In Zentraleuropa wird bisweilen vergessen, daß der eigene Kontinent nicht nur in geographischer Hinsicht mehr umfaßt als die Länder an der Demarkationslinie zwischen Ost und West. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn meist handeln die politischen Schlagzeilen von den eigenen Problemen oder aber von den weltpolitischen Krisenherden. Dabei fühlt man sich in Stockholm, Oslo oder Helsinki ebenso als Europäer wie etwa in Paris, Athen oder auch in Budapest — nur eben meist in einem weiteren Sinn als im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft.
Mehrere Ursachen scheinen der Grund dafür zu sein, daß die Völker und Staaten des europäischen Nordens eine gewisse Außenseiter-rolle auf dem „alten Kontinent" einnehmen. Dieser Beitrag sucht wesentliche Faktoren dafür am Beispiel der beiden skandinavischen Staaten Dänemark und Norwegen zu benennen und an den aktuellen, für die achtziger Jahre absehbaren Entwicklungen darzustellen. Dabei wird vor allem deutlich werden, daß eines dieser Länder, das NATO-Partnerland und Nicht-EG-Mitglied Norwegen, in den kommenden Jahren für die Fragen europäischer Sicherheit auf wirtschaftlichem Gebiet eine zunehmende Bedeutung gewinnen wird.
I. Faktoren der Sonderrolle
Unter den die politische Kultur der Länder Nordeuropas besonders prägenden Faktoren sticht zunächst die von den weltpolitischen Zentren und Spannungsherden relativ entfernte geographische Lage ins Auge. Dazu kommt eine beträchtliche räumliche Ausdehnung Norwegens, Schwedens und Finnlands, die aufgrund der geringen Bevölkerungszahl zu einer meist dünnen Besiedlung mit relativ wenigen städtischen Ballungszentren führt.
Auch die Tatsache, daß es sich bei allen nordischen Staaten um — an internationalen Maßstäben gemessen — kleine Länder handelt, erscheint bemerkenswert. Häufig ist hier ein scheinbares Paradoxon festzustellen: je kleiner demokratische Länder sind, desto mehr Parteien und gesellschaftliche Gruppierungen beteiligen sich aktiv am politischen Willensbildungsprozeß. Nicht selten rühren daher die starke Konzentration auf eigene Probleme, langdauernde politische Entscheidungsprozesse und mitunter schwache Regierungen.
Als besonders hervorstechendes Merkmal der nordischen Demokratien wird bis heute der hohe, im Weltmaßstab nahezu einzigartige Primat sozialstaatlicher Fürsorge angesehen, was allerdings eine entsprechend hohe Steuerbelastung der Bürger zur Folge hat. Dieses ausgeklügelte System sozialer Sicherheit und Betreuung — Kritiker sprechen gar von Bevormundung — resultiert vor allem aus dem von außen kaum gestörten, seit der industriellen Revolution auf evolutionärem Wege herausgebildeten demokratischen System, in dem die Gewerkschaften und die reformistischen Arbeiterparteien jahrzehntelang eine prägende Rolle eingenommen haben. Dennoch ist in fast allen nordischen Staaten seit einigen Jahren ein starker konservativer Trend unverkennbar, der etwa an der Regierungsübernahme durch bürgerliche Parteien in Schweden und Norwegen oder am Erstarken der Ko-koomus-(Nationalen Sammlungs-) Partei in Finnland nachzuweisen ist.
Daß es sich bei diesen Staaten um kleine Länder handelt, hat schließlich auch außenpolitische Implikationen. Der traditionell einflußreichste unter ihnen, Schweden, hat sich seit Ende der Napoleonischen Kriege aus allen späteren internationalen Konflikten heraus-halten können und hat damit auch in den Nachbarstaaten zu einer starken Verankerung der Zielvorstellung von Neutralität beigetragen. In dieser Hinsicht bedeutete für Däne-mark und Norwegen die Besetzung während des Zweiten Weltkriegs einen besonderen Schock mit — wie noch zu zeigen sein wird — erheblichen Nachwirkungen. Neutralität birgt gerade für kleine Staaten eine besondere Attraktivität in sich, da sich diese Konzeption und ein entsprechendes Verhalten häufig als das einzige Mittel erwiesen haben, um der Rivalität fremder Großmächte oder der Dominanz einer Macht so gut wie möglich auszuweichen. Seit dem Aufbrechen des Ost-West-Konflikts hat sich diese im europäischen Norden besonders stark verankerte Tradition zwar abgeschwächt, doch ist sie nicht nur in Schweden und Finnland, sondern auch in der Bevölkerung und in einigen Parteien Dänemarks und Norwegens bis heute politisch wirksam. Zumal in Phasen gespannter internationaler Beziehungen wächst in all diesen Ländern die Neigung, die negativen Konsequenzen dieser Entwicklung — für die sie ohnehin nicht verantwortlich zu machen sind — abzuschwächen, sich selbst im „Windschatten" zu halten und sich als Vermittler zwischen den streitenden „Großen" zu profilieren.
