Parlamentarisches System und bundesstaatliche Ordnung
Hartmut Klatt
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Zusammenfassung
Parlamentarisches System und bundesstaatliche Ordnung stellen zwei Gestaltungsprinzipien dar, die im Grundgesetz als Leitlinien der staatlichen Organisation verankert sind. Im Rahmen der Studie wird versucht, die Entwicklungstendenzen der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik zu skizzieren. Als Stationen dieser Entwicklung können die Begriffe des „unitarischen Bundesstaates“ (Konrad Hesse), des „kooperativen Föderalismus“ (Finanzreform-Kommission) sowie der „Politikverflechtung“ (Fritz W. Scharpf) gelten. Der kooperative Föderalismus als aktuelle Ausgestaltung der bundesstaatlichen Ordnung wird auf Bund-Länder-Ebene ebenso wie im Zwischenländer-Bereich durch bestimmte Funktionsmechanismen charakterisiert. Hierzu gehören das Aushandeln als Muster der Konfliktregelung, Konsensbildung auf der Basis von Minimallösungen, die Planungs-und Entscheidungsstruktur von Exekutiven sowie die sektorale Kooperation und Koordination. Das Verflechtungssystem zwischen Bund und Ländern sowie der Länder untereinander hat darüber hinaus entscheidende Änderungen des politischen Systems der Bundesrepublik bewirkt Zu diesen Auswirkungen zählen die Dominanz der Fachbürokratien, die Einschränkung des Gestaltungsspielraums der Länder wie des Bundes und die mangelnde Transparenz bzw. Zurechenbarkeit bei gemeinsamer Planung, Entscheidung und Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Auch die Effizienz der administrativen Verfahren und der Aufgabenerfüllung im Verbund läßt zu wünschen übrig. Der gravierendste Mangel, der im System des kooperativen Föderalismus konstatiert werden muß, besteht in der Ausschaltung der parlamentarischen Körperschaften aus dem politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß. Bundestag und Landtage sind trotz verfahrensmäßiger Beteiligungsmöglichkeiten von inhaltlicher Mitwirkung bei Gemeinschaftsaufgaben und Investitionshilfen, bei rechtlichen Vereinbarungen ebenso wie bei Beschlüssen der Koordinierungsgremien ausgeschlossen. Erschwerend kommt hinzu, daß in diesen Fällen auch die nachträgliche Parlamentskontrolle leerläuft Bei dieser Analyse zeigt sich, daß das Verhältnis des föderativen zum demokratisch-parlamentarischen Verfassungsprinzip nicht spannungsfrei verläuft Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß der Parlamentarismus in der Bundesrepublik in entscheidenden Punkten durch den kooperativen Föderalismus modifiziert genauer gesagt eingegrenzt wird. Diese Konfliktlagen zwischen parlamentarischem System und bundesstaatlicher Ordnung sind näher gekennzeichnet worden, weil sie manche Auseinandersetzungen in den letzten Jahren zwischen Bund und Ländern sowie zwischen einzelnen Ländern wenn nicht vollständig erklären, so doch verständlicher machen. Angesichts der ernsten Gefahr, daß die Parlamente im Rahmen des kooperativen Föderalismus an den Rand des politischen Geschehens gedrängt werden, sind Wissenschaft und Politik herausgefordert, Gegenstrategien zu entwickeln. Da die Möglichkeiten parlamentarischer Mitwirkung im Rahmen der Bund-Länder-Zusammenarbeit sowie der Zwischenländer-Beziehungen begrenzt sind und dadurch das föderative Verflechtungssystem noch weiter stabilisiert würde, stellt sich die Frage nach Alternativen zum bestehenden Zustand. In diesem Zusammenhang ist auf verschiedene Modellentwürfe für eine Bundesstaatsreform eingegangen worden, die in den vergangenen Jahren diskutiert wurden. Im Ergebnis wird die Stellung der Parlamente nur in dem Maße verbessert werden können, in dem der Verbund zwischen den staatlichen Ebenen bzw. ihren Akteuren abgebaut und die Struktur des Konkurrenzföderalismus neu geordnet wird.
Konkurrenzföderalismus als Alternative zum kooperativen Bundesstaat
1976 ist die 34. und bisher letzte Änderung des Grundgesetzes vorgenommen worden. Verglichen mit ausländischen Verfassungen, z. B.der der Vereinigten Staaten, dokumentiert sich in dieser Entwicklung ein recht kurzatmiges Verfassungsverständnis, selbst wenn man die besonderen Bedingungen bei der Entstehung des Grundgesetzes (beschränkte Souveränität; provisorischer Charakter) berücksichtigt. Die kritische Diskussion um die permanente Reform der geschriebenen Verfassung hat möglicherweise Entwicklungstendenzen in den Hintergrund treten lassen, die sich als Wandel ohne Eingreifen des Verfassungsgesetzgebers vollzogen haben. Ein solcher „stiller" Verfassungswandel ist im Hinblick auf die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes festzustellen. Das System des kooperativen Föderalismus als aktueller Ausprägung des deutschen Bundesstaates hat entscheidende Änderungen des Regierungssystems der Bundesrepublik bewirkt. Mit der Finanzreform von 1969 sind einige Teile der neuen bundesstaatlichen Ordnung, vor allem die Gemeinschaftsaufgaben und Investitionshilfen, verfassungsrechtlich institutionalisiert worden. Aber das ganze Ausmaß des Wandels, der mit den Begriffen des „unitarischen Bundesstaates" des „kooperativen Föderalismus" sowie der „Politikverflechtung" umrissen wird, ist in der Öffentlichkeit und in der Publizistik bisher unzulänglich reflektiert worden. Im folgenden wird versucht, die Entwicklungslinien der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik nachzuzeichnen und die Folgen des kooperativen Föderalismus für das politische System zu verdeutlichen. Der Beitrag ist Teil eines größeren Forschungsprojektes.
I. Entstehung und Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung
Das Grundgesetz enthält in Art. 20 Abs. 1 die politische Grundentscheidung für einen bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik. Die Väter der Verfassung haben das föderative System dahin gehend ausgestaltet, daß Gesetzgebungskompetenzen, Verwaltungsbefugnisse und Finanzmittel zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wurden. Die zuständigen Organe beider staatlichen Ebenen erfüllen die ihnen vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben selbständig und in eigener Verantwortung Die ursprünglich relativ strikte Aufgaben-und Ausgabentrennung zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern ist zunehmend von einem engen Zusammenwirken auf praktisch allen Gebieten abgelöst worden. Seit 1969 auch verfassungsrechtlich verankert, entscheiden Bund und Länder bzw. die Länder untereinander heute politisch kaum mehr allein. Sie erfüllen die staatlichen Aufgaben vielmehr weitestgehend im Verbund, unabhängig davon, wer die Gesetzgebungsbzw. die Verwaltungszuständigkeit hat oder wer über die Finanzhoheit verfügt. Der Bund iSt nicht mehr auf die Gesetzgebung beschränkt, sondern über die gemeinsame Planung, Koordinierung und Finanzierung auch an der Ausführung beteiligt. Die Länder (und bis zu einem gewissen Grad auch die Gemeinden und Gemeindeverbände) sind nicht mehr auf den Gesetzesvollzug allein verwiesen, sondern ihrerseits in den Planungs-und Entscheidungsprozeß einbezogen. Das Steueraufkom-men wird zur Finanzierung der gemeinsam fixierten Aufgaben und Maßnahmen verwendet und nach einem bestimmten Schlüssel von beiden Seiten aufgebracht. In diesem System der Politikverflechtung (Verbund von Bund und Ländern bzw.der Länder untereinander) sind alle Partner mehr oder weniger in die Entscheidungen einbezogen, ohne sie jeweils allein treffen oder verantworten zu müssen. Der 1949 eher dualistisch konzipierte Bundesstaat hat erkennbar einem kooperativen Föderalismus Platz gemacht
Selbstkoordination der Länder
Zu unterscheiden ist hierbei die umfangreiche Selbstkoordination der Länder untereinander (sog. Dritte Ebene) von der Bund-Länder-Kooperation (sog. Vierte Ebene). Die horizontale Koordinierung auf der Länderebene vollzieht sich in vielfältigen informellen und formellen Formen. Zu den Instrumenten, mit deren Hilfe die Länder ihre Ziele und Maßnahmen aufeinander abstimmen, gehören die Ministerpräsidenten-Konferenzen (seit 1952/54 wieder aufgenommen) bzw. die Arbeitsbesprechungen der Länderregierungschefs, die Konferenzen der Länder-Fachminister (mit der organisatorisch am stärksten ausgestalteten Ständigen Kultusministerkonferenz) sowie die regelmäßigen Treffen von Vertretern der Staats-bzw.
Senatskanzleien. Hinzu kommen von den Rgierungen eingesetzte Ausschüsse und Kon missionen, ständige Koordinationsgremie der Ministerialverwaltungen sowie Abmchungen zwischen einzelnen oder allen Bui desiändern in Form rechtlicher Vereinbarur gen. Staatsverträgen müssen jeweils die Lane tage zustimmen (so z. B. über die Errichtun des ZDF oder über die Rundfunkgebühren Verwaltungsabkommen können die Landesre gierungen ohne Mitwirkung der Parlament abschließen. Die Konstituierung einer Dritte; Ebene zwischen Bund und Ländern, auf der di Gesamtheit der Länder in Form bestimmte Institutionen oder rechtlicher Vereinbarun gen dem Bund gegenübertritt, ist auf verfas sungsrechtliche Kritik gestoßen. Die herr sehende Meinung in der staatsrechtlichen Li teratur hält diese Kooperation der Bundeslän der untereinander jedoch für vereinbar mi dem Grundgesetz Für die Landesregierun gen und Verwaltungen ist die Politikverflech tung auf der Dritten Ebene zur alltäglichen po litischen Praxis geworden.
Bund-Länder-Kooperation
Der zweite Aspekt des kooperativen Föderalismus besteht in der Zusammenarbeit und Koordination zwischen Bund und Ländern. Auf dieser Vierten Ebene hat sich ein verzweigtes und kompliziertes Gefüge informeller Beziehungen und formeller Kooperationsmechanismen herausgebildet Zu den institutionalisierten Formen gehören die Besprechungen zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder, die Zusammenkünfte der Ressortminister des Bundes und der Länder sowie der Spitzen der Bundes-und Länder-Ministerialbürokratien. Durch rechtliche Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern im Kulturbereich sind Koordinierungsgremien mit planerischen Funktionen geschaffen worden (Wissenschaftsrat 1957; Bildungsrat 1965, der 1975 wieder aufgelöst wurde). Hunderte von ständigen Bund-Länder-Ausschüssen befassen sich mit der Angleichung von Gesetzen und Verordnungen, mit der Abstimmung der Verwaltungspraxis sowie mit der Vorbereitung politischer Entscheidungen auf Ministerebene. Faktisch sind Bundes-und Länderministerien in jedem Tätig eitsbereich der Exekutive in irgendeiner orm, informell oder institutionell, miteinaner verflochten. Mit der Finanzverfassungsreorm von 1969 wurde die Praxis der Mitfinanierung von Länderaufgaben durch den Bund ondswirtschaft) im Grundgesetz verankert. u den verfassungsrechtlich institutionalisieren Instrumenten der Bund-Länder-Kooperaion zählen das Institut der Gemeinschaftsaufaben nach Art. 91a GG (Ausbau und Neubau on Hochschulen einschließlich der Hochchulkliniken, regionale Wirtschaftsstruktur, Agrarstruktur und Küstenschutz), das Zusamnenwirken im Bildungsbereich und bei der lörderung der überregionalen wissenschaftlihen Forschung (Bund-Länder-Kommission ür Bildungsplanung und Forschungsfördeung) nach Art. 91b GG sowie die Investitionsülfen des Bundes für Länder und Gemeinden iach Art. 104 a Abs. 4 GG (Städtebaufördeung; sozialer Wohnungsbau; Gemeindevertehrsfinanzierung und Krankenhausfinanzieung). Die auf wirtschafts-und finanzpolitischem Gebiet tätigen Koordinationsgremien inanzplanungsrat und Konjunkturrat für die iffentliche Hand dienen der Abstimmung der Haushalts-und Finanzpolitik von Bund und Ländern.
