I. Einordnungen: Skandal und Verwaltungsskandal
Jeder weiß, daß auch die bundesdeutsche Verwaltung nicht frei ist von Skandalen, skandalösen Entscheidungen und Affären; aber was eigentlich ein Skandal ist, was einen solchen Skandal ausmacht und wie er typischerweise abläuft, ist wenig bekannt, oft unklar. Politik-und Verwaltungswissenschaft haben sich bisher kaum mit diesem doch schon fast alltäglichen Phänomen beschäftigt, obwohl dazu gerade in letzter Zeit ausreichend Anschauungsmaterial geliefert wurde (z. B. Umweltskandale oder Gefängnisskandale).
Bevor eine genauere Definition des Begriffs „Verwaltungsskandal" versucht werden kann, ist zunächst zu klären, was überhaupt ein „Skandal" ist. Für Skandale wie für viele alltägliche Phänomene und Begriffe (so auch beispielsweise für „Politik") gilt: „Wir alle wissen, was ein Skandal ist — wir können es nur nicht erklären“ (Christian Schütze).
Ein typischer Ausweg aus diesem Dilemma ist die Besinnung und der Rückgriff auf Wortbedeutung und Wortherkunft. Schon Schütze merkt jedoch an, daß der Rückgriff auf die Wortgeschichte „... einen Ausweg aus der Verlegenheit dar(stellt), einem so weitverbreiteten und dabei der Erklärung durchaus bedürftigen Phänomen, wie es der Skandal ist, eine angemessene Zahl von Zeilen widmen zu müssen, ohne doch recht zu wissen, was in ihnen stehen soll" „Skandalen" ist im Altgriechischen das Stell-holz an einer Falle, die zuschnappt, sobald man es berührt. In der Bibel wird der Begriff im übertragenen Sinne als Stein des Anstoßes, der in Sünde stolpern läßt, verwendet Neuere Lexikondefinitionen sehen denn auch typischerweise etwa so aus:
„Skandal: (gr. -frz. von gr. skandalon, eigentl. = Fallstrick) Ärgernis, aufsehenerregendes Vorkommnis, Lärm"; oder: „Skandal... 1. Geschehnis, das Anstoß und Aufsehen erregt ... 2. ... Lärm, Radau . ..
Diese einfachen Definitionen verdeutlichen zunächst, daß zu einem Skandal zwei Dinge gehören:
— irgendein unakzeptables Geschehnis oder Tatbestand, ein Ärgernis und — eine bestimmte Reaktion auf diesen Tatbestand, nämlich Aufsehen und Anstoß nehmen. Etwas anders und präziser gefaßt bestehen Skandale also aus den Elementen Normverletzung und der öffentlichen Reaktion auf diese (tatsächliche oder vermeintliche) Normverletzung. Eine Normverletzung, die nicht bekannt wird oder die kein öffentliches Aufsehen erregt, hat noch keine „Skandalqualität". Ein Skandal ist erst ein Skandal, wenn er von einer interessierten Öffentlichkeit dafür gehalten wird. Wann dies allerdings der Fall ist, läßt sich ex ante kaum bestimmen. Skandal ist öffentliches Ärgernis; wann ein Sachverhalt aber tatsächlich ein „Ärgernis“ ist und wann dieses Ärgernis „öffentlich" wird, kann jeden-falls per Definition nicht exakt geklärt werden, sondern ist letztlich nur empirisch feststellbar. Für unseren Zweck wollen wir von folgender Definition eines Skandals ausgehen: Ein Skandal ist ein Tatbestand oder Sachverhalt, der von einer jeweils zu bestimmenden Öffentlichkeit unter moralischen, rechtlichen, politischen oder anderen Normen negativ bewertet wird, der ein Mindestmaß an Aufsehen erregt und der in der Folge verschiedene Wirkungen haben kann.
Als nächstes ist zu klären, was dann ein „ Ver- waltungss^iandaV sein mag. Nach der bisher erarbeiteten Abgrenzung umfassen Verwal-
tungsskandale Normverletzungen in der öffentlichen Verwaltung, soweit sie öffentliches Aufsehen erregen (und u. U. verwaltungsinterne wie verwaltungsexterne Folgen haben). Verwaltungsskandale haben damit, da es ja um öffentliche Verwaltung, d. h. einen Teil des politisch-administrativen Systems geht, immer auch eine politische Dimension. Trotzdem sind sie abzugrenzen von rein politischen Skandalen, bei denen es ausschließlich um die Normverletzung durch einen Politiker geht. Verwaltungsskandale sind dann gegeben, wenn die Normverletzung nicht überwiegend personalisiert ist, sondern mit der Institution „öffentliche Verwaltung" direkt verbunden ist (also vorrangig eine institutioneile „Schuld" vorliegt)
Der Unterschied läßt sich am besten an Beispielen verdeutlichen. Ein politischer Skandal ist gegeben, wenn einem Politiker vorgeworfen wird, er habe das Parlament belogen, oder wenn die Öffentlichkeit nicht mehr bereit ist, die Vergangenheit eines Politikers und seine dazu abgegebenen Erklärungen zu tolerieren. Ein Verwaltungsskandal liegt demgegenüber dann vor, wenn ein Minister aufgrund von Fehlern in der Verwaltung zurücktreten muß, obwohl ihm persönlich kein Fehlverhalten vorgeworfen wird (z. B. Justizsenator Bau-mann in Berlin). Der Übergang zwischen beiden Kategorien ist fließend: „institutioneile Schuld" und „persönliche Verstrickung" liegen gelegentlich dicht beieinander.
So kann man sich auch darüber streiten, ob in den Fällen von Bundesinnenminister Maihofer, der wegen umstrittener Geheimdienst-und Überwachungspraktiken zurücktreten mußte, und von Justizminister Dahrendorf, der wegen des Hamburger Giftmüllskandals zurücktrat, Fehlverhalten der verantwortlichen Politiker zu konstatieren war oder nicht. Es handelt sich aber gewiß um Verwaltungsskandale, denn Ausgangspunkt der Rücktritte war in jedem Fall das von der Öffentlichkeit als höchst problematisch angesehene — eben „skandalöse" — Verhalten der Verwaltung, für deren „institutioneile Schuld" dann ein Minister/Senator die persönliche Verantwortung übernahm.
Eine mögliche — ja häufige — Folge von Verwaltungsskandalen können also Minister-rücktritte sein, d. h. die politisch verantwortlichen Akteure ziehen Konsequenzen aus Fehlern ihrer Verwaltung, von denen sie vielleicht gar nicht ahnen konnten, daß diese gemacht wurden. Es ist sogar denkbar, Verwaltungsskandale dadurch zu definieren, daß sie den Rücktritt eines politisch Verantwortlichen enthalten sollen Der Vorteil wäre eine operationale und griffige Abgrenzung und Definition: Ein Skandal ist erst ein Skandal, wenn er zu einem Rücktritt von politisch Verantwortlichen führt.
Typische Verwaltungsskandale wären dementsprechend z. B.:
— der Steglitzer Kreisel in Berlin (Rücktritt von Bausenator Schwedler im Dezember 1972), — der Stammheimer Gefängnisskandal in Baden-Württemberg (Rücktritt von Justizminister Bender im November 1977), — die Poullain-Affäre in Nordrhein-Westfalen (Rücktritt von Finanzminister Halstenberg im Januar 1978), — der Giftmüllskandal in Hamburg (Rücktritt von Justizsenator Dahrendorf im September 1979) und — der Gefängnisskandal in Rheinland-Pfalz (Rücktritt von Justizminister Theisen im Dezember 1979). Alle diese Rücktritte zeichnen sich dadurch aus, daß Politiker die Verantwortung für Geschehnisse übernahmen, für die sie (wahrscheinlich) persönlich keine direkt zurechenbare Schuld trifft, sondern die in der ihnen unterstellten Verwaltung stattgefunden haben. Verwaltungsskandale dieser Art stehen daher in enger Verbindung mit dem Problem der Ministerverantwortlichkeit
Der Nachteil einer solch eingeschränkten Definition ist allerdings, daß sie Geschehnisse, die von großen Teilen der Öffentlichkeit durchaus als Skandal empfunden werden, nicht umfaßt, weil (zumindest bisher) keine Rücktritte zu verzeichnen sind. Zu denken ist hier beispielsweise an: — den Skandal um eine Müllverbrennungsanlage in Bremerhaven, — den Mannheimer Gefängnisskandal oder — den Skandal um das Klinikum Aachen.
Verwaltungsskandale — als öffentliches Aufsehen erregende Normverletzungen in der Administration — sind aber offensichtlich auch gegeben, wenn unmittelbar keine personellen politischen Konsequenzen daraus gezogen werden. Wenn man eine eindeutige und zugleich spezifische Definition bevorzugt, kann es dennoch sinnvoll sein, den Terminus nur auf Vorkommnisse anzuwenden, die personelle Konsequenzen in der politischen Führung nach sich gezogen haben.
II. Zur politischen Bedeutung von Verwaltungsskandalen
Die Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen ist u. E. aus mehreren Gründen sinnvoll und wichtig.
Zunächst ist zu betonen, daß das Vorkommen von Skandalen nicht ein Zeichen von Verfall oder „Krankheit" der demokratischen Industriegesellschaften bzw.deren Subsystemen ist, sondern eher darauf hindeutet, daß eine Gesellschaft „gesund" ist, daß die demokratischen Mechanismen und Kontrollfunktionen in Ordnung sind. Wenn man davon ausgeht, daß in jeder Gesellschaft (auch in der überwachtesten und kontrolliertesten totalitären Gesellschaft) rechtliche, politische und moralische Normverstöße vorkommen, dann ist gerade nicht das Vorhandensein, sondern die Abwesenheit von Skandalen problematisch. Denn wenn es keine Skandale gibt, bedeutet dies nicht, daß es keine Normverstöße gibt, sondern wohl nur, daß diese nicht öffentlich diskutiert und angeprangert, sondern vertuscht und u. U. heftig „geahndet" werden.
