Was taugen die „Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen , Eingliederung" (MBSE)?
I. „Für wen ist Integration möglich?" — eine Tabufrage?
. Ausländer sind anders als Deutsche. Dieses Anderssein auszuhalten — das bedeutet einen erheblichen Härtetest für die politische Toleranz, letztlich für die politische Kultur in der Bundesrepublik. Der Weg in eine multinationale Staaten-und Kulturgemeinschaft läßt sich aber nur so angehen.
Dieses Anderssein nicht aushalten zu wollen, das verbindet in eigentümlicher Weise die angeblich besonderen Freunde und die besonderen Feinde der Ausländer: Die einen wollen häufig die Ausländerfrage durch rasche und totale Integration, die auf eine Zwangsgermanisierung hinausläuft, „lösen", die anderen durch ein Hinausdrängen der Ausländer. Die Gegner hatten bisher aus wirtschaftlichen Gründen stillgehalten, sehen jetzt aber Raum für ihre Argumente.
Beide Wege sind falsch. Wir müssen die ganze Ausländerfrage viel weiträumiger und langfristiger sehen lernen. Wir müssen uns z. B. ernsthaft fragen, ob ein Zusammenwohnen von Ausländern mit Begriffen wie „Ghettoisierung" korrekt beschrieben ist. Wenn ausländische Mitbürger zusammenwohnen wollen und es gleichzeitig deutsche Mitbürger an andere Wohnorte drängt, so wird keine noch so eifrige Ausländerpolitik den Prozeß der sozialen Distanzierung aufhalten können. Es kommt dann darauf an, die Phase der sozialen Aggressionen zu verhindern. Ein Übermaß an Ausländerpolitik kann aber die Zunahme sozialer Spannungen beschleunigen. Besser ist es, die Möglichkeit gesellschaftlicher Politikprozesse und Initiativen zu stärken und einige wenige Grundsätze festzuschreiben und im übrigen die gesamte Ausländerfrage erheblich zu entdramatisieren. Sie bleibt dann immer noch schwierig genug.
Die Integration von Gastarbeitern und ihren Familien stellt die bundesrepublikanische Ge-Seilschaft vor andere Aufgaben, als sie bei der Integration der Ostflüchtlingen zu lösen waren. Gesellschaftlicher Konsens besteht darin, die Nichteingliederung einer größeren Bevölkerungsgruppe nicht hinnehmen zu wollen; anderenfalls gilt der hohe Stand an sozialer Stabilität, der hier nach dem Krieg erreicht worden ist, als gefährdet Die zur Lösung dieser Aufgabe nötigen Fragen, nämlich: „Unter welchen Voraussetzungen sind Gastarbeiter in diese Gesellschaft integrierbar? und: Sind diese Voraussetzungen gegeben?" werden indessen tabuisiert. Wer dieses Tabu in der öffentlichen Diskussion bricht, sieht sich massiven'Angriffen bis hin zur Beschimpfung als „Faschist" oder „Rassist" ausgesetzt
Andererseits und paradoxerweise weht der Wind denen, die sich praktisch um die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien bemühen, immer eisiger ins Gesicht In Gerichtssälen, bei Behörden, in den Medien — überall mehren sich die „besorgten“ Stimmen, wird harscher Umgang mit Ausländern die Regel und werden immer komplizierter konstruierte Vorschriften immer pedantischer ausgelegt. Erfahrungen mit deutschen Jugendlichen zeigen, daß auch positive eigene Erlebnisse, z. B. mit jungen Türken, wenig vor offenbar tiefsitzenden Ressentiments schützen, die nach dem Motto „Mein Ali ist in Ordnung, aber die Türken insgesamt gehören in den Ofen" alle aus unleidlichen Judenwitzen sattsam bekannte unheilvolle Stereotypen zu neuem Leben erwecken.
Die verständliche Furcht, hier wider Willen das Feuer weiter zu schüren, darf nicht dazu führen, daß die Frage nach den konkreten Chancen zur Eingliederung ausländischer Jugendlicher vermieden wird, möglicherweise mit der fatalen Konsequenz, daß dann doch administrativ und ohne öffentliche und sachverständige Diskussion entschieden wird.
