I. Spannungen um die Entspannung
Die Spannungen zwischen Westeuropa und den Vereinigten Staaten von Amerika um die Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion haben spätestens seit Amtsantritt Präsi•dent Reagans in einem Ausmaß zugenommen, daß Befürchtungen über eine tiefgreifende Krise in den transatlantischen Beziehungen täglich neue Nahrung gewinnen. Während Washington ein Festhalten an der Entspannung als einen unangebrachten Ausdruck politischer Nostalgie bezeichnet, bemüht man sich diesseits des Atlantik, der westlichen Führungsmacht zu verdeutlichen, daß es realistischerweise keine Alternative zur Entspannung gäbe. Entsprechend widersprüchliche Maßnahmen gegenüber der Sowjetunion — hier etwa die Unterzeichnung des Erdgas-Röhren-Geschäftes, dort ein weitreichendes Verbot jeglicher amerikanischer Beteiligung an diesem Geschäft — tragen zum Eindruck eines — auch in anderen Bereichen — tief zerstrittenen Bündnisses bei (wobei die gelegentliche Verknüpfung verschiedener Problembereiche z. T. die Beziehungen noch zusätzlich belastet z. T. aber auch Kompromißmöglichkeiten schafft). Auch die Ergebnisse großer Gipfelkonferenzen können diesen Eindruck kaum verwischen.
Dieser Eindruck bedarf allerdings, vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzungen um die Entspannungspolitik, einer gewissen Diffe-renzierung. Die Fronten widersprüchlicher Ansichten verlaufen keineswegs nur quer durch den Atlantik, sondern ebenso stark zwischen den einzelnen Ländern Europas, zwischen Regierungen und Opposition in allen betroffenen Ländern und schließlich — vor allem in den USA — innerhalb der Regierungen selbst Ausgetragen werden diese Auseinandersetzungen nicht nur auf den jeweiligen politischen Ebenen — wobei sich beobachten läßt, daß deren Bedeutung öffentlich desto mehr heruntergespielt wird, je höher die Ebene ist —, sondern vorwiegend durch inoffizielle Stellungnahmen oder nicht autorisierte Veröffentlichungen, bereitwillig publiziert von den Massenmedien, mit einer entsprechenden Beeinflussung der öffentlichen Meinung als Ziel. Dabei ergeben sich mannigfaltige Querbezüge, insbesondere dann, wenn innenpolitische Auseinandersetzungen mit Hilfe allianz-und entspannungspolitischer Stellungnahmen geführt werden. Dies alles trägt dazu bei, daß das Bild europäisch-amerikanischer Differenzen letztlich wieder verwirrend wirkt und eindeutige Aussagen über unterschiedliche Ansätze der Entspannungspolitik kaum zuzulassen scheint.
Das verwirrende Bild europäisch-amerikanischer Differenzen gewinnt allerdings dann schärfere Konturen, wenn man den Blick auf jenes Land konzentriert, das im Brennpunkt der Auseinandersetzungen steht: die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist entstanden als Auswirkung des Kalten Krieges nach einem von Deutschland verschuldeten Weltkrieg; und sie bemüht sich, durch die Entspannungspolitik ihre nationalen Probleme langfristig zu lösen und einen Rückfall in einen Kalten Krieg zu verhindern. Dies verleiht ihr eine besondere Stellung in Europa und eine herausragende Bedeutung für die Beziehungen zwischen Ost und West. Es begründet auch die „special relationship" zwischen den USA und der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu dem besonderen Verhältnis, wie es etwa zwischen Großbritannien und den USA besteht, ist das Besondere am deutsch-amerikanischen Verhältnis nicht eine Jahrhunderte alte, oft bewährte und daher auch nicht in Frage gestellte Freundschaft, sondern eine komplexe Mischung aus Erwartungen und Befürchtungen (die im übrigen auch von den europäischen Nachbarn geteilt werden).
Die Befürchtungen konzentrieren sich auf den Verdacht, die Bundesrepublik könne im Interesse der Wiedervereinigung Deutschlands sich so weit der Sowjetunion annähern, daß sie aus dem westlichen Bündnis ausbrechen würde; damit aber wäre, so die weitere Sorge, eine der grundlegenden Voraussetzungen für stabile Verhältnisse in Europa nicht mehr gegeben. Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik seit 1969 mußte sich von Anfang an gegen diesen Verdacht wehren In Zusammenhang mit der Befürchtung, die Bundesrepublik wolle einmal mehr eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West betreiben, steht auch die Sorge, die Westdeutschen könnten sich — zumal unter dem Druck wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten — in ihren grundsätzlichen Wertvorstellungen wieder so weit von denen des Westens absetzen, daß eine für die politische Stabilität notwendige Wertgemeinschaft nicht mehr gewährleistet wäre. Aus diesem Grund gilt entsprechenden Manifestationen in der Bundesrepublik (bis hin zu Neutralismustendenzen und vermeintlich antiamerikanischen Neigungen) das besondere Interesse besorgter Beobachter Es mag im übrigen auch erklären, warum in den Reden, die amerkanische Regierungsvertreter in der Bundesrepublik halten, dem Thema . gemeinsame demokratische Werte so viel Raum eingeräumt wird.
