrenzten Ausschreibung bzw. Überführung wertbegrenzter Bezugspositionen in die offene Ausschreibung und Ausschreibung für früher nicht bezugsfähige Waren,
_ Vereinfachung des Verfahrens durch teilweisen Verzicht auf die Einzelgenehmigung jedes Handelsgeschäfts
Bevor die Verhaltensweisen der Politik der Entspannung sich in der Regierung der Großen Koalition mehr und mehr durchsetzten, war die Haltung der Bundesregierung zum Handel mit der DDR stets ambivalent gewesen. Einerseits sah sie die Wirtschaftsbeziehungen zur DDR als Ausdruck des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls: Der Handel sollte helfen, die Verbindungen nach „drüben" nicht abreißen zu lassen, er wurde als eine der „letzten Klammern" für den Zusammenhalt der Nation gesehen. Der wachsende Güteraustausch sollte eine weitere Ostintegration der DDR verhindern. Außerdem war man darauf bedacht, durch den Interzonenhandel das Interesse der Bundesregierung an einer Verbesserung der Situation der Menschen in der DDR zu dokumentieren. Andererseits wurde die SBZ/DDR als Feind behandelt, den man unter Druck setzte: Die Lieferungen in die DDR sollten lediglich der dortigen Bevölkerung zugute kommen — das „System als solches" dagegen durfte nach allgemeiner Ansicht nicht vom Interzonenhandel profitieren. Aus innenpolitischen Erwägungen war man darauf bedacht, sich nicht vorwerfen zu lassen, daß man ein politisch nicht genehmes System wirtschaftlich unterstütze.
Der Innerdeutsche Handel sollte damit „Klammer“ sein, andererseits wurde er als „Hebel“ benutzt. Zu beiden Funktionen hat sich allerdings im Laufe der Jahre eine veränderte Einstellung ergeben: In den Hochzeiten des Kalten Krieges sah man in den mit dem Osten Handel Treibenden eher die „Fünfte Kolonne“ oder „Trojanische Pferde", Leute auf alle Fälle, die das Geschäft der Kommunisten besorgten der Kommunikationswert bzw. die Bindegliedfunktion der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen wurde richtig erst viel später entdeckt.
Als Hebel wurde der Innerdeutsche Handel vornehmlich benutzt, wenn es um den freien Zugang von und nach Berlin oder um sonstige Belange Berlins ging. Das geschah z. B., als die Westmächte während der Blockade den Interzonenhandel völlig einstellten, oder nachdem die DDR im Herbst 1960 Behinderungen im innerstädtischen Berlin-Verkehr verfügte und daraufhin die Bundesregierung das Berliner Abkommen „vorsorglich" kündigte. Die DDR ließ sich dadurch zwar nicht zur Aufhebung der getroffenen Maßnahmen bewegen, dennoch stellte die Bundesregierung im Januar 1961 durch die sogenannte Widerrufsklausel noch einmal das Junktim zwischen ungehindertem Berlin-Verkehr und Innerdeutschem Handel her. Die Widerrufsklausel sah vor, daß. von der Bundesregierung genehmigte Waren-lieferungen — die des Unterkontos 1 — jeder-zeit widerrufen werden konnten. Diese, die Dispositionsmöglichkeiten der DDR einschränkende, Regelung war dem Innerdeutschen Handel zweifellos abträglich, obwohl sie nie angewendet worden ist — auch nicht nach dem Bau der Mauer in Berlin. Die Erfahrungen mit der Kündigung des Berliner Vertrages hatten die Grenzen des Innerdeutschen Handels als Sanktionsmittel deutlich aufgezeigt.