II. Falscher Begriff „Zweite Generation“
Das Berliner Bundesinstitut für Berufsbildung hat in einer Untersuchung festgestellt, daß neun von zehn ausländischen Jugendlichen erst im schulpflichtigen Alter oder später in die Bundesrepublik eingereist sind; davon waren 39 % älter als 15 Jahre. Hierbei sind die Jugendlichen türkischer Nationalität stark vertreten
Im Zuge der Familienzusammenführung, die hauptsächlich von Türken wahrgenommen wurde, drängen viele türkische „Späteinsteiger" auf den Arbeitsmarkt, ohne Berührung mit dem deutschen Bildungssystem gehabt zu haben Man zögert wohl zurecht, bei dieser Gruppe von Jugendlichen den Begriff „zweite Generation" zu ihrer Kennzeichnung zu benutzen, weil damit suggeriert sein könnte, daß hier mehr Chancen zur beruflichen und sozialen Eingliederung bestehen als bei den Eltern. Tatsächlich aber hat sich die Arbeitsmarktlage aufgrund struktureller Umwandlungen dahingehend geändert, daß diese Jugendlichen bei gleicher oder ähnlicher Qualifikation wie ihre Väter deren Arbeitsplätze nicht mehr vorfinden.
Während bei ausländischen Jugendlichen, die hier geboren wurden oder eine längere Schulzeit absolviert haben, der Wunsch nach einer Ausbildungsstelle vorrangig ist ergaben Umfragen nach den Zukunftsplänen bei „Seiteneinsteigern“ eher die Tendenz zur baldigen Arbeitsaufnahme Als Erklärung hierfür sind zwei sich nicht widersprechende Aussagen plausibel: Eine Qualifizierung in Form einer mehrjährigen Ausbildung ist in den Herkunftsländern nicht die Regel und zum anderen erwartet die Familie von dem Jugendlichen, der erst nach seiner Schulausbildung in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, häufig einen unmittelbaren Beitrag für den Lebensunterhalt.
Somit sind diese Jugendlichen bei den ungelernten Arbeitslosen überpräsentiert, zumal ihre sprachlichen und fachlichen Qualifikationen sowie auch ihre spezifische Situation ein Arbeitslosendasein oft geradezu herausfordern Es gehört zu den extrem schwierigen Aufgaben im Bereich der Ausländerintegration, dieser Gruppe Hilfestellung bei der sozialen und beruflichen Eingliederung zu geben.
Integration — was ist das?
Natürlich stellt sich an dieser Stelle die Frage nach dem Integrationsbegriff. Die Diskussion kann und soll hier nicht in epischer Breite wiedergegeben werden. Es reicht, darauf hinzuweisen, daß für die einen jemand in der Gesell-schäft „sozial handlungsfähig" und damit integriert ist, wenn er in ihr arbeitet. Für andere beginnt die Integration erst oder schon dann, wenn sich jemand seiner Lage nur bewußt ist. Für Dritte liegt der Schlüssel zur sozialen Integration vor allem in der beruflichen Eingliederung und hier vor allem in einer beruflichen Qualifikation und nachfolgenden Fachkräfte-tätigkeit. Dieser Vorstellung von Integration stehen wir am nächsten. Aus der Sicht desjenigen, um dessen Integration es geht, sieht die Sachlage wieder anders aus. Es kann wohl als Faustregel gelten: Je umfassender das Integrationsangebot ist, desto bedrohlicher wird es von Ausländern empfunden. Die Formel „Integration ja, Identität verlieren nein" verhilft nur Sonntagsrednern zu Erfolgserlebnissen.