Die Rolle des Bundesrates
Die Stellung des Bundesrates ist die eines Bundesorgans mit der Aufgabe, an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes gemäß Art. 50 GG mitzuwirken Der Bundesrat ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine mit dem Bundestag gleichberechtigte Länderkammer in einem einheitlichen Zwei-Kammer-System Seine Mitwirkung am Gesetzgebungsprozeß auf Bundesebene bezieht sich deshalb sowohl auf Zustimmungsgesetze, die ohne Votum des Bundesrates nicht zustande kommen, als auch suf Einspruchsgesetze, bei denen nach einem
Vermittlungsverfahren der Bundesrat durch den Bundestag überstimmt werden kann.
Die Stellung des Bundesrates ist, parallel zur Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung in Richtung auf ein enges Verflechtungssystem zwischen den Ländern sowie zwischen Bund und Ländern, gestärkt worden. Die Länder haben sich die Verlagerung von Gesetzge-bungskompetenzen auf den Bund durch verstärkte Mitwirkungsbefugnisse an der Bundesgesetzgebung kompensieren lassen. Bundesgesetzliche Regelung hatte damit eine Stärkung des Bundesrates zur Folge.
Neben der föderativen ist die parteipolitische Komponente bei der Entwicklung des Bundes-rates zu beachten. Seit 1969 werden die Mehrheiten in den beiden gesetzgebenden Körperschaften des Bundes von unterschiedlichen Parteien bzw. Koalitionen gebildet. Einer sozialliberalen Mehrheit von SPD und FDP im Bundestag steht eine Mehrheit im Bundesrat ge-genüber, die sich aus CDU-bzw. CSU-geführten Landesregierungen zusammensetzt. Da die Unionsländer von ihrer Mehrheit im Bundesrat Gebrauch machen, stehen sich wie im Bundestag so auch im Bundesrat parteipolitische Fronten gegenüber. Von Seiten der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit ist dem Bundesrat daraufhin vorgehalten worden, in Gesetzgebung und Verwaltungspraxis des Bundes zu einem Organ der Opposition umfunktioniert worden zu sein. Legt man die Bilanz der Gesetzgebung zugrunde, läßt sich der Vorwurf, die Unionsparteien mißbrauchten ihre Mehrheitsposition im Bundesrat zu parteipolitischen Zwecken, pauschal nicht aufrechterhalten.
Die Frage, ob parteipolitische Auseinandersetzungen im Bundesrat zulässig sind, ist auch in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich beantwortet worden. Der Auffassung vor Maunz wonach es der Wille des Grundge setzes sei, daß nur im Parlament das Volk par teipolitisch gegliedert repräsentiert werde hat Leibholz die These entgegengesetzt, daf der Bundesstaat durch den Parteienstaat über lagert werde. Als unbestritten kann jedoch gelten, daß die unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat zu Willensbildungs-und Entscheidungsprozessen führen, die denen im kooperativen Föderalismus ähneln -Mit der Mehrheitsposition der CDU/CSU im Bundesrat ergab sich die Möglichkeit für die Unionsparteien, über die Ländervertretung in der Bundespolitik mitzuregieren. Als Mittel der Konfliktregelung und Konsensbildung wird der schwierige und langwierige Weg des Aushandelns beschritten, an dessen Ende ein Kompromiß aller politischen Kräfte, also die Allparteien-Koalition, steht.
II. Funktionsmechanismen des Verflechtungssystems
Der kooperative Föderalismus als System der Planung, Entscheidung und Finanzierung gemeinsamer Aufgaben hat spezifische Funktionsmechanismen entwickelt. Diese charakterisieren die Beziehungen der Länder untereinander ebenso wie das Verhältnis zwischen Bund und Ländern
Aushandeln als Muster der Konfliktregelung Bund und Länder sowie die Länder untereinander besitzen staatliche Qualität; sie sind gleichgeordnet, d. h. sie befinden sich nicht in einem über-bzw. Unterordnungsverhältnis. Die Lösung gemeinsamer Aufgaben und die Regelung von Konflikten setzt partnerschaftliches Zusammenwirken im Wege von Verhandlungen voraus. Das Mittel, um Entscheidungen zu treffen und Konsens herzustellen, sind zwei-oder mehrseitige Verhandlungen. Diese Form politischen Handelns ist in den Planungsausschüssen der Gemeinschaftsaufgaben, in den Ministerkonferenzen bzw.den Koordinierungsgremien der Ministerialbürokratie ebenso anzutreffen wie bei der Vorbereitung von Staatsverträgen oder Verwaltungsabkommen. Am Ende der Verhandlungen können Gesetzentwürfe, Verordnungen, Erlasse, rechtliche Vereinbarungen oder form-lose Absprachen stehen.
Konsensbildung auf der Basis von Minimallösungen
Einen Kompromiß bei Verhandlungen zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen zu erreichen, erfordert den Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Dabei lassen sich durchgehend mindestens drei Konfliktmuster feststellen, die unterschiedlich stark ausgeprägt sind:
— Aus dem bundesstaatlichen System resultierende Interessengegensätze (föderative Konfliktlagen);
Kombiniert man diese drei möglichen Konfliktlagen mit der Zahl der beteiligten Verhandlungspartner (in der Regel neben dem Bund mehrere oder alle elf Länder bzw. zwei oder mehrere Länder untereinander), so wird deutlich, daß der Einigung auf gemeinsame Lösungen sachlich schwierige, organisatorisch komplizierte und zeitaufwendige Beratungsund Entscheidungsprozesse vorausgehen. Die Gleichrangigkeit der Verhandlungspartner setzt in der Regel die Zustimmung aller Beteiligten zu gemeinsamen Ergebnissen voraus. Staatsverträge und Verwaltungsabkommen, Beschlüsse von Ministerkonferenzen oder Mustergesetzentwürfe, die von Bund und Ländern oder zwischen den Ländern ausgehandelt werden, basieren auf dem Einstimmigkeitsprinzip. In den Planungsausschüssen der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a GG sind zwar Mehrheitsentscheidungen möglich, aber Kampfabstimmungen werden nach Möglichkeit dennoch vermieden Das Einstimmigkeitsprinzip vervielfacht die Notwendigkeit, in Gesprächen und Verhandlungen gemeinsame Positionen anzustreben und sich in nahezu allen Fragen abzustimmen. Erforderlich ist eine „höchst komplizierte, planerische, finanzielle, säulenartige Abstimmungsmaschinerie Am Ende eines solchen Willensbildungsprozesses
stehen notwendigerweise Minimallösungen.
Planungs-und Entscheidungsstruktur der Exekutiven
Die Akteure, die im System des kooperativen Föderalismus handeln und entscheiden, sind die Exekutiven von Bund und Ländern. Lehm-brach charakterisiert die bundesstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik folgerichtig als Exekutivföderalismus. Dabei ist funktional zu unterscheiden zwischen Regierung und Verwaltung. Die Regierungen sind zuständig für die inhaltliche Zielsetzung und die politi-sehe Entscheidung. Informationsbeschaffung und -Verarbeitung, Entwickeln von Alternativen und Umsetzen der Zielvorhaben in Entwürfe oder Programme fällt in den Aufgabenbereich der Ministerialbürokratie. Die Fach-beamten in den korrespondierenden Bundes-und Länderministerien, die hochspezialisiert sind, arbeiten auf horizontaler und vertikaler Ebene eng zusammen. Eine Fülle von interministeriellen Gremien zwischen den Ebenen dient dem Erfahrungs-und Meinungsaustausch, vor allem aber der inhaltlichen Abstimmung und der verfahrensmäßigen Absprache zur Behandlung gemeinsamer Probleme. Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse im Exekutivbereich vollziehen sich weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Durch kontinuierliche Beschäftigung monopolisiert die Koordinationsbürokratie das notwendige Sachwissen.
Sektorale Kooperation und Koordination
Die Zusammenarbeit der Regierungen und Verwaltungen im Bund-Länder-Verhältnis ebenso wie im Zwischenländer-Verhältnis erfolgt im Rahmen der jeweiligen Fachzuständigkeiten. Diese Ressortorientierung läßt sich z. B. an der Wahrnehmung der Gemeinschaftsaufgaben aufzeigen. Bei der Planung, Entscheidung und Finanzierung wirken die fachlich zuständigen Ministerialbürokratien sowie die Ressortminister von Bund und Ländern zusammen. Zwischen fachlich verwandten Gebieten, z. B.der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Verbesserung der Agrarstruktur, fehlt eine strukturpolitisch sinnvolle Abstimmung der vorgesehenen Maßnahmen. Eine übergreifende Koordinierung der einzelnen Gemeinschaftsaufgaben oder Programme wird weder von den Kabinetten, die politisch entscheiden, noch von den Finanzministern geleistet. Die Kritik an den sektoralen Verbünden zur Erledigung öffentlicher Aufgaben, nicht zuletzt eine Folge der Konkurrenz zwischen den einzelnen Fachressorts, ist von Frido Wagener in den pointierten Formulierungen von den „vertikalen Fachbruderschaften“ bzw.der „vertikalen Ressort-Kumpanei“ zusammengefaßt worden
III. Auswirkungen des kooperativen Föderalismus
Neben der Darstellung der Funktionsmechanismen ist die Analyse der Folgen des kooperativen Föderalismus von Bedeutung. Im Vordergrund stehen strukturelle Fragen, die sich aus dem System der gemeinsamen Aufgaben-planung und -finanzierung sowie aus der ebenenübergreifenden Verflechtung ergeben
Effizienzaspekte
Die Effizienz bei der Planung und Erfüllung gemeinsamer Aufgaben von Bund und Ländern sowie der Länder untereinander wird in doppelter Hinsicht als unzureichend eingestuft. Zum einen geht es dabei um Bürokratisierungstendenzen und um den hohen Verwaltungsaufwand. Die Verwaltung auf mehreren staatlichen Ebenen kompliziert den Ablauf in den einzelnen Behörden und führt vielfach zu ineffektiver Doppelarbeit. Die Vielzahl von Ausschüssen und Gremien setzt zeit-und arbeitsaufwendige Abstimmungsprozesse voraus, um Lösungen erzielen zu können. Die Mehrzahl von Experten neigt zu perfektionistischen Regelungen. Der bürokratische Apparat insgesamt tendiert eher zu einer Ausweitung als zu einer Begrenzung der Sachausgaben und der Personalkosten.