II. Die Tradition der Eigenständigkeit
Sonderrolle im Bereich der militärischen Sicherheit Die Besetzung durch die Truppen Hitler-Deutschlands im April 1940 hatte den Dänen und Norwegern die Vergeblichkeit ihrer Hoffnung vor Augen geführt, wie ihr Nachbar Schweden vom Zweiten Weltkrieg verschont zu bleiben. Aber auch nach Kriegsende bemühten sich die politisch Verantwortlichen in Kopenhagen und Oslo um eine Wiederaufnahme der Neutralitätspolitik und setzten trotz der sichtbar gewordenen Spannungen zwischen den bisherigen Alliierten große Hoffnungen auf eine neue Weltordnung im Rahmen der soeben gegründeten Vereinten Nationen. Auf die Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes seit 1947 sowie insbesondere auf den Umsturz in der ÖSSR und den finnisch-sowjetischen Freundschafts-und Beistandsvertrag vom Frühjahr 1948 reagierte zunächst Schweden, das seinen skandinavischen Nachbarn die Bildung einer gemeinsamen Verteidigungsallianz vorschlug.
Die verhältnismäßig weit vorangeschrittenen Verhandlungen gerieten jedoch ins Stocken, als die Unvereinbarkeit der Positionen Schwedens und Norwegens deutlich geworden war. So strebte man in Stockholm eine Erweiterung der eigenen Politik strikter Allianzfreiheit an, während die norwegische Regierung zumindest bestimmte Verbindungen zu den angelsächsischen Staaten — vor allem zu Großbritannien, das damals von der Norwegens Arbeiterpartei nahestehenden Labour Party regiert wurde — aufrechterhalten wollte. Auch war man in Oslo bestrebt, die von den USA in Aussicht gestellte Militärhilfe zu günstigen Bedingungen zu erhalten. Schließlich gab es auch gewisse Befürchtungen vor einer aus dem gemeinsamen Projekt resultierenden schwedischen Dominanz.
Die norwegische Regierung beschloß deshalb, sich der neu formierten nordatlantischen Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Partnern anzuschließen; sie unterzeichnete im April 1949 den Gründungsvertrag der NATO.
Nach einigem Zögern folgte die dänische Regierung, die sich lange Zeit um eine Vermittlung zwischen den beiden anderen Regierungen bemüht hatte. Zu der Entscheidung in Kopenhagen zugunsten der NATO hatte insbesondere beigetragen, daß Schweden selbst im Falle der Schaffung einer skandinavischen Allianz nicht bereit gewesen wäre, Dänemarks exponierte Gebiete — insbesondere Grönland — in eine Schutzgarantie einzubeziehen. Außerdem versprach die nordatlantische Allianz eine dauerhafte Lösung für Dänemarks seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts größtes Sicherheitsproblem, den Schutz vor dem großen Nachbarn Deutschland.
Der Beitritt zur NATO war für Dänemark und Norwegen damals nur die drittbeste Lösung, nachdem eine Fortsetzung der Neutralitätspolitik und eine skandinavische Allianz mit einer bestimmten Orientierung nicht zu verwirklichen gewesen waren 1) • Beide Länder suchten aber weiterhin ihre neuen Allianzverpflichtungen mit ihrer besonderen geographischen Lage in Einklang zu bringen — Norwegen mit seiner (kurzen) gemeinsamen Grenze zur Sowjetunion, Dänemark an den militär-strategisch wichtigen Ausgängen der Ostsee — und die Außenpolitik ihrer nordischen Nachbarn Schweden und Finnland zu berücksichtigen. Vor allem erschien die Sicherheit Finnlands gefährdet, da die UdSSR (bis 1956) auf dessen Territorium einen Flottenstützpunkt unterhielt und sich zudem für den Fall eines militärischen Konfliktes in der Region einige „Beistandsrechte" vertraglich gesichert hatte.