Die realistische Berufssituation ist wichtig für die Vermittlung sozialer Bezüge; auch das Erlernen der Sprache gewinnt erst seinen Sinn im Kontext von Lebensform. Vor allem Jugendliche lernen eine Sprache leichter und schneller im Leben als in der Schule. Weiterhin trägt das Erlebnis des Jugendlichen, beim Lernen eigene praktische Beiträge leisten zu können, zu einem besseren Selbstwertgefühl bei, was sich dann wiederum in einer gesteigerten Lernbereitschaft niederschlägt. Das Arbeiten mit anderen — deutschen — Kollegen ist eine gute Basis für eine Chance zur Integration, da hier Vorurteile abgebaut und durch andere Einschätzungen ersetzt werden können. Unsere Beobachtung ist, daß derjenige, der im Bereich der beruflichen Integration an eine Ausbildung herangeführt werden kann, auch im Bereich der sozialen Integration schon eine erhebliche Wegstrecke hinter sich hat. Es wäre auch illusionär, anzunehmen, daß gerade der Seiteneinsteiger, der bereits seine Enkulturationsphase im Heimatland abgeschlossen hat und mit der Erwartung in die Bundesrepublik Deutschland kommt, hier zu arbeiten oder eine Ausbildung zu beginnen, ohne ein attraktives und seinen Bedürfnissen entsprechendem Angebot starkes Verlangen danach verspürt, hier sofort einen Akkulturationsprozeß in Gang zu setzen.
Integration kann — wenn sie nicht als eine Leerformel je nach politischer Zielsetzung mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden soll — nur als Erwerb von Handlungsfähigkeit verstanden werden, mit deren Hilfe es dem ausländischen Jugendlichen möglich ist, eine Identität zu entwickeln, die seine gesamten Erfahrungen umfaßt.
Der ausländische Seiteneinsteiger kommt mit gewissen Fertigkeiten und Kenntnissen in die Bundesrepublik Deutschland; die Schwierigkeit besteht darin, dieser relativ heterogenen Gruppe ein jeweils spezifisches Angebot zu machen. Setzen hier die „Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung" (MBSE) Qualitätsmaßstäbe, an der schulische Angebote zu messen sind?
III. Nagelprobe MBSE
Bei der Frage nach den Integrationsmöglichkeiten und -grenzen ist besonders das Angebot dieser Gesellschaft für die türkischen Seiteneinsteiger zu bewerten. Es gibt Intensivsprachkurse von in der Regel dreimonatiger Dauer; im Hauptschulbereich gibt es als Auffangbecken sogenannte Vorbereitungsklassen und im Berufsschulbereich das Berufsvorbereitungsjahr, in einigen Bundesländern in einer speziell für Seiten-und Späteinsteiger eingerichteten Variante. Im Mittelpunkt aber stehen die von der Arbeitsverwaltung angebotenen „Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer" (MBSE), die es seit 1980 mit einem bundesweiten Angebot von 15 000 Plätzen gibt. An der Finanzierung dieser Kurse sind die Bundesanstalt für Arbeit mit 75 % und Bund und Länder mit 25 % beteiligt.
Träger von MBSE-Kursen waren im Kursjahr 1980/81 Länder und Kommunen mit 21, 5 % der durchgeführten Maßnahmen, Organisationen der Wirtschaft und Einzelbetriebe zu 29, 6 %, das Jugendsozialwerk mit 8 %, das Christliche Jugenddorfwerk mit 1, 7 %, konfessionelle Zweckgemeinschaften mit 12, 2 % und „Sonstige" mit 26, 6 %. In der Rubrik „Sonstige" sind gewerkschaftseigene Träger enthalten; die Kommunen setzen häufig ihre Volkshochschulen als Träger ein.
Der MBSE-Kurs läuft als sogenannte Vollzeitmaßnahme über elf Monate mit insgesamt 1850 Unterrichtsstunden. Diese teilen sich auf in ungefähr 19 % Berufsschule, 27 % reinen Sprachunterricht und 54 % Berufsvorbereitung einschließlich fachpraktischem Anteil. Für jeweils ca. 45 Jugendliche stehen drei Ausbilder, zwei Lehrer sowie ein Sozialpädagoge, zur Verfügung. In dem entsprechenden Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit steht als Zielset-zung, bei den ausländischen Jugendlichen „vorrangig die Möglichkeit der Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses sowie ihre gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zu verbessern“ Von allen Verantwortlichen wurde aber von vornherein eingeräumt, daß die Teilnahme an den MBSE-Kursen auch für solche Jugendliche in Betracht kommen muß, die trotz Absolvierung des einjährigen Lehrgangs anschließend keine Berufsausbildung aufnehmen können.
Die Frage, ob zielgruppengerechte Lernangebote für die Gruppe der Seiteneinsteiger möglich sind, wird in der von eher praxisfernen Trägern und von Schulseite incl. Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bestimmten Literatur über MBSE vorwiegend negativ beantwortet. Vor allem die hohen Praxisanteile werden kritisiert.
Geht man jedoch auch einmal von den Zielvorstellungen der jungen Türken selber aus (. Arbeit finden"), so setzt gerade das MBSE-Konzept bei diesem Wunsch an. Erst über den praktischen Bereich — der relativ sprachunabhängig ist — ist ein Weg zur perzeptiv-begrifflichen Abstraktion möglich. Dies gilt auch für ausländische Jugendliche, die Mißerfolgserlebnisse mit dem deutschen Schulsystem hinter sich haben. Hierzu werden im folgenden einige Erfahrungen mitgeteilt
Voraussetzungen der Teilnehmer
Natürlich gibt es nicht „den" typischen Seitenoder Späteinsteiger, es gibt aber einige Merkmale der Gesamtgruppe der MBSE-Teilnehmer: Das Angebot, an den Kursen teilzunehmen, wird fast nur von 15— 18jährigen Türken (98%) wahrgenommen. Die Teilnehmer kommen ganz überwiegend aus agrarischstrukturierten Gebieten der Türkei; viele von ihnen sind nach Erledigung der heimatlichen Schulpflicht auch in diesem Bereich tätig gewesen. 60 % der Teilnehmer haben in ihrer Heimat höchstens fünf Jahre die Schule besucht. Drei Viertel der Teilnehmer waren vor Beginn der Kurse höchstens ein Jahr, knapp die Hälfte nur ein halbes Jahr in Deutschland. 55 % der Teilnehmer beherrschten faktisch kein Deutsch Jeder dritte Teilnehmer hat in der Heimat zunächst ohne Vater und Mutter gelebt; zwei von fünf der Jugendlichen le-ben auch hier wieder in unvollständigen Familien. Drei Viertel der Familien haben drei und mehr Kinder. Fast jeder Teilnehmer hat noch zwei jüngere Geschwister im Heimatland. Etwa 50 % der Jugendlichen hatten Berührung mit dem deutschen Schulsystem; man wird wohl davon ausgehen müssen, daß dies zum großen Teil Mißerfolgserlebnisse waren
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Hinführung auf eine Berufsausbildung sind mit diesen Daten als keineswegs als sehr günstig zu bezeichnen.
Mit den Jugendlichen wurde zu Beginn der Kurse ein weitgehend sprachfreier Eingangstest durchgeführt, der am Ende wiederholt wurde. Dieser Intelligenz-Struktur-Test (IST) wurde uns von Prof. Rudolf Amthauer zur Verfügung gestellt Mit Hilfe des Tests wollten wir kurzfristig ein an den tatsächlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Jugendlichen orientiertes Angebot entwickeln und durch die Wiederholung die tatsächlichen Lernfortschritte feststellen.
Auf den Test und seine Ergebnisse soll hier im einzelnen nicht eingegangen, sondern es sol-len nur die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung referiert werden, die sich auf Handgeschick, praktisch-technisches Verständnis, Zeichenfertigkeit, Leistungsbereit-schäft, Deutschkenntnisse, Rechenfähigkeiten und Aufmerksamkeit beziehen
Die hervorstechendsten Fähigkeiten bei unseren MBSE-Gruppen liegen in den Bereichen Handgeschick, Zeichnen sowie in der Leistungsbereitschaft Weniger ausgeprägt ist das praktisch-technische Verständnis, und es existieren starke Schwankungen in der Konzentrationsfähigkeit, was mit zu den schlechten Leistungen im Grundrechnen beigetragen haben dürfte.
Daß die Sprachkenntnisse eine Schlüsselfunktion haben, läßt sich auch daran erkennen, daß türkische Jugendliche, die einen Sprachintensivkurs absolviert haben, bessere Ergebnisse zu verzeichnen haben als türkische Jugendliche, die von der Berufsschule oder vom Berufsvorbereitungsjahr in unsere Gruppe übergewechselt sind. Sie wirken sich vor allem aus auf die Konzentrationsfähigkeit. An dem Konstrukt „Konzentrationsfähigkeit" kann gezeigt werden, daß es als ein kulturspezifisches Merkmal vielfältigen Einflüssen unterliegt, die vor allem vom Bildungsniveau bestimmt werden.
So haben Jugendliche aus agrarisch-strukturierten Gebieten signifikant schlechtere Aufmerksamkeitsleistungen erbracht als Jugendliche aus Ballungsgebieten. Sprachkenntnisse, die Anzahl der im Heimatland besuchten Schuljahre sowie der dortige Schulabschluß und die Berufspläne wirken sich je nach Aspirationsniveau positiv aus auf die Konzentrationsfähigkeit Auch das häusliche Milieu hat unmittelbaren Einfluß: Wenn beide Eltern in der Bundesrepublik Deutschland leben, so ist die Aufmerksamkeitsleistung signifikant besser, als wenn nur ein Elternteil oder keiner hier ist.
Nimmt man beide Testdurchgänge des Jahrgangs 1980/81 zum Vergleich, so läßt sich feststellen, daß es eine durchgehende Leistungssteigerung aller Teilnehmer im Verlauf der Kurse gegeben hat. Dennoch gibt es vor allem in den Bereichen praktisch-technisches Verständnis, Deutsch, Rechnen und Konzentrationsfähigkeit aber weiter einen großen Ab-stand zu einer gleichaltrigen deutschen Gruppe (ohne Oberschüler).
Zwar haben sich die Jugendlichen, die im Anschluß einen Ausbildungsvertrag erhielten, stärker als der Durchschnitt der anderen Jugendlichen insgesamt verbessert, aber auch sie liegen noch deutlich in den genannten Bereichen unter dem Niveau, das bisher als Untergrenze für eine erfolgreiche Facharbeiterausbildung galt. Damit bedürfen die Betriebe und die ausländischen Jugendlichen nicht nur einer gezielten Ermutigung, sondern auch der Unterstützung bei der Erarbeitung kompensatorischer Angebote, die sich auf die Lernorte Betrieb und Berufsschule beziehen müssen und sozialpädagogisch begleitet sein sollten. Rund 30 % aller MBSE-Teilnehmer galten nach ihren Eingangsergebnissen als „leistungsschwach“. Sie lagen in ihren Gesamtleistungen weit unter dem einer vergleichbaren deutschen Gruppe. 97 % dieser „Leistungsschwachen“ haben sich in allen Bereichen zum Ende der Kurse stärker verbessert als der Durchschnitt der anderen Teilnehmer, — womit sich MBSE als breitgreifendes Förderprogramm bewährt hat Dies ist freilich ein relativer Erfolg. Eine Heranführung der schwächeren Jugendlichen an das Anforderungsniveau einer Berufsausbildung ist in einem knappen Jahr nicht möglich. Die Frage, inwieweit eine zeitliche Verlängerung der Förderkurse die Zahl der „ausbildungsreifen" Jugendlichen steigern könnte, kann nur spekulativ beantwortet werden. Notwendig erscheint aber auf jeden Fall ein Angebot arbeitsbegleitender Förderung mit dem Ziel externer Facharbeiterprüfungen oder betrieblicher Qualifikationsstufen
Von der Notwendigkeit, Vorbild z sein
Wodurch zeichnen sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Angeboten der Integration aus? — Einige Grundwahrheiten erfolgreichen pädagogischen Wirkens sind auf die Tauglichkeit einer neuen Zielgruppe gegenüber zu überprüfen, das ist im Grunde alles. Nach unseren Beobachtungen reagieren die ausländischen Jugendlichen noch sensibler als deutsche Jugendliche darauf, ob Pädagogen sich ihnen aufschließen oder nicht. Die häufigen Klagen von Lehrkräften über fehlende Zusatzqualifikationen (Deutsch als Fremdsprache oder Sonderpädagogik etc.) sind gewiß nicht unberechtigt, dürfen aber andererseits auch nicht als Entschuldigung für die mangelnde Bereitschaft anerkannt werden, sich der Herausforderung zu stellen. Uns sind viele Einzelfälle bekannt, in denen nicht der mit den meisten und besten Zertifikaten ausgerüstete Pädagoge erfolgreich und von den Jugendlichen akzeptiert arbeitet! interessant ist, daß in den meisten Fällen der betriebliche Ausbilder zum Vorbild der Jugendlichen wird
Stellenwert Sprache
Über die Möglichkeiten des Spracherwerbs in einem Gesamtkonzept zur Integration läßt sich auch aus praktischer Sicht sehr streiten. In den Köpfen vieler Entscheider und Meinungsbildner ist offenbar unausrottbar die Vorstellung vorhanden, die ausländischen Jugendlichen könnten zunächst quasi im luftleeren Raum die Sprache erlernen und dann — mit diesem Werkzeug wohlversehen — sich an die Integration machen. Diese Vorstellung hat ihren Ursprung wohl mehr in der speziellen Bildungserfahrung von Intellektuellen als in der praktischen Arbeit mit Gastarbeiterkindern. Auch ist die Anfrage sicher nicht unpolemisch, ob die Beliebtheit dieser Argumentationsfigur vielleicht damit zusammenhängt, daß jede Bildungsinstitution (Hauptschule, Berufsschule etc.) auf dieser Grundlage mit der Forderung hausieren gehen kann, „der Jugendliche möge zuerst die deutsche Sprache erlernen, dann ist er uns willkommen“. Hakt man nach und fragt, wo denn der Jugendliche die Sprache erlernen solle, so nennt der Befragte jeweils alle Institutionen außer der eigenen, vielleicht noch das neutrale „Sprachlabor".
Aber nur für einen Bruchteil der Gastarbeiterkinder — nämlich für jene, die in längerer Schulbildung im Heimatland das Lernen gelernt haben und die nicht nur bildungserfahren, sondern auch bildungsmotiviert sind — dürften solche Ratschläge sinnvoll sein
Diese Jugendlichen sind dann aber auch in MBSE-Kursen mit starkem Praxisanteil bei der falschen Adresse. Für die anderen gilt, daß sie über Situationen und über Erfolge, die nur im praktischen Bereich liegen können, an die Sprache und die weiteren Wissens-und Kenntnisnotwendigkeiten herangeführt werden. Hier sind Förderkurse mit starken Praxiselementen das bessere Angebot.
Wir haben türkische Jugendliche kennengelernt, die trotz mehrjährigen Aufenthalts in deutschen Schulen sprachliche Nullanfänger waren und die im Förderkurs so weit gekommen sind, daß sie anschließend einen Ausbildungsplatz angeboten bekamen. Freilich müßte besonders untersucht werden, ob die relativen Lernerfolge im Rahmen der MBSE-Kurse tatsächlich wesentlich auf die Praxisanteile zurückzuführen sind oder ob vielmehr die „menschliche Komponente“ besonders ausschlaggebend war — oder ob die Mischung aus beiden erst den Erfolg gesichert hat.
Die MBSE-Kurse finden, verglichen mit dem schulischen Angebot, in weitgehend „entschulter" Atmosphäre statt. Die personale Verantwortung der MBSE-Pädagogen ist großgeschrieben, die Zahl der Ansprechpartner für die Jugendlichen möglichst kleingehalten. Die sozialpädagogische Betreuung durch Ausbilder, Lehrer und Sozialpädagogen ist intensiver als im Schulbereich. Daß diese intensive Betreuung im vertretbaren Finanzrahmen stattfindet, die Betreuungsvorsprünge gegenüber den schulischen Angeboten also weniger auf Geld als vielmehr auf eine vernünftige, auf die Belange der Jugendlichen ausgerichtete Organisation zurückzuführen sind, ist keine Besonderheit. Das Beispiel vieler „freier Schulen" zeigt, daß es keine Unmöglichkeit ist, die Ziele Kosteneinsparung, Effizienzsteigerung und humane Qualität gleichzeitig zu verbessern
Relativer Erfolg gleich relativer Mißerfolg
Was für die einen relativer Erfolg ist, ist für die anderen relativer Mißerfolg. Wir haben aus unseren Erfahrungen heraus geschildert, daß mit Hilfe eines tragfähigen pädagogischen Konzepts und einer administrativ ziemlich großzügigen Betreuung (wohl eben nicht zufällig außerhalb der Kultusverwaltung) ausländischen Jugendlichen ein qualitativ vernünftiges Angebot gemacht werden kann, das auch den internationalen Vergleich mit Integrationsbemühungen anderer Länder nicht zu scheuen braucht. Der Schwerpunkt „Vorbereitung auf berufliche Eingliederung" ist für die Zielgruppe richtig gesetzt. Die Erfolge einer Vermittlung in Ausbildung und Arbeit sowie beim Vergleich von Eingangs-und Ausgangstest sind vorzeigbar:
Von unseren Teilnehmern haben im ersten Jahr über 95 % den Kurs abgeschlossen, 17, 1 % sind anschließend in ein Ausbildungsverhältnis übernommen worden, insgesamt waren zum Abschluß des Kurses über 70 % der Jugendlichen in Arbeit oder Ausbildung vermittelt. Erfolg oder Mißerfolg des Programms?
Unter jenen, die einen Mißerfolg des MBSE-Programms behaupten, gibt es zwei Gruppierungen: Solche, die die Familienzusammenführung insgesamt drosseln wollen, und sol-che, die MBSE für im Ansatz falsch halten.
Die letzte Gruppe hat ideologische Vorbehalte gegen Bildungsangebote außerhalb des öffentlichen Schulwesens und arbeitet der ersten ungewollt zu.
Die andere Gruppe argumentiertvor allem mit Blick auf die knapper fließenden öffentlichen Mittel und nimmt Argumente für die Aussage, daß Jugendliche in diesem Alter nicht mehr integrierbar seien, dankbar auf.
Die Familienzusammenführung ist für Bürger aus Nicht-EG-Ländern schon seit Dezember 1981 enger gefaßt. Nun gilt, daß die Jugendlichen bei Einreise das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfen (früher 18) und nur die Zureise zu beiden Eltern erlaubt ist. Erschwert worden ist auch der Zuzug durch Heirat. Mittlerweile liegt im Bundesrat ein Gesetzesantrag vor, der vorsieht, die Aufenthaltserlaubnis sowohl für neu einreisende als auch für bereits in der Bundesrepublik lebende Kinder auf sechs Jahre herabzusetzen
Uber die politische Bewertung von MBSE ist damit nicht entschieden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes verfaßten zu die-sen MBSE-Kursen einen gemeinsamen Aufruf (1980), in dem es heißt, es handele sich um ein „langfristig angelegtes Programm, das einen Schwerpunkt der Integrationspolitik in den achtziger Jahren“ bilden soll. Die finanziellen Probleme aller öffentlichen Haushalte, insbesondere aber auch der Bundesanstalt für Arbeit, lassen mittlerweile das Programm aber keineswegs als langfristig gesichert erscheinen. Der vorgesehene Ausbau auf 20 000 Plätze ist zunächst einmal unterblieben. Politisch durchsetzbar erscheint zum jetzigen Zeitpunkt -allenfalls eine Konsolidierung des Programms auf mittelfristiger Basis sowie eine Veränderung der zur Zeit über den Sprachverband betreuten Intensivsprachkurse zu MBSE-Vorkursen, die sicherstellen, daß die Teilnehmer über ausreichende Mindestsprachkenntnisse zu Kursbeginn verfügen.
Weitergehende Forderungen, wie sie sich in der Literatur zuhauf finden, sind nicht reali-stisch. Man wird also, will man nicht Illusionen erzeugen, das Instrumentarium MBSE als das zur Zeit gegebene (wenn auch keineswegs gesicherte) zugrunde legen müssen, wenn es darum geht, die Frage zu beantworten, ob und inwieweit türkische Seiten-und Späteinsteiger mit den bestehenden Angeboten in unserer Gesellschaft integriert werden können.
IV. Grenzen der Integrationsbemühungen
Nur der kleinere Teil der Jugendlichen, die in den MBSE-Kursen 1980/81 waren oder im MBSE-Kursjahr 1981/82 kurz vor ihrer Entlassung stehen, konnten und können in der zur Verfügung stehenden Förderzeit an die fachlichen und außerfachlichen Qualifikationen herangeführt werden, die für ein Durchlaufen der Facharbeiterausbildung als unabdingbar gelten Die Zahl ausbildungsfähiger Jugendlicher schwankt nach unseren Erfahrungen und Tests zwischen fünf und dreißig Prozent. Zu den Faktoren, die überdies eine Vermittlung in ein Ausbildungsverhältnis verhindern, gehört darüber hinaus eine längerfristig nicht kalkulierbare Lebensplanung vieler Gastarbeiterfamilien.
Familieninterviews, die wir durchführten, zeigten, daß all jene, die nicht nur einen Ausbildungsplatz erhielten, sondern auch hoch-motiviert auf einen erfolgreichen Ausbildungsabschluß hinarbeiten, meist von ihrer Familien unterstützt werden; Rückkehrpläne werden zugunsten von Qualifikationserwerb zurückgestellt. Obwohl bei den meisten Rückkehrplänen von ausländischen Arbeitnehmern eine große Kluft zwischen Wunsch und konkreter Durchführung besteht, beeinflußt die entsprechende Einstellung doch oft die Entscheidung, ob ein Ausbildungsplatz auch angenommen oder abgelehnt wird.'
Weiterhin bedeutet die Annahme eines Ausbildungsplatzes durch einen türkischen Jugendlichen (und dessen Familie) eine gewisse Konfliktbereitschaft, nicht nur in bezug auf die konkrete Arbeit, sondern auch im sozialen Bereich. Eine nicht nur auf unmittelbaren Erwerb ausgerichtete Arbeits-und Lernbereitschaft fordert die aktive Auseinandersetzung mit der hiesigen Kultur — und somit auch eine Öffnung nach außen
Dennoch verbleibt ein beträchlicher Teil der Jugendlichen, die auch nach elf Monaten MBSE weitgehend chancenlos auf dem Arbeitsmarkt stehen und die die soziale Integration nicht schaffen werden.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) geht von jährlich 50 000 Jugendlichen aus, für die MBSE das richtige Angebot sei. Im Moment gibt es aber nur 15 000 Plätze, so daß das BiBB von einem Minimalprogramm spricht. So wird der erreichte Stand sozialer Stabilität in Zukunft nicht zu halten sein.
Die Grenzpflöcke erfolgreicher Integration könnten weitergesteckt werden, wenn staatliche Politik stärker darauf ausgerichtet werden könnte, persönliche und gesellschaftliche Initiativen in diesem Themenfeld zu fördern. Staatliche Politik darf nicht, wie jetzt, gleichermaßen strukturell darauf abzielen, gesellschaftliche Gruppierungen, die sich dieses Themas annehmen, durch administrative Beckmesserei zu frustrieren. Gesellschaftliche Initiative bedarf der staatlichen Ermutigung. Die Bürokratie-Risiken, wie sie die Betreiber von MBSE-Kursen im Übermaß kennen, müssen reduziert werden. Der Staat und die großen Interessengruppen sollten sich darauf einrichten, daß die Bürger das Thema „Ausländer und Deutsche" auch positiv behandeln können und daß dies allemal vielfältiger, erfolgreicher und preiswerter ist als rein staatliches Handeln.