Zum anderen werden Mängel konstatiert, die sich ergeben, legt man den Maßstab der Kosten-Nutzen-Relation an. Bezogen auf die Gemeinschaftsaufgaben läßt sich dies folgendermaßen verdeutlichen: Bis Ende der siebziger Jahre, als steigende Finanzmittel zur Verfügung standen, wirkten die Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen bei Bund, Ländern (und Gemeinden) in Richtung auf eine Ausweitung der Gesamtausgaben, da von der Länderseite jeweils nur die Komplementärmittel für das vom Bund bereitgestellte Finanzvolumen aufgebracht werden mußten. Das Angebot an Fremdmitteln bei gemeinsam finanzierten Projekten erhöhte die Ausgaben-bereitschaft und führte häufig zur Vernachlässigung der Folgekosten. Anstatt die Finanzmittel zum Ausgleich regionaler Disparitäten in der Agrarstruktur und der Wirtschaftsstruktur konzentriert einzusetzen, wurde bei der Verteilung der Bundesmittel auf die einzelnen Länder nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung und Besitzstandswahrung verfahren. Auch was die Zielerreichung des gesamten Systems der Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierungen betrifft, kann nicht von einer uneingeschränkt positiven Bewertung ausgegangen werden. Ein skeptischer Unterton klingt mit, wenn darauf hingewiesen wird, daß die Erwartungen an die Effizienz gemeinsamer Aufgabenerledigung von Bund und Ländern sich nur teilweise erfüllt hätten.
Dominanz der Fachbürokratien
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß im Rahmen des Beratungs-und Entscheidungssystems der horizontalen und vertikalen Exekutiven den Ministerialbürokratien eine entscheidende Rolle zukommt. Die kontinuierliche und spezialisierte Informationssammlung, -aufbereitung und -Verarbeitung läßt bei den zuständigen Fachbeamten ein Monopol an Sachwissen und verfahrensmäßigen Kenntnissen entstehen. Auf die langwierigen und komplizierten Vorbereitungsarbeiten, z. B. für Rahmenpläne oder für die Verhandlungen zu einem Staatsvertrag, können die Fachminister in der Regel keinen Einfluß nehmen. Dazu fehlt ihnen die Arbeitszeit und -kraft. Da die politischen Entscheidungen auf der Grundlage der Vorarbeiten der Ministerialbürokratie getroffen werden, schlägt Quantität in Qualität um. Die politischen Entscheidungen werden im Grunde genommen durch die Vorlagen und Vorarbeiten der Fachbürokratie vorweggenommen. Wiederum sei das Beispiel der Gemeinschaftsaufgaben angeführt: Schon die Anmeldungen zu den einzelnen Rahmenplänen sind das Werk der Fachreferenten im jeweiligen Ressort. Während der Fachminister noch auf die Ausgestaltung Einfluß nehmen könnte, handelt es sich bei der Entscheidung des Kabinetts nur noch um die formale Zustimmung. In den Planungsausschüssen wiederholt sich dieser Willensbildungsprozeß, Wird die Ministerialbürokratie bei der Wahrnehmung der Gemeinschaftsaufgaben zum eigentlichen Entscheidungsträger, so werden damit die Politiker an den Rand gedrängt An die Stelle politischer Entscheidungen durch Regierung und Parlament tritt die bürokratische Steuerung der Politik.
Einschränkung des Gestaltungsspielraums
Die Landesregierungen sind zwar neben der Bundesregierung die Hauptakteure im System des kooperativen Föderalismus. Sie sitzen in den Planungsausschüssen der Gemeinschaftsaufgaben, sie handeln Staatsverträge oder Verwaltungsabkommen aus und stimmen ihre Pläne sowie ihr weiteres Vorgehen in Ministerkonferenzen aufeinander ab. Dennoch beklagen die Länder eine entscheidende Einschränkung ihres politischen Gestaltungsspielraums, z. B. bei den Gemeinschaftsaufgaben. Für die Aufgaben Agrarstruktur, regionale Wirtschaftsstruktur sowie Hochschulbau, die vorher der alleinigen Zuständigkeit der Länder unterstanden, hat der Bund ein Mitspracherecht. Die Möglichkeit zu selbständiger politischer Gestaltung durch Landesgesetzgebung und Verwaltung ist damit erheblich eingeschränkt worden. Die Selbständigkeit des einzelnen Landes in bezug auf Planung und Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben ist auf komplementäre Landesförderprogramme beschränkt, weil die Länder die an Vereinbarungen in den Planungsausschüssen gebunden sind und diese auch dann durchführen müssen, wenn sie im Planungsausschuß gegen den Rahmenplan votiert haben. Hinzu kommt, daß der Bund bei der Entscheidung über den Finanzrahmen für die Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben ebenfalls dominiert. War in Zeiten voller Kassen von der . Angebotsdiktatur''des Bundes und vom „Goldenen Zügel“ die Rede, so hat sich die Situation für die Länder angesichts knapper Bundesfinanzen nicht geändert. Der Bund beklagt, durch die Verflechtung bei der Aufgabenerfüllung an der Durchsetzung gesamtstaatlicher Belange nicht selten gehindert zu werden und sein politisches Steuerungspotential nur minimal einsetzen zu können.
Darüber hinaus bleibt zu berücksichtigen, daß nicht nur im Bund-Länder-Verhältnis eine inschränkung des Gestaltungsspielraums der ander eintritt. Dies ist vielmehr auch im Be-reich der Selbstkoordinierung der Länder zu beobachten. Auch durch Beschlüsse der Ministerkonferenzen der Länder, durch Staatsverträge und Verwaltungsabkommen wird die Eigenständigkeit der Länder auf Gebieten, die bisher ihrer alleinigen Zuständigkeit unterlagen, fühlbar eingeengt. Die Kultusminister-konferenz hat beispielsweise mit ihren Empfehlungen und Vereinbarungen im Interesse bundeseinheitlicher Regelungen der bildungsund kulturpolitischen Autonomie der einzelnen Länder Grenzen gezogen.
Mangelnde Transparenz
Als ein Grundprinzip des parlamentarischen Regierungssystems muß die Verantwortlichkeit der Regierung vor dem Parlament bezeichnet werden. Das Parlament kann aber die Regierung nur kontrollieren und die Wähler können in freier Entscheidung ein demokratisches Mandat nur dann erteilen, wenn die politische Verantwortung der Regierung für Maßnahmen und Entscheidungen klar zurechenbar ist. An dieser Zurechenbarkeit und Zuordnung politischer Entscheidungen zu den handelnden politischen Kräften fehlt es aber gerade im kooperativen Föderalismus. Das Verflechtungssystem zwischen Bund und Ländern ebenso wie zwischen den Ländern untereinander ist dadurch gekennzeichnet, daß Aufgaben, Entscheidungs-und Finanzierungskompetenz in einer Weise miteinander verschränkt sind, die der jeweils eigenständigen Verantwortung der Partner nicht gerecht wird. Die gemeinsame Wahrnehmung von Zuständigkeiten und Funktionen im System der Politikverflechtung führt notwendigerweise zu einer Vermischung der Verantwortungsbereiche. Dies hat Folgen in zweierlei Hinsicht. Die Bürger und Wähler haben keine Möglichkeit mehr, die Verantwortung für politische Entscheidungen bestimmten politischen Kräften bzw. Parteien zuzuordnen und entsprechende (Wahl) Konsequenzen zu ziehen. Denn die mangelnde Transparenz gemeinsamer Entscheidungen löst politische Verantwortung auf. Wer auf vielen Gebieten miteinander zusammenarbeitet, ist aufeinander angewiesen, kann also auch jeweils die andere Seite für sein Tun oder Unterlassen verantwortlich machen. Bund und Länder können sich wechselseitig absichern, indem sie selbständige politische Entscheidungen nicht treffen oder die Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen der jeweils anderen Seite zuschieben.
Ausschaltung der Parlamente
Der sicherlich gravierendste Mangel, der im System des kooperativen Föderalismus bewirkt wird, besteht in der Ausschaltung der parlamentarischen Körperschaften auf der Ebene des Bundes und der Länder. Dieser Sachverhalt bedarf einer eingehenden Analyse nicht nur, weil er in der wissenschaftlichen Forschung und in der politischen Diskussion bisher mehr am Rande erwähnt worden ist, sondern auch, weil die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes vom strikt repräsentativen Prinzip ausgeht. Dies gilt, abgesehen von plebiszitären Elementen in einigen Verfassungen, auch für die Länder. Demokratische Legitimation wird demnach ausschließlich durch die Parlamente vermittelt. Entscheidungen der Exekutiven von Bund und Ländern bzw.der Länder untereinander bedürfen ebenso wie die Ausübung von Macht und Herrschaft auf der horizontalen Ebene der Legitimierung der Volksvertretungen als Repräsentationsorgane.
Gemeinschaftsaufgaben
Die weitgehende Ausschaltung der Parlamente aus dem Verhandlungs-und Entscheidungssystem des kooperativen Föderalismus läßt sich exemplarisch an den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG aufzeigen In der Phase der Ausarbeitung und Feststellung der Rahmenplan-Entwürfe zu den Gemeinschaftsaufgaben (Vorplanung) erfolgt keine Beteiligung der Landtage. Soweit die Landtage zu den Anmeldungen der Länder für die Rahmenpläne Stellung nehmen oder Wünsche vorbringen, wird dies häufig als unverbindli ehe Meinungsäußerung gewertet. Zudem er folgt die Vorlage der Entwürfe zu den Rah menplänen meist so spät, daß eine inhaltlich« Einflußnahme nicht mehr möglich ist. An der Vorentscheidungen der Exekutive werde: von den Landesparlamenten in der Rege keine Änderungen vorgenommen. Von den ei gentlichen Verhandlungen der Planungsaus schüsse (Planungsphase) sind die Parlament« ausgeschlossen, da in diesen Gremien nur Regierungsmitglieder und Exekutivbeamte, nicht aber Abgeordnete vertreten sind. Selbst soweit eine Unterrichtung und Sachberatung der Rahmenpläne im Plenum oder in den Fachausschüssen der Volksvertretungen erfolgt, werden die Ergebnisse der Rahmenplanung und die Beschlüsse der Planungsausschüsse nicht verändert. An den Aushandlungsprozessen der Exekutiven mit dem Ziel des Konsenses und mit dem Mittel des Kompromisses wirken die Landtage nicht mit. Nach der Verabschiedung der Rahmenpläne kommt den Parlamenten ein originäres Entscheidungsrecht im Rahmen des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens zu. Die Landtage müssen bei ihren Etatberatungen über die Bewilligung der in den Rahmenplänen enthaltenen Mittelansätze für die Gemeinschaftsaufgaben befinden. Dabei ist das Budgetbewilligungsrecht der gesetzgebenden Körperschaften unbestritten. Hinsichtlich der Gemeinschaftsaulgaben ist in Art. 91 a Abs. 4 Satz 4 GG der parlamentarische Haushaltsvorbehalt ausdrücklich statuiert. Das Etatrecht der Parlamente erweist sich jedoch in der politischen Praxis als ein „stumpfes Schwert". Die rechtliche Möglichkeit einer Modifikation oder Verweigerung der Haushaltsmittel zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben stellt lediglich eine theoretische Handhabe dar. Faktisch sind jedoch der Entscheidungsfreiheit der Volksvertretungen außerordentlich enge Grenzen gezogen. Bisher jedenfalls haben die Landtage durchweg die Mittelansätze der Regierungen in den Haushaltsplänen unverändert berücksichtigt. Für die Zwangslage der Parlamente bei der Bewilligung von Haushaltsmitteln läßt sich eine Reihe von Gründen anführen, auf die hier aus Raumgründen nicht eingegangen werden kann.
Haben die Landtage im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG noch gewisse verfahrensmäßige Mitwirkungsmöglich-B Seiten (Information und Beratung über die Entwürfe bzw. über die Änderungen der Rahmenpläne zu den Gemeinschaftsaufgaben), wird demgegenüber der Bundestag völlig an den Rand des Geschehens gedrängt. Dies folgt zum Teil bereits aus der Konstruktion der Gemeinschaftsaufgaben. Der Bund kann lediglich Länderaufgaben mitplanen und mitfinanzieren. Infolgedessen werden Maßnahmen und Projekte in den Rahmenplänen ausschließlich von den Ländern vorgeschlagen. Dem jeweils fachlich zuständigen Bundesminister steht das Recht zu, Vorschläge zu den Rahmenplänen zu unterbreiten. Dieses Recht beinhaltet das vorläufige Zusammenfügen der Anmeldungen; aber auch sachliche Initiativen sind möglich. Bundesminister (und Bundestag) können jedoch lediglich auf Förderkriterien, Zielpräferenzen oder Abgrenzung der Fördergebiete als allgemeine Rahmenbedingungen Einfluß nehmen. Auf die einzelnen Investitionsmaßnahmen und -projekte hat der Bund dagegen keinen Einfluß. Die mannigfachen Vorstöße im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages bis in die jüngste Zeit zeigen freilich, daß von einer verfahrensmäßigen Beteiligung des Bundesparlaments keine Rede sein kann.
In bezug auf die Bewilligung der Haushaltsmittel für die Gemeinschaftsaufgaben ist die Interessenlage des Bundestages von der der Landtage verschieden. Die Gemeinschaftsaufgaben sind und bleiben Länderaufgaben; der Bund hat die Rolle eines Mitfinanziers, nicht aber die eines finanziellen Nutznießers. Infolgedessen ergeben sich Möglichkeiten, die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgaben aus Gründen einer Umschichtung der Mittel innerhalb des Haushaltes oder des allgemeinen Etatausgleichs zu kürzen. Hiervon wurde in den Jahren 1974 und 1976 im Rahmen der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Gebrauch gemacht; 1981 wurden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben von Seiten des Bundes generell um 20 Prozent gekürzt. Zu berücksichtigen bleibt dabei freilich, daß diese Gestaltung des Haushaltsvolumens durch Initiativen der Bundesregierung mitbeeinflußt wurde.
Was für die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG gesagt wurde, gilt in gleichem Maße auch für die Bildungsplanung und Forschungsförderung nach Art. 91 b GG sowie für die Mischfinanzierungen nach Art. 104 a Abs. 4 GGI Im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes haben deshalb die Fraktionsvorsitzenden der CDU und CSU gefordert, vor der Verabschiedung in der Bund-Länder-Kommission den Bildungsgesamtplan in den Landtagen zu beraten.
Staatsverträge und Verwaltungsabkommen
Der fatale Zwang, sich vor vollendete Tatsachen gestellt zu sehen, ergibt sich für die Parlamente auch bei anderen Instrumenten und Verfahren im Bund-Länder-sowie im Zwischenländer-Verhältnis. Die Abstimmung gesetzlicher Regelungen oder der Verwaltungspraxis führt häufig zu rechtlichen Vereinbarungen Bei Staatsverträgen besitzen die Parlamente ein Zustimmungsrecht in Gesetzesform. Dieses Zustimmungsrecht ist jedoch in aller Regel formaler Natur, da auf das Zustandekommen des Staatsvertrages bzw. auf den Vertragsinhalt kein Einfluß genommen werden kann. Ein eindrückliches Beispiel für dieses parlamentarische Dilemma ist die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über eine Zahlung der Länder zum Ausgleich der finanziellen Folgen des Steuerentlastungsgesetzes 1981 Dieser Staatsvertrag wurde inhaltlich im Vermittlungsausschuß ausgehandelt. Die Parlamente von Bund und Ländern mußten nolens volens ratifizieren. Verwaltungsabkommen bedürfen von vornherein keiner parlamentarischen Zustimmung. Obwohl sie teilweise im Parlament vorgelegt werden, sind sie keiner inhaltlichen Einflußnahme zugänglich. Dies ist insofern von großer Bedeu-tung, als ein ansehnlicher Teil der Bund-Länder-Programme nach Art. 104 a Abs. 4 GG für Investitionen der Länder und Gemeinden zur Konjunktur-und Strukturförderung (so jüngst das Programm über den Ausbau der Fernwärmeversorgung) in Form von Verwaltungsvereinbarungen geregelt wird.
Beschlüsse oder Absprachen von Koordinierungsgremien
Für Beschlüsse oder Absprachen von Konferenzen der Ministerpräsidenten oder Fachminister gilt, daß sie keine rechtliche Verbindlichkeit besitzen Gleichwohl befinden sich die Parlamente von Bund und Ländern auch in diesen Fällen in einer fast ausweglosen Zwangslage. Unter dem Druck von ebenenübergreifenden Empfehlungen, die überregionale bzw. bundeseinheitliche Regelungen odei ein gleichgerichtetes politisches Handeln vorsehen, bleibt nur die Möglichkeit der generellen Annahme oder Ablehnung. Parlamentarische Mitwirkung reduziert sich insofern auf eine Scheinalternative, geht es nun um den Beschluß der Kultusministerkonferenz zur Neuordnung der gymnasialen Oberstufe, um die Vereinbarung der Regierungschefs von Bund und Ländern über die Entsorgung von Kernkraftwerken oder um die Absprache der Ministerpräsidenten über die Durchführung von Kabel-Pilot-Projekten.
IV. Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Mitwirkung
Das Ergebnis ist eindeutig: Trotz verfahrensmäßiger Beteiligungsmöglichkeiten sind die Parlamente im System des kooperativen Föderalismus von inhaltlicher Mitwirkung ausgeschlossen. Erschwerend kommt noch hinzu, daß auch die nachträgliche parlamentarische Kontrolle leerläuft Diese Tendenz zur Entparlamentarisierung des politischen Systems stellt eine Herausforderung an Wissenschaft und Politik dar, Gegenstrategien zu entwikkeln. Eine Möglichkeit, dem Verlust an demokratischer Legitimation im Regierungen-Bundesstaat entgegenzuwirken, besteht in der Ausbildung eines kooperativen Parlamentarismus. Bundestag und Landtage haben denn auch gewisse Mechanismen der Zusammenarbeit und Koordination auf parlamentarischer Ebene entwickelt Als systemimmanente Strategie läge es freilich näher, die Parlamente stärker als bisher in das Verhandlungs-und Entscheidungsgeflecht der Exekutiven von Bund und Ländern einzubeziehen. Einige der in diesem Zusammenhang bemerkenswerten Ansätze werden im folgenden verdeutlicht. Dabei geht es generell um zwei Bereiche: Einerseits muß Ziel der Bestrebungen sein, die inhaltliche Einflußnahme der Parlamente auf die Festlegung der politischen Ziele gemeinsamer Aufgabenwahrnehmung von Bund und Ländern bzw.der Länder untereinander zu verstärken. Als Mittel hierfür kommen frühzeitige Informationen sowie rechtzeitige parlamentarische Befassung (Debatte, Stellungnahme in Beschlußform) in Betracht. Andererseits ist die Wahrnehmung parlamentarischer Kontrolle zu gewährleisten. Als Voraussetzung hierfür ist die kontinuierliche Unterrichtung über laufende Planungen und über die Ergebnisse der gemeinsamen Aufgabenerfül-lung anzusehen. Nur auf dieser Grundlage ist eine parlamentarische Erfolgskontrolle möglich, wobei die verschiedenen Kontrollmittel, die Bundestag und Landtagen zur Verfügung stehen, gezielt und rationell eingesetzt werden müssen.
Gemeinschaftsaufgaben
Für Lösungsansätze einer Parlamentsbeteiligung bei den Gemeinschaftsaufgaben bieten sich drei Stadien (Vorphase, Rahmenplanung, Haushaltsgesetzgebung) an. Dabei ist das Schwergewicht auf Lösungsmöglichkeiten in der ersten Phase zu legen. Die Vorplanung ist als entscheidender Ansatzpunkt der Parlamentsbeteiligung anzusehen, da in diesem frühen Stadium bereits die wesentlichen Vorentscheidungen über Zielbestimmung, über Auswahl der Art und Zahl von Maßnahmen bzw. Vorhaben sowie über Mittelzuweisung für bestimmte Förderprogramme getroffen werden. In dieser Phase können die Parlamentsmitglieder noch inhaltlich mitwirken und Einfluß nehmen. Der Prozeß der Planungsvorbereitung im exekutiven Bereich wird so an die Parlamente rückgekoppelt Um eine angemessene Beteiligung der Parlamente an der Planung zu den Gemeinschaftsaufgaben sicherzustellen, bedarf es eines besonderen Verfahrens. Die konkrete Ausgestaltung könnte in der Form eines Parlamentarischen Beirates für die Gemeinschaftsaufgaben bei den Landtagen erfolgen Dieses Gremium hätte die Landesregierungen bei der Erstellung der Rahmenpläne zu beraten, Kritik und Anregungen zu geben, den Entwurf eigener Vorschläge zu unterbreiten sowie Stellungnahmen in Rückkoppelung zur Willensbildung in Parlamentsausschüssen sowie im Plenum abzugeben. Dieser Parlamentarische Beirat würde als Bindeglied zwischen dem parlamentarischen Bereich und dem exekutiven Bereich in Sachen der Vorplanung zu den Gemeinschaftsaufgaben fungieren. Die Regierung hätte über die Planungsarbeiten zu informieren, ihre Vorstellungen zu erläutern sowie Ziele und Maßnahmenkataloge darzustellen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Form der Parlamentsbeteiligung könnten sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ergeben. Der Einwand einer Vermischung der Tätigkeiten und Funktionsbereiche von Exekutive und Legislative ist jedoch nicht überzeugend. In dem Parlamentarischen Beirat erfolgt keine Mitentscheidung der Abgeordneten über die Vorplanung zu den Gemeinschaftsaufgaben und über die Entwürfe der Anmeldungen, sondern es wird eine parlamentarische Mitwirkung im Wege der Information und Konsultation angestrebt. Die Entscheidungen werden weiterhin von der jeweiligen Regierung getroffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine solche Form der Parlamentsbeteiligung mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz zu vereinbaren Auf weitere Mitwirkungsmöglichkeiten kann aus Raumgründen nicht eingegangen werden.
Staatsverträge und Verwaltungsabkommen
Das Vertragsrecht ist ein zentrales Element bundesstaatlicher Kooperation und Koordination. Die öffentlich-rechtlichen Verträge zwischen den bundesstaatlichen Partnern Bund und/oder Länder stellen eine rechtsverbindliche Grundlage des föderalistischen Zusammenwirkens dar. Reformmaßnahmen müssen darauf gerichtet sein, dem Bundestag und/oder den betroffenen Landtagen Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung von Staatsverträgen zu verschaffen, um sie aus der Zwangslage einer parlamentarischen Zustimmung ohne die Alternative inhaltlicher Einflußnahme bzw. einer Vertragsablehnung herauszubringen
Seit Beginn der siebziger Jahre waren die Parlamente bestrebt, beim Abschluß innerbundesstaatlicher Vereinbarungen im Vorweg beteiligt zu werden. Diese Bemühungen konkretisierten sich in den Empfehlungen der Landtagspräsidenten-Konferenz zur parlamentarischen Behandlung von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen aus dem Jahre 1976 Damit wurde die erste Bresche in die Phalanx von Landesregierungen geschlagen, die innerbundesstaatliche Vertragskooperation bis zu diesem Zeitpunkt als das sicherste Mittel ansehen konnten, über Gesetzgebungsmaterien und Verwaltungsgegenstände ohne jede inhaltliche Mitsprache der Volksvertretungen zu entscheiden. In einer Reihe von Landeshaushaltsordnungen ist demgemäß bei haushaltswirksamen und politisch bedeutsamen Staatsverträgen vorgesehen, daß die Regierung den Landtag rechtzeitig zu unterrichten hat Eine ähnliche Regelung ist in einigen Ländern in der Form von Vereinbarungen zwischen dem Landtagspräsidenten und dem Regierungschef getroffen worden Diese Ergebnisse haben sich jedoch bislang als unzureichend erwiesen. Die Unterrichtung des Landtages ist auf eine kleine Zahl von Vereinbarungen (Haushaltswirksamkeit sowie politische Bedeutsamkeit als Kriterien für die Unterrichtungspflicht der Regierung) beschränkt. Der jeweiligen Landesregierung bleibt es überlassen, das Verfahren zu bestimmen, wie und in welchem Umfang das Parlament eingeschaltet wird. Notwendig ist jedoch eine Regelung, die Bundestag und/oder Landtage generell am Zustandekommen innerbundesstaatlicher Vereinbarungen beteiligt -Dabei ist das Parlament bereits von bevorstehenden Verhandlungen über Staatsverträge (und über Verwaltungsabkommen von erheblicher politischer Bedeutung) zu unterrichten. Diese Information sollte die Grundzüge des angestrebten Vertrages umfassen und so rechtzeitig erfolgen, daß das Parlament sich damit befassen und gegenüber der Regierung Stellung nehmen kann. Treten im Laufe der Vertragsverhandlungen wesentliche Veränderungen ein, so hat die Regierung dem Parlament dies mitzuteilen, indem sie über die wesentlichen Punkte berichtet, in denen von den geplanter Grundzügen abgewichen werden soll. Vor dei Unterzeichnung des Staatsvertrages bzw. eines Verwaltungsabkommens, womit der Text rechtsverbindlich festgelegt wird, sollte dei Landtag rechtzeitig über den Vertragsentwur informiert werden, und so Gelegenheit erhalten, eine abschließende Stellungnahme in Form eines Ausschußberichtes oder eines schlichten Parlamentsbeschlusses abzugeben.
Beschlüsse und Absprachen der Exekutiven
Neben den Gemeinschaftsaufgaben und der innerbundesstaatlichen Zusammenarbeit in Vertragsform existiert eine Vielzahl von Gremien, die im Bund-Länder-Verhältnis ebenso wie im Zwischenländer-Bereich Aufgaben der Kooperation und Koordination wahrnehmen. Die Vereinbarungspraxis der Exekutiven bildet eine „graue Zone", die sich sowohl parlamentarischer Einflußnahme als auch der Kontrolle durch die Volksvertretungen weitestgehend entzieht.
Bei der notwendigen Einschaltung der Parlamente in die Vereinbarungspraxis auf exekutiver Ebene ergibt sich eine doppelte Zielsetzung. Zum einen ist eine frühzeitige Information der Parlamente über Anlaß und Themen sowie Inhalt und Ergebnisse von Ministerpräsidenten-Konferenzen sowie Fachminister-konferenzen notwendig. Damit soll gewährleistet werden, daß Bundestag und Landtage über die traditionellen Kontrollinstrumente (Frage-und Untersuchungsrechte) hinaus weitere Informationen erhalten, um im erforderlichen Ausmaß inhaltlich auf die Politik der jeweiligen Regierung Einfluß nehmen zu können. Einer politischen Präjudizierung der Parlamente durch die kooperierenden Exekutiven kann damit zumindest einigermaßen vorgebeugt werden. Die Vorstellungen der Landtage hinsichtlich einer rechtzeitigen Information, besonders über die Tagesordnungen und die Protokolle von Ministerkonferenzen, haben sich erstmals in den Empfehlungen der Landtagspräsidenten-Konferenz zur Unterrichtung der Länderparlamente über die Beratungen der 'Fachministerkonferenzen von 1979 konkretisiert Die Bemühungen in einzelnen Landtagen, diese Empfehlungen umzusetzen, haben in unterschiedlichem Ausmaß Erfolg gehabt
Zum anderen bietet die Information der Parlamente über die Formen und Inhalte der Vereinbarungspraxis auf exekutiver Ebene die Möglichkeit zu parlamentarischer Kontrolle. Diese bezieht sich auf Umfang, Ausmaß und allgemeine Tätigkeit der Koordinierungsgremien ebenso wie auf die Mitwirkung der einzelnen Regierungen in den Ausschüssen der Bund-Länder-und Zwischenländer-Zusammenarbeit. Die Reichweite der diesbezüglichen parlamentarischen Einwirkung und Kontrolle dürfte freilich begrenzt sein. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, die Zahl der Koordinierungsgremien sowie den Umfang der Vereinbarungspraxis auf exekutiver Ebene über das Haushaltsrecht einzuschränken Die Restriktionen für die Parlamente in diesem Bereich liegen zunächst im generellen Widerstreben der Regierungen, auf ihre Vorrangstellung in der Bund-Länder-sowie in der Zwischenländer-Zusammenarbeit zu verzichten oder diese mit dem Parlament zu teilen. Zudem muß das Eigengewicht der Kooperationsbürokratie berücksichtigt werden, deren Interessen eher auf eine Ausweitung als auf eine Reduzierung des Umfangs der Zusammenarbeit auf den verschiedenen staatlichen Ebenen gerichtet sind
Bundesrats-Angelegenheiten
Einen wichtigen Bereich, in dem die Landtage Gestaltungsrechte in Form begleitender Kontrolltätigkeit gegenüber den Regierungen geltend machen könnten, stellen die Bundesrats-Angelegenheiten dar Das parlamentarische Kontrollrecht hinsichtlich der Stimmabgabe einer Landesregierung im Bundesrat ist in seinem Umfang strittig. Die herrschende Meinung im Staatsrecht ebenso wie die Enquete-Kommission Verfassungsreform des Bundestages bejahen das Befassungsrecht der Landtage mit Angelegenheiten des Bundesrates. Nach der geltenden Verfassungsrechtslage sind verbindliche Weisungen der Volksvertretung an die Landesregierung zur Stimmabgabe im Bundesrat unzulässig. Gegen unverbindliche Empfehlungen bestehen jedoch keine Bedenken. Ohne Zweifel erstreckt sich die parlamentarische Verantwortlichkeit der Landesregierung gegenüber dem jeweiligen Landtag auch auf ihr Abstimmungsverhalten in der Ländervertretung Die Möglichkeit sollte genutzt werden, auf die Willensbildung und die gesamtstaatlichen Entscheidungen der Landesregierungen verstärkt Einfluß zu nehmen, indem die Landtage vor der Abstimmung im Bundesrat, nicht erst nach der Entscheidung, in Form von Entschließungen, ohne rechtlich bindende Wirkung, ihren politischen Willen äußern. Denn diese parlamentarische Einflußnahme auf die Mitwirkung des Landes im Bundesrat zöge keine nur unverbindliche Debatte über Bundesprobleme in den Landtagen nach sich, sondern wäre echte parlamentarische Mitentscheidung, die gegebenenfalls auch mit politischen Konsequenzen gegenüber der Exekutive verbunden sein könnte.
Voraussetzung dafür, daß sich die Landtage intensiv mit den wesentlichen Bundesratsangelegenheiten befassen und den Landesregierungen Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten geben könnten, wäre eine kontinuierliche und vorhergehende Unterrichtung der Volksvertretung über die in der Ländervertretung anstehenden Themen und über die Haltung der Regierung zu den wichtigsten Entscheidungen. Genau an diesem Punkt setzen freilich auch die Bedenken gegen ein solches Verfahren ein. Diese Argumente erweisen sich jedoch insgesamt als nicht durchschlagend. Die Praktikabilität der bisherigen Prozedur und die kurzen Fristen im Gesetzgebungsgang auf Bundesebene für die Ländervertretung kann man letztlich nicht ins Feld führen, da Verfahren geändert werden können.
V. Perspektiven des demokratischen Bundesstaates
Trotz der aufgezeigten Möglichkeiten, eine stärkere Einbeziehung der Parlamente in das System des kooperativen Föderalismus zu erreichen, erweist sich dieser Weg letztlich als wenig realistisch. Dies liegt nicht an den kontroversen Auffassungen über die verfassungsrechtlichen Grenzen der parlamentarischen Zuständigkeiten im Bereich der Bund-Länder-sowie der Zwischenländer-Kooperation. Stärker wiegt schon das Argument, daß bestehende Rechte und Befugnisse von den Parlamenten auch wahrgenommen werden müssen, sollen politische Entscheidungen im Verbund-system zwischen den Ländern sowie zwischen Bund und Ländern stärker demokratisch legitimiert werden. Gleichwohl wäre die Beteiligung der Parlamente lediglich ein Ausweg, der ein — wenn auch schwerwiegendes — Defizit beseitigen würde. Dabei kann der Einwand dahinstehen, ob die ohnehin im Entscheidungssystem der Exekutiven komplizierten Abstimmungsprozesse durch Einschaltung der Parlamente nicht erschwert würden. Entscheidend ist dagegen, daß bei Einschaltung der Parlamente der kooperative Föderalismus als Planungs-und Entscheidungssystem in der derzeitigen Ausgestaltung lediglich modifiziert und das heißt im Endeffekt stabilisiert würde In jedem Fall dürfte damit die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Reform des Systems geringer werden, denn der politische Druck in den Parlamenten entfiele. Als Fazit ist demnach festzuhalten, daß es nicht in erster Linie auf eine stärkere Parlamentarisierung der Politikverflechtung durch Beteiligung der Volksvertretungen ankommt, so notwendig einzelne Schritte in dieser Richtung auch sein mögen. Im Vordergrund sollte vielmehr eine strukturelle Reform des kooperativen Föderalismus stehen. An Versuchen in dieser Richtung hat es jedenfalls nicht gefehlt.
Schon bald nach der Finanzreform von 1969 war nämlich Kritik an den Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen laut geworden. Dabei überschnitten sich Einwände der traditionellen Föderalisten, denen die Verän.derungen zu weit gingen, mit kritischen Stellungnahmen, die eine Weiterführung der Bun.desstaatsreform befürworteten. Eine „Reform der Reform" des Verflechtungssystems wurde von allen Seiten gefordert Die Finanzreform betrachtete man auch von Seiten der Bundesregierung und der Fraktionen der Großen Koalition nicht als Abschluß der bundesstaatlichen Entwicklung, sondern verstand sie als Auftrag zum Ausbau des föderativen Systems Allerdings sollte diese Weiterentwicklung in den größeren Rahmen einer Diskussion über die Verfassungsreform mit dem Ziel einer Gesamtkonzeption gestellt werden
Modellentwürfe für eine Bundesstaatsreform
Neugliederung des Bundesgebietes
Die einfachste Alternative zum Verflechtungssystem im staatlichen Bereich wäre eine Revision der bestehenden Ländergrenzen Eine Gebietsreform müßte die Zahl der Bundesländer verringern und unter Beachtung bestimmter Verdichtungsräume und Ballungsgebiete nach Finanz-und Wirtschaftskraft ausgewogene Einheiten schaffen. Die Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes (sog. Ernst-Kommission) hat 1973 empfohlen, das Bundesgebiet (ohne Berlin) gemäß Art. 29 GG a. F. in fünf oder sechs Länder zu gliedern. Sie legte hierzu vier Lösungsalternativen vor. Bei der Diskussion der Vorschläge zur Neugliederung des Bundesgebietes zeigte sich jedoch das Beharrungsvermögen der bestehenden politischen Einheiten. Kein Bundesland war bereit, seine Existenz zugunsten der angekündigten Reform der Ländergrenzen aufzugeben oder auch nur ernsthaft in Frage stellen zu lassen. Die Hoffnung, der noch immer unerfüllte Verfassungsauftrag in Art. 29 GG a. F. sowie noch ausstehende Volksbegehren in einigen Teilen des Bundesgebietes würden politischen Druck zur Realisierung des Neugliederungskonzepts erzeugen, zerschlug sich. Die Koalition der Interessenten, die am status quo festhielt, erwies sich als unüberwindlich. Als vorläufiger Ausweg blieb die Verständigung der Parteien im Bundestag sowie der Länder im Bundesrat auf eine Änderung des Grundgesetzes: Der Verfassungsauftrag in Art 29 GG zur Neugliederung des Bundesgebietes wurde in eine bloße Kann-Bestimmung umgewandelt die territoriale Bundesstaatsreform damit wohl endgültig zu den Akten gelegt. '
Institutionelle und tunktionale Änderungen
Institutioneller Kern des vom Grundgesetz vorgezeichneten bundesstaatlichen Rahmens ist der Bundesrat, über den die Landesregierungen an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken. Infolgedessen ist eine funktionale Bundesstaatsreform, die Zusammensetzung und Aufgaben des Bundesrates betrifft, immer wieder diskutiert worden Eine unmittelbare demokratische Legitimation der Ländervertretung ließe sich in zweifacher Weise herstellen: Einerseits durch ein Senatsmodell (zweite Kammer mit unmittelbar vom Volk in den Ländern gewählten Mitgliedern), zum anderen durch eine Parlamentarisierung des Bundesrates (Zusammensetzung aus Abgeordneten der Landtage). Für die Parlamente der Länder von Bedeutung wäre allenfalls die zweite Zielvorstellung. Die Beteiligung der Landtage an politischen Entscheidungen auf Bundesebene würde dadurch zwar garantiert. Aber die Konstruktion würde doch voraussetzen, daß die Abgeordneten eines Landes nicht zur einheitlichen Stimmabgabe verpflichtet wären, und sie wirft u. a. das Problem auf, ob die Vertreter der Landtage im dann parlamentarisierten Bundesrat ein freies Mandat innehätten oder aber politisch gebunden wären.
Bis in die jüngste Zeit halten die Auseinandersetzungen um die Zuständigkeiten der Ländervertretung (Umfang der Mitwirkungsrechte bei der Bundesgesetzgebung) an. Die Grenze zwischen zustimmungsbedürftigen Gesetzen und einem nur aufschiebenden Veto des Bundesrates ist im Grundgesetz nicht eindeutig markiert. Dies hat zu der Forderung geführt entweder eine Liste aller zustimmungsbedürftigen Gesetze ins Grundgesetz einzufügen, oder aber die Zustimmungspflichtigkeit auf die gesamte Bundesgesetzgebung auszudehnen Ein absolutes Veto der Ländervertretung bei allen Bundesgesetzen würde den Bundesrat zum gleichberechtigten Partner des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren aufwerten und damit die Position der aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung schwächen. Auch die Landtage könnten keine zusätzlichen Mitwirkungsrechte geltend machen, da im Bundesrat nach wie vor die Landesregierungen vertretungs-und handlungsberechtigt wären. Andere Vorstellungen sehen eine Ausweitung der Funktionen des Bundesrates im Hinblick auf die Selbstkoordinierung der Länder vor
Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten
Nach dem System des Grundgesetzes erfolgt die Aufteilung der Zuständigkeiten nur in einzelnen Fällen nach Aufgabenbereichen; in den meisten Fallen wird dagegen nach Funktionen (Gesetzgebung, Verwaltung, Finanzierung) zwischen Bund und Ländern differenziert. Bezieht man die Gewichtsverlagerung von den Ländern auf den Bund im Bereich der Gesetzgebung in die Betrachtung ein, wird deutlich, welcher Stellenwert einer Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis zukommt. Seit 1976 ist die Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen in Richtung Bund zum Stehen gekommen. Der Versuch, auf der Grundlage eines „Mängelberichts" der Bundesregierung zum föderativen Bildungssystem dem Bund zusätzliche gesetzgeberische Befugnisse im Bildungswesen zu übertragen (Bildungspflicht; Übergänge und Abschlüsse im Bildungswesen; berufliche Bildung), ist gescheitert In Politik und Wissenschaft angestellte Überlegungen, die verfassungsrechtlichen Regelungen im Gesetzgebungsbereich zugunsten der Länder zu verändern, sind bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Dabei kann von zwei Modellen ausgegangen werden:
— Abgrenzung nach Sach-(Aufgaben-) gebieten. Im Interesse der Länder würde dieses Modell eine Rückübertragung bestimmter Gesetzgebungsmaterien in die ausschließliche Kompetenz der Länder bedeuten. Entsprechende Kataloge sind z. B. im Bayerischen Landtag vorgelegt worden
— Abgrenzung nach Regelungsintensität. Dem Bund wird die Rahmenkompetenz zugestanden, die von den Landesgesetzgebern in eigener Zuständigkeit ausgefüllt werden kann (Modell der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Bundestages), oder Rechtsfigur einer subsidiären Bundeskompetenz (Bundesgesetzgebung kann durch die Länder verändert oder für nicht anwendbar erklärt werden
Unabhängig davon zeichnet sich eine Entwicklung ab, die die Stellung der Parlamente des Bundes und der Länder im Verhältnis zur Exekutive stärkt, indem grundrechtsrelevante Bereiche und Aufgaben für den Gesetzgeber erschlossen werden, die bisher von der Regierung und/oder der Verwaltung geregelt wurden. Als Beispiele können hier der Strafvollzug oder das Schulwesen genannt werden. Zu dieser Entwicklung hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Parlamentsvor. behalt, wonach alle wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber zu treffen sind, beigetragen Die Gefahr der Verrechtlichung und Übernormierung kann dabei nicht verkannt werden, wenn die Parlamente den neu-gewonnenen Spielraum nicht mit Augenmaß nutzen.
Abgrenzung der Aufgaben und Finanzbeziehungen Der Ansatz der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Abgrenzung der Aufgaben und Finanzmittel zwischen Bund und Ländern geht dahin, eine Reform sei nur in der Verbesserung des bestehenden Verflechtungssystems zu suchen, nicht aber in einer Rückkehr zur Entflechtung Aus Gründen gesamtstaatlicher Verantwortung wurden die gemeinsame Rahmenplanung und die Mitfinanzierung des Bundes für unentbehrlich gehalten. Die gemeinsam zu planenden Aufgabenbereiche sind durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz festzulegen. Anstelle des bisherverfassungsrechtlich vorgeschriebenen Systems der Rahmenplanung bei den Gemeinschaftsaufgaben soll eine Rahmenplanung neuer Art treten mit einer Generalklausel, die für alle bundesweit bedeutsamen Aufgaben gilt. Da in Art. 28 a (neu) jedoch nur eine verfassungsrechtliche Ermächtigung fixiert wird, wäre sowohl eine Erweiterung der gemeinsam zu planenden Aufgaben über die bisherigen Bereiche hinaus als auch eine Mitfinanzierung des Bundes bei bestimmten Investitionsvorhaben der Länder und Gemeinden ohne gemeinsame Rahmenplanung möglich. Die Mischfinanzierung der in Art. 91 a und b sowie in Art. 104 a Abs. 4 GG genannten Aufgaben soll mit Ausnahme der Bildungsplanung beibehalten werden. Allerdings werden die Kompetenzen des Bundes zur Mitfinanzierung bestimmter Investitionsvorhaben der Länder in ein einheitliches System von Finanzbeiträgen integriert. Der Bund übernimmt dabei grundsätzlich 50 Prozent der Kosten. Die Verteilung des Steueraufkommens und der Finanzausgleich sollen nicht verändert werden, da die Enquete-Kommission es für unmöglich hielt, zu garantieren, daß die zur Verfügung stehenden Finanzmittel und die Bund, Länder und Gemeinden gestellten Aufgaben vollkommen in Übereinstimmung gebracht werden könnten. Neben der Kritik in Einzelpunkten lautet deshalb der Hauptvorwurf an die Adresse der Enquete-Kommission, die negativen Auswirkungen des kooperativen Föderalismus sehr wohl gesehen, aber die notwendige Schlußfolgerung, nämlich die vertikale Politikverflechtung abzubauen, nicht gezogen zu haben.
In diametralem Gegensatz zum Vorschlag der Enquete-Kommission steht das Modell einer klaren Aufteilung der Kompetenzen und einer weitestgehenden Rückübertragung der gemeinsamen Aufgaben auf die Länder. Die Forderung nach einer Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben und Investitionshilfen des Bundes, und damit nach einer grundlegenden Revision der Bundesstaatsreform von 1967/69, ist von verschiedenen Seiten in Wissenschaft und Politik erhoben worden -Die Befürworter des Trennungsmodells machen geltend, daß neben der Rückgabe der Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfekompetenzen an die Länder die bisher dafür eingesetzten Bundesmittel über den vertikalen Finanzausgleich für eine entsprechende Erhöhung der originären Finanzausstattung der Länder verwendet werden müßten. Ihr Leitziel ist die volle Finanzautonomie der verschiedenen Aufgabenträger und damit die Wiederherstellung der Eigen-staatlichkeit der Länder. Daneben werden grö-ßere Sachgerechtigkeit und Schnelligkeit bei der Aufgabenerfüllung erhofft. Für die Parlamente, besonders der Länder, würde die Beseitigung der Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen bedeuten, wieder in die alten Rechte der (Mit) Entscheidung und politischen Kontrolle eingesetzt zu werden. Der entscheidende Einwand geht dahin, daß eine konsequente Trennung der Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern in der Theorie wohl möglich, in der Praxis dagegen kaum zu verwirklichen ist. Den Status quo ante wieder herzustellen, würde mehr erfordern als die Rückübertragung der Gemeinschaftsaufgaben und die Neuverteilung des Steueraufkommens. Faßt man die Bemühungen um eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik zusammen, ergibt sich eine ziemlich negative Bilanz. Alle Anläufe und Vorstöße in dieser Richtung, die in den siebziger Jahren wissenschaftlich aufgezeigt oder politisch versucht wurden, verliefen im Sande oder scheiterten kläglich. Die „normative Kraft des Faktischen" erwies sich gegenüber allen föderativ inspirierten Veränderungsintentionen als stärker. Einen Wandel erfuhr die bundesstaatliche Ordnung in diesem Zeitraum allenfalls dadurch, daß sich das Verbundsystem zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern weiter verfestigte. Der kooperative Föderalismus entwickelte sich zur Politik-verflechtung mit deutlichen Tendenzen zur Überverflechtung. Diese ernüchternde Feststellung wirft erneut die Frage nach einer Alternative zum bestehenden System auf.
Konfliktlinien zwischen demokratisch-parlamentarischem und föderativem Verfassungsprinzip
Maßstäbe für den Rahmen solcher Alternativlösungen lassen sich gewinnen, wenn man die verschiedenen Konfliktlinien analysiert, die zwischen dem demokratisch-parlamentarischen Verfassungsprinzip einerseits und dem Grundsatz der bundesstaatlichen Ordnung im Grundgesetz andererseits bestehen. Diese Spannungsverhältnisse lassen sich auf verschiedene Ursachen zurückführen, ihre Wirkungen gehen aber in die gleiche Richtung. Sie modifizieren das parlamentarische Regierungssystem in entscheidender Weise, genauer gesagt, sie schränken die Funktionsfä19 higkeit des Parlamentarismus in zentralen Punkten ein
Im parlamentarischen System repräsentativer Ausgestaltung ist das souveräne Volk an Gesetzgebung, Regierungsbildung und Verwaltungskontrolle nur mittelbar beteiligt, nämlich der durch eine von Aktivbürgerschaft auf Zeit gewählte Volksvertretung. Das demokratisch erteilte Mandat ermächtigt die Parlamentsmehrheit, in Aktionseinheit mit der parteipolitisch identischen Regierung, ihre Zielvorstellungen zu verwirklichen und das Regierungsprogramm politisch durchzusetzen. Im politischen System der Bundesrepublik wird die Entscheidungsgewalt der Parlamentsmehrheit durch die bundesstaatliche Ordnung, verkörpert im Verfassungsorgan des Bundesrates, modifiziert. Dies spielt bei gleichgerichteten parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat in der Regel keine Rolle. Institutionelle und parteipolitische Konflikte können sich aber sehr wohl bei unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in den beiden Verfassungsorganen ergeben. Seit 1969 hat die Bundestagsopposition im Bundesrat die Mehrheit und kann damit die Entscheidungen der Parlamentsmehrheit konterkarieren (bei Zustimmungsgesetzen) bzw. einschneidend verändern (bei Einspruchsgesetzen). Neben diesen Varianten ergibt sich aber auch die Chance des Mitregierens der Bundestagsopposition über den Bundesrat. Dies ist von den Oppositionsparteien im Bundestag, CDU und CSU, in den vergangenen Jahren bei fast allen wichtigen Gesetzgebungsvorhaben praktiziert worden. Die Ergebnisse der Aushandlungsprozesse zwischen den gesetzgebenden Körperschaften werden meist erst im Vermittlungsausschuß gefunden. Damit ergibt sich im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene letztlich die parteipolitische Konstellation einer Großen bzw. Allparteien-Koalition.
Im parlamentarischen Regierungssystem beraten und entscheiden die gesetzgebenden Körperschaften die wichtigen politischen Fragen. Ihnen steht die formale Entscheidungskompetenz zu. Ohne einen zustimmenden Beschluß des Bundestages kann kein Gesetz Zustandekommen. Dies gilt auch für alle wichtigen politischen Entscheidungen, die auf Bundesebene zu treffen sind. Der kooperative Föderalismus als aktueller Ausgestaltung des bundesstaatlichen Systems in der Bundesre-i publik hat zu einem Verhandlungs-und Entscheidungssystem der Exekutiven geführt Dieses Verflechtungssystem führt, wie gesagt, zur inhaltlichen Ausschaltung der Parlamen-te, wobei die formalen Rechte der Budgetbewilligung (bei Gemeinschaftsaufgaben) bzw.der Zustimmung (bei Staatsverträgen) unberührt bleiben. Diese Ausschaltung beeinträchtigt nicht nur die Funktionen der Parlamente, sondern führt tendenziell zu einer Entparlamentarisierung des politischen Systems.
Das parlamentarische System besteht nicht um seiner selbst willen, sondern bildet den Rahmen für die in ihm wirkenden politischen Kräfte in Form der Parteien. Die Funktionsmechanismen im kooperativen Föderalismus bleiben nicht ohne Einfluß auf das Verhalten der Parteien. Nach Lehmbruch wird der Parteienwettbewerb weitgehend durch die Politikverflechtung zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen lahmgelegt. Die Konkurrenzdemokratie, die vom Wettbewerb der Parteien um die besten politischen und gesellschaftlichen Lösungen sowie von der Konflikt-regelung durch das parlamentarische Mehrheitsprinzip lebt, wird zur Konkordanzdemokratie deformiert. Kaltefleiter sieht eine Beeinträchtigung des Wechselspiels zwischen Regierung und Opposition als bewegenden Elementen des Parlamentarismus durch die spezifischen Bedingungen der föderativen Ordnung. Das bundesstaatliche System wird überlagert von einer latenten großen Koalition, und damit wird das parlamentarische System in seiner Funktionsfähigkeit geschwächt
Als letzter Aspekt in diesem Zusammenhang ist auf das rechtsstaatlich-demokratische Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung hinzu-1 weisen. Die Begründung und Rechtfertigung des modernen Föderalismus liegt unbestritten in der vertikalen Gewaltenteilung. Zur horizontalen Gewaltenteilung, d. h.der Trennung der Funktionen zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, tritt in der bundesstaatlichen Ordnung die vertikale Gewaltenteilung zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen, also dem Gesamtstaat und verschiedenen Einzelstaaten, hinzu Durch Verteilung der Kompetenzen und Aufgaben soll ein System der „Sicherungen und Gegengewichte" geschaffen werden, das eine Machtbalance zwischen den einzelnen Gewalten auf gesamtstaatlicher bzw. einzelstaatlicher Ebene gewährleistet. Da Machtbegrenzung und -kontrolle als freiheitssicherndes Elementverstanden werden, rechtfertigt sich der Bundesstaat aus dem demokratischen Prinzip der doppelten, d. h.der regionalen und funktionalen Gewaltenteilung. Im kooperativen Föderalismus wird aus Wirtschaftsstruktur-und konjunkturpolitischen Gründen ebenso wie aus dem Gedanken einer Vereinheitlichung der rechtlichen Regelungen und der Verwaltungspraxis eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung von Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern angestrebt. Diese verfassungsrechtlich sanktionierte Praxis führt zu einer Verzahnung der Aufgaben und der Akteure. Die Verflechtung der Zuständigkeiten im gemeinsamen Planungs-, Entscheidungs-und Finanzierungsverbund hat jedoch nicht eine Machtbegrenzung und -kontrolle zur Folge, sondern im Gegenteil eine Vermischung und damit eine Kumulation staatlicher Macht. Das Verbundsystem der Exekutiven im Bund-Länder-und im Zwischenländer-Verhältnis steht damit im Widerspruch zur Legitimation des modernen Föderalismus als einer zusätzlichen Gewährleistung der Machtbegrenzung und Freiheitssicherung durch vertikale Gewaltenteilung. Es wäre verfehlt, wollte man aus den aufgezeigten Konfliktlinien einen prinzipiellen Gegensatz zwischen parlamentarischem Regierungssystem und bundesstaatlicher Ordnung ableiten, etwa in dem Sinne, daß Parlamentarismus und Föderalismus miteinander unvereinbar seien Denn die Folge einer solchen
Unvereinbarkeitsannahme müßte sein, das bundesstaatliche Gestaltungsprinzip zugunsten des parlamentarischen Systems in einem dezentralisierten Einheitsstaat weitgehend einzuschränken oder gänzlich abzuschaffen. Eine derartige radikale Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung ist angesichts Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich ohnehin nicht möglich, verfassungspolitisch aber auch nicht wünschenswert. Es geht vielmehr allein darum, die beiden Strukturprinzipien gegeneinander abzuwägen und sie unter veränderten Bedingungen neu zu gewichten Dabei wird den Funktionsbedingungen des parlamentarischen Systems im Rahmen der fortbestehenden bundesstaatlichen Struktur am ehesten Rechnung getragen, wenn das starre Verflechtungssystem zwischen den staatlichen Ebenen von Bund und Ländern in Richtung auf einen flexiblen Konkurrenzföderalismus reduziert wird.
Konkurrenzföderalismus als zukunftsorientiertes Gestaltungsprinzip Im bundesstaatlichen System können die beiden Gestaltungsmöglichkeiten des Miteinanders und des Gegeneinanders im Verhältnis von Gesamtstaat zu Einzelstaaten verwirklicht werden. Während in der Bismarck'schen Reichsverfassung und im Grundgesetz von 1949 eher die Elemente des dualistischen Föderalismus überwogen, besteht derzeit ein eindeutiges Übergewicht zugunsten des Miteinanders, der Aufgaben-und Ausgabenverschränkung. Die Kooperationsbeteiligten in Bund und Ländern vermitteln mitunter den Eindruck, geradezu unter einem verfassungsrechtlichen Zwang zur intensiven Zusammenarbeit auf allen Politikfeldern zu stehen. Föderalismus meint jedoch nicht Extrempositionen der einen oder der anderen oben genannten Form, sondern ist als eine Balance, ein Gleichgewicht zwischen Elementen der Kooperation und Koordination einerseits, der Konkurrenz und des Wettbewerbs andererseits zu verstehen. Geht man von diesem Grundverständnis aus, wird deutlich, daß der kooperative Föde-ralismus in der Bundesrepublik die zulässige 58 Grenze der Zusammenarbeit zwischen den Exekutiven auf Bundes-und Länderebene überschritten hat
Die Ursachen des kooperativen Föderalismus, vor allem Kleinräumigkeit des Bundesgebietes, Herstellung bzw. Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse sowie gleiches Angebot an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen im Rahmen des Sozialstaatsgebotes, rechtfertigen die bedingungslose Fortschreibung des Verbundsystems mit Tendenzen zur Überverflechtung nicht. Jede föderative Ordnung als staatliches Organisationsprinzip hat politische und ökonomische Kosten zur Folge. Hierzu gehören u. a. langsame und schwierige Meinungsbildungs-und Willensbildungsprozesse, politisch-administrative Reibungsverluste und wirtschaftlich-finanzielle Effizienzeinbußen sowie Abweichungen vom Prinzip der einheitlichen Lebensverhältnisse bzw. Ungleichheiten im sozialstaatlichen Leistungsangebot. Gegen diesen Mängelkatalog ist freilich einzuwenden, daß, wie bisher, allenfalls vom Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und sozialstaatlich bedingter Leistungen ausgegangen werden kann. Bundesweite Einheitlichkeit war und ist nicht herzustellen. Zudem ist zu bedenken, daß der Gesichtspunkt der Effizienz im Zusammenhang mit staatlicher Aufgabenerfüllung nicht nur politisch-administrative und wirtschaftlich-finanzielle Dimensionen beinhaltet. Eine bundesstaatliche Ordnung, die sich in größerem Maße als bisher wieder am Grundsatz der Dezentralisierung bei der Wahrnehmung und Erfüllung öffentlicher Aufgaben orientiert, gewinnt an Effizienz im Sinne von größerer Steuerungsfähigkeit des politischen Systems und von mehr Konfliktverarbeitungskapazität Dieser Zugewinn an staatlicher Handlungsfähigkeit sollte gerade angesichts der Komplexität und Interdependenz der politischen und sozialen Probleme in modernen Industriegesellschaften nicht gering veranschlagt werden Neben dem Aspekt der Funktionsfähigkeit fällt aber vor allem das größere demokratische Potential des Konkurrenzföderalismus ins Gewicht. Werden Aufgaben aus dem Planungs-und Entscheidungsverbund zwischen Bund und Ländern bzw. aus der Selbstkoordination der Länder herausgenommen, verbessert sich die Stellung der Parlamente quantitativ und qualitativ. Konkurrenzföderalismus im politischen System der Bundesrepublik läßt sich dahin gehend definieren, daß im Bund-Länder-Verhältnis sowie im Verhältnis der Länder untereinander grundsätzlich bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und der Lösung von Problemen Konkurrenz und Wettbewerb gelten. Dieser Grundsatz kann freilich nicht schrankenlos angewandt werden. Einerseits bleiben nämlich gewisse einheitliche Rahmenregelungen nach wie vor notwendig. Innerhalb dieser Grenzen zu tragbaren Kompromissen zu gelangen, fällt Bund und Ländern sowie den Ländern untereinander mitunter sehr schwer. Konkurrenz und Wettbewerb dürfen zum anderen nicht dazu führen, daß unpopuläre Fragen (Standorte von Großprojekten; Entsorgung von Kernbrennstoffen; Asylantenaufnahme und -Unterbringung) von gesamtstaatlicher Bedeutung zwischen den Beteiligten beliebig vertagt und verschleppt, letztlich also nicht rechtzeitig entschieden werden. Negative Koordination dieser Art müßte auf Dauer die gemeinsamen rechtlichen und politischen Grundlagen gefährden.
Konkurrenzföderalismus als Rahmen für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern und im Zwischenländer-Verhältnis setzt keine verfassungsrechtlichen Änderungen voraus, sondern zielt auf eine restriktive Wahrnehmung der Rechte und Instrumente im bestehenden Kooperationssystem. Zu den Bestandteilen eines solchen verfassungspolitischen Konzepts, das graduellen Wandel anstrebt und insofern von begrenzter Reichweite ist, gehören:
— Verzicht auf die intensive Vereinbarungspraxis der Exekutiven, besonders der Ministerialbürokratien, durch Einschränkung der „vergemeinschafteten" Politikbereiche und Reduzierung der Koordinationsgremien.
— Soweit ebenenübergreifende gleichgerichtete Regelungen im Gesetzgebungsbereich erforderlich sind, sollte dieses Ziel auf der Grundlage von Mustergesetzentwürfen anstelle von Staatsverträgen angestrebt werden. Das Instrument der Mustergesetzentwürfe dürfte sich insbesondere auf den gesetzgeberischen Gebieten eignen, die über den Gesetzes-vorbehalt den Parlamenten zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, aber gleichzeitig einer gewissen Einheitlichkeit bedürfen Der Vorzug von Mustergesetzentwürfen besteht in der relativen Autonomie, die dem Gesetzgeber verbleibt. Im Zweifelsfall können die Parlamente im Gesetzgebungsverfahren sich dem Vereinheitlichungsdruck der Regierungen eher entziehen, als dies bei Staatsverträgen möglich wäre. Als Beispiele können hierfür die Mustergesetzentwürfe für einheitliche Pressegesetze bzw. Landeshaushaltsordnungen angeführt werden
— Im Bund-Länder-Verhältnis sind Schritte in Richtung auf eine Teilentflechtung bei den Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen des Bundes sowie auf einen Abbau der Mischverwaltung notwendig. Hierzu sind eine Reihe von Strukturmodellen vorgelegt worden. Kisker etwa hat vorgeschlagen, an der koordinierten Aufgabenplanung zwischen Bund und Ländern festzuhalten, die Mitfinanzierung des Bundes dagegen zu streichen und die dadurch freiwerdenden Mittel den Ländern im Rahmen des Finanzausgleichs zur Verfügung zu stellen Andere Überlegungen sehen eine Rückübertragung der Gemeinschaftsaufgaben und der Finanzhilfen des Bundes in die aus-schließliche Zuständigkeitvon Bund oder Ländern vor
Das Dilemma, dem sich die Strukturmodelle und Maßnahmenkataloge zur Teilentflechtung gegenüberstehen, stellen zweifellos die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern dar. Selbst wenn ein Modell für den horizontalen Finanzausgleich gefunden würde, das die Interessen der finanzschwachen Länder auf Kosten der finanzstarken Länder berücksichtigte, wäre das Haupthindernis noch nicht überwunden. Denn im vertikalen Finanzausgleich (Umsatzsteuerverteilung) müßte der Bund auf einen erheblichen Teil seines bisherigen Finanzvolumens verzichten. Dies würde zugleich den Verzicht des Bundes auf geamtstaatliche Steuerungsmöglichkeiten bei der Wahrnehmung konjunktur-und struktur-politisch wichtiger Aufgaben bedingen. Ein Verzicht freilich, den der Bund bisher kategorisch zurückgewiesen hat, da er fürchtet, daß der Funktion gesamtstaatlicher Orientierung bei der Aufgabenerfüllung durch die Länder nur unzureichend oder gar nicht entsprochen würde.
In der politischen Praxis der letzten Jahre haben Konkurrenz und Wettbewerb im Verhältnis zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den einzelnen Ländern offenkundig an Gewicht gewonnen. Finanzstarke wie -schwache Länder haben sich der Ausweitung des Verflechtungssystems widersetzt und sich der Angebotsdiktatur des Bundes entzogen. Exemplarisch wird dies in der Ablehnung der Bund-Länder-Programme für Energieeinsparung und für Modelleinrichtungen der nichtstationären psychiatrischen Versorgung durch einzelne Länder deutlich. Ein noch drastischeres Beispiel ist das Scheitern der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, sich auf eine Fortfüh-rung der Bildungsplanung nach Art 91 b GG zu einigen Auch im Zwischenländer-Bereich gibt es Anzeichen, daß der Druck zur Vereinheitlichung im Wege der Selbstkoordinierung nachzulassen beginnt. Zumindest läßt sich die inzwischen revidierte Ankündigung des hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner, den medienpolitischen Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz zur Durchführung und Finanzierung von vier Kabelpilot-Projekten aufzukündigen, in diesem Sinne deuten
Im übrigen ist offenbar der Problemdruck im Bund-Länder-Verhältnis so groß geworden, daß nun auch die verantwortlichen Spitzenpolitiker des Bundes und der Länder die Notwendigkeit des Handelns erkannt haben. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben in einer Grundsatzerklärung für eine Bereinigung des vertikalen Verflechtungssystems plädiert und die Ausarbeitung eines diesbezüglichen Konzepts in Angriff genommen Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die Weiterentwicklung der bundesstaatlichen Struktur zu einem Bestandteil seines Regierungsprogramms gemacht und vor Bundestag bzw. Bundesrat Ende 1980 die Absicht der Bundesregierung betont, die Aufgabenverteilung und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern in einem fairen Dialog überprüfen zu wollen Aus dieser Absichtserklärung sind von Seiten der Bundesregierung schneller Schlußfolgerungen gezogen worden, als den Ländern lieb sein konnte. Der Bund hat sich inzwischen aus einigen gemeinsamen Aufgabenbereichen zurückgezogen (Studentenwohnraumbau; Graduiertenförderung). Die Bundesmittel zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben sind um 20 Prozent reduziert worden -
Die aktuelle politische und ökonomische Lage in der Bundesrepublik ist seit Beginn der achtziger Jahre durch eine wirtschaftliche Rezession, durch hohe Arbeitslosigkeit und Restriktionen bei den staatlichen Ressourcen gekennzeichnet. Diese in höchstem Maße ungünstigen politischen und sozialen Rahmenbedingungen eröffnen dem Konkurrenzföderalismus gleichwohl gewisse Gestaltungschancen. Die Rückbesinnung auf einen effizienten Mitteleinsatz und die Schwerpunkt-bildung in strukturschwächeren Gebieten wird in dem Augenblick wieder möglich, in dem bei sinkender Finanzmasse für die bestehenden Gemeinschaftsaufgaben neue Prioritäten gesetzt werden müssen. Der enger werdende Finanzrahmen erzwingt darüber hinaus grundsätzliche Eingriffe in das Kooperationssystem von Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern. Dieser notwendige und sich abzeichnende Veränderungsprozeß muß jedoch, soll er sein Ziel erreichen, auch ins politische Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit treten.
Hartmut Klatt, Dr. phil., geb. 1940; z. Z. Forschungsreferent am Forschungsinstitut bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer; 1970 Redakteur bei der „Stuttgarter Zeitung"; seit 1974 Mitarbeiter in der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Lehrbeauftragter. Veröffentlichungen: Die Altersversorgung der Abgeordneten. Juristische Studien Bd. 39, Tübingen 1972; Der Bundestag im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1980 (Hrsg.); Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften.
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