Mit Duldung ihrer NATO-Partner erklärten so die Regierungen und Parlamente Dänemarks und Norwegens, daß „fremde Truppen" auf ihrem Territorium solange nicht stationiert werden sollen, wie sie selbst nicht bedroht oder angegriffen würden. Dieser Vorbehalt, der auch eine Reihe von Einschränkungen für alliierte Mannöver in Grenzgebieten einschloß, wurde 1957 erweitert, als die westliche Allianz die Stationierung nuklearer Sprengköpfe und Trägerwaffen in westeuropäischen Ländern beschloß. Auch hier setzten die Skandinavier durch, daß „in Friedenszeiten" nukleare Waffen auf ihrem Territorium nicht gelagert würden. Eine Stationierung dieser Waffen wurde jedoch als mögliches Druckmittel im Fall einer fremden Bedrohung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Da Finnland bereits im Friedensvertrag von 1947 auf Bau und Stationierung dieser Waffen verzichtet hatte und Schweden sich nach einer intensiven Debatte Mitte der sechziger Jahre zu einem einseitigen Verzicht auf die (technisch wohl mögliche) Herstellung von Atomwaffen entschlossen hatte, blieb das fennoskandische Territorium faktisch von Kernwaffen frei Dies betrifft allerdings nicht die umliegenden Seegebiete, wie der schwedisch-sowjetische U-Boot-Zwischenfall („Whisky on the rocks") im Spätherbst 1981 drastisch vor Augen geführt hat.
Auch im November/Dezember 1979, als die NATO den „Doppelbeschluß" faßte, der für den Fall eines Scheiterns von Verhandlungen über den Abbau bestehender Mittelstrecken-Rake-ten in Europa die Einführung amerikanischer Systeme in einigen westeuropäischen Ländern vorsieht, hielten die Skandinavier mit Erfolg an ihrer Sonderrolle fest. Selbst im Falle einer Durchführung des Stationierungsbeschlusses würde dänisches und norwegisches Territorium nicht betroffen sein. 2. Vorbehalte gegenüber der westeuropäischen Integration Das Bestreben der Nordeuropäer, eigene Wege zu gehen, wird nicht nur im Bereich militärischer Sicherheit, sondern auch in ihrer Wirtschaftspolitik sichtbar. In den fünfziger Jahren waren Ansätze zu einer nordeuropäischen Kooperation und in den sechziger Jahren gar Ansätze zu einer Integration im Rahmen der Nordischen Wirtschaftskooperation (NORDEK) an ökonomischen und übergeordneten politischen Hindernissen, wie etwa an dem Problem der Vereinbarkeit von NORDEK mit der besonderen Neutralitätspolitik Finnlands, gescheitert.
In Norwegen war bereits im Jahre 1962 wegen des ersten Beitrittsgesuchs der Regierung zur EG eine heftige, außerordentlich emotional geführte Debatte entbrannt, bei der sich die oppositionellen Kräfte vor allem aus sozialistischen Gruppierungen und der Bauernschaft rekrutierten. Nach drei Anläufen verhandelte die Regierung seit September 1970 mit der EG schließlich konkret über die Bedingungen für einen norwegischen Beitritt. Die schwierigen Verhandlungen (insbesondere wegen der Fischereiprobleme) führten zu einem beiderseits befriedigenden Ergebnis, so daß die norwegische Regierung im Januar 1972 die Dokumente über den Beitritt unterzeichnete. Jedoch stand zu diesem Zeitpunkt bereits außer Frage, daß die Ratifizierung im Storting erst nach einem Referendum der Bevölkerung erfolgen würde.
Die Volksabstimmung über den Beitritt Norwegens zur EG am 24. 725. September desselben Jahres ergab, daß 53, 5 Prozent die EG-Mitgliedschaft ablehnten. Obwohl dieses Ergebnis für den Gesetzgeber nicht bindend war, fühlten sich dennoch so viele Abgeordnete diesem Votum verpflichtet, daß die von der Verfassung vorgeschriebene Zwei-Drittel-Mehrheit nicht mehr erreicht werden konnte. Der heftig umstrittene Beitritt, an dem bereits 1971 eine bürgerliche Koalitionsregierung zerbrochen war, die einem Minderheitskabinett der Arbeiterpartei hatte weichen müssen, wurde daher nicht vollzogen. Norwegen schloß später lediglich, ähnlich wie Finnland und Schweden, ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft.
So hatten sich in einem Streit, der das ganze Land monatelang in Atem gehalten hatte, die wesentlich besser organisierten Gegner des Beitritts durchgesetzt. Sie hatten in ihrer Kampagne nicht nur an eine damals offensichtlich weit verbreitete Furcht vor dem Verlust nationaler Souveränität und an Ressentiments gegenüber fremden, anonymen Mächten appelliert, sondern waren auch mit ihrer ideologisch geprägten Abneigung gegenüber einer vom „Süden" beherrschten „kapitalistischen Großmacht" auf Resonanz gestoßen. Demgegenüber drangen die Befürworter mit ihren wirtschaftlichen Argumenten und ihren pro-europäischen Vorstellungen nicht durch. In Dänemark ließen sich dagegen nicht von der Hand zu weisende, geradezu dringende wirtschaftliche Beweggründe für einen EG-Beitritt ins Feld führen. Das Land war in den fünfziger Jahren der EFTA nur beigetreten, um eine ökonomische Isolation zu vermeiden. Nachdem schließlich der jahrelange Widerstand gegen eine EG-Mitgliedschaft Großbritanniens beseitigt worden war, schloß sich die Regierung in Kopenhagen dem britischen Vorgehen an.
Die Regierung konnte starke Vorbehalte in der dänischen Öffentlichkeit allerdings nur dadurch entkräften, daß sie auf die rein wirtschaftlichen Vorteile dieser Mitgliedschaft abhob. Die Politiker in Kopenhagen verfolgen dabei bis heute keineswegs weiterreichende politische Anliegen, wie etwa die Schaffung einer supranationalen Europäischen Union. Sie erwarten neben wirtschaftlichen Vorteilen eher eine gestärkte eigene Position, da Dänemark — zumal nach Norwegens Rückzug — als einziges nordisches EG-Mitglied zukünftig als „Brücke" zwischen der Gemeinschaft in Brüssel und den Staaten des europäischen Nordens fungieren könnte
III. Aktuelle Probleme und Zukunftsaussichten
1. Die Auseinandersetzungen um den Verteidigungsbeitrag Dänemarks und der beabsichtigte Austritt Grönlands aus der EG
Zwei Ereignisse in den vergangen Monaten haben gezeigt, daß Dänemark auch in Zukunft für NATO und EG kein einfacher Partner sein wird.
Im militärischen Bereich hat zu Anfang der achtziger Jahre vor allem das Schlagwort von der „Dänemarkisierung“ zur Kritik an dem beklagten Nachlassen der „Verteidigungsbereitschaft" Dänemarks und anderer, vor allem kleiner NATO-Partner Verbreitung gefunden. Insbesondere in den USA hatte sich Unmut breit gemacht, nachdem die Allianz 1977 in Washington verabredet hatte, die militärischen Ausgaben jährlich um real drei Prozent zu steigern.
In Dänemark entspann sich daraufhin in der Öffentlichkeit und zwischen den Parteien eine rege Debatte über den Umfang des zukünfti-gen Wehrhaushalts. Von der Regierung in Kopenhagen wurde diese Diskussion durch die Veröffentlichung von zwei Briefen angeheizt, in denen sich der amerikanische Verteidigungsminister im Frühjahr 1980 bei seinem Amtskollegen über die seines Erachtens zu geringen dänischen Leistungen beklagte und die Schwierigkeiten hervorhob, die eigene Bevölkerung und den Kongreß von der Notwendigkeit amerikanischer Hilfeleistung für seine Verbündeten — zumal in Krisenzeiten — zu überzeugen.
In Anbetracht der großen wirtschaftlichen Probleme konzentrierte sich Dänemarks interne Debatte vor allem auf die Frage, „mit wie wenig man bei den Verbündeten davonkommen" könne Die Politiker rechtfertigten die eigene Verteidigungspolitik und die im Vergleich zu den meisten Verbündeten tatsächlich geringen Eigenleistungen mit den Argumenten, daß das kleine Land am Ausgang der Ostsee den Alliierten besonders viel nutze, daß Dänemark eine besonders umfangreiche Hilfe für die Dritte Welt leiste, die das von den Vereinten Nationen gesteckte Ziel von 0, Prozent des Bruttosozialprodukts bereits übertreffe, und daß schließlich der dänische Verteidigungshaushalt eine automatische Sicherung gegen die Auswirkungen der Inflation enthalte.
Der von den führenden Parteien im Rahmen einer Verteidigungsplanung bis 1984 erzielte Kompromiß vom August 1981 sieht für das Jahr 1982 zumindest eine reale Erhöhung der Verteidigungsausgaben um ein Prozent vor. Der Anlaß für die Kritik der Alliierten ist damit keineswegs beseitigt, aber Dänemarks Regierung konnte immerhin darauf verweisen, daß erstmals seit den fünfziger Jahren wieder ein realer Zuwachs der Ausgaben für militärische Zwecke durchgesetzt wurde — trotz der seit 1977 besonders schlimmen Folgen der internationalen Wirtschaftskrise für Dänemark und der wachsenden internen Sorgen 7).
Auch mit der Europäischen Gemeinschaft haben sich neue Probleme ergeben, seitdem die Regierung in Kopenhagen bei der EG den Antrag gestellt hat, ein Ausscheiden Grönlands aus der Gemeinschaft zu ermöglichen und der Insel im Rahmen eines Assoziierungsvertrags einen Sonderstatus einzuräumen. Dieser Schritt war notwendig geworden, nachdem Dänemark seinem weit entfernten, von etwa 50 000 Einwohnern bewohnten Landesteil im Mai 1979 eine weitgehende Selbstverwaltung zuerkannt hatte. Daraufhin hatte eine Volksbefragung am 23. Februar 1982 zu dem Ergebnis geführt, daß 52 Prozent der an der Abstimmung beteiligten Grönländer ein Ausscheiden aus der EG wünschten. Ihnen ging es vor allem um größere Entscheidungsfreiheit in Fragen der Fischereipolitik, der Existenzgrundlage für die Bewohner der größten Insel der Erde.
Die EG steht damit vor dem heiklen Problem, daß im Fall ihrer Zustimmung ein möglicherweise kostspieliger Präzedenzfall geschaffen würde, auf den sich später auch andere ebenso autonome Landesteile von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft berufen könnten.
Aber auch Dänemark befindet sich zumindest gegenwärtig in einer prekären Lage, da es vom l. Juli bis 31. Dezember 1982 die Präsidentschaft des EG-Rates übernommen hat. So müßte man in Kopenhagen den Grönländern den europäischen Standpunkt erläutern und ein Ausscheiden verhindern, während das Nationalinteresse wohl die Verwirklichung des Austritts nahelegt. 2. Norwegen: Kontinuität in der Verteidigungspolitik und wachsende Bedeutung für die Energieversorgung Westeuropas Anders als sein südlicher skandinavischer Nachbar hat Norwegen mit keinen Leistungsbilanzproblemen zu kämpfen. In Oslo setzt man sich vielmehr mit den wirtschaftspolitischen, sozialen und umweltpolitischen Konsequenzen auseinander, welche die seit dem Jahre 1971 vorangetriebene Förderung von Erdöl und Erdgas aus der Nordsee verursacht hat und die bei einer Ausweitung der Nutzungsgebiete nach Norden in Zukunft zu erwarten sind. Die mit dem rapiden Ansteigen der Energiepreise in den siebziger Jahren einhergehende wachsende Rentabilität dieser Vorkommen hat Norwegen nicht nur zum Selbstversorger, sondern auch zum Energie-Exporteur gemacht.
Das Land konnte sich dadurch auch die Mittel verschaffen, um verhältnismäßig leicht die gewachsenen militärischen Anforderungen erfüllen zu können. Dies ist um so wichtiger, da das nördlichste Land der NATO in den siebziger Jahren angesichts der sowjetischen Flottenpolitik und der sich mit sowjetischen Interessen teilweise überschneidenden eigenen Absichten zur Nutzung des nördlichen Kontinentalschelfs sowie der Fischereizone erheblich an sicherheitspolitischer Bedeutung gewonnen hat.
Die norwegische Regierung traf außerdem eine allianzpolitisch bedeutsame Entscheidung, als sie im Januar 1981 nach mehrjährigen Verhandlungen mit den USA ein Abkommen über die Vorratslagerung von schwerem Kriegsgerät schloß, um im Falle eines Konflikts die rasche Verstärkung durch alliierte Truppen zu gewährleisten. Trotz einer lebhaften öffentlichen Diskussion und gegen den verhältnismäßig starken Widerstand inner19 halb der eigenen Partei, hatte sich die Führung der bis Herbst 1981 regierenden Arbeiterpartei in dieser Frage durchgesetzt. Die nach den Parlamentswahlen vom 13. /14. September 1981 gebildete konservative Regierung hat dieses Abkommen wie die atlantische Zusammenarbeit generell uneingeschränkt bekräftigt.