Dieses sollte allen jenen immer einmal wieder in Erinnerung gebracht werden, die auch heute noch bei jedem die Deutschlandpolitik belastenden Schritt der DDR fordern, den Innerdeutschen Handel als Pressionsmittel einzusetzen. Wer dies will, stellt unrealistische Forderungen und schadet den deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen. Der Innerdeutsche Handel ist als Mittel des politischen Drucks untauglich, das heißt aber nicht, daß er von der Bundesregierung als unpolitischer Handel betrachtet wird. In einer von Staatssekretär Arndt stammenden offiziellen Stellungnahme aus dem Jahre 1970 heißt es hierzu, daß sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die „Verengung eines Problems der politischen Ökonomie auf ein Objekt der reinen Ökonomie" nicht zu eigen macht Zwar sollte eine allzu vordergründige und enge Verknüpfung von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen vermieden werden — schon deshalb, weil der Innerdeutsche Handel damit überfordert wäre —; es steht jedoch außer Frage, daß die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen stets auch ein Feld des Interessenausgleichs von wirtschaftlichem und politischem Geben und Nehmen gewesen ist Ein solcher Interessenausgleich kann letztlich aber nicht durch hektisches Agieren oder Reagieren, durch kurzatmige und deshalb oft unbedachte politische Aktionismen erzielt werden. Eine solche Politik braucht einen langen Atem; sie muß langfristig angelegt und geplant werden. Hier darf man nicht ermüden, darf sich nicht irritieren lassen; hier darf man nicht in jedem einzelnen Fall jeden Tag Bilanz ziehen.
Mit Sicherheit wird der Innerdeutsche Handel auch in Zukunft den gleichen Einflüssen unterliegen wie bisher. Er wird auch künftig eingebettet sein in die politische Großwetterlage, und die Bundesrepublik wird an den Wirtschaftsbeziehungen zur DDR auch weiter aus ihren deutschlandpolitischen Interessen, die DDR mehr aus ökonomischen Gründen, an seinem Ausbau interessiert sein. Die DDR wird sicher auch weiterhin darauf achten, daß der Innerdeutsche Handel für sie jenes Gewicht nicht überschreitet, bei dem sie sich zu politischen Zugeständnissen genötigt sähe; sie wird unterhalb dieser Grenzen aber auch die ökonomischen Vorteile, die ihr der westdeutsche Markt und der Sonderstatus bieten, nutzen wollen. Die Bundesrepublik wird mit Sicherheit auch in den nächsten Jahren in den Westwirtschaftsbeziehungen der DDR eine herausragende Rolle spielen. Das gilt selbst dann, wenn die DDR die von ihr seit langem betriebene Politik der Diversifizierung ihres Westhandels fortsetzen sollte.
Die ökonomischen Grenzen des Innerdeutschen Handels werden auch in Zukunft von der Expansionsfähigkeit des Warenstromes aus der DDR bestimmt werden. Das Grundproblem dieses Handels wird — wie im Ost-West-Handel allgemein — auch weiterhin in der Diskrepanz zwischen Importnotwendigkeiten und Exportmöglichkeiten bestehen. Die DDR wird sicher auch in Zukunft in ihrem Westhandel latente oder tatsächliche Ungleichgewichte zwischen Exporten und Importen eher durch Beschränkung der Importwünsche von Industrie-und Außenhandelsbetrieben beseitigen oder mindern können als durch Expansionsschübe bei den Ausfuhren.
Die Westhandelspolitik der DDR wird in nächster Zeit mehr leistungsbilanzorientiert sein müssen, als dies in den siebziger Jahren der Fall war. Denn anders als früher scheidet heute und demnächst eine Politik der Stimulierung dieses Handels über kreditfinanzierte Importe aus, da sowohl die Kreditvergabebereitschaft auf der einen als auch die Verschuldungsbereitschaft auf der anderen Seite hierfür fehlen. Einmal liegt das an den hohen Defiziten im gesamten Ost-West-Handel und den z. T. vorhandenen Schwierigkeiten, die Kredite zurückzuzahlen. Zum anderen sind die Kreditgeber vorsichtiger geworden: Die früher eher unbekümmerte Bereitschaft, Kredite im Ost-Geschäft zu vergeben, ist angesichts des „polnischen Schocks" einer sehr kritischen Haltung gewichen. Daß die DDR von diesem Klima der Ernüchterung nicht verschont blieb, ist verständlich. Angesichts der durch die Umschuldung der polnischen und rumänischen Kredite ausgelösten Vertrauenskrise in die Zahlungsfähigkeit der RGW-Staaten wird die DDR schon Schwierigkeiten haben, die fällig werdenden Kredite zu verlängern. In der Tendenz wird sie ihren Schuldenstand eher abbauen müssen. Hierfür sind — neben dem Rückgriff auf die Guthaben bei den westlichen Banken — vor allem Überschüsse der Waren-bilanz vonnöten. Dies ist insbesondere im Handel der DDR mit den übrigen westlichen Industrieländern der Fall, da hier die Relation von Schuldenstand und Exporten ungleich ungünstiger ist als im Innerdeutschen Handel.