Die Erwartungen, die von amerikanischer Seite an die Bundesrepublik gerichtet werden, gründen sich auf die Leistungen der USA beim Wiederaufbau der Bundesrepublik und der Erhaltung ihrer Sicherheit: man erwartet von ihr Dankbarkeit und Loyalität. Verstärkt werden diese Erwartungen durch den Umstand, daß die Bundesrepublik als die wirtschaftlich stärkste Macht in Europa am ehesten in der Lage scheint, amerikanische Bestrebungen etwa bei wirtschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion zu unterstützen. Anders als Frankreich oder England kann sich die Bundesrepublik also nicht ohne größere Schwierigkeiten den amerikanischen Wünschen und Erwartungen entziehen. Gelegentlich hat die aus dieser Stimmungslage resultierende Notwendigkeit besonders enger Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik zu Vorschlägen für eine deutsch-amerikanische „Bigemonie" geführt. Ansätze hierzu trugen jedoch zu Verstimmungen mit den europäischen Verbündeten der Bundesrepublik bei (insbesondere Frankreich scheint sorgsam darauf bedacht, die Stellung Bonns nicht zu stark werden zu lassen) und förderten Bemühungen, die gesamteuropäische Einbindung der Bundesrepublik zu stärken — Bemühungen, die mancherorts wiederum Vorstellungen von einem starken und von den USA unabhängigen Europa begünstigten.
Die Auseinandersetzungen zwischen den USA und Europa um die Entspannung konzen-trieren sich also auf die Bundesrepublik, nicht nur, weil diese den größten Beitrag leisten oder am meisten Gewinn einstreichen könnte, sondern weil damit zugleich auch die Auseinandersetzung um die politische Identität der Bundesrepublik geführt wird. Eine Analyse der Spannungen um die Entspannung muß daher zwangsläufig auf europäischer Seite die Bundesrepublik in den Mittelpunkt stellen. Um zu verstehen, wie es zu den Auseinandersetzungen von heute gekommen ist und worum es dabei letztlich geht, ist es ferner unerläßlich, einen Blick zurück auf die Entwicklung der Entspannungspolitik zu werfen, wobei zugleich auch das leidige Definitionsproblem berücksichtigt werden kann
II. Von der Eindämmung zur Entspannung
Seit Beginn des Kalten Krieges ist es das überragende außenpolitische Ziel der Vereinigten Staaten gewesen, die Machtausdehnung der Sowjetunion einzudämmen. An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert, wenn auch verschiedentlich neue Wege zum Erreichen dieses Zieles ge-und versucht wurden. Noch immer gründet sich die amerikanische Politik auf die Annahme, daß das internationale Vorgehen der Sowjetunion wie ein Strom sei, der jede Machtlücke ausfüllt, und daß der Druck dieses Stromes „gegen die freien Einrichtungen der westlichen Welt... eingedämmt werden kann durch die geschickte und stets wachsame Anwendung von Gegendruck an einer Reihe von ständig wechselnden geographischen und politischen Punkten .. . Die lange andauernde Wirksamkeit der Eindämmungsdoktrin beruht auf der Tatsache, daß sie einen politischen Kompromiß darstellte zwischen Überlegungen auf der einen Seite, die USA sollten sich, mangels eigener Macht, nach der erfolgreichen Beendigung des Krieges international wieder zurückziehen, und Forderungen auf der anderen Seite, die USA müßten den neuen Feind Sowjetunion nunmehr aggressiver bekämpfen. Die Formel von der Eindämmung war so ein Kompromiß gegen einen Rückzug in den Isolationismus wie gegen einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion. Auch wenn Kennan selbst später mit anderen Interpretationen und daraus abgeleiteten Maßnahmen nicht immer einverstanden war, in der außenpolitischen Praxis der USA bewahrheitete sich der Kompromißcharakter der Eindämmungsformel auch in der kältesten Zeit des Kalten Krieges-, dies zeigte sich bei den Ereignissen 1953 und 1956, als die USA entgegen der rhetorisch verkündeten „roll-back" -Doktrin in der DDR und in Ungarn nicht eingriffen.
Die Eindämmung der Sowjetunion sollte zwei Ziele erreichen: eine Reduzierung der Macht Moskaus auf Grenzen, die eine Gefährdung des Friedens und der internationalen Stabilität nicht mehr erlauben würde, und eine Beeinflussung des internationalen Verhaltens der Sowjetunion im Sinne von Normen, wie sie zu dieser Zeit etwa in der Charta der UN niedergeschrieben wurden Da es jedoch an Instrumenten mangelte, letzteres Ziel zu erreichen, und die vermeintliche sowjetische Bedrohung spätestens seit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Sommer 1950 als überragendes Problem empfunden wurde, konzentrier-ten sich die Bemühungen Washingtons auf das Ziel der Machtreduzierung Moskaus. Zu diesem Zweck wurde wieder verstärkt aufgerüstet, Bündnissysteme wurden geschaffen, die ideologische Auseinandersetzung (auch nach innen, mit den fatalen Exzessen der McCarthy-Jahre) forciert und jeglicher Handel mit der Sowjetunion eingestellt
Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Europa konnte sich der amerikanischen Eindämmungspolitik nicht entgegensetzen. Es wollte allerdings auch nicht, denn es war deren eigentlicher Nutznießer: Erst durch die Marshall-Plan-Hilfe und das von den USA geschaffene internationale Wirtschaftssystem konnte sich Westeuropa, unter dem Schutz der amerikanischen Sicherheitsgarantien, wieder erholen. Adenauer betonte den absoluten Vorrang der Westintegration der Bundesrepublik vor einer Wiedervereinigung Deutschlands und bestand darauf, daß eine Entspannung der Ost-West-Beziehungen erst erreicht werden könne, wenn die Deutsche Frage gelöst sei. Nicht zuletzt aus diesem Grund blieben vorsichtige Ansätze zu einer Entspannung in den fünfziger Jahren ohne Ergebnis
Erst in den sechziger Jahren kam es zu einer Auflockerung der Ost-West-Beziehungen. Mehrere Faktoren waren dafür verantwortlich. So war nach der politischen und wirtschaftlichen Genesung das Gewicht Westeuropas in der Weltpolitik größer geworden und hatte Bedürfnisse nach mehr Eigenständigkeit geweckt. Das gaullistische Frankreich gab diesem Bedürfnis am stärksten Ausdruck, als es militärpolitisch aus dem Bündnis austrat und seine eigenen Abschreckungsfähigkeiten entwickelte. In der Bundesrepublik bahnte sich nach dem Ende der Adenauer-Ära ein innenpolitischer Wechsel an, der absehbar auch außenpolitische Konsequenzen haben würde; die starre Haltung gegen eine Entspannung ohne Vorleistungen wurde fallengelassen. Auf der anderen Seite war in den USA nach dem Schrecken der Kuba-Krise von 1962 die Über-zeugung gereift, das Verhältnis zur Sowjetunion müsse zur Vermeidung zukünftiger Krisen entspannt werden; der fortdauernde Rüstungswettlauf schien ferner die Notwendigkeit von Rüstungskontrollvereinbarungen nahezulegen. Beide Seiten hatten ein Interesse an dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ostblock entwickelt (wobei der Vorsprung der Westeuropäer in diesem Bereich die USA zum Nachziehen zwang). Folglich kam es Mitte der sechziger Jahre erstmals zu Rüstungskontrollvereinbarungen und zur Aufnahme sowjetisch-amerikanischer Handelsbeziehungen Die USA und Europa entwickelten Konzepte einer Entspannungspolitik, die darauf hinausliefen, zu den Ländern Osteuropas Brücken zu schlagen, um so allmählich eine Auflösung der Blockstrukturen zu erreichen, was (nach amerikanischer Sicht) die Eindämmung der Sowjetunion gefördert hätte, nach französischer Sicht zu einem „Europa der Vaterländer" bis zum Ural führen sollte und (nach deutschen Vorstellungen) die Wiedervereinigung Deutschlands in einem gesamteuropäischen Rahmen ermöglichen könnte. Diese Überlegungen fanden im Dezember 1967 ihren Niederschlag in dem soge-nannten Harmel-Bericht der NATO, in dem die zwei Funktionen der Allianz betont wurden: die Abschreckung von Aggression durch ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität und die Entspannung als „Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhafte Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können" Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung, so lautete die heute wieder viel zitierte Formel, stellen keinen Widerspruch, sondern eine Ergänzung dar.
Die Suche nach Entspannung wurde zunächst jedoch durch zwei Entwicklungen gebremst. Die Unterdrückung der tschechoslowakischen Reformbemühungen durch den Einmarsch sowjetischer Truppen im August 1968 zeigte, daß die Sowjetunion nicht bereit war, für sie gefährliche Liberalisierungs-und damit auch Blockauflösungstendenzen zu dulden. Und der zu dieser Zeit auf seinem Höhepunkt angelangte Krieg in Vietnam (der im übrigen wesentlich zu europäisch-amerikanischen Differenzen beitrug) machte den USA (wie man dort glaubte) deutlich, daß die Sowjetunion weit davon entfernt war, internationale Zurückhaltung zu üben. Der Krieg führte den Amerikanern allerdings auch vor Augen, daß die Eindämmung der Sowjetunion in peripheren Gebieten mit den militärischen Mitteln der USA nicht mehr möglich war.
Es lag an dem 1968 gewählten Präsidenten Nixon und seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger, aus diesen Erkenntnissen die konzeptionellen Schlußfolgerungen für eine neue Entspannungspolitik zu ziehen. Die Zeit schien, gerade nach Prag und wegen Vietnam, reif für solche Bemühungen. Die jahrelange Aufrüstung beider Seiten, vor allem im strategischen Bereich, hatte ein Niveau erreicht, das man durch Rüstungskontrollvereinbarungen stabilisieren zu können glaubte (SALT-Verhandlungen waren bereits 1967 vereinbart worden). In Europa drängte die neugewählte sozialliberale Koalition in Bonn darauf, die westdeutschen Beziehungen mit dem Ostblock — vor allem aber mit der Sowjetunion und der DDR — zu normalisieren, um mit Hilfe dieser Normalisierung menschliche Erleichterungen erzielen zu können, die den Fortbestand eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls — und damit auf lange Sicht die Option einer Wiedervereinigung — siehern sollten; eine vorteilhafte Beendigung der Nachkriegsentwicklungen (durch Festschreibung) schien hier greifbar. Im Fernen Osten hatte sich China ideologisch und politisch, z. T. auch gewaltsam, von der Sowjetunion losgesagt und war offen für Annäherungsversuche des Westens. Und der Handel lockte die Europäer ebenso wie die USA, die mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu tun hatten.
Kissingers Neuansatz für die Entspannungspolitik bestand darin, daß er den Krieg in Vietnam mit Hilfe der Sowjetunion „ehrenhaft" zu Ende bringen wollte: durch eine Verknüpfung mit allen anderen Elementen in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Mit der Beendigung des Krieges in Vietnam aufgrund sowjetischer Hilfe würde es dann auch zu einem Ende des Kalten Krieges kommen; das Zeitalter der Entspannung — die von ihm so oft beschworene „Generation des Friedens" — wäre geschaffen.
Kissingers Neuansatz stellte eine Politik der Eindämmung mit anderen Mitteln dar Auch er verfolgte die zwei überragenden Ziele amerikanischer Nachkriegspolitik: die Eindämmung, wenn nicht gar die Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses und Herrschaftsbereiches und eine Veränderung des internationalen Verhaltens der Sowjetunion. Um ersteres Ziel zu erreichen, setzten Nixon und Kissinger alle ihnen zur Verfügung stehenden diplomatischen (gelegentlich auch, wie etwa in Chile, undiplomatischen) Mittel ein; auf diese Weise konnte z. B. das Ziel der „Eliminierung" sowjetischen Einflusses im Nahen Osten erreicht werden. Das zweite Ziel, sowjetisches Wohlverhalten, sollte durch „linkage" -Politik erreicht werden, wobei Kissinger nicht nur konkretes Wohlverhalten mit konkreten Gegenleistungen belohnen wollte, sondern davon ausging, daß die Sowjetunion langfristig ein Eigeninteresse an der Fortsetzung stabiler Beziehungen — d. h. an der Beibehaltung der Entspannungspolitik — gewinnen und dadurch veranlaßt werden würde, ihr internationales Verhalten entsprechend anzupassen Für Kissinger kam es darauf an, den Prozeß der Entspannung dadurch unumkehrbar zu machen, daß zwar Konflikte ausgetragen wurden, andererseits aber die Kooperation darunter nicht leiden sollte, so daß schließlich die Elemente der Kooperation die der konfliktgeladenen Auseinandersetzungen überwiegen würden (Daß diese Vorstellung in einem gewissen Widerspruch zum „linkage" -Konzept stand, wurde erst später deutlich.) Voraussetzung für einen solchen Prozeß der Entspannung war allerdings, daß er über einen längeren Zeitraum ohne unangebrachte Belastungen auch innenpolitischer Art verfolgt werden konnte.
Kissingers Entspannungskonzept entsprach weitgehend europäischen Vorstellungen (auch wenn Kissinger hinsichtlich der der Ost-politik zugrundeliegenden Motivationen eher skeptisch blieb). Die Verknüpfung amerikanischer Interessen mit den ostpolitischen Zielen der Bundesrepublik führte schließlich zu den Erfolgen der Entspannungspolitik der frühen siebziger Jahre. Höhepunkt war die sowjetisch-amerikanische Gipfelkonferenz in Moskau im Mai 1972. Dort wurde der erste Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT I) unterzeichnet, eine Prinzipienerklä-rung über die Grundsätze der Entspannungspolitik verabschiedet (in der sich beide Seiten Gleichberechtigung und Zurückhaltung zusicherten) und eine Reihe von Kooperationsmaßnahmen vereinbart. Im Zusammenhang damit wurden die Ostverträge der Bundesrepublik ratifiziert, die zu menschlichen Erleichterungen im deutsch-deutschen Verhältnis (aber auch zu Ausreiseerleichterungen für deutschstämmige Polen, Rumänen und Russen) führten; das bereits zuvor ausgehandelte Viermächte-Abkommen über Berlin regelte Fragen des Transitverkehrs und der Vertretung Berlins durch den Bund, die Besuchsmöglichkeiten für Westberliner in Ostberlin und in der DDR wurden verbessert. Diese Durchbrüche waren ferner verknüpft mit der Aufnahme von Vorverhandlungen über eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlußakte schließlich im Juli 1975 feierlich unterzeichnet wurde, und mit Verhandlungen über einen ausgewogenen Truppenabbau in Europa (MBFR). Auch die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite wurden im Gefolge dieser Durchbrüche ausgebaut. Die Entspannungspolitik schien ihre Früchte zu bringen.
III. Entspannung im Widerstreit
Nach dem Höhepunkt der Entspannungspolitik im Jahre 1972 folgte bald jedoch eine Ernüchterung, die für immer mehr Amerikaner den Wert dieser Politik in Frage stellte. Unter dem für die USA maßgebenden Blickwinkel der Entspannung als neues Experiment der Eindämmungspolitik setzte sich dort verstärkt der Eindruck fest, daß dieses Experiment gescheitert war. Die USA waren offensichtlich innenpolitisch zu dieser notwendigerweisen komplexen Politik nicht in der Lage, so daß Kissinger sie längerfristig nicht durchhalten konnte Die Sowjetunion ihrerseits zeigte sich nicht bereit, sich auf diese Weise einbinden oder gar einwickeln zu lassen und unterlief immer häufiger die von Kissinger geknüpften Querbezüge. Schließlich schien es aus amerikanischer Sicht, als hätte sich die Sowjetunion mehr denn je international ausgebreitet. Mit dem Scheitern der Eindämmung geriet dann die Entspannungspolitik in Frage. Diese Entwicklung führte zunächst zu innenpolitischen Auseinandersetzungen, die — je mehr sie auf die Außenpolitik durchzuschlagen begannen — schließlich auch die europäisch-amerikanischen Beziehungen belasteten. Hier nämlich hielt man — da der Wert der Entspannungspolitik nicht global, sondern auf europäische Entwicklungen beschränkt eingeschätzt wurde — an der Entspannungspolitik fest
Das europäische Festhalten an der Entspannung ist natürlich nicht nur durch regionale Eigennützigkeit motiviert, die etwa über dem Interesse an eigenen wirtschaftlichen Vorteilen oder menschlichen Erleichterungen für das eigene Volk eine bedrohliche Machtausdehnung der Sowjetunion aus dem Blick verlieren ließe. Vielmehr liegen den europäisch-amerikanischen Differenzen tiefgehende Meinungsunterschiede hinsichtlich der von der Sowjetunion ausgehenden Bedrohung und der Möglichkeiten, diese Bedrohung zu verringern, zugrunde (wobei allerdings auch handfeste innenpolitische Überlegungen eine Rolle spielen In dieser Hinsicht haben Europäer und Amerikaner aus den Entwicklungen der Entspannungspolitik z. T. diametral entgegengesetzte Lehren gezogen.
Was die Einschätzung der Bedrohung und ihrer Auswirkungen betrifft, so ergeben sich allerdings merkwürdige Interessenkonstellationen. Für die Europäer scheint die Bedrohung aus dem Osten zunächst so stark, daß sie auf der Notwendigkeit der Entspannung bestehen, um eben die Situation in Europa langfristig zu entspannen und kurzfristig ein übergreifen anderer Konflikte auf Europa zu verhindern. Umgekehrt aber zeigen sie sich nicht so bedroht, daß sie verstärkten Verteidigungsanstrengungen, zumal im konventionellen Bereich, bereitwillig zustimmen würden (Präsident Mitterrand hat für Fankreich hier allerdings deutlich andere Signale gesetzt Diese Haltung hat gelegentlich in den USA zum Vorwurf der „Finnlandisierung" Europas geführt. Dabei ist die amerikanische Einstellung allerdings auch nicht ganz widerspruchsfrei. So fühlt man sich zwar einerseits durch die dramatische sowjetische Aufrüstung der letzten zehn Jahre — in der man eine der deutlichsten Verletzungen der Eindämmung durch Entspannung sieht — mehr denn je bedroht und fürchtet, die Sowjetunion könnte ein theoretisches „Fenster der Verwundbarkeit" öffnen. Andererseits aber argumentiert man, die Abschreckung funktioniere nach wie vor, so daß man es sich leisten könne, auf die Entspannung als Ergänzung westlicher Sicherheitspolitik zu verzichten; ein Aufgeben der Entspannungspolitik würde keine zusätzlichen Gefahren beschwören, sondern durch die dadurch hervorgerufene Schwächung der Sowjetunion und den gleichzeitigen Wiederaufbau westlicher Stärke die Gefahren mindern. Es zeigt sich nicht nur an diesem Fall, daß die Ansichten darüber, wie man der sowjetischen Bedrohung langfristig begegnen kann, weit auseinandergehen. Insbesondere in der Bundesrepublik hält man am entspannungspolitischen Konzept der kleinen Schritte fest, durch die die Zusammenarbeit ständig bestätigt und erweitert werden soll. Die Praxis der Kooperation sowie die Aussicht auf weitere Vorteile für beide Seiten würden dann auf westlicher Seite eine berechenbare Politik schaffen (im Gegensatz zu der angeblich unberechenbaren Politik der USA), während auf östlicher Seite ein langfristiges und wohl berechnetes Interesse an der Fortsetzung dieser Art von Entspannungspolitik geweckt und im übrigen interne Reformbemühungen und deren Befürworter gefördert würden. Es ist eine Politik der kleinen Schritte mit langem Atem (wobei allerdings manche der Schritte gar nicht so klein wirken, sondern im Gegenteil ganz bewußt langfristige Bindungen vorsehen
Die USA halten dagegen, daß diese Politik der kleinen Schritte bisher wenig Erfolg gebracht habe (eine Einschätzung, die auch von der Opposition in der Bundesrepublik geteilt wird). Sie hätte nur die Sowjetunion begünstigt, der es, nicht zuletzt mit Hilfe des Handels mit dem Westen, gelungen sei, ihren Militärapparat weiter auszubauen und dabei eigentlich notwendige politische und wirtschaftliche Reformen zu vertagen. Dort, wo sich Reformansätze gezeigt hätten, seien sie von der Sowjetunion brutal unterdrückt worden — siehe Polen Auch die Formel Kissingers für seine Entspannungspolitik (die später, bei allen Widersprüchlichkeiten, auch von Carter übernommen worden war) glich einer Politik der kleinen Schritte: Er wollte der Sowjetunion konkrete Anreize für Zurückhaltung bieten, sie umgekehrt aber für aggressive Maßnahmen bestrafen. Diese Formel ließ sich, was die Amerikaner betraf, nicht in die politische Praxis umsetzen. Alle vier Bestandteile dieser Formel waren mit beinahe unüberwindbaren Schwierigkeiten verknüpft, an denen die Verbündeten z. T. beteiligt waren. So konnten die USA z. B. nur bedingt wohl dosierte Anreize bieten, da die Sowjetunion das, was sie dringend benötigte (vor allem Getreide und hochwertige Technologie), anderswo einkaufen konnte; dies führte zu häufigen und andauernden Verstimmungen zwischen den USA und Europa. Da außerdem eine sowjetische Zurückhaltung in konkreten Fällen kaum nachweisbar war (und der kausale Zusammenhang mit bestimmten Anreizen schon gar nicht), wuchs in den USA das unterschiedlich motivierte Bedürfnis, konkretere Zugeständnisse der Sowjetunion zu erreichen: Das Problem der Menschenrechte fand auf diese Weise Eingang in die Entspannungspolitik Es belastete zunächst (mit dem Jackson-Vanik. Amendment von 1974 die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, fand dann Eingang in die Schlußakte der KSZE (womit Bürgerrechtsbewegungen in den Ländern des Ostblocks sich legitimiert fühlen konnten und deren Unterdrückung wiederum Bemühungen in den USA förderten, die Sowjetunion wegen Menschenrechtsverletzungen anzuklagen), und wurde dann in den Carter-Jahren zu einem ständigen Problem auch der europäisch-amerikanischen Beziehungen. In Europa be-stand man im Interesse der Sache und im Interesse der Erhaltung der Entspannung auf einem behutsamen Vorgehen. In den USA hingegen sah man in Menschenrechtsgewinnen zunehmend den eigentlichen Wert der Entspannung und erhob entsprechende Forderungen, die von der Sowjetunion kaum erfüllt werden konnten.
Der zweite Teil der Kissingerschen Formel war noch problematischer: die Bestrafung für Aggressionen. Daß die Sowjetunion solche betrieb, setzte sich in den USA mehr und mehr als Erkenntnis fest: von dem endgültigen Sieg der Nordvietnamesen im April 1975 (der das Versagen der Kissingerschen Entspannungspolitik am deutlichsten demonstrierte, die ja ursprünglich darauf angelegt war, den Krieg „ehrenhaft" zu beenden) über Angola, Äthiopien und Yemen bis Afghanistan. Die Europäer teilten diese Überzeugung jedoch keineswegs; sie sahen in den meisten Fällen eher lokale Kräfte als die lange Hand Moskaus am Werk und waren deshalb nicht bereit, sich an Bestrafungsmaßnahmen zu beteiligen, die sie im übrigen ohnehin als politisch ungerechtfertigt und unangemessen betrachteten. Da aber Bestrafungsmaßnahmen ohne eine gewisse Solidarität der Verbündeten von vornherein zur Wirkungslosigkeit verurteilt waren, kam es in der Folgezeit — vor allem nach Afghanistan — zu heftigen europäisch-amerikanisehen Auseinandersetzungen. Die Europäer erkannten nicht das amerikanische Dilemma. Die USA mußten, zumal nach allem, was vorangegangen war, auf diese eklatante Durch-brechung der Eindämmung reagieren. An Reaktionsmöglichkeiten standen aber im wesentlichen nur Sanktionen im wirtschaftlichen Bereich zur Verfügung Diese dienten nicht vorwiegend als Bestrafungsmaßnahmen, durch die die Sowjets zu einem Rückzug aus Afghanistan gezwungen werden sollten; in dieser Hinsicht gab man sich in Washington keinen Illusionen hin. Die Sanktionen sollten einen anderen politischen Zweck erfüllen: die Glaubwürdigkeit amerikanischer Warnungen (wie sie zuvor fünfmal ergangen waren) zu gewährleisten, um dadurch eine politische Abschreckung sicherzustellen Nur wenn die Sowjetunion davon überzeugt werden konnte, daß die amerikanischen Warnungen keinen Bluff darstellten, würde sie in Zukunft bereit sein, die Kosten eventuell geplanter Maßnahmen richtig zu kalkulieren und damit eine Güterabwägung vorzunehmen, die sie letztlich von diesen Maßnahmen abhalten würde. In diesem Sinne sollten Sanktionen als Teil der Eindämmungspolitik wirken. Durch ihre mangelnde Unterstützung unterliefen, aus amerikanischer Sicht, die Europäer diese Bemühungen und trugen dadurch zur Ausweitung des sowjetischen Machtbereiches bei.
IV. Eindämmung der Entspannung
Die Erfolglosigkeit der amerikanischen Außenpolitik unter Kissinger und Carter trug 1980 zum überragenden Wahlsieg Ronald Reagans bei. In der amerikanischen Öffentlichkeit hatte sich nach Afghanistan und Iran das Gefühl verstärkt, die USA seien zu einem politischen Schwächling geworden, der sich international herumstoßen lassen müsse. Diesem Zustand sollte abgeholfen werden — und Reagan versprach dies. Er verhieß Amerika neue Macht und Größe. Sein politisches Rezept zur Erreichung dieses Zieles war ein al-tes: die Eindämmung der Sowjetunion Für ihn gab es keinen Zweifel, daß es die Entspannungspolitik der Sowjetunion ermöglicht hatte, den Eindämmungswall zu überwinden und sich auf Kosten Amerikas zu stärken. Eine Fortsetzung der Entspannungspolitik wurde deshalb ausgeschlossen. Der Konflikt mit den Europäern war damit vorprogrammiert. Es ist ein Konflikt um die Eindämmung der Entspannung: Die USA wollen die Entspannungsbemühungen der Europäer eindämmen und langfristig austrocknen, während Europa die verbliebenen Bestandteile der Entspannung gegen die Angriffe der USA eindämmen und am Leben erhalten möchte.
Wie scharf dieser Konflikt ausgetragen werden würde und wieviel Raum auf beiden Seiten für Kompromisse bestehen könnte, blieb zunächst unklar und ist auch heute noch nicht völlig eindeutig zu bestimmen. Präsident Reagan räumte zunächst der Durchsetzung seines Wirtschafts-und Gesellschaftsprogramms höchste Priorität ein, was — auch angesichts personeller Differenzen und institutioneller Schwierigkeiten bei der Koordination — zu unsicheren und z. T. widersprüchlichen Signalen in der Außenpolitik führte. Allein die Durchsetzung eines umfangreichen Aufrüstungsprogrammes (mit jährlichen Steigerungsraten von real 7 %) ließ erkennen, wie ernst es Reagan mit der Wiederherstellung amerikanischer Macht meinte. (Forderungen der USA an die Europäer, dem von Amerika gesetzten Beispiel zu folgen, sind noch kaum abgeklungen und dürften die transatlantischen Beziehungen auch weiterhin ebenso belasten wie die gelegentlich mit diesem Aufrüstungsprogramm verknüpfte militante Rhetorik auf amerikanischer Seite.)
Inzwischen scheinen jedoch nach den jüngsten Erklärungen und Entwicklungen (darunter auch der Rücktritt von Außenminister Haig u. a. aus Protest gegen die scharfe antisowjetische Politik Reagans) die Fronten etwas deutlicher abgesteckt. Ganz offensichtlich möchte Präsident Reagan gegenüber der So-wjetunion eine Politik der großen Schritte verfolgen, d. h. eine Politik, die in relativ kurzer Zeit erkennbare Fortschritte bringen soll, und zwar Fortschritte bei der Eindämmung der Sowjetunion bzw.der Erzielung sowjetischen Wohlverhaltens. So sind etwa die Rüstungskontrollvorschläge der USA zu verstehen, die auf die drastische Reduzierung des sowjetischen Raketenpotentials sowohl im strategisehen (der START-Vorschlag sieht eine fast fünfzigprozentige Reduzierung vor) als auch im regionalen Bereich zielen (die Nulloption bei den Genfer INF-Verhandlungen). Reagan, zuvor einer der schärfsten Kritiker der SALT-Verträge (an die die USA sich allerdings halten, solange auch die Sowjetunion sich daran hält hatte nie einen Zweifel daran gelassen, daß er in diesem Sinne zu Rüstungskontrollverhandlungen, die eine echte Reduzierung bringen und verifizierbar sein müßten, bereit war. Die, vor allem auch für die Europäer, kritische Frage ist nunmehr, wie kompromißbereit die USA sein werden, denn es ist kaum davon auszugehen, daß die Sowjetunion die amerikanischen Vorschläge in dieser Form akzeptieren wird. Hier bleiben angesichts der tief verwurzelten Überzeugungen von Reagan und seinen engsten Mitarbeitern Zweifel berechtigt (wenngleich die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und der Widerstand der Europäer die Administration in Washington möglicherweise zu größerer Kompromißbereitschaft drängen).
Ein weiterer großer Schritt wird in den Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion angestrebt. In Washington hat sich die Überzeugung durchgesetzt, daß die Sowjetunion in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, die zum Vorteil der USA ausgenutzt werden können. Dabei wird dieser Vorteil unterschiedlich definiert, jedoch anders als in Europa (das die langfristigen Auswirkungen stabiler Handelsbeziehungen betont und auch die direkten wirtschaftlichen Vorteile anerkennt Von einer Einschränkung des Handels mit der Sowjetunion verspricht man sich in Washington zumindest eine Schwächung der Sowjetunion im militärischen Bereich, da sie 1. keine auch militärisch nutzbare hochwertige Technologie mehr erhalte, 2. die für den Einkauf solcher Technologie notwendigen Devisen nicht mehr erwirtschaften könne und 3. gezwungen werde, vom militärischen auf den zivilen Sektor umzurüsten.
Maximal erwartet man von einer solchen Einschränkungspolitik eine tiefreichende Reform des sowjetischen Systems kurzfristig die Durchsetzung amerikanischer Interessen „mit Stolz" -Umgekehrt wird aber auch die Bereitschaft erklärt, für konkrete Zugeständnisse der Sowjetunion den Handel wieder aufzunehmen (Möglicherweise könnte das vor kurzem verschärfte Gas-Turbinen-Embargo so z. B. im Gegenzug für sowjetische START-Zugeständnisse wieder aufgehoben werden.)
Die Europäer lehnen diese Handelspolitik der großen Schritte, die für sie die Eröffnung eines Wirtschaftskrieges mit ungewissen Folgen darstellt, entschieden ab Sie haben ohnehin schon zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihr Handel mit dem Osten wegen der dortigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten (vor allem der immens angewachsenen Verschuldung) seit Jahren ständig zurückgegangen ist, während der amerikanische Handel, aller Rhetorik zum Trotz, angestiegen ist (dies liegt nicht zuletzt an den von Reagan wieder aufgenommenen Getreidelieferungen Sie wollen sich das Geschäft — aber auch ihre Form der Entspannungspolitik — nicht verderben lassen. Für kurze Zeit sah es so aus, als sei in dieser Frage auf den Gipfelkonferenzen von Versailles und Bonn im Juni 1982 ein Kompromiß erzielt worden, der darauf abzielte, daß die USA das Erdgas-Röhren-Geschäft (in dem Washington die Gefahr einer zu großen Abhängigkeit Europas von der Sowjetunion sieht, vor allem falls diese in den Persischen Golf vorstoßen sollte) nicht mehr länger behindern würden, während Europa der Sowjetunion keine günstigen Kredite mehr gewähren würde. Daß dieser Kompromiß nicht hielt, zeigte sich kurz darauf, als Washington auch den Verkauf von unter amerikanischer Lizenz gefertigten Turbinenteilen unter Embargo stellte (und dies mit der fortdauernden Unterdrückung in Polen rechtfertigte), während europäische Banken der Sowjetunion einen Milliardenkredit gewährten (der von dieser pikanterweise be-nötigt wurde, um amerikanisches Getreide bezahlen zu können).
Es liegt auf der Hand, daß Europa und Amerika aus dempolitischen Gleichschritt geraten, wenn die eine Seite eine Politik der kleinen und die andere eine Politik der großen Schritte verfolgt Kompromißformeln, wie sie z. B. die sogenannte „Bonner Deklaration mit ihrer Definition von „wirklicher Entspannung" darstellt sind, wie sich bereits gezeigt hat, kaum geeignet, Europa und Amerika zu gemeinsamen Schritten gegenüber der Sowjetunion zurückzuführen. Der Gegensatz zwischen Eindämmungsbemühungen auf der einen und Entspannungsbemühungen auf der anderen Seite bleibt bestehen. Ohne Frage geht das Bündnis in dieser Hinsicht schwierigen Zeiten entgegen. Es bleibt jedoch die Hoff, nung, daß Europa und Amerika aufgrund innerer oder äußerer Entwicklungen zu jenem Mindestmaß an Gleichschritt zurückfinden können, ohne das die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion für alle noch gefährlicher wird. Der große Bestand an Gemeinsamkeiten in anderen Bereichen verleiht dieser Hoffnung eine gewisse Berechtigung.