Die neue Regierung übernahm auch die noch von ihrer Vorgängerin getroffene Entscheidung, die neuen Waffendepots nicht in der Nähe der Grenze zur Sowjetunion anzulegen, sondern vielmehr ca. 1 000 km weiter südlich in Mittelnorwegen. Neben einigen militärischen Erwägungen, etwa der Schutzmöglichkeiten im Falle eines Konfliktes, sprachen für diesen Entschluß insbesondere übergeordnete politische Erwägungen. So sollte die traditionelle Orientierung der norwegischen Politik bekräftigt werden, die neben ihren Allianzverpflichtungen auch die besondere Stellung ihrer neutralen Nachbarn Finnland und Schweden sowie die Nähe zu militärisch sensitiven, unweit der Grenze gelegenen sowjetischen Militäreinrichtungen in Betracht zu ziehen suchte.
Das „prepositioning-Abkommen" mit den Vereinigten Staaten bekräftigt so den mehr als dreißigjährigen Kurs, der in Friedenszeiten zu einem Zustand möglichst geringer Spannungen beizutragen sucht, der sich für den Fall eines drohenden Konfliktes jedoch militärische Eskalationsmöglichkeiten vorbehält und Norwegens Regierung dadurch gegebenenfalls auch ein politisches Instrument an die Hand gibt.
Die Energievorräte vor der Küste Norwegens haben, wie bereits angedeutet, in den achtziger Jahren eine Bedeutung erlangt, die über die rein wirtschaftliche Ebene weit hinausgeht und die mittlerweile zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor der westeuropäischen Sicherheit geworden ist. Bereits Norwegens gegenwärtige Jahresproduktion von ca. 55 Millionen Tonnen Öläquivalenten entspricht zehn Prozent der Netto-Energieimporte Westeuropas. Bei einer (geplanten) Förderungsmenge von 90 Mio. Tonnen würden die für den Export zur Verfügung stehenden 80 Mio. Tonnen bereits 17 Prozent der derzeitigen Energieimporte der EG ausmachen Die norwegische Regierung hat sich in ihrem im April 1981 beschlossenen langfristigen Programm für eine Erforschung des nördlichen Festlandsockels ausgesprochen und beabsichtigt, bei weiterhin günstigen Indizien mit der Erschließung dieser Energiequellen zu beginnen.
Nicht nur für die nordischen Staaten, sondern auch für Westeuropa ergeben sich hierdurch wichtige Impulse zu einer verstärkten ener-gie-und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit. Angesichts der gegenwärtig und auf absehbare Zeit weiter bestehenden Abhängigkeit der EG-Staaten von Öllieferungen aus dem Nahen und Mittleren Osten kann die Bedeutung dieser Vorräte in verhältnismäßig günstiger Entfernung nur betont werden. So würden im Falle einer denkbaren Wiederholung der Situation der Jahre 1973/74, als der vierte arabisch-israelische Krieg einen zeitweisen Öllieferstopp nach sich zog, die norwegischen Vorkommen für eine dann möglicherweise unabdingbare Notbewirtschaftung einen wichtigen, wenn auch bei weitem nicht ausreichenden Teil des gegenwärtigen Bedarfs der EG-Staaten decken.
Auch norwegische Politiker haben ihr verstärktes Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit den Staaten Westeuropas und der EG betont. So sprach etwa Norwegens Außenminister Svenn Stray in einem unlängst gehaltenen Vortrag davon, daß Europa für sein Land „wieder zu einem zentralen politischen Thema geworden" sei, und er verwies insbesondere auf die außenpolitische Kooperation der EG-Staaten im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), die nach seiner Ansicht „in immer größerem Maß einen ausgleichenden Faktor im Verhältnis der Supermächte zueinander abgeben" könnte Mit der seit 1982 intensivierten Kooperation zwischen Norwegen und der EPZ suche sein Land bei dieser neuen Entwicklung „ein Wörtchen mit(zu) reden". Außerdem bestünden seit 1981 zur EG-Kommission regelmäßige Kontakte auf der Ebene der Außenminister Damit ergeben sich für die zukünftigen Beziehungen zwischen Norwegen und Westeuropa auf beiden Seiten interessante Ansätze zu einer verstärkten Kooperation, was eines Tages das Wort vom „eigenwilligen Nordeuropäer''korrigieren könnte.