Die Zinsbelastungen (netto) der DDR im gesamten Westhandel — d. h. einschließlich des Innerdeutschen Handels — dürften sich 1981 auf 1, 3 Mrd. US-Dollar belaufen haben; das sind rund ein Viertel der Westexporte. 1982 ist mit rund 1 Mrd. US-Dollar an Zinsen zu rechnen, weil die DDR ihren Schuldenstand verringert und das Zinsniveau in diesem Jahr etwas niedriger sein dürfte Einen Betrag dieser Größenordnung kann die DDR annähernd aus den DM-Einnahmen außerhalb des Innerdeutschen Handels (Transitpauschale, Investitionsvorhaben im Berlin-Verkehr etc.) finanzieren. Insofern ist die Lage der DDR günstiger als die anderer RGW-Länder. Dennoch wird sie in den nächsten Jahren energisch bemüht sein müssen, ihren Westhandel zu konsolidieren. Die Verschuldungsproblematik wird also die Gestaltung der Außenwirtschaftsbeziehungen zu den westlichen Ländern prägen. Das gilt insbesondere gegenüber den übrigen westlichen Industrieländern; es gilt aber auch gegenüber der Bundesrepublik, wo die DDR die seit zwei Jahren verfolgte Politik, im Warenverkehr Überschüsse zu erzielen, sicher fortsetzen wird. Dies ist schon deshalb geboten, um das traditionell hohe. Defizit im Dienstleistungsverkehr abzudecken. In dem Maße, in dem die DDR-Wirtschaft eine drastische Drosselung der Westimporte ohne gravierende Wachstumsverluste verkraftet, könnte die DDR in den nächsten Jahren sogar versuchen, den kumulierten Passivsaldo im Innerdeutschen Handel weiter abzubauen. Wie rigpros die Wirtschaftsführung die Importe aus westlichen Ländern auch immer beschneidet, sicher ist, daß die DDR ihre Käufe in der Bundesrepublik nur nach Maßgabe ihrer Verkäufe auszudehnen bereit sein wird.
Die Entwicklungsmöglichkeiten des Innerdeutschen Handels für die nächste Zeit müssen eher zurückhaltend eingeschätzt werden. Es sind zu wenige Faktoren zu erkennen, von denen eine Dynamik zu erwarten wäre. Zwar sind mit der Gestattungsproduktion und der Drittlandkooperation in letzter Zeit interessante Ansätze gemacht worden, den innerdeutschen Leistungsaustausch über den reinen Handel hinaus zu erweitern, doch ist hier bisher viel zu wenig geschehen, um durchgreifende Impulse freizusetzen. Die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Innerdeutschen Handel sind heute schlechter als in den siebziger Jahren. Von ihnen können keine Impulse erwartet werden; eher ist damit zu rechnen, daß hiervon restriktive Einflüsse ausgehen. Das gilt sowohl für die politische Großwetterlage als auch für die Wachstumsabschwächung in West und Ost.
Unter diesen Bedingungen wird es in der Bundesrepublik um so mehr darauf ankommen, die ohnehin starke emotionale Belastung der Handelspolitik gegenüber der DDR nicht noch zu vergrößern. Der Innerdeutsche Handel ist und bleibt ein sehr wichtiger Bestandteil der deutsch-deutschen Beziehungen; er ist — wie diese — ein zu sensibles Gebilde, als daß leichtfertig mit ihm umgegangen werden sollte. Ein verantwortungsbewußtes, d. h. nicht zuletzt sachkundiges und emotionsfreies Herangehen an diese Fragen könnte dazu beitragen, die ohnehin schwierigen deutsch-deutschen Beziehungen nicht noch zusätzlich zu belasten.
Horst Lambrecht, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirt; Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung DDR und östliche Industrieländer im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW); Arbeitsgebiete: Außenhandel der DDR, innerdeutscher Handel und Landwirtschaft. Diverse Veröffentlichungen zu den Bereichen des innerdeutschen Handels und des Außenhandels der DDR, vor allem in den Publikationen des DIW; außerdem Mitarbeit an dem vom DIW herausgegebenen „Handbuch DDR — Wirtschaft", Reinbeck 1977, und dem von DIW-Mitarbeitern verfaßten Handbuch „DDR und Osteuropa. Wirtschaftssystem, Wirtschaftspolitik, Lebensstandard", Opladen 1981.
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