Ein Blick in die Geschichte Finnlands nach dem 2. Weltkrieg zeigt, daß die Staatsführung zu der Auffassung kam, daß es für das Wohlergehen Finnlands von grundlegender Bedeutung wäre, in Zukunft seine Außenpolitik so zu gestalten, daß sie nicht in Widerspruch zu Interessen der Sowjetunion geraten würde. Dieser Ansatz Präsident Paasikivis deckte sich mit den sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion und wurde im finnisch-sowjetischen Freundschaftsvertrag vom 6. April 1948 verankert. Ab 1955 wurde als zweiter Eckstein der finnischen Außenpolitik unter Ministerpräsident Kekkonen (ab 1956 Staatspräsident) die nordische Kooperation in Form der Mitgliedschaft im Nordischen Rat institutionalisiert. Da sicherheitspolitische Themen in dieser Organisation ausgeklammert sind, ergaben sich aus der Mitgliedschaft auch keine Belastungen der Beziehungen zur Sowjetunion. Der weitere Verlauf der finnischen Außenpolitik war insbesondere durch eine Ausweitung der aktiven Neutralitätspolitik des Landes gekennzeichnet. Hierzu gehört die Mitarbeit in den Vereinten Nationen ebenso wie die vielfache Übernahme der Rolle eines Gastgeberlandes für internationale Konferenzen. Die Ankündigung Präsident Urho Kekkonens. 1981 von seinem Amt zurückzutreten, schloß in Finnland ähnlich wie der Tod Titos in Jugoslawien eine Ära ab. Der nachfolgende Wahlkampf zeichnete sich durch große Einigkeit der politischen Parteien und Präsidentschaftskandidaten in Fragen der Außenpolitik aus. Alle acht Bewerber um das Amt bekannten sich mehr oder weniger eindeutig zur sogenannten Paasikivi-Kekkonen-Linie. Die Wahl selbst brachte einen überragenden Erfolg für die Sozialdemokraten und ihren Kandidaten Mauno Koivisto. In der außenpolitischen Orientierung Finnlands sind damit kaum Änderungen zu erwarten, da Koivisto schon bei seiner Amtseinführung deutlich machte, daß es ihm in erster Linie um eine Stärkung des gut-nachbarlichen Verhältnisses zur Sowjetunion und in zweiter um die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit den anderen nordischen Staaten ginge. Diese Prioritätenliste entspricht der seiner Vorgänger. Im innenpolitischen Bereich sind Änderungen hingegen nicht auszuschließen. Dies betrifft insbesondere die bisher übermächtige Stellung des Staatspräsidenten gegenüber den auf Grund der Zersplitterung des Parteiensystems relativ schwachen finnischen Regierungen. Koivisto betonte gegenüber seinen Vorgängern bis dato vor allem seinen Willen zur Kooperation. Zwar liegt nach der Verfassung Finnlands die Leitung der Außenpolitik in der Hand des Staatspräsidenten; dieses Privileg will der neue Präsident für die Innenpolitik jedoch nicht in Anspruch nehmen.
I. Einleitung
Am 26. Oktober 1981 erklärte sich der 81 jährige finnische Staatspräsident Urho Kekkonen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Ausübung seiner Regierungsgeschäfte fähig. Mit diesem Rücktritt Kekkonens, der seit 1956 an der Spitze Finnlands stand, endete in diesem skandinavischen Land eine politische Ära. Manche Beobachter verglichen das Finnland nach Kekkonen mit dem Jugoslawien nach Tito oder dem Frankreich nach de Gaulle -Da und dort geisterte in Anspielung auf die französische Republiknumerierung auch das Wort von einer „dritten Republik" durch die Diskussion, um die Zäsur in der finnischen Politik beim Übergang von Kekkonen zu dessen Nachfolger Mauno Koivisto deutlich zu machen.
II. Der Wahlkampf
Unmittelbar nach Kekkonens Ankündigung, daß er sein Amt nicht mehr weiterführen könne, beschloß die finnische Regierung im Januar 1982, Neuwahlen durchzuführen. Am 17. und 18. Januar sollten die erstmals 301 Wahlmänner gewählt werden, die wiederum am 26. Januar den Präsidenten zu wählen hatten. 1. Die Kandidatenaufstellung Die Diadochenkämpfe in den Parteien um den Präsidentschaftskandidaten begannen schon vor der offiziellen Rücktrittsankündigung Kekkonens. Insbesondere in der Zentrumspartei (Keskustapuolue) und der Kommunistischen Partei (Suomen Kommunistinen Puolue/SKP) brachen heftige Auseinandersetzungen um ihre Kandidaten aus Während der reformkommunistische Mehrheitsflügel der SKP einen eigenen Kandidaten nominieren wollte, hat sich der stalinistische Flügel für den Zentrumspolitiker und Chef der Zentralbank, Ahti Karjalainen, ausgesprochen. Karjalainen war jedoch innerhalb der Zentrumspartei selbst nicht unumstritten. Er wurde zwar von der Parteiführung und der Reichstagsfraktion des Zentrums favorisiert, doch das Parteivolk plädierte eher für den Reichstagspräsidenten Johannes Virolainen.
Kompliziert wurde dieser Streit in der Zentrumspartei durch eine einseitige Stellungnahme des Parteiorgans der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), „Prawda", unmittelbar vor dem entscheidenden Nominierungskongreß am 22. November 1981 in Kuopio. Ohne Namen zu nennen, sprach sich die „Prawda“ eindeutig für Karjalainen aus, während Virolainen seine Rolle als Außenminister in der sogenannten „Nachtfrost-Regierung" angekreidet wurde. Die Einmischung Moskaus hat sich jedoch als kontraproduktiv erwiesen. Auf dem Kongreß sprachen sich 2666 Delegierte für Virolainen und nur 1365 für Karjalainen aus.