Das Auftreten von Verwaltungsskandalen deutet daher darauf hin, daß staatliches Handeln in der Öffentlichkeit mit regem Interesse und vor allem kritisch beobachtet wird.
Skandale haben deshalb durchaus eine wichtige und in einer Demokratie unverzichtbare Kontrollfunktion 8). Skandale verdeutlichen, daß Personen oder Institutionen gegen geschriebene oder ungeschriebene Normen, gegen Spielregeln oder Rollenerwartungen verstoßen haben. Diese Verstöße können dann u. U. korrigiert und/oder geahndet werden. Die Bedeutung des Skandals liegt darin, daß sie ohne öffentliches Aufsehen und Anstoß-nehmen vielleicht überhaupt nicht bekannt geworden und dann wahrscheinlich auch nicht korrigiert worden wären. Das Ausmaß der öffentlichen Anteilnahme am Skandal, d. h. die „Stärke des Sturms der Entrüstung", den dieser hervorruft, sind ein Anzeichen dafür, wie stark die Normverletzung in der Öffentlichkeit bewertet wird, wie sehr die Bürger das Verwaltungshandeln und die Institution „Verwaltung" kritisieren. Die Häufung von Verwaltungsskandalen in den letzten Jahren kann daher auch als Anzeichen für die Zunahme der vielzitierten „Staatsverdrossenheit" und der damit einhergehenden „Bürokratiekritik" verstanden werden d. h. Staatsverdrossenheit ist nicht unbedingt die Folge von zunehmenden Verwaltungsskandalen, sondern deren Zunahme verdeutlicht in erster Linie eine sich verstärkende kritische Haltung gegenüber der Verwaltung.
Da Skandale nicht nur aufgrund von Verstößen gegen geschriebene, sondern auch gegen ungeschriebene Normen aufbrechen, können sie neben der Kontrollfunktion auch die damit eng verbundene Korrekturfunktion wahrnehmen. Skandale vermögen zu verdeutlichen, daß geschriebene Norm und gesellschaftliche Realität auseinanderklaffen. Sie können auf diese Weise zu einer Relativierung oder gar Revision bisher eingehaltener, aber eigentlich schon überholter Normen beitragen
Schließlich können Skandale aber auch eine Signalfunktion wahrnehmen, indem die Öffentlichkeit durch evtl, wiederholt auftretende Skandale auf tieferliegende Strukturprobleme eines bestimmten Bereichs aufmerksam gemacht wird. Wenn z. B. im Bereich des Strafvollzugs oder der Geheimdienste immer wieder Skandale zu beobachten sind, so kann dies auf spezifische Schwierigkeiten oder Unstimmigkeiten in diesen Bereichen hinweisen. Umgekehrt können Skandale in den unterschiedlichsten Bereichen, die sich jeweils auf gleiche oder ähnliche Strukturprobleme zurückführen lassen, auf allgemeine Mängel oder Unzulänglichkeiten der Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam machen.
Gerade diese Möglichkeit der Skandalfunktion verdeutlicht einem zweiten Grund, warum wir die Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen für fruchtbar und auch für notwendig halten.
Die vergleichende Analyse einer größeren Anzahl von Verwaltungsskandalen vermag — wie gesagt — auf allgemeinere Strukturprobleme der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen. Eine solche Mängelanalyse kann ein wichtiger Schritt zur Identifizierung der zu verbessernden oder reformbedürftigen Strukturen unserer öffentlichen Verwaltung sein. Wenn diese Intention noch zu hoch angesetzt erscheinen mag, so dürfte die Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen zumindest zu einem besseren Verständnis der öffentlichen Verwaltung und ihrer Probleme führen. Denn der Zugang über Skandale, d. h. diejenigen Fälle, in denen Verwaltung offensichtlich nicht so funktioniert, wie es von ihr angenommen wird, eröffnet mehr Einblicke in reales Verwaltungshandeln, als der bloß normative Zugang, der in erster Linie betont, wie Verwaltung handeln sollte. Gerade durch die Betrachtung von Verwaltungsskandalen kann man die Bedingungen und Probleme des Verwaltungshandelns besser kennen, verstehen und beurteilen lernen, als über normative Vorschriften. Erst wenn man verstanden hat, was alles „schief gehen" kann, vermag man diese Vorschriften richtig zu erfassen und zu verstehen -
Eng hiermit zusammen hängt der dritte Grund für die Relevanz und Aktualität der Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen.
Verwaltungsskandale markieren den prekären Schnittpunkt von „Politik“ und „Verwaltung", d. h. sie verdeutlichen in schon einzigartiger Weise die politischen Dimensionen des Verwaltungshandelns. So werfen sie u. a. folgende Fragen auf: — Kontrolle der Verwaltung: Durch wen kann Verwaltungshandeln effektiv kontrolliert werden? — Politik der Verwaltung: Setzen Verwaltungen „eigenmächtig" (politische) Ziele durch? — Politik gegenüber der Verwaltung: Können Verwaltungen überhaupt effektiv durch Politik (die politische Führung) gesteuert werden? — fnnenpolitische Konflikte: Welche Rolle spielen Verwaltungen (und Verwaltungsskandale) in der innenpolitischen Auseinandersetzung? — Sozio-ökonomische Bezüge: Welches Gewicht haben ökonomische Interessen und Kräfte für Beginn, Verlauf und Beendigung von Skandalen?
Verwaltungsskandale sind daher hervorragend dazu geeignet, z. B. im Rahmen der politischen Bildung in Funktionen und Probleme der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland einzuführen, weil sie auf der einen Seite einen umfassenden und realistischen Einblick in die Arbeitsweise der Verwaltung erlauben, auf der anderen Seite den ansonsten etwas trockenen Gegenstand interessant machen und die engen Zusammenhänge zwischen Politik und Verwaltung verdeutlichen* Insoweit erbringt die Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen auch einen exemplarischen Beitrag zur Verwaltungspoli- tologie
III. Bestandsaufnahme und Analyse von Verwaltungsskandalen
Umfang, Bereiche, Analysekategorien Quantitative Bedeutung Um zu verdeutlichen, daß die Untersuchung von Verwaltungsskandalen’ ein interessanter und ergiebiger Zugang zu Funktionsweisen und Problemen der öffentlichen Verwaltung sein kann, sollen im folgenden einige Hypothesen über Ursachen und Folgen von Verwaltungsskandalenreferiert und kurz erläutert werden. Diese Hypothesen sind das Ergebnis einer ersten Bestandsaufnahme über Verwaltungsskandale der letzten zehn Jahre Sie beanspruchen noch keine wissenschaftliche Exaktheit und Verläßlichkeit, sondern können allenfalls eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen. Wir verfolgen in erster Linie einen heuristischen Zweck, d. h. es geht darum, die Ergiebigkeit des Ansatzes und im weiteren Sinne des Konzepts der „Verwaltungsskandale" zu verdeutlichen und die mögliche Richtung zu erwartender Ergebnisse an-zudeuten, um damit gleichzeitig die weitere Forschungsarbeit anzuleiten.
Die Bestandsaufnahme beschränkt sich in erster Linie auf Verwaltungsskandale mit nachfolgenden Ministerrücktritten, d. h. auf Fälle, bei denen mit einiger Sicherheit davon auszugehen ist, daß es sich tatsächlich um einen Verwaltungsskandal handelt.
In den Jahren 1970 bis 1980 (jeweils einschließlich) hat es in Bund und Ländern insgesamt 87 Rücktritte von Regierungsmitgliedern gegeben, die nicht aufgrund eines Regierungswechsels nach einer Wahl erfolgten In 34 Fällen handelte es sich dabei um Rücktritte im Rahmen größerer oder kleinerer Regierungsumbildungen, in denen zwei oder (meistens) mehrere Regierungsmitglieder zurück-traten Von den übrigen 53 Rücktritten erfolgten ca. ein Drittel aufgrund von Verwaltungsskandalen, wobei — wie erwähnt — manchmal der Übergang zu einem rein politischen, nur auf die Minister begrenzten Skandal sehr fließend ist. Einige andere Fälle sind allerdings eindeutig als politischer Skandal zu klassifizieren, wie z. B.der von Justizminister Puvogel in Niedersachsen, der infolge einer als problematisch angesehenen Vergangenheit zurücktreten mußte.
Auch nicht zu den Verwaltungsskandalen zu rechnen sind Rücktritte, die die Folge von abweichenden politischen Auffassungen sind (Hans Schueler nennt diese Gruppe „Gesinnungstäter“ oder „Dissidenten" Beispiele sind die Bundesminister Möller, Leussink, Schiller oder Eppler, oder auch der nordrhein-westfälische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Deneke, der aus Protest gegen ein geplantes Autobahnteilstück zurücktrat, das dann schließlich doch nicht gebaut wurde.
Die Auswahl der untersuchten Verwaltungsskandale erfolgte nicht systematisch, sondern richtete sich eher nach der Zugänglichkeit des Materials und ist daher in erster Linie zufalls-bestimmt. Aus diesem Grunde können die Hypothesen noch keine Repräsentativität, wohl aber einige Plausibilität für sich beanspruchen. Außerdem wurde schon angedeutet, daß Skandale mit Ministerrücktritten möglicherweise eine untypische Auswahl von Verwaltungsskandlen darstellen, zumal vergleichbare Vorgänge auf Kommunalebene hier noch gänzlich ausgeblendet, wurden. Einige wenige Beispiele von Verwaltungsskandalen ohne Rücktritt, d. h. ohne offenkundige politische Konsequenzen, werden allerdings gelegentlich zur Illustration herangezogen.
Insgesamt wurden von den für die Jahre 1970 bis 1980 bekannten Rücktritten, die aufgrund von Verwaltungsskandalen erfolgten, sieben einer genaueren Untersuchung unterzogen (das sind etwas weniger als die Hälfte der bekannten Rücktritte aufgrund von Verwaltungsskandalen). In die Untersuchung einbezogen wurden folgende Rücktritte:
— Bausenator Schwedler in Berlin im Dezember 1972 (Grund: Steglitzer Kreisel), — Justizminister Bender in Baden-Württemberg im November 1977 (Selbstmord der Häftlinge in Stammheim), — Verteidigungsminister Leber im Februar 1978 (Spionagefall Lutze und Abhöraffäre), — Innenminister Maihofer im Juni 1978 (Abhöraffären und Grenzschutzskandal), — Justizsenator Baumann in Berlin im Juli 1978 (Befreiung eines mutmaßlichen Terroristen), — Justizminister Dahrendorf in Hamburg im September 1979 (Giftmüllskandal), — Justizminister Theisen in Rheinland-Pfalz im Dezember 1979 (Tod eines Untersuchungshäftlings). Bereiche Schon ein erster Blick auf die hier untersuchten Verwaltungsskandale wirft die Frage auf, ob bestimmte Bereiche (z. B. Justiz) oder zumindest bestimmte Ministerien besonders betroffen sind. Die zunächst offensichtliche Anhäufung von Rücktritten im Justizbereich deutet einerseits auf Probleme in diesem Bereich hin, ist z. T. aber auch ein Zufallsergebnis, weil z. B. Justizsenator Dahrendorf in Hamburg nicht wegen eines Skandals in der Justizverwaltung zurücktrat, sondern wegen der Giftmüllaffäre. Ähnlich trat auch der Justizsenator Klug 1977 in Hamburg nicht wegen typischer Justizprobleme zurück, sondern wegen ungeklärter Aktenweiterleitung an die Presse. Eine sehr grobe Zuordnung der Verwaltungsskandale (mit Rücktritten) zu unterschiedlichen Bereichen öffentlicher Aufgabenerfüllung ergibt folgendes Ergebnis:
Bereich Strafvollzug: — Justizsenator Oxfort (Berlin)
— Justizminister Bender (Baden-Württemberg) — Justizsenator Baumann (Berlin)
— Justizminister Theisen (Rheinland-Pflalz)
Bereich Innere Sicherheit: — Verteidigungsminister Leber — Innenminister Maihofer Bereich Um weltschutz: — Umweltminister Best (Hessen)
— Justizsenator Dahrendorf (Hamburg) — Umweltminister Görlach (Hessen)
Bereich Finanzierung: — Bausenator Schwedler (Berlin)
— Ministerpräsident Osswald (Hessen)
— Finanzminister Halstenberg (Nordrhein-Westfalen) — Wirtschaftssenator Lüder und Finanzsenator Riebschläger (Berlin) Schlußfolgerungen aufgrund dieser Aufzahlung, etwa über die Verteilung auf Länder (Stadtstaaten sind überproportional vertreten) oder auf parteipolitische Herkunft (Rücktritte von CDU-und FDP-Ministern finden sich eher im Bereich der klassischen Ordnungsverwaltung, die der SPD-Minister eher im Bereich der neuartigen Leistungsverwaltung) sind zwar verlockend, scheinen uns aber aufgrund der viel zu geringen Anzahl der Fälle noch nicht zulässig zu sein. Immerhin wäre es interessant, diese Fragen einmal in einer umfassenderen und längerfristigen Untersuchung zu thematisieren.
Analysekategorien Die systematische Analyse der ausgewählten Verwaltungsskandale nach Ursachen und Folgen soll mittels Kategorien erleichtert wer-den, die von der Verwaltungswissenschaft zur Unterscheidung zentraler Strukturen der öffentlichen Verwaltung entwickelt wurden Wir verwenden hier die fünf miteinander verknüpften Kategorien:
— • Programme: Zielkonflikte und Durchführungsprobleme, — Organisation: Zuständigkeitsfragen und Koordinationsmängel, — Verfahren: Informationsdefizite und „Pannen",
— Personal: Ausbildungs-und Motivationsprobleme, — Verwaltungsumwelt: Politisches Wirkungsfeld.
Sie werden unten jeweils näher beschrieben. Zu jeder Kategorie formulieren wir mehrere (heuristische) Thesen, die dann exemplarisch aus dem uns zugänglichen Material vorläufig belegt werden.
Untersuchung typischer Verwaltungsskandale Programme Der Bereich der Programme umiaRt. die Festlegung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und der Art ihrer Erfüllung, d. h. die strukturellen Prämissen für die inhaltliche Richtigkeit des Verwaltungshandelns. Dies geschieht nach deutscher Tradition in erster Linie, aber nicht ausschließlich, durch das Medium des Rechts, d. h. durch Gesetze und andere Vorschriften Zunächst ist also zu fragen, was Verwaltungsskandale mit den Programmen staatlichen Handelns zu tun haben. Drei Thesen erscheinen uns hierzu aufgrund der bisherigen Erhebungen als plausibel:
These I: Eine Reihe von Verwaltungsskandalen entsteht, weil bestehende Festlegungen nicht beachtet oder mißverständlich interpretiert werden.
Beispiele hierfür sind zunächst einmal die verschiedenen Gefängnisskandale, in denen Häftlinge durch das Wachpersonal mißhandelt wurden, in einzelnen Fällen sogar zu Tode kamen. (Neben dem Mainzer Fall, der schließlich zum Rücktritt von Justizminister Theisen führte, gab es ähnliche Vorgänge in Hamburg („Glocke-Skandal“), Köln („Klingelpütz") und Mannheim, hier allerdings jeweils ohne ersichtliche politische Konsequenzen.) Selhstverständlich ist es verboten, Hälftlinge zu mißhandeln oder zu töten; das Problem liegt hier also darin, die Einhaltung bestimmter Normen innerhalb der Verwaltung zu garantieren.
Von Übertretungen bestehender Normen kann man aber auch ausgehen in den ganz anders gelagerten Fällen der Abhöraffäre Traube oder der Affäre bei der Überwachung von Zeitschriften durch den Bundesgrenzschutz (beide Affären führten zusammen mit anderen Schwierigkeiten zum Rücktritt von Bundesinnenminister Maihofer). Hier kann zumindest argumentiert werden, daß bei konsequenter Beachtung der bestehenden Normen beide Aktivitäten nicht unternommen worden wären. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob die Normübertretung gewollt oder aus Unkenntnis bzw. Falschinterpretation bestehender Normen stattfand. Beispielhaft hierfür sind auch die Abhöraffären im Verteidigungsministerium, bei denen Verteidigungsminister Leber fälschlicherweise davon ausging, daß das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) für Büroräume nicht gilt. Solche Verwaltungsskandale zeichnen sich dadurch aus, daß sie, hätten sich alle Beteiligten an Recht und Gesetz gehalten, nicht passiert wären.
These II: Verwaltungsskandale weil es zu viele Regelungen gibt. entstehen, Dieser mit dem Schlagwort „Überregelung" zu kennzeichnende Sachverhalt ist im Prinzip ein Unterfall der ersten These, d. h. bestehende rechtliche Normen werden nicht beachtet, jetzt allerdings aus dem Grund, daß es einfach zu viele davon gibt und daher die Relevanz einer einzelnen Festlegung nicht mehr gesehen wird. Ein typisches Beispiel hierfür ist die gewaltsame Befreiung des mutmaßlichen TerroristenTill Meyer in Berlin, die zum Rücktritt von Justizminister Baumann führte. Die Befreiung wurde erheblich durch eine unterbliebene Ausweiskontrolle erleichtert, die nach einer internen Verfügung eigentlich vorgeschrieben war. Bei der späteren Untersuchung stellte sich heraus, daß keinem der Beteiligten Beamten diese Verfügung bekannt war, ja daß sie nicht einmal an Ort und Stelle eingesehen werden konnte. Dies ist nicht verwunderlich, denn in den Jahren 1972 bis 1978 waren insgesamt 231 Hausverfügungen ergangen, davon allein 145 (!) in der kurzen Amtszeit von Justiz-senator Baumann. Es ist wenig überraschend, daß dann eine dieser vielen Verfügungen, deren Relevanz von vornherein ja nicht abzuschätzen ist, abhanden kommt oder gar nicht zur Kenntnis genommen wird: pragmatische Vorschriftenreduktion beim Vollzug
Diese „Normenvollzugsdefizite" aufgrund mangelhafter Vorschriftenkenntnisse bzw.deren „pragmatischer" Reduktion sind z. B. auch beim Hamburger Giftmüllskandal offenkundig. Dort konnten vor dem dazu eingesetzten Untersuchungsausschuß Beamte des Gewerbeaufsichtsamts konkrete Fragen zum Bundesimmissionsschutzgesetz nicht oder nur falsch beantworten. Ähnlich mangelhafte Kenntnisse wurden für Dienstanweisungen und andere verwaltungsinterne Vorschriften festgestellt. Ein leitender Beamter schätzte, daß die meisten Bediensteten nur etwa ein Drittel der für sie einschlägigen Rechtsvorschriften überhaupt kennen und der Inhaber der Firma erklärte in einem Interview, er sei nie von irgendeiner Hamburger Amtsstelle nach den notwendigen Lizenzen und Genehmigungen gefragt worden.
Die Folgen von Überregelung oder Regelungsüberlastung sind u. a. eben Nichtbeachtung von Vorschriften, aber auch eine Art (der dabei) allmählich erworbenen „Verantwortungsreduzierung". So war z. B.der Umbau des Hochsicherheitstrakts in Stammheim bis in alle Einzelheiten durch den Justizminister geregelt, es war aber nicht berücksichtigt worden, daß Terroristen und „normale Gefangene" durch gemeinsamen Umschluß in Kontakt kamen. Da sonst alles „von Oben" bis ins letzte Detail geregelt war, wurde dieses Faktum vom Personal der Vollzugsanstalt eben geduldet.
These III: In den Programmen nicht eindeutig geklärte Zielkonflikte werden bei der Durchführung der Programme deutlich und überfordern dann die beteiligten Instanzen und Personen.
Ein Beispiel für diese Art von sozusagen „eingebauten" Zielkonflikten ist der Skandal um den Steglitzer Kreiselin Berlin. Bei der Finanzierung dieses Superbauwerks konkurrierten von vornherein die beiden Zielsetzungen „solides und vorsichtiges Finanzgebaren" und „Förderung eines außergewöhnlichen und für Berlin symbolträchtigen Bauwerks". Es ist wenig überraschend, daß der Versuch der Beachtung beider Zielsetzungen zu Verhaltensunsicherheiten bei den beteiligten Personen geführt hat. Ähnliches gilt für den Bereich Strafvollzug. Es kann davon ausgegangen werden, daß der im Gesetz angelegte Konflikt zwischen . Aufbewahrung" und „Resozialisierung" zuletzt auf dem Rücken der Vollzugsbeamten ausgetragen wird, die sicherlich dadurch, bzw. durch die faktische Ignorierung des einen Ziels zugunsten des anderen, überfordert sind. Ein Teil der Probleme des Strafvollzugs ist durch die Formulierung von hohen Ansprüchen, die in der Durchführung nicht erfüllt werden können, begründet. Verhaltensunsicherheiten aufgrund ungeklärter Zielkonflikte mögen auch bei der Berliner Gefangenenbefreiung eine Rolle gespielt haben. Hier sollte gleichzeitig liberaler Strafvollzug demonstriert und für eine sichere Aufbewahrung vor allem der des Terrorismus verdächtigen Gefangenen gesorgt werden. Es ist ganz klar, daß die Präferierung des einen Ziels die Erreichung des anderen zumindest erschwerte. Diese Auffassung war zumindest in Teilen der Presse und auch in der Vollzugsverwaltung festzustellen. Verhaltensunsicherheit spielte schließlich auch beim Hamburger Giftmüllskandal eine Rolle. Hier waren es die Ziele „strenger Umweltschutz" und „Bürgernahe Verwaltung", die in Konflikt gerieten. Statt die Einhaltung von Auflagen und das Vorhandensein von Erlaubnissen zu kontrollieren, verließ man sich auf die Zusicherung der betreffenden Firma (Stoltzenberg Chemie), alles sei in bester Ordnung. Zumindest setzte man sich so nicht dem Vorwurf der bürokratischen Kleinlichkeit aus.
Programme können also auch deswegen zu Verwaltungsskandalen beitragen, weil sie nicht selten offen lassen, was wichtig ist, bzw. weil sie nicht genau regeln, was richtiges Verwaltungshandeln bei Zielkonflikten ausmacht. Organisationsstruktur Unter dem Begriff „Organisation" (oder „Organisationsstruktur") wird allgemein der formale Aufbau von Kommunikationsbeziehungen verstanden, d. h. Zuständigkeitsverteilungen, Hierarchien, Dezentralisierungsgrad usw. Auch dieser Bereich ist für das Verständnis von Verwaltungsskandalen und damit für Verwaltung überhaupt von einiger Bedeutung.
These IV: Verwaltungsskandale werden durch ungeklärte oder unklare Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung begünstigt.
Dieser mit dem Schlagwort „Zuständigkeitswirrwarr" umschriebene Sachverhalt zeigte sich zum Beispiel beim Stammheimer Gefängnisskandal. Die Möglichkeit, Waffen in den Hochsicherheitstrakt einzuschmuggeln, wurde vor allem durch nicht abgestimmte und unterschiedliche Kontrollverfahren begünstigt, die wiederum auf drei unterschiedliche Zuständigkeiten im Mehrzweckgebäude, in dem der Prozeß durchgeführt wurde, zurückzuführen waren. Zuständig waren: die Vollzugsanstalt für den Zellentrakt, die Richter für den Sitzungsraum und die Polizei für die restlichen Räume und die Eingangskontrolle. Diese faktische Aufgabenverteilung wurde aber von den beteiligten Stellen z. T. erheblich verkannt. Beispielsweise hielt Innenminister Schiess den jeweils Vorsitzenden Richter als Sitzungspolizei für die Sicherheitsmaßnahmen im Prozeßgebäude für allein zuständig und sich selbst als Dienstvorgesetzten der Polizei in dieser Sache für nicht zuständig. Der Richter ging hingegen seinerseits nur von einer sehr begrenzten Zuständigkeit aus. Ähnliche Verwirrung wurde bei der soge-nannten Fahndungspanne im Entführungsfall Schleyer deutlich, die auch als einer der Skandale angesehen werden kann, der schließlich zum Rücktritt von Innenminister Maihofer führte.
Kurz nach der Entführung waren insgesamt sieben Stellen mit der Reaktion auf die Entführung befaßt: der „große Krisenstab" (bestehend aus Bundeskanzler, Fraktionsvorsitzenden, Regierungschefs einzelner Länder), die „kleine Lage" (Vertreter verschiedener Ministerien, Generalbundesanwalt und Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Länder), das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden, die BKA-Abteilung Terrorismus in Bad Godesberg, das Sonderkommissariat 77 in Köln, der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Köln (als Chef der örtlichen Polizeibehörden) und das Landeskriminalamt Nordrhein-West-falen in Düsseldorf. Zwar wurde sofort das BKA mit der Wahrnehmung der Aufgabe der Strafverfolgung beauftragt aber damit war die Verwirrung nicht beendet. So wurden innerhalb von zwei Tagen die normalen Melde-wege von den örtlichen Polizeidienststellen zum BKA und zum Landeskriminalamt dreimal geändert. Dies mit dem wenig überraschenden Ergebnis, daß Informationen zwar vorhanden waren, leider aber nicht bis an die daran interessierten Stellen gelangten
These V: Die Aufgaben wahrnehmung der Verwaltung wird durch mangelhafte Kooperation und Koordination beeinträchtigt.
Diese eigentlich recht banale These ist zunächst nur eine Differenzierung der vorhergehenden Aussage. Allerdings wird hier die Verwaltung nicht durch undeutliche Zuständigkeiten behindert, vielmehr sind diese durchaus klar, aber sie erweisen sich dann doch als dysfunktional. Ein Beispiel dafür ist die Zuständigkeitszersplitterung, die durch den Hamburger Giftmüllskandal offenkundig wurde. In Hamburg lag die Genehmigungszuständigkeit für nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen (Fabriken, Lager, etc.) bei der Baubehörde. (Bauordnungsamt), während für die Überwachung das Gewerbeaufsichtsamt zuständig war. Die nicht genehmigungspflichtigen Anlagen schließlich wurden vom Bezirksamt überwacht. Es ist einleuchtend, daß aufgrund der fehlenden Kooperation zwischen diesen Stellen eine wirklichkeitsnahe Einschätzung der Zustände in und der Glaubwürdigkeit der betreffenden Firma erheblich behindert wurde. Ähnliche Kooperations-und Koordinationsmängel zeigten sich bei der Aufklärung der Spionageaffäre Lutze, die mit zum Rücktritt von Verteidigungsminister Leber führte. Hier wurde die mangelhafte Kooperation noch durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen verschiedenen Nachrichtendiensten und insbesondere verschiedenen Stellen innerhalb des Verteidigungsministeriums behindert So ermittelten im Fall Lutze u. a. das Bundeskriminalamt (BKA), der Generalbundesanwalt, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und die Stabsabteilung II des Führungsstabes der Streitkräfte im Bundesministerium für Verteidigung (FÜS II). Obwohl der MAD eigentlich in der Hierarchie dem FÜS II unterstellt ist, besteht für FÜS II keine Weisungsbefugnis gegenüber dem MAD (bzw.dem Amt für Sicherheit der Bundeswehr, dem wiederum der MAD unterstellt ist). Nachdem der Kompetenzstreit in diesem Fall immer groteskere Formen angenommen hatte, wurde von Staatssekretär Fingerhut angeordnet, daß ausschließlich der MAD in Amtshilfe für das BKA die Ermittlungen führen sollte. Dies wiederum brüskierte zumindest einige Militärs, so daß die faktische Kooperation und damit die Ermittlungen noch mehr behindert wurden.
Auch in dem ganz anders gelagerten Skandal um den Steglitzer Kreisel spielte mangelhafte Koordination und Kooperation eine Rolle. Dort wurde der Erwerb der bedeutendsten Grundstücke für das Projekt durch Meinungsverschiedenheiten über die Zuständigkeit behindert. So bemühten sich zeitweise gleichzeitig Stellen des Berliner Senats und des Bezirksamtes Steglitz um den Erwerb der Grundstücke, ohne vorher zu beraten oder abzusprechen, wie und zu welchen Konditionen die Grundstücke zu erwerben seien. Der sinnvolle und mögliche Weg der rechtzeitigen Erstellung eines Bebauungsplanes, um dann mit den Instrumenten Vorkaufsrecht und Veränderungssperre operieren zu können, wurde nicht beschritten
These VI: Verwaltungsskandale verdeutlichen oft eine erhebliche „Betriebsblindheit“ der Verwaltung.
Die Betriebsblindheit einzelner Stellen der Verwaltung (die selektive Problemperzeption) hängt eng mit einer rigiden Zuständigkeitsverteilung zusammen. Die Verwaltung ist in einer überkomplexen Umwelt darauf angewiesen, nur bestimmte Aspekte der Wirklichkeit wahrzunehmen, nämlich die, für die sie jeweils zuständig ist, weil sonst ihre Informationsverarbeitungs-und Problemlösungskapazität hoffnungslos überfordert wäre
Trotzdem kann diese eigentlich sinnvolle Aufteilung in unterschiedliche Zuständigkeiten, die mit einer gewissen Spezialisierung und damit auch angemessener Sachkenntnis verbunden ist, dysfunktionale Ergebnisse zeitigen. Ein treffendes Beispiel ist wiederum der HamburgerGiftmüllskandal. Dort hatten seit 1949 insgesamt mehr als 600 Bedienstete des Hamburger Senats die Firma Stoltzenberg bei insgesamt über 230 Anlässen besucht. Man kann durchaus davon ausgehen, daß in den weitaus meisten dieser Fälle die Besucher ihre jeweilige (partikulare) Aufgabe ernsthaft erledigten. Trotzdem wurden aber die Zustände auf dem Gelände der Firma immer chaotischer. Der Grund hierfür dürfte sein, daß jeweils nur ganz bestimmte Teilprobleme wahrgenommen und wohl auch geregelt wurden, während die übergreifende Gesamtsituation nicht wahrgenommen wurde. Der jeweils zuständige Prüfer wollte solche Probleme möglicherweise auch gar nicht bemerken, weil „Überschreitung der Zuständigkeit" in unserer Verwaltung traditionell nicht gerade belohnt wird.
Eine etwas andere Form der Betriebsblindheit hat sich demgegenüber in Stammheim gezeigt. Hier fanden zwar regelmäßige Zellenkontrollen statt und auch einige Kontrollen „aus besonderem Anlaß", aber Hauptzwecke dieser Kontrollen war auf der einen Seite die Sicherheitsüberprüfung, d. h. die Kontrolle der Ausbruchssicherheit, auf der anderen Seite die Suche nach Schriftstücken, die beweisen sollten, daß die Inhaftierten ihre terroristischen Aktivitäten auch aus dem Gefängnis heraus fortsetzten. Solche Schriftstücke wurden auch gefunden. Nach Waffen, Radios oder Kameras wurde systematisch nicht gesucht, und diese wurden dann verständlicherweise auch nicht entdeckt.
Verfahren Unter dem Stichwort „Verfahren" werden verschiedene Elemente der Prozeßstruktur zusammengefaßt, also die normalen Abläufe des administrativen Handelns, die Verfahrensregeln, Prozeduren, Entscheidungstechniken usw. Hier soll es in erster Linie um Aspekte der Informationsbeschaffung und -Vermittlung als einem wichtigen Element administrativen Handelns gehen. Der Bereich „Verfahren" ist eng mit dem der „Organisation" verbunden. Während es im letzteren aber um formale Kommunikationsbeziehungen geht, sollen hier die tatsächlichen Handlungsabläufe und die oft informellen Kontakte im Vordergrund stehen.
These VII: Verwaltungsskandale sind weniger durch Probleme der Informationsbeschaffung als durch Defizite der Informationsübermitt-^un 8 gekennzeichnet. In den von uns untersuchten Skandalen gab es keinen Fall, in dem die Verwaltung aufgrund von unzulänglicher Informationsbeschaffung nicht in der Lage war, korrekte Entscheidungen zu treffen. Es war in diesen aber mehrfach zu beobachten, daß die für richtige Verwaltungsentscheidungen notwendigen Informationen zwar in der Verwaltung vorhanden waren, aber nicht an die sie dringend benötigenden Stellen gelangten (bzw. irgendwie versikkerten). Ein Beispiel hierfür ist der Skandal um die Gefangenenbefreiung in Berlin. Dort war in der zuständigen Senatsverwaltung bekannt, daß die zur Identifikation der Anwälte ausge-'gebenen Ausweise nicht fälschungssicher waren, daß die Apparate, mit denen diese Ausweise hergestellt wurden, frei käuflich waren und daß sogar von Terroristen der Versuch unternommen worden war, einen solchen Apparat zu erwerben. Leider wurde nur versäumt, die mit der Kontrolle der Ausweise beschäftigten Stellen von dieser Erkenntnis zu unterrichten, so daß diese davon ausgingen, die Ausweise seien fälschungssicher. Deshalb nahmen sie keine weiteren (eigentlich vorgeschriebenen) Überprüfungen der Identität von Anwälten vor. Ähnlich war in Stammheim schon während der Kontaktsperre bei einem Umzug Baaders in dessen alter Zelle durch Zufall eine Minoxkamera gefunden worden. Der zuständige Ministerialdirigent wurde zwar sofort telefonisch von dem Fund verständigt, „vergaß" diese Nachricht aber wieder, so daß schließlich keine Schlußfolgerungen gezogen wurden. Der Justizminister erfuhr von diesem Fund dann erst aus der Zeitung, nahm ihn aber auch nicht zum Anlaß, nun irgendwelche Vorkehrungen zur genaueren Kontrolle der Zeilen zu treffen.
Neben dieser mangelhaften vertikalen Informationsübermittlung sind auch erhebliche Mängel der horizontalen Kommunikation zu konstatieren. Besonders deutlich wurde dies wiederum beim Giftmüllskandal in Hamburg, wo keine Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Verwaltungsstellen und deren Bediensteten auf der gleichen Ebene stattfand. So gab die Bauprüfungsabteilung des Ortsamtes wichtige Informationen nicht an die Wirtschafts-und Ordnungsabteilung des gleichen Amtes und an das Bezirksgesundheitsamt weiter. Ähnliches war für das Verhältnis der Arbeits-und Sozialbehörde zur Gesundheitsbehörde zu verzeichnen. Parallel zu diesem Ausbleiben der horizontalen Informationsbezie-
ungen fand auch nicht die klassische Kommunikation über die Vorgesetzten statt bzw. konnte nicht erfolgen, weil die Vorgesetzten entweder die Information nicht Weitergaben oder aber auch überhaupt nicht informiert wurden. Die zentrale Funktion der Vorgesetzten, nämlich zur horizontalen und vertikalen Informationsübermittlung beizutragen, wurde jedenfalls nicht ausreichend wahrgenommen.
These VIII: Verwaltungsskandale werden nicht nur durch zu wenig, sondern auch durch zuviel Information begünstigt.
Auch dieser Sachverhalt wird besonders am Beispiel des Hamburger Giftmüllskandals deutlich. Dort wurden z. T. wahllos Vermerke an alle möglichen beteiligten und unbeteiligten Verwaltungsstellen geschickt, was schließlich dazu führte, daß keine der mit diesem Papierwust eingedeckten Stellen sich tatsächlich zuständig fühlte. So verschickte z. B. die Behörde für Inneres (hier: Wasserschutzpolizei) Kopien über ihre Lieferungen von zur Vernichtung bestimmten giftigen und gefährlichen Chemikalien an alle möglichen Behörden, stellte aber ihrerseits keine (ihr leicht mögliche) sachdienliche Nachfrage bei der Baubehörde an. Durch Überkommunikation kann also auch Aktivität verhindert werden, weil alle beteiligten Stellen davon ausgehen, daß die anderen zuständig sind und (deshalb auch) tätig werden. Überkommunikation kann also — ähnlich wie Überregelung — durchaus eine Form der Abwälzung von Verantwortung sein.
Eine weitere recht problematische Folge von Überkommunikation wurde durch die soge-nannten Fahndungspannen im Entführungsfall Schleyer deutlich. Hier brach nach wenigen Tagen die Informationsverarbeitungskapazität der zuständigen Stellen zusammen. Dies z. B.deswegen, weil eine unerwartet große Anzahl von Hinweisen aus der Bevölkerung einging, z. T. aber auch, weil die Melde-wege und Zuständigkeiten so oft geändert wurden und schließlich so kompliziert waren, daß ein Großteil der Information doppelt und dreifach verarbeitet werden mußte, wobei die einzelnen Dienststellen dann davon ausgingen, daß jeweils andere den Hinweisen nachgehen würden.
Als eine besondere Form der Überkommunikation, die dazu führt, daß Informationen nicht mehr wahrgenommen oder („pragmatisch") vernachlässigt werden, kann auch die oben (These II) behandelte „Überregelung" angesehen werden. Auch hierbei werden Informationen nur noch zur Legitimation, nicht aber mehr als Handlungsanleitung verwendet. Personalstruktur Unter dem Stichwort Personalstruktur werden gewöhnlich die allgemeinen personalen Charakteristika des öffentlichen Dienstes zusammengefaßt, d. h. die typischen Eingangsvoraussetzungen, Qualifikationen, Erfahrungen, Orientierungen und Zuordnungen. Für unsere Analyse ist vor allem die adäquate Qualifikation und Motivation zur Aufgabenwahrnehmung relevant.
These IX: Verwaltungsskandale sind oft ein Zeichen unzulänglicher Qualifikation 28a) der öffentlich Bediensteten.
Das typische Beispiel für diese These sind die verschiedenen Gefängnisskandale; in denen durch Angehörige des Wachpersonals Gefangene mißhandelt wurden oder sogar ums Leben kamen. Skandale dieses Typs führen selten zum Rücktritt eines Ministers (Ausnahme ist der Fall Theisen, der jedoch besondere Zusatzmerkmale aufweist); sie kommen aber mit einer schon erschreckenden Regelmäßigkeit vor. Es ist bekannt, daß der Dienst in Justizvollzugsanstalten nicht sehr angesehen und auch nicht sehr attraktiv ist. Aus diesem Grund leidet der gesamte Strafvollzug unter konstantem Personalmangel. Dieser Personal-mangel hat nun die doppelte Konsequenz, daß zum einen die Anforderungen an das Wach-personal nicht besonders hoch angesetzt werden, um die Stellen überhaupt besetzen zu können, zum anderen aber das vorhandene Personal unter erschwerten Bedingungen der unzureichenden Personalausstattung und unter großer Überstundenbelastung arbeiten muß: Zumeist liegt also eine doppelte Belastung vor. So wurde z. B. im Prozeß um eine Gefangenentötung in Mannheim sämtlichen angeklagten Vollzugsbeamten strafmildernde Umstände zugebilligt. Im Falle des Hauptangeklagten nahm das Gericht sogar eine Minderung der strafrechtlichen Verantwortungsfähigkeit an. Laut psychologischem Gutachten war er für den Vollzugsdienst „völlig untauglich“.
Das Wachpersonal ist konstant durch die sicherlich schwierige Arbeit überfordert, die ja zusätzlich durch den Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Strafvollzugs belastet ist. Es ist daher kaum überraschend, wenn auch nicht entschuldbar, daß Übergriffe des Personals gegenüber den Gefangenen mit einiger Regelmäßigkeit vorkommen.
Eine ganz andere Form der mangelhaften Qualifikation in der Verwaltung oder der Überforderung der Verwaltung wurde im Skandal um den Steglitzer Kreisel sichtbar. Hier sah es so aus, als ob die Verwaltung im Prinzip froh darüber war, daß ihr durch private Akteure die Bewältigung einer komplexen Aufgabe abgenommen wurde. Sie war und ist dann aber auch nicht in der Lage, die Durchführung dieser Aufgabe angemessen zu kontrollieren. Als ein weiteres Beispiel für diese Tendenz der Verwaltung, allzu komplizierte Aufgaben „auszulagern“, könnte der Skandal um die Finanzierung des Tornado herangezogen werden. Auch hier schien das Verteidigungsministerium nicht in der Lage zu sein, eine ausgelagerte Aufgabe hinreichend zu kontrollieren (geschweige denn selbst durchzuführen!). In engem Zusammenhang mit mangelhafter Qualifikation für die jeweiligen Aufgaben steht der Vorwurf der mangelnden Eigeninitiative oder der Verantwortungsscheu. Dies zeigt sich z. B. darin, daß öffentliche Bedienstete sich damit begnügen, vorhandene Regeln anzuwenden, obwohl ihnen deutlich sein muß, daß in diesem Fall die Regeln nicht ausreichen. Als Beispiel kann der Stammheimer Gefängnisskandal genannt werden, bei dem der Kontakt der Gefangenen mit normalen Häftlingen geduldet wurde, weil ja die ansonsten sehr genauen Regelungen nichts anderes vorsahen. Ähnlich spielte auch beim Hamburger Giftmüllskandal „das nur unzureichend entwickelte Bewußtsein der zuständigen Mitarbeiter für eine problembezogene Gesamtschau und Gesamtverantwortung bei der Erledigung ihrer Aufgaben“ eine entscheidende Rolle, denn erst durch diese mangelnde Motivation, Beweglichkeit und Initiative der Bediensteten konnte die selektive Problemperzeption —die „Betriebsblindheit“ — ihre katastrophalen Ausmaße annehmen.
These X: Persönliche Unzulänglichkeiten sind in der Regel nicht Grund von Verwaltungsskandalen.
Mit persönlicher Unzulänglichkeit im Sinne dieser These sind in erster Linie „moralische“ Persönlichkeitsmängel der öffentlich Bedien-steten gemeint, etwa in der Art, daß sie sich durch ihr Handeln persönlich bereichern wollen oder sonstige verwerfliche Absichten damit verfolgen. Tatsächlich haben die von uns untersuchten Skandale keinen Anhaltspunkt dafür geliefert, daß diese Motive als Ursache von Verwaltungsskandalen eine relevante Rolle spielen. Obwohl beim Begriff „Verwaltungsskandal" wahrscheinlich zunächst Phänomene wie Korruption, Bereicherung, Protektion u. ä. assoziiert werden, kommen wir zu dem (vielleicht überraschenden) Ergebnis, daß diese Motive zumindest bei den uns bekannten Skandalen keine relevante Rolle gespielt haben. Höchstens im Fall des Steglitzer Kreisels ist gelegentlich von Bereicherung oder zumindest Verfilzung gemunkelt worden, ohne daß aber konkrete Beweise dafür geliefert wurden. Auch „erotische Zwischenspiele" zwischen der Kreisel-Architektin und z. T. nur indirekt zuständigen Administratoren hatten für den Skandal im eigentlichen Sinne keine Bedeutung. Bei den übrigen Skandalen ist davon auszugehen, daß solche Motive keine Rolle gespielt haben.
Wenn von Angehörigen des öffentlichen Dienstes moralische Verfehlungen im Sinne von (persönlichen) Gesetzesübertretungen stattfanden, dann am ehesten aus einer Art Übereifer heraus, wie an den verschiedenen Abhörskandalen deutlich wird. Eine Ausnahme bilden nur die Gefängnisskandale, in denen ja ganz eindeutig, allerdings wohl meistens im Affekt (was gewiß verwerflich bleibt), Gesetze übertreten wurden.
Verwaltungsum weit Unter dieser Kategorie sollen schließlich Aspekte behandelt werden, die nicht mit der Verwaltung selbst, sondern in erster Linie mit ihrer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwelt zu tun haben. Dabei ist davon auszugehen, daß gerade die spezielle Umwelt der Verwaltung bzw. die besondere Stellung der Verwaltung in dieser Umwelt, die Entwicklung von Skandalen erst ermöglichen oder doch begünstigen kann.
These XI: Ein Skandal kommt selten allein.
In sehr vielen Fällen wird das ursprüngliche . Ärgernis", d. h. die Normverletzung, die den Skandal ausgelöst hat, ergänzt, oder manchmal auch erst so „richtig skandalös“, durch die Versuche, die ganze Angelegenheit zu vertuschen. Zumindest wird oft die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch eine negative In-formationspolitik erst richtig geweckt. Fast alle von uns untersuchten Skandale können als Beispiel für diese These herangezogen werden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der Mainzer Gefängnisskandal, der erst durch die wohl recht ungeschickten Versuche, den Vorfall zu leugnen und schließlich herunterzuspielen, öffentliche Aufmerksamkeit erregte und so dann gar zum Rücktritt von Justizminister Theisen führte.
Ähnliches gilt für die verschiedenen Abhöraffärenoder auch für den Steglitzer Kreisel, wo kritische Fragen der Öffentlichkeit lange Zeit als unzutreffend und irrelevant abgetan wurden. Einige Skandale entwickelten sich auf diese Weise quasi zu Doppelskandalen: einmal gibt es den ursprünglichen Skandal (z. B. Todesfall im Gefängnis), darüber hinaus aber auch noch den Skandal der Skandalbewältigung, z. B. durch Vertuschung
These XII: Verwaltungsskandale entstehen, weilpolitische Kontrolle und Kritik mißachtet werden.
Ein typisches Beispiel für diese Abschottung der Verwaltung gegen Kritik von außen ist wiederum der Hamburger Giftmüllskandal. Bezüglich der ungesetzlichen und gefährlichen Aktivitäten der Firma Stoltzenberg, die schließlich zum Skandal führten, hatte es mehrfach publizistische und parlamentarische Aktionen gegeben, so z. B. einen Artikel des Schriftstellers Günther Wallraff in „Konkret",. eine kleine Anfrage der damaligen Bürgerschaftsabgeordneten Helga Schuchardt in der Hamburger Bürgerschaft und eine Eingabe der „Arbeitsgemeinschaft Giftgas Eidelstedt". Auf alle diese Aktivitäten wurde von Seiten der Verwaltung nicht oder nicht angemessen reagiert. So wurde auf eine Flugblattaktion gegen die Firma Stoltzenberg von Seiten der Verwaltung mit der Verhängung eines Bußgeldes von DM 40, — geantwortet wegen „Verunreinigung von Grün-und Erholungsanlagen" (l). Ein besonders pikanter Vorgang, weil hier ein überaus geringfügiges „Umweltschutzvergehen" geahndet wurde, während die eigentlich längst überfällige Überprüfung der Firma Stoltzenberg nicht stattfand.
Der später eingesetzte Untersuchungsausschuß, darauf weist Damkowski ausdrücklich hin, hat während seiner Ermittlungen sogar den Eindruck gewonnen, daß Hinweise auf Schwachstellen oder fehlerhaftes Verwaltungshandeln nicht nur nicht beachtet wur-den, sondern für den beschwerdeführenden Bediensteten in manchen Fallen sogar dienstliche Schwierigkeiten zur Folge hatte
Ähnliche Mißachtung kritischer Stimmen der Öffentlichkeit sind beim Steglitzer Kreisel zu beobachten, wo das Abgeordnetenhaus zu einem frühen Zeitpunkt kritische Fragen stellte.
Beim sogenannten Bundesgrenzschutzskandal,der schließlich auslösendes Moment für den Rücktritt des Innenministers Maihofer wurde, ging es um die rechtlich nicht zulässige Überprüfung von Reisenden durch den BGS. Mitgeführte Zeitschriften und andere Schriftstücke wurden mit einer umfangreichen Liste vermeintlich linksradikaler Publikationen verglichen Auch hier wurde der Sachverhalt, als nach ihm in einer kleinen Anfrage geforscht wurde, vom parlamentarischen Staatssekretär des Innenministeriums zunächst abgeleugnet.
These XIII: Verwaltungsskandale entstehen, weil die Verwaltung vor den politischen Folgen von Skandalen Angst hat.
Diese zunächst paradoxe These kann wiederum am Beispiel des Steglitzer Kreisels erläutert werden. Großprojekte wie der Kreisel erzeugen während ihrer Abwicklung eine Eigendynamik, die es der Verwaltung beinahe unmöglich macht, wieder „auszusteigen". Als die Finanzierung des Kreisels offenkundig auch für die Verwaltung schwierig wurde, sah man keinen anderen Ausweg, als das Projekt weiterzutreiben, denn das Aussteigen des Berliner Senats aus diesem Projekt hätte unweigerlich zu einem beachtlichen „Skandal" geführt. So blieb man nach dem Motto „Wer A sagt, muß auch bis Z weiterbuchstabieren" dabei, ohne den Zusammenbruch schließlich verhindern zu können. Wahrscheinlich wäre ein früherer Ausstieg aus dem problematischen Vorhaben sinnvoll gewesen, aber offensichtlich hatte man vor den politischen Folgen eines solchen Skandals mehr Angst als vor der ungewissen, nicht gerade rosigen Zukunft des Projekts. Ähnliche Überlegungen, so könnte man zumindest vermuten, dürften auch bei dem sich noch in der Diskussion befindenden Tornado-Skandal und beim Main-Donau-Ka- nal eine Rolle spielen.
Tatsächlich ist der Kreisel-Skandal ja dann auch „aufgeplatzt", als sich der Berliner Senat aus dem maroden Unternehmen zurückzog. Ein weiteres Beispiel für solche „Zwickmühlen", in die öffentliche Verwaltungen geraten, ist der Skandal um ein „Integriertes Planungs-, Entscheidungs-und Kontrollsystem" (IPEKS) in Rheinland-Pfalz. Dieses lange Zeit von vielen Seiten schon mit Mißtrauen betrachtete, umfassend angelegte Regierungs-Planungssystem wurde erst dann zum öffentlichen Ärgernis mit vielbeachteten Parlamentsdebatten und kritischen Berichten des Rechnungshofs, als die Landesregierung sich nicht mehr entschließen konnte, weitere Millionen in das unsichere Projekt zu investieren.
Die Neigung der Verwaltung, Projekte aus Angst vor einem Skandal weiter zu verfolgen, die schon sehr problematisch geworden sind (und damit den schließlich doch eintretenden Skandal nur noch verschärfen), dürfte zu der Größe des jeweiligen Projekts direkt proportional sein. Je mehr Geld schon in eine Sache geflossen ist, desto schwerer dürfte der Verwaltung der Rückzug — und damit das Eingeständnis des eigenen Irrtums — fallen (siehe wiederum Steglitzer Kreisel und Tornado; aber auch IPEKS und das Projekt „Main-Donau-Kanal"). Damit wird dann der Skandal vorprogrammiert. These XIV: Bestimmte Bereiche sind Skandal-anfälliger, weit sie sich gegen öffentliche Kontrolle abschotten.
Diese These ergibt sich aus der Vielzahl der Skandale in den Bereichen Gefängnis und Geheimdienste. Es kann daher vermutet werden, daß ein Bereich um so eher zu Skandalen neigt, je weniger er der täglichen Kontrolle der Öffentlichkeit unterzogen ist. Bereiche der Verwaltung, die durch ihre Aufgabe per Delinition der Überwachung durch die Öffentlichkeit weitgehend entzogen sind, schotten sich ab. Diese Abschottung als strukturelles Problem führt wiederum dazu, daß nur sehr erhebliche Normverstöße überhaupt ruchbar werden und auch nur in der Form eines Skandals, d. h. unter erheblicher und engagierter Beteiligung der öffentlichen Meinung aufgedeckt und diskutiert werden können. Wenn man die immer wieder aufgetretenen Bundeswehrskandale betrachtet (u. a. IIS 30-Schützenpanzerwagen, Starfighter, Tornado), dann ist die These, daß auch die Bundeswehr zumindest zum Teil zu diesen durch Abschottung besonders skandalgefährdeten Bereichen gehört, wohl nicht ganz abwegig.
IV. Erste Folgerungen
Abschließend sollen einige Thesen über allgemeine Charakteristika von Verwaltungsskandalen gewagt werden, wie sie sich aus den von uns untersuchten, nur eingeschränkt repräsentativen Fällen ergeben.
These XV: Verwaltungsskandale haben meistens mehrere Ursachen und berühren jeweils gleichzeitig mehrere Strukturelemente der öffentlichen Verwaltung.
Fast keiner der von uns untersuchten Verwaltungsskandale ist nur mit einer der verwaltungswissenschaftlichen Analysekategorien (= Strukturelementen der Verwaltung) zu erlassen; die Skandale betreffen mehrere Aspekte. So hat sich z. B. beim Stammheimer Gefängnisskandalgezeigt, daß hier sowohl Defizite der Organisation und des Verfahrens, aber auch des Personals ursächlich für das Geschehen und damit für den Verwaltungsskandal waren. Auch die Vorgänge um den Steglitzer Kreisel verdeutlichen, daß hier organisatorische Mängel mit unzureichender Qualifikation des Personals und ungeklärten Zielkonflikten (Programmebene) zusammentrafen. Ein exzellentes Beispiel ist schließlich der HamburgerGiftmüllskandal, bei dem jedes „Strukturelement" ursächlich zu den skandalösen Vorgängen beigetragen hat Verwaltungsskandale sind also in erster Linie dann zu erwarten, wenn gleichzeitig in mehreren Strukturelementen der öffentlichen Verwaltung Defizite offenkundig werden, wenn „Versagen" im internen Bereich vorliegt.
Ein Ausnahmefall scheinen nur Gefängnis-Skandale zu sein, deren Ursachen vorrangig auf Probleme der Personalstruktur bzw. auf allgemeine Strukturprobleme des Strafvollzugs zurückgeführt werden können. Aber auch hier hat sich gezeigt, daß diese Skandale nur dann zum Rücktritt eines Ministers führen und damit „Skandalqualität" im eigentlichen Sinne erlangen, wenn weitere „Fehler" beganRen werden, z. B. wenn versucht wird, den Skandal zu vertuschen oder herunterzuspielen. Da es sich um VerwaltungsSandale handelt, ist es wenig überraschend, daß normalerweise der Bereich der Politikdurchführung, die Implementation von vorhandenen Gesetzen, Pro-grammen u. ä. betroffen ist. Auch hier zeigt sich wieder einmal, daß das Handeln der Verwaltung, und damit staatliches Handeln überhaupt, ganz offensichtlich durch Zielvorgaben, Gesetze, Handlungsprogramme usw. allein noch nicht steuerbar ist, sondern daß erst in der Phase der Durchführung die problematischen Schwachstellen offenkundig werden Politik-und verwaltungswissenschaftliche Forschung hat gerade diesen Bereich viel zu lange vernachlässigt und ist, oft unreflektiert, davon ausgegangen, daß mit der Formulierung „guter" Gesetze, Verordnungen, Programme usw. die eigentlichen Probleme staatlichen Handelns gelöst seien. Nach unserer Meinung fangen sie dann praktisch erst an und Verwaltungsskandale sind ein guter Indikator für die Art dieser Probleme. Aber Verwaltungsskandale weisen durchaus auch auf Probleme der Politikformulierung, d. h.der der Politik-durchführung vorgelagerten Phase des politischen Prozesses, hin. Bestimmte Skandale können nur entstehen, weil schon bei der Programmerstellung, bei der Formulierung politischer Ziele und der geplanten Art ihrer Erfüllung nicht fehlerfrei gearbeitet worden ist bzw. bestimmte Probleme nicht beseitigt werden. Beispiele hierfür sind z. B. die Skandale im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waffensystemen, in Bereichen des Verfassungsschutzes und öffentlich geförderter Bauten. These XVI: Das Personal der öffentlichen Verwaltung ist selten alleinige Ursache des Skandals, ist aber an (fast) jedem Skandal beteiligt. Eino grobe Zuordnung der verschiedenen Skandale zu den verschiedenen Strukturelementen verdeutlicht, daß (‘in eindeutiges Übergewicht der Ursachen in einem Bereich, z. B. in der Organisation oder im Verfahren der öffentlichen Verwaltung, nicht zu erkennen ist. Aber auch das Personal der öffentli-eben Verwaltung scheint nicht Hauptursache des Entstehens von Skandalen zu sein. Allerdings zeigt sich auch, daß es kaum einen Verwaltungsskandal gibt, bei dem nicht Mängel oder Defizite der Personalstruktur eine gewisse Rolle bei seiner Entstehung und der Entwicklung gespielt haben.
Dieses Ergebnis kann auch dahin gehend zusammengefaßt werden, daß Mängel der Personalstruktur eine wichtige, aber nicht hinreichende Bedingung von Verwaltungsskandalen ausmachen. Umgekehrt: Ein Verwaltungsskandal ist dann zu erwarten, wenn das Personal nicht mehr in der Lage ist, die Defizite der übrigen Strukturbereiche der Verwaltung zu kompensieren. „Gutes" Personal kann vieles noch „ausbügeln", was durch Schwierigkeiten in den übrigen Bereichen fehlerhaft verläuft. Aber wenn auch das Personal versagt, sind Skandale offensichtlich schwer zu vermeiden. Dies gilt verstärkt, wenn die Leitungsebene ihrerseits stark involviert ist und deutliche Entscheidungsschwierigkeiten hat.
These XVII: An Verwaltungsskandalen ist last immer die Leitungsebene der öllentlichen Verwaltung beteiligt.
Obwohl man vermuten könnte, daß Verwaltungsskandale in erster Linie durch Fehlleistungen oder durch Fehlverhalten der weniger qualifizierten Angehörigen des öffentlichen Dienstes hervorgerufen werden (wie z. B. bei Gelängnisskandalen), so hat sich bei den von uns untersuchten Fällen gezeigt, daß vorrangig Angehörige des höheren Dienstes und vor allem die jeweilige politische Spitze der Behörde an den Skandalen beteiligt waren.
So wurden die problematischen Entscheidungen, die schließlich mit zum Skandal beitrugen, in den Fällen Steglitzer Kreisel, Tornado oder auch in den verschiedenen Abhörallären eindeutig in der jeweiligen Leitungsebene getroffen. Dabei ist es sicherlich schwierig, den Anteil der leitenden Beamten und der verantwortlichen Politiker scharf auseinanderzuhalten. Aber auch in den Fällen, die nicht vorrangig im politischen Bereich liegen, war die administrative Leitungsebene beteiligt. Sowohl im Mainzer wie im Stammheimer und Berliner Gelängnisskandalwaren Versäumnisse der jeweiligen Leitungsebene entscheidend für die Entwicklung, bzw. in Mainz für die unbefriedigende Bewältigung des Skandals. Ähnliches gilt für den Hamburger Giltmüllskandal.
Die oft geäußerte Vermutung, daß Skandale „irgendwo" in der Verwaltung auftreten und daß dann die bedauernswerte Leitungsebene, die von nichts gewußt hat, den Kopf hinhalten muß, läßt sich daher nicht ohne weiteres aufrechterhalten. Praktisch in allen von uns untersuchten Fällen waren leitende Beamte und meistens auch Politiker direkt an Entscheidungen beteiligt, die dann skandalöse Folgen hatten. Dies bedeutet gewiß nicht, daß jeweils abzusehen war, welche Konsequenzen bestimmte Entscheidungen haben würden, aber die These von der vollkommenen Unschuld, die dann nur aufgrund einer vagen „politischen Verantwortung" gestraft wird, trifft zumindest seltener zu als allgemein vermutet wird.
These XVIII: Ein Verwaltungsskandal wird erst ein richtiger Skandal, wenn er politisch genutzt werden kann.
Eine eklatante Normverletzung der öffentlichen Verwaltung und eine darauf folgende umfassende Reaktion der Öffentlichkeit genügen manchmal noch nicht, um einen Skandal zu definieren. Zumindest reichen sie oft nicht aus, um die Beendigung eines Verwaltungsskandals, nämlich einen Rücktritt, herbeizuführen. Dieser Tatbestand scheint uns ganz offenkundig z. B. in den Fällen Leber und Maihofer gegeben zu sein. Hier war der Skandal — allerdings jeweils nicht der erste — schließlich nur Anlaß, um einen Minister, der politisch zu einer Belastung zu werden drohte, letztlich zum Rücktritt zu veranlassen. Ein sehr gutes Beispiel ist auch der Fall Theisen. Der rheinland-pfälzische Justizminister mußte nach einem Gefängnisskandal gehen, der sich später als gar kein Skandal herausstellte. Zumindest wurden die angeklagten Gefängnisaufseher, wenn auch unter sehr merkwürdigen Begleitumständen, freigesprochen. In diesem Fall war aber offensichtlich ein Minister, der schon seit einiger Zeit immer wieder durch anderes „skandalöses" Verhalten aufgefallen war, politisch nicht mehr tragbar. Als dann eine passende Gelegenheit kam, nämlich ein (zumindest vermuteter) neuer Skandal, wurde der Minister zum Rücktritt gedrängt.
Ein weiteres Beispiel ist der Rücktritt von Justizminister Baumann in Berlin. Hier wurde die Gefangenenbefreiung, die im Prinzip mit liberalem Strafvollzug nichts zu tun hatte (allenfalls durch den erwähnten Zielkonflikt auf der Ebene der Vollzugsbeamten), auch dazu benutzt, um einen unliebsamen Reformer möglichst schnell wieder los zu werden.
Dies ist sicherlich nicht in allen Fällen so ausgeprägt. Manchmal soll ein Rücktritt auch noch in letzter Minute verhindern, daß ein Skandal sich zu voller Größe entwickelt. So trat in Berlin Bausenator Schwedler zurück, bevor die Affäre Kreisel eigentlich richtig begann. Ähnlich trat in Baden-Württemberg Justizminister Bender zurück, bevor überhaupt klar war, was in Stammheim eigentlich passiert war. Beide konnten aber nicht ganz verhindern, daß der Skandal trotzdem weiter diskutiert wurde, obwohl das Ausmaß des „Skandalösen" vielleicht vermindert wurde. In beiden Fällen hat es in der Folgezeit ein weiteres politisches „Opfer" gegeben, das dann aber schon viel weniger beachtet wurde. In Berlin wurde Finanzsenator Strieck nicht mehr für den nach den Wahlen neuzubildenden Senat nominiert und in Baden-Württemberg trat einige Monate später Innenminister Schiess zurück. Eine ganz besondere Form der Nutzung von Skandalen scheinen die in den letzten Jahren in vielen Städten aufgetretenen Kunstskandale zu sein. Dabei handelt es sich fast überall um konzentrierten Unmut der Bevölkerung über den Ankauf und/oder die Aufstellung von moderner Kunst durch die jeweilige Stadtverwaltung. Dieses Unbehagen wird dann gern von der jeweiligen Opposition aufgegriffen und in politische Kritik der jeweiligen Verwaltungsspitze umgemünzt. Solche Skandale hat es z. B. in Wuppertal, in Kassel oder — besonders bekannt geworden — in Bochum gegeben. Dort entbrannte eine heftige Diskussion über eine Stahlplastik Richard Serras. Diese Diskussion wurde insbesondere von der Jungen Union geführt.
Tatsächlich handelt es sich bei diesen Skandalen nach unserer Überzeugung nicht um Verwaltungsskandale. Zwar gibt es einen öffentliches Ärgernis erregenden Tatbestand, nämlich jeweils das Kunstwerk, aber ansonsten sind in diesen Fällen kein Fehlverhalten der Verwaltung oder Strukturprobleme des öffentlichen Dienstes auszumachen. Eher erscheint die These gerechtfertigt, daß Kunst-skandale eine Art Ventilfunktion besitzen. Auf moderne Kunst wird der Unmut projiziert, der in vielen Bereichen gegenüber der öffentichen Verwaltung latent vorhanden ist, aber dort nicht artikuliert wird. Wenn es aber um moderne Kunst geht, die per se oft durch ihre Fremdheit, ja gar durch die gewollte Verletzung von traditionellen (ästhetischen) Normen ein Störfaktor ist, kann sich der geballte Unmut endlich einmal artikulieren. Wenn dann noch eine politische Gruppe vorhanden ist, die diesen Unmut aufnimmt und für ihre Zwecke benutzt, ist der Kunst„skandal“, der eigentlich gar keiner ist, geboren.
These XIX: Verwaltungsskandale sind wichtig, weil sie in einer Demokratie notwendige Funktionen wahrnehmen.
Nach unserer Überzeugung hat sich die (oben schon als Begründung für die Beschäftigung mit Verwaltungsskandalen angeführte) Hypothese durch die Untersuchung der verschiedenen Skandale bestätigt: Verwaltungsskandale sind als Kontrolle des Verwaltungshandelns, als Korrekturüberholter oder unakzeptabler Normen und als Signal für tiefer liegende Strukturmängel unverzichtbar. Daß sie dabei manchmal auch zur Manipulation politischer Interessen benutzt werden muß wohl hingenommen werden.
Verwaltungsskandale sind nämlich alles andere als folgenlos. Auch wenn sie nicht dazu führen, daß sich die öffentliche Verwaltung von heute auf morgen entscheidend ändert, tragen sie doch zur begrenzten Selbstreparatur des politisch-administrativen Systems über Anpassungsprozesse bei. Folgen von Verwaltungsskandalen sind neben Rücktritten verantwortlicher Politiker (was ja hier in die engere Definition des Skandals einging) durchaus auch Sanktionen gegen beteiligte Beamte. In vielen Fällen wurden Untersuchungsausschüsse eingerichtet, die den jeweils beteiligten Verwaltungsbereich einer gründlichen Durchleuchtung unterzogen, und auch Änderungen der jeweiligen Verwaltungspraxis, die schließlich zum Skandal geführt hatten, sind zu beobachten. So wurden die problematischen Abhör-und Überwachungsmethoden im Bereich der inneren Sicherheit abgestellt, umstrittene Projekte beendet oder auch (wie in Hamburg) sogar eine spezielle Kommission eingesetzt, die aus dem Skandal grundlegende verwaltungspolitische Konsequenzen zur Modernisierung der Verwaltung ziehen soll
Eine weitere negative Folge scheinen die Skandale aber zumindest für die jeweils betroffenen Bereiche zu haben. Die Häufung der Skandale in den Bereichen „Gefängnis", „Verfassungsschutz" und „Bundeswehr" (aber z. B. auch im Land Berlin) hat wohl zu einer deutlichen Schädigung des Images dieser Bereiche beigetragen. Größere Skandale gehen also nicht spurlos an einer Verwaltung vorbei, sondern hinterlassen zumindest im Ansehen der Öffentlichkeit Narben, die nicht ohne weiteres vergessen werden. Dies mit der bedenklichen Auswirkung, daß solche Skandale die Verwaltungsverdrossenheit des Bürgers eher fördern und leicht ein verzerrtes „Staatsbild" entstehen lassen können — vor allem dann, wenn nach einem erzwungenen Ministerrücktritt oder nach Sanktionen gegenüber hohen Verwaltungsbeamten sonst nichts weiter geschieht, sich in den Strukturelementen der Verwaltung nichts ändert und dies den nächsten Skandal zu programmieren scheint.
Wenn also „da oben“ oder „bei denen“ nichts passiert und Fehler nicht ernsthaft, nachhaltig und ursächlich erörtert werden, wenn gar ein „Rücktritt" als Heldentat gefeiert und mit anschließender innerparteilicher Karriere belohnt wird, dann sind negative Auswirkungen für die demokratische Staatsform durchaus nicht auszuschließen.
Deshalb ist es um so wichtiger, daß gerade die positive Funktion von Verwaltungsskandalen gesehen und — vor allem — dann auch verwertet wird, daß nämlich die betroffenen Bereiche nun einer um so genaueren Kontrolle durch die Öffentlichkeit wie durch Parlament und Wissenschaft unterzogen werden und von hier aus Druck auf weitere anpassende „Verbesserung" der Verwaltung ausgeht.
Dem Verwaltungsskandal muß deshalb eine gezielte Verwaltungspolitik folgen. Die politische Führung hat durch Vorgaben, Regeln und Kontrollen die Voraussetzungen zu schaffen oder wiederherzustellen, nach denen die Verwaltung wieder „normal" und erwartungsgemäß handelt: Im Rahmen von Programmen, Organisation, Verfahren und Personal sind die skandalauslösenden und -fördernden Momente zu minimieren. Verwaltungspolitik ist demnach eine unentbehrliche Führungsaufgabe, die in unserem Zusammenhang die Verwaltung vor unnötigen „Skandalen" bewahren soll und zugleich die in pluralistischen Demokratien wohl unvermeidbaren und (demokratie-theoretisch) sogar funktionalen Verwaltungsskandale politisch einwandfrei lösen hilft.