Nachdem kurze Zeit später die Christliche Union Finnlands Rauno Westerholm als ihren Kandidaten nominiert hatte, standen acht Bewerber zur Wahl: der Regierungschef und als Interims-Staatspräsident fungierende Mauno Koivisto von der Sozialdemokratischen Partei (Suomen Sosialidemokraattinen Puolue/SDP), Harri Holkeri für die konservative Nationale Sammlungspartei (Kansallinnen Kokoomus/KOK), Jan-Magnus Jansson von der Schwedischen Volkspartei (Ruotsachinenkansanpuolue/RKP), die einzige Frau, Helvi Sipilä, von der Liberalen Volkspartei (Liveralinen Kan-sanpuolue/LKP), Rauno Westerholm von der Christlichen Union (Suomen Kristillinen Lit-to/SKL), Veikko Vennamo von der Finnischen Landschaftspartei (Suomen Maaseudun Puo-lue) und Kalevi Kivistö von der Demokratischen Union des Finnischen Volkes (Suomenkansan Demokrattinen Litto/SKDL), dem Dachverband der Kommunisten und Linkssozialisten. Damit waren alle relevanten Parteien im finnischen Parteiensystem mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten vertreten. 2. Der Wahlkampf Obwohl für die rund 3, 9 Millionen finnischen Wähler damit seit 1965 erstmals wieder eine „echte“ Wahl zwischen mehreren Bewerbern geboten wurde, war der Wahlkampf eher als flau zu bezeichnen Es fehlten die kontroversen Themen. Außenpolitisch bekannten sich alle acht Bewerber mehr oder weniger eindeutig zur sogenannten Paasikivi-Kekkonen-Li-nie. In der Innenpolitik warnten die bürgerlichen Parteien — hauptsächlich Zentrumspartei und Konservative — vor einem Mitterand-Effekt, der durch eine mögliche Wahl des sozialdemokratischen Kandidaten Koivisto eintreten könnte. Die beiden großen bürgerlichen Parteien wollten Koivisto mit einem sozialistischen Image versehen. Koivisto versuchte diese Angriffe abzuwehren, indem er einen bewußt zurückhaltenden und unideologischen Wahlkampf führte. Er präsentierte sich den Wählern als ein — so einer seiner Wahlslogans — „Mann des Volkes", und dem Volk schien dieser Habitus Koivistos zu imponieren. In der letzten Meinungsumfrage des Gallup-Instituts vor der Elektorenwahl sprachen sich 56 Prozent für Koivisto aus und nur jeweils elf Prozent für den Zentrumspolitiker Virolainen und den Konservativen Holkeri. Doch machte diese letzte Umfrage auch gleichzeitig deutlich, daß zwischen der Kandidatenpräferenz und der Parteipräferenz eine deutliche Lücke klaffte. So waren nur 37 Prozent der Befragten bereit, ihre Stimmen einem sozialdemokratischen Elektor zu geben. Koivisto war also weitaus populärer als die Partei, der er angehörte. Umgekehrt lagen die Voten für Virolainen und Holkeri deutlich unter de-nen für die Elektoren ihrer Parteien. 17 Prozent der Befragten wollten Elektoren der Konservativen wählen, nur 16 Prozent die der Zentrumspartei. Ein Vergleich zur Meinungsumfrage vor Weihnachten zeigt, daß Koivisto, den damals 54 Prozent als Präsidenten sehen wollten, seine Popularität steigern konnte. Gleichzeitig hatte jedoch die Neigung, einen sozialdemokratischen Elektor zu wählen, abgenommen. Je näher also der Wahltermin rückte, desto eher besannen sich die Wähler auf ihre Parteipräferenzen. So rechnete keiner der Beobachter damit, daß Koivisto die zur absoluten Mehrheit erforderlichen 151 sozialdemokratischen Elektoren erhalten würde. 3. Die Wahl Die Wahl der 301 Elektoren am 17. und 18. Januar 1982 brachte entgegen aller Erwartungen einen überragenden Erfolg für Mauno Koivisto und die Sozialdemokraten, die 145 Wahlmänner bzw. 43, 3 Prozent der Stimmen errangen.
Angesichts dieses Ergebnisses war die Wahl Koivistos im ersten Wahlgang nur eine Formsache. Der einzige Elektor der Landschaftspartei, Veikko Vennamo, hatte schon vorher erklärt, daß er für Koivisto stimmen werde. Die Kommunisten dokumentierten wieder einmal ihre Gespaltenheit, indem die 21 den Mehrheitskommunisten zuzurechnenden Elektoren Koivisto ihre Stimme geben wollten, während sich die elf stalinistischen Minderheitskommunisten für den Volksdemokraten Kivistö entschieden. Am 26. Januar wurde dann Koivisto mit den Stimmen der 145 sozialdemokratischen Elektoren, der 21 Mehrheitskommunisten und Vennamos im ersten Wahlgang zum neunten finnischen Staatspräsidenten gewählt. Zum erstenmal stand damit ein Sozialdemokrat an der Spitze des finnischen Staates.
III. Kontinuität in der Außenpolitik
Bei seiner Amtseinführung am 27. Januar 1982 hat Koivisto — wie schon im Wahlkampf zuvor — erneut unterstrichen, den außenpolitischen Kurs seiner beiden Vorgänger Paasikivi und Kekkonen „uneingeschränkt weiterzuverfolgen" Seine wichtigste Aufgabe sei es, für eine ständige Stärkung des gutnachbarlichen Verhältnisses zwischen Finnland und der Sowjetunion auf der Basis des bilateralen Beistandspaktes zu wirken An zweiter Stelle seiner außenpolitischen Prioritätenliste nannte Koivisto das Bemühen um die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit den anderen nordischen Staaten. Die ersten Auslandsreisen Koivistos unterstrichen diese unveränderte Akzentuierung finnischer Außenpolitik. Seine erste Auslandsreise führte Koivisto vom 9. bis 11. März nach Moskau. Diese Reise wurde al bis 11. März nach Moskau. Diese Reise wurde als „A März nach Moskau. Diese Reise wurde als „Arbeitsbesuch" deklariert, während ihn der erste offizielle Staatsbesuch vom 27. bis 29. April traditionell ins skandinavische Nachbarland Schweden führte.
Die Einstellung Moskaus zu Koivisto war lange Zeit indifferent. Obwohl Koivisto seit 1979 Ministerpräsident war, wurde er nie offiziell in die Sowjetunion eingeladen. Erst unmittelbar vor der Elektorenwahl nahm der sowjetische Staats-und Parteichef Breschnew in Beantwortung einer Glückwunschbotschaft zu seinem 75. Geburtstag zur Person Koivisto Stellung. Breschnew attestierte darin Koivisto „mit einem Gefühl der Befriedigung", daß dieser sich eingesetzt habe für Finnlands Bestreben und Bereitschaft, aktiv zu der Fortführung der auf dem Zusammenarbeits-und Beistandsvertrag von 1948 basierenden Beziehungen beizutragen 8).
Beim Antrittsbesuch Koivistos in Moskau waren offensichtlich beide Seiten bemüht, die Kontinuität in den finnisch-sowjetischen Beziehungen zu unterstreichen. Breschnew lobte Finnland als „guten und loyalen Partner" 9) und bezeichnete den Besuch Koivistos als Fortsetzung der nützlichen und fruchtbaren Tradition der bilateralen Beziehungen durch persönliche Kontakte der Führer beider Staaten zu stärken 10). Koivisto versicherte im Kreml nochmals seine Treue zur Paasikivi-Kekkonen-Linie: „In meiner sechsjährigen Amtszeit wird Finnland zweifelsohne den Weg weiterverfolgen, der von meinen beiden Vorgängern Paasikivi und Kekkonen angegeben wurde." 11) Allerdings hat Koivisto neben dieser Beschwörung der Paasikivi-Kekkonen-Linie doch gewisse Akzentverschiebungen in der finnischen Außenpolitik erkennen lassen. Dieser Eindruck drängt sich aus zwei Gründen auf. Einmal betonte Koivisto ostentativ die nordischen Gemeinsamkeiten, indem er die Beziehungen zu den nordischen Staaten auf die gleiche Stufe mit denen zur Sowjetunion hob, und zum anderen fiel die zurückhaltende Beurteilung des Kekkonen-Plans von einer atomwaffenfreien Zone in Nordeuropa auf. Diese Passagen in der Moskauer Koivisto-Rede lösten in der Folgezeit gewisse Irritationen über die Linie der finnischen Außenpolitik aus, so daß sich Koivisto anläßlich der Feier zum 75. Gründungstag des finnischen Reichstags gezwungen sah, seine außenpolitische Position nochmals deutlich darzulegen In dieser Rede wies er Vermutungen, auf Kosten der Beziehungen zur Sowjetunion eine engere Zusammenarbeit mit den skandinavischen Ländern anzustreben, ebenso energisch zurück wie die Meinung, weniger entschieden als Kekkonen für die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Nordeuropa einzutreten. Koivisto legte in dieser Rede noch einmal „ganz emphatisch" ein Bekenntnis zur Außenpolitik Kekkonens ab. 1. Grundlinien der finnischen Außenpolitik Die finnische Außenpolitik in der Nachkriegszeit war durch die beiden Staatspräsidenten Juho Kusti Paasikivi (1946— 1956) und Urho Kekkonen (1956— 1982) geprägt worden. Die Tatsache, daß gerade die Staatspräsidenten der finnischen Außenpolitik ihren Stempel aufdrückten, liegt neben der überragenden Persönlichkeit dieser beiden Staatsmänner in der finnischen Verfassung begründet, die dem Staatspräsidenten außenpolitische Richtlinienkompetenz einräumt. Die finnische Außenpolitik der Nachkriegszeit kann als eine expandierende Außenpolitik bezeichnet werden, und zwar in dem Sinne, daß sich „der geographische Rahmen unserer Außenpolitik erweitert" Unter Paasikivi galt es, in erster Linie die Beziehungen zur Sowjetunion zu regeln. Zwar fielen die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen (1955) und in den Nordischen Rat (1955) noch in die Amtszeit Paasiki-vis, doch die Öffnung Richtung Westen und die aktive Teilnahme als neutraler Staat an den internationalen Beziehungen erfolgte erst unter Kekkonen. Für den Politikwissenschaftler Jansson baut jeder neue Schritt dieser expandierenden finnischen Außenpolitik auf dem vorhergehenden auf: „Finnland hätte weder als neutraler Staat auftreten können noch Verständnis anderer Staaten für seine Bemühungen erhalten können, hätte es nicht vorher zuerst seine Beziehungen zur Sowjetunion auf eine feste Basis gestellt. Und Finnland hätte nicht auf der internationalen Bühne — besonders als Gastgeber der KSZE — auftreten können, ohne vorher Anerkennung für seine Neutralität erhalten zu haben.“ 2. Die finnisch-sowjetischen Beziehungen Für jeden Staat ist seine Grenze eine wichtige Determinante seines außenpolitischen Entscheidungsprozesses. Für Finnland ist seine geopolitische Position — eine rund 1265 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit der Supermacht Sowjetunion — sogar die Hauptdeterminante. Neben der Geographie wurde die Historie die zweitwichtigste Determinante der finnischen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Zweite Weltkrieg lehrte die Finnen, daß die Kette von kriegerischen Auseinandersetzungen des kleinen Finnlands mit dem übermächtigen Rußland eine Ende haben mußte.
Nach dem sowjetisch-finnischen Waffenstillstandsabkommen vom 19. September 1944 in dem Finnland 12 Prozent seines Staatsgebietes an die Sowjetunion abtreten mußte, den Stützpunkt Porkkala an die Sowjets zu verpachten und rund 300 Millionen Dollar Reparationen zu z September 1944 15), in dem Finnland 12 Prozent seines Staatsgebietes an die Sowjetunion abtreten mußte, den Stützpunkt Porkkala an die Sowjets zu verpachten und rund 300 Millionen Dollar Reparationen zu zahlen hatte, gab es erste zaghafte Versuche finnischer Politiker, das Verhältnis zur Sowjetunion zu überdenken und neu zu ordnen.
Als erster sprach es Urho Kekkonen in einer Rundfunkrede am 25. September 1944 deutlich aus: „Die überlegene Macht der Sowjetunion ist eine absolute und fundamentale. Dies anzuerkennen und in Zukunft danach zu handeln, ist eine unabdingbare Voraussetzung für unsere nationale Existenz.“ 16) Aber erst später gingen diese Gedanken des jungen Kekkonen in die offizielle Politik ein, als Staatspräsident Paasikivi in seiner Rede am finnischen Unabhängigkeitstag am 6. Dezember 1946 erklärte: „Es ist meiner persönlichen Überzeugung nach für das weitere Wohlergehen unserer Nation von grundlegender Bedeutung, in Zukunft die finnische Außenpolitik so zu gestalten, daß sie niemals in Widerspruch zu den Interessen der Sowjetunion steht." 17) Diese Rede Paasikivis kann man als den Ausgangspunkt der soge-nannten Paasikivi-Kekkonen-Linie bezeichnen.
Diese neue finnische Außenpolitik deckte sich mit dem sicherheitspolitischen Interesse der Sowjetunion, die vor allem daran interessiert war, daß von Finnland aus kein Angriffskrieg gegen die Sowjetunion geführt wird. Im „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Bestand zwischen der Republik Finnland und der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken" (FZB-Vertrag) 18) vom 6. April 1948 wurde dieses Verlangen Moskaus kodifiziert. In Artikel I dieses Vertrages verpflichtet sich Finnland, „in dem Falle, daß Finnland oder die Sowjetunion über finnisches Gebiet Objekt eines bewaffneten Angriffs von Seiten Deutschlands oder eines anderen mit diesem in Bündnis stehenden Staates wird, (...) getreu seinen Verpflichtungen als selbständiger Staat (zu) kämpfen, um den Angriff abzuwehren." 19) Diese Abwehr kann „erforderlichenfalls mit Unterstützung der Sowjetunion oder zusammen mit dieser erfolgen“.
Finnland verpflichtet sich also in diesem Vertrag gegenüber der Sowjetunion, seine Grenzen zu verteidigen. Paasikivi interpretierte diese Tatsache unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung in einer Rundfunkansprache so: „Das alles ist meiner Meinung nach selbstverständlich und folgt aus der Natur der Sache.“ Auch Kekkonen wies später auf diese Selbstverständlichkeit hin: „Finnland hat sich verpflichtet, seine territoriale Integrität innerhalb der eigenen Grenzen zu verteidigen, was es natürlich in jedem Falle täte, auch ohne Vertrag.
Sollte die Sowjetunion aus einer anderen Richtung als über finnisches Gebiet angegriffen werden, besteht für Finnland keinerlei Beistandspflicht. Dies ist der entscheidende Unterschied zu den FZB-Verträgen, die die Sowjetunion unmittelbar vor dem finnisch-sowjetischen FZB-Vertrag mit Rumänien und Ungarn abschloß. Zwar nannte Stalin, als er dem finnischen Staatspräsidenten Paasikivi am Februar 1948 Vertragsverhandlungen vorschlug, diese beiden Verträge als Vorbil-, der, doch konnte die finnische Delegation in den anschließenden Verhandlungen ihre Position weitgehend durchsetzen.
Artikel II des Vertrags sieht eine Konsultationspflicht für den Fall vor, „daß eine Bedrohung mit einem in Artikel I gemeinten militärischen Angriff festgestellt ist“.
Bislang forderte die Sowjetunion einmal Konsultationen im Sinne dieses Artikels II. Das war Ende 1961 in der sogenannten Noten-Kri-se 22), als die Berlin-Krise auf ihren Höhepunkt zusteuerte und deutsch-dänische Gespräche über die beabsichtigte Einrichtung eines neuen NATO-Kommandos für die Ostsee-Zugänge begannen. Nach einem Treffen zwischen Chruschtschow und Kekkonen Ende November 1961 in Nowosibirsk zogen die Sowjets jedoch ihr Konsultationsbegehren zurück. Diese Noten-Krise war bisher die ernsteste Belastung des finnisch-sowjetischen Verhältnisses in der Nachkriegszeit. Doch seither haben sich die Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten weiter normalisiert. Der FZB-
Vertrag wurde zweimal verlängert. Er gilt jetzt bis zum Jahre 1990.
Unter dem Dach des FZB-Vertrags hat sich ein dichtes Geflecht von bilateralen Verträgen — insbesondere im wirtschaftlichen Bereich — entwickelt. Im finnisch-sowjetischen Handel gibt es drei Ebenen von Verträgen, die sich je nach Dauer und Konkretisierungsgrad unterscheiden. Auf höchster Ebene existiert das 1977 unterzeichnete langfristige Zusammen-arbeitsprogramm für Handel und Industrie, das bis 1990 gilt In ihm wurden die Wachstumsraten für den Warenaustausch als ganzes und für einzelne Branchen vorgegeben. So soll in den beiden Fünfjahresperioden 1981— 1985 und 1986— 1990 der Warenaustausch zwischen Finnland und der Sowjetunion jeweils um 30 Prozent wachsen. Für diese Fünfjahreszeiträume existieren schon seit 1950 Abkommen über den Warenaustausch. Die dort nur grob fixierten Quoten für bestimmte Warengruppen werden dann in den jährlichen Warenaustauschprotokollen exakt quantifiziert. Ein praktisches Beispiel: Für das Jahr 1982 sind im Fünfjahresvertrag 1981— 1985 der Export von 11 500 bis 15 000 sowjetischen Personenwagen nach Finnland vorgesehen. Im Warenaustauschprotokoll für 1982 wurde dann nur noch der Export von 11 200 Pkws festgeschrieben. /Der finnisch-sowjetische Handel entwickelte sich aus den Reparationszahlungen, die Finnland nach dem Zweiten Weltkrieg an den östlichen Nachbarn zu zahlen hatte. Obwohl diese damals das Land schwer belasteten, gewann Kekkonen den Reparationszahlungen nachträglich eine gute Seite ab: „Die Reparationszahlungen zwangen uns, Sektoren zu entwickeln, die in unserem Wirtschaftsleben früher sehr wenig Beachtung gefunden hatten. Wenn man die Bedeutung der Reparationen aus dieser Perspektive betrachtet, dann ist festzustellen, daß der von ihnen ausgehende Zwang die Produktionsfähigkeit unserer Industrie gefächert und damit gegenüber früher bessere Voraussetzungen für den permanenten Aufstieg unseres Wirtschaftslebens geschaffen hat.“
In den Nachkriegsjahren hatte nicht zuletzt durch eben diese Reparationszahlungen und deren Folgen der Anteil des finnisch-sowjetischen Handels am gesamten finnischen Handel bis auf knapp 18 Prozent zugenommen, ehe er dann bis 1973 auf 12 Prozent absackte. Doch nach der ersten gewaltigen Preissteigerung für Rohöl Ende 1973 nahm der Handel mit der Sowjetunion kräftig zu. 1981 kletterte der finnisch-sowjetische Handel auf neue Rekord-marken: Der Anteil der sowjetischen Waren an den finnischen Importen betrug 23, 5 Prozent, der sowjetische Anteil an den Exporten stieg gar auf 24, 7 Prozent.
Die Zunahme der Warenströme zwischen Finnland und der Sowjetunion in den letzten Jahren erklärt sich aus der Struktur dieses bilateralen Handels. Rund 80 Prozent der sowjetischen Importe bestehen aus Energie. Die Verrechnungsbasis im finnisch-sowjetischen Warenaustausch sind Weltmarktpreise, so daß mit den höheren ölpreisen auch der Wert der Importe aus der Sowjetunion gestiegen ist. Da der finnisch-sowjetische Handel im Wege des Kompensationsgeschäftes erfolgt und außerdem immer ausgeglichen sein muß, mußten die Finnen ihre Exporte in die Sowjetunion im selben Umfang erhöhen wie die Importe stiegen. Diese Exportsteigerung in die Sowjetunion war für die finnische Wirtschaft in den letzten Jahren ein großer Vorteil, denn dadurch konnte sie den rezessionsbedingten Nachfrageausfall auf den westlichen Märkten kompensieren. „Nicht zuletzt aufgrund der Exporte in die UdSSR konnte Finnland in den Jahren 1979 und 1980 das stärkste Wirtschaftswachstum innerhalb der westlichen Industrieländer erzielen." 3. Die Beziehungen zu Skandinavien „Neben den vertrauensvollen Beziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion ist der andere Eckstein der finnischen Außenpolitik die enge nordische Zusammenarbeit." Institutionalisiert wurde diese nordische Kooperation zwischen Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island im 1952 gegründeten „Nordischen Rat“. Der Nordische Rat ist ein beratendes Organ, das aus Parlamentariern und Regierungsmitgliedern dieser fünf Länder besteht. Finnland wurde erst 1955 Mitglied des Nordischen Rates. Nachdem Staats-präsident Paasikivi mit Rücksicht auf die Sowjetunion einer Mitgliedschaft reserviert gegenüberstand, ebnete der damalige Ministerpräsident Kekkonen bei seinem Besuch in Moskau im September 1955 den Weg für Finnlands Beitritt
Zur Agenda des Nordischen Rates gehören Wirtschafts-, soziale, Bildungs-und Verkehrsfragen. Bei den zweimal jährlich stattfindenden Außenministertreffen geht es in erster Linie um die Koordinierung der Standpunkte bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen. Sicherheitspolitische Themen werden ausgeklammert. Was die Sicherheitspolitik anbetrifft, so sind die skandinavischen Staaten keine homogene Gruppe.
Dänemark, Norwegen und Island sind Mitglieder der NATO, Schweden und Finnland sind neutrale Staaten. Doch gerade die Erhaltung dieses militärischen skandinavischen Gleichgewichts ist für Finnland von entscheidender Bedeutung: „Wichtig ist ... das Erhalten der zentralen stabilisierenden Elemente in der nordeuropäischen Situation, zum Beispiel der traditionellen schwedischen Neutralitätspolitik und der gewissermaßen beschränkten militärischen Zusammenarbeit zwischen Dänemark und Norwegen einerseits und ihren Großmachtverbündeten andererseits."
Vor diesem Hintergrund ist auch der Plan Kekkonens für eine atomwaffenfreie Zone in Nordeuropa zu sehen, der den de-facto-atom-waffenfreien Zustand in Nordeuropa kodifizieren will
Innerhalb der nahezu problemfreien Beziehungen zu den nordischen Staaten hat die Zusammenarbeit Finnlands mit Schweden eine besondere Qualität. Sie basiert in erster Linie auf der gemeinsamen Geschichte. Finnland gehörte bis 1809 zum Schwedischen Königreich. Heute ist man in Finnland vor allem an der Kontinuität der schwedischen Neutralitätspolitik interessiert, denn sie stützt den eigenen Neutralitätskurs. So heißt es in einem Bericht eines von der finnischen Regierung eingesetzten parlamentarischen Verteidigungskomitees: „Insbesondere ist festzuhalten, daß die traditionelle Allianzfreiheit Schwedens ein positiver Faktor für Finnland ist. Durch die kräftige und vielseitige Verteidigung Schwedens wird seine Neutralitätspolitik unterstützt. Im Falle eines bewaffneten Konflikts dient die Verteidigungsfähigkeit Schwedens dazu, auch die militärische Bedrohung des finnischen Gebietes zu verhindern." 4. Finnlands aktive Neutralitätspolitik Schon in der Präambel des FZB-Vertrages wird „das finnische Bestreben, außerhalb der Interessenkonflikte der Großmächte zu bleiben", festgehalten. Zwar wird hier nicht ex-pressis verbis von „Neutralität" gesprochen, und Präambeln besitzen auch keinen bindenden Vertragscharakter im Sinne des Völker-rechts doch wurde mittlerweile der Status Finnlands als neutraler Staat allgemein anerkannt. Finnlands Weg zu dieser Anerkennung vollzog sich in mehreren Etappen. In den Nachkriegsjahren kratzte am neutralen Image der Finnen die Tatsache, daß die Sowjetunion mit Porkkala noch einen Militärstützpunkt auf finnischem Gebiet besaß. Erst der Abzug der Sowjets im September 1955 „öffnete den Weg zur internationalen Anerkennung der finnischen Neutralität" Kurze Zeit später, auf dem 20. Parteitag der KPdSU, wurde Finnland zum erstenmal in einer offiziellen Verlautbarung der Sowjetunion als neutraler Staat bezeichnet. Auf seinen Reisen in die westlichen Staaten USA, Großbritannien und Frankreich Anfang der sechziger Jahre konnte dann Kekkonen das Ergebnis verbuchen, „daß alle Groß-mächte explizite die Neutralität Finnlands anerkannt hatten"
Nach dieser De-facto-Anerkennung seiner Neutralität begann Finnland in den Folgejahren — begünstigt durch die aufkommende Entspannung zwischen Ost und West — eine aktive Neutralitätspolitik zu betreiben. Der Hauptgrund für diese Aktivitäten: „Für Finnland ist es besonders wichtig, daß seine Außenpolitik bekannt ist und gut verstanden wird, daß sie das Vertrauen anderer Staaten genießt. Deshalb hat Finnland sehr gerne gewisse internationale Aufgaben übernommen, für die gerade neutrale Staaten geeignet oder sogar nötig sind."
1968 entschied Finnland, sich um die Aufnahme in den UN-Sicherheitsrat zu bemühen.
. Damit wagte sich Finnland zum ersten Male auf das Parkett der ganz großen internationalen Politik." Bereits 1969 bot sich Finnland als Gastgeber für die sowjetisch-amerikanischen Gespräche zur Beschränkung der strategischen Atomwaffen (SALT) an. Die SALT-Runden fanden dann auch in den Jahren 1969 und 1970 in Helsinki statt. Anders als bei den SALT-Gesprächen, bei denen Finnland eine passive Rolle spielte, indem es lediglich den neutralen Boden für das Gespräch der beiden Großmächte angeboten hatte, zeigte Finnland bei einem anderen internationalen Großereignis wesentlich stärkere Aktivitäten. So initiierte die finnische Regierung mit einem Memorandum an die Regierungen der europäischen Staaten, der USA und Kanadas vom Mai 196936) ganz entscheidend die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit und bot sich gleichzeitig als Gastgeber für diese an. Daß 1973 und 1975 die KSZE in Helsinki stattfand, kann als großer Prestigeerfolg und gleichzeitig als eine deutliche Bestätigung der finnischen Neutralitätspolitik gewertet werden.
Einen weiteren wichtigen Wirkungskreis der aktiven finnischen Außenpolitik bilden die Vereinten Nationen. Im Rahmen der UN stellte Finnland immer wieder Soldaten für die UN-Friedenstruppen ab und spielte darüber hinaus beim Nord-Süd-Dialog und den Abrüstungsverhandlungen eine wichtige Vermittlerrolle. Kekkonen sieht Finnland dabei in den UN „eher in der Rolle eines Arztes als der eines Richters. Wir haben es vermieden, Klagen hervorzubringen und Urteile herauszustellen, und haben statt dessen versucht, Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu finden, indem wir uns in diese hineinversetzten.“
IV. Änderungen im politischen System Finnlands
L Die Entscheidungsstruktur in Finnland Das politische System Finnlands läßt sich „als republikanische parlamentarische Demokratie charakterisieren, in der die Macht und Bedeutung des Staatsoberhauptes auch in Wirklichkeit so groß ist, daß dies dem System ein eigenes Gepräge gibt" Dieses eher präsi-dentielle Regierungssystem ist in etwa mit der Fünften Republik Frankreichs vergleichbar. Allerdings wird in Finnland der Präsident nicht — wie in Frankreich — direkt vom Volk gewählt, sondern durch Wahlmänner. Insofern besitzt der finnische Präsident nur eine indirekte demokratische Legitimation.
Die seit 1919 ununterbrochen gültige finnische Verfassung räumt dem Staatspräsidenten eine starke Stellung ein. Diese Dominanz des Staatsoberhauptes hat in der finnischen Verfassungsgeschichte Tradition. Nach der Verfassung hat der Präsident das Recht, Gesetze vorzuschlagen und Verordnungen zu erlassen. Außerdem kann er vom Reichstag angenommene Gesetze durch ein suspensives Veto verzögern oder gar verhindern. Schließlich kann er den Reichstag zu außerordentlichen Sitzungen einberufen, Neuwahlen bestimmen und den Reichstag auflösen. Die außenpolitische Kompetenz des Präsidenten ist in Artikel 33 festgeschrieben: „Der Präsident bestimmt die Beziehungen zu den auswärtigen Staaten..
. Aber vielleicht mehr als aus den Artikeln erklärt sich die hervorragende Bedeutung des Staatsoberhauptes doch aus einigen traditionellen und persönlichen Umständen sowie aus den durch politische Situationen geschaffenen Voraussetzungen." Zu diesen Umständen zählt einmal die Tatsache, daß die meisten finnischen Staatspräsidenten starke Persönlichkeiten darstellten. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stellung der Präsidenten weiter gestärkt, weil sowohl Paasikivi als auch Kekkonen als Bewahrer der außenpolitischen Kontinuität galten.
Die Position des Präsidenten wurde auch deshalb so stark, weil die meisten finnischen Regierungen nur eine schwache parlamentarische Stellung hatten. Durch die Zersplitterung des Parteiensystems war es meist schwierig, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Oft gab es Minderheitsregierungen, und bei besonders langwierigen Regierungskrisen mußte auf eine sogenannte Beamten-oder Expertenregierung zurückgegriffen werden. Diese Labilität der Regierungen stärkte natürlich die Stellung des Präsidenten als wichtigsten und einzigen Garanten der Kontinuität in der finnischen Politik. Während also die Stellung des Staatspräsidenten immer stärker wurde, „trat die Bedeutung des Reichstages als der ersten Staatsgewalt zurück" Zu fragen ist, ob Koivisto diesen Trend stoppen kann bzw. überhaupt stoppen will.
Schon bei seiner Amtseinführung versicherte Koivisto, daß der Präsident seine Entscheidungen in enger Abstimmung mit Regierung und Parlament treffen werde. Sein innenpolitisches Leitprinzip werde es sein, die Beziehungen zwischen den demokratischen Institutionen des Landes offen, ehrlich und auf Kooperation ausgerichtet zu gestalten -Bei der Ernennung der neuen Regierung forderte er diese zur stärkeren Aktivität in der Außenpolitik auf. Ebenso sei eine verstärkte Aktivität des außenpolitischen Ausschusses der Regierung zu begrüßen. Gleichwohl erinnerte Koivisto daran, daß die Führung der Außenpolitik nach der Verfassung ein Privileg des Präsidenten sei. In der Innenpolitik wollte er jedoch diese Führungsrolle für sich nicht in Anspruch nehmen: „Der Präsident sollte nicht der innenpolitische Führer sein.“ Inzwischen wird in Finnland über Vor-und Nachteile der präsidentiellen Machtstellung diskutiert. Verfassungsänderungen, die die Macht des Präsidenten beschneiden sollen, werden nicht ausgeschlossen. Ferner wird debattiert, den Präsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen und seine Amtszeit auf zwei Amtsperioden (insgesamt 12 Jahre) zu beschränken.
Die ersten Monate der Präsidentschaft Koivistos zeigen, daß sich das innenpolitische Klima in Finnland verändert hat. Bisherige Tabus — dazu zählt eben auch die Machtfülle des Präsidenten — werden offen diskutiert. Koivisto beteiligt sich sogar selbst an der Debatte. Er sagt und zeigt es auch, daß er nicht wie sein omnipotenter Vorgänger Kekkonen in die innenpolitische Entscheidungsprozesse eingreifen will. Eine Stärkung der finnischen Demokratie kann die Folge dieser Zurückhaltung Koivistos sein. 2. Die Parteienlandschaft Finnlands Nach Raschke besitzt Finnland — ähnlich wie Frankreich und Italien — ein ideologisch polarisiertes Vielparteiensystem Für diesen Typ von Parteiensystem nennt Raschke mehrere charakteristische Merkmale: eine große Zahl von im Parlament vertretenen Parteien; ein hohes Maß ideologischer Polarisierung, was sich in einer starken kommunistischen Partei und einer vergleichsweise schwachen extremen Rechten dokumentiert; der relativen Stärke der ideologischen Außenflügel entspricht die relative Schwäche der Parteien, die das politische Zentrum bilden; um die Mehr-heitsbildung konkurrieren meist nicht ein sozialistischer und ein nichtsozialistischer Block; selbst die Einbeziehung von Kommunisten in die Regierung vollzieht sich über Koalitionen mit bürgerlichen Parteien.
Die meisten dieser Merkmale treffen bislang auf das finnische Parteiensystem zu. So sind derzeit im Reichstag acht Parteien vertreten. Die Kommunistische Partei hat meistens einen Wähleranteil von 20 Prozent. Eine extreme Rechtspartei sucht man hingegen in der finnischen Parteienlandschaft vergebens. In der relativ schwachen Mitte treffen sich die Zentrumspartei und Teile der Sozialdemokraten. Bei der Regierungsbildung heißt die Alternative nicht Volksfront oder Bürgerblock, sondern Koalitionen quer durch beide Lager. In den letzten Jahren hat sich dabei besonders das Modell der Mitte-Links-Koalition bewahrt, der die Sozialdemokraten, die Zentrumspartei, die kommunistisch determinierte Demokratische Union des finnischen Volkes und die Schwedische Volkspartei angehören. In den letzten Monaten ist jedoch Bewegung in die finnische Parteienlandschaft gekommen, die einige Merkmale des ideologisch polarisierten Vielparteiensystems in Frage stellt. Auslöser dieser Veränderungen ist nicht originär der Wechsel von Kekkonen zu Koivisto.
Vielmehr kommen gerade jetzt latente Konflikte innerhalb der Parteien und Veränderungen in der Wählerstruktur deutlich zum Vorschein. In der Sozialdemokratischen Partei SDP erhoffte man sich, daß der hohe Wahlsieg Koivistos auf die Partei abfärben könnte. Doch diese Hoffnung scheint nicht in Erfüllung zu gehen. In den Meinungsumfragen nach der Wahl Koivistos bröckelte der Stimmenanteil der SDP wieder bis in die Nähe ihres 79er Wahlergebnisses von 23, 9 Prozent ab. Für die SDP ist es schwierig, den sich bewußt überparteilich gerierenden Koivisto als Sozialdemokraten zu „verkaufen". Koivisto, der unmittelbar nach seiner Wahl traditionell sein Parteibuch zurückgegeben hatte, führt denn auch seinen Erfolg nicht unbedingt auf seine Zugehörigkeit zur SDP zurück: „Hier wurde kein politisches Programm, sondern eine Person gewählt.“
Wenngleich sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Wahl Koivistos für die SDP nicht in Mehr Wählerstimmen niederschlagen wird, so ‘st doch die atmosphärische Veränderung durch den ersten Sozialdemokraten an der Spitze Finnlands als Pluspunkt für die SDP zu verbuchen. Die Sozialdemokraten, die in den Nachkriegsjahren von der Sowjetunion als außenpolitisch unsichere Kantonisten eingestuft wurden, haben damit endgültig den Beweis erbracht, daß sie zu den staatstragenden Parteien zu zählen sind.
Die Zentrumspartei, die mit Kekkonen 25 Jahre lang den Präsidenten stellte und in den meisten Nachkriegsregierungen wichtige Positionen besetzte, sah sich plötzlich von den wichtigsten Schalthebeln finnischer Politik entfernt, zumal sie auch bei der notwendig gewordenen Regierungsumbildung nach der Wahl Koivistos den Kürzeren zog. Allerdings hat sie letzteres ihrem ungeschickten Taktieren bei der Regierungsbildung zu verdanken. Koivisto war bereit, dem Zentrum den Posten des Ministerpräsidenten anzubieten, doch insbesondere der bisherige Außenminister des Zentrums, Paavo Väyrynen, wollte weiter den Posten des Außenministers für das Zentrum reklamieren. Das wiederum akzeptierte Koivisto nicht. So kam es dann, daß das Zentrum bei den wichtigsten Regierungsposten leer ausging: Ministerpräsident wurde der Sozialdemokrat Kalevi Sorsa und Außenminister Pär Stenbäck von der Schwedischen Volkspartei. Neben diesem Verlust der Machtstellung muß die Zentrumspartei mit einem weiteren Problem fertig werden. Mit der konservativen Partei, die mittlerweile zur zweitstärksten Partei aufgestiegen ist, muß sie immer mehr um bürgerliche Wählerstimmen buhlen. Gleichzeitig muß das Zentrum, dessen Wählerklientel überwiegend aus Landwirten und Selbständigen besteht, sich neuen Wählerschichten öffnen, um strukturbedingte Verluste in ihrer traditionellen Anhängerschaft zu kompensieren. Zuwachs hat das Zentrum allerdings von außen bekommen. Die Mehrheit der Liberalen Volkspartei (Stimmenanteil 1979: 3, 7 Prozent und vier Reichstagsabgeordnete) hat beschlossen, sich dem Zentrum anzuschließen. Damit scheint sich ein vager Trend weg vom Vielparteiensystem anzudeuten.
Vor den größten Schwierigkeiten steht derzeit die Kommunistische Partei Finnlands SKP, die praktisch in einen reformkommunistischen Mehrheitsflügel und einen orthodoxen, stalinistischen Minderheitsflügel gespalten ist. Seit Mitte der sechziger Jahre schwelt dieser Streit in der SKP Auf dem 19. Parteitag im Mai 1981 ging an die auf Probe gewählte Parteiführung der Auftrag, einen Einigungsversuch zu unternehmen. Doch die Lage in der SKP spitzte sich Ende 1981 zu, als elf Abgeordnete des stalinistischen Flügels aus der volks-demokratischen Reichstagsfraktion ausgeschlossen wurden, weil sie die Regierung, in der eben auch (Mehrheits-) Kommunisten sitzen, desavouierten. Auch bei der Präsidentenwahl stimmten die stalinistischen Elektoren nicht wie die Mehrheitskommunisten für Koivisto. Vor diesem Hintergrund andauernder Querelen erklärte der SKP-Vorsitzende Aarne Saarinen Ende März 1982, daß er auf dem für Mitte Mai einberufenen Sonderkongreß nicht mehr kandidieren werde. Auf dem SKP-Son-derkongreß am 14. /15. Mai 1982 in Helsinki übte dann Saarinen heftige Kritik an der KPdSU, die kurz vor dem Parteitag nach seiner Ansicht massiv Position für die stalinistische Minderheit bezogen hatte. Nach einem chaotischen Parteitagsverlauf wurde erneut ein — allerdings nicht auf unbedingte Konfrontation programmierter — Mehrheitskommunist, Arbeitsminister Jouko Kajanoja, als Parteichef und der — ebenfalls etwas gemäßigtere — Stalinist Seppo Toiviainen als dessen Stellvertreter gewählt. Doch unmittelbar nach der Wahl erklärten Toiviainen und die zwei anderen stalinistischen Mitglieder des zehnköpfigen SKP-Politbüros, daß sie für die Arbeit in der Führungsspitze nicht zur Verfügung stünden. „Im Klartext lief diese Ankündigung auf eine Besiegelung des seit Jahren de facto bestehenden Bruchs in der SKP hinaus." Angesichts dieser Streitereien in der SKP verliert die Partei beim Wähler immer mehr an Bedeutung.
Diese kurz umrissenen Veränderungen in der finnischen Parteienlandschaft können auch Rückwirkungen auf mögliche neue Koalitionen nach der Reichstagswahl im kommenden Jahr haben. So ist nicht auszuschließen, daß die immer stärker werdende konservative Partei, die seit 1966 in der Opposition ist, in eine Koalition ausgenommen wird, während die Kommunisten außen vor bleiben. Auch werden Gedankenspiele über eine Koalition zwischen Kommunisten, Sozialisten und Konservativen angestellt, bei der die Zentrumspartei den Kürzeren zieht.
Wolfgang Hirn, Dipl. -Volkswirt, geb. 1954; Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Universität Tübingen; Wirtschaftsredakